Cover

Christian Mikunda

Warum wir uns Gefühle kaufen

Die 7 Hochgefühle
und wie man sie weckt

3., aktualisierte Auflage

Econ

DIE 7 HOCHGEFÜHLE

Fröhlich schnatternd tauchen sie aus dem Dschungel auf. Die Mitglieder der portugiesischen Reisegruppe sind offensichtlich gutgelaunt, denn sie wissen: Ein Weltwunder erwartet sie. Noch eine Biegung, dann gibt die üppige Vegetation den Blick auf die gigantischen Wassermassen frei. Ein breiter Vorhang an Wasserfällen ist zu sehen, die majestätisch sechzig, ja achtzig Meter in die Tiefe stürzen. Schlagartig verstummen die Gespräche. Die Reisenden heben die Arme. »Das machen hier alle so«, heißt es in der Gruppe. Es verstärkt das Gefühl der Erhabenheit, macht innerlich weit und ruhig.

Wer die Wasserfälle von Iguazu besucht, kann in wenigen Stunden eine ganze Palette solcher Hochgefühle erleben. Nach dem Glory-Gefühl steht üblicherweise ein Power-Gefühl auf dem Programm. Auf der brasilianischen Seite der Wasserfälle besteigen wir ein Schnellboot, das uns flussaufwärts Richtung Teufelsschlucht bringt. Die trägt ihren Namen nicht ohne Grund. Tief einatmen, dann schiebt sich unser Boot unter den Wasserfall. Wir spüren, wie die Wassermassen auf uns herabstürzen, spüren die Kraft der Elemente. Als wir mit dem Schnellboot zurück zum Anleger rasen, schlägt einer mit einem Schrei die Faust in die Luft. »Ja« schreit er wie einst Boris Becker, der mit Siegesschrei und Becker-Faust den gelungenen Punkt feierte. Auch wir fühlen uns voller Kraft und Power (siehe Farbteil, Seite 200).

Nur kurz ist der Fahrtweg auf die argentinische Seite der Fälle. Dort lebt im Dschungel der Indianerstamm der Guaraní. Einst waren sie Meister im Überleben in der Wildnis; heute droht ihr altes Wissen um die Kunst des Fallenstellens zu verschwinden. Für jedes Tier im Dschungel haben die Guaranís eine eigene, komplexe Falle entwickelt. Jetzt gehen wir mit dem Sohn des Schamanen durch den Wald und bewundern die Raffinesse der Fallen. Eine besteht aus einem filigranen Geflecht von Zweigen, das bei der geringsten Berührung durch das Beutetier einen Baumstamm auf das Opossum fallen lässt. Wir wollen ihn hochheben. Es gelingt uns kaum. Anerkennendes Nicken. Wie hat er das bloß gemacht, dass derart dünne Zweige den enorm schweren Stamm hielten und dann doch im richtigen Augenblick losließen? »Raffiniert«, sagt einer von uns angesichts der bravourösen Leistung.

Glory – das Erhabene, Power – die Kraftstärke und Bravour – die Raffinesse sind die drei Hochgefühle, die jährlich Tausende von Menschen zu den Wasserfällen von Iguazu bringen. Ohne die Anstrengung langer Dschungelmärsche, ohne Gefahr und Risiko, bedeuten sie für zahllose Touristen relativ leicht verfügbare Glückseligkeit. Das trifft in gewissem Sinn auf alle Hochgefühle zu. Die Inszenierungen in Wirtschaft, Kultur und Lifestyle ermöglichen heute starke emotionale Erschütterungen von kathartischer Kraft und reinigender Stärke, wie sie früher nur echte Abenteuer ermöglichten.

Denise und ich sind hierher gekommen, um eine Lernexpedition vorzubereiten. Wir wollen Vertreter eines großen europäischen Automobilkonzerns ganz bewusst in Hochgefühle versetzen. Die Erhabenheit des Glory-Gefühls soll ihnen zeigen, was hinter der Lust an Luxusfahrzeugen steht. Die Kraftstärke des Power-Gefühls soll spürbar machen, warum manche Stadtmenschen allradgetriebene Geländewagen lieben. Die Faszination des Bravour-Gefühls soll erklären, warum viele Fahrer die technischen Spielereien ihrer Autos cool finden. Man kauft nicht nur das Auto, lautet die Botschaft, man kauft auch das Hochgefühl, das sich damit erleben lässt.

Nicht immer will man jedes Hochgefühl, das verfügbar ist. Man nimmt sich die Emotion, die man braucht. Auch wir in Iguazu stürzen uns nicht bei jedem Aufenthalt unter den Wasserfall. Auf manchen Reisen wollen wir die spirituelle Stärke der Wasserfälle und die Glory-Gefühle, die sie in uns auslösen, nicht durch das Power-Gefühl der Wasserkraft stören. Aber manchmal, wenn wir uns so richtig durchschütteln lassen wollen, steigen wir wieder ins Boot. Die kaufbaren Hochgefühle sind wie Medikamente ohne Verschreibungspflicht, die uns den Zugang zu jenem Segment an Lebenslust geben, das wir gerade nötig haben.

