Das Leben verarmt, wenn man unterm Konsequenzgebot nur das zu denken wagt, was man auch glaubt leben zu können (....)

Das Leben wird verwüstet, wenn man unterm Konsequenzgebot um jeden Preis, auch um den der Zerstörung, etwas leben will, bloß weil man es gedacht hat.

Rüdiger Safranski

Aus: Wie viel Wahrheit braucht der Mensch?

Über das Denkbare und Lebbare

Dank an

Thomas

den Entdecker meiner Dominanz

Michael

der mich in schwierigen Momenten immer wieder

inspiriert und motiviert hat, weiter zu machen und der

mir dieses wunderbare Zitat zukommen ließ

Sebastian

meinen lieben Schattenbruder und innig Vertrauten, für

das Vorwort und die Reportage über mich in der Info3,

nachzulesen im Juni - Heft mit dem Titel „Sechs Frauen

und ein Geheimnis“

meine Sklaven

deren Fantasie meine Texte so vielseitig gemacht haben

meine ganze Familie

besonders an meinen Mann, der mir immer den Rücken

freigehalten und mir Mut gemacht hat

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Sie werden in ihrem Leben nicht viele Bücher wie dieses lesen. Ich bin Journalist und habe schon einige Storys gehört und geschrieben. Ich will Ihnen sagen, warum diese anders ist als viele andere Geschichten. Es ist nicht die kaum zu steigernde Offenheit und radikale Schonungslosigkeit mit der wir durch dieses Buch in die Welt der Schmerzen, der Lust, Erniedrigung und Dominanz gestoßen werden. Es sind nicht die Tränen, die in uns aufsteigen, wenn wir von den brutalen Verlusten und immer erneuten Wunden erfahren, welche die Autorin erleiden musste. Es ist auch nicht die beneidenswert gekonnte und unterhaltsame Art, mit der Pia Barsch ihre Erlebnisse schildert. Das alles macht dieses Buch absolut lesenswert und Sie werden sich keine Minute langweilen. Aber da gibt es noch etwas. Etwas, das tiefer liegt. Etwas, das mit Schicksal zu tun hat. Würde ich kein kurzes Vorwort schreiben, sondern ein dickes Buch, dann könnte ich Sie langsam heran führen, an dieses "Etwas". So allerdings müssen Sie es nehmen, wie es kommt. Ohne Anlauf und ohne Umwege betreten wir die Welt der Mysterien:

Unsere Welt ist geteilt. Sie wurde unter Schmerzen in eine Oberwelt und eine Unterwelt zerrissen. In der Oberwelt ist es hell, man ist nett zueinander, lächelt, liebt seine Eltern und ist edel, hilfreich und gut. So wollen wir uns sehen, und so wollen wir, daß uns die Anderen sehen.

In der Unterwelt ist es anders. Wenn die Nacht kommt, kommen die Dämonen der Panik, der existenziellen Unsicherheit, der maßlosen Wut und der grinsenden Gier. In der Unterwelt sind wir nicht nett, freundlich und gut gelaunt. Wir haben Angst vor peinlichem Versagen, gieren nach Orgien der Lust und weinen Tränen der Einsamkeit. Das alles wollen wir nicht unter der Sonne sein, und verdrängen es unter den Mond. Jeder hat einen Schatten, den er vor der Welt zu verstecken versucht. Jeder. Auch ich. Auch Sie!

In Urzeiten war die Welt nicht geteilt, sondern eins. Sie war nicht böse, nicht gut. Die Trennung war nötig, die Welt brauchte diese Urteilung, denn nur durch sie kam der Urschmerz in die Welt, und somit in jeden von uns. Die größte Sehnsucht der auseinander gefallenen Welt, ist es wieder zueinander zu finden. Die verlorenen Geschwister wollen sich nach ewigen Zeiten wieder begegnen und umarmen, sie sehnen sich nach gegenseitiger Anerkennung und Liebe, sie wollen sich nichts mehr vorspielen, sondern sich sagen, daß sie nun wissen, daß der Eine den Anderen trägt.

Es gibt Menschen, die arbeiten an dieser großen Heilung. Die Autorin dieses Buches ist eine von ihnen. Sie ist ein Wanderer zwischen den Welten. Sie kennt beide, liebt beide, lebt in beiden und verbindet sie mit jedem Grenzübertritt. Durch ihr Handeln, faßt sie Dinge in einem Bild zusammen, die schmerzhaft entzweit sind, die wir nicht zusammen sehen können und wollen. Sie versöhnt die auseinander gefallenen Welten dadurch, dass sie mit verwundeten Menschen aus verschiedenen Welten verwächst. Damit Verwundete aus allen Welten an sie anwachsen können, sich gemeinsam an einen reinigenden Blutkreislauf anschließen können, muß sie selber immer wieder zur Wunde werden. Dieses Opfer bringt sie - mit einem wundervollen Lachen.

Vielleicht gehören Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch zu diesen modernen Heilern. Vielleicht wollen Sie ein Teilnehmer an diesem Prozess sein. Wenn Sie dieses Buch lesen, ohne endgültige Verurteilung, wenn sie das Leben in seiner verstörenden Widersprüchlichkeit gelten lassen können, wenn Sie in ihrem Herzen die Sehnsucht der Ober, - und der Unterwelt spüren, wieder zu einem Ganzen zu werden, wenn Sie auf ihren eigenen Schatten und auf den dunklen Bruder ihrer Nächsten mit Verständnis und Liebe schauen, dann gehören Sie vielleicht auch dazu. Willkommen im ganzen Leben... Wir brauchen Sie...

Sebastian Gronbach, September 2005

Journalist der Zeitschrift Info3

Aufbruch

Die Sonne schien auf mein Bett. Alles war still. Durch die Helligkeit konnte ich im ersten Moment nicht erkennen, wo ich war, doch dann sah ich meinen Morgenmantel am Fußende des Bettes und erinnerte mich. Ich war im Krankenhaus und musste nach der Operation noch einmal eingeschlafen sein. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich auf das Zimmer geschoben wurde. Mein rechter Arm ruhte auf einem dicken Kissen, aus dem Verband ragten zwei Schläuche, aus denen Blut und Wundflüssigkeit tropfte. Der Arm lag wie unwirklich da, nicht zu mir gehörig, ich konnte ihn nicht bewegen. Kein Gefühl war in ihm. Als ich die Hand auf die Augen legen wollte, weil mich die Sonne blendete, bemerkte ich, dass meine linke Hand, an der eine Infusion hing, festgebunden war.

‚Lass die Augen einfach zu und schlaf weiter’, dachte ich, ‚es ist alles so leicht, so friedlich, schmerzlos. ’ Diesen Moment der Schmerzlosigkeit genießen! Ich weiß noch, dass ich dachte, ich müsse mir gut merken, wie sich das anfühlt. Wenn ich auch nie mehr schmerzfrei sein werde, dann will ich doch die Erinnerung daran haben, wie es ist, keine Schmerzen zu haben. Das waren also die ersten Knochen, die ich an die Krankheit verloren habe’, durchfuhr es mich. Eine tiefe Mattigkeit legte sich auf mich und mein Unglück lastete schwer auf mir.

