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Paula Roe, Diana Palmer, Vicki Lewis Thompson

BACCARA EXKLUSIV BAND 135

IMPRESSUM

BACCARA EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,
in der Reihe: BACCARA EXKLUSIV, Band 135 – 2015

© 2008 by Paula Roe
Originaltitel: „Boardrooms & A Billionaire Heir“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Roswitha Enright
Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1567

© 2002 by Diana Palmer
Originaltitel: „A Man of Means“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Eleni Nikolina
Deutsche Erstausgabe 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1225

© 1997 by Vicki Lewis Thompson
Originaltitel: „Santa in a Stetson“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung:
Deutsche Erstausgabe 1998 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1016

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733721879

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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Diamanten und heiße Küsse

1. KAPITEL

„Jake … James?“

In dem großen getäfelten Konferenzraum von Blackstone Diamonds waren Reichtum und Macht geradezu spürbar. Von den Panoramafenstern aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Innenstadt von Sydney, darunter auch auf die Kuppel des historischen Queen-Victoria-Gebäudes. Um den polierten Konferenztisch herum standen schwere schwarze Lederstühle, von denen momentan nur vier besetzt waren.

Als Jake Vance in den Raum trat, hatten sich eine Frau und drei Männer erhoben: Kimberley Perrini, geborene Blackstone, ihr Ehemann Ric Perrini, geschäftsführender Direktor des Unternehmens, Ryan Blackstone, verantwortlich für die Finanzen, und Garth Buick, rechte Hand des Vorstands und Vertrauter des verstorbenen Gründers Howard Blackstone.

Die Situation war die Gleiche wie die wenige Tage zuvor, als Jake Vance die Bombe hatte platzen lassen und damit für sprachlose Verwirrung gesorgt hatte. Auch jetzt waren Ablehnung und Feindseligkeit spürbar, wenn auch alle sich um Haltung bemühten und Kimberley Jake sogar mit großer Neugier entgegensah.

Offensichtlich hatten sie den Beweis in den Händen.

Herauszufinden, dass der Bruder, der seit über dreißig Jahren für tot gehalten wurde, doch noch am Leben war, hatte Ryan und Kimberley tief erschüttert. Zwar gab es seit Monaten entsprechende Gerüchte, aber jetzt stand er leibhaftig vor ihnen, er, dem der größte Anteil des Blackstone-Vermögens zustand …

Jake hatte nicht erwartet, von den Geschwistern mit offenen Armen empfangen zu werden, aber ihre ablehnende Haltung enttäuschte ihn doch. Schließlich war das Ganze nicht seine Schuld. In seiner Lebensplanung war diese Situation nicht vorgesehen gewesen. Seine erste Million hatte er sich aus eigener Kraft erarbeitet. Er war kurz davor, den amerikanischen Markt zu erobern, und hatte seiner Mutter endlich ein sorgenfreies Leben ermöglichen können. Als nächstes Lebensziel hatte er Frau und Kinder angepeilt, obgleich er in diesem Punkt nicht ganz sicher war, denn er war eigentlich kein Familienmensch. Aber dass er der verlorene Sohn des Gründers der Blackstone-Diamanten-Dynastie war, über den in Australien in den letzten Jahrzehnten so viel spekuliert worden war wie seinerzeit in den USA über das Lindbergh-Baby, damit hätte er nie gerechnet.

„James?“, wiederholte Kimberley zögernd.

Er nickte knapp.

Kimberley setzte sich wieder. Mit ihrem perfekt sitzenden taillierten Kostüm und dem straff zurückgenommenen Haar wirkte sie kompetent und unnahbar, eben wie eine Tochter aus altem Geldadel, die im Luxus aufgewachsen war und sich nie um die nächste Monatsmiete hatte Gedanken machen müssen.

Er dagegen … Doch darum ging es jetzt nicht. Jake straffte sich und sah die Anwesenden der Reihe nach an. Es kam jetzt darauf an, herauszufinden, wo ihre Schwächen lagen, um sie zu seinem eigenen Vorteil nutzen zu können.

Schon komisch, das erste Mal seiner Schwester gegenüberzustehen. Seiner Schwester. Ein warmes Gefühl regte sich in ihm, doch er unterdrückte es schnell. Das konnte er sich nicht leisten, noch nicht. Erstaunlich, wie ähnlich sich Ryan und Kimberley waren. Beide hatten dunkles Haar, diesen markanten Haaransatz und grüne Augen, die jedoch etwas Gegensätzliches ausdrückten. Während Kimberley ihn neugierig und beinahe freundlich ansah, wirkte Ryan verschlossen und feindselig.

Jetzt warf Jake Garth Buick einen prüfenden Blick zu, der sich auch wieder gesetzt hatte. Ric und Ryan jedoch waren stehen geblieben, eine bewährte Taktik, um dem „Eindringling“ Jake auf Augenhöhe zu begegnen.

„Wir haben uns die Dokumente, die April Kellerman zusammengestellt hat, genau angesehen und auch die Ergebnisse der DNA-Tests überprüfen lassen“, ergriff Ric Perrini das Wort und wies auf einen Stuhl.

„Und?“ Jake setzte sich, und nun nahmen auch Ric und Ryan Platz.

„Es sieht so aus, als seist du James Hammond Blackstone.“

Jakes Gesicht blieb unbewegt. Auf keinen Fall durfte er zeigen, was in ihm vorging. Denn wer Gefühle zeigte, war verletzlich und damit angreifbar.

„Dann hatte Howard also doch recht“, sagte Kimberley schließlich, als Jake keinerlei Reaktion zeigte.

„Sieht so aus.“ Betont gleichgültig zuckte Ric die Schultern.

Ryan, der sich zurückgelehnt hatte und mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte, richtete sich auf und sah Jake an. „Wir haben dich kommen lassen, weil wir ein paar Dinge mit dir besprechen möchten.“ Auch wenn er sich um einen gelassenen Tonfall bemühte, so spürte jeder im Raum, dass er vor Wut kochte. „Was hast du mit dem Unternehmen vor? Wir möchten dir nämlich deine Aktien abkaufen. Wie sehen deine Bedingungen aus?“

Erstaunt hob Jake die Augenbrauen. Interessant, sie wollten also sofort über Geschäftliches sprechen. Das konnten sie haben. „Ich verkaufe nicht.“

„Du kennst doch unser Angebot noch gar nicht.“

„Das brauche ich auch nicht.“

„Nun hör mir mal gut zu, Vance. Wenn es dir hier um Rache oder Vergeltung geht …“

„Warum sollte es?“, fragte Jake und lächelte.