Von Zeit zu Zeit erfahren wir auch Hochgefühle, die uns das Leben einfach so schenkt. Sie haben entweder kleine Ursachen, wie ein schöner Regenbogen, oder große, wenn man sein neugeborenes Kind in den Armen hält. Aber diese Hochgefühle sind wertvolle Geschenke, die nicht so ohne weiteres vorhersehbar sind. Wirtschaft, Kultur und Lifestyle machen das Unvorhersehbare kalkulierbar. Sie sind die Apotheke, die in uns körpereigene Drogen auslöst, die wir als die sieben Hochgefühle erleben:

Glory, Joy, Power, Bravour, Desire, Intensity, Chill.

Aus den Todsünden geboren

Wir wollen aus dem Leben so viel an Lebensgefühl herauspressen wie möglich. Dabei sind wir manchmal mit unseren Methoden nicht zimperlich. Maßnahmen, die in uns starke Gefühle auslösen, können zerstörerisch oder selbstzerstörerisch sein. Das sind jene starken emotionalen Gefühle, die man seit dem 4. Jahrhundert nach Christi als die Todsünden bezeichnet. Damals definierte der Mönch Evagrius von Pontus erstmals, was seither als verwerflich gilt:1

Hochmut, Völlerei, Zorn, Neid, Gier, Wollust und Trägheit.

Es sind niedere Gefühle, denn durch sie erlangen wir die emotionale Befriedigung auf Kosten anderer oder fügen uns selbst Schaden an Körper und Seele zu. Doch die Evolution hat einen Ausweg für uns gefunden. Sie stellt den niederen Gefühlen – sexy, aber schädlich – einen Katalog hoher Gefühle entgegen, die genauso mitreißend und befriedigend sind, aber weniger zerstörerische Nebenwirkungen haben. Wer Hochgefühle in Wirtschaft, Kultur und Lifestyle einsetzt, muss daher wissen, wie sie in den Todsünden verwurzelt sind, muss die dunkle Seite der Medaille kennen, um die helle Seite zu verstehen.

Glory kommt von Hochmut

Wie sagten unsere Vorfahren? »Hochmut kommt vor dem Fall.« Was sie meinten, war, dass man sich selber nicht allzu groß machen sollte, denn der Sturz nach der Entlarvung würde umso tiefer erfolgen. Tatsächlich basieren Hochmut und Stolz auf der Inszenierung von Höhe.

Hochmut ist Selbstüberhöhung und braucht als deren sichtbaren Ausdruck das Übergroße, in den Himmel Ragende.

Der biblische Turm zu Babel ist das mythische Urmodell einer solchen Inszenierung. Ein erster realer Höhepunkt dieser »Dramaturgie des Hochmuts« waren im 12. Jahrhundert die Geschlechtertürme im toskanischen San Gimignano, die bis zu fünfzig Meter in die Höhe ragten. Je höher der Turm, desto größer das Ansehen der einflussreichen Patrizierfamilie, die ihn bewohnte, lautete das Kalkül. In Zeiten des Krieges schleiften die Sieger den Turm der Besiegten, kastrierten ihn sozusagen. Nicht anders gingen die Terroristen des 11. September vor, als sie mit ihren Flugzeugen in die Twin Towers flogen, denn das Problem des Übergroßen besteht darin, dass nur der das Hohe als großartig empfindet, der sich mit ihm identifizieren kann.

Die katholische Kirche forderte daher immer schon, dass solche Zeichen der höchsten Verehrung nur Gott selbst zustünden. »Ad majorem Dei gloriam« – zur höheren Ehre Gottes, hieß es. Allgemein formuliert:

Die übergroßen Zeichen sind nur dann akzeptabel, wenn sie nicht der Selbstverherrlichung dienen, sondern zur höheren Ehre (Gloria) eines anderen eingesetzt werden.

So wird aus einem niederen Gefühl ein hohes Gefühl, das man beruhigt genießen kann. Die Glory-Inszenierung betrifft dann entweder Gott, den König und Fürsten, oder den Kunden, dem ein solches Königsgefühl auch zusteht. Das Gefühl der Erhabenheit stellt sich ein, weil das ursprüngliche, unendlich ruhig machende Machtgefühl von allen aggressiven Aspekten der Dominanz und des Imponiergehabes befreit ist, so dass nur das Beruhigende übrigbleibt. Aus Hochmut wird Glory.

Wie schwierig die Gratwanderung zwischen Todsünde und Hochgefühl ist, zeigt sich, wenn man ein Projekt plant, das Verehrung auslösen soll, ohne anzuecken. Im Frühjahr 2001 kommt der Architekt HG Merz mit seinem Team für zwei Tage nach Wien, um mit uns über die Planung des neuen Mercedes-Benz Museums zu sprechen. Merz soll den Architekturwettbewerb vorbereiten und später auch das Museum inszenieren. Wir diskutieren die dramaturgischen Möglichkeiten und sehen uns Kathedralen und die Hauptquartiere der Bösewichte in James-Bond-Filmen an. Immer wieder ist die Höhe ein Thema. Am Ende haben der Wettbewerbssieger UNStudio aus Amsterdam und der Szenograph HG Merz einen phantastischen Job gemacht.