* * *

Ein Jahr war es nun her, als ich die Diagnose bekommen hatte. Sie traf mich wie ein Schlag und in Sekunden sah ich damals das ganze Leben und Leiden meiner Schwester wie einen Film vor mir ablaufen. Ihren Kummer, ihre Schmerzen – und nun hatte ich es auch!

Mein Arzt sah sehr besorgt drein, denn so einen hohen Wert hätte er selten gesehen, sagte er. Unaufhörlich starrte er auf das Krankenblatt, er konnte mir nicht in die Augen sehen. Auch meine Schwester hatte er behandelt und ihm war klar, dass ich wusste, wie die nächsten Jahre ablaufen würden. Seine Beschwichtigungsversuche, dass diese Form des Rheumas nicht die sei, die meine Schwester gehabt hatte, weil man die mit 40 Jahren nicht mehr in der Form bekommen kann, beruhigte mich nicht.

Meine innig geliebte Schwester war nach langen Jahren des Leidens nicht an Rheuma, sondern an einer Grippe gestorben, die ihr ausgemergelter Körper nicht mehr bewältigen konnte. Obwohl sie sehr krank gewesen war, starb sie für uns alle unvorbereitet und plötzlich. Am Abend vorher hatten wir miteinander telefoniert. Ihre leise Stimme war kraftlos und sie erzählte mir, wie schlecht es ihr mit dem Fieber ging und dass sie nicht mehr könne. Ich bezog das auf unser Telefonat, allerdings hatte sie das Leben, den Kampf mit ihrer Krankheit gemeint.

Wie betäubt fuhr ich nach dem Arztbesuch nach Hause. Ich konnte noch nicht einmal weinen. Daheim schaute ich mir meine Hände an. Die Gelenke waren dick geschwollen und heiß und das Musizieren war nicht mehr ohne Schmerzen möglich. Morgens aufzustehen war eine Qual. Es war unglaublich schmerzhaft, die Gelenke beweglich zu machen. Jeden Morgen brauchte ich eine lange Zeit, bis ich mit meiner Arbeit beginnen konnte.

* * *

Ein leichtes Kribbeln war nun im Arm zu spüren, die Narkose ging also zurück. Der Arzt hatte mir mehrmals eingeschärft, sofort zu rufen, wenn die Schmerzen anfingen, denn ich bräuchte einen Schmerztropf. Diese Operation sei dafür bekannt, sehr starke Schmerzen zu verursachen. Ich bat meine Zimmergenossin, den Arzt zu informieren. Doris sah meiner Schwester ähnlich. Sie war groß und eher dünn als schlank. Dunkle lange in fettigen Strähnen herunterhängende Haare, eine spitze Nase und dieser phlegmatische Blick, den meine Schwester auch gehabt hatte, und der mich stets an „Ich habe aufgegeben!“ erinnert.

Doris hatte ebenfalls Rheuma und war einen Tag vor mir an den Gelenken operiert worden. Ihr wurden die krummen Finger wieder begradigt und das entzündliche Material an den Gelenken abgeschält. Ich hatte mich gestern um sie gekümmert und sie versprach, mir ebenfalls zu helfen, nachdem ich operiert worden war. Ich war froh, jemanden wie sie mit im Zimmer zu haben, mit dem ich reden konnte. Sie hatte jede Menge Bücher dabei, da sie Buchhändlerin war. Nur, wir waren so damit beschäftigt miteinander zu reden, dass ich nicht daran dachte, in ihrer großen Reisetasche zu wühlen und mir ein Buch auszusuchen. Bei den Gesprächen über unser Leben hatte ich oft bei mir gedacht: ‚Sie lebt in ihren Büchern, in dem, was sie liest und nicht real. ’

Sie liebte, wie meine Schwester und ich auch, Gedichte und als es ihr am Tag zuvor so schlecht gegangen war, hatte ich ihr welche aufgesagt. Sie liebte Goethe. Dass ich ihr Lieblingsgedicht „An den Mond“ auswendig kannte, empfand sie als einen Wink des Schicksals. Sie ließ es sich mehrmals vortragen, als sie am Abend deprimiert im Bett lag, weil ihr die Ärzte keine guten Nachrichten brachten. Sie lag mit geschlossenen Augen da und als ich mit leiser Stimme begann, holte sie tief Luft und lächelte leicht.

Füllest wieder Busch und Tal

Still mit Nebelglanz,

Lösest endlich auch einmal

Meine Seele ganz.

Breitest über mein Gefild

Lindernd deinen Blick,

Wie des Freundes Auge mild

Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz

Froh- und trüber Zeit,

Wandle zwischen Freud' und Schmerz

In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluss!

Nimmer werd' ich froh,

So verrauschte Scherz und Kuss,

Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,

Was so köstlich ist!

Dass man doch zu seiner Qual

Nimmer es vergisst!

Rausche, Fluss, das Tal entlang,

Ohne Rast und Ruh,

Rausche, flüstre meinem Sang

Melodien zu,

Wenn du in der Winternacht

Wütend überschwillst,

Oder um die Frühlingspracht

Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt

Ohne Hass verschließt,

Einen Freund am Busen hält

Und mit dem genießt.

Was, von Menschen nicht gewusst

Oder nicht bedacht,

Durch das Labyrinth der Brust

Wandelt in der Nacht.

„Dass du das kannst … das ist herrlich! Es ist so ein langes Gedicht, mir würde es schon schwerfallen, eine Strophe aufzusagen. Bitte sage es noch einmal!“, bat sie voller Bewunderung und ich wiederholte es gern.

* * *

„Na, wie geht es unserer Musikerin? Ich habe vom operierenden Arzt gehört, dass alles gut gelaufen ist und die umliegenden Handknochen und das Handgelenk nicht betroffen waren. Es waren keine entzündeten Stellen zu erkennen. Das ist doch eine gute Nachricht, oder nicht?“, plapperte mein Arzt „Ich habe übrigens Ihre CD gehört, sie hat mir gut gefallen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bald wieder spielen können und wenn Sie Ihr nächstes Konzert geben, will ich eine Einladung!“ Dabei grinste er über beide Ohren.

„Die Schmerzen beginnen und der Verband drückt sehr“, sagte ich. Der Unterarm war bedenklich dick und dunkelblau geworden.

Er schnitt kurzerhand den Verband auf und drückte den Gips auseinander. Auf der Wunde lag nur noch ein Stück Mull und man konnte gut den S-förmigen Einschnitt in der Haut über dem Handgelenk sehen.

„Ich schicke gleich die Schwester mit dem Tropf. Ich habe schon leckere Sachen für Sie zusammengemixt. Die OP hat's in sich!“ versprach er, und war wieder verschwunden.

Ich wartete. Die Schmerzen krochen langsam in den Arm. Von da aus breiteten sie sich aus. In jeden Finger und über den Oberarm bis hinauf in den Hals. Ein hämmernder und stechender Schmerz war das. Draußen hörte ich die Schwester laufen, doch vor der Tür schien ihr jemand zu begegnen, denn sie vertiefte sich in ein Gespräch. Das Gespräch sollte wohl länger dauern, weil sie keine Anstalten machte ins Zimmer zu kommen. Inzwischen waren die Schmerzen fast nicht mehr auszuhalten.

