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Tina Malti
Sonja Perren (Hrsg.)

Soziale Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen

Entwicklungsprozesse und Förderungsmöglichkeiten

2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-025713-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-025714-6

epub:    ISBN 978-3-17-025715-3

mobi:    ISBN 978-3-17-025716-0

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Inhalt

 

 

 

 

  1. Einführung
  2. Tina Malti und Sonja Perren
  3. A Entwicklung sozialer Kompetenz in Kindheit und Adoleszenz
  4. 1 Frühe soziale Kompetenz unter Kindern
  5. Heidi Simoni, Judith Herren, Silvana Kappeler und Batya Licht
  6. 1.1 Einleitung
  7. 1.2 Methode
  8. 1.3 Ergebnisse zum sozialen Interesse und Engagement von Kleinkindern
  9. 1.4 Ergebnisse zum frühen sozialen Spiel
  10. 1.5 Ergebnisse zu Formen und Verlauf des frühen prosozialen Verhaltens
  11. 1.6 Ergebnisse zu Konfliktmotiven in den ersten beiden Lebensjahren
  12. 1.7 Diskussion
  13. 2 Entwicklungsbedingungen von kindlichem Mitgefühl
  14. Jutta Kienbaum
  15. 2.1 Einleitung
  16. 2.2 Methode
  17. 2.3 Ergebnisse
  18. 2.4 Diskussion
  19. 3 Mitgefühl, soziales Verstehen und prosoziales Verhalten: Komponenten sozialer Handlungsfähigkeit in der Kindheit
  20. Tina Malti, Sybille Bayard und Marlis Buchmann
  21. 3.1 Einleitung
  22. 3.2 Befunde aus einer eigenen Untersuchung
  23. 3.3 Diskussion
  24. 4 Soziale Kompetenzen von mobbinginvolvierten Kindern
  25. Adrian Baumgartner und Françoise D. Alsaker
  26. 4.1 Einleitung
  27. 4.2 Mobbing: Definition und Epidemiologie
  28. 4.3 Soziale Kompetenzen von mobbinginvolvierten Kindern: Empirische Befunde
  29. 4.4 Bedarf für soziale Kompetenztrainings bei mobbinginvolvierten Kindern
  30. 5 Selbst- und fremdbezogene soziale Kompetenzen: Auswirkungen auf das emotionale Befinden
  31. Sonja Perren, Maureen Argentino-Groeben, Stephanie Stadelmann und Kai von Klitzing
  32. 5.1 Soziale Kompetenz und psychosoziale Anpassung
  33. 5.2 Aktuelle Befunde aus der eigenen Forschung
  34. 5.3 Schlussfolgerungen und Implikationen für die Praxis
  35. 6 Entwicklung soziomoralischer Sensibilität: ein handlungsbezogener Ansatz
  36. Monika Keller und Günter Becker
  37. 6.1 Einleitung
  38. 6.2 Perspektivenübernahme als Grundlage von sozialem Verstehen, moralischem Urteil und Verhandlungsstrategien
  39. 6.3 Soziomoralische Sensibilität: Kognition, Gefühl und Handlung
  40. 6.4 Entwicklungsstufen der soziomoralischen Sensibilität in Freundschaft
  41. 6.5 Ergebnisse einer Gruppendiskussion über das Freundschaftsdilemma
  42. 6.6 Förderung soziomoralischer Sensibilität durch Dilemma- Diskussionen
  43. 6.7 Zusammenfassung und Ausblick
  44. 7 »On the move« – Soziale Kompetenz und Identität im Kindes- und Jugendalter
  45. Angela Ittel
  46. 7.1 Soziale Kompetenz und Identität von Kindern und Jugendlichen mit mehrfacher Mobilitäts- und Migrationserfahrung
  47. 7.2 Mobilitäts- und Migrationsprozesse
  48. 7.3 Kulturschock
  49. 7.4 Highly Mobile Kids (HmK)
  50. 7.5 Methode
  51. 7.6 Auswertung
  52. 7.7 Zusammenfassung und Diskussion
  53. B Förderung sozialer Kompetenz: Ansätze zur Prävention und Intervention
  54. 8 Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen im Vorschulalter: Ergebnisse der Augsburger Längsschnittstudie zur Evaluation des primärpräventiven Programms Papilio® (ALEPP)
  55. Herbert Scheithauer, Rebecca Bondü, Markus Hess und Heidrun Mayer
  56. 8.1 Zur Bedeutung sozial-emotionaler Kompetenz im Vorschulalter
  57. 8.2 Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen und Prävention von Verhaltensproblemen
  58. 8.3 Ergebnisse der Augsburger Längsschnittstudie zur Evaluation des primärpräventiven Programms Papilio® (ALEPP)
  59. 8.4 Ergebnisse
  60. 8.5 Diskussion und Ausblick
  61. 9 Förderung sozialer Kompetenz bei Vorschulkindern: Ein sozial-kognitives Trainingsprogramm zur Prävention kindlicher Verhaltensprobleme
  62. Andreas Beelmann und Stefanie Jaursch
  63. 9.1 Einleitung
  64. 9.2 Theoretische Grundlagen
  65. 9.3 Konstruktion und allgemeine Programmbeschreibung
  66. 9.4 Bisherige Evaluationen
  67. 10 Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen in Kindergärten, Grundschulen und in der Sekundarstufe: Konzeption und Evaluation der Faustlos-Curricula
  68. Andreas Schick
  69. 10.1 Einleitung
  70. 10.2 Theoretische Grundlagen und Struktur der Faustlos-Curricula
  71. 10.3 Inhalte der Faustlos-Curricula
  72. 10.4 Materialien und Umsetzung
  73. 10.5 Fortbildung
  74. 10.6 Evaluationsstudien
  75. 10.7 Diskussion und Ausblick
  76. 11 Von der Koregulation zur Selbstregulation: Entwicklungsförderliche Begleitung sozial-emotionaler Kompetenz in Kindertagesstätten
  77. Judith Rebecca Nass, Eva-Maria Schiller und Joscha Kärtner
  78. 11.1 Sozial-emotionale Entwicklung im Vorschulalter
  79. 11.2 Sozial-emotionale Entwicklung im familiären Entwicklungskontext
  80. 11.3 Sozial-emotionale Entwicklung in der Kindertagesstätte: Die Rolle von Peers und pädagogischen Fachkräften
  81. 11.4 Entwicklungsförderung sozial-emotionaler Kompetenzen in Kindertagesstätten
  82. 11.5 Koregulation in Kindertagesstätten (KoKit): Konzept zur Beratung pädagogischer Fachkräfte
  83. 11.6 Ausblick
  84. 12 WiSK-Programm – Förderung von sozialen und interkulturellen Kompetenzen in der Schule
  85. Dagmar Strohmeier und Christiane Spiel
  86. 12.1 Soziale und interkulturelle Kompetenzen
  87. 12.2 Mobbing in der Schule
  88. 12.3 Nationale Strategie »Gemeinsam gegen Gewalt«
  89. 12.4 Das WiSK-Programm
  90. 13 Die Wirkung von erweitertem Rollenspiel auf soziale Perspektivenübernahme und antisoziales Verhalten
  91. Eveline Gutzwiller-Helfenfinger
  92. 13.1 Einleitung
  93. 13.2 Methode
  94. 13.3 Grundlegende Analysen
  95. 13.4 Wirkung der Intervention
  96. 13.5 Integration und Ausblick
  97. 14 Das Trainingsprogramm zur Aggressionsminderung (TAV) als Interventionsprogramm bei delinquenten Jugendlichen
  98. Johannes Bach und Silvia Kratzer
  99. 14.1 Aggressives Verhalten im Jugendalter
  100. 14.2 Das Programm TAV
  101. 14.3 Beschreibung der Stichprobe und ausgewählte Ergebnisse
  102. 14.4 Diskussion der Ergebnisse
  103. 15 Soziale Kompetenz entwickeln: Synthese und Ausblick
  104. Sonja Perren und Tina Malti
  105. 15.1 Soziale Kompetenz verstehen
  106. 15.2 Soziale Kompetenz entwickeln
  107. 15.3 Soziale Kompetenz fördern
  108. 15.4 Soziale Kompetenz (weiter) erforschen …
  109. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
  110. Stichwortverzeichnis

