Inhalt

  1. Titel
  2. Zu diesem Buch
  3. Widmung
  4. 1
  5. 2
  6. 3
  7. 4
  8. 5
  9. 6
  10. 7
  11. 8
  12. 9
  13. 10
  14. 11
  15. 12
  16. 13
  17. 14
  18. 15
  19. 16
  20. 17
  21. 18
  22. 19
  23. 20
  24. 21
  25. 22
  26. 23
  27. Danksagung
  28. Die Autorin
  29. Die Romane von Jennifer Snow bei LYX
  30. Impressum

JENNIFER SNOW

Maybe this Time

Und auf einmal ist alles ganz anders

Roman

Ins Deutsche übertragen
von Wanda Martin

Zu diesem Buch

Jung und verliebt verlässt Abigail Jansen ihren Heimatort in Colorado und zieht mit ihrem Mann, dem Profi-Eishockeyspieler Dean Underwood, nach L. A., um ihn bei seiner Karriere zu unterstützen. Als sie ihn einige Jahre später beim Fremdgehen erwischt, gerät ihre Welt völlig aus den Fugen. Gemeinsam mit ihrer Tochter kehrt sie nach Glenwood Falls zurück, um sich ein neues Leben aufzubauen – eines ohne Männer! Doch in der Kleinstadt dauert es nicht lange, bis ihr ausgerechnet Jackson Westmore über den Weg läuft. Jackson ist nicht nur der Trainer der heimischen Jugend-Eishockeymannschaft, sondern auch der beste Freund ihres Exmannes. Abby und Jackson kennen sich seit der Schulzeit. Schon damals hatte sie Schmetterlinge im Bauch, sobald er in ihrer Nähe war, während er sich ihr gegenüber kalt und abweisend verhielt. Kein Wunder also, dass sie so wenig Zeit wie möglich mit ihm verbringen will. Doch dann tritt Abbys Tochter der Eishockeymannschaft bei, und es wird immer schwieriger, Jackson aus dem Weg zu gehen. Abby lernt eine andere Seite an ihm kennen, und auch Jackson gelingt es nicht, seine lange unterdrückten Gefühle weiter zu verbergen …

Für meinen Ehemann Reagan, der sich damit
abgefunden hat, dass immer Fotos von anderen
attraktiven Männern in meinem Büro hängen werden und
ich bei jedem Ausgehabend zu zweit irgendwann sage:
»Warte mal kurz, das muss ich mir aufschreiben.«
Über deine Liebe und Unterstützung
staune ich immer wieder.

1

Abigail hoffte, dass ihre Entscheidung, zurück nach Glenwood Falls zu ziehen, nicht der größte Fehler sein würde, den sie in ihren neunundzwanzig Lebensjahren je gemacht hatte.

Das Schweigen, mit dem ihre Tochter sie auf der anstrengenden fünfzehnstündigen Fahrt von Kalifornien nach Colorado bedacht hatte, ließ allerdings genau das befürchten.

Sie winkte Dani vom Gehweg aus zu, während der Schulbus vom Bordstein abfuhr, doch ihre Neunjährige tat, als wäre sie Luft.

Toll.

Als der Bus um die Ecke bog, zog Abigail ihre Strickjacke fester um sich, drehte sich um und ging zurück zum Haus. Die septemberfrische Bergluft fühlte sich für sie noch kühler an, nachdem sie jahrelang den Herbst im sonnigen Los Angeles verbracht hatte, wo die Palmen und das grüne Gras niemals roten und goldenen Blättern wichen, wie sie jetzt unter ihren Füßen raschelten.

Der Wind wehte ihr lange blonde Strähnen vor die Augen, und sie strich sie hinter die Ohren. Das Sonnenlicht funkelte auf dem Diamantring mit dem Solitär, der sicher neben ihrem Ehering aus Platin steckte, der ihr einmal die Ewigkeit versprochen hatte.

Sie würde beide bald abnehmen müssen. Wahrscheinlich hätte sie es schon längst machen sollen.