In meiner Fantasie stand jemand neben meinem Bett und schlug mit einem großen Hammer immer und immer wieder auf meinen Arm und ein zweiter stach zwischendurch mit einem Messer in mein Handgelenk. Solche Schmerzen hatte ich noch nie in meinem Leben gehabt. Ich hatte vier Kinder geboren, nur so etwas noch nie erleben müssen.

Panik kroch aus dem Bauch in meine Brust, nahm mir die Luft, und die Schmerzen die Sinne. Mit dem Bild meiner Zukunft vor Augen stieß ich einen langen durchdringenden verzweifelten Schrei aus.

Für den Rest des Tages und die halbe Nacht nahm ich nichts mehr wahr. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Doris saß auf meinem Bett und sah mich mitleidig an. „Du weinst seit Stunden und ich kann nicht schlafen!“, sagte sie sanft, allerdings ohne einen Vorwurf. „Tut mir leid, das wollte ich nicht!“, antwortete ich matt.

„Ist es wegen der Schmerzen?“

„Nicht nur. Ich habe Angst vor der Zukunft. Jeden Tag sehe ich mir meine Hände und Füße an, wie sie sich verändern und allmählich beginnen, wie die meiner Schwester aussehen. Ich würde diese Veränderungen so gerne stoppen.“

„Ja, ich auch. Glaub mir das, alles um mich herumgeht, und das Einzige was bleibt ist die Krankheit.“ Doris sagte es leise.

„Oh, das ist so schrecklich bitter und aussichtslos.“

„Hast du gehört, was der Arzt gesagt hat, du kannst wieder spielen!“, versuchte Doris mir Hoffnung zu machen.

„Das weiß ich nicht. Fünf Ärzte waren bei mir und haben mir eine neue Methode angepriesen, weil ich dabei keine Bewegungseinschränkungen zu befürchten hätte. Sie nehmen einfach die vier Knochen der unteren Handwurzelreihe heraus. Als ich fragte, was sie stattdessen einsetzen, antworteten sie: ’nichts’. Sie wüssten auch nicht so genau wie das funktioniert, allerdings hätten sie es bei Musikern schon gemacht. Ich sollte mich für diese OP entscheiden, ohne zu wissen was mich erwartet, und ohne eine erschöpfende Antwort!“

„Und was wäre die Alternative gewesen?“ nahm Doris Anteil.

„Sie wollten mir die beiden kaputten Knochen entfernen, aus dem Becken Knochenstücke bohren und ins Handgelenk einsetzen, das Ganze verdrahten und versteifen. Ich hätte die Hand nicht mehr neigen können, allerdings besäße ich noch die Kraft, die ich vorher hatte. Ich hätte nur nie mehr spielen können!“

„Stimmt, das ist eine Entscheidung ins Ungewisse gewesen.“

„Ich habe erst nach dem Tod meines Sohnes Felix angefangen Gitarre zu spielen. Ich habe mich förmlich an ihr festgehalten. Tagelang habe ich nur gespielt. Traurige Lieder, bei denen ich weinen konnte. Es war wie ein Vermächtnis von Felix an mich, verstehst du? Ich habe so viel erreicht als Orchestermusikerin! Dann die Krankheit – was bleibt, wenn ich nicht mehr spielen kann?“

„Ich weiß.“

„Und dann die Schmerzen gestern nach der Operation. Furchtbar!“

„Die Schwester hat einen Anschiss bekommen, weil sie den Tropf zu spät angehängt hat.“

„Ach, die Arme, dabei hat sie mir sehr geholfen. Die Schmerzen haben mir klargemacht, dass ich meine Krankheit nicht hinnehmen will. Ich muss das alles hier irgendwie stoppen, egal wie!“

„Das geht nicht.“ Doris war sehr überzeugt.

„Egal! Wenn ich es nicht versuche, lande ich als verbitterte alte Kuh im Rollstuhl. Das kann ich niemandem zumuten. Und wenn ich es nicht schaffe, dann tröste ich mich damit, dass ich es wenigstens versucht habe.“ Ich war kämpferisch aufgelegt.

„Ich bin schon viel länger krank als du. Ich habe auch viel versucht und nie hat etwas geklappt. Ich habe mich damit abgefunden und es wäre besser, wenn du das auch tun würdest!“, fand Doris.

„Mich abfinden? Spinnst du? Niemals!“

„Hast du schon eine Idee?“

„Ja, mir hat schon einmal eine Psychotherapie das Leben gerettet. Ich werde einfach noch einmal eine machen. Ich will damit beginnen, mir alles von der Seele zu reden. Alles, über den Tod meines Kindes, den meines Vaters und meiner Schwester, einfach alles. Es wird mir leichter werden, das weiß ich!“

* * *

Die letzte Therapie hatte ich bei einem Mann gemacht. Bei ihm habe ich fast drei Jahre lang dreimal in der Woche auf der Couch gelegen und meine schreckliche Kindheit betrauert und verarbeitet. Diesmal wollte ich zu einer Frau.

Frau Dr. Singer war in meinem Alter, verheiratet und sie hatte einen Sohn. Ich fand, das passte gut, sie war mir sofort sympathisch.

Ich erzählte ihr alles vom Tod meines Kindes, meiner Krankheit und meiner Schwester. Oft saß sie vor mir und schüttelte den Kopf.

„Wie haben Sie das alles nur ausgehalten?“, fragte sie mich mit großen Augen. Mir tat es sehr gut zu sehen, wie sie meine Berichte schockierten. Dafür, dass sie beruflich Tag für Tag die unglaublichsten Lebenssituationen ansehen musste, berührte sie meine Geschichte stärker, als ich das für üblich hielt.

Ich erzählte Frau Dr. Singer, dass ich während der Trauerphase um meinen Sohn ein Tagebuch geführt hatte, und sie bat mich darum, es mitzubringen.

Die darauf folgende Woche bis zum nächsten Termin verbrachte ich damit, das Tagebuch zu lesen und dabei heftig zu weinen. Erinnerungen kamen hoch, bereits vergessene Einzelheiten. Beim Lesen fragte ich mich auch oft – wie hatte ich das nur alles ertragen?

Bei meinem nächsten Besuch bei Dr. Singer überreichte ich ihr das Heft.

Trauerbuch

Der Schrei zerriss alles. Er zerriss alles vom Herzen bis in den tiefsten Grund meiner Seele. Blankes Entsetzen und qualvolle Schmerzen machten mir klar: Jetzt ist es passiert!

Ich wusste sofort, was geschehen war, denn meine heimliche Angst und meine furchtbaren Ahnungen hatten es mir vorausgesagt. Dieses nagende, unerschütterliche Gefühl, das ich nie loswurde. Hätte mein Verdrängungsmechanismus nicht immer wieder so gut funktioniert, so hätte ich es als tiefe Gewissheit in mir getragen, dass mein Sohn Felix stirbt.