Einführung

Tina Malti und Sonja Perren

 

 

Die Entwicklung und Förderung sozialer Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen ist ein aktuelles Thema. Zum einen, weil mit den im Zuge der Globalisierung stattfindenden sozialen und ökonomischen Veränderungen zunehmend mehr Erwartungen an die individuellen Ressourcen und Leistungen von Heranwachsenden gestellt werden (vgl. Edelstein, 2005; Heitmeyer, 1997). Diese sind notwendig, um typische Entwicklungsaufgaben wie den Übergang von der Schule in den Beruf bewältigen zu können und gewährleisten damit die soziale Integration des Heranwachsenden in die Gesellschaft. Zum anderen, weil der Anteil an psychischen und gesundheitlichen Problemen bei Kindern und Jugendlichen nach wie vor hoch ist (Ravens-Sieberer, Nickel, Erhart, Wille & European Kid-screen Group, 2006; Steinhausen, Metzke, Meier & Kannenberg, 1998). So zeigen Studien beispielsweise, dass Mobbing, Aggression und Opfererfahrungen unter Heranwachsenden weit verbreitet sind (Schäfer & Frey, 1998). Die 15. Shell-Jugendstudie (2006) berichtet für Deutschland, dass insbesondere Jugendliche aus unteren sozialen Schichten gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen wie beispielsweise Rauchen zeigen. Die Autoren der Studie vermuten, dass psychische Anpassungsschwierigkeiten wie Depressionen und Gesundheitsprobleme bei Heranwachsenden zukünftig eher noch ansteigen werden. Dies, weil der Anteil an relativer Armut und restriktiven Zugängen zu Bildung steigt und zugleich die Anforderungen an individuelle Fertigkeiten und Qualifikationen zunehmen (Hurrelmann, Albert & Arbeitsgemeinschaft Infratest, 2006).

Welche Rolle spielen soziale Fertigkeiten in diesem Zusammenhang? Einerseits können soziale Kompetenzen als Entwicklungsressourcen bzw. Resilienzfaktoren die psychische und soziale Adaptivität unterstützen (Masten & Coatsworth, 1998; Silbereisen & Lerner, 2007). Andererseits zeigen Studien, dass soziale Kompetenzen auch für akademische Leistungen relevant sind (Caprara, Barbaranelli, Pastorelli, Bandura & Zimbardo, 2000).

Die Hauptaufgabe der Beiträge in diesem Band ist es einerseits, Entwicklungsprozesse und -bedingungen sozialer Kompetenzen in der Kindheit und Adoleszenz zu analysieren. Dies ist Gegenstand des ersten Teils. Andererseits zielt der Sammelband darauf ab, evaluierte Interventionsansätze zur Förderung sozialer Kompetenzen zu analysieren, um wirksame Strategien zur Förderung spezifischer Teilkomponenten sozialer Kompetenz auf verschiedenen Entwicklungsstufen herauszuarbeiten. Der zweite Teil des Buches stellt deshalb Interventionsansätze zur Förderung sozialer Kompetenzen vor, die im Schlusskapitel auf der Basis einer integrativen entwicklungspsychologischen Perspektive zusammenfassend diskutiert werden.

Aufbauend auf diesen Zielsetzungen beschäftigen sich die Beiträge in diesem Band mit zwei übergeordneten Fragen:

1.    Wie entwickeln sich soziale Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen?

2.    Wie können soziale Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen entwicklungsgerecht gefördert werden?

Im ersten Teil des Bandes werden aktuelle Forschungsarbeiten zur ersten Forschungsfrage vorgestellt. Simoni, Herren, Kappeler und Licht untersuchen, wie sich soziales Interesse und Spiel, prosoziales Verhalten und Konfliktmotive als Teilkomponenten sozialer Kompetenz bei Kindern im ersten und zweiten Lebensjahr entwickeln. Die Entwicklung früher sozialer Kompetenzen ist ein Themenbereich, der in bisherigen empirischen Untersuchungen nur selten im Zentrum der Aufmerksamkeit stand und deshalb interessante Informationen zu frühen Entwicklungsprozessen sozialer Fertigkeiten liefert. Der darauf folgende Beitrag von Kienbaum widmet sich der Frage nach den Entwicklungsbedingungen von Mitgefühl bei Kindern im Kindergartenalter. Das Erziehungsverhalten der Mütter und Erzieherinnen wird in Beziehung gesetzt zum Entwicklungsstand des kindlichen Mitgefühls, um kompetenzförderliche Sozialisationsbedingungen in der Erwachsenen-Kind-Dyade zu erarbeiten. Auch das darauf folgende Kapitel von Malti, Bayard und Buchmann thematisiert die Entwicklung des kindlichen Mitgefühls. Im Zentrum steht die Frage, wie soziales Verstehen, Mitgefühl und prosoziales Verhalten als Teilkomponenten sozialer Kompetenz in der mittleren Kindheit zueinander in Beziehung stehen. Analysen zu den Beziehungen verschiedener Teilkomponenten sozialer Kompetenz können zur Beantwortung der Frage beitragen, ob die Qualität sozialer Anpassungsfähigkeit rein additiver oder eher kompensatorischer Art ist. In den nächsten beiden Kapiteln werden soziale Kompetenzen und Zusammenhänge zur Qualität sozialer Beziehungen analysiert. Baumgartner und Alsaker interessiert die Frage, über welche sozialen Kompetenzen Kinder verfügen, die als Opfer und/oder Täter in Mobbingsituationen beteiligt sind. Perren, Argentino-Groeben, Stadelmann und von Klitzing analysieren zum einen die Zusammenhänge zwischen sozialen Kompetenzen und der Qualität der Gleichaltrigenbeziehungen. Zum anderen wird die Rolle sozialer Kompetenzen in Bezug auf das emotionale Wohlbefinden von Kindern untersucht. Die Analyse von Gleichaltrigenbeziehungen und psychischer Gesundheit im Zusammenhang zur sozialen Kompetenzentwicklung trägt dazu bei, Wissen über Auswirkungen des individuellen Kompetenzniveaus auf die individuelle und soziale Anpassung zu erhalten. Keller und Becker stellen in ihrem Beitrag einen theoretischen Ansatz vor, in dem sich verschiedene Teilkomponenten sozialer Kompetenz verorten lassen: der handlungstheoretische Ansatz, der kognitive, emotionale und Handlungsaspekte integriert. Dieser Ansatz wird anhand von längs- und querschnittlichen Daten in verschiedenen Kulturen sowie im Rahmen entscheidungstheoretischer Experimente und Diskussionen veranschaulicht. Ittel beschäftigt sich im letzten Beitrag dieses ersten Teils des Buches mit der Frage, über welche sozialen Kompetenzen Kinder und Jugendliche mit Mobilitäts- und Migrationserfahrungen im Umgang mit diesen Erfahrungen verfügen und wie sich ihre Identität entwickelt.