Kernstück des Museums ist ein riesiges Atrium mit steil abfallenden Betonwänden unter einer Milchglaskuppel. Wie riesige Cinemascope-Filmleinwände geben einzelne hoch oben liegende Durchbrüche den Blick auf kunstvoll in Szene gesetzte Fahrzeuge frei. Doch der wesentliche Kunstgriff, um die Höhe spürbar zu machen, sind drei Art-Deco-Raketen, die an den Betonwänden entlang nach oben gleiten und dort durch Öffnungen in der Milchglaskuppel verschwinden. Die drei Lifte sind der einzige Zugang zur eigentlichen Ausstellung. Man schwebt mit ihnen hoch hinauf, um dann, wie im New Yorker Guggenheim Museum, auf einer Rampe nach unten zu fließen.

Ein Tempelschrein für eine übermächtige Marke, Hochmuts-Architektur in Reinkultur? Ein Trick verhindert die Markensünde. Immer wenn ein Raketenlift aufsteigt, projiziert er auf die gegenüberliegende Betonwand einige Sekunden Film. Ein Pferd schleppt einen liegen gebliebenen Mercedes ab – es ist ein Tourenwagen von vielleicht 1920; ein Krankenwagen der Marke Mercedes meistert seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg. Weil der Clip parallel zum aufsteigenden Lift am »Gegenhang« mitfährt, merken wir deutlich, es geht uns an, die wir im Lift stehen und durch die Fensterschlitze der Rakete schauen. Mercedes wendet sich uns zu, feiert sich nicht selbstbezogen, sondern bezieht sich auf das Leben, das die Marke mit uns teilt (siehe Farbteil, Seite 198).

Joy kommt von Völlerei

Erhabenheit kann manchmal kühl wirken. Ihr Gegenteil ist das Joy-Gefühl des Freudentaumels, ein eindeutig heißes Gefühl. Es basiert auf einem verschwenderischen Umgang mit Farben, Rhythmen, Mustern, mit der Freude an der Überfülle. Wer jemals im Goldsouk von Dubai vor einem Schaufenster mit dreißig, vierzig goldenen Ketten und beinahe königlichen Kronen aus massivem Gold gestanden hat, weiß, was gemeint ist. Es ist nicht verwunderlich, dass sich dieses Hochgefühl aus der Todsünde der Völlerei heraus entwickelte.

Alles begann mit den Gelagen im alten Rom. Man aß und trank einfallsreich und in großen Mengen. Allgemein bekannt ist das bewusst herbeigeführte Erbrechen mittels Pfauenfeder im sogenannten Vomitorium. Man wollte mehr, auch wenn man nicht mehr konnte. Nicht der Genuss an sich, sondern die Maßlosigkeit des Genusses war das Ziel. Der römische Schriftsteller Gaius Petronius Arbiter, ein Höfling Kaiser Neros, beschrieb 60 n.Chr. in seinem Roman »Satyricon« diese »Dramaturgie der Maßlosigkeit«. Kernstück seines Romans ist das Gastmahl – die Cena – eines neureichen, freigelassenen Sklaven namens Trimalchio. In dieser »Cena Trimalchionis« schildert Petronius mit genüsslicher Ironie alle Tricks der inszenierten Völlerei.

Nach etlichen vielversprechenden Vorspeisen lässt Trimalchio in einem Tafelaufsatz, der den Tierkreiszeichen nach gebildet ist, wenige und enttäuschend einfache Speisen servieren. Auf sein Zeichen hin heben jedoch vier Sklaven den Tafelaufsatz hoch, so dass statt der Tierhoden und Nieren nun eine üppige Auswahl von Delikatessen sichtbar wird, wie etwa ein wertvoller Fisch, über den gepfefferte Sauce aus verborgenen Schläuchen läuft. Die Episode zeigt, wie Völlerei inszeniert werden muss. Man braucht erstens ein Ordnungsprinzip für die Vielzahl an Genüssen. Trimalchio lässt die meisten Speisen in phantasievoll gestalteten Tafelaufsätzen auftragen, wie der Platte, auf der jedem Tierkreiszeichen eine passende Speise zugeordnet ist – dem Löwen etwa afrikanische Feigen. Und zweitens müssen die Genüsse mit einem Knalleffekt präsentiert werden, wie der wertvolle Fisch nach den simplen Speisen davor. Die Formel für Völlerei lautet demnach:

Geordnete Überfülle in überhöhter Darstellung.

Das gilt bis in unsere Tage. Luxusdelikatessen wie frischer Fisch oder wertvoller Schinken werden im Kreis angeordnet präsentiert, so dass sich ein beeindruckendes geometrisches Muster ergibt. Zur Überhöhung findet sich manchmal ein besonders schönes Tier im Ganzen, vielleicht geschmückt mit einer Frucht im Maul. Überfülle muss geordnet präsentiert werden, sonst geht im Durcheinander die Opulenz verloren. Und sie braucht zusätzlich die Überhöhung, die den besonderen Genuss verspricht.