Ich rannte in Felix' Zimmer, sah Robert, wie er das tote Kind wieder ins Bett legte, und hörte wie er schrie, immer wieder schrie:" "Mein Baby ist tot, mein Baby ist tot." Er schrie aus Verzweiflung und Nicht-Wahrhaben-Wollen. Vor dem Bett hielt ich für den Bruchteil einer Sekunde inne, um die Endgültigkeit aufzuhalten, aber da hatte ich den Säugling schon aufgenommen und den Tod in meinen Händen gespürt. Steif und kalt fühlte er sich an. Angeschrien habe ich Felix, er solle doch aufwachen. Ich glaubte zu spüren, dass er mich noch hörte.

Die ersten Fragen, die wie ein Blitz durch mich schossen, waren: Ist er erstickt? War ich schuld? Denn ich hatte ihn zuvor ins Bett gelegt. Der herbeigerufene Notarzt konnte mir diese Frage nicht eindeutig beantworten, deshalb verbrachte ich die erste Nacht mit diesem unsinnigen Schuldgefühl.

* * *

Traum (etwa vier Wochen nach seinem Tod)

Ich komme in einen Raum. In diesem Raum ist nichts. Keine Wände, keine Fenster, nur eine Tür. Auch Robert sehe ich nicht, ich spüre aber, dass er hinter mir in den Raum tritt. Als ich mich umschaue, erkenne ich in einiger Entfernung die Wippe von Felix. Sie steht im Nichts. Als ich zögere, sehe ich aus dem Nichts einen Arm erscheinen, der die Geste macht, doch näher zu treten. Das Verlangen, Felix anzusehen, überkommt mich, und ich gehe auf die Wippe zu. Unbändige Freude wühlt mich auf, denn er ist es tatsächlich! Er liegt in seiner Wippe und schaut mich fragend an. Er schaut mich an, wie immer, wenn er mir bei meinen täglichen Arbeiten im Haushalt zusieht.

Eine Stimme sagt mir, ich solle ihn anfassen. Kurz überlege ich, ob ich es tun soll, denn ich spüre große Angst, die Angst, wieder nur den Tod in meinen Händen zu fühlen und nicht ihn, meinen geliebten Felix. Irgendwie überwinde ich mich doch, gebe mir einen Ruck und fasse ihn an. Ich berühre seinen Arm, dann seine Fingerchen. Sie sind ganz warm und weich, so wie immer. Die Fingerspitzen fühlen sich etwas kühler an, aber nicht tot. Ich denke daran, dass er, als er noch lebte, oft kalte Hände hatte.

Der Traum endet jäh, als ich Felix auf den Arm nehmen will.

Der Tag, an dem die Welt auseinanderbrach

Sophia war die Erzieherin meines Sohnes Alexander im Waldorfkindergarten. Dort war es üblich, Hausbesuche zu machen und so kam sie an diesem Nachmittag zu uns. Sie wollte Alexanders Zimmer besichtigen und wir gingen alle nach oben. Dort konnte ich mich nur sehr schlecht auf das Gespräch konzentrieren. Nach einer Weile wurde ich ganz unruhig.

Ich hatte das Gefühl, als schaue jemand von draußen in das Zimmer herein. Auch auf die Gefahr hin, unhöflich zu sein, musste ich mich einige Male umdrehen und unaufhörlich aus dem Fenster in die Dunkelheit spähen. Obwohl ich draußen niemanden sah, spürte ich sehr intensiv, dass jemand hereinblickte. Später las ich einmal in einer anthroposophischen Schrift, dass die Seelen niemals wieder so intensiv gespürt werden können wie im Moment des Todes eines nahen Angehörigen.

Ich hatte seinen Abschied gespürt. Er verabschiedete sich und ich bemerkte es in diesem Moment gar nicht richtig. Auf einmal konnte ich die Unruhe nicht mehr aushalten und bat Robert, nach Felix zu sehen.

Dann hörte ich den Schrei, der mein ganzes Leben verändern sollte.

Alle rannten wir in das Zimmer, auch die Kinder und standen vor dem Bettchen. Wäre Sophia nicht da gewesen, wären die Kinder dem, was dann kam, schutzlos ausgeliefert gewesen, denn weder ich noch Robert waren in der Lage, etwas von dem großen Schmerz aufzufangen, der auch sie traf.

Lange danach hatte ich das Gefühl, Felix hatte sich, der Geschwister wegen, diesen Termin ausgesucht, um gehen zu können.

Wir waren zuerst wie gelähmt. Gedanken rasten durch meinen Kopf und ich konnte sie unmöglich aufhalten. Immer wieder fragte ich Robert, ob ich schuld sei, denn ich hatte ihn ja hingelegt und vielleicht zu fest zugedeckt. Robert sagte noch, sein Köpfchen habe sich ganz unter der Decke befunden. Ich war kurz vor dem Durchdrehen.

Robert rief den Notarzt, obwohl wir beide sahen, dass nichts mehr zu machen war. Kurze Zeit später war die Polizei da, dann der Krankenwagen. Die Sanitäter schauten zwar nach Felix, taten aber nichts.

Als der Arzt eintraf, begann er mit Wiederbelebungsversuchen. Erst als er Felix' Mund nicht mehr aufbekam, um den Atmungsschlauch zu legen, wollte er begreifen, dass dieses Kind gestorben war. Fassungslos stand er vor dem Bettchen und stammelte: "Das Kind ist leider tot, das tut mir so furchtbar leid. Aber sehen Sie, keine Reaktion mehr und die Totenstarre hat schon eingesetzt!"

Einer der Sanitäter sagte mit einem strengen Blick zu mir: "Ist ja auch ganz klar... Bauchlage!" "Halten Sie doch den Mund!", befahl ihm der Arzt, aber da war es schon geschehen: Der Sanitäter hatte mir mit seiner Bemerkung ein gewaltiges Schuldgefühl tief in den Bauch gerammt.

Robert nahm mich in den Arm. Wie er das schaffte, ist mir ein Rätsel, denn ich war nicht in der Lage, irgendjemanden zu trösten. Dann sagte der Arzt, er müsse Felix untersuchen, um eventuell eine Todesursache feststellen zu können und sie in den Totenschein einzutragen.

Zusammen zogen wir Felix aus und sahen ihn uns an, dabei fühlte ich seinen noch warmen Körper. Selbstverständlich konnte der Arzt nichts feststellen. In den Totenschein trug er als Todesursache den "plötzlichen Krippentod" ein.

Einer der Polizeibeamten bat den Arzt hinaus. Obwohl der Arzt einen natürlichen Tod bescheinigte, sagte er, die Kriminalpolizei müsse benachrichtigt werden. Der Arzt war entsetzt und ich auch. Heute weiß ich, dass ich mir lieber die Hände abhacken ließe, als noch einmal den Notarzt zu rufen.

Später, im Wohnzimmer, versuchte der Arzt, einen Pfarrer aufzutreiben, weil er hoffte, uns damit einen Gefallen zu tun, oder weil er sich damit überfordert fühlte, uns zu trösten.