Zusammenfassend analysieren diese Beiträge die Entwicklung sozialer Kompetenzen in verschiedenen Entwicklungsphasen des Aufwachsens; dabei werden verschiedene Teilkomponenten sozialer Kompetenz zueinander in Beziehung gesetzt und Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und soziale Anpassungsfähigkeit diskutiert. Damit tragen die Studien zu einem differenzierteren Verständnis über interindividuelle Unterschiede in der sozialen Kompetenzentwicklung und Adaptivität bei.

Im zweiten Teil des Buches werden evaluierte Interventionen vorgestellt, die zum Ziel haben, soziale Kompetenzen bei Kindern oder Jugendlichen zu fördern. Die Beiträge präsentieren die theoretische Einbettung und Konzeptualisierung verschiedener Präventionsprogramme sowie Ergebnisse zu deren Wirksamkeit. Im Kapitel von Scheithauer, Bondü, Hess und Mayer wird die Wirksamkeit des Präventionsprogramms Papilio in Kindergartengruppen untersucht. Das Programm zielt darauf ab, durch die Stärkung emotionaler Kompetenzen (z. B. Emotionen ausdrücken, erkennen und regulieren) Verhaltensprobleme zu reduzieren und die Beziehungen der Kinder untereinander zu verbessern. Das von Beelmann und Jaursch präsentierte sozial-kognitive Problemlösetraining IKPL wird ebenfalls im Kindergartenalter eingesetzt. In diesem Programm steht die Förderung verschiedener Aspekte der sozialen Informationsverarbeitung (z. B. Probleme erkennen, Gefühle identifizieren, Handlungsalternativen generieren) im Vordergrund. Auch das von Schick vorgestellte Präventionsprogramm Faustlos fokussiert auf eine Verbesserung der sozialen Informationsverarbeitung. Das Programm ist für verschiedene Altersstufen (Kindergarten bis Jugendalter) adaptiert. Nass, Schiller und Kärtner stellen ein theoretisches Konzept zur entwicklungsfördernden Begleitung sozial-emotionaler Kompetenzen in Kindertagesstätten vor. Dabei wird ein individualisiertes Beratungsangebot von Kindern im Vorschulalter vorgestellt, das sich an pädagogische Fachkräfte in Kindertagesstätten richtet und auf einem ontogenetischen Modell der Emotionsentwicklung aufbaut. Im darauf folgenden Kapitel von Strohmeier und Spiel wird ein weiteres Präventionsprogramm vorgestellt, das auf verschiedenen Systemebenen (Schule, Klasse, Individuen) ansetzt. Ein Fokus des Programms ist die wirksame Reduktion von Mobbing unter Kindern und Jugendlichen. Im Beitrag von Gutzwiller-Helfenfinger wird untersucht, ob Rollenspieltraining bei Jugendlichen deren soziale Perspektivenübernahmefähigkeit erhöht und antisoziales Verhalten reduziert. Im Gegensatz zu den anderen eher primärpräventiven Ansätzen untersuchen Bach und Kratzer, ob bei bereits delinquent gewordenen Jugendlichen eine Förderung sozialer Kompetenzen zu einer Reduktion von Aggression und Adaptivität beiträgt. Im Fokus des Programms steht die Förderung konstruktiver Konfliktlösefähigkeiten.

Abschließend werden von Perren und Malti die Beiträge des Sammelbands zusammenfassend diskutiert. Aus den verschiedenen Beiträgen wird ein Drei-Ebenen-Modell der sozialen Kompetenz abgeleitet. Aufbauend auf den vorgestellten Forschungsergebnissen werden Forschungsdesiderate für zukünftige Forschungen formuliert.

Literatur

Caprara, G. V., Barbaranelli, C., Pastorelli, C., Bandura, A. & Zimbardo, P. G. (2000). Prosocial foundations of children’s academic achievement. Psychological Science, 11 (4), 302–306.

Edelstein, W. (2005). The rise of a right-wing culture among German youth: The effects of social transformation, identity construction, and context. In D. B. Pillemer & S. H. White (Hrsg.), Developmental psychology and social change (S. 314–351). Cambridge: Cambridge University Press.

Heitmeyer, W. (Hrsg.). (1997). Bundesrepublik Deutschland: auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Hurrelmann, K., Albert, M. & Arbeitsgemeinschaft Infratest (Hrsg.). (2006). Jugend 2006. Die 15. Shell-Jugendstudie. Frankfurt a. M.: Fischer.

Masten, A. & Coatsworth, J. (1998). The development of competence in favorable and unfavorable environments: Lessons from research on successful children. American Psychologist, 53, 205–220.

Ravens-Sieberer, U., Nickel, J., Erhart, M., Wille, N. & European Kidscreen Group (2006). Risk behaviour and health-related quality of life among European adolescents. Sucht: Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis, 52(2), 236–244.

Schäfer, M. & Frey, D. (1998). Aggression und Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. Göttingen: Hogrefe.

Silbereisen, R. & Lerner, R. M. (Hrsg.). (2007). Approaches to positive youth development. Thousand Oaks, CA: Sage.

Steinhausen, H. C., Metzke, C. W., Meier, M. & Kannenberg, R. (1998). Prevalence of child and adolescent psychiatric disorders: The Zurich Epidemiological Study. Acta Psychiatrica Scandinavica, 98, 262–271.

 

 

 

 

A        Entwicklung sozialer Kompetenz in Kindheit und Adoleszenz

1          Frühe soziale Kompetenz unter Kindern

Heidi Simoni, Judith Herren, Silvana Kappeler und Batya Licht

 

 

1.1        Einleitung

Trotz unterschiedlicher Konzepte und teilweise kontroverser Einschätzungen (Harris, 2000; Vandell, 2000) spricht vieles für eine förderliche Wirkung von frühen sozialen Erfahrungen unter Kindern für den Erwerb sozialer Kompetenzen (Überblick bei Krappmann, 1993; vgl. zur Bedeutung früher Kind-Kind-Interaktionen: Wüstenberg & Schneider, 2001). Bereits 1980 fasste Vandell empirische Erkenntnisse über Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten im Verhalten von Kleinkindern gegenüber ihren Müttern oder gegenüber anderen Kleinkindern zusammen und argumentierte, »that though infants’ interactions with the two partners fulfill different functions, the behaviors are still part of a larger organizational unit that could be conceptualized as infant sociability« (Vandell, 1980, S. 360). Weitere Erkenntnisse führten in der Folge zur Postulierung eines Modells multipler Sozialisationsagenten (Vandell, 2000). Neue Untersuchungen unterstreichen den eigenständigen Beitrag, den verschiedene Kontexte – wie die Familie oder eine Kindergruppe – zur Entwicklung leisten. Werden Effekte bekannter auf neue Kontexte beobachtet, so wird dies damit erklärt, dass auf vertraute Verhaltensweisen zurückgegriffen wird, bis im neuen Kontext adäquates Verhalten erworben werden kann (Harris, 2000).