Deans Ehering hatte fast zehn Monate lang auf dem Nachttisch auf seiner Bettseite gelegen.

Manchen Menschen fiel es leichter als anderen, loszulassen und mit dem Leben weiterzumachen.

Sie holte tief Luft und öffnete die Vordertür. Der Duft nach Kaffee und Blaubeerpfannkuchen schlug ihr entgegen, und sie zwang sich zu einem Lächeln, in der Hoffnung, es würde den immerwährenden Schmerz in ihrer Brust lindern.

Zeit, einem neuen Tag ins Auge zu sehen.

Einem weiteren Tag in Glenwood Falls – ihrer früheren Heimatstadt. Einem weiteren Tag mit ihren Eltern, die versuchten, sie nach ihrer Scheidung aufzumuntern. Und ein weiterer Tag, den sie irgendwie überstehen musste, trotz der Schwere, die sie beim Gedanken an ihre Zukunft niederzudrücken drohte.

Ihre und Danis Zukunft.

Dem Kaffeeduft folgend, ging sie geradewegs in die Küche.

»Guten Morgen«, sagte ihr Vater und schenkte ihr eine Tasse ein.

»Hi, Dad«, erwiderte sie und schaute sich in der Küche um, die sich seit Jahren kein Stück verändert hatte. Immer noch der Harvest-Gold-Kühlschrank und der dazu passende Herd, wie sie in den Siebzigern modern gewesen waren, beides hielt ihr Vater wundersamerweise am Laufen, wie auch immer er das schaffte; dann am Fenster der runde Tisch für vier Leute, mit der Glasplatte, und die Vorhänge mit Schmetterlingsmuster, die sie damals im Hauswirtschaftsunterricht genäht hatte – das Einzige, was sie je erfolgreich zustande gebracht hatte. Seit zehn Jahren hatte sich nichts verändert, und sie war davon ausgegangen, dass ihr diese Vertrautheit guttun würde.

Stattdessen kam es ihr so vor, als hätte ihr Versuch, mit dem Leben weiterzumachen, sie zwei Schritte zurückbefördert.

»Hat Dani den Schulbus noch erwischt?«

»Ja, allerdings weigert sie sich immer noch, mit mir zu reden.« Sie setzte sich auf ihren angestammten Platz am Tisch, trank einen Schluck von ihrem teerartigen Kaffee und zuckte zusammen, nahm aber sofort noch einen. Früher hatte sie es nicht leiden können, wie stark ihr Vater ihn kochte, aber die letzten drei Tage hatte sie diese Stärke morgens gebraucht, um mit Danis Wut darüber, dass sie von ihrem Vater in L. A. weggezogen waren, umgehen zu können.

»Sie wird sich damit abfinden«, meinte er.

Abigail wusste, dass das stimmte. Sie hoffte nur, das würde noch passieren, bevor ihr kleines Mädchen aufs College ging.

Auf dem Tisch lag die Tagesausgabe der Glenwood Times, die hiesige Lokalzeitung. Sie griff danach und schlug denselben Teil auf wie tags zuvor.

Nichts Neues. Immer noch nur drei offene Stellen in dieser Stadt mit fünftausend Einwohnern – am Imbissstand des örtlichen Supermarkts, als frühmorgendlicher Blumenauslieferer und als Mitarbeiter im Sägewerk.

»Dad, wie schwer ist die Arbeit im Sägewerk?«, fragte sie seufzend.

Er lachte in sich hinein. »Allein die Tatsache, dass du fragen musst, zeigt, dass du dich wahrscheinlich lieber nicht dafür bewerben solltest, Liebes.«

Ihre Mutter kam in die Küche, ihre Miene sprach Bände.

»Ja, Mom, ich suche einen Job«, sagte Abigail.

