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JACK WILLIAMSON

 

 

 

ÜBERLEBEN

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Als die Menschheit die Oortsche Wolke am Rande unseres Sonnensystems erreicht, erwartet sie eine Überraschung: Das an Bodenschätzen und Wasser reiche Gebiet ist bereits besiedelt! Flüchtlinge und Vertriebene aus anderen Sonnensystemen leben dort bereits seit unvordenklichen Zeiten. Während die Menschen noch damit beschäftigt sind, ihre Gebietsansprüche notfalls mit Gewalt durchzusetzen, taucht ein riesiges insektenhaftes Wesen auf, das das Metall und die Energie der Siedler »gewittert« hat. Es ist ein Cyborg, doch es hat sich vor Jahrmillionen verselbstständigt und seine Erbauer ausgelöscht. Jetzt sucht es nach Nahrung. Die Menschen haben dem Wesen nichts entgegenzusetzen – und die Aliens sind nicht gerade geneigt, ihnen zu helfen …

 

 

 

 

Der Autor

Jack Williamson (geb. 29.04.1908) wuchs auf einer Farm in New Mexico auf. Als Jugendlicher bildete er sich autodidaktisch neben der Schule in öffentlichen Bibliotheken, was ihn zum Außenseiter werden ließ. Als er Mitte der Zwanzigerjahre das Magazin Amazing Stories entdeckte, beschloss er, Science-Fiction-Schriftsteller zu werden. Damit legte er den Grundstein für eine erstaunliche Karriere: Er publizierte bis kurz vor seinem Tod und gewann mit 93 Jahren noch den Hugo und den Nebula Award. Als Professor für Literaturwissenschaft publizierte er seine Handreichungen, woraus die Science Fiction Research Association entstand, die bis heute die akademische Zeitschrift Science Fiction Studies herausgibt. Er half auch mit, eine der größten SF-Sammlungen mit über 30.000 Bänden zusammenzutragen, die den Namen »Jack Williamson Science Fiction Library« trägt. Er starb am 10.11.2006 in Portales, New Mexico.

 

 

 

 

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www.diezukunft.de

Titel der Originalausgabe

 

LIFEBURST

 

Aus dem Amerikanischen von Jakob Leutner

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1984 by Jack Williamson

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-17633-4

INHALT

 

 

Die Sonnenmagnaten

1. Janoort

2. Sternvogel

3. Kwanlon

4. Metabrake

5. Sonnenhalo

6. Himmelsfisch

7. Das Fermi-Paradoxon

8. Solar Company

9. Das Ende der Großreiche

10. Kosmonetz

11. Cotopaxi/Hochwelt

12. Sonnenblut

13. Synkost

14. Das Hohe Haus

15. Solarpolitik

16. Das Überlebensparadoxon

17. Mexamerica

18. Azteka

19. Revelator

20. Harmageddon

21. Der Schwarze Begleiter

22. Lifeburst

23. Das Altwesen

 

Die Sonnenmagnaten

Aufstieg und Fall des Sonnenreiches

 

1923 – Alte Zählung: Auf der Flucht vor der Tscheka – so behauptet er wenigstens – kommt Iwan Iwanow mit Hilfe eines gefälschten portugiesischen Passes in Hongkong an. Ein drahtiges Männchen mit markanter Nase und einer verirrten Pistolenkugel in der rechten Augenhöhle. Er spricht – ebenso laut wie schlecht – sieben Sprachen, Russisch nicht viel besser als die restlichen sechs. Im Futterstoff seiner Lammfellkappe sind Diamanten eingenäht. Angeblich zaristisches Eigentum. Mit hemmungsloser Eloquenz und einem einäugig boshaftem Schielen macht er jeden mundtot, der sich ihm in den Weg stellt – was ihm bestens bekommt: Er wird wieder gesund und nimmt den Namen seiner eurasischen Geliebten an. Als Iwan Kwan macht er sich daran, die Fürstenwürde wiederzuerlangen, die – wie er das nennt – ein Raub der bolschewistischen Gewalt geworden sei.

 

77:54:03 – Zyklus der AElternschaft:

Auf einem der Eismonde, die um den Planeten eines G2 Zentralsterns im Sternbild des Drachen kreisen, um einen Planeten, der am weitesten von diesem Zentralstern entfernt ist, fügt sich eine junge Königin der Wärmesucher den Wünschen ihres prinzlichen Freiers. Nachdem sie ihn – wie bei ihrer Art üblich – vernichtet und vertilgt hat, macht sie sich auf zu einem einsamen Flug, geht auf die Suche nach einem Ort, wo sie einen neuen Bau errichten wird. Sie fliegt in Richtung Sonne.

 

1951: Die drei Söhne von Iwan Kwan – ein Bankier, ein Mathematiker, ein Großreeder – unterzeichnen eine Geheimcharta, das Gründungsdokument des Hauses Kwan, und weihen ihr Leben der imperialen Idee der Dynastie.

 

1969–1974: Sergej, Erbe des Bankiers und das schwarze Schaf der Familie, weigert sich, die Kwancharta zu unterzeichnen. Wird aus der Familie verstoßen und verlässt Hongkong. Versagt als Dichter, als Künstler, als Impresario. Verarmt und krank findet er Zuflucht bei Penny Morang, arbeitslose Cocktailbarbedienung in Little Rock, Arkansas. Auf der armseligen Farm ihres Vaters, irgendwo weit hinten in den Ozarks, kommt John Kwan zur Welt.

 

1977–1986: Begeistert verfolgt John die Fernsehübertragungen der Voyager-Flybys an Jupiter, Saturn und Uranus. Sie bilden den Ursprung seines enthusiastischen Interesses an den Wundern des Weltalls, das nie wieder erlöschen sollte. Als sein Vater stirbt und ihn der Wohlfahrt überlässt, bringt ihn seine Mutter nach Hongkong. Mit seiner Romanow'schen Nase – ein Erbe, das ihm sein Urgroßvater hinterlassen hat – wird er in der Kwan-Dynastie herzlich aufgenommen.

 

77:54:05 – Zyklus der AElternschaft:

Nach ihrem Studium der Galaktodynamik an einer der Universitäten von Newmarch, wird Goldengene als Juniordiplomatin der Neulinge nach Point Vermillion berufen, eine isolierte Beobachtungsstation, die zur Überwachung des näherkommenden Schwarzen Begleiters an der nördlichen Peripherie des Sonnen-Halo eingerichtet wurde. Goldengene ist eine Neuling. Als Angehörige einer Flüchtlingsnation, die nach der Eroberung durch die Wärmesucher ihren Heimatstern verlassen musste, ist Goldengene eine eifrige und wachsame Kraft, wenn es um das Aufspüren möglicher Verfolger geht.

 

1996: Der Smolensk-Atlanta Vorfall. Versuch einer Widerstandsbewegung, durch Abschuss robotergelenkter Raketen Smolensk in Schutt und Asche zu legen. City von Smolensk schwer getroffen. Vergeltungsangriff zerstört Atlanta. Millionen Tote, mehrere Millionen Verletzte. Der vollständige atomare Holocaust noch einmal verhindert.

 

1997: In Ostdeutschland formiert sich die Bewegung Gottesvolk gegen Atomkraft. Gewinnt Anhänger und breitet sich aus. Ihre Anführer rufen aus dem Untergrund zum Sturz des Marxismus auf und proklamieren die Errichtung der Republik Gottes.