Trotz der erwiesenen Bedeutung früher Sozialkontakte unter Kindern ist das Wissen über deren Inhalte und Verläufe bescheiden. Ziel dieses Kapitels ist es, einige Lücken zu beleuchten und eigene empirisch gewonnene Erkenntnisse vorzustellen.

1.1.1      Bedeutung von Peers für die frühe individuelle und soziale Entwicklung

Die Konzepte über frühe Sozialisationsprozesse finden eine Entsprechung in dem Stellenwert, der der Peer-Sozialwelt und den Spielaktivitäten zwischen Kindern speziell in interaktionistisch-sozialkonstruktivistisch orientierten Entwicklungsmodellen zugemessen wird. Während Piaget (1977) und Youniss (1994) die Bedeutung von Peers vorwiegend in symmetrischen Kontakten mit ausgeglichenem Kompetenzverhältnis hervorheben, sind für Vygotsky (1973) symmetrische und asymmetrische Kontakte zwischen Peers wichtig. Darunter fallen Gleichaltrige und Kinder mit geringem Altersunterschied, die sich hinsichtlich ihrer Kompetenzen auf dem gleichen Entwicklungsstand oder in der Zone nächster Entwicklung befinden, in der es ein gegenseitig anregendes Kompetenzgefälle gibt. Ob und wie Kleinkinder sich bereits in den ersten Lebensjahren fordern und fördern, stand allerdings nicht im Fokus der genannten Theorien und der darauf aufbauenden Forschung. Insbesondere das Entwicklungspotential der Zone nächster Entwicklung dürfte aber gegenseitige Anpassungsleistungen betreffen, die bereits in den ersten beiden Lebensjahren für die individuelle Entwicklung und das soziale Spielverhalten gleichermaßen entscheidend sein könnten.

1.1.2      Kleinkinder in prosozialen und konfliktiven Situationen

Auch in spezifischen Bereichen sozialer Kompetenz, zu denen das prosoziale Verhalten oder das Verhalten in Konflikten zählt, sind interessante Forschungslücken für das Kleinkindalter feststellbar: Die Fähigkeit, sich anderen gegenüber in einer positiven Art zu verhalten, das heißt, Mitgefühl zu zeigen, zu helfen, zu trösten oder Rücksicht zu nehmen, kann als ein zentraler Aspekt sozialer Kompetenz gelten. Bekannte Theorien zur Entwicklung von prosozialem Verhalten gehen davon aus, dass sich dieses Verhalten in den ersten zwei Lebensjahren entwickelt (z. B. Hoffman, 1982). Diese Annahmen werden durch verschiedene Studien gestützt. So konnten etwa Warneken und Tomasello (2006) zeigen, dass schon 18 Monate alte Kinder anderen helfen, ein Ziel zu erreichen. Obwohl die Wurzeln des prosozialen Verhaltens in den ersten zwei Lebensjahren liegen, fehlen systematische Kenntnisse über Formenvielfalt und Entwicklungsverlauf des frühen prosozialen Verhaltens bisher weitgehend. Zur Unterstützung und Förderung von Kindern ist es aber bedeutsam, ob ihre Fähigkeiten adäquat eingeschätzt werden können. Sowohl Überforderung als auch Unterforderung können sich entwicklungshemmend auswirken.

Schließlich umfasst soziale Kompetenz auch die Konfliktfähigkeit, also Fähigkeiten, die eigenen Interessen gegenüber anderen zu vertreten, sich – wo nötig – durchzusetzen, Rücksicht zu nehmen und die Emotionen zu regulieren, sowie Wissen über sich und den Umgang mit dem Konfliktpartner, darüber, wann man besser aufgeben, Kompromisse eingehen oder verzichten sollte. In seiner einfachsten Form setzt Konfliktverhalten wenig voraus und tritt unter Peers sehr früh in der Entwicklung auf: Hat ein Säugling ein Objekt in der Hand, nach dem ein anderes Baby greift, liegt bereits ein Konflikt vor (Eckerman & Peterman, 2004). Allerdings gilt diese rudimentäre Form aufgrund ihres flüchtigen Charakters selten als vollständiger Konflikt. Häufiger werden nur diejenigen Interaktionen als Konflikt verstanden, in welchen eine gegenseitige Abwehr auf der Verhaltensebene zum Ausdruck kommt (Shantz, 1987). Doch zunächst stellt sich die Frage, woran Konflikte sich überhaupt entzünden oder anders ausgedrückt: Wofür lassen sich Kleinkinder in einen Konflikt involvieren? Die Antwort auf diese Grundfrage ist sowohl bedeutsam für das Verständnis des Konfliktablaufes als auch für die pädagogische Praxis. In der Literatur wurde sie zunächst dichotomisiert gestellt: Sind Kinder unter zwei Jahren fähig, sozial motiviert zu streiten oder nicht? Geht es ihnen beim Konflikt um den Partner und die Interaktion oder um ein objektbezogenes, akutes Bedürfnis? Hay und Ross (1982) gaben in ihrer bahnbrechenden Studie eine Antwort: Die Dichotomie ist künstlich. Auch in den meisten objektbezogenen Konflikten handelten die Ein- und Zweijährigen sozial und kommunikativ.

Um die Frage nach frühen Konfliktmotiven war es relativ lange ruhig. Die gängigen Methoden wie Fragebögen oder projektive Verfahren sind für Kinder unter zwei Jahren nicht anwendbar. Nur wenige Forschende boten aufgrund von Beobachtungsstudien und Experimenten Motivationsinterpretationen an. Am häufigsten wurde argumentiert, in Konflikten würde es Kleinstkindern um Besitzverteidigung (Brenner & Mueller, 1982; Caplan et al., 1991; Eckerman et al., 1979; Viernickel, 2000), um Eifersucht (Viernickel, 2000), um ihren Platz in der Hierarchie (z. B. Frankel & Arbel, 1980; La Freniere & Charlesworth, 1983) oder um die Festigung ihrer Identität (Bronson, 1975) gehen. Bei der Beschäftigung mit den genannten Motiven für Konflikte wird schnell klar, dass diese für Kinder im ersten und zweiten Lebensjahr wenig plausibel sind. So muss für die Verteidigung von »Besitz« oder »dem Platz in der Hierarchie« wohl eine bewusste Ich-Andere-Unterscheidung vorausgesetzt werden, welche erst ab ca. 18 Monaten angenommen werden kann. Hingegen würden für eine lange Reihe denkbarer Motive Voraussetzungen genügen, welche früher erworben werden oder von Geburt an da sind. Zu Letzteren gehören beispielsweise alle Basisbedürfnisse, wie Hunger und Durst, oder Neugier (Berlyne, 1960; Piaget, 1954). Zu den erworbenen Voraussetzungen zählt etwa das Nachahmungsverhalten, welches ab neun Monaten mit kurzer, ab 14 Monaten mit monatelanger Verzögerung stattfinden kann (Meltzoff, 1995). Die Frage nach frühen Motiven für Konflikte ist bisher ebenso wenig geklärt wie die weiterführenden Fragen, ob diese Konfliktgründe sich im Laufe der ersten zwei Lebensjahre ändern und inwiefern sie Ablauf und Resultat eines Konflikts bestimmen. Es liegt nahe anzunehmen, dass das fehlende Wissen für das häufige Misslingen pädagogischer Interventionen bei Konflikten mitverantwortlich ist (vgl. Dittrich et al., 2001).

