Nr. 2848
Paraschock
Lordadmiral Monkey im Einsatz – er will die RAS TSCHUBAI retten
Uwe Anton
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.
Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.
Viele Ereignisse verweisen auf den Planeten Medusa, einst Bestandteil des Solsystems und nunmehr Heimat der Kerouten, der ersten intelligenten Erdbewohner.
Entdeckt durch Viccor Bughassidow, einen exzentrischen Milliardär, sind längst auch Beauftragte des Atopischen Tribunals und der Erde vor Ort – denn auf Medusa befindet sich unter einem undurchdringlichen Panzer aus »Hyperfrost« die RAS TSCHUBAI, das Raumschiff Perry Rhodans ... Um dorthin zu gelangen, versucht man es mit dem PARASCHOCK ...
Monkey – Der Lordadmiral der USO geht nur verkleidet vor die Tür.
Vetris-Molaud – Der Herr des Tamaniums muss einen Verlust verbuchen.
Bostich – Der einstige Imperator meldet sich zu Wort.
Ahasver Solo – Der Raumschiffkommandant will die RAS TSCHUBAI befreien.
Ruval Hanóor – Der USO-Agent löst einen Paraschock aus.
Paraland
7. Juni 1518 NGZ
Glaslinc und Paikale tauchten ein.
Die Umgebung verzerrte sich, verschwamm, verlor sich in einem allumfassenden Grau. Glaslinc richtete sich auf die Kurzen auf und griff sich mit den Armen an den Kopf.
Er konnte das Fell nicht mit den Krallen durchfurchen. »Die Tauchkapuze«, murmelte er. Wie hatte er das vergessen können? Es war doch nur ein paar Sekunden her, seit er die Kapuze aus fein gesponnenem Hüter-Metall übergezogen hatte.
Ein paar Sekunden?
Die Erinnerung daran verblasste zusehends. Genauso gut hätte es eine Ewigkeit her sein können.
Aber nicht nur die Kapuze trennte seine Krallen von seinem Fell. Da war noch etwas, etwas viel Härteres, Massiveres.
Die SEMT-Haube!
»Das Experiment!«, sagte er.
»Beruhige dich, Glaslinc«, vernahm er eine Stimme. Sie schien aus weiter Ferne zu ihm zu sprechen, wurde ganz schnell so leise, dass er sie kaum noch verstehen konnte.
»TOM!«, rief er. Er war froh, diese Stimme zu hören. Nun wusste er zumindest, dass der Logik-Programm-Verbund der TOMASON über ihn und Paikale wachte. Das Schiff schwebte nur wenige Kilometer über der Oberfläche von Medusa.
Wie TOM es versprochen hatte.
Wobei in seiner gegenwärtigen Situation diese wenigen Kilometer ebenso gut Tausende von Lichtjahren hätten sein können.
»Wo sind wir?«, fragte er. »Kannst du uns helfen, uns zu orientieren?«
Der LPV antwortete nicht, jedenfalls nicht so, dass Glaslinc es hätte hören können.
Der junge Keroute blickte sich um.
Paikale sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an, öffnete den Mund, rief wohl etwas, doch Glaslinc verstand ihn nicht. Das Grau rückte an den anderen Kerouten heran, bedrängte ihn von allen Seiten, umfasste ihn.
Paikale schien die Gefahr nicht zu bemerken. Er zeigte nach vorne und setzte sich in Bewegung, ging drei, vier Schritte voran.
Sah er etwas anderes als Glaslinc? Etwas, das ihm keine Angst machte?
Sah er nicht das Grau, das Paikale und ihn zu verschlingen drohte? Spürte er nicht die entsetzliche Kälte und Leere, die diesen Ort auszeichnete?
Das unnatürliche Nichts, das Glaslinc zu vereinnahmen drohte.
Was habe ich getan?, dachte er. Wieso habe ich mich nur darauf eingelassen? Wieso bin ich freiwillig hierhergegangen?
Das Paraland war entsetzlich kalt, weltabgewandt und schreiend still.
Das Paraland, dachte Glaslinc. Was ist das für ein Paraland? Wo bin ich?
Er hatte es vergessen.
*
Offensichtlich war er nicht fremd an diesem Ort, denn er wusste mit unfehlbarer Sicherheit, dass die graue Umgebung den gleichen Anblick wie eh und je bot, wie gestern und vorgestern und vor einem Jahr. Sie war zeitlos, und darum hasste Glaslinc sie.