 

1999: Sri Lanka Abkommen. Sämtliche Atomwaffen und jedes nukleare Material werden auf ein neutrales, international kontrolliertes Territorium transferiert, nationale Raumfahrtprojekte gestoppt, um Entmilitarisierung sicherzustellen.

 

2000: John Kwan stellt die Mittel für ein ziviles Weltraumprojekt zur Verfügung. Gründet die Kwan Planetary Laboratories (Kwan Labs), Sitz der Zentrale: Hongkong. Ein Institut, mit dem er seinen Traum von der Eroberung des Weltalls realisieren will.

 

Sonnenjahr 1: Die Ingenieure der Kwan Labs entwickeln Kwanlon: Eine monomolekulare Faser, deren Festigkeit theoretisch ausreichen würde, um die Erde mit geosynchron stationierten Satelliten zu verbinden.

 

77:54:06 – Zyklus der AElternschaft:

Der Rat der AElternschaft wird über die Flugbewegungen eines primitiven Raumfahrzeugs zwischen den inneren Planeten des Zentralsterns in Kenntnis gesetzt. Das Altwesen richtet daraufhin die Beobachtungsstation Zentralstern ein, zur Ermittlung von Eigenart, Vorhaben und Entwicklungsstand dieser noch unbekannten Weltraumwesen.

 

Sonnenjahr 3: Die Kwan-Dynastie gründet die Tochtergesellschaft Sun Power Inc., um die Kosmokabel – ›Leitern zu den Planeten‹ – aufzuspannen. Eine Installation, durch die der Traum des alten Iwan Wirklichkeit werden soll.

 

Sonnenjahr 7: Mondbergwerke nehmen Betrieb auf. Marskraftwerk gegründet.

 

Sonnenjahr 13: Solarstrom zur Erde gebeamt. Die Kwan Labs entwerfen genetischen Test zur Auswahl von Individuen, die unter Mikrogravitationsverhältnissen lebens- und leistungsfähig sind.

 

Sonnenjahr 17: Komet Yamamoto eingefangen und in die Erdumlaufbahn gelotst, als Reservoir für Wasser, Sauerstoff und andere flüchtige Substanzen, auf die die Company bei ihren Weltraumoperationen angewiesen ist.

 

Sonnenjahr 19: In einem ersten Test versagt das Kosmokabel, als unvorhergesehene Harmonische die Verbindung zur Ballaststation, dem Trabanten, auf dem das Kabel verankert ist, reißen lassen. Das abstürzende Kabel wirft den Himmelskörper aus der Umlaufbahn, verbrennt in der Atmosphäre. Der Trabant stürzt auf Quito – Zwei Millionen Tote und Verletzte.

 

Sonnenjahr 23: Erfolgreicher Abwurf des Kosmokabels von der Satellitenstation Kilimandscharo/Hochwelt nach Kenia/Terra.

 

Sonnenjahr 25: Der Solar Company gelingt es, aus dem internationalen Atomwaffensperrgelände illegales nukleares Material zu erwerben und verwendet es als Brennstoff für die in den Ballaststationen installierten Reaktoren, die das 100 000 Kilometer über der Erde ausgespannte Kosmonetz stabilisieren. Aus diesem Bestand zweigt die Kwan-Dynastie Atomwaffen ab und schafft sie heimlich in ihre Hochweltarsenale.

 

Sonnenjahr 28–31: Vogelkop/Terra: Unterzeichnung der Vogelkop Abkommen. Im Austausch gegen Energie, Rohstoffe und Industrieerzeugnisse aus dem Weltall räumen die stromhungrigen Unterzeichnerstaaten der Solar Company Konzessionen für die Errichtung zentraler Umschlagplätze, Polizeiprivilegien und den Status einer diplomatisch anerkannten Macht ein.

 

Sonnenjahr 33: … Company-Erbin Sonya Kwan heiratet den Finanzier Li Chang Chen.

 

Sonnenjahr 39: … Die Heilige Front, ein radikalisierter Nachfolger der Gottesvolk Bewegung, startet Untergrundkampagnen, um den Mutterplaneten von der Herrschaft des Weltalls zu befreien. Ihre Mitglieder schwören ›Beim Blut der Erde‹, die Company und das Haus Kwan zu vernichten.

 

Sonnenjahr 41: Gründung des Solarsicherheitsdienstes zur Bekämpfung der terroristischen Aktionen der Heiligen Front.

 

Sonnenjahr 47: Kwan Labs verbessert die genetischen Tests und führt ein Laserdruck-Sonnenzeichen ein, zur Kennzeichnung von Individuen mit ›weltraumgeeigneten Genen‹.

 

Sonnenjahr 53: Kerry Kwan, Vorsitzender der Company und Generaldirektor des Solarsicherheitsdienstes, wird erster Sonnenmagnat. Seiner Meinung nach würden sich schon bald genetische Unterschiede entwickeln, die zu einer Trennung von Sonnenvolk und Erdbevölkerung führten.

 

Sonnenjahr 55: Kwan-Mond, ein Asteroid mit ergiebigen Metallvorkommen, wird in die Erdumlaufbahn geschleppt.

 

Sonnenjahr 58: Kwan-Mond Bergwerke in Betrieb. Schwerkraft ersetzt Sonnenkraft. Effiziente Nutzung der Erdanziehungskraft durch schwerkraftgetriebene Förderkübel, in denen die Rohstoffe auf den Kosmokabeln zur Erde transportiert werden.

 

Sonnenjahr 60: Ingenieure der Kwan Labs testen erfolgreich erstes Ionentriebwerk, das mit Fusionsenergie betrieben wird. Lunares Kosmokabel gespannt. Erster bemannter Raumflug über den Mars hinaus.

 

Sonnenjahr 62: Meinungsverschiedenheiten führen zur Spaltung der Kwan-Dynastie. Chen-Fraktion gewinnt Oberhand. Boris Chen vertreibt Kerry Kwan, wird zweiter Sonnenmagnat.

 

Sonnenjahr 71: Unbemannte Plutosonde fängt Laserpulsionen auf, die von weit jenseits ihres Flugradius kommen. Ingenieure der Kwan Labs interpretieren Pulsionen als Signale eines außerirdischen Raumschiffs.

 

Sonnenjahr 77: Erste Rebellion der Heiligen Front bricht in Quito Nuevo aus, springt auf drei Kontinente über. Bricht wegen weltweiter Stromausfälle und Androhung einer Bombardierung aus dem Weltraum zusammen. Verheerende Auswirkungen der anschließenden Hungersnöte und Unruhen.

 

Sonnenjahr 79: Fernando Kwan befehligt erste Stellarexpedition, startet mit drei Raumschiffen von Cotopaxi/Hochwelt, um den Sonnen-Halo zu erforschen. Fusionskreuzer Spica nach Begegnung mit außerirdischem Raumschiff als vermisst gemeldet.

 

Sonnenjahr 81: Mit den zwei verbleibenden Kreuzern Capella und Aldebaran erreicht Kwan eine kleine Eiskugel im Halo und nennt sie Janoort. Gründet Halo-Station als vorgeschobenen stellaren Verteidigungsposten gegen Unbekannte Außerirdische im Weltraum.

 

Sonnenjahr 82: Fernando Kwan kehrt in die Solarwelt zurück, um Magnat Chen den Kampf anzusagen. Chen beschuldigt ihn, seine Außerirdischen seien bloße Erfindungen, das Ganze ein Trick im Planspiel seiner solarpolitischen Machenschaften. Fernando wirft ihn hinaus, wird der dritte Sonnenmagnat.