Trotz der skizzierten Wissenslücken und ohne belastbare Kenntnisse von Wirkungen und Nebenwirkungen strukturierter versus in den Alltag integrierter Förderung wurden in den letzten Jahren verschiedenen frühpädagogische Programme zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen lanciert (vgl. Viernickel, 2013, S. 648 ff.)

1.1.3      Fragestellungen

Bezüglich der sozialen Kompetenz von Kleinkindern bestehen also Wissenslücken, deren Schließung sowohl wissenschaftlich interessant als auch pädagogisch relevant sein dürfte. In der hier vorgestellten Untersuchung1 wurden mit dem Ziel, dazu einen Beitrag zu leisten, Fragen bearbeitet:

1.    zum sozialen Interesse und Engagement von Kleinkindern in Kindergruppen,

2.    zum frühen Parallel- und Komplementärspiel,

3.    zu Formen und Verlauf prosozialen Verhaltens (vgl. Kappeler & Simoni, 2009) und

4.    zu Konfliktmotiven in den ersten beiden Lebensjahren (vgl. Licht, Simoni & Perrig-Chiello, 2008).

Ausgangspunkt für die Konzeption der Untersuchung war eine Definition sozialer Kompetenz, die es erlaubt, bereits bei sehr kleinen Kindern von sozialer Kompetenz zu sprechen und diese auch empirisch zu untersuchen: »… the ability to implement developmentally-appropriate social behaviours that enhance one’s interpersonal relationships without causing harm to anyone« (Schneider, 1993, S. 19). Betont werden der Einsatz und die Koordination vorhandener Fähigkeiten im Hinblick auf eine nachhaltig günstige soziale Wirkung. In der Altersspanne bis Ende des zweiten Lebensjahres steht die Verhaltensebene im Vordergrund, also der Erwerb und das Erproben von Verhaltensweisen und einfachen Strategien. Deshalb wurde mit dem Ziel, systematisch Erkenntnisse über spontanes Verhalten von Kleinkindern zu sammeln, eine Beobachtungsstudie konzipiert. Da die Gelegenheit zu regelmäßigem Kontakt und früher Vertrautheit miteinander für viele Kleinkinder heute in erster Linie beim Besuch einer Kindertagesstätte gegeben ist, wurden die Beobachtungen in diesem Umfeld durchgeführt (vgl. Simoni, 2004).

1.2        Methode

Die vier verschiedenen Fragestellungen wurden mit unterschiedlichen Methoden bearbeitet. Deshalb werden im Folgenden zuerst die Datengrundlage und die Basisanalysen vorgestellt und danach die spezifischen methodischen Vorgehensweisen und Instrumente erläutert.

1.2.1      Stichprobe und Basisanalysen

28 Kinder (17 w, 11 m) wurden in die Untersuchung aufgenommen. Im Alter von 17 Monaten waren die Kinder alle unauffällig entwickelt (Griffith, 1983). Zum Zeitpunkt der ersten Beobachtung war die Eingewöhnungszeit der Kinder in die Kindertagesstätte abgeschlossen. Jedes der 28 Zielkinder wurde vom neunten bis zum 25. Lebensmonat im Abstand von zwei Monaten 30 Minuten lang im freien Spiel gefilmt. Das Alter der Kontaktkinder lag zwischen sechs Monaten und sechs Jahren. Während einer Beobachtungseinheit waren im Durchschnitt sieben Kinder anwesend. Die Erzieherinnen wurden aufgefordert, sich » so wenig wie möglich und so viel wie nötig« in das Geschehen zwischen den Kindern einzumischen. Die Kinder ihrerseits hatten jederzeit die Möglichkeit, sich an die Erwachsenen zu wenden.

Für die Auswertung standen schließlich 239 Filme à 30 Minuten zur Verfügung. Mithilfe einer speziellen Software wurde fortlaufend kodiert, welche thematische Verhaltenskategorie aus einer vorgegebenen Auswahl beim Zielkind beobachtbar ist. Da Kleinkinder in regem Austausch mit ihrer Umwelt lernen, ihre inhaltlichen Interessen, also ihre Bedürfnisse und Ideen, zu koordinieren, wurde für die Festlegung der Auswertungskategorien das Konzept »geteilter/nicht geteilter Bedeutungen« verwendet (vgl. Brenner & Mueller, 1982; Viernickel, 2000). Mit Bedeutung wird das einer Handlung zugrunde liegende Thema bezeichnet. Interagieren zwei oder mehr Partner auf der Basis desselben Themas, wird von einer geteilten Bedeutung gesprochen. Die Kategorienliste enthielt Bedeutungen wie Exploration Objekt, Exploration Subjekt, Kontaktaufnahme, paralleles/komplementäres Spiel (imaginär oder konstruktiv), Helfen/Unterstützung, Ausruhen. In der eigenen Untersuchung wurden also auch Sequenzen ohne soziale Komponente berücksichtigt und thematisch geordnet. Außer der Bedeutung, dem Beginn und der Dauer jeder Verhaltenssequenz wurde festgehalten, ob und mit welchen Kindern (Alter, Geschlecht, Vertrautheit) oder Erwachsenen die Kontakte stattfanden. Innerhalb jeder thematischen Einheit wurden zur näheren Beschreibung des Ablaufs einzelne Ereignisse festgehalten (z. B. lächeln, schlagen, Objekt anbieten oder manipulieren etc.).

Insgesamt wurden in den 120 Stunden Filmmaterial rund 13 000 Bedeutungseinheiten unterschieden.

1.2.2      Erfassung des sozialen Interesses und Engagements

Zur Bearbeitung der Frage nach dem sozialen Interesse und dem sozialen Engagement von Kleinkindern wurde zusätzlich zum Thema der eruierten Sequenzen ausgewertet, ob das Zielkind

1.    direkt mit einem oder mehreren Partnern interagierte,

2.    zwar nicht direkt interagierte, aber auf eine oder mehrere andere Personen bezogen war (beobachten, parallel spielen etc.) oder

3.    sich konzentriert alleine für sich beschäftigte.