Kurze Zeit später kam eine Pfarrerin, die bei uns in der Nähe wohnte. Sie setzte bei den Beamten durch, dass wir noch eine kurze Weile mit Felix alleine im Zimmer bleiben durften. Sie wickelte ihn in eine Stoffwindel und in seine Decke und legte ihn mir in den Arm. Da stand ich nun mit einem toten Kind auf dem Arm und konnte nichts tun. Die Pfarrerin nahm Fußabdrücke von Felix und fotografierte ihn, während Robert ihn auf dem Arm hatte.

Später sprach sie ein Gebet, in dem sie ihren Glauben an Gott in Frage stellte und ihn tatsächlich nach dem Sinn fragte. Beim "Vater unser" sprach ich mit, ich wusste aber eigentlich nicht, was das sollte, denn ich war genauso sauer auf den "lieben Gott" wie offenbar die Pfarrerin auch.

Als die Kriminalbeamten kamen, forderten sie uns auf, das Zimmer zu verlassen. Sie wollten es durchsuchen, das Kind anschauen und wir sollten anschließend noch befragt werden.

Entsetzt fragte ich den Beamten, was sie denn suchten, worauf er antwortete: "Medikamente, Spritzen usw.!"

Als er sagte, dass Kind müsse in die Gerichtsmedizin, weigerte ich mich, die Zustimmung zu erteilen, worauf der Beamte diesen vernichtenden Satz sagte: "Dann wird die Leiche beschlagnahmt."

Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Da wurde es mir klar: Wir waren zunächst einmal verdächtig, schuld am Tod unseres Babys zu sein!

* * *

Raum und Zeit verschwinden mit meinem Sohn zusammen. Vor seinem Mund und seiner Nase bilden sich keine Atemwölkchen mehr. Meine verflüchtigen sich, bei ihm ist nichts zu sehen. Es ist kalt im Leichenhaus, aber ich spüre davon nichts, schaue ihn nur an und warte auf ein kleines Atemwölkchen. Seine Händchen sind weiß wie Schnee, es fühlt sich an wie kalter Marmor. Ihn aufnehmen und wegrennen, so schnell es geht. Keiner darf uns finden. Das "Und dann?" schießt mir in den Kopf, dann schüttelt mich die Leere. Nach Hause fahren, denn das Warten ist sinnlos, aber ich kann nicht aufstehen, ich sitze wie festgeklebt. In Gedanken brülle ich ihn an: "Warum hast du mir das angetan?" Es kommt keine Antwort, kein Zeichen, nichts.

Die Befragung oder das Verhör war für mein Empfinden recht kurz, dafür sehr bürokratisch. Heute denke ich, man hätte das einen Tag später ebenfalls noch machen können. Der Beamte schrieb alles auf, er fragte uns aus, was Felix gegessen hätte, ob er Medikamente bekommen habe und ob er krank gewesen war.

Zwischendurch kam Alexander zu mir und fragte mich: "Mama, hast du was gemacht? Der Mann hat eine Pistole."

Ich wusste nicht, weshalb ich weiter atmen konnte, als sie mein Baby in eine Plastikhülle steckten und ich hasste mich dafür, weil ich es weiterhin tat.

Der Arzt sagte dem Kriminalbeamten: "Lassen Sie sie doch um Gottes Willen nicht dabei zusehen!", und ich dachte: 'Was kann ich noch alles ertragen, bis ich verrückt werde?'

Da kam die Bestatterin ins Zimmer und nahm das kleine Bündel vorsichtig mit der Tüte um ihn herum. Sie legte ihn in den weißen, kleinen Sarg und trug ihn hinaus. Ich schaute meinem toten Baby nach und konnte nicht glauben, was ich sah.

Plötzlich waren alle weg. Felix, die Polizei, der Arzt und die Pfarrerin. Zusammengesunken saßen wir, Robert und ich, auf unserer Couch und überlegten, was eigentlich geschehen war. Ich fühlte mich sehr einsam. Auch als sich die Kinder und Sophia zu uns gesellten, fühlte ich mich einsamer als jemals zuvor in meinem ganzen Leben.

Alle zusammen unterhielten wir uns über den Abend. Die Kinder wollten so vieles wissen, und obwohl mir, dass alles viel zu viel war versuchte ich, die Fragen zu beantworten, für die ich doch selbst keine Antwort finden konnte. Sophia nahm es uns ab, Alexander ins Bett zu bringen. Meine Tochter Sonja saß noch lange still neben mir.

Wie gelähmt und bleischwer fühlte sich mein Körper an, ich war unfähig mich zu bewegen. Ich fühlte plötzlich, wie sich ein dicker zäher Nebel um mich legte. Ich nahm alles nur noch aus der Ferne wahr, fast wie in Trance.

Sophia wollte nicht mehr nach Hause fahren und verbrachte die Nacht bei uns. Als ich mich aufraffte, ins Bad zu gehen um mir die Zähne zu putzen, lag auf der Wäschetruhe ein Zettel von ihr, darauf stand: "Ihr könnt niemals tiefer fallen als in Gottes bergende Hände."

Und im Badezimmer fand ich ein Gedicht von Rainer Maria Rilke vor:

Welkes Blatt

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde

aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.

In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Immer, wenn ich die Augen schloss, sah ich Felix Gesichtchen und die Ereignisse des Abends. Ich hatte Angst.

Von dem Medikament, das mir der Arzt zum Abstillen verschrieben hatte, wurde mir übel und schwindlig. Das Flimmern vor den Augen wurde immer schlimmer. So stand ich auf und lief zwischen Bett und Toilette hin und her. Die Kinder und Robert schliefen. Ich spürte den Drang, Robert aufzuwecken, ihn anzuschreien: "Wie kannst du jetzt schlafen?"

Worüber war ich ärgerlicher? War es schlimmer, dass Felix gegangen war oder dass ich zurückblieb?

Während einer Minute dieser Nacht dachte ich an Selbstmord. Nichts mehr spüren, nur alles wegwischen, flüchten. Allerdings war auch sofort der andere Gedanke da: Nein, ich will es aushalten, ich will leben. Was mich dazu brachte weiterzumachen, weiß ich nicht.

* * *

Am nächsten Morgen stand ich auf, wusch mich und fragte mich bei allem was ich tat, nach dem Sinn. Hatte es überhaupt einen Sinn, mich zu waschen? Hatte es einen Sinn aufzustehen?

Meine Brust brannte, sie war schwer und heiß. Wohin nur mit meiner Milch? Ich sehnte mich nach dem Saugen von Felix. Auch wenn er manchmal etwas unsanft gewesen war, sehnte ich mich nach dem Schmerz. Eine unsagbare Schwere überkam mich, als ich die Milch in das Auffangglas der Milchpumpe fließen sah. Wie lange ich vor diesem Glas Milch saß, weiß ich nicht mehr. Irgendwann raffte ich mich auf und wollte sie in den Ausguss schütten. Ich konnte es nicht. Meine Hand zitterte heftig, ein bisschen Milch schwappte deshalb in den Abfluss.

Tränen liefen mir über das Gesicht. 'Wie gut, dass mich meine Tränen streicheln', dachte ich. Immer wieder unternahm ich einen neuen Anlauf, die Milch in die Spüle zu gießen, es ging einfach nicht. Zwei widerstrebende Gefühle kämpften in meinem Arm, der irgendwann so verkrampft war, dass ich die rechte Hand dazu brauchte, um das Glas zu lösen. Was mache ich hier?