 

Sonnenjahr 84: Quin Dain an Bord der S.S. Aldebaran geboren, die als Nachschubschiff zur Halo-Station unterwegs ist.

 

Sonnenjahr 88: Der Revelator, der Verkünder der Offenbarung, fanatischer Führer der Heiligen Front, erzeugt weltweite Panik durch illegale Holo-Sendungen, in denen er die Invasion der Erde durch Dämonen aus dem All prophezeit.

 

Sonnenjahr 89: Die Rebellion der Revelationisten – Los Santissimos in Lateinamerika – wird niedergeworfen. Durch sogenannte ›Warnschüsse‹: Raketenangriffe, die von Cotopaxi/Hochwelt auf eine Reihe gezielt ausgewählter Städte gestartet werden. Geschätzte Anzahl der Opfer: Achtzehn Millionen.

 

Sonnenjahr 93: Kosmokabel Skyline Mars installiert. Relaisstation Contra-Neptun eingerichtet, für den Laser- und Funkkontakt mit der Halo-Station.

 

77:54:08:01 – Zyklus der AElternschaft:

Goldengene, Attaché der Neulinge, bei einem Überfall der Wärmesucher auf Point Vermillion getötet. Überlebende warnen AElternschaft vor einer doppelten Gefahr: Der Schwarze Begleiter nähert sich der Umlaufbahn, gleichzeitig zieht ein marodierender Wärmesucher unbehelligt durch den Halo.

 

Sonnenjahr 95: In seinen Predigten setzt der Revelator die Außerirdischen im Weltraum mit den Dämonen der alten Religionen gleich, die unter dem Kommando des Satans die Menschheit heimsuchen. Sie hätten sich mit menschlichen Raumforschern vermischt, das Sonnenvolk habe Dämonenblut.

 

77:54:08:02 – Zyklus der AElternschaft:

Die Königin der Wärmesucher errichtet ihren Bau auf einem der Trojaner-Asteroiden.

 

Sonnenjahr 107: Einsturz des Kosmonetzes, Tod des letzten Magnaten.

Sie vergötterte den Prinzen. Er war Gast in ihrem Bau. Kühn und heißbäuchig wie keiner sonst aus dem Schwarm derer, die mit ihr geschlüpft waren. Eine prächtige Kreatur, die einen Panzer aus glitzerndem Purpur trug. Schuppen aus blitzendem Gold, Fänge und Klauen so schwarz wie das All. Seit damals, als sie kaum ihre Eischale gesprengt hatte, stellte der Prinz ihr nach.

All die anderen Freier, die so unvorsichtig gewesen waren, ihn herauszufordern, hatte er besiegt. Und sie hatte er verzaubert mit den Balladen seiner Jagdabenteuer in den Grenzgebieten des Halo. Es gab nicht mehr viele von dem Geschmeiß, das sich da draußen herumtrieb. Aber die wenigen, die es noch gab – verschwindend kleine Winzlinge nur –, waren schlau. Diese Schlauheit war es, die sie neben ihrer Seltenheit zu einem aufregenden Jagdwild machte.

Als ihre sanftmütigen Schwestern sie vor seiner heißbäuchigen Leidenschaft warnen wollten, verdächtigte sie sie der Eifersucht. Schlug ihre Warnungen in den Wind, verspottete die von ihm besiegten Liebhaber und verließ mit ihm den Bau ihrer Mutter.

Zu lange trieben sie ihr verliebtes Spiel, genossen den Rausch gemeinsam erlebter Gefahren und riskierten zu viel. Wagten sich zu nahe an das Feuer ihres Sterns, das sie rasend machte und liebkosten einander mit der grausamen Wildheit ihrer Art. Küssten sich, berührten sich, ließen wieder voneinander und lachten über den Wahnsinn der Regeneration, hegten die irrsinnige Hoffnung, sie für immer besiegen zu können.

Die Leidenschaft überkam sie auf einem jener kalten Monde, auf dem ausreichend Futter für den Weiterflug zu finden war. Dort waren sie niedergegangen zu einem Festmahl aus sahnigem Schnee. Aufreizend verführerisch hatte sie ein flammendes Feuerwerk – die Farben der Liebe – gezündet; er hatte nicht davon abgelassen, herausfordernd ihr schimmerndes Labrum zu streicheln. Obwohl sie bebte vor heißem Verlangen, hatte sie noch versucht, sich dagegen zu sperren und wegzufliegen.

Zu spät. Die lodernde Glut seines Samens entzündete eine Nova in ihr. Besessen und haltlos dem Delirium der Kopulation ausgeliefert, riss sie ihn mit ihren Klauen an sich, hielt plötzlich den prächtigen Kopf in ihrem Rachen, zermahlte, zerstieß und schlang diese vollendete Kreatur in sich hinein. Der Prinz brüllte und raste, stieß heftiger in sie und kämpfte, bis er starb.

Er war tot, und all ihr Glück für immer vorbei.

Für immer vorbei: Wie grauenvoll ihre Situation tatsächlich war – das wurde ihr erst bewusst, nachdem der Wahnsinn verebbt war und das Feuer in ihrem Innern erkaltete. Bis zu diesem entsetzlichen Augenblick hatte jedermann sie geliebt. Die innige Zuneigung ihrer königlichen Mutter und die schützende Wärme des Baus hatten ihr Sicherheit gegeben. Glücklich hatte sie mit ihrer Familie getafelt, hatte teilgenommen an den festlichen Gelagen, bei denen nahrhafte, lebenspendende Metalle gereicht wurden, die die Arbeiterinnen auf den Planeten der Sternwelt gesammelt hatten. Weder Sorge noch Furcht hat sie je gekannt.

Einsam und verloren lag sie in der tiefen Mulde, wo das Feuer ihrer Vereinigung den Schnee geschmolzen hatte, fühlte sich so tot wie die glänzenden Scherben seines Panzers, die sie krampfhaft noch immer in ihren Klauen hielt, und sehnte sich nach allem, was sie verloren hatte. Voll wehmütiger Erinnerung hörte sie noch einmal den fröhlichen Lärm des Baus, den sie gehört hatte, als sie ausgebrütet wurde; ein Lärm, der ihr wie Musik klang. Noch einmal ritt sie auf dem Rücken einer brummigen Arbeiterin hinaus ins All, lernte wieder fliegen, den Feuerstoß ihrer eigenen Jetdüsen zu kontrollieren.

Melancholisch hielt sie Rückschau und tanzte auf jenen Monden, die ihre Spielplätze gewesen waren. Tanzte die glänzend choreographierten Reigenspiele ihrer talentierten Schwestern – Reanimationen der Rituale des Lebens und der Liebe ihrer Rasse. In heiterer Harmonie vereint memorierten sie die klassischen Sagas ihrer kriegerischen Spezies. In den Tunnelgängen ihres Baus verlor sie sich noch einmal in den heiligen Kampf- und Tötungsspielen. Flirtete wieder mit den verheißungsvoll strahlenden Rivalen ihres Prinzen – ein beinahe schon hinterhältiges Spiel, um seine Ergebenheit zu prüfen.

Alles das war jetzt für immer vorbei.