Diese drei Typen des Verhältnisses von Individuum und sozialer Umwelt wurden interaktiv, sozial-bezogen, selbstbezogen genannt. Um den Stärken und Schwächen der vorhandenen Daten – Beobachtungen über einen längeren Zeitraum mit einer eher kleinen Stichprobe – optimal Rechnung zu tragen, wurden inferenzstatistische Analysen mit gemischten Modellen gerechnet.

1.2.3      Erfassung von Rollen und Strategien im Parallel- und Komplementärspiel

Für die Bearbeitung der Fragen zum frühen sozialen Parallel- und Komplementärspiel standen über alle neun Erhebungszeitpunkte insgesamt 216 Einheiten von 16 Zielkindern (11 w, 5 m) zur Verfügung. Orientiert an Viernickels (2000) Differenzierung verteilten sie sich auf 173 geteilte dyadische Parallelspiel- und 43 geteilte dyadische Komplementärspiel-Einheiten unterschiedlicher Dauer. Beide Spielformen sind nach Howes (1980) häufig zu erwarten und bergen viel Potential für die soziokognitive Entwicklung sowie spezifisch für die Imitation als vielfältiges Lerninstrument. Damit soziales Spiel mit einer geteilten Bedeutung etabliert und erhalten werden kann, müssen Kinder Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Signale des Gegenübers verstehen und deuten, die Aufmerksamkeit aufrechterhalten und einen komplexen Aktions-Reaktions-Rhythmus herstellen können. Dies bedingt die Übernahme von Rollen, Anpassungsleistungen, Organisation und Koordination (u. a. Eckermann & Stein, 1982; Ross, 1982; Stambak & Verba, 1986; Schmidt-Denter, 1988). Die Performanz sozialer Kompetenzen zeigt sich im Einsatz von Objekten (u. a. Ross, Lollis et al., 1982), von verbalen und nonverbalen Kommunikationsstrategien, Strategien der Bezogenheit und weiteren gerichteten Verhaltensweisen. Folgende acht Rollen und fünf Strategien sind in den Analysen der Spielsequenzen unterschieden worden:

Rollen: Initiator/Adressat (von Kontaktaufnahmen), Akteur/Empfänger, Modell/Imitator, selbstzentriert, gleichberechtigt;

Strategien: Bezogenheit, nonverbale/verbale Kommunikation, Objekteinsatz, weitere gerichtete Verhaltensweisen.

1.2.4      Erfassung von prosozialem Verhalten

Zur Bearbeitung der Fragestellungen zu Formen und Verlauf prosozialen Verhaltens wurde ebenfalls die Datenbasis über alle neun Messzeitpunkte genutzt. Prosoziales Verhalten wurde wie folgt definiert: Prosoziales Verhalten beinhaltet Handlungen, die das Wohlergehen der anderen Person aufrechterhalten oder erhöhen sollen. Bewusst konzentriert sich diese Definition in Anlehnung an die Lerntheorie (vgl. Gelfand & Hartmann, 1982) auf beobachtbare Verhaltensweisen und klammert die Motive des prosozialen Handelns aus: Was eine Person zum Helfen bewegt, ist dem Untersucher oft nur sehr schwer oder gar nicht zugänglich. Erst recht macht es bei Kleinkindern keinen Sinn, zwischen selbstlosem und eigennützigem Verhalten zu unterscheiden und nur Ersteres als prosozial zu benennen, wie dies etwa Schuster (1988) vorschlägt. Die in der vorliegenden Untersuchung beobachtete Altersgruppe kann zudem keine verbalen Angaben über ihre Motive machen. Eine freiere Definition erleichtert es, Vorläufer prosozialer Verhaltensweisen aufzuspüren, die zum Verständnis der Entwicklungsmechanismen beitragen können.

Insgesamt wurden auf der Grundlage der in der Basisanalyse den Verhaltenssequenzen zugewiesenen Bedeutungen und Merkmalen von allen 28 Kindern 950 Szenen identifiziert, die prosoziales Verhalten beinhalteten bzw. Gelegenheiten für solches darstellten (z. B. das Weinen anderer Kindern). Für die vertiefte Analyse dieser Sequenzen wurde nach folgenden sechs Formen unterschieden: Anbieten von Objekten zur ständigen oder temporären Nutzung, Assistieren ohne emotionale Notlage der anderen Person, Trösten/Helfen in einer emotionalen Notlage, Wiedergutmachung eines verursachten Leids, Zuneigung ohne emotionale Bedürftigkeit, prosoziales Verhalten gegenüber Objekten.

1.2.5      Erfassung von Konfliktmotiven

Um die Entwicklung der Konfliktmotivation zu verstehen, ist eine qualitative Analyse naheliegend. Dafür wurden Verhaltenssequenzen von drei Erhebungszeitpunkten berücksichtigt. Als erster Analysezeitpunkt für Konfliktverhalten wurde der erste Erhebungszeitpunkt der Studie gewählt (neunter Lebensmonat). Um dieses Alter reifen die Objektpermanenz und die Lokomotionsfähigkeit. Als zweiter Analysezeitpunkt diente die Erhebung im 15. Lebensmonat, was dem vierten Erhebungszeitpunkt der Studie entspricht. In diesem Alter können die meisten Kinder aufrecht gehen. Sie sind fortan in der Lage sich fortzubewegen, sich in verschiedene Situationen zu begeben und diese wieder zu verlassen. Hinzu kommen auch die Leistungen der verzögerten Nachahmung und das Intentionsverständnis. Als dritter Analysezeitpunkt wurde der zweitletzte Erhebungszeitpunkt der Studie gewählt (23. Lebensmonat). In diesem Alter sind die Phantasiefähigkeit und die bewusste Ich-Andere-Unterscheidung zentrale Entwicklungsthemen, welche eine Reihe neuer Verhaltensweisen und kognitiver Leistungen mit sich bringen, darunter auch die verbale Ausdrucksfähigkeit.

Die Konfliktszenen wurden mit einem rekonstruktiven Verfahren (vgl. Dittrich et al., 2001; Wegner-Spoehring, 1995) qualitativ analysiert. Für die Identifizierung verschiedener Motivkategorien wurde nach Indikatoren und entsprechenden Erklärungen für die Motivation der Zielkinder »sich durchzusetzen« gesucht. Berücksichtigt wurden das Verhalten des Zielkindes, sein mimischer, vokaler und verbaler Ausdruck, das dem Konflikt vorausgegangene und folgende Ereignis, das Ergebnis des Konfliktes und die entsprechende Reaktion des Zielkindes sowie das Verhalten des Konfliktpartners.

1.3        Ergebnisse zum sozialen Interesse und Engagement von Kleinkindern

Im Zentrum der Fragestellung zum sozialen Interesse und Engagement von Kleinkindern stand zum einen die Frage nach dem zeitlichen Ausmaß, in dem sich Kleinkinder in Kontakten mit Erwachsenen und mit Kindern engagieren, wenn Gelegenheit zu beidem besteht. Zum anderen wurde analysiert, welche Themen für Kleinkinder im Kontakt mit Kindern und mit Erwachsenen im Vordergrund stehen.