Wir betreten den Flagship-Store von Abercrombie & Fitch auf der New Yorker Fifth Avenue. Der dreistöckige Shop ist komplett abgedunkelt, ein professionelles Soundsystem, wie in einem Club, jagt die Beats durch unseren Körper. Im Halbdunkel sehen wir, dass der Laden knallvoll mit Ware ist. Jeans und Shirts werden in Regalen und Vitrinen schräg zu uns geneigt präsentiert. Trotz der Überfülle herrscht ein hohes Maß an Ordnung. Shirts sind nach Farben geordnet, manchmal in einer tiefliegenden Vitrine im Halbkreis angeordnet, wie in einem Theater: geordnete Überfülle! An einer Wand tragen alle Blue Jeans den für diese spezielle Marke typischen Gürtel bereits im Hosenbund. Das Licht ist sensationell. Jeans und Shirts, jede einzelne Ware wird von einem eigenen Effektlicht aus der Dunkelheit herausgeleuchtet. Chiaroscuro-Lichtführung nennt man ein solches expressiv überhöhendes Licht in der Malerei. So entsteht ein visueller Rausch, der sich durchaus mit der kulinarischen Berauschung durch Speis und Trank messen kann: geordnete Überfülle in überhöhter Darstellung. Dieser Rausch ist keine Einbildung. Man spürt richtig, wie das Dopamin in unsere Organe schießt, jene körpereigene Droge, die für das Wachsein verantwortlich ist.2 Sie lässt Künstler im Überschwang der Kreativität sprudeln und macht uns auf einer Party ganz aufgekratzt. Glitzern und Blinken, wie im Goldsouk, Farbenrausch und Lichtspiele, wie in Las Vegas, bewirken, dass der Neurotransmitter ausgeschüttet wird und uns in einen Sinnesrausch versetzt, den wir als beglückend empfinden. Es ist das Joy-Gefühl, der Freudentaumel.

Die Evolution hat einen Weg gefunden, uns mit Überfülle zu beglücken, ohne dass wir uns zu Tode fressen und saufen müssen. Diese visuelle Völlerei ist genauso faszinierend und hat weniger Nebenwirkungen. Schon im »Gastmahl des Trimalchio« wird deutlich, dass Joy-Gefühle, die durch die Präsentation der Speisen ausgelöst werden, bisweilen wichtiger sind, als der kulinarische Genuss selbst. Trimalchio lässt ein Wildschwein servieren. Als ein Bediensteter mit seinem Jagdmesser in die Flanke des Ebers sticht, fliegen aus seiner Wunde Drosseln heraus, die im Speisezimmer umherflattern, bis sie von Vogelstellern eingefangen werden. Entzückt bewundern die Gäste die Inszenierung. Im Jargon der modernen Psychologie haben sie ihre Media Literacy angewandt, jene Fähigkeit in uns allen, die wir brauchen, wenn wir uns mit den Medien, dem Konsum, den Spielen der inszenierten Welt geschickt anstellen. Wir fühlen uns dadurch auch geschickt, genießen den Esprit. Aus diesem Grund hat man in Antike und Barock immer wieder Tiere, die aufgetragen wurden, mit anderen Speisen gefüllt. Trimalchio lässt ein Schwein kredenzen. Der Koch jammert, dass er vergessen habe, es vor der Zubereitung auszunehmen. Man schneidet es an, und zur Verblüffung aller fallen wohlschmeckende Würste heraus.

Solche Spiele mit unseren Sinnen gehören heute zu den entscheidenden Auslösern von Joy. In Japan sind gerade Socken sehr gefragt, die in erster Linie verblüffen sollen. Marktführer ist die Kette »mighty soxer«, die uns in ihren Läden einen regelrechten Dopamin-Schock versetzt, so verschwenderisch bunt ist das Sortiment. Die eigentliche Innovation aber ist das Design der Socken selbst. Sie sehen aus wie Negligés, durchbrochen, mit Spitze, manchmal im Stil von Ballettschuhen, oft glitzernd. Die Socken borgen sich sozusagen den Look der Unterwäsche aus und sind richtige Sammlerobjekte geworden. Joy ist in der Gegenwart angekommen und hat unsere Welt verspielter, lebensfroher und bunter gemacht. Es ist das Gefühl des Freudentaumels.

Power kommt von Zorn

Schon der Zusammenhang von Joy und Völlerei zeigt, dass die Hochgefühle ganz wesentlich von unserer Körperlichkeit abhängen. Wir sind nicht nur Denkmenschen, wir sind auch Körpermenschen. Wenn wir zornig werden, laufen wir im Gesicht und im oberen Brustbereich rot an, die Augen verengen sich und eine senkrechte Zornesfalte taucht zwischen ihnen auf. Unsere Muskeln werden angespannt, die Faust wird geballt, die Halsadern schwellen an, Atmung und Blutdruck steigen, kurzum, der ganze Organismus wird kampfbereit gemacht. 3 Bei all dieser körperlichen Anspannung ist klar, dass der Zorn irgendwann eruptiv explodieren muss. Spannung und Entspannung gehören zusammen. In dieser zweiten Phase des Wirkungsverlaufs müssen wir uns entweder herunterpegeln, um die Spannung loszubekommen, oder wir müssen uns physisch abreagieren. Der Zornige tobt und schreit, schlägt mit der Hand und stampft auf, wirft mit Objekten, ballt drohend die Faust. Die schlagartige Lösung der Muskelspannungen und das Adrenalin, das wir dabei produzieren, bewirken, dass wir den Zorn in der Situation selbst als lustvoll und befreiend erleben. Obwohl wir eigentlich die Kontrolle verlieren, fühlen wir uns subjektiv machtvoll.