Ihre Schwestern würden sie verachten, die ehemaligen Freier sich von ihr fernhalten – sie hatte ihren edlen Gefährten ermordet. Der Zutritt zu den Himmelskörpern, auf denen Nahrung zu finden war, würde ihr verboten werden, der Bau ihr verschlossen sein. Und selbst die Liebe ihrer Mutter, die letzte, wehmütige Erinnerung an sie, war ihr jetzt zu einem unheilvollen Albtraum geworden, dem sie nirgendwo entkommen konnte, der sie überall verfolgen würde.

Bitter war diese Erkenntnis, zu tragisch die Konsequenzen ihrer Tat: Ohnmächtig lag sie inmitten der glitzernden Splitter des leeren Panzers, selbst dafür zu schwach, die letzten, gefrierenden Körpersäfte ihres Geliebten aufzusaugen … Bis schließlich ein Schwarm blindwütig rasender Prinzen über sie herfiel und sie hinausjagte in die interstellare Nacht, weg von allem, was sie jemals geliebt hatte.

Lange noch hing sie auf dem Flug durch die tote Leere des Weltraums diesen wehmütigen Erinnerungen nach. So lange, bis der wiedererwachte, quälende Hunger diese Träumereien unerbittlich unter sich begrub. Bis der Hunger sie weitertrieb durch die Dunkelheit, die ohne Wärme war; sie antrieb, nach einem Ort zu suchen, wo sie sich ihren eigenen Bau errichten konnte. Ein Gestirn, wo ihre erstgeborenen, geschlechtslosen Futtersammler das lebenspendende Metall und das Flugfutter finden konnten für ihre Folgegenerationen – ein Geschlecht, das ebenso beispiellos kühn sein sollte, wie sein edler Vater es gewesen war.

Ihre Raubgier war wiedererwacht. Eine Raubgier, so hemmungslos wie ihre todbringende Lust. Auf der Suche nach einem Stern, auf dem sie keinen gegnerischen Bau aufspüren würde, flog sie – schwach und hilflos wie ein Neugeborenes – durch den Halo, in dem ihr Prinz gejagt hatte, flog weit darüber hinaus, hinein in den schwarzen Wirbel jenseits des Halo.

Der Flug dauerte zu lang. Der Futtermangel führte dazu, dass die kostbare Saat des Prinzen sich allzu früh in ihr Fleisch fraß. Voll Stolz war sie, voll ekstatischer Freude, als die erste Welle infernalischer Schmerzen über sie hereinbrach – ein grandioser Stoff für ihre eigene Saga! Aber bald schon wurden die Schmerzen zum Fieberwahn, der nicht enden wollte.

In ihren grauenvollen Albträumen wimmelte es von Schwärmen rasend gewordener Männchen. Sie hetzten sie so lange, bis sie wieder zu Bewusstsein kam und feststellen musste, dass sie ihren Brennstoffvorrat zu schnell aufgebraucht hatte, das Feuer in ihrem Innern nur noch schwach glühte. Sie war noch zu jung, noch nicht fähig, mit den schrecklichen Gefahren fertigzuwerden, die sie bedrohten. Vielleicht hatte der Stern, auf den sie zuflog, gar keine Planeten, auf denen Futter für ihre Brut zu finden war? Vielleicht war ihr eine gegnerische Königin zuvorgekommen? Möglicherweise gab es dort eine eingeborene Rasse, die Waffen besaß, von denen die Sagas nichts wussten?

Als sie die Gasriesen entdeckte, fasste sie wieder Mut. Doch als sie in ihre Nähe kam, spürte sie weit draußen in diesem unbekannten Halo Wärmepunkte auf. Die meisten starr und unbewegt. Die wenigen aber, die sich bewegten, bewegten sich beinahe so schnell wie sie selbst. Feindliche Prinzen? Aus einem Bau, den sie nicht kannte? Prinzen, die ausgeschwärmt waren, um sie zu töten?

Aber welche Gefahr auch immer von dort auf sie zukam – ihre Zeit war zu weit fortgeschritten, als dass sie noch einmal umkehren hätte können. Nicht ein Stern, den sie noch hätte erreichen können, bevor ihre Brennstoffblasen vollständig leer und ihre Feuermetalle endgültig ausgekühlt waren. Bevor sie sterben würde – aufgezehrt von ihrer eigenen, zum Sterben verdammten Brut. Todesqual und Todesangst trieben sie weiter. Bis sie endlich Größenordnungen und Gestalten erkennen konnte.

Was sie aufgespürt hatte, nahm ihr die Angst und ließ ihren Hunger noch quälender werden. Denn das waren keine Krieger, gegen die sie sich verteidigen hätte müssen. Das waren Winzlinge, die auf den Schneeklumpen des Halo sesshaft geworden waren, oder manchmal auch merkwürdig langsam zwischen ihnen hin- und herflogen, harmlos wie die geistlosen Mücken, von denen ihr Jägerprinz in seinen Balladen gesungen hatte.

Einige von ihnen waren immerhin fett genug, um brauchbare Nahrung zu liefern.

JANOORT: Eishaloid am inneren Rand des Halo um Oort, 600 AE{1} von der Sonne entfernt. Der Haloid besteht aus einem Gemisch aus Wasser, Ammoniak und Methan-Eis, das einen schwereren Kern aus interstellarem Staub umhüllt. Durchmesser: 129 Kilometer; mittlere Dichte: 0.9; Oberflächengravitation: 2 cm/sec2; Dauer eines Janoort-Tages: 19.08 Stunden. Standort der Halo-Station.

 

1

 

Das Leben der Station hing an einem Kwanlon-Faden. So nannte es Kerry. Aus diesem Faden bestanden die Spulen der Hauptmagneten in den Fusionsreaktoren, die ein Leben in interstellarer Kälte möglich machten. Wenn er jemals reißen sollte, dann würde es kein Licht mehr geben, keine Wärme, keine Nahrung, keine Luft.

Und trotzdem: Es sah nicht so aus, als ob sich Kerry deswegen allzu große Sorgen machte.

»Por Dios, das stehen wir durch«, grinste er Quin an und schnüffelte eine Prise von seinem scharfriechenden Sternnebel. »Hoffen wir eben, dass jemand lernt, einen besseren Faden zu spinnen.«

»Ich mach das«, versprach Quin. »Wenn ich groß bin.«

Er war fünf Jahre alt.

»Irgendeiner schafft's bestimmt.« Nachdenkliche blaue Augen – Kerry schien weit weg zu sein. »Jemand von den Kwan Labs höchstwahrscheinlich. Drunten in der Solarwelt

»Ich werde dorthin gehen«, sagte Quin. »Ich werde den Faden entwickeln und ihn zurückschicken.«

»Vielleicht.« Eine Duftwolke stinkender Sternnebel. »Aber erst musst du einmal erwachsen werden.«

Quin hätte auf der Halo-Station zur Welt kommen können, wenn die alte Aldebaran etwas schneller gewesen wäre. Aber er war eine Frühgeburt und kam zur Welt, als sie noch im All unterwegs waren: sechs Monate nach ihrem Start in Cotopaxi/Hochwelt und Wochen bevor sie Janoort erreichen sollten. Seine Mutter hatte ihm nie gesagt, wer sein Vater war, und Quin hatte nie aufgehört, seine eigenen Überlegungen und Vermutungen anzustellen.

Ganz bestimmt kein Terraner. Da war er sich sicher: Terraner hatten keinen Zutritt zur Solarwelt. Außer als Dienstboten. Ein schneidiger Liebhaber aus der Solarwelt? Weltraumlord vielleicht, sagenhaft reich, Großaktionär der Company?