Trotz Unterschieden zwischen den beobachteten Kindern und individueller Schwankungen im Verlauf lassen sich aufgrund der Analysen einige interessante deskriptive und inferenzstatistische Aussagen ableiten: Nimmt man die Gesamtdauer aller Beobachtungen als Bezugsrahmen, so waren die Kinder fast zwei Drittel der gesamten Beobachtungszeit entweder interaktiv in direktem Kontakt (24%) oder sozial-bezogen auf andere anwesende Personen (40%). Etwas mehr als ein Drittel der Zeit (35%) waren sie mit sich selbst beschäftig, also selbstbezogen. Bei 1% der beobachteten Zeit war keine Zuordnung möglich. Interessanterweise veränderten sich diese Anteile der drei genannten Aktivitätstypen über alle neun Erhebungszeitpunkte nicht linear mit dem Alter und insgesamt eher wenig (Images Abb. 1.1).

Images

Abb. 1.1: Zeitanteile interaktiver, sozial-bezogener und selbstbezogener Verhaltenssequenzen

Was die Interaktionspartner betrifft, so unterschied sich ab der ersten Beobachtung im neunten Lebensmonat der zeitliche Anteil an direktem oder sozial bezogenem Kontakt mit anderen Kindern nicht von demjenigen mit Erwachsenen (gemischte Erwachsenen-Kinder-Situationen wurden in dieser Analyse nicht berücksichtigt.) Bei der letzten Messung im 25. Lebensmonat war dann der Anteil der Kinderkontakte sogar deutlich höher als der Anteil der Erwachsenenkontakte (t = 3.6, p < .001). Dyadische Interaktionen mit einem einzelnen Kind nahmen ab dem Alter von 12 Monaten in der Tendenz kontinuierlich zu, wuchsen aber mit dem Erwerb kognitiver Fähigkeiten und der verbalen Sprache nicht sprunghaft an.

Die rechnerische Analyse der interaktiven Sequenzen ergab ein statistisch signifikantes Resultat für den Verlauf (p < .05), das mit Tiefs des direkten interaktiven Austausches zu T4 (15. Monat) und zu T6 (19. Monat) und einem Hoch zu T8 (23. Monat) einhergeht. Der Vergleich von Mädchen (N = 17) und Jungen (N = 11) zeigte für das Ausmaß interaktiven Verhaltens weder im Durchschnitt insgesamt noch im Verlauf bedeutsame Differenzen. Trotzdem scheint die erste Abnahme interaktiven Verhaltens möglicherweise eher auf Veränderungen bei den Jungen zurückzuführen zu sein. Diese zeigten nämlich bei den ersten drei Beobachtungen einen relativ hohen Anteil von Interaktionen mit den Erzieherinnen, der danach deutlich zurückging.

Mit Blick auf sozial-bezogenes Verhalten ergab sich folgendes Bild: Mädchen wiesen im Durchschnitt insgesamt einen höheren Anteil sozial-bezogenen Verhaltens auf als die Jungen (F = 4.256, p < .04). Die ausgeprägtere soziale Bezogenheit der Mädchen ging nicht auf Kosten des direkten Dialogs, der ja, wie berichtet, bei beiden Geschlechtern anteilmäßig ungefähr gleich groß ausfiel. Die Schwankungen waren allerdings sowohl zwischen allen Kindern als auch bei einzelnen Kindern relativ hoch. Dies zeigte sich auch darin, dass sich über alle Kinder gerechnet im Verlauf des Erhebungszeitraums keine signifikanten Veränderungen nachweisen ließen.

Beim selbstbezogenen Verhalten waren die Veränderungen im Verlauf hingegen statistisch bedeutsam (F = 3.744, p < .002), wobei zwischen dem 11. und 15. Monat am meisten selbstbezogenes Verhalten beobachtbar war. Die Kinder beschäftigten sich in dieser Periode relativ häufig für sich: Sie erkundeten frei gehend den Raum oder untersuchten Gegenstände. Außerdem zeigten sich hier wiederum im Vergleich von Mädchen (N = 17) und Jungen (N = 11) interessante Differenzen. Die Mädchen waren im Durchschnitt über alle Zeitpunkte gesehen einen kleineren Zeitanteil mit niemandem in direktem oder indirektem Kontakt als die Jungen (F = 5.794, p < .017). Die Geschlechter unterschieden sich außerdem tendenziell im Verlauf des selbstbezogenen Verhaltens (F = 1.871, p < .09). Bei den Jungen war der Anteil von Sequenzen, in denen sie sich alleine beschäftigten, bis zum Alter von 18 Monaten relativ hoch.

Bezüglich der Bedeutungen, die den beobachteten Verhaltenssequenzen zugeordnet wurden, bestätigten sich für die ganze untersuchte Altersspanne vom neunten bis zum 25. Lebensmonat Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Erwachsenen-Kind- und Kind-Kind-Interaktionen: Während Pflegen, Helfen, Trösten etc. bei Ersteren im Vordergrund standen, waren es bei den Kinderkontakten paralleles und später komplementäres Spiel, der Austausch von Gegenständen und natürlich Konflikte. Unter Kleinkindern stehen also tatsächlich bereits sehr früh andere Themen im Vordergrund als zwischen Kindern und Erwachsenen. Eine Gemeinsamkeit der beiden Kontexte betrifft den hohen Stellenwert bezogener Situationen ohne direkte Interaktion.

1.4        Ergebnisse zum frühen sozialen Spiel

Die ermittelten 216 dyadischen Spieleinheiten, in denen die Bedeutung von beiden Spielpartnern geteilt wurde, verteilten sich auf 173 Parallelspiel- und 43 Komplementärspiel-Einheiten. Mittels dieser Datenbasis wurden die beiden Spielformen bezüglich der Häufigkeit ihres Auftretens und bezüglich des Einsatzes von Strategien und Rollen untersucht.

Zur Häufigkeit der Spielformen während des Beobachtungszeitraums lässt sich aufgrund deskriptiver statistischer Analysen allgemein sagen, dass das Parallelspiel im Vergleich zum Komplementärspiel zu allen Zeitpunkten vorherrschend war. Dies kann so gedeutet werden, dass es entwicklungsmäßig eine wichtige Brückenfunktion erfüllt, wie dies schon Smith (1978) und Sarafino (1985) festgehalten haben.

Bei den ersten vier Untersuchungszeitpunkten erwies sich die Häufigkeit des Parallelspiels als relativ konstant, mit einer leichten Erhöhung im Alter von 12 Monaten, die jedoch auf das Spielverhalten einzelner Kinder zurückzuführen war. Da Daten zum Entwicklungsstand lediglich vom 17. Lebensmonat vorlagen, konnte nicht geklärt werden, ob individuelle Besonderheiten mit Unterschieden in der Entwicklung korrespondieren.

Was die Komplementärspiel-Einheiten betrifft, so waren im neunten und elften Lebensmonat je eine, im 13. und 15. Lebensmonat jedoch keine beobachtbar. Das Komplementärspiel als reguläre Spielform zeigte sich ab dem 17. bis 19. Monat. Dies entspricht den Resultaten von Howes (1985) für Kinder, die sich vertraut sind.