Als die Männer sich ratlos ansahen, ergriff Kimberley das Wort. „Bitte, Vance, sieh die ganze Sache doch mal von unserer Warte. Wir wissen, dass du eng mit Quinn Everard befreundet bist. Da Quinn und Howard sich nie leiden konnten …“

Wieder grinste Jake, wohl wissend, dass er damit die anderen nervös machte. „Das ist nicht meine Sache. Ihr habt mich doch sicher genau überprüfen lassen. Da solltet ihr wissen, dass persönliche Gefühle für mich kein Gewicht haben, wenn es um das Geschäft geht.“

„Und was ist mit Jaxon Financial?“, fragte Ric.

Volltreffer. Doch Jake ließ sich nichts anmerken. „Das ist mehr als acht Jahre her. Außerdem war es nicht meine Firma.“

„Aber man hat dir doch ein paar üble Insider-Geschäfte vorgeworfen. Ging das Ganze nicht sogar bis vor Gericht?“ Lauernd sah Ryan Jake an.

Lächelnd lehnte Jake sich zurück und streckte die langen Beine aus. „Die Anklage wurde abgewiesen.“

„Immerhin hast du ein paar Millionen verloren. Man hat dich entlassen.“

„Und achtzehn Monate später habe ich die Firma gekauft.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Von mir aus können wir stundenlang meine Vergangenheit durchforsten. Allerdings ändert das nichts an den Tatsachen. Meiner Meinung nach gibt es für euch nur zwei Möglichkeiten. Entweder ihr fechtet das Testament an, was zur Folge hätte, dass wir auf Jahre hinaus die Anwälte beschäftigen und die Aktien in den Keller gehen. Oder ihr arbeitet in dieser Sache mit mir zusammen. Ihr könnt doch nicht leugnen, dass Blackstone Diamonds Probleme hat. Da ist einmal das Informationsleck, das ihr bisher noch nicht gefunden habt. Und die Tatsache, dass sich das Unternehmen seit Howards Tod in Schwierigkeiten befindet. Die Aktien haben gefährlich nachgegeben, und die Machtkämpfe zwischen euch“, er nickte Ric und Ryan zu, „machen nicht nur den Vorstand, sondern auch die Anleger nervös.“

„Woher willst du das wissen?“, fuhr Ryan ihn an.

Wieder grinste Jake. „Informiert zu sein ist eins meiner Erfolgsgeheimnisse.“ Und bevor Ryan reagieren konnte, hob Jake die Hand und fügte hinzu: „Ich will die Probleme innerhalb des Unternehmens lösen.“

„Warum?“ Ryan sah ihn misstrauisch an.

„Weil ich es kann.“

„Ich wollte sagen …“

„Ich weiß, was du sagen wolltest. Ob es euch nun passt oder nicht, Howard hat mich als Erben eingesetzt. Ihr macht euch Sorgen um das Unternehmen? Ich kann es retten. Und das hat nichts mit der Familie zu tun. Es geht mir nur ums Geschäft.“

„Dann ist das alles für dich nur Business?“, fragte Kim leise.

„Na ja, es geht nicht gerade ums Knüpfen von Familienbanden, oder?“

Erschreckt warf sie Ric einen Blick zu, was Jake nicht entging.

„Okay. Was hast du vor?“ Rics Stimme hörte sich schon sehr viel freundlicher an.

Jake taxierte ihn kurz. Ric Perrini war gewiss ein harter Brocken. Auf alle Fälle hatte der alte Blackstone ihn dem eigenen Sohn vorgezogen, weil er nur Ric zutraute, das Unternehmen in seinem Sinn zu führen. Aber wahrscheinlich fühlte sich auch Ric bedroht. Wie sie alle.

Das war eigentlich nicht verwunderlich. Denn Jake war dafür bekannt, hart zu verhandeln und sehr schwer einzuschätzen zu sein. Das machte ihn so erfolgreich.

Wieder sah er Kimberley an, die ihn mit ihren grünen Augen furchtlos fixierte. „Du bist Howard wirklich erstaunlich ähnlich“, sagte sie ruhig.

Jake runzelte die Stirn. Meinte sie das positiv? Sollte er ihr danken? Die Bemerkung einfach übergehen? „Das sind wohl die Blackstone-Gene“, erwiderte er nur.

„Ja, das glaube ich auch. Weißt du, dass wir alle Howard für komplett verrückt erklärt hatten, weil er immer noch an deine Rückkehr glaubte? Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du jetzt leibhaftig vor uns stehst …“ Sie stockte.

„Du wolltest noch etwas sagen?“ Auffordernd sah Jake sie an. „Nur heraus damit.“

„Ich wundere mich, dass du uns gar nicht nach der Familie fragst. Nach Howard oder Sonya oder Vince.“

„Nicht nötig. Dafür habe ich meine Leute.“

„Aha. Und wo warst du die letzten dreißig Jahre über?“, mischte Ryan sich ein.

„Erst in Queensland. Mit etwa zehn kam ich dann nach Südaustralien.“

„Und? Was war nun eigentlich passiert?“, fragte Kim.

Jake ließ sie ein wenig zappeln. „Ich wurde von Howards Haushälterin und ihrem Freund entführt“, sagte er dann. „Zwei Monate später auf dem Weg zur Übergabestelle des Lösegeldes hatten die beiden einen schweren und tödlichen Autounfall. Lediglich ich war aus dem Wagen herausgeschleudert worden und überlebte. So fand mich April Kellerman, nahm mich mit und gab mich als ihr eigenes Kind aus.“

Kim nickte. „So stand es auch in dem Polizeibericht. Aber wir müssen noch mehr Details kennen, bevor wir uns der Presse stellen.“ Als sie sah, dass Jake den Blick senkte und die Lippen aufeinanderpresste, fügte sie leise hinzu: „Du hast kein Vertrauen zu uns, oder?“

„Ich traue niemandem.“

„Das ist ja eine reizende Eigenschaft“, sagte Ryan mit gedämpfter Stimme.

Jake warf ihm einen wütenden Blick zu. „In meinem Unternehmen gibt es keine undichte Stelle.“

Jetzt schaltete sich Ric ein. „Erfahrungsgemäß ist es leider so, dass die Medien sich ihre eigenen Geschichten ausdenken, wenn sie keine Informationen bekommen. Der Wahrheitsgehalt ist ihnen egal.“

„Ich weiß.“ Dennoch war Jake entschlossen, nichts preiszugeben. Als Kim leise seufzte, wusste er, dass er gewonnen hatte. Dass sie ihn nicht zwingen konnten und das auch wussten. Dennoch wollte sich kein Gefühl des Triumphs einstellen.

„Dein Geburtsdatum ist falsch“, sagte Kim schließlich, die das Schweigen nicht länger aushielt.