»Ich habe doch gar nichts gesagt.«

Das brauchte sie nicht. Ein ausdrucksstärkeres Gesicht als das von Isabelle Jansen hatte ihre Tochter noch nie gesehen. Mit einem leichten Stirnrunzeln oder Blinzeln vermittelte sie mühelos jede ihrer Gefühlsregungen, jeden Gedanken …

»Ich weiß ja, dass du findest, ich müsste mich erst mal eine Zeit lang eingewöhnen, aber je schneller ich eine Arbeit finde, die mich beschäftigt hält, desto leichter ist es für mich.«

»Du kennst dich selbst am besten, Liebes. Ich sag ja nur, dass das keine Eile hat.«

»Das weiß ich zu schätzen.« Und das tat Abigail wirklich. Nachdem sie Glenwood Falls verlassen hatte, war sie nur selten zu Besuch gekommen, lieber hatte sie ihren Eltern Flugtickets geschickt, damit sie sie und Dani in L. A. besuchen kamen. Ihre Entscheidung, wieder nach Hause zu ziehen, sobald ihre Scheidung unter Dach und Fach war, hatte ihre Eltern überrascht, aber sie hatten sie und Dani mit offener Tür und offenen Armen empfangen. Sie machten ihnen den Umzug so leicht wie möglich. Und Abigail wusste, wie wertvoll diese Unterstützung war. Sie wusste aber auch, dass sie sich nicht auf sie stützen durfte. Sie musste wieder auf die Füße kommen und sich selbst so schnell wie möglich beweisen, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war und sie ohne Dean weitermachen konnte. Und Dani musste das auch merken.

Abigail zögerte, weil sie sich fragte, ob sie den beiden von der einen Stelle in der Stadt erzählen sollte, an der sie tatsächlich interessiert war. Sie räusperte sich. »Ich hatte eigentlich überlegt, mich als Lehrerin an der Grundschule zu bewerben.«

Ihre Eltern starrten sie an.

»Was denn? Ich habe einen Abschluss in Pädagogik.« Sie hatte ihn gemacht, nachdem Dani in die Schule gekommen war und ihr klar geworden war, dass sie sich vorstellen konnte, eines Tages eine eigene Karriere haben zu wollen.

»Ja, aber … du hast nie wirklich in dem Bereich gearbeitet«, sagte ihre Mutter.

»Hat so ein Abschluss nicht auch ein Verfallsdatum?«, witzelte ihr Vater.

»Sehr lustig, Dad«, sagte sie. »Als ich Dani am Montag angemeldet habe, hörte ich einen der Lehrer sagen, dass sie nach einem Vertretungslehrer suchen, der dann ab nächsten Monat in Vollzeit die vierte Klasse unterrichten könnte, wenn Kelli Fitzgerald in Mutterschutz geht.«

»Oh, stimmt! Ich habe Kelli letzten Monat bei der Stadtversammlung gesehen – sie sah da schon aus, als könnte das Kind jeden Moment kommen. Sie ist eine ganz Liebe, und ihr Mann ist so nett – er hat deinem Dad letztes Frühjahr mit der Veranda geholfen …« Ihre Mutter schweifte weiter ab, aber Abigail hörte nicht zu.

Dass ihre Mutter über Kelli oder eine andere ehemalige Highschoolfreundin ihrer Tochter schwärmte, war keine Seltenheit. Offenbar führten sie alle ein wundervolles, erfolgreiches Leben in Glenwood Falls. Keine von ihnen hatte sich in einen Sportstar verliebt und war im sechsten Monat schwanger aus der Stadt weggezogen … oder kam neun Jahre später nach einer bitteren Scheidung wieder zu Hause angekrochen.

Nope, niemand sonst. Nur sie.

Dass Abigails Handy klingelte, war ihre Rettung; erleichtert stellte sie fest, dass auf dem Display die Büronummer ihrer Anwältin aufleuchtete. »Da muss ich rangehen«, erklärte sie und ging nach oben in ihr altes Zimmer. »Hallo?«, sagte sie, während sie die Tür hinter sich schloss.