Ich entschloss mich, die Milch in Felix' Teeflasche zu gießen und in seinen Sarg zu legen. Als die Flasche voll war, gab ich meinen beiden Kindern und Robert davon zu trinken.

* * *

Das zitternde krampfartige Weinen macht es mir sehr schwer, ihm kleine Blümchen in die Fäustchen zu schieben. Auf keinen Fall will ich ihn irgendwie verletzen. Die Flasche mit meiner Milch ist noch ganz warm. Auf dem Weg hierher wärmte ich die Flasche unter meinem Pullover direkt an meinem Bauch. Jetzt lege ich sie ihm dicht an seinen Kopf und sage: „Damit du was zu trinken hast, wenn du aufwachst." Wie dumm ich doch bin, Tote wachen nie mehr auf! Warum vergesse ich das immer wieder? Ich denke an Sonjas Sarg, den sie aus Knetmasse gearbeitet hatte. Auf seine Decke soll ich ihn legen, und darauf achten, dass der Sargdeckel daneben liegen bleibt. Der Sarg war ganz klein. Mit unglaublicher Geduld muss sie Felix darin erschaffen haben, denn ich glaube ihn zu erkennen.

Teddy findet auf der anderen Kopfseite seinen Platz. Er tut mir leid. Ich stelle mir den Weg vor, den er mit Felix gehen wird. Die Feder ist von Alexander, ich lege sie auf Felix' Brust. Warum hat es mir meine Familie überlassen, Felix ein letztes Mal zu beschenken?

* * *

Die Zeit bis zur Beerdigung verbrachte ich damit, Felix zu suchen. Oft glaubte ich, ihn schreien zu hören. Ich rannte hoch, um nach ihm zu sehen, und jedes Mal schoss mir die Milch ein.

Gegen Mittag kam der Anruf von der Polizei. Der Beamte solle mir ausrichten, sie hätten nichts gefunden. Er wollte sich sofort wieder verabschieden. Ich konnte ihn allerdings noch fragen, ob Felix erstickt sei. Worauf er antwortete, ich solle mir das so vorstellen, als wenn einfach das Herz stehen bliebe. Aus!! Keine weiteren Erklärungen, er hatte einfach aufgelegt. Einige Tage später kam ein Umschlag, in dem sich mein Mutterpass und Felix' Vorsorgeheft befanden, sonst nichts.

Ich suchte verzweifelt nach einem Brief, in dem stünde, dass ich am Tod meines Sohnes unschuldig war, und nach einer Entschuldigung der Polizei für diese unglaubliche Verdächtigung gegen uns. Nichts, es war sonst nichts dabei.

Die Tage bis zur Beerdigung verbrachte ich damit, zwischen Leichenhalle und Wohnung hin- und herzufahren. Vor dem Sarg kniend, Felix streichelnd, konnte ich doch nicht wirklich annehmen, dass er es war, der dort lag. , Er ist es nicht, er ist einfach nicht mehr da', dachte ich. Das Kind im Sarg sah nicht aus wie mein Felix. Ähnlichkeiten bemerkte ich zwar, aber jede Sekunde entfernte mich mehr von ihm. Ich verspürte sofort den Drang, nach Hause zu fahren und Felix dort zu suchen.

Ich fuhr nach Hause, nur die Stelle, an der sein Bett gestanden hatte, war leer. Tausendmal roch ich an seinem Jäckchen, es roch nach ihm und nach meiner Milch.

Aber auch zu Hause fand ich ihn nicht. Im leeren Zimmer zermarterte ich mir den Kopf, ich versuchte Klarheit in dieses Chaos zu bringen. Und immer, wenn ich wieder Klarheit hatte, mir schmerzlich bewusstwurde, dass er tot war, fuhr ich zur Leichenhalle, um mich von ihm zu verabschieden. Immer wieder kniete ich vor dem Sarg, streichelte Felix und stellte fest, dass er es nicht war, dass Felix anders aussah. So fuhr ich wieder heim, um ihn dort zu suchen.

Meine Suche hatte am Abend ein Ende, immer dann, wenn die Tür zum Friedhof zugesperrt wurde. Jedoch am Abend, wenn ich nicht mehr suchen durfte, war mein Leben noch sinnloser, noch trauriger, immer noch viel, viel stiller.

Dieses Hin und Her den Tag über war kaum zu ertragen, weil mir unterwegs meine Hilflosigkeit und Verzweiflung bewusstwurde. So war ich zerrissen, ich hatte den ganzen Tag gesucht und doch nichts gefunden.

Einen Tag nach Felix Tod bekamen wir noch eine unglaubliche Nachricht: Die Pfarrerin, die am Abend vorher zugesagt hatte, die Beerdigung abzuhalten, sagte plötzlich ab. Sie wolle als Privatperson teilnehmen, jedoch nicht in ihrer Eigenschaft als Pfarrerin. Da wusste ich gleich, woher der Wind wehte. Felix war nicht getauft und wir keine Mitglieder in der Kirche. Ich war unsagbar traurig, weil Mitleid sowie Toleranz und nicht zuletzt Christlichkeit an der bezahlten Kirchensteuer oder am bisher praktizierten Glauben festgemacht werden. Später erfuhr ich, dass es ihr Vorgesetzter untersagt hatte.

So zog der Tod unseres Sohnes so viele Kirchenaustritte mit sich, dass ich sie kaum zählen kann. Ich war überrascht, wie viele Menschen, die ich überhaupt nicht kannte, aus meinem Bekanntenkreis und auch Fremde, mich ansprachen oder mich anriefen, um mir zu sagen, unsere Geschichte sei der letzte Tropfen auf den heißen Stein gewesen und Auslöser zu der längst fälligen Entscheidung aus der Kirche auszutreten. Das tröstete mich, auch wenn ich Felix dadurch nicht mehr zurückbekam.

* * *

Die Dame vom Beerdigungsinstitut wollte uns helfen und schlug vor, einen freien Redner zu engagieren. Uns war das allerdings zu unpersönlich. Wir waren uns auch gleich einig, es dann lieber selbst zu machen.

Nachdem Sophia den ganzen Tag versucht hatte, einen Pfarrer aus ihrem Freundeskreis zu finden, entschloss sie sich, die Leitung der Beerdigung selbst in die Hand zu nehmen. Wir waren erstaunt und froh, diese anfallende Arbeit zumindest teilweise abgeben zu können.

Am nächsten Nachmittag trafen wir uns zum Gedankenaustausch. Die Kinder waren auch dabei, weil wir es für sehr wichtig hielten, sie an der Ausrichtung der Beerdigung ihres Bruders zu beteiligen.

Obwohl mir sehr schwer ums Herz war, empfand ich diesen Nachmittag als wohltuend und herzlich, nicht zuletzt deshalb, weil ich für einige Stunden nicht mehr den Zwang hatte, Felix zu suchen und diesen wahnsinnigen Kreislauf zwischen Wohnung und Friedhof aufgab.