„Wieso?“

„James ist am 4. August 1974 geboren. Das bedeutet, dass du vierunddreißig wirst. Als Jake Vance hast du deinen Geburtstag offiziell am 1. September 1973, wirst also fünfunddreißig.“

„Na und? Dann bin ich statt Löwe eben Jungfrau.“

Selbst Ryan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Aber nun stand Garth auf und zog ein Blatt Papier aus einem Aktendeckel. „Als Howards Erstgeborener haben Sie Anspruch auf ein beträchtliches Vermögen.“ Er reichte Jake das Blatt. „Sie wissen sicher, dass Ihnen ein Drittel von Howards Anteilen zusteht, die sich auf Ryan, Ric und Sie aufteilen. Außerdem gehört Ihnen der Familiensitz Miramare in dem Sonya Hammond jedoch lebenslanges Wohnrecht besitzt. Alles andere von Wert wie Howards persönliche Wertgegenstände, Bargeld und Kunstwerke werden zwischen Ihnen und Ryan geteilt.“

Jake las sich alles in Ruhe durch. Nur einmal hob er den Blick und sah Kimberley forschend an. Seltsam, da vermacht der alte Howard dieser Marise Hammond eine siebenstellige Summe und seiner eigenen Tochter keinen Cent. Man sprach zwar davon, dass Marise seine Geliebte gewesen war, aber Kim war doch immerhin mit Ric Perrini verheiratet, den er sozusagen als Ersatzsohn gefördert hatte. Auch das Strandhaus, bei dem sich ihre Mutter das Leben genommen hatte, hatte er Ryan vermacht, was Kim als öffentliche Demütigung auffassen musste.

Aber erstaunlicherweise wirkte Kim nicht im Geringsten gedemütigt, sondern erwiderte seinen Blick kühl.

„Außerdem“, fuhr Garth fort, „ist vorgeschrieben, dass immer drei Blackstones dem Vorstand angehören müssen. Momentan sind es Kimberley, Ryan und Vincent Blackstone, Howards Bruder.“

„Ich bin nicht an einem Vorstandsposten interessiert.“

„Den bieten wir dir auch gar nicht an. Vorläufig wenigstens nicht“, bemerkte Ric trocken. „Aber Vince hat andere Pläne und spricht in letzter Zeit immer mal wieder davon, sich aus der aktiven Firmenpolitik zurückzuziehen.“ Er musterte Jake genau und versuchte herauszufinden, was in ihm vorging. „Es kommt also darauf an, was du entscheidest.“

„Noch ist es viel zu früh, eine Entscheidung zu treffen.“

„Aber du hast doch sicher Vorstellungen, wie du dem Unternehmen helfen willst.“ Allmählich wurde Ryan ungeduldig.

Jake sah ihn lange an und war nur wenig erstaunt, dass Ryan ebenso wie seine Schwester seinem Blick nicht auswich.

Diese Blackstones waren wirklich hart im Nehmen. „Erst einmal muss ich mich mit allem vertraut machen, was Blackstone Diamonds betrifft, das heißt besonders mit der Unternehmensstruktur und der finanziellen Situation. Dann denke ich an eine Versammlung von Vorstand und Aktionären, um sie von meiner Entschlossenheit zu überzeugen, mich für die Firma einzusetzen.“

„Hast du das wirklich vor?“ Ric musterte den Schwager misstrauisch. „Oder willst du das Unternehmen in seine Einzelteile zerlegen und verkaufen, sowie sich die Kurse erholt haben?“

„Wie sollte ich? Ich habe doch gar nicht die erforderliche Aktienmehrheit.“

„Das hat dich doch bisher nie davon abgehalten.“

Donnerwetter, der Mann wusste Bescheid. Jake betrachtete ihn mit neu gewonnenem Respekt. Wusste er, dass Matt Hammond zehn Prozent der Anteile hielt und Jake unterstützen würde, wenn es darauf ankam? Weil er die Blackstones hasste?

Und Ric hatte recht. Diese Situation war nicht ganz neu für Jake. Auch früher schon hatte er mit Familienunternehmen zu tun gehabt, bei denen es auch immer um Tradition und Gefühle ging. In diesen Fällen musste er sehr diplomatisch vorgehen.

„Momentan bin ich entschlossen, mich für die Firma einzusetzen.“

„Das reicht nicht, junger Mann.“ Entschieden schüttelte Garth den Kopf. „Howard hat Blackstone aus eigener Kraft aufgebaut. Er war kein Heiliger, aber er liebte sein Unternehmen. Er hat ihm sein ganzes Leben gewidmet und so Blackstone Diamonds international bekannt gemacht. Und er wollte, dass alles so weitergeht und dass die Familie auch in Zukunft an der Spitze steht!“ Er stand auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Nie hat er die Hoffnung aufgegeben, dass Sie am Leben sind, und er hat es immer abgelehnt, für Sie einen Grabstein zu errichten. Stur wie er nun mal war. Und er hatte recht. Glauben Sie nicht, dass Sie es ihm und seiner Familie schuldig sind, sich zu mehr zu verpflichten, als sich nur kurzfristig für die Firma einzusetzen?“

Diese leidenschaftliche Ansprache machte nicht den geringsten Eindruck auf Jake. All das kannte er nur zu gut von früheren Fällen her, dieses Bitten und Flehen und Drohen. Deshalb zuckte er nur leicht mit den Schultern und hielt dem Blick des erregten Mannes so lange stand, bis Garth sich resigniert setzte.

„Durch einen DNA-Test werden Fremde nicht plötzlich zu einer Familie“, sagte er leise, aber deutlich. Kim wurde blass, aber Jake achtete nicht darauf, sondern fuhr fort: „Mir ist das alles hier genauso unangenehm wie euch. Aber in einem Punkt solltet ihr euch keinen Illusionen hingeben. Es geht hier nicht darum, dass ich plötzlich Gefühle für den verstorbenen Howard Blackstone, meinen biologischen Vater, hegen würde. Diese Art von Komplikationen kann ich nämlich nicht gebrauchen.“

„Aber warum willst du dich dann für die Firma einsetzen?“, fragte Ryan.

„Um Geld zu verdienen.“

„Du hast doch schon Milliarden. Wo ist da der Reiz?“ Kim sah ihn kopfschüttelnd an.

Das war eine viel zu persönliche Frage. Jake sah ihr direkt in die Augen. „Ich habe euch mein Angebot gemacht. Ihr könnt es annehmen oder auch nicht. Wenn nicht, bleibt alles beim Alten. Die Informationen sickern ungehindert an die Presse durch, die Aktien fallen, und die Anteilseigner verkaufen …“

„Oder wir versuchen es mit dir“, vollendete Ric seinen Satz.

„Genau.“ Um ihnen Bedenkzeit zu geben, stand Jake auf, holte sich ein Glas Wasser und trat ans Fenster. Vor seinen Augen erstreckte sich Sydney, und auf der anderen Seite der Bucht erkannte er den vertrauten Schriftzug der eigenen Firma AdVance Corp, die er innerhalb von acht Jahren aus dem Nichts heraus aufgebaut hatte.