Er hatte Paikale längst aus den Augen verloren. Nun bemerkte er, dass der Weg steil nach oben führte. Es schien, als müsste er einen Gipfel erklimmen.
Wie immer in diesem kalten, weltabgewandten und schreiend stillen Land, in dem jeder Weg bergauf führte.
Er ließ sich auf alle viere fallen und kam nun schneller voran. Mit den Krallen der Hände konnte er Werkzeuge ebenso wie Schreibgeräte handhaben, aber nun benötigte er sie, um den Gipfel zu erklimmen und wieder hinabzusteigen.
Er bezweifelte, dass das kalte Grau weichen würde. Es war allgegenwärtig.
Der Weg wurde immer steiler. Und enger. Um ihn herum waren Wände, ebenfalls grau, aber nicht ganz so kalt. Und sie bestanden nicht aus der wabernden Substanz, die ihn zu verschlingen drohte, sondern waren hart und fest.
Er berührte sie. Sie fühlten sich unnatürlich an.
Und gefährlich.
Die nackten, kalten Wände waren mit etwas Fremdem infiziert. Mit etwas Zerstörerischem.
Er nahm es genau wahr. Es wohnte in ihnen, lauerte auf jede Berührung, wollte wachsen, sich verbreiten.
Das Verderben.
Der Tod.
Glaslinc atmete bereits schwer, die Muskeln schmerzten, und die Luft brannte ihm in den Lungen, als die Steigung, die er bewältigen musste, plötzlich flacher wurde. Er hatte es fast geschafft, war beinahe am Ziel. Der Gipfel war nah.
Das Zerstörerische wurde zugleich immer manifester. Es rückte auf ihn ein, griff nach ihm, konnte ihn aber nicht fassen.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis es ihn erreichte.
Er schaute sich um. Hatte er gehofft, vom Gipfel aus einen besseren Blick zu haben, sah er sich getäuscht. Da war kein freies Land, nur Grau. Graue Gänge, graue Wände, graue Muster.
Aber ... halt! War da nicht, ganz tief im Grau, für ihn eigentlich unerreichbar, ein Licht? Schwach nur, kaum wahrzunehmen, aber trotzdem vorhanden? Ein weicher gelber Schimmer in dem harten kalten Grau?
Dieses Licht ist mein Ziel, dachte er. Ich muss es erreichen.
Er sah sich erneut auf dem Gipfel um, fand aber nichts Neues. Da war nur dieses Licht, das ihm ein winziges Fünkchen Hoffnung gab.
Langsam machte er sich an den Abstieg. Er kannte sich aus, kletterte jeden Tag hinauf, um die Berge in der Ferne sehen zu können.
Die Berge, die noch nicht von der Zerstörung zerfressen waren.
Beim Abstieg sah ihn aus einer Wasserpfütze ein alter Keroute an, der wahrscheinlich längst vergessen hatte, warum er in dieser Einöde lebte und woher er gekommen war. Sein Fell war grau, fast weiß. Er musste wirklich uralt sein.
»Sei auf der Hut«, sagte er warnend.
»Wer bist du?«, fragte Glaslinc.
Der Alte schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nur erinnern, dass mich ein greller Lichtstrahl umhüllt und meiner Umgebung entrissen und mich dann mit einem leisen Zischen wieder herausgegeben hat. Und du? Wie bist du hierhergekommen?«
Ja, wie war er eigentlich an diesen Ort gekommen? Er wusste es nicht mehr. Seine Erinnerungen reichten nicht so weit zurück.
Als er wieder hinschaute, war der Alte fort, und die Pfütze war nur eine Pfütze. Im Paraland war vieles Illusion, und Glaslinc konnte die Trugbilder beim besten Willen nicht von der Realität unterscheiden. Falls es an diesem Ort überhaupt eine Realität gab.
Hinter der Pfütze erhob sich eine Felswand, kalt und grau und vom Zerstörerischen durchsetzt. Sie ragte hoch vor ihm auf, so hoch, dass sie in den grauen Himmel reichte.
Hatte er schon einmal davon geträumt, sie zu besteigen und nachzusehen, was sich hinter ihr befand? Sie war glatt und ohne jegliche Risse, die es ihm ermöglicht hätten, seinen Traum zu erfüllen.