* * *

Seit die Kälte in mir hochkriecht, muss ich nicht mehr suchen. Seit ich nicht mehr suchen muss, sitze ich hier und warte. Habe ich begriffen, dass er tot ist, seit ich nicht mehr suche? Nein, ich sitze nicht hier, weil ich warte. Ich sitze hier und passe auf Felix auf, es muss alles in seinem Sarg bleiben. Keiner darf irgendetwas verändern oder wegnehmen. Ein einziges Mal noch auf ihn aufpassen. Die Kälte ist jetzt an meinen empfindlichen Nieren, nur das ist mir egal. Sollen sie doch bleiben wo der Pfeffer wächst. Und wieder legt sich die mir wohl bekannte und fast vergessene eisige Eisenhand aus meiner Kindheit um meinen Hals und drückt zu.

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Die organisatorische Arbeit tat uns allen gut. Sophia sagte nach diesem Nachmittag: "Wir haben ein richtig schönes Fest vorbereitet."

Ich begann wie wild Kuchen zu backen. Obwohl sich mir immer wieder der Gedanke aufdrängte, es habe ja doch alles keinen Sinn, konnte ich nicht aufhören. Es war, als wenn ich mich daran festhielte.

Robert klapperte die Blumenläden der Stadt ab und kaufte Lebensmittel für den Besuch, der zur Beerdigung kommen wollte. Der Drang zu telefonieren nahm ab. Bis dahin hatte ich mindestens zwanzig Leute angerufen und jedem diese unglaubliche Situation erzählt. Jedes Mal beruhigte mich das Entsetzen der Menschen, weil ich das Gefühl hatte, nun doch nicht verrückt zu sein. Es nahm alle so mit. Nach jedem Telefonat hatte ich stärker das Gefühl, dass mir alle Menschen beim Tragen helfen.

Nachdem ich alles Mehl, die Butter und alle Eier verarbeitet hatte und es auch zu dunkel war, um noch einmal in die Leichenhalle zu fahren, begann wieder so ein furchtbar einsamer stiller Abend. Nichts zum Festhalten, kein Besuch, keine Hilfe, kein Schutz. Ich spürte einen kleinen Vorgeschmack auf die Zeit, die noch vor uns lag, sobald die Beerdigung vorbei war.

Einmal kam Besuch. Ich hatte meine Hebamme Christine angerufen, weil ich Probleme damit hatte, abzustillen und das Medikament dafür nicht vertrug. Sie riet mir, es sofort abzusetzen und zu ganz einfachen Methoden zu greifen. Sie untersuchte meine Brust, pumpte die Milch ab und machte mir einen Alkoholwickel, der eiskalt war und mich etwas benebelte. Es tat gut, dass sie sich um mich kümmerte. Wir redeten lange über Felix und seine Geburt.

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Auf all meine Fragen bekomme ich keine Antwort. Meine Weigerung, ihn zu begraben nützt nichts. Sie kommen und schrauben den Deckel auf. Ein letztes Mal sehe ich noch in sein Gesicht. In mir schreit es. Ich rufe nach meiner Mama, nach Schutz und Hilfe, nach Auffangen beim Sturz in die Tiefe, doch sie ist nicht da. Meine Kindheit holt mich ein, doch auch dafür habe ich jetzt keine Zeit.

* * *

An einem eiskalten Samstagmorgen wurde Felix beerdigt. Es war noch dunkel als ich aufstand. Ich wollte da sein, wenn die Leichenhalle geöffnet wurde. Da es kalt war, zog ich mich sehr warm an.

Robert fuhr mich hin. Obwohl er nicht ganz verstehen konnte, warum ich mich stundenlang in die Eiseskälte setzen wollte, ließ er mich gewähren. Unterwegs fragte ich mich, wie er es anstellte, diesen Wahnsinn aushalten. Zwei Welten taten sich auf.

Bis zur Beerdigung wollte ich noch bei Felix bleiben. Ich hatte Glück, der Sarg war noch nicht verschlossen. Die Zeit verbrachte ich mit Frieren, Nachdenken und Weinen. Manchmal streichelte ich ihn und redete mit ihm. Ich fragte ihn, warum das passiert war und warum er das mit uns gemacht hatte. Ich wusste, er konnte mir nicht antworten, dennoch hoffte ich auf ein Wunder. Als der Deckel zugeschraubt wurde, war ich leer und taub.

Während wir in der Kapelle saßen und redeten, füllte sich der Raum. Ich nahm niemanden wahr, außer den Menschen, die mich begrüßten.

Als Sophia ihr Grußwort beendet hatte stand ich auf, um mit Sonja, Robert und Sophia den Sarg zu tragen. Von diesem Augenblick an nahm ich die folgende halbe Stunde nur noch im Tränenschleier wahr. Ich hatte Mühe, überhaupt noch etwas zu sehen.

Als Trost empfand ich es, dass niemand vom Beerdigungsinstitut oder Beschäftigte des Friedhofs zu sehen waren. Wir waren ganz alleine auf dem stillen Friedhof und alle waren froh und glücklich, den Weg ohne Pfarrer und Kirche gewählt zu haben. Sophia hatte diese Abschiedsfeier so schön gestaltet, wie dies kein Fremder hätte tun können.

* * *

Ein Traum (etwa sechs Monate nach Felix' Tod)

Ich sehe wieder ins Nichts. Unendlicher Raum umgibt mich. Ich glaube, es ist der Himmel. Felix liegt im Nichts und schaut mich an. Er schaut ernst, nein, er schaut ausdruckslos. Er erwartet eine Reaktion von mir. Ich überlege, ob ich ihn anlachen soll. Ich erinnere mich an einen früheren Traum, der ähnlich war.

Ich bin unsicher, will es jedoch probieren und lächle. Plötzlich fängt er an zu strahlen. Er lacht und lacht, es sieht aus, als ob die Sonne aufgeht. Und wieder endet der Traum, als ich ihn hochnehmen will.

Dennoch tröstet mich dieser Traum etwas. Dieses Lachen tat gut und ich hatte das Gefühl, als wolle er sagen: Mir geht es gut!

* * *

Bei meinem täglichen Gang auf den Friedhof begleitete mich unermüdlich Alexander. Ohne nicht auf dem Friedhof gewesen zu sein, wollte er nicht in den Kindergarten. Er musste an meiner Hand gehen, da die Straße direkt am Friedhofstor vorbeiführte. Doch sobald wir das Tor durchschritten hatte, riss er sich los und rannte in die Leichenhalle. Er hatte den Drang, sich jeden Toten anzusehen. Leise und andächtig betrat er jeden Morgen die Halle. Meine Zweifel, ob das gut für ihn war, schob ich beiseite, denn das "Schlimmste" hatte er erlebt und das war vielleicht seine Art damit umzugehen. Jedenfalls musste ich ihm immer hinterherlaufen und sah somit auch jede Leiche. Dieses tägliche Wissen um den Tod, der auch andere trifft, beruhigte mich manchmal.

So kam es, als Sophia eines Tages mit der Kindergartengruppe einen Spaziergang zum Friedhof machte, dass alle Kinder hinter Alexander herliefen und ins Leichenhaus stürmten.