Deshalb gibt es viele Zorn-Inszenierungen, die spekulativ dieses Gefühl von Allmacht bedienen. Am bekanntesten sind jene Videospiele, die man als Ego-Shooter bezeichnet. Dabei sieht der Spieler mit den Augen eines bewaffneten Akteurs auf eine frei begehbare unterirdische, zerstörte oder sonstwie kriegerische Gegend. Bald tauchen »Feinde« und Monster jeder Art auf, die es gilt, mit der Waffe, die der Ego-Shooter sichtbar vor sich hält, niederzuballern. Blut spritzt, Körper explodieren, manche Controller vibrieren spürbar, wenn der Spieler schießt. Das Dauerballern entspricht dem Toben des Zornigen und löst dieselben körperlichen Reaktionen aus.

Manche Pädagogen meinen besorgt, die Kids sollten lieber Sport betreiben, als sich solchen Kriegsspielen zu widmen. Tatsächlich war der Sport der erste Lebensbereich, in dem sich die Verwandlung des aggressiven Zorns zum positiven Power-Gefühl bemerkbar machte. Zorn und Sport funktionieren auf der Gefühlsebene weitgehend parallel. Dafür gibt es ein Indiz: die Faust.

Abb. 1 Road Rage und Becker-Faust

Abbildung 1 zeigt links die erhobene Faust, wie sie dem »feindlichen« Verkehrsteilnehmer entgegengestreckt wird. Sie gehört zu den zornigen Drohgebärden, die Lust- und Machtgefühle auslösen. Diese Faust wird, wie auch der wütende Blick, gegen einen anderen gerichtet. Rechts daneben sehen wir die Becker-Faust. Sie ist die berühmt gewordene Geste der Selbstbestärkung nach dem Gewinn eines wichtigen Satzes, für die der Tennischampion Boris Becker bekannt war. Diese Faust wird nicht gegen einen anderen gerichtet, sie wird ruckartig zum Spieler selbst hin bewegt. »Ich habe es gemacht!«, scheint sie zu sagen. Die Drohgebärde hat sich in eine Triumphgeste verwandelt, der Zorn zu Power, dem Gefühl der Kraftstärke.

Power ist also wie Zorn ohne Aggression, aber mit ähnlichen körperlichen Begleitsymptomen und Lustgefühlen.

Neben der Becker-Faust gibt es eine ganze Reihe weiterer symbolischer Gesten, die Kraftstärke spürbar machen. Das Muscle-Shirt ist ein T-Shirt, das so geschnitten ist, dass seine Ärmel knapp über dem Bizeps enden und so die schlummernde Kraft betonen. Der Sänger Mark Medlock trägt es gern und brillierte bei DSDS (»Deutschland sucht den Superstar«) mit seinen Power-Tönen (©Dieter Bohlen), die kraftvoll und zugleich hoch sein müssen. Schon die serbische Tennisspielerin Monica Seles war für ihre kraftvollen Schreie bei jedem Aufschlag berüchtigt. Tatsächlich ist der Power-Schrei, eine Variante des Siegergeheuls, ein bekanntes Verhalten zur Spannungslösung. Ihm verwandt ist eine Art Schrei-Lachen. Kinder verarbeiten so manchmal die Gewaltszenen in Comic-filmen, wo eine Figur schon mal eine auf die Birne bekommt.4 Als Verstärker des Power-Gefühls findet sich dieses Schrei-Lachen auch bei allen Attraktionen, bei denen die Geschwindigkeit eine Rolle spielt. Bei Achterbahnen kann man sehen, wie viele Mitfahrer nach der Fahrt mit diesem spannungslösenden Lachen aus dem Wagen steigen.

Denn alle Attraktionen, die auf Tempo und Kraft basieren, lösen das Power-Gefühl aus.

Es nennt sich Dune-Bashing. Unser arabischer Fahrer trägt eine extra-coole Sonnenbrille, sein Englisch ist vorzüglich. Bei der Tankstelle, wo wir auf die anderen Allradfahrzeuge unserer Karawane treffen, lässt er die Luft aus den Reifen, denn wir werden die nächsten Stunden über Sanddünen rutschen. Ein Leitfahrzeug, dessen Fahrer den Wüstenabschnitt besonders gut kennt, fährt voran und gibt der Karawane vor, auf welche Weise die Düne zu nehmen ist. Wie sich zeigt, ist der rasante vertikale Ritt über die Düne samt Sturz hinunter harmlos im Vergleich zum seitlichen Absturz. Jedes Mal schreien wir lachend auf, wenn wir wieder einmal wegkippen (siehe Farbteil, Seite 200).