Diese Steilwand war ein ... ein ... Ihm fiel der richtige Begriff nicht ein.
Schon der Gedanke genügte, um ihn daran zu erinnern, dass er nicht allein hergekommen war. Die Firmamenteltern mögen mich retten!, dachte er entsetzt.
»Paikale!«, rief er.
Sein Freund und Kollege antwortete nicht.
Er ging weiter. Seine Zuversicht schwand mit jedem Schritt. Was konnte er schon bewirken? Es war hoffnungslos.
Vor ihm huschte ein Tier über den Weg, eine kleine Eidechse. Mit einer Gewandtheit, die er sich selbst nicht zugetraut hätte, griff er mit den Langen nach ihr und erwischte sie tatsächlich, bekam sie am Schwanz zu fassen.
Einen Moment lang befürchtete er, sie würde den Schwanz einfach abwerfen, diesen Verlust in Kauf nehmen, um ihr Leben zu retten, doch sie zappelte nur hilflos in seinem Griff. Er hielt sie mit einer Hand fest und drückte sie gegen einen Felsen am Wegesrand, hob mit der anderen einen Stein auf, der auf dem Weg lag, und schlug ihr damit auf den Kopf.
Die Eidechse krächzte und erschlaffte dann.
Er hob den leblosen Körper höher, führte ihn seinem Mund zu ...
Was tue ich da?, fragte er sich und schleuderte ihn davon. Der Kadaver flog weit durch die Luft, prallte gegen die gegenüberliegende Wand und rutschte an ihr hinab.
Er kicherte wie von Sinnen vor sich hin. Gerade noch rechtzeitig hatte er es bemerkt.
Das Tier war von der Zerstörung heimgesucht. Hätte er es gegessen, wäre er ihr ebenfalls erlegen.
Er setzte sich wieder in Bewegung. Irgendwo vor ihm leuchtete das schwache Licht, dem er folgte, ohne zu wissen, warum.
Ich muss eine Höhle finden!, dachte er. Unterschlupf suchen. Mich ausruhen.
Nein, sagte eine andere Stimme. Du musst zum Licht. Das Licht ist dein Heil und dein Ziel.
»TOM?«, fragte er.
TOM antwortete nicht.
Doch als hätte allein der Klang dieser Stimme ihm neue Kraft gegeben, ging er weiter. Das Grau drängte auf ihn ein, die Kälte fraß sich in seinen Körper, bis sie die Knochen spröde zu machen und zersplittern zu lassen drohte, doch er ging weiter.
Langsam veränderte sich seine Umgebung. Sand lag auf dem felsigen Pfad, zuerst nur ein paar Körner, dann eine kleine Pfütze, schließlich sogar genug, dass seine Schritte darauf knirschten.
Er ignorierte das Knirschen, nahm es als gegeben hin.
Bis er knöcheltief einsackte.
Treibsand!, dachte er panisch. Doch er beruhigte sich schnell, als seine Füße festen Untergrund spürten.
Er sah auf den Boden, auf die Körnchen.
Weiterer Sand schien von einem Wind aus dem Nichts den Pfad hinabgeweht zu werden, strömte zu dem kleinen Teich, der sich um seine Knöchel gebildet hatte, und vergrößerte die Fläche zusehends. Glaslinc befürchtete schon, dass der feinkörnige Sand ihn unter sich begraben und ihn ersticken würde, als er an seinen Füßen eine zerrende Bewegung spürte.
Der Keroute riss die Augen weiter auf. Als hätte der Sand ein Eigenleben, strömte er zusammen, bildete da kleine Anhäufungen und Verwerfungen, dort Vertiefungen. Die Körner gruppierten sich immer wieder neu, bis sie schließlich ein Gesicht bildeten
Glaslinc atmete tief ein, schreckte dann zurück, stolperte, wäre fast gestürzt.
Er kannte das Gesicht, hatte es auf Bildern und in Aufnahmen gesehen.
Plötzlich fiel ihm alles wieder ein.
Es war das Gesicht des Mannes, den er suchte, den er unbedingt finden musste.
Das Gesicht von Perry Rhodan.