Er hatte gehofft, dass Ryan nach seiner Hochzeit etwas umgänglicher geworden wäre, aber dessen stählerner Blick verriet das Gegenteil. Das konnte auch damit zu tun haben, dass Ryan wegen Ric keine Schwäche zeigen wollte. Denn immer noch wollte er beweisen, dass sein Vater sich geirrt hatte, als er Ric Perrini mehr Verantwortung übergab als dem eigenen Sohn. Auf alle Fälle waren diese innerfamiliären Zwistigkeiten gefährlich, wenn es um Entscheidungen ging, die das Unternehmen betrafen. Was Jakes Position wiederum stärkte.

Eine Woche lang hatte er sich in alles vertieft, was mit der Familie und der Firma zu tun hatte. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ war immer sein Leitspruch gewesen. Nach dem Tod der Mutter gab es sowieso nur drei Menschen auf der Welt, denen er voll vertraute: seiner Sekretärin, seinem Sicherheitschef und dem Freund Quinn, der ihn vor den Blackstones gewarnt hatte.

„Einverstanden“, sagte Ric schließlich, und Jake trat wieder näher an den Tisch heran. „Unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Keine offiziellen Verlautbarungen über deine Herkunft, bevor wir nicht dazu bereit sind.“

„Von mir erfährt keiner etwas.“ Kurz verzog Jake die Lippen zu einem bösen Lächeln. „Die undichte Stelle müsst ihr wohl woanders suchen.“ Dabei musterte er die vier Anwesenden nachdrücklich.

Ric brauste auf, und Kim legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. „Wer du bist, wird erst bekannt gegeben, wenn wir vier mit dem Zeitpunkt einverstanden sind. Selbst die Assistentin, die wir dir zugeteilt haben, weiß nichts.“

Zögernd nickte Jake. „Na gut. Dann will ich sehen, ob ich nicht die undichte Stelle finden kann, bevor wir alles offiziell machen. In ein bis zwei Wochen sollte das doch möglich sein.“

„Aber wenn die Leute dich hier sehen, wird man sofort Vermutungen anstellen“, meinte Kim nachdenklich.

„Deshalb bekommt Jake auch ein Büro in der Chefetage. Nur wenige haben da Zutritt. Außerdem wird das Stockwerk streng überwacht.“

„Ich brauche kein Büro. Aber ich brauche Zugang zu euren Akten.“

„Das wurde bereits veranlasst.“

An Ryans bitterem Ton erkannte Jake, wie schwer ihm diese Entscheidung gefallen war. Beinahe tat er ihm leid, aber dann begegnete er Ryans hasserfülltem Blick, und sein Mitleid verschwand. Dieser Mann war sein Feind.

„Nur die engste Familie kennt die Wahrheit“, fing Kim wieder an. „Und natürlich möchte sie dich gern kennenlernen. Vincent zum Beispiel. Er ist …“

„Howards Bruder“, unterbrach Jake sie schnell. „Besitzt eine Opalmine, lebt in Adelaide und hält zehn Prozent der Aktien.“

„Und ist dein Onkel“, sagte Kim sanft. „Und dann ist da noch Sonya …“

„Ich weiß, aber es ist nicht nötig, dass ich die alle kennenlerne.“

Entsetzt sah Kim ihn an.

Hm, das hätte er vielleicht nicht sagen sollen. Aber, verdammt noch mal, er hatte sich diese Situation auch nicht ausgesucht!

Perrini räusperte sich. „Du hast Zugang zu den internen Ordnern im Computer, außerdem zu dem E-Mail-System. Du bekommst einen Hauptschlüssel zum Gebäude. Selbstverständlich dürfen die Akten nicht das Gebäude verlassen und keine unautorisierten Kopien gemacht werden.“

„Versteht sich von selbst.“

„Der Fahrstuhl ganz rechts darf nur von der Firmenleitung benutzt werden. Er führt bis in die Tiefgarage, sodass du kaum anderen Mitarbeitern begegnen wirst. Deine Assistentin Holly McLeod wartet draußen.“

Das heißt wohl, dass die Sitzung vorbei ist. „Ich brauche noch die neuesten Bilanzen.“

„Ich lasse sie dir schicken.“ Ryan stand auf und nickte Jake knapp zu. „Willkommen bei Blackstone.“

Holly McLeod stand neben der Tür, als erst Kim und dann Ryan, Ric und Garth den Konferenzraum verließen, wie immer in ein Gespräch vertieft.

Als Letzter folgte Jake Vance, und sofort wurde ihr das Dilemma wieder bewusst, in dem sie sich befand. Ihr wurde flau im Magen.

Ich bin nur nervös, das ist alles, versuchte sie sich zu beruhigen.

Dann hatte Jake Vance sie entdeckt und trat auf sie zu. „Miss McLeod.“

Bei dem Ton seiner dunklen Stimme spürte sie ein erregendes Kribbeln, und sie packte die Akte fester. „Mr Vance …“, sie streckte die Hand aus, „ich bin Holly McLeod, Ihre Assistentin für die Zeit Ihres Hierseins.“

Als er die Hand ergriff und mit seinen warmen Fingern umschloss, überlief es sie heiß. Es war nicht die Aura der Macht, die eindeutig zu spüren war, sondern etwas anderes. Selbstbewusstsein? Männliche Überlegenheit?

Nein, etwas Intimeres.

Gefühle, die ausgelöst wurden durch die Art und Weise, wie er sie von oben bis unten musterte. Wie er dann wieder ihr Gesicht anschaute, bis sein Blick auf dem kleinen Diamanten hängen blieb, den sie um den Hals trug.

Hastig entzog sie ihm die Hand, schlug die Mappe auf, nahm die Schlüsselkarte heraus und reichte sie ihm, ohne seine Finger zu berühren. „Damit können Sie alle Türen öffnen einschließlich der zur Tiefgarage. Dort steht Ihnen für die Dauer Ihres Aufenthalts ein Parkplatz zur Verfügung. Und jetzt zeige ich Ihnen Ihr Büro, wenn es Ihnen recht ist.“

„Nein.“

„Sir?“

„Jake. Ich bleibe nicht hier.“ Er zog ein Handy aus der Jacketttasche und klappte es auf. Nach einem Blick auf das Display steckte er es wieder ein. „Sie können mir einen Überblick über die Firmengeschichte geben, jetzt gleich im Auto. Holen Sie die Finanzunterlagen von Ryan Blackstone, und treffen Sie mich dann in der Tiefgarage.“

Verblüfft sah sie ihm hinterher, als er mit langen Schritten den Flur entlangging. Dann wollte er also nicht sein Büro sehen, wollte nicht vom Fenster aus den atemberaubenden Blick auf die Stadt genießen. Aber dann fiel ihr ein, dass das für ihn nichts Neues war, denn von seinem Unternehmenskomplex auf der anderen Seite der Bucht war die Aussicht mindestens genauso gut. Dennoch, sie hatte mit Fragen gerechnet und hatte ihm die Unterlagen, die ihn interessieren könnten, auf den Schreibtisch gelegt. Und nun wollte er noch nicht einmal …

„Kommen Sie, kommen Sie, Miss McLeod“, rief er ungeduldig und drückte bereits auf den Fahrstuhlknopf.