»Hi, Abigail. Wie geht es Ihnen?«, fragte ihre Anwältin Olivia Davis, allerdings klang sie so beschäftigt, als würde die Antwort sie nicht wirklich interessieren.

»Mir geht’s gut. Ist alles in Ordnung?« Nach dem sechsmonatigen Hin und Her mit Deans Anwalt war die Scheidung fast durch. Es gab nur noch zwei letzte Dokumente zu unterzeichnen – die von ihr vorgeschlagene Sorgerechtsregelung und die Unterhaltsvereinbarung. Sie wusste, dass Olivia fantastische Arbeit leistete, sie war ihr von einigen anderen geschiedenen Eishockeyspielerfrauen wärmstens empfohlen worden, doch sie machte sich immer noch Sorgen, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, sie anzuheuern. Sich entscheiden zu müssen, in wen sie ihr Vertrauen setzte, fühlte sich momentan an wie die Wahl zwischen einem altvertrauten Übel und einem neuen.

»Also, ich habe gute und schlechte Neuigkeiten.«

Neun Jahre Ehe waren nun fast offiziell vorbei – sie war nicht sicher, ob es zu diesem Thema irgendeine wirklich gute Neuigkeit geben konnte, aber sie fragte trotzdem zuerst nach dieser.

»Ich habe die Sorgerechtsregelung gerade unangefochten zurückerhalten«, sagte Olivia.

Das war tatsächlich eine gute Neuigkeit. Sie hatte sich Sorgen gemacht, dass Dean versuchen könnte, das Sorgerecht für Dani zu erstreiten – obwohl ihr klar war, dass seine Chancen vor Gericht gering gewesen wären. Er war ständig mit den L. A. Kings auf Reisen, und sie war von Anfang an die Hauptbezugsperson ihrer Tochter gewesen.

Vielleicht war ihm das ebenso klar wie ihr.

»Das ist großartig …«

»Genau genommen hat er sogar angegeben, dass ihm die Besuchszeiten zu viel sind, er überlässt Ihnen die komplette Zeit.«

Abigail runzelte die Stirn. »Was soll das heißen – will er Dani überhaupt nicht sehen?«, fragte sie und setzte sich auf die Bettkante.

»Hoffentlich ist das nicht der Fall. Es bedeutet erst einmal nur, dass er Ihnen die Entscheidung überlässt, wann und wie er Dani sieht. Sie beide können etwas untereinander ausmachen, das für Sie funktioniert … ohne eine gerichtlich angeordnete, bindende Besuchsregelung.«

Na toll. Also würde alles auf ihren Schultern lasten. Anders wäre es ihr lieber gewesen. Ihre eigenen Gefühle gegenüber Dean dürften mit Sicherheit ihr Urteilsvermögen trüben, und sie wusste, sie würde sie beiseiteschieben müssen, um zu tun, was das Beste für Dani war. »Okay«, stimmte sie zu. So viel also zu der guten Neuigkeit. Jetzt wollte sie die schlechte gar nicht mehr hören.

»Also, die schlechte Neuigkeit ist – er ficht die Unterhaltsvereinbarung an. Er sagt, Sie hätten sich entschieden, nach Glenwood Falls zurückzuziehen, wo Immobilienpreise und Lebenshaltungskosten geringer sind, und deshalb sollte er Ihnen nicht so viel zahlen müssen, wie Sie verlangen.«

Zweifellos wäre das in den meisten Fällen die schlechte Nachricht gewesen, aber in Wirklichkeit war Abigail das Geld egal. Ja, sie erwartete, dass Dean Unterhalt für sein Kind zahlte, um Danis Erziehung zu unterstützen, aber sie war nie der materialistische Typ Frau gewesen, der die extravaganten Vorzüge eines Lebens als Spielerfrau genoss. Sie hatte teure Kleider gekauft und ein kleines Vermögen für ihre Haare und ihr Make-up ausgegeben, weil Dean das von ihr erwartet hatte; weil es notwendig gewesen war, um zu den anderen Spielerfrauen zu passen.