Medusa
7. Juni 1518 NGZ
Ahasver Solo verschlug es den Atem, als er in die Kammer des Unnahbaren hinabsah. Er stand nicht zum ersten Mal an dieser Stelle, doch die ungeheure Kaverne löste jedes Mal diese Reaktion in ihm aus. Die Höhle war riesig. Ihren genauen Durchmesser hatten sie nicht bis auf den letzten Meter genau ermitteln können, weil der Hyperfrost alle Messungen behinderte, doch er betrug mindestens vier Kilometer, und etwa genauso hoch war die Grube. Das obere Ende der Kaverne lag dicht unter dem Bodenniveau Medusas. Von dort waren es durchschnittlich nur etwa vierzig Meter bis zur Planetenoberfläche.
Natürlich sah er praktisch nichts von der Kaverne, doch er kannte die Daten, hatte sie oft genug heruntergebetet.
In der Kammer war es unvorstellbar kalt. Im Licht der unzähligen Scheinwerfer, die die Kerouten aufgebaut hatten, sah der Kommandant der TOMASON ein eigenartiges, sinnverwirrendes, nicht greifbares Blau unter einem seltsam gekrümmten Eispanzer hervorschimmern.
Es war die RAS TSCHUBAI, deren Außenhülle aus Ynkalkrit in einzigartiger Weise blau zu leuchten schien, sogar wenn sie vom Hyperfrost bedeckt war. Der Kugelraumer wirkte unnahbar, unzugänglich und abweisend.
Das Schiff von 3000 Metern Durchmesser war am 16. Dezember 1516 NGZ zu seinem intergalaktischen Jungfernflug mit dem Ziel Larhatoon aufgebrochen. Und nun, zwei Jahre später, hatte Viccor Bughassidow es in dieser Kaverne auf Medusa gefunden, der Dunkelwelt, die er jahrelang gesucht hatte. Wie es dorthin gekommen war, wusste niemand zu sagen. Und vor allem nicht, wann.
Zwischenzeitlich war es in der Milchstraße gewesen und hatte am Vorstoß in die Synchronie teilgenommen. Nun lag die RAS TSCHUBAI angeblich seit 500 Jahren unter einer Schicht aus Hyperfrost in dieser Kaverne auf dem Planeten Medusa, und das, obwohl sie erst vor zwei Jahren zu ihrer Reise aufgebrochen war. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bestanden Zusammenhänge mit dem Aufenthalt in der Synchronie, die eine künstliche Dimension war, eine zweite Zeit. Doch genauso wenig, wie man die Synchronie verstand, verstand jemand diese Zusammenhänge.
Falls die RAS TSCHUBAI nicht sowieso eine Kopie aus einer anderen Realität war ...
Das Schiff war gefangen in diesem Hyperfrost, vollständig von der ganz und gar nicht normalen Eisschicht umhüllt. Die Schicht ließ sich nicht schmelzen, auch nicht mit Thermowaffen, und sie ließ sich nicht durchdringen. Offensichtlich zog sich dieser Frost durch viele Dimensionen, obwohl andererseits niemand zu sagen wusste, was genau er war.
Und doch mussten sie ihn irgendwie durchstoßen. Sie mussten herausfinden, was sich in der RAS TSCHUBAI befand. Besser gesagt: ob die Besatzung an Bord war.
Verstohlen sah Ahasver Solo zu Viccor Bughassidow und dessen Leibärztin Jatin hinüber.
Der Eigner der KRUSENSTERN zeigte offen seine Faszination, so oft er zur RAS TSCHUBAI hinabsah. Sein Blick wirkte geradezu entrückt. Ein wenig schien es ihn zu stören, dass seine Entdeckung Medusas durch diesen Fund in den Hintergrund gerückt war.
Solo wusste nicht genau, ob Bughassidow enttäuscht war, dass er sich nicht gebührend feiern lassen konnte, weil er hartnäckig eine Theorie aufgestellt, vertreten und schließlich auch bewiesen hatte. Aber die Bedeutung seines Fundes war ihm mittlerweile völlig klar geworden.
Solo wandte den Blick von Bughassidow und seiner Begleiterin ab und schaute wieder in die Kaverne. Angesichts der Größe des Hohlraums wirkten die Aktivitäten, die dort stattfanden, lächerlich gering.