Möglicherweise sogar ein Kwan?

Die hätten alle die Romanow-Nase, hatte er gehört. Erbstück eines verrückten Mönchs namens Rasputin. Als er danach fragte, zeigte ihm Kerry einen Sonnen-Dollar, auf dem unter der abgewetzten Plastikschicht das Bild des ersten Magnaten zu sehen war. Skeptisch zog er die Stirn in Falten, als er den glänzend goldenen Kopf mit der bemerkenswerten Nase betrachtete und lief auf der Stelle zum Spiegel, um seine eigene zu begutachten: Nichts Aufregendes; ganz alltäglich.

Seine Mutter hatte ihm nie gesagt, warum sie so weit von zu Hause weggegangen war. Das hatte ihn immer umgetrieben. Sie hatte sich auf der Station nie wirklich wohl gefühlt, war nie wirklich glücklich gewesen. Heimweh nach der Erde, nach dem Kosmonetz, nach den Planeten der Solarwelt musste das sein – anders konnte er es sich nicht erklären. Deprimiert war sie, so erklärte er sich das, krank vor Sehnsucht nach all den Herrlichkeiten, die sie dort unten zurückgelassen hatte.

Einmal zeigte sie ihm ein altes Holo, eine Aufnahme aus der Zeit, als sie auf der Erde gewesen war. In einem der Sonnenterritorien, wie sie sagte, in der Nähe von Vogelkop/Terra. Er starrte es an, erkannte sie kaum wieder. Sie, die mittlerweile dünn war und blass, die Falten um die Augen hatte und das farblose Haar im Nacken zu einem Knoten gebunden trug, sie war einmal eine wunderschöne Frau gewesen. Die Frau in dem Holo: So sollte sie wieder sein, nach ihr sehnte er sich.

Die Kamera hatte sie aufgenommen, als sie an einem tropischen Strand ins Meer watete. Weiß wirbelte das Wasser um ihre Knie, das Haar glänzte wie Gold – sie trug es offen und ließ es im Wind wehen. Es war, als ob das Licht, das über der ganzen Szene lag, von ihrer Schönheit käme. Der Himmel strahlte in einem nie gesehenen Blau, riesige Bäume – sie nannte sie Palmen – beugten sich tief über die Brecher, und unter einer gleißend hellen Sonne wuchsen leuchtend weiß märchenhafte Wolkentürme hoch in den Himmel.

Schon immer hatte er ohnmächtig staunend vor solchen Wundern gestanden. Wind! Wolken! Wasser, das nicht gefroren war. Das Meer, das sich flach ins Endlose ausdehnte, das Blau des Himmels und dieses fliegende Etwas, das sie Möwe nannte – ein Schauer ehrfürchtiger Scheu lief ihm über den Rücken, wenn er versuchte, sich diese unmögliche Welt vorzustellen, die da unter dem Kosmonetz lag.

Wie Heißhunger brannte die Hoffnung in ihm, ein verzehrendes Verlangen, in die Solarwelt zurückzukehren, um all die Wunderdinge zu sehen, die seine Mutter gekannt hatte, um die Kosmokabel hinunterzufahren und die alte Erde zu erforschen. Vielleicht gelang es ihm auch, seinen Vater zu finden und zu erfahren, wozu er bestimmt war. Insgeheim glaubte er immer, dass er dazu bestimmt war, unter dem Sonnenvolk zu leben und teilzuhaben an allem, was die Company an Glanz und Macht zu bieten hatte.

Und irgendwann einmal sagte er seiner Mutter, dass er nach Hause wollte.

»Nein!« Sie holte tief Atem, das hagere Gesicht zuckte gepeinigt. »Niemals!«

Mehr nicht. Nie wieder sprach er mit ihr über seinen heimlichen Traum, vermied alles, was mit der Solarwelt zu tun hatte. Er wollte ihr nicht weh tun. Hatte verstanden, dass sie alles daransetzte, etwas sehr Schmerzhaftes zu vergessen.

Er war erst drei Wochen alt gewesen, als sie damals auf die Station gekommen waren. War hier oben aufgewachsen, gefangen in engen Kunststoffkammern und Tunnels: Nur dort gab es die Luft, die man zum Atmen brauchte. Raumanzüge für Kinder standen nicht zur Verfügung, nie konnte er nach draußen.

Wenn er die anderen über die alte Erde sprechen hörte, die ihm so fremd war, über all die weit entfernten Solarwelten, bekam er immer mehr Angst, dass er nie dorthin kommen würde. Die meiste Zeit allerdings war er ganz glücklich. Es gab nur wenige Kinder auf der Station, und die wurden unsäglich verwöhnt. Meinte jedenfalls seine Mutter.

Und es gab eine Schule. Ein Dutzend Kinder aller Altersstufen war dort in einem einzigen Raum untergebracht, in einer Höhle, deren Wände mit Eis überzogen waren. Die Lehrer waren Mitglieder der Besatzung, die ihre Schüler darin unterrichteten, wie man im Halo am Leben blieb. Nicht umgebracht wurde in der luftlosen Leere und der entsetzlichen Kälte außerhalb der dünnen Wände der Station. Wie man die Maschinerie am Laufen hielt, die ununterbrochen laufen musste, wenn alle überleben sollten.

Quins bester Lehrer war Kerry McLenn. Sowohl in der Schule als auch außerhalb. Ein alter Hase auf der Station – Kerry war mit Admiral Fernando Kwan auf einer Forschungsexpedition hierher gekommen. Als Quin vier Jahre alt war, hatte seine Mutter ihn geheiratet. Damit er endlich wieder einen Vater hatte, wie sie meinte.

»Das ist er nicht«, protestierte Quin. »Das wird er nie sein. Mein wirklicher Vater …«

Er brach ab. Er hatte seine Mutter verletzt. Kerry grinste, boxte ihn freundschaftlich und versprach ihm, dass sie Freunde sein wollten. Und Freunde blieben sie auch immer. Nur Vater … Quin brachte es nie fertig, ihn Vater zu nennen.

Sie lebten unter dem Eis. In Räumen, die mit Schaumstoff ausgekleidet waren: eine hermetische Isolierung, damit die Kälte nicht eindringen und die kostbare Luft nicht entweichen konnte. Die Böden waren mit Teppichen aus Velfast – eine Art großflächigem Klettverschluss – bespannt, auf denen man in Schuhen mit Velfastsohlen haftete und gehen konnte. Mit einem Eigengewicht von wenig mehr als dreißig Gramm konnte Quin aber auch durch die Tunnels fliegen, wenn er Lust hatte. Ohne jemals irgendetwas zu berühren.

In den meisten Abteilungen der Station, in den Laboratorien, den Produktionsbetrieben, den Aufbereitungsanlagen waren Kinder unerwünscht. Die Leute waren viel zu beschäftigt. Die Zeche und die Raffinerie waren zu gefährlich, das Schiff und die Schächte des Kraftwerks verbotenes Terrain. Aber Kerry hatte ihn, schon als er noch klein war, immer einmal wieder in die Hydrokulturgärten mitgenommen, wenn er den Rebenwildwuchs pflegte und die Weinstöcke aberntete, die den Hauptanteil ihrer Nahrung lieferten. Manche von ihnen trieben Blüten aus – er liebte ihre Farben und ihren Duft. Und mit Kerry zusammenzusein, gefiel ihm immer mehr.