Anfangs hatte sie nicht das Bedürfnis gehabt, unbedingt dazuzugehören, aber sie hatte schnell erfahren, wie einsam das Leben als Ehefrau eines Profisportlers sein konnte. Andere Eishockeyfamilien verstanden, welche Opfer es bedeutete und wie stressig dieser Lebensstil oftmals war, sodass ihr diese eng verbundene Gruppe Trost und Sicherheit gespendet hatte.

Zumindest war es bis vor ein paar Wochen so gewesen, aber jetzt brachte sie es nicht mehr über sich, sich auf der hockeywives.com-Website einzuloggen. Sie gehörte nicht mehr zu ihnen und musste wieder auf eigenen Füßen stehen. Die Unterstützung der Spielerfrauen einzufordern kam ihr nicht richtig vor. Und sie wollte auch nicht, dass irgendwelche Informationen über ihr neues Leben durch die gemeinsam Eishockey spielenden Ehemänner den Weg zurück zu Dean fanden.

»Hören Sie, machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Olivia, als Abigail nicht antwortete. »Ich bin mir sicher, dass es nur eine Verzögerungstaktik ist. Er kann unmöglich glauben, dass man vor Gericht zu seinen Gunsten entscheiden würde. Je länger er die Sache hinauszögern kann, desto länger braucht er die Abfindung sowie die Alimente und Kindesunterhaltszahlungen nicht zu leisten.«

»Was kommt jetzt?«

»Also, ich werde Widerspruch einlegen und sehen, was passiert. Aber in der Zwischenzeit sollten Sie versuchen, sich über die unangefochtene Sorgerechtsregelung zu freuen – Sie glauben nicht, wie oft das die größte Verzögerung verursacht. Sie haben Glück.«

Glück, dachte sie traurig, als sie auflegte. Seltsam, sie kam sich gar nicht glücklich vor. Wie sollte sie das Dani erklären, die grob hatte mitbestimmen dürfen, wann sie Zeit mit ihrem Dad in L. A. verbringen wollte? Wie konnte sie dem kleinen Mädchen sagen, dass ihr Vater sich auf keinen festen Plan, keine Zeit mit ihr festlegen wollte? Das Letzte, was ihre belastete Beziehung gebrauchen konnte, war, dass Dani auf die Idee kam, das läge irgendwie an Abigail. Genauso wenig wollte sie allerdings Dean als den Bösen darstellen, sosehr sie ihm auch übel nahm, was er getan hatte – dass er ihre Familie zerstört und sie in diese Situation gebracht hatte.

Nein, Glück haben war definitiv keine Formulierung, die sie benutzen würde.

Sie starrte die Ringe an ihrer linken Hand an. Ihre Mutter hatte gesagt, es gebe keinen Grund zur Eile, sie würde es merken, wenn sie bereit war, sie abzulegen. Sie hatte Schwierigkeiten, sich die Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen, die mit diesen beiden Ringen verbunden waren – die Freude, die Liebe, die Aufregung, die sie empfunden hatte, als er ihr einen Antrag machte, und dann sechs Monate später bei ihrer Hochzeit. Zu viele andere Erinnerungen – an einsame Nächte, an Streitereien, nach denen sie sich in den Schlaf geweint hatte, an seine Seitensprünge – hatten die guten Momente verblassen lassen.

Sie stand auf und ging zur Kommode, auf der eine alte hölzerne Schmuckschatulle stand, in die ihre Initialen und eine Blume eingraviert waren – ein Geschenk von Dean, er hatte die Schatulle im Abschlussjahr auf der Highschool im Werkunterricht gemacht. Sie klappte den Deckel auf, nahm die Ringe ab und legte sie hinein.

Ihre Mutter hatte recht. Sie wusste tatsächlich, wann der richtige Zeitpunkt gekommen war.