Vor dem gemeinsamen Versuch von Schiffen der LFT und der Onryonen, die RAS TSCHUBAI mit Traktorstrahlen aus der Kaverne zu ziehen, hatte man die Decke der Kaverne abgetragen, weil man sonst mit dem Schiffsrumpf den Fels hätte durchbrechen müssen. Die Kaverne war also inzwischen zur Oberfläche des Planeten hin offen. Eine Handvoll terranischer Techniker führte Messungen durch, unterstützt von Arbeitsrobotern, oder flogen in ihren Schutzanzügen herum auf der Suche nach einer Möglichkeit, die RAS TSCHUBAI aus dem Hyperfrost zu befreien.
Über das gewaltige Loch hatten die Techniker und Ingenieure ein Schirmfeld gespannt. Medusa war völlig vereist und hatte keine gasförmige Atmosphäre mehr. Indem sie die Kaverne mit künstlich erwärmter Luft geflutet hatten, hatten sie die Arbeitsbedingungen beträchtlich verbessert.
Einige Anuupi schwebten dort auf und ab. Die biolumineszenten, quallenartigen Tiere von der Größe einer menschlichen Faust verströmten weiches, grünlich gelbes Licht, das die Augen selbst dann nicht belastete, wenn zahlreiche Exemplare von ihnen auf engstem Raum versammelt waren. Ihre Haut war dünn und transparent, Solo erkannte Adern und innere Organe. Sie vermochten zu schweben, weil sie ein Gas erzeugten, das leichter war als Luft und sich im Inneren ihrer Körper ansammelte.
Die Onryonen zogen das Licht der Anuupi jeder anderen künstlichen Beleuchtung vor. Solo wusste weder, was er von ihrer Anwesenheit halten sollte, noch von ihrer Hilfe bei dem gescheiterten Versuch, die RAS TSCHUBAI aus dem Hyperfrost zu holen. War das vielleicht der Beginn einer wirklichen Verständigung mit den Onryonen? Der Anfang einer neuen Ära, selbst wenn das gegenwärtig niemand eingestehen, ja nicht einmal erwähnen wollte?
In der Kammer des Unnahbaren konnten die Anuupi jedoch wenig ausrichten. Ihr Licht war im Gleißen der Scheinwerfer einfach zu schwach.
Ahasver Solo atmete rasselnd aus. Nein, all diese Bemühungen würden nicht zum Erfolg führen. Die einzige realistische Chance, die sie hatten, waren die Kerouten und die Tauchkapuzen, die noch nie in der Praxis erprobt worden waren.
»Ahasver?«, ertönte eine Stimme in seinem Helmfunk. »Wir sind fast da. Du kannst uns bereits sehen.« Es war die Stimme seines Stellvertreters Erol Oneida.
»Verstanden«, antwortete der Kommandant der TOMASON. Sein Raumer war das Flaggschiff des kleinen Verbandes gewesen, der der KRUSENSTERN gefolgt war. Er blickte über die Oberfläche des Planeten. »Ja, ich sehe euch.«
Er schnalzte mit der Zunge und änderte damit die Frequenz des Helmfunks. »Viccor«, sagte er, »Erol und Toypegg kommen mit neuen Informationen. Fliegen wir ihnen entgegen?«
Es fiel Viccor Bughassidow sichtlich schwer, den Blick von der RAS TSCHUBAI und dem Hyperfrost zu lösen, doch schließlich drehte er sich zu Ahasver um. »Natürlich. Ich bin gespannt, wie der Versuch mit den Tauchkapuzen läuft.«
»Dann komm!« Solo aktivierte den Gravo-Pak seines SERUNS, flog los und schaute mit den Optiken kurz zurück.
Er war erleichtert, dass Viccor Bughassidow sich tatsächlich vom Anblick der RAS TSCHUBAI hatte lösen können und ihm mit seiner Leibärztin folgte.
*
Ahasver Solo musste lächeln, als sie sich weit entfernt von der Kaverne trafen. Er konnte seinem Stellvertreter Erol Oneida die Ungeduld und Rastlosigkeit ansehen.
Als Kommandant der TOMASON galt Ahasver eher als ruhiger Typ, als überlegen, aber kraftvoll und entschieden, wenn es sein musste. Sein Stellvertreter erinnerte ihn auf den ersten Blick allerdings an seinen berühmten Vorfahren Han. Er war eher forsch und saß immer wie auf heißen Kohlen – oder glühenden Impulstriebwerken.
Um sie dehnte sich die vereiste Einöde von Medusa, dem nicht erschlossenen Planeten der Kerouten. Sie befanden sich praktisch mitten im Nichts, hatten die SERUN-Helme längst wieder geschlossen. Die Kerouten lebten unter der Oberfläche, in Brea-Sils Land. Auf der atmosphärelosen Oberfläche gab es keine Ansiedlungen.