Einmal stieg Kerry mit ihm in eine Höhle hinunter, deren Wände von einer Eisschicht überzogen waren, in die Höhle, die über dem Eisbergwerk lag. Zeigte ihm die Förderanlagen, die Bohrer und Pumpen, mit denen sie sich auf den fernen Kern von Janoort zuwühlten. Die Luft war bitterkalt, und der Atem stand ihm wie Nebel vor dem Mund. Der stechend scharfe Ammoniakgeruch brannte in den Augen, erstickte ihn fast, als er ihm in die Nase stieg. Aber er wollte alles genau wissen über die schlammige Brühe, die durch die weiß verkrusteten Röhren nach oben gepumpt und dann zu Wasser, Luft und Nahrung für Menschen und Gärten verarbeitet wurde. Auch zu Kunststoff – einem unentbehrlichen Produkt, weil Schwermetalle hier draußen selten und kostbar waren.

Kerry war ein Mordskerl. Außerdem roch er gut. Auf dem Kopf trug er etwas wie einen formlosen, roten Lumpen: seine Mütze. Der Kopf unter dieser Mütze sah aus wie eine Zwiebel: braun, glänzend und kahl. Eigenartig die Augen. Auch hier kein Haarwuchs, keine Brauen, keine Wimpern. Und doch waren es schöne Augen: blau, freundlich und strahlend.

Dass er keinen Dienstgrad hatte und kein Sonnenzeichen trug, schien ihn nicht weiter zu bekümmern. Die meiste Zeit war er offensichtlich ganz glücklich. Nur manchmal blieb er lange Zeit stumm, kam nur mühsam in Schwung, hatte die eigenartigen Augen zusammengekniffen und sah trübsinnig ins Leere. Grübelte – vermutete Quin – und dachte an seine Jugend und die Erde, die so weit entfernt war. Was immer er auch vermisste, eines vermisste er ganz bestimmt: Das Zeug, das er Sternnebel nannte. »Nichts für dich, muchachito

Eine Art Gift, erklärte er ihm, verträgt nicht jeder. Bestimmte Pflanzen produzierten Giftstoffe zum Schutz gegen die Käfer, die diese Pflanzen fraßen. Und manche Leute wurden süchtig nach diesen Giften. Sternnebel war ein Produkt mutierter Pflanzen. Kerry hatte eine Handvoll Samen in den Weltraum geschmuggelt.

»Ich hab mich zu Hause, in den Barrios daran gewöhnt«, sagte er. »Als wir nichts zu essen hatten.«

Schon der erste Schnüffler ließ seine Augen aufleuchten. Er wurde putzmunter und machte sich aufgekratzt an die Arbeit. An die Maschinen. Maschinen waren seine Sache, unentwegt bastelte an den Maschinen herum. Und tatsächlich konnte er beinahe alles reparieren oder zusammenstoppeln (Kerry Canales nannte er sich, wenn's um Maschinen ging) und kannte die Anlage, die die Station am Leben hielt, in- und auswendig. Aber auch wie die Kosmokabel der Solarwelt funktionierten, konnte er erklären.

Als Quin dann alt genug war, nahm Kerry ihn mit in das Observatorium, eine transparente Kunststoffkuppel, dreißig Meter im Durchmesser. Durch eine Luke im Fußboden stiegen sie hinauf. Es war kalt. Und still. Um die Instrumente nicht zu erschüttern, durfte man sich nur sehr ruhig und vorsichtig bewegen. Trüb schimmerten die roten Lichter der Steuerpulte. Ansonsten war es dunkel, damit die Sicht auf das Himmelsgewölbe nicht beeinträchtigt wurde.

Schwarz und unvorstellbar riesig lag es da draußen – es jagte ihm Angst und Schrecken ein. Quin wusste, dass die Station zur Beobachtung unbekannter Lebensformen gebaut worden war. Und genauso wusste er, dass die unbekannten Kreaturen in ihrer unbekannten Heimat umgekehrt sie beobachteten – von weit da draußen, wo die Sterne standen. Hier oben konnte er ihre beängstigenden Blicke beinahe spüren. Frierend und zitternd hielt er sich an Kerrys Hand fest.

»Amigos, muchacho.« Kerry hatte keine Angst »Sie haben noch nie versucht, uns zu schaden. Schätze, wir werden Freunde haben da draußen – sollten wir sie jemals treffen.«

Quin kämpfte gegen seine Angst an. Hörte zu. Und schließlich empfand auch er – wie Kerry – das große Wunder des Himmels. So nah standen die Sterne, so eindrucksvoll … ein wunderbarer Bogen aus glitzerndem Silberstaub die Milchstraße … Immer wieder versuchte er den Halo zu sehen. Eiskugeln wie Janoort, Milliarden von ihnen, Trillionen vielleicht … Jede von ihnen näher als die Sterne. Und trotzdem konnte er keine einzige entdecken.

»Sie sind alle viel zu weit weg«, sagte Kerry. »Es war eher ein glücklicher Zufall, dass wir Janoort überhaupt gefunden haben.«

Die Sonne war nur ein Stern unter vielen. Aber immerhin hell genug, um die Parabolantennen zu erleuchten, die Teleskope und das Lidarsuchgerät, die draußen im Vakuum aufgebaut waren. Dort wo das Sonnenlicht auf den Haloiden fiel, schillerte die Eishülle, die auf der Station lag, schmutziggrau. Die Krater blieben finster wie nachtschwarze Tümpel.

Die Sonne stand niemals hoch – die Station lag zu nahe am sternseitigen Pol von Janoort. Während der kurzen Tage kroch sie tief über den eisigen Horizont, gerade lange genug für den Signalaustausch mit dem Flottenkommando. Die meiste Zeit über zielten die Beobachtungsinstrumente und die Schüsseln der Parabolantennen aber in die andere Richtung – auf der Suche nach allem, was immer im Halo sich aufhalten mochte.

Janoort war winzig. Es dauerte nie lange, bis die ganze Kuppelwölbung mit Eis überzogen war. Aber die Nase des Schiffs war noch sichtbar. Wie eine hell glänzende Messerklinge stach sie in die schwarze Nacht über dem nahen Horizont. Nachdem er lesen gelernt hatte, konnte er auch den Namen entziffern: Capella stand in schwarzen Lettern quer über dem goldenen Emblem mit der geflügelten Sonnenscheibe.

»Die Capella ist unser Leben«, sagte Kelly. »Es sind ihre Fusionsmotoren, die uns Wärme und Licht liefern. Die Energie, die uns das Leben hier möglich macht. Ohne ihre Motoren wären wir tot.«

Manchmal ging Kerry an Bord der Capella, um bei irgendwelchen Reparaturarbeiten zu helfen. Quin wollte ihm einmal folgen und war durch den Kunststofftunnel zur Luke geschwebt. Wo ihn der Wachposten gleich wieder zurückgescheucht hatte – er hätte auf dem Schiff nichts zu suchen.

Beinahe jeden Tag ging er mit Kerry zum Training in die Sporthalle. Die Halle war eine Art riesiger Ballon, ursprünglich als Luftspeicher und Abwärmesammelbecken gedacht. Die Ballonhaut bestand aus kwanlonverstärktem Kunststoff. Die Außenseite war schwarz gestrichen, um die Abwärme abzustrahlen – sogar auf dem eisigen Janoort musste die Station gekühlt werden.