Holly zuckte zusammen und beeilte sich, ihn einzuholen, während sie die Mappe fest an sich presste. „Außerdem sind Sie nicht autorisiert, die Unterlagen mitzunehmen“, sagte sie und erwiderte unerschrocken seinen kühlen Blick. „Aber ich werde dafür sorgen, dass sie in Ihrem Büro für Sie bereitliegen.“

Oh, ich weiß, auf welche Weise Sie mit Menschen umgehen, Mr Midas, der Sie alles zu Gold machen, was Sie berühren. Dieses Anstarren war Teil seiner Strategie, ebenso die Emotionslosigkeit, mit der er seine Anordnungen traf. Zähneknirschend bewunderten ihn die meisten Männer, obgleich sie unter ihm litten. Sie wollten sein wie er. Die Frauen dagegen wollten ihn.

„Im Übrigen“, fuhr sie fort, „würde ich gern wissen, wie Ihr Arbeitsrhythmus ist, damit ich mich darauf einstellen kann.“

„Ich erwarte nicht, dass Sie für mich irgendwelche Assistenztätigkeiten erledigen. Ich habe bereits eine Assistentin.“

„Aber Holly ist ein unschätzbarer Quell an Informationen, was Blackstone betrifft“, sagte Kimberley, die hinter sie getreten war. „Das solltest du nutzen, damit du weißt, worauf du dich einlässt.“

Sofort spürte Holly die Spannung, die zwischen beiden herrschte. Normalerweise war Kimberley gelassen und freundlich, zumindest hatte Holly sie nie anders erlebt. Aber heute wirkte sie beinahe gereizt.

„Ich muss unbedingt mit dir sprechen, Jake. Später“, sagte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.

Doch davon ließ Jake Vance sich nicht beeindrucken. „Wahrscheinlich kann ich dich morgen irgendwo einschieben.“

Kimberley stutzte. „Gut … ich sag Holly Bescheid, wann ich Zeit habe.“ Offenbar wollte sie nicht länger auf den Fahrstuhl warten, denn sie drehte sich um und öffnete die Tür zum Treppenhaus.

Leicht verärgert blickte Jake Holly an. „Hm, sieht ja doch so aus, als hätte ich hier plötzlich eine Assistentin. Also, meine Arbeitsweise ist einfach zu durchschauen. Ich stelle Fragen, und Sie beantworten sie.“

Holly straffte sich. „Und wie sieht Ihr Zeitplan aus?“

„Ich gehe davon aus, dass ich Sie nicht länger als eine Woche brauche, höchstens zehn Tage. Jeden Morgen werde ich Sie informieren, was für den Tag anliegt. Ich erwarte, dass Sie um acht Uhr anfangen und so lange bleiben, bis alles erledigt ist. Sie müssen sich da schon nach mir richten. Außerdem gehe ich davon aus, dass Sie auch bereit sind, mir im Büro meiner Firma zur Verfügung zu stehen. Haben Sie noch andere Aufgaben?“

„Nein, Sie haben absolute Priorität.“

„So?“ Kurz wirkte sein Blick amüsiert, und er presste die Lippen aufeinander, als hätte er eigentlich etwas sagen wollen. Doch dann sah er zur Seite. „Wir wollen mit den Gebäuden anfangen und den anderen Aktiva.“

Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Jake ließ Holly vorangehen.

„Unser Erdgeschoss ist mit einem hochempfindlichen Sicherheitssystem ausgerüstet und mit einer Sicherheitsschleuse, wie Sie sicher schon bemerkt haben“, fing Holly sofort an, sowie sich der Fahrstuhl in Bewegung gesetzt hatte. „Die Angestellten können das Gebäude nur mit einem speziellen Ausweis betreten und müssen außerdem die Schleuse passieren. Besucher müssen sich eintragen und werden von einem Angestellten abgeholt.“

„Und die Blackstones?“

„Die Geschäftsleitung hat ihre Büros im 43. Stockwerk und benutzt den privaten Fahrstuhl. Die Finanzabteilung sitzt im 35. Stockwerk, die PR-Abteilung auf dem 20. In diesem Gebäude gibt es außerdem einen Fitnessraum für die Angestellten, einen Kindergarten und eine Cafeteria. Dem Unternehmen gehört das ganze Gebäude mitsamt dem Ballsaal, den Geschäften, der Bar und den drei Restaurants. Die Angestellten erhalten überall einen großzügigen Rabatt, und in den Restaurants ist generell ein Tisch für die Geschäftsleitung reserviert. Hin und wieder wird der Ballsaal vermietet, oft an Wohltätigkeitsorganisationen.“

Lächelnd hielt sie Jake eine Hochglanzbroschüre hin, doch er warf nur einen kurzen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf. „Keine Firmenpropaganda, bitte. Ich bin nur an den Fakten interessiert.“

Richtig. Das hätte sie sich denken können. Schnell steckte sie die Broschüre wieder in die Mappe. „Die übrigen Stockwerke sind von unserem Presseteam und den anderen Abteilungen besetzt.“

„Als da sind?“

„Einzelhandel, Exportabteilung, Bergbau, Schmuckdesign und – herstellung, Rechtsabteilung. Wenn es Sie interessiert, ich habe eine Aufstellung über die einzelnen Abteilungen und ein Organigramm.“

„Das müssen Sie mir per E-Mail schicken.“

Sie nickte nur und richtete den Blick auf die Stockwerkanzeige.

Was für ein hübsches Profil sie hat, dachte Jake. Und das schöne kräftige dunkle Haar. Der Pferdeschwanz steht ihr gut … Er wurde plötzlich von einem so heißen Verlangen ergriffen, dass er tief durchatmen musste, um es zu unterdrücken. Dennoch ließ er den Blick weiter über sie schweifen, bewunderte die schlanke Taille in dem figurbetonten Blazer, den tiefen V-Ausschnitt, der viel von der zarten hellen Haut entblößte, die schmal geschnittene marineblaue Hose und die Sandaletten, die einen Blick auf ihre pfirsichfarben lackierten Zehennägel erlaubten.