Als sie zwei Tage später in der Grundschule von Glenwood Falls auf der winzigen Bank vor dem Büro der Direktorin saß, fühlte sich Abigail wie ein Kind, das beim Schwänzen erwischt worden war. Alles hier war ihr vertraut, doch auch jetzt lag darin kein Trost. Damals, vor Jahren, hatte sie es nicht erwarten können, Glenwood Falls zu verlassen, voller Illusionen von einem fantastischen, aufregenden Leben in L. A.

Die Dinge hatten sich nicht ganz so entwickelt wie geplant, und die mediale Aufmerksamkeit für ihre Scheidung und die Umstände, die dazu geführt hatten, gaben keinen Funken Anlass zur Hoffnung, dass sie vor ihren früheren Freunden und Nachbarn in der kleinen Stadt das Gesicht würde wahren können. Verflucht, sie vermutete, die Hälfte von ihnen hatte wegen der Fotos in der Klatschpresse schon lange gewusst, dass Dean sie betrog, bevor ihr selbst überhaupt klar geworden war, dass etwas nicht stimmte.

Gott, was war sie blind gewesen.

Dass sie ihn so sehr liebte – geliebt hatte –, hatte ihr Urteilsvermögen in jeglicher Hinsicht getrübt. Sie war so glücklich darüber gewesen, dass Dean Underwood ausgerechnet sie gefragt hatte, ob sie mit ihm auf den Schulball gehen würde, dass er sie als seine Freundin auserwählt und ihr dann, als sie ihm sagte, sie sei schwanger, einen Antrag gemacht hatte. Der Sportstar hätte jedes Mädchen in der Stadt haben können, aber er hatte sich für sie entschieden.

Und die Aussicht auf ein aufregendes Leben als Ehefrau eines Profisportlers war für sie ein wahr gewordener Traum gewesen. Solange Dani klein war, konnte sie Hausfrau und Mutter sein, und sie konnte mit ihm um die Welt reisen … es kam ihr zu schön vor, um wahr zu sein.

Und das war es auch.

Während der ersten fünf Jahre war tatsächlich alles wunderschön gewesen, aber dann kam Dani in die Schule, und Abigail kehrte aufs College zurück, um ihren Abschluss in Pädagogik zu machen. Außerdem hatte sie sich stärker bei Dreams for Life engagiert, der Charity-Organisation der Eishockeyehefrauen für das örtliche Krankenhaus, und schon bald hatten sie kaum noch ein gemeinsames Familienleben gehabt. Dean reiste mit der Mannschaft umher, und Abigail zog ihre gemeinsame Tochter groß und half, für verschiedene Zwecke Spenden zu sammeln.

Irgendwann hatte er dann angefangen, Affären zu haben, und sie war zu beschäftigt gewesen, um es zu merken.

»Abby?« Liz, die Sekretärin der Direktorin, trat auf den Flur hinaus. Die Frau war schon Schulsekretärin gewesen, als Abigail hier noch Schülerin gewesen war.

Sie stand auf. »Inzwischen heißt es Abigail.« Sie war seit langer Zeit nicht mehr Abby gewesen … und sie bezweifelte, dass sie dieses Mädchen jemals wieder im Spiegel sehen würde.

»Okay … also, Direktorin Breen hat jetzt Zeit für dich«, sagte Liz und hielt dabei die Tür zum Büro auf. »Geh einfach durch.«

»Danke.« Sie strich über ihren dunkelgrauen Bleistiftrock und ging hinein. Dabei fühlte sie sich genauso wie damals, als sie zur Direktorin geschickt worden war, weil sie im Unterricht zu viel geredet hatte. Ihre Handflächen waren schweißfeucht, und sie zwang sich, einmal tief durchzuatmen.

»Wow. Ich war mir heute Morgen, als ich in meinen Terminkalender schaute, nicht sicher, ob ich richtig lese – aber da stehen Sie vor mir. Abby Jansen ist zurück in Glenwood Falls – wer hätte das gedacht?«, sagte Direktorin Breen; sie saß hinter dem großen Schreibtisch aus Mahagoni.