In der Turnhalle gab es die üblichen Seile, Schaukeln und Netze. Außerdem aber eine Art Hamsterkäfig, in dem man sein Gewicht beliebig verändern konnte – es kam nur darauf an, wie hoch die Drehgeschwindigkeit war, mit der man das Laufrad rotieren ließ. Kerry kurvte mit seinem Rad auf einer Gleisbahn im Kreis in diesen Käfig herum. Dazu ein winziger Hauch Sternnebel – und schon fing er an zu singen. So laut, dass die Wände dröhnten. Quin liebte diesen fröhlichen Lärm.

Manchmal sang er spanische Lieder. Seltsam schwermütige Lieder von Verliebten, die sich vor El Cabrón versteckten und Los demonios del Sol; die in den Barrios kämpften und starben. Drunten auf der Erde.

Er hatte sie als Kind gelernt. In den Barrios von Azteka/Terra.

»Glaubst du, dass ich jemals nach Solarwelt zurück kann?«, fragte Quin ihn einmal. »Irgendwann einmal?«

»Nicht sehr wahrscheinlich, Junge«, lachte er. »Eher nicht!«

Und warum nicht?

»Zu weit«, sagte Kerry. »Sogar das Sonnenlicht braucht drei Tage bis dorthin.«

»Aber du hast es doch auch gekonnt. Mutter genauso. Und immer wieder fährt jemand mit den Schiffen zurück.«

»Geschäftlich. Im Auftrag der Company. Oder gegen Sonnendollars. Und die haben wir nicht. Sei nicht verrückt, Junge. Schlag's dir aus dem Kopf.«

»Ich bin nicht verrückt.« Quin blieb hartnäckig. »Wenn ich groß bin, hau ich ab.«

»Wird dir leid tun.« Kerry war jetzt sehr ernst geworden. »Weißt du, warum ich Sternnebel schnüffle? Es hilft mir, Azteka/Terra zu vergessen.«

Er braute und fermentierte das scharf riechende Zeug aus den Wurzeln, Blättern und Beeren bestimmter Pflanzen, die er unter den Hydrokulturreben zog. Zu Hause nahm er es nie, weil Quins Mutter den unangenehmen Geruch hasste. Aber er hatte es immer dabei. In einer kleinen, flachen Plastikflasche.

Quin mochte sein beißend scharfes Aroma. Obwohl ihm einmal, als er es zu tief eingeatmet hatte, schlecht geworden war. Niemand hatte etwas dagegen, wenn Kerry sich damit im Garten bediente. Manchmal, wenn sie dort zusammen waren, brachte ihn Quin dazu, von der Solarwelt zu erzählen.

»Ich bin nicht auf der Solarwelt geboren«, sagte er einmal, als sie einen Packen reifer, stark duftender Blätter einsammelten. »Du kannst das auf meinem Gesicht sehen.«

Alle anderen Erwachsenen trugen etwas, das sie das Sonnenzeichen nannten: einen kleinen, runden Fleck auf der rechten Wange, der funkelte wie goldener Frost, wenn das Licht darauffiel. Kerrys hagere braune Wange war kahl.

»Dad sagte immer, er sei Ire. Aber ich wurde in der Barrio geboren. Wir hielten uns über Wasser, so gut es eben ging. Als Mom noch jung und ziemlich hübsch war, musste sie fort und im Solarterritorium arbeiten. Bekam die Kündigung, als sie mit mir schwanger wurde. Ich wuchs auf und träumte vom Weltall – schätze ungefähr so, wie du von der Solarwelt träumst.«

Die blauen Augen sahen Quin ernst an. Er schüttelte den Kopf.

»Man hielt mich für verrückt. Gab keine Möglichkeit für mich, in den Weltraum zu kommen. Genauso wenig, wie du jemals nach Coto/Hochwelt zurück kannst. Wenn ich dir sagen würde, wie Azteka/Terra war, was es für mich hieß, dort leben zu müssen – du würdest dich glücklich preisen, dass du hier lebst.«

Quin schüttelte den Kopf.

»Caramba! Jetzt hör mir zu, Junge! Es war mies bei uns in der Barrio. Mies! Eine Barackensiedlung, genau am Rand der Gravitationsmüllhalde. Unter einer Schwerkraftleitung. Die Förderkübel kreischten dort runter, jede Minute eins von diesen Monstern, Tag und Nacht. Meteormetall für die Stahlwerke auf der Erde und Strom für alle. Bloß wir hatten nicht so viel davon, weil die Kübel immer wieder mal heißliefen, am Ende der Leitung auseinanderflogen, und die Brocken auf uns runterregneten. Trotzdem …«

Er öffnete seine Flasche, drückte sich vorsichtig einen Tropfen auf die Handfläche und lächelte, als er das kräftige Aroma schnüffelte.

»Mir hat das nie etwas ausgemacht.« Seine Stimme war zu einem heiseren Flüstern geworden. »Auch wenn es Verletzte gab, und Dad den Magnaten verfluchte – mir hat's gefallen, wenn die Kübel die Leitung runterheulten. Weil sie aus dem Weltraum kamen.

Mom und Dad haben das nie verstanden. Sie hassten das Sonnenvolk, das fett und aufgeblasen hinter seinen Wänden und Zäunen saß, während es bei uns an allen Ecken und Enden fehlte. Diese baufällige, jämmerliche Baracke! Aus zusammengetragenem Gerümpel gebaut. Hielt nie dicht, wenn es regnete. War eisig kalt im Winter – Geld für Heizung hatten wir nicht. Unser Essen bestand zum größten Teil aus dem Abfall von den Luxushütten im Sonnenterritorium, wo immer ein paar von unserer Sorte arbeiteten. Als Köche, Kellner oder so was.

Ich habe lesen gelernt.« Er lächelte, als er daran dachte. »Mit einem Buch, das ich in einer Mülltonne gefunden hatte. Der größte Teil davon fehlte, und den Rest hab ich nie richtig verstanden. Aber der Held hatte ein Motto – aus drei Wörtern –, das ich mir immer gemerkt habe: Verschwiegen-Verbannt-Gerissen. Muss immer noch dran denken. Wenn jemals wer in der Verbannung gelebt hat, dann wir hier. Verschwiegen sein, heißt Auf der Hut sein. Merk dir das, Junge: Scherereien sind das Letzte, was wir hier brauchen können. Und wenn wir's einigermaßen gerissen anstellen, besteht durchaus Hoffnung, dass wir überleben werden. Drei Worte also, die du dir merken solltest.«

Pause. Eine Prise Sternstaub. Quin ließ er dabei nicht aus den Augen.

»Worte, die uns helfen, am Leben zu bleiben. Hier im Halo.«

Ich werde sie nicht brauchen, dachte Quin für sich. Nicht, wenn ich nach Solarwelt zurückgehe.

»Damals war der alte Boris Chen Magnat.« Kerry inhalierte noch eine Dosis aus der Hand. »In der Barrio hieß er nur El Cabrón. Ich hab ihn aber nie wirklich gehasst. Mom hatte mich auf eine Schule geschickt, die er für arme Kinder wie mich gestiftet hat. Dad meinte zwar, es sei eine Zuchtanstalt für den Sklavennachschub der Company. Aber wir bekamen was Warmes zu essen, und ich hab eine Menge gelernt. Bis die Santissimos dann die Bude plattgemacht haben, und die Schule geschlossen wurde.

Wenn ich jemand auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann sie: die Heilige Front. Weil sie den Magnaten und die Company hassten, und alles draußen im Weltraum. Aber wegen Mom und Dad und ihren Freunden hab ich mit meiner Meinung immer hinterm Berg gehalten.«

Kerry sah jetzt noch finsterer drein, die Erinnerung daran bedrückte ihn anscheinend.