Alexander ermahnte die Kinder zu Ruhe und Andacht. An diesem Morgen lag eine alte Frau im Sarg. Die Kinder holten sich leise Stühle heran und kletterten darauf, um alles genau ansehen zu können. Sophia blieb nichts anderes übrig, als daneben zu stehen und die Szene zu begleiten.

Die Kinder schauten sich die Oma genau an und fragten sich, warum sie wohl so zerknittert war und wo denn der Opa wäre, denn die Oma sei doch ganz alleine. Ob sie denn nie mehr aufwache, fragte ein kleines Mädchen. Sophia schüttelte mit dem Kopf, nie mehr.

Die Kinder bewunderten den Blumenschmuck im Sarg und dass die Oma schöne Kleidung anhatte, als wenn sie zu einem Fest ginge.

Alexander erklärte den Kindern was er wusste, und als er sagte, dass Tote im Sarg nie Schuhe anhaben, hob er die Decke zum Beweis. Nachdem dies alle Kinder gesehen hatten, wurde die Oma wieder gut zugedeckt und die schneeweiße Decke sorgfältig glattgestrichen. Es halfen alle mit, den Blütenschmuck rund um den Sarg Rand wieder zu ordnen.

"So, und jetzt gehen wir zu meinem Bruder, mir nach!", flüsterte Alexander und alle Kinder stürmten ihm hinterher.

Sophia war ganz aufgeregt, als sie mir das am Mittag erzählte. Sie machte sich Sorgen, ob das richtig war und wenn nicht, wie sie es hätte verhindern können.

"Wie war denn der Rest des Tages?", fragte ich sie, "wie haben die Kinder reagiert?"

"Du, die waren ausgelassen und fröhlich, wie immer nach einem Spaziergang!"

"Dann ist es doch gut. Kinder haben eben einen anderen Umgang damit. Das Einzige, was sie erlebt haben, war ein Abenteuer, mehr nicht."

Das dachten allerdings nur wir so! Beim nächsten Elternabend war dieser "Ausflug" DAS Thema. Fast alle Eltern beschwerten sich über diesen "Vorfall", wie sie es nannten. Ich sollte mich rechtfertigen, weil es schließlich mein Sohn gewesen war, der die Kinder in die Leichenhalle hineingeführt hatte. Und ob ich nicht einmal mit meinem Kind zu einem Psychologen gehen wolle, es sei schließlich nicht normal, wenn ein dreijähriges Kind täglich zum Friedhof ginge, um sich alle Toten anzusehen.

"Wir gehen nicht zum Friedhof damit Alexander die Toten anschauen kann, sondern er geht zum Friedhof, weil er seinen Bruder besuchen will. Die Kinder sind so glücklich und zufrieden aus der Leichenhalle gekommen, wie sie hineingingen.", begann ich. Dann fuhr ich fort: "Ich denke, ihr habt damit ein Problem, weil sie es euch erzählt haben und wahrscheinlich Fragen hatten, schlimme Fragen! Fragen, auf die ihr keine Antwort wusstet und vor denen ihr euch selbst fürchtet! Das ist der Grund, warum sich hier alle aufregen, es geht um die Konfrontation mit dem eigenen Tod!"

Eine aufgeregte Diskussion entbrannte, während Robert und ich einfach aufstanden und gingen. Wir mussten es Sophia alleine aushalten lassen, da wir das nicht mehr ertragen konnten.

Abschied und Neubeginn

Oh Mann! War ich wütend! Dieser kleine Oberdepp! Was bildete sich dieser Besserwisser eigentlich ein? Mir, ausgerechnet mir, so eine Karte in die Hand zu drücken! Alle im Kurs hatten zum Abschied Karten mit wunderschönen Gedichten bekommen, auf der Rückseite vollgeschrieben mit vielen Anregungen und Ratschlägen für ihr weiteres Leben. Punkt für Punkt las er es allen in der Runde vor. Für meinen Geschmack hatte er viel zu viel geschrieben, er hatte schließlich erwachsene Menschen vor sich und keine Kinder, denen man alles vorkauen musste.

Aber ich! Was hatte ich bekommen?

Das Gedicht von Christian Morgenstern „Siehe, auch ich – lebe“ war zwar wunderschön, passte aber nach meinem Verständnis überhaupt nicht zu mir.

Also ihr lebt noch, alle, alle, ihr,

am Bach ihr Weiden und am Hang ihr Birken,

und fangt von Neuem an, euch auszuwirken,

und wart so lang nur Schlummernde, gleich – mir.

Siehe, du Blume hier, du Vogel dort,

sieh, wie auch ich von Neuem mich erhebe …

Voll innern Jubels treib ich Wort auf Wort …

Siehe, auch ich, ich schien nur tot. Ich lebe!

Auf der Rückseite der Karte schrieb er, dorthin, wo bei allen anderen halbe Romane standen, mit Bleistift und es sah aus wie achtlos hin gekritzelt: Neues Erleben (was gibt es sonst noch Schönes?).

Und das mir! Ich, die, wie mir schien, die Einzige in diesem Kurs war, die wirklich mitten im Leben steckte.

Wie hingen sie nicht alle an meinen Lippen, wenn ich über den Tod meines Kindes und den meiner Schwester, meine Hospizarbeit, die Konzertreisen und das bisher Erlebte berichtete. Wer, wenn nicht ich, stand mitten im Leben?

Ein Wochenende mit so vielen Schlüsselerlebnissen, neuen Erfahrungen über mich und dann dieser Abschluss!

Hinter mir hörte ich die Haustüre zuschlagen und ich blickte in einen wunderschönen, frühlingshaft blühenden Garten und auch wenn ich mich sonst an der Natur sehr gerne und sehr bewusst erfreute, so sah ich sie in diesem Moment gar nicht. Ich starrte durch die vielen Blumen und Farben hindurch, den Duft der Blüten nahm ich nicht wahr, ich fühlte nur diese alles verschlingende Wut im Bauch, diese unbändige Wut. Es sollte doch ein neuer Anfang werden, ich hatte mir alles so schön ausgemalt und nun war ich derart unglücklich, ja fast verzweifelt, weil ich haltlos dastand und keinen Schritt tun konnte. Antworten hatte ich erwartet, Impulse für mein weiteres Leben.

‚Dein neues Leben beginnt mit dem ersten Schritt’, dachte ich, doch ich konnte ihn nicht tun. Mir war schwindlig, ich war müde, fühlte mich krank. Ich kramte diese Karte aus meiner Tasche, die mich in diese Stimmung gebracht hatte, ich dachte, ich müsse nachschauen, ob das immer noch dort stand, ob ich mich verlesen hatte oder gar etwas übersehen? Meine Hand zitterte und auch wenn ich es nicht las, sondern mir nur das Bild des Zettels ansah, die Schriftzüge und die Menge an Text, wusste ich, dass er sich nicht verändert hatte, ich hatte nichts überlesen oder übersehen.

„Abschied und Neubeginn“ war der Name des Kurses, den ich bei einem anthroposophisch orientierten Therapeuten belegt hatte, der sich auf Biographiearbeit und Lebensberatung spezialisiert hatte. Dr. Singer war begeistert, als ich ihr erzählte, ich wolle daran teilnehmen. Es war ein schönes Wochenende … eigentlich!

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