Solo legte den Kopf zurück und sah in den Himmel. Der Anblick war atemberaubend. Auf der einen Seite sah er die fast absolute Finsternis des intergalaktischen Raums, auf der anderen die gigantische Spirale der Milchstraße, die gut 36.000 Lichtjahre entfernt war.
Medusa war ideal, um klassifizierte Informationen auszutauschen, wenngleich die Raumschiffe der Onryonen sie mit ihren hochempfindlichen Ortungsinstrumenten auch an diesem Ort ausspionieren konnten.
Aber waren die Onryonen mittlerweile nicht ihre Verbündeten, irgendwie jedenfalls?
»Was gibt es Neues von den Kapuzengängern?«, fragte Ahasver.
Erol schüttelte hektisch den Kopf. »Noch nichts. Sie sind im Paraland, aber TOM hat keine spezifischen Informationen übermitteln können. Er rechnet damit, bald etwas von ihnen zu erfahren. Spätestens, wenn sie herauskommen, steht ein Gespräch mit Terra an. Wir haben es bereits vereinbart und die Leitung geschaltet.«
Viccor Bughassidow war der Erste gewesen, der von den Tauchkapuzen erfahren hatte. Vor wenigen Tagen hatte der Wahldenker Toypegg sich an ihn gewandt, kurz nach dem gescheiterten Experiment, die RAS TSCHUBAI mittels Traktorstrahlen aus dem Hyperfrost und der Kaverne zu ziehen. Toypegg hatte damals gesagt, dass es vielleicht eine Chance geben könnte, in die RAS TSCHUBAI vorzustoßen. Bughassidow hatte sofort die Möglichkeit erkannt, die die Tauchkapuzen boten.
»Wir müssen sinnvoll warten«, sagte der Toypegg, den Erol Oneida im Schlepptau hatte. »Das Experiment hat gerade erst begonnen und wird bald beendet sein.«
Sinnvoll warten, dachte Ahasver. Er war froh, dass er Toypegg akustisch verstand, wenngleich er seinen Worten nicht immer Sinn entnehmen konnte. Der Wahldenker hatte die Aufgabe, Undenkbares zu denken, wie eine Art lebender Kontracomputer Alternativen zu überlegen und durchzuspielen. Er musste bereit sein, mit seinen Überlegungen Konventionen zu sprengen und Tabus zu ignorieren. Er war derjenige, der das Undenkbare dachte.
»Wir sollten in die TOMASON zurückkehren«, schlug Solo vor.
»Wir führen das Gespräch über die Rohrpost Medusa und sehen dann weiter. Das ist sinnvolles Warten«, sagte Toypegg.
Erol Oneida verdrehte die Augen und zuckte mit den Achseln.
Rohrpost Medusa. Die Hyperfunk-Relaiskette, die man mittlerweile eingerichtet hatte. Über sie war man inzwischen über die Ereignisse im Yogulsystem, die Verwüstung der Stadt Goyn und den Opfergang Arun Joschannans informiert. Alle Terraner auf Medusa waren betroffen, die Stimmung war gedämpft. Gegenüber den Tiuphoren verlor das Atopische Tribunal beinahe etwas an Bedrohlichkeit.
Ahasver wusste, dass er in der Heimat wenig ausrichten konnte, aber vor Ort, auf Medusa, konnte er beitragen, die Milchstraße vor Schlimmem zu bewahren. Dieses Wissen half allen, sich auf ihr Vorhaben zu konzentrieren.
Das Ziel war klar und eindeutig.
Wir müssen die RAS TSCHUBAI aus dem Hyperfrost befreien!
Paraland
7. Juni 1518 NGZ
Rhodans Gesicht schien von innen aufzuleuchten, Helligkeit zu verbreiten. Und dort, wohin das Licht fiel, veränderte sich die Umgebung.
Der Sand wich, löste sich auf und verschwand, als hätte er nie existiert. Glaslinc stand auf einer metallisch schimmernden Oberfläche, die nicht mehr wie bislang steil nach oben führte, sondern völlig waagerecht verlief.
Er drehte sich einmal um die Achse.
Die veränderte Oberfläche dehnte sich in alle Richtungen aus, soweit er sehen konnte.