Insgesamt fanden sich im 17. Lebensmonat am wenigsten Spieleinheiten. Da spontan auftretende Kontakte im Freispiel gefilmt wurden, dürften Schwankungen allerdings auch erheblich durch dieses Setting bestimmt sein. Zwischen dem zu diesem Zeitpunkt erhobenen Entwicklungsstand und den beiden Spielformen ergaben sich keine signifikanten Zusammenhänge. Imaginäre Inhalte zeigten sich erwartungsgemäß sowohl im Parallel- wie im Komplementärspiel erst ab 20 Monaten, wenn das Selbsterkennen und die Ich-Andere-Unterscheidung zuverlässig entwickelt sind.

Bezüglich der Einnahme von Rollen lässt sich generell sagen, dass ab dem Alter von 18 Monaten die Rollenvielfalt, deren Zeitdauer und der Rollenwechsel zunahmen. Die beobachteten Rollen und Strategien wiesen keine signifikanten Zusammenhänge mit der Spielform auf. Deshalb macht es hier Sinn, auf die gesamthafte Verteilung einzugehen und nicht nach Parallel- und Komplementärspiel zu unterscheiden. Tabelle 1.1 gibt für jeden Zeitpunkt an, welche Rollen mit welcher absoluten Häufigkeit identifiziert werden konnten.

Quantitativ überwog über alle Beobachtungen gesehen die Rolle selbstzentriert. Dies bedeutet, dass die Kinder zwar im dyadischen Kontakt verbleiben, in ihrer Rolle aber nicht unmittelbar auf den anderen gerichtet sind. Am zweithäufigsten waren die beobachteten Kinder selbst Akteure gerichteter Handlungsweisen, am dritthäufigsten waren sie in der Rolle des Empfängers. Die vierte Stelle belegte die gleichberechtigte Gestaltung der Rollen. Dies lässt den Schluss zu, dass wechselseitiges Agieren und damit verbundene Anpassungsleistungen bereits früh ein wesentlicher Bestandteil der untersuchten sozialen Spielformen sind. Die eigentliche Kontaktaufnahme wurde mit den Rollen Initiator und Adressat erfasst; selbsterklärend kamen diese Formen relativ selten vor, da sie sich auf ein Initialereignis beziehen.

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Tab. 1.1: Häufigkeit der verschiedenen Rollen im Verlauf

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In den Rollen eines Modells oder eines Imitators – die sich hier auf Funktionen im Spiel, nicht auf Verhaltensweisen beziehen – waren die Kinder am seltensten zu beobachten. Ihr fast paralleles Auftreten ab 18 Monaten verweist aber darauf, dass Kinder früh in der Lage sind, beide Rollen – nicht nur die Nachahmung – als wichtige Elemente für das Zustandekommen und Erhalten des sozialen Spiels einzunehmen.

Die Analysen zeigten ein weiteres interessantes Ergebnis: Die Rangreihe einer Rolle bezüglich der Häufigkeit ihres Auftretens korrespondierte nicht linear mit ihrer Rangreihe bezüglich der aufsummierten Zeitdauer. Die Verläufe einzelner Spielsequenzen legen allerdings die Hypothese nahe, dass für das Erhalten der untersuchten Kontakte durchaus entscheidend ist, wie lange ein Kind in einer bestimmten Situation zu verbleiben vermag.

Zu den Strategien lässt sich sagen, dass ab 18 Monaten bei allen untersuchten Formen, nämlich Bezogenheit, nonverbale und verbale Kommunikation, Objekteinsatz und den restlichen gerichteten Verhaltensweisen, eine Zunahme zu verzeichnen war. Auch im Hinblick auf die angewendeten Strategien wurden Interaktionen und Kontakte im sozialen Parallel- und Komplementärspiel von den beobachteten Kleinkindern sehr individuell gestaltet.

Schon Kinder unter 24 Monaten verfügen also über ein breites, sich konstant entwickelndes Repertoire an Rollen und Strategien, um ohne die Anleitung durch Erwachsene Kontakte herzustellen und aufrechtzuerhalten. Dabei ist das Parallelspiel keine unreife Spielform oder bloße Vorstufe des Komplementärspiels, sondern ermöglicht Bezogenheit und das Einüben wichtiger sozialer Fähigkeiten. Die Vertrautheit in einer konstanten Kindergruppe und die Möglichkeit zum Freispiel scheinen früh einen wichtigen Anreizcharakter zu haben, vielfältige soziale Kompetenzen im Spiel zu erproben und zu etablieren.

1.5        Ergebnisse zu Formen und Verlauf des frühen prosozialen Verhaltens

Die identifizierten 950 Verhaltenssequenzen mit prosozialen Themen wurden im Hinblick auf zwei spezifische Fragen analysiert: Zum einen interessierte, ob die verschiedenen Formen prosozialen Verhaltens als Teile eines einheitlichen Konstruktes oder als voneinander unabhängige Verhaltensweisen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Motiven gelten können. Zum anderen wurde untersucht, ab wann welche prosozialen Verhaltensweisen im zweiten Lebensjahr beobachtbar sind.

Um die Frage zu beantworten, ob es sich bei den identifizierten prosozialen Verhaltensweisen um zusammen oder unabhängig voneinander auftretende Verhaltensweisen handelt, wurden sie pro Kind über alle Zeitpunkte hinweg miteinander korreliert. Dabei zeigte sich, dass die Korrelationen zwischen den einzelnen Formen von prosozialem Verhalten mit zwei Ausnahmen sehr niedrig waren. Einzig die Korrelationen zwischen prosozialem Verhalten gegenüber Objekten und Zuneigung (r = .247) sowie zwischen prosozialem Verhalten gegenüber Objekten und Trösten (r = .169) erreichten ein statistisch signifikantes Niveau (p < .01). Es waren somit nur das spielerische Üben prosozialen Verhaltens an unbelebten Objekten (Stofftieren oder Puppen) einerseits und Zuneigung zeigen bzw. Trösten andererseits überzufällig häufig in derselben Einheit beobachtbar. Auffallend ist, dass sowohl Trost spenden als auch Zuneigung zeigen einen ausgeprägt sozial-emotionalen Gehalt aufweisen.

Die verschiedenen Formen prosozialen Verhaltens scheinen also weitgehend unabhängig voneinander aufzutreten. Dies unterstützt die These, dass es sich bei den verschiedenen Formen von prosozialem Verhalten nicht um Teile eines einheitlichen Konstruktes handelt, sondern um unterschiedliche Verhaltensweisen, die unterschiedliche Anforderungen stellen und unterschiedlich motiviert sind.

In einem nächsten Schritt wurde der Zeitpunkt des ersten Auftretens prosozialer Verhaltensweisen untersucht. Die Kategorie Anbieten von Objekten stellt die früheste Form dar und war bei den Kindern schon mit acht Monaten beobachtbar. Zuneigung zeigte sich im Alter von zehn Monaten, gefolgt von Assistieren mit 12 Monaten. Wiedergutmachung war erstmals mit 14 Monaten beobachtbar. In der ontogenetischen Entwicklung traten zuletzt das Trösten und das prosoziale Verhalten gegenüber Objekten auf – beide ab 16 Monaten. Ab diesem Alter konnten somit alle sechs untersuchten prosozialen Verhaltensweisen beobachtet werden.

Schließlich ImagesAbb. 1.2