Power-Inszenierungen, wie das Dune-Bashing eine Fahrtstunde außerhalb Dubais, gehören seit einigen Jahren zu den neuen Attraktionen im Tourismus. In Tirol und Vorarlberg versucht man mit dem Alpine-Coaster der Flaute im Sommertourismus zu begegnen. Dieser Alpine-Coaster ist eine Kreuzung aus Achterbahn und Sommerrodelbahn, auf der man auf Schienen mit bis zu 40 km/h den Berg hinunterrast – Angsthasen wie ich können jederzeit die Bremshebel betätigen. Beeindruckende 3,5 km lang ist die Fahrt auf der längsten Anlage, die in Imst steht und mit allerlei Finessen wirbt: »70 Kurven, 16 Jumps, 25 Wellen bis zu 5 Meter in die Tiefe«. Noch aufregender ist der Tiroler Airrofan, der auf dem Seilbahnprinzip beruht. »Auf den Schwingen des Adlers« lautet der Werbespruch, und tatsächlich lassen sich vier Mutige nebeneinander unter ein Gestell einhängen, das wie die Flügel eines Adlers aussieht. Dann werden »Die Mutigen Vier« rücklings auf den Berg gezogen. Sie hängen vollkommen frei in der Luft, schauen weit über die Berge, da plötzlich geht es los, undmit 80 km/h fliegen die vier hinunter ins Dorf. »Was ist bloß aus dem Sommertourismus in den Alpen geworden …«, werden manche sagen. Doch Power ist nur eine Seite der Medaille. Neben jenen Inszenierungen, die uns die Kraftstärke tanken lassen, ermöglichen andere ein intensives Chill Out. So hängt gleich neben dem wilden Airrofan ein Vogelnest am Berg. Es ist der Adlerhorst, eine riesige Aussichtsplattform, dessen Design tatsächlich an ein Vogelnest erinnert. »Dem Himmel so nah« lautet die Botschaft. Zusammen betrachtet sind Power und Chill zwei Möglichkeiten, sich die Kraft der Berge touristisch nutzbar und den Aufenthalt in den Alpen zur emotionalen Wellness zu machen, wie es der Urlaub am Meer schon lange ist.

Bravour kommt von Neid

»Nein, der Schober«, begrüßt der unangenehme Typ seinen ehemaligen Klassenkameraden, den er zufällig im Restaurant trifft, und knallt ihm drei Angeberfotos auf den Tisch: »Mein Haus, mein Auto, mein Boot.« Der schlägt mit seinen Fotos zurück und übertrumpft ihn dabei so eindeutig, dass der Angeber ganz blass wird vor Neid. Was in diesem klassischen Werbespot der deutschen Sparkasse aus den neunziger Jahren inszeniert wird, ist das Imponiergehabe, das die Todsünde des Neides auslöst. Wer mehr hat oder mehr ist als die anderen, provoziert unweigerlich Neid.

Das Imponiergehabe – die »Abweichung nach oben« – wird gesellschaftlich nur in einem Umfeld akzeptiert, in dem es per Definition um Aufstieg und Gewinn geht.

Las Vegas ist solch ein Ort. Überlange Stretchlimousinen sind hier das natürliche Fahrzeug. High Roller, umworbene Spieler mit großem Budget, wohnen vielleicht in der übergroßen Verona Suite des Las Vegas Hilton, die 15.000 m2 misst, oder in der Kingpin Suite in The Palms mit eigener Kegelbahn im Wohnzimmer. Viele Nightclubs in Las Vegas verkaufen VIP Boxes, und jeder, der ein wenig mehr zahlt, kann die Wassershow Le Rêve des Wynn Casinos im »Champagne Circle« genießen. Dort hat man einen extrabreiten Sitzplatz, und Girls im Abendkleid schenken während der Show ständig Champagner nach, derweil man in Schokolade getunkte Erdbeeren isst.

Als ich als Trauzeuge für die Hochzeit meiner besten Freundin ein außergewöhnliches Auto mieten will, sagt sie: »Bloß keine Stretchlimousine«. Die »Abweichung nach oben« eckt sofort an, wenn man sich in ein normaleres Umfeld begibt. Dann muss der Neid entschärft werden. Zu diesem Zweck gab es im alten Griechenland die Einrichtung des Scherbengerichts: Wer zu viel hatte oder war, wurde nach geheimer Abstimmung, die auf Tonscherben stattfand, ins Exil getrieben, so dass die Gesellschaft neidfrei weiterleben konnte. Diese Methode scheint im Zeitalter der Berühmtheit für 15 Minuten (Andy Warhol), der Casting Shows und Intimbeichten in Talkshows, nicht sehr zielführend. Doch bereits Aristoteles schlug im zweiten Buch seiner »Rhetorik« eine andere Lösung für das Problem vor.5 Er unterschied zwischen dem negativen Neid, phthonos, und dem positiven Neid, zelos. Dahinter steht die Idee, dass man dem anderen seine Güter ruhig gönnen kann, wenn man sie ebenfalls anstrebt. So verwandelt sich der Neid in Bewunderung über die Leistung des anderen. Man genießt dessen Geschicklichkeit und Brillanz. Neid wird zu Bravour, dem Gefühl der Raffinesse.