Versonnen ließ er den Blick darauf ruhen. Dann wurde ihm bewusst, was er tat, und er hob schnell den Kopf. Genau in diesem Augenblick wandte Holly sich zu ihm um, und wieder durchfuhr es ihn heiß. Dabei waren es weder ihr großzügig geschnittener Mund noch die blauen Augen, die ihn wie magisch anzogen. Es war der kleine Leberfleck links über ihrer Oberlippe, wie von einem Maler hingetupft, um das Interesse des Mannes auf den Mund zu lenken.

Als sie schnell zur Seite blickte, betrachtete er wieder ihr klares Profil. Warum ärgerte es ihn, dass sie so cool und gelassen wirkte?

Jake war selbst mit allen Tricks vertraut, um bei Geschäften möglichst viel herauszuholen. Doch dies war etwas Neues. Dass sie ihm keine ältere, erfahrene Assistentin zugeteilt hatten, sondern diese bildhübsche Brünette, hatte offensichtlich einen Grund. Wahrscheinlich kannten sie die Geschichte mit Mia.

Diese Holly sollte ihn nicht nur ausspionieren, sondern auch verwirren. Doch dazu gehörten immer noch zwei. Er hatte aus seinen Fehlern gelernt. Wenn sie wirklich glaubten, dass er sich von einem hübschen Gesicht mit einem süßen kleinen Leberfleck von seinem eigentlichen Ziel ablenken ließ, dann hatten sie sich getäuscht.

Er war in der Branche allgemein als jemand bekannt, der vor nichts zurückschreckte. Wenn die Blackstones mit falschen Karten spielen wollten, bitte schön. Aber dann würden sie ihn kennenlernen.

2. KAPITEL

Das war also der berühmte Jake Vance, Mr Midas, wie er allgemein genannt wurde, weil er wie der König in der alten Sage alles zu „Gold“ werden ließ, was er berührte. Er war Eigentümer der milliardenschweren AdVance Corp, ein gewissenloser Geschäftsmann und Australiens drittreichster Junggeselle unter vierzig.

Schnell legte Holly die Finanzunterlagen auf den Schreibtisch in ihrem provisorischen Büro, dann kehrte sie zum Fahrstuhl zurück.

Auf seine Arroganz war sie vorbereitet gewesen, auch auf seine Intoleranz und Ungeduld denjenigen gegenüber, die seiner Meinung nach unter ihm standen. Unkonventionell und risikofreudig, wie er war, traf er Entscheidungen, die klügere Köpfe als absolut tödlich für eine gesunde Geschäftsentwicklung bezeichnet hätten. Aber bis jetzt war die Rechnung immer für ihn aufgegangen.

Doch der Artikel, der in der letzten Sonntagausgabe der Zeitung über ihn erschienen war, hatte sie nicht auf seine Ausstrahlung vorbereitet, bei der ihr fast die Knie weich geworden wären. Er besaß eine Aura von Reichtum und Macht, die sie nervös machte.

Bei Blackstone waren ihr schon viele einflussreiche Männer begegnet. Aber Jake Vance war anders … Es hatte mit seinem Gesicht zu tun, mit der Art und Weise, wie er sie musterte, auch wenn er dabei kühl und abwartend wirkte. Vielleicht war sie nicht ganz bei Verstand, aber irgendetwas lag in der Luft, die vor undefinierbarer Erwartung zu knistern schien.

Der Fahrstuhl kam, und sie drückte den Knopf für die Tiefgarage. Als sie sich wenige Sekunden lang in die Augen gesehen hatten, hatte sie so etwas erkannt wie einen Jagdtrieb, die Lust an der Eroberung, aber auch eine Art Schuldgefühl. Sehr kurz hatte er die Mundwinkel verzogen, aber als Lächeln konnte man das eigentlich nicht bezeichnen. Doch dann war seine Miene wieder undurchschaubar gewesen.

Tatsächlich war er der einzige Mann in ihrem bisherigen Leben, der sein Interesse an ihr zu verdrängen schien.

Kein Wunder, dass er als unwiderstehlich galt. Wer seine Gefühle so gut kontrollieren konnte, stellte eine dunkle, wilde Gefahr dar, ein Raubtier, getarnt durch einen italienischen Maßanzug. Wehe der Frau, der dieser Mann ein echtes Lächeln zuwarf.

Andererseits, und bei diesem Gedanken verzog sie verächtlich den Mund, ließen Machtmenschen wie er sie völlig kalt. Menschen, die sich anderen gegenüber als Götter aufspielten. So wie Max Carlton, ihr Boss, der hoffentlich bald ihr Ex-Boss sein würde.

Als er eineinhalb Jahre zuvor mit ihrem vorübergehenden Wechsel in die PR-Abteilung einverstanden gewesen war, hatte sie sich nichts dabei gedacht. Schließlich war Blackstones Jubiläum vorzubereiten gewesen, und so war sie gar nicht auf die Idee gekommen, dass bestimmte Bedingungen damit verknüpft waren. Monate später gehörte sie zu dem Team, das Blackstones Teilnahme an der Australischen Modewoche vorbereitete. Endlich hatte sie die Möglichkeit, vor allem Kimberley Perrini zu beweisen, was in ihr steckte. Und dann hatte man sie in der letzten Woche von dieser Aufgabe abgezogen, um den Babysitter für Jake Vance zu spielen. Was für eine Enttäuschung!

Holly seufzte leise und strich sich das Haar zurück. Leider war dieser Job alles andere als einfach.

Ein Mann wie Jake war auch in der Tiefgarage nicht zu übersehen. Er stand neben einem silbernen Commodore, telefonierte und strahlte Reichtum und Klasse aus. Während sie versuchte, langsamer zu atmen und sich so zu beruhigen, ging sie auf ihn zu. Offenbar hatte er sie gehört, denn er klappte sein Telefon zu und hielt ihr die hintere Wagentür auf.

„Zurück ins Büro, Steve“, sagte er, während er sich neben sie auf den Sitz schob.

Steve startete den Motor, lenkte den Wagen die Rampe hoch und fädelte sich in den Verkehr ein. Und plötzlich wurde Holly bewusst, dass Jake seine Aufmerksamkeit jetzt ganz auf sie konzentrieren konnte, hier in dem Wagen, wo noch weniger Raum als im Fahrstuhl war.

Während sie den Sicherheitsgurt schloss, versuchte sie zu ignorieren, dass Jake sie sehr genau mit seinen grünen Augen musterte. Als sie ihm das erste Mal gegenübergestanden hatte, hatte sie noch relativ schnell die Verwirrung abschütteln können, die seine bloße Erscheinung in ihr auslöste. Aber jetzt, in dieser intimen Enge, war es schon sehr viel schwieriger, die Hitzewellen zu unterdrücken, die seine Nähe in ihr auslöste.