Keiner hätte das gedacht. Nicht mal sie selbst.

Abigail zwang sich zu ihrem schönsten Lächeln. »Schön, Sie zu sehen, Ms Breen.«

»Setzen Sie sich doch bitte.« Sie deutete auf den Stuhl ihr gegenüber.

Abigail setzte sich und schaute sich im Büro um. Dasselbe Bücherregal an der Wand, derselbe Aktenschrank neben dem Fenster, und in der Ecke wuchs dieselbe Bambuspflanze. Nichts hatte sich hier verändert. Alles war genau gleich geblieben.

»Also … Sie sind an der Stelle als Vertretungslehrerin interessiert?«

»Ja.« Abigail schlug die Beine übereinander und stellte sie dann wieder nebeneinander, rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. Das hier war ihr erstes echtes Vorstellungsgespräch, denn wegen ihrer Wohltätigkeitsarbeit für Dreams for Life war sie viel zu beschäftigt gewesen, um sich in L. A. auf eine Lehrerstelle zu bewerben. Ihr Herzschlag hallte in ihren Ohren wider, und ihre Gedanken rasten. Was machte sie hier bloß? Sie war nicht mal annähernd für diesen Posten qualifiziert.

»Haben Sie einen aktuellen Lebenslauf?«

Sie schluckte schwer. »Ehrlich gesagt habe ich keinen dabei …« Hatte sie sehr wohl, aber keinen, den sie gern vorzeigen wollte, obwohl sie stundenlang versucht hatte, ihn irgendwie aufzumotzen. Als sie ihn ihrer Mutter gezeigt hatte, hatte die nur gesagt: »Vielleicht brauchen sie gar keinen Lebenslauf.« Das sagte ja wohl alles.

Hinter den Rändern ihres gischtgrünen Brillengestells berührten sich Direktorin Breens Augenbrauen. »Okay, tja, dann fangen Sie doch damit an, mir von Ihren bisherigen Erfahrungen als Lehrerin zu berichten.« Sie griff sich Stift und Notizblock und wartete.

Wie wär’s mit null? Wie konnte sie aus ihrer Arbeit als Schatzmeisterin bei Dreams for Life und ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter etwas machen, das diese Frau als Qualifikation auffassen würde? »Na ja, ich habe noch in keiner Schule unterrichtet … aber ich habe einen Abschluss, und ich habe meine Tochter Dani eine Weile zu Hause unterrichtet.« Drei Monate lang, während sie versucht hatten, mit Dean zu reisen.

»Okay …«

»Und ich habe mich in der Charity-Organisation Dreams for Life engagiert, die vielen Kindern geholfen hat …« Gott, sie hörte sich an wie eine Idiotin. Sie war nicht für diese Stelle qualifiziert. Nicht mal annähernd. Sie könnte genauso gut auch noch erwähnen, dass sie damals nach der Schule Zeitungen ausgetragen hatte.

»Gut.« Direktorin Breen legte den Stift ab und verschränkte die Hände auf dem Tisch. »Also, wir hatten eigentlich gehofft, jemanden einstellen zu können, der tatsächlich Lehrerfahrung hat.«

Scheiße. Sie brauchte diesen Job. Sie brauchte etwas, das ihr das Gefühl gab, dass sie für Dani und sich ein Leben in Glenwood Falls aufbauen konnte. Sie brauchte wieder mehr Selbstvertrauen. Und sie brauchte Gewissheit, dass es ihnen ohne Dean gut gehen würde. Dass es ihr ohne ihn gut gehen würde.