Wie der Neid braucht das Bravour-Gefühl die »Abweichung nach oben«, das besondere Können. Ein Opernsänger, der das hohe C trifft, erhält Standing Ovations und Bravo-Rufe. Das führte im 19. Jahrhundert dazu, dass viele Tenöre die originalen Kompositionen veränderten, um sie möglichst bravourös singen zu können. Das Finale einer Arie wurde mit einem noch höheren Spitzenton versehen, der letzte Ton wurde überlang gehalten. Zusätzlich wurden bezahlte Claqueure eingesetzt, die besonders begeistert applaudierten und Bravo riefen. Denn Applaus und Bravos sind Verstärker für die Raffinesse, die man durch die Bravour eines Könners empfindet.

Bravour entsteht durch besonderes Können, das in uns begeisterte Zustimmung auslöst, die ihrerseits wieder das Gefühl der Raffinesse verstärkt.

Patrick Blanc hat dunkelgrüne Haare, die Fingernägel seiner linken Hand sind überlang und spitz zugefeilt, ein Nagel immer dunkelgrün gefärbt. In Frankreich vergleicht man ihn schon bewundernd mit Gustav Eiffel. So wie der Erbauer des Eiffelturms mit seinen gewagten Stahlkonstruktionen das Bauen für alle Zeiten veränderte, schafft der Tropenbotaniker gänzlich neue Möglichkeiten für Natur in der Stadt. Er verwandelt riesige Fassaden in vertikale Gärten, die Murs Végétaux. Ungläubig treten Passanten an die Fassade des Musée du Quais Branly und betasten die dick gepolsterte Pflanzenfläche dieses neuen Museums für Ethnologie in Paris. Hunderte Projekte, oft in Zusammenarbeit mit Stararchitekten, kann Patrick Blanc vorweisen. Er schuf riesige Pflanzentürme für eine Shopping Mall in Bangkok und Fassaden, die wie Gemälde aussehen. »Wie macht er das?«, fragen viele staunend. Sein großes Wissen um das vertikale Wachsen im tropischen Dschungel hat zu einem raffinierten und zugleich einfachen System geführt. Patrick Blanc installiert Kunststoffplatten an den Fassaden, die mit Acrylfilz bespannt werden. In den Filz werden Taschen geschlitzt und spezielle Pflanzen, die auch im Dschungel und an Felsen klettern, in die Taschen gesteckt. Regelmäßig tropft wiederverwertbares Wasser aus einer Schlauchvorrichtung die Gärten hinab, bewässert und düngt sie. Das Geheimnis steckt in der Auswahl der Pflanzen. Niemand zuvor wusste, wie vertikale Ökosysteme aufgebaut sind. Der ungewöhnliche Blickwinkel auf den senkrechten Garten ist dabei der sichtbare Ausdruck der bravourösen Leistung. Das Wahrnehmungsspiel eines hochgeklappten Gartens, die Pflanzenwand, die das Gemälde macht, ist bestes visuelles Entertainment, von dem wir fasziniert sind (siehe Farbteil, Seite 202).

Desire kommt von Gier

Berlin Alexanderplatz, 12. September 2007, kurz vor Mitternacht. Mit einem lauten Knall gibt das Absperrgitter unter dem Druck der rund 5.000 Wartenden nach. Sie rennen los, haben nach 30 Metern die Eingangstüren zum noch nicht eröffneten Alexa Shopping Center erreicht. Gleich hinter den Türen leuchten die Schilder des größten Media Markts der Welt. Sonderangebote wie nie zuvor waren von der Elektrokette versprochen worden. Nun sind sie da, die Kunden. Um die Glastüren zu retten, werden sie früher als geplant geöffnet. Trotzdem zersplittert Glas, gibt es Verletzte, wird der Laden beinahe zerlegt. Einer rafft 15, 20 Digitalkameras zusammen und ruft jetzt mit dem Handy die Verwandtschaft her, denn die Abgabe ist auf die handelsübliche Menge limitiert. Um 1.20 Uhr fahren die Rollbalken wieder herunter. Der Markt gibt auf, bleibt nicht, wie geplant, für die nächsten 24 Stunden offen.

Was war geschehen? Hatte man nicht ohnehin den üblichen Gesetzen des Handels gehorcht? Durch das Versprechen des Superschnäppchens wurde eine hohe Nachfrage geweckt. Die Verknappung – viele Menschen, lange Wartezeit, verschlossene Tore – appellierte zusätzlich an die niederen Instinkte der Kunden, machte sie kampfbereit. Niemand will ein Blödmann sein. Auf ein solches Set an Reizen reagieren Konsumenten vorhersehbar mit Gier, oder, wie es juridisch exakt heißt, mit Habsucht. Kaufanreize unter Kaufdruck lösen in uns denselben suchtmachenden Neurotransmitter aus wie Alkohol, Nikotin oder Drogen: ein Zuviel an Dopamin. Es macht uns total aufgekratzt und verursacht das unkontrollierte Hingreifen auf die Ware. Sie ist die Körperdroge, die das Wühlen am Wühltisch bewirkt.6 Leider kann sie auch dazu führen, dass Türen eingetreten und andere Kunden weggeschubst werden. Gier erzeugt einen fieberhaften Zustand.7 Man sagt Kauffieber, Börsenfieber, Jagdfieber. Und wie bei jeder Art von Jagd will man immer mehr und mehr. Gier ist ein Fass ohne Boden, das nicht befriedigt werden kann.