Jake Vance war eindeutig ein Mann, der normalerweise das erreichte, was er wollte. Er erwartete, dass man sich ihm unterwarf, und wer ihm in den Weg kam, wurde vernichtet.

„Was brauchen Sie denn noch außer den Finanzunterlagen?“, fragte Holly schließlich, weil sie die Spannung nicht mehr aushielt.

„Wie wäre es, wenn Sie mir etwas von der Geschichte der Blackstones erzählen?“

Neugierig sah sie ihn an. „Sind Sie an etwas Bestimmtem interessiert?“

„Nein, fangen Sie nur an.“ Er grinste kurz. „Und keine Sorge, wenn es zu langweilig wird, melde ich mich.“

Dabei sah er sie so unschuldig an, dass sie bei den eigenen nicht ganz so unschuldigen Gedanken errötete. Schnell beugte sie sich über ihre Mappe. Langweile und Jake Vance passten so gar nicht zusammen.

Während Holly sprach, hörte Jake aufmerksam zu. Dabei achtete er nicht nur auf ihre Worte, sondern auch auf das, was unausgesprochen blieb. Dass sie von den Blackstones beeindruckt war, merkte er an der Lebhaftigkeit, mit der sie von der Familie erzählte. Selbstverständlich war Jake das meiste vertraut. Seine Leute hatten ihn bereits informiert und ihm auch einen schriftlichen Bericht hinterlassen. Aber von Holly in die Einzelheiten der Familiengeschichte eingeführt zu werden war viel interessanter. So konnte er auch Fragen stellen, die sie ohne Zögern beantwortete.

Ja, sie ist wirklich intelligent und sehr hübsch. Aber sie arbeitet für die Blackstones.

Er war schon zweimal bitter enttäuscht worden. Erst von Lucy, die ihn verließ, als er sie besonders brauchte. Und sieben Jahre später hatte Mia ihre Position als seine persönliche Assistentin missbraucht und ihn verraten. Er hatte seine Lektion gelernt. Nach der Sache mit Mia hatte er sein Privatleben total abgeschirmt. Zwar gab es auch in seinem Unternehmen strenge Sicherheitsvorkehrungen, die für sein Privatleben aber waren quasi unüberwindbar.

„Anders als andere Juwelierfirmen gibt Blackstone nur zwei Kataloge pro Jahr heraus.“

Er schreckte aus seinen Gedanken hoch. „Nur zwei Kataloge?“, wiederholte er schnell.

„Ja. Im Oktober und im Januar.“

„Nicht zu Weihnachten?“

„Nein. Im Februar um den Valentinstag herum haben wir am meisten zu tun. Und im Oktober fangen viele Kunden schon an, sich um Weihnachtsgeschenke zu kümmern. Außerdem wird ein Blackstone-Diamant oft auch als reine Geldanlage gekauft.“ Sie klappte ihre Mappe auf. Ein schmales Heft fiel heraus, und bevor sie es wieder einstecken konnte, wies Jake darauf und fragte: „Was ist denn das?“

„Ach, das ist unser allererster Katalog.“ Sie lachte leise. „Der ist übrigens mittlerweile ein echtes Sammlerstück. Es gibt nämlich nur noch zwanzig Exemplare auf der ganzen Welt.“ Sie wies auf den Umschlag. „Das sind Howard und Ursula. Sie trägt die Blackstone Rose.“

Jake nahm ihr das Heft aus der Hand und starrte auf das Foto. Es war ein typisches Bild aus den siebziger Jahren und zeigte ein junges Paar in Abendkleidung vor dem Eingang der Oper. Howard Blackstone trug einen Smoking und lächelte triumphierend. Neben ihm stand Ursula in einem trägerlosen bodenlangen Abendkleid. Ihr Haar war der damaligen Mode entsprechend hochtoupiert. Die Kette, die sie um den Hals trug, war groß und sehr auffallend. Sie bestand aus fünf großen Diamanten, vier runden Steinen und einem in Tropfenform. Das Collier lag eng an und wirkte beinah wie ein Halsband, ein Symbol dafür, dass sie dem Diamantenkönig gehörte.

Dieser Eindruck wurde durch Ursulas Miene noch unterstrichen. Zwar lächelte sie, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Es wirkte aufgesetzt.

Aber sie war doch reich, schön und berühmt. Warum sah sie dann so traurig aus? „Von wann ist die Aufnahme?“, fragte Jake.

„Dezember 1976.“

Zwei Monate nachdem er entführt worden war. Kein Wunder, dass sie so unglücklich aussah. Und Howard, dieser Egoist, hatte sie wahrscheinlich gezwungen, sich fein zu machen, damit er mit ihr und den Diamanten angeben konnte.

Das Herz wurde ihm schwer. Mit einem leisen Fluch warf er das Heft beiseite, verärgert, dass er Gefühle verspürte, die er nicht zulassen wollte. Denn Emotionen und Geschäftliches passten nicht zusammen. Als er sich Holly zuwandte, war seine Miene wieder vollkommen ausdruckslos.

„Die Diamanten der Blackstone Rose“, fuhr Holly leise fort, „stammen von einem einzigen Stein, dem ‚Heart of the Outback‘. Jeb Hammond, das ist Kimberleys und Ryans Großvater und Howards Schwiegervater, hatte diesen Stein seiner Tochter Ursula zur Geburt von James, seinem ersten Enkelkind, geschenkt. Howard hatte daraus das Collier anfertigen lassen.“ Holly hob den Kopf und sah Jake an. „Was wissen Sie über Diamanten?“

„Nur, dass alle Frauen verrückt danach sind.“

Mit einem etwas herablassenden Lächeln schüttelte sie den Kopf. „Irrtum. Ich zum Beispiel nicht.“

„Nein? Ich dachte, jede Frau liebt Diamanten.“

„Ich mag Saphire sehr viel lieber“, sagte sie ruhig. „Bei Diamanten sind Schnitt, Größe, Farbe und Klarheit entscheidend. Aber das wissen Sie wahrscheinlich, denn Sie sind ja bestens mit Quinn Everard bekannt.“

„Ja, ich weiß einiges über Diamanten. Aber wenig über die Blackstone Rose. Bitte, fahren Sie fort.“

Sie schlug eine andere Broschüre auf und zeigte ihm eine Studioaufnahme des berühmten Colliers, das auf schwarzem Samt gebettet war.

Obgleich Jake nie verstanden hatte, warum Frauen so verrückt nach Diamanten waren, musste er zugeben, diese waren wirklich … „Beeindruckend. Das ist also die sagenhafte Blackstone Rose. War das Collier nicht an Ursulas dreißigstem Geburtstag gestohlen worden?“

„Um die Zeit herum wurde es als vermisst gemeldet“, korrigierte sie ihn.