»Einer von diesen Freunden hieß Saladin. Ein Deckname, wie ich später herausfand. Er schimpfte sich Arzt. War Chef eines Krankenhauses, das er Sonnenzeichen-Klinik nannte. Half angeblich den Leuten, dass sie die Tests für Weltraumtauglichkeit schafften und nach Solarwelt übersiedeln konnten. Ich hab mich immer gewundert, warum er selbst kein Sonnenzeichen hatte. Und wurde schließlich den Verdacht nicht mehr los, dass er Agent der Santissimos war.

Mom und Dad müssen wohl auch Santissimos gewesen sein. Gesagt haben sie's allerdings nie. Unter unserem Fußboden war ein Schlupfloch, in dem sie manchmal etwas versteckten, über das ich niemals sprechen durfte – das hatten sie mir eingeschärft. Schwere, kleine Kisten, Waffen oder Sprengstoff wahrscheinlich.

Dad bastelte mir aus Trümmern vom Schrottplatz einen kleinen grünen Handwagen. Ich zog damit durch die Gassen, durchsuchte den Abfall nach Essbarem – das sollte ich jedenfalls sagen, wenn mich jemand fragte. Denn manchmal musste ich diese Kisten holen, die unter dem Abfall versteckt waren. Ich vermutete, dass sie von Dr. Saladin stammten. Durfte natürlich keinen merken lassen, dass ich diesen Verdacht hatte.«

Er schüttelte den kahlen Kopf, schielte verstohlen in einen der düsteren Tunnelschächte.

»Schlimme Zeiten, muchacho. Zeiten, die ich gern vergessen würde, wenn ich könnte. Eines Abends platzten ein Mann und ein Mädchen in unsere Bruchbude. Keuchend, humpelnd und blutig. Mom versteckte sie unter dem Fußboden. Keine dreißig Sekunden später waren die Bullen da. Sie traten die Tür ein – Mom saß da und schälte angefaulte Kartoffeln. Sie hielten sich die Nasen zu und nahmen Dad mit.

Er kam nie wieder …

Nach dieser Sache wurde Mom komisch. Ging immer häufiger zu Dr. Saladin. Schließlich nahm sie mich mit zu ihm. Ein schmächtiger, kleiner Mann, mit Augen, die mir Angst machten. Hart und glänzend und schwarz. Kniff sie bösartig zusammen, wenn er von den Kwans und der Company sprach. Als ich sah, wie sehr er sie hasste, war mir klar, warum er kein Sonnenzeichen trug.

Und obwohl ich höllische Angst hatte, fragte ich ihn, ob er mir vielleicht helfen könnte, zu einem Sonnenzeichen zu kommen. Er blickte zu Mom, lächelte dünn und zwielichtig, und versprach mir, dass er es versuchen wollte. Und tatsächlich war er es dann, der mir dazu verhalf, dass ich ins All konnte. Als Spion, wie ich feststellen musste. Für die Santissimos.

Mom wollte nie, dass ich ging. Zwei oder drei Jahre, sagte sie, und das All würde mich umbringen. Außer ich hätte zufälligerweise gute Sonnengene. Und selbst wenn – dann würde La Seguridad mich umbringen, wenn sie mich ohne Sonnenzeichen und ohne Pass droben im Kosmonetz schnappen sollten.

In der Klinik von Saladin dachte man überhaupt nicht dran, meine Gene zu behandeln. Die Klinik war nur eine Tarnadresse für das, was sie die Bewegung nannten. Mir war's gleich. Wenn ich dafür ein Jahr ins All …«

»Gleich ein ganzes Jahr?«

»Dafür riskierte ich alles. Ich bettelte so lange, bis Mom einwilligte, dass mir Saladins Leute ein gefälschtes Sonnenzeichen auf die Backe tätowierten. Von ihnen bekam ich auch einen falschen Pass und wurde in einen fabrikneuen Außentank gesteckt, der auf die Aldebaran verladen werden sollte. Reiseziel Coto/Hochwelt. Die Aldebaran war das Flaggschiff des Magnaten Fernando Kwan. Damals war er allerdings noch Admiral – Magnat sollte er erst später werden.

Und damit war ich unterwegs in den Halo!«

Wieder schnüffelte Kerry heftig an seiner großen braunen Hand.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie aufgeregt ich war. Ich, ein grünes Früchtchen von der Erde, gerade eben mal fünfzehn, ging mit auf diese bedeutende Expedition.« Sein Lächeln verschwand. »Das Wichtigste habe ich allerdings nicht gewusst. Die Santissimos wollten den Admiral und sein Schiff in die Luft jagen – sie hatten Sprengstoff in die Feststofftanks geschmuggelt.

Mir hatten sie einen kleinen Apparat mitgegeben, ein spezielles Funkgerät. Damit sollte ich Signal geben, sobald der Admiral an Bord war und wir starteten. Aber als es soweit war, hab ich's vor Aufregung vergessen. Machte nichts – ich hatte sowieso genug von Saladin.

Später ging mir in meinem Versteck das Trinkwasser aus. Ich hab versucht, Wasser aus den Brennstofftanks zu holen. Dabei fand ich die Sprengladung. Bin beinahe durchgedreht vor Angst, dass man mich foltert und umbringt. Und weil's mir damit nicht so eilig war, wühlte ich den Arzneischrank durch und fand eine Spritze mit Metabrake. War wohl ein bisschen zu kräftig, der Schuss, den ich mir damit setzte. Drum hab ich auch jetzt keine Haare mehr.«

Kerry grinste vor sich hin, wehmütig fast, zog seine rote Kappe vom Kopf und fuhr sich mit der schwieligen braunen Hand über den blanken braunen Schädel.

»Aber es hielt mich am Leben. Wenn du auf Metabrake bist, brauchst du kein Essen. Nicht mal viel Luft. Zwei Monate waren wir unterwegs, bevor sie mich dann fanden. Mein falscher Sonnenfleck blätterte langsam ab, und mein falscher Pass war ungefähr so viel wert wie eine Expressfahrkarte zum Friedhof. Die Sicherheitsbeamten brachten mich zu Jean Charbon, dem Kapitän des Schiffs. Der wollte mir noch einen Schuss Metabrake verpassen und mich dann durch die Abfallschleuse nach draußen trudeln lassen.

Jason hat mich gerettet.«

Kerrys verzog das braune Gesicht, als ob er auf etwas Bitteres gebissen hätte.

»Jason Kwan, der Sohn des Admirals. Vielleicht sechs Jahre alt. Ein hinterhältiger kleiner Fiesling, der sich großtat mit seinem frisch erworbenen Sonnenfleck. Herzig – so fanden das einige. Auf alle Fälle ganz schön durchtrieben: wenn's drauf ankam, konnte er durchaus charmant sein. Er war auf dem Schiff, weil seine Mutter zu Hause von ihm genug hatte. Der Admiral hatte einen Narren an ihm gefressen.

Der kleine Jason hat mir das Leben gerettet. Nicht weil er mich geliebt hätte. Charbon hatte ihn in die Mangel genommen, weil er einem Offizier die Laserpistole gestohlen hatte. Der hinterhältige kleine Bastard nahm mich mit zum Admiral, weil er sich die Chance ausrechnete, ihn dadurch ausmanövrieren zu können.