Ist wirtschaftlicher Erfolg nur durch Kaufdruck erzielbar? Die moderne Ladendramaturgie geht einen anderen Weg. Sie will durch die Inszenierung der Ware die Vorfreude auf sie erhöhen. Wie sagte man früher? Man muss die Braut schmücken. Heute heißt es, man muss Waren und Dienstleistungen begehrenswert machen. Auch das Pferd wurde ordentlich gestriegelt, bevor man es dem interessierten Käufer zeigte. So entstand Desire, das Gefühl der Begierde. Es weckt, wie die Gier, unseren Jagdinstinkt, schließlich sollen wir ja etwas kaufen.

Doch die Jagd wird nicht durch Konkurrenz und Kampf angefacht, sondern durch eine besonders herausgeputzte Beute, die solcherart zum Objekt der Begierde wird.

Auf Automobilmessen kann man seit Jahrzehnten sehen, wie neue Modelle auf Drehscheiben gezeigt und zusätzlich mit hübschen Girls herausgeputzt werden. Die Drehung bewirkt, dass wir die visuelle Spannung im Design der Karosserie registrieren, denn Objekte in Bewegung werden nicht nur gesehen, sondern auch gespürt.8 Die hübschen Damen sollen das Objekt veredeln und geben der Jagd den Charakter eines Flirts. Tatsächlich erzeugt Desire ein Kribbeln im Bauch, das dem Zustand der Verliebtheit durch die Ausschüttung von Neurotrophin nicht unähnlich ist. Damit man die Ware tatsächlich »anhimmelt«, vielleicht mit ihr liebäugelt, muss sie »überhöht« präsentiert werden. Das ist die Drehscheibe, auf der der Wagen steht. Es braucht eine Art von Podest, auf dem uns die Ware, so wie die Karotte dem Esel, vor die Nase gehalten wird. Das sind Cat Walks, Modepuppen, Schaufenster und manches Mal auch sehr ungewöhnliche Warenträger:

An den Stränden von Rio de Janeiro kann man sie überall sehen: die Strandverkäufer der Copacabana, von Leblon und Ipanema. Sie verkaufen Hüte, Souvenirs, Kleidung jeder Art. Ihre Ware tragen sie auf Sonnenschirmen, die über und über mit den Objekten der Begierde bestückt sind. Die hocherhobenen Schirme sind der ideale Laufsteg für die Desire-Inszenierung. Die kunstvollen Arrangements auf den Schirmen lassen die simplen Produkte besser aussehen, als sie sind. Man hat sie für uns so richtig herausgeputzt. Der weiblichen Kundschaft gegenüber können die oft gutaussehenden Jungs wahre Charmebolzen sein. Für alle wird die Ware mit großem Einfallsreichtum präsentiert. Einer verkauft Tücher, die Kunststücke können, und führt sie uns mit Elan vor. Da wird aus dem Tuch ein Kleid, dann verwandelt es sich in einen Rock und endet schließlich als Umhängetasche an der Schulter meiner Frau. Das alles passiert überraschend unaufdringlich, erzeugt die Vorfreude, die dazu führt, tatsächlich mit der Ware zu liebäugeln. Wer könnte da wiederstehen?

Abb. 2 Strandhändler an der Copacabana

Desire ist Begierde, die entsteht, wenn herausgeputzte Objekte, die überhöht präsentiert und überzeugend angepriesen werden, uns dazu bringen, mit ihnen zu liebäugeln.

Desire »verkauft« uns das Objekt der Begierde. Das heißt aber nicht, dass es dabei ausschließlich um Handel geht. Desire stellt höchstes Interesse her, lässt uns antizipieren, spannt uns begierig auf ein Ziel. Auch Museen, Flughäfen, Krankenhäuser benützen Desire-Strategien, wenn sie auf sich aufmerksam machen. Der weltbekannte österreichische Maler und Bildhauer Erwin Wurm ließ sich für seine Ausstellung im Wiener Museum für Moderne Kunst (MUMOK) die Installation »House Attack« einfallen, die für den Ausstellungsbesuch warb und zugleich selbst ein Kunstwerk war.

Abb. 3 »House Attack«

Als ob das biedere Fertigteilhaus vom Himmel gefallen und ins Museum gekracht wäre, balanciert es da oben weithin sichtbar. Wie wir wissen, braucht die Desire-Inszenierung einen Laufsteg für die Präsentation. Das Dach des Museums ist perfekt dafür, wir bemerken – hier wird uns etwas vorgeführt. Herausgeputzt, also mit erhöhter Aufmerksamkeit versehen, ist es auch. Dafür sorgt der Replikat-Effekt, der wie die Scheinmalerei des Barock funktioniert. Kann das sein, ist das echt, was wir sehen, oder nicht? Angepriesen wird auch etwas, denn das Haus ist nicht nur Kunstwerk für sich, sondern steht für die Ausstellung und ihre Botschaften. Und schließlich, als ich auf meinem Weg durch das Museumsquartier wieder einmal hier vorbeikomme, stehe ich wie alle anderen mit leuchtenden Augen vor dem MUMOK und lieb äugle damit, auf der Stelle hineinzugehen. Desire, das Gefühl der Begierde, ist bei mir angekommen.

Intensity kommt von Wollust

Intensity