„So oder so. Das ist jetzt unwichtig, nachdem die Steine wieder aufgetaucht sind. Aus welchen Gründen auch immer, Howard vermachte die Steine Marise, und nach ihrem Tod gehören sie jetzt Matt Hammond.“

Matt Hammond … Auch Holly kannte natürlich die Geschichte von der Erzfeindschaft zwischen den beiden Diamantendynastien, den Hammonds und den Blackstones. Obgleich Matt Hammonds Vater und Kimberley Blackstones Mutter Bruder und Schwester waren, war aus Habgier, Machtstreben und Eifersucht ein tiefer Graben zwischen den Familien entstanden, der sich bisher nicht hatte überwinden lassen. In den letzten Monaten hatte er sich sogar noch vertieft. Denn das Gerücht, dass Matts Frau Marise ein Verhältnis mit dem notorischen Schürzenjäger Howard gehabt hatte, weil sie mit ihm zusammen im Flugzeug abgestürzt war, wollte nicht verstummen. Das war für Matt und auch für seinen kleinen Sohn Blake besonders bitter.

Als Holly nicht antwortete, sah Jake sie neugierig an. „Und?“

„Was und?“, fragte sie unwillig. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie jetzt hören wollen.“

„Etwas über die Dynamik.“

„Dynamik?“

„Ja, über die Familiendynamik. Wie gehen die Familienmitglieder miteinander um? Der Erfolg eines Familienunternehmens hängt davon ab, dass alle vertrauensvoll zusammenarbeiten.“

„Das beweist doch wohl der Erfolg von Blackstone Diamonds.“

„Aber es geht hier nicht nur um den finanziellen Erfolg. Es geht um Anerkennung und Respekt, den man sich auf allen Ebenen eines Unternehmens entgegenbringen sollte.“

„Wie kommen Sie auf die Idee, dass das bei Blackstone Diamonds nicht der Fall ist?“

„Howard Blackstone war ein Diktator, das weiß ich genau. Er war kleinlich, rachsüchtig und behandelte seine Familie und die Angestellten wie den letzten Dreck. Er spielte einen gegen den anderen aus und hatte sie so alle in der Hand.“ Plötzlich beugte sich Jake vor, und Holly wich automatisch zurück. „Was mich interessiert, ist Folgendes: Warum haben alle weiterhin für ihn und mit ihm gearbeitet, obwohl er sie so übel behandelte?“

„Keine Ahnung.“ Holly sah ihn kühl an. „Warum arbeitet man weiter für Sie?“

Einen Moment lang herrschte Schweigen.

Holly hielt den Atem an, das Herz sank ihr in die Hose. Sie hatte es getan, sie hatte den großen Jake Vance beleidigt. Mit klopfendem Herzen wartete sie auf seine Reaktion, wartete darauf, dass er sie harsch in ihre Grenzen verwies. Doch …

Er lächelte.

Die kleinen Lachfältchen um seine Augen vertieften sich, seine Gesichtszüge entspannten sich und zeigten … ein Grübchen. Als hätte der Mann nicht ohnehin schon eine Ausstrahlung, der jede Frau leicht verfiel. Er hatte auch noch ein Lächeln, das ihn liebenswert und vollkommen unwiderstehlich machte.

„Ich finde es sehr interessant, dass ich Sie so irritiere“, erwiderte er. „Hat das damit zu tun, wie ich meine Geschäfte führe?“

„Nein.“

„Dann hat es eher persönliche Gründe.“

Um Himmels willen, nein! So nah war er ihr, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Und sie wusste, dass er nur an das eine dachte, während er mit den Augen ihr Gesicht erforschte und sein Blick schließlich an dem kleinen Leberfleck hängen blieb, der ihrem Mund so nah war … „Ich mache hier nur meinen Job, Mr Vance“, stieß sie schließlich hervor.

„So? Tatsächlich?“

Offenbar misstraute er ihr genauso wie sie ihm. Inzwischen hatte sie sich wieder gefasst. „Ja. Doch nun wieder zu Ihren Fragen. Was wollten Sie wissen, Mr Vance?“

„Jake. Ich muss wissen, wie die Familienmitglieder miteinander umgehen. Auf keinen Fall werde ich in das Unternehmen investieren, wenn die Blackstones sich untereinander bekämpfen. Außerdem muss ich berücksichtigen, dass schließlich auch noch Matt Hammond eine Rolle spielt. Der Mann macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er hasst die Blackstones und besitzt doch zehn Prozent der Aktien.“

Hin- und hergerissen zwischen Ehrlichkeit und Loyalität, wusste Holly nicht gleich, was sie sagen sollte. Das war wieder so eine Fangfrage, das war ihr klar. Jake kannte die Antworten und wollte nur wissen, wie sie reagierte.

Mist!

„Ihnen ist sicher nicht entgangen“, fing sie schließlich langsam an, „dass die Hammonds und die Blackstones eine lange und tragische Geschichte verbindet. Marise hat früher mal für Blackstone gearbeitet, hat dann aber Matt Hammond geheiratet, also jemanden aus der Familie, die Howard verachtete. Und nach ihrem Tod …“

„… fiel Ursulas Schmuck Matt und dem gemeinsamen Sohn Blake zu. Ja, ich weiß.“ Als sei er gelangweilt, blickte Jake aus dem Fenster, gerade als sie die Harbour Bridge verließen. „Aber ein Stein der Blackstone Rose wird immer noch vermisst.“

„Ja, so wie …“ James Blackstone, wollte Holly sagen, konnte sich aber gerade noch zurückhalten.

Jake runzelte die Stirn. Auch ihm war der Vergleich durch den Kopf gegangen. Ein Diamant wurde vermisst. Ein Blackstone wurde vermisst.

Plötzlich musste er an seine „Mutter“ auf dem Sterbebett denken. Sie hatte mit ihren schwachen Händen seinen Arm umklammert und geflüstert: „Bitte, Jake, du darfst mich nicht hassen. Du warst mein Ein und Alles. Ich habe dich so geliebt.“

Und nun wurde er nicht mehr „vermisst“. Er hatte seine Familie wiedergefunden. Warum fühlte er sich trotzdem wie ein Schiffbrüchiger, der jede Orientierung verloren hatte?

Zwei Stunden später ließ eine schwangere und strahlende Jessica Cotter Blackstone Jake und Holly durch die Hintertür in das exklusive Juweliergeschäft ein, das Blackstone Diamonds in Sydney unterhielt. Sofort führte sie sie in den privaten Ausstellungsraum, der besonderen Besuchern vorbehalten war.

Holly setzte sich und schlug nervös die Beine übereinander. Bisher hatte sie sich in diesem Raum immer wohlgefühlt, weil er so hell und groß war. Aber mit Jake Vance so dicht neben sich wirkte alles irgendwie beengt. Seine Gegenwart schien ihr die Luft zum Atmen zu nehmen.