»Ms Breen, bitte«, sagte sie und rang dabei heftig die Hände in ihrem Schoß. »Mir ist klar, dass mein Mangel an Erfahrung nicht gerade ideal ist, aber ich kann das schaffen. Bitte lassen Sie es mich Ihnen beweisen.« Und sich selbst. Sie hasste es, wie flehentlich ihre Stimme klang, aber sie wollte – brauchte – diesen Job. Es war schon hart genug, wieder nach Hause zu ziehen, wenn jeder in der Stadt die schmutzigen Details ihrer gescheiterten Ehe kannte, und darum zu kämpfen, das Vertrauen ihrer Tochter zurückzugewinnen; sie wollte wirklich nicht auch noch gezwungen sein, als Blumenlieferantin in der Stadt zu arbeiten. Damit würde ihr ohnehin schon geringes Selbstwertgefühl nicht klarkommen.

Die Frau zögerte. »Ich würde Ihnen gern helfen, Abby …«

Bitte sagen Sie nicht aber …

Die Direktorin hielt inne und betrachtete sie einen Moment lang. »Wie lange wollen Sie denn in Glenwood Falls bleiben? Dauerhaft? Oder nur so lange, bis Sie wieder auf die Beine gekommen sind?«

Sie schluckte schwer. »Dauerhaft.« Sie war nicht bereit, Dani noch einmal aus ihrer gewohnten Umgebung herauszureißen. L. A. und ihre Freunde hinter sich zu lassen war hart genug für das Mädchen gewesen. Sie waren hergekommen, um zu bleiben und neu anzufangen.

»Okay. Bei der Vertretungsstelle geht es nur um ein paar Tage die Woche … je nach Bedarf.«

Ihr stockte der Atem, während sie versuchte, ihre Aufregung zu verbergen. Die Frau hatte noch nicht wirklich zugesagt.

»Wann könnten Sie anfa…«

»Jederzeit«, sagte sie schnell.

Direktorin Breen nickte und wirkte, als würde sie ihre Entscheidung bereits bereuen. »In Ordnung. Wir werden es versuchen … aber es gibt keinerlei Garantie, dass Sie Ende nächsten Monats die Vollzeitstelle bekommen.«

»Ich verstehe«, erwiderte sie, aber sie war entschlossen, sich diese Chance nicht durch die Lappen gehen zu lassen. Sie würde alles tun, um Direktorin Breen zu beweisen, dass sie die Richtige für den Job war.

Sie stieß den Atem aus, und die Anspannung wich aus ihren Schultern. Dies war ein guter Anfang, um ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Vielleicht nicht so, wie sie es sich einmal vorgestellt hatte, aber hoffentlich so, dass sie eines Tages stolz darauf sein könnte.

2

Neues Schuljahr. Neue Saison.

Jackson Westmore pinnte die Terminankündigung für das Eishockeytestspiel ans Schwarze Brett vor der Turnhalle der Glenwood-Falls-Grundschule.

»Hey, Coach, bereit für eine weitere Meisterschaft?«, fragte Darryl Sutton, sein Kumpel und der Sportlehrer der Schule, der gerade auf dem Rückweg von einer Aufwärmrunde über die Laufbahn mit einer Gruppe Zehnjähriger an ihm vorbeikam.

»Worauf du dich verlassen kannst«, bestätigte Jackson und hielt einen der größeren Jungs an. »Solange James hier immer noch vorhat, sich fürs Team zu bewerben.«

Das überdurchschnittlich große, dünne Kind nickte.

»Solange seine Noten weiterhin stimmen«, sagte Darryl – er war der Vater des Jungen.

»Ja, Sir«, erwiderte James und verschwand mit dem Rest der Klasse in der Turnhalle.

Jackson fühlte mit ihm mit. Er wusste, wie es war, einen Elternteil zu haben, der Lehrer war. Seine Mutter hatte mehr als zwanzig Jahre lang an der Glenwood Highschool unterrichtet. Es nervte. Seine Brüder und er waren mit nichts durchgekommen. Obendrein hatten sie in der Schule und zu Hause ständig was aufs Dach bekommen. Nur seine Schwester, die keine solche Unruhestifterin gewesen war wie ihre Brüder, hatte es als Einzige von ihnen leicht gehabt.

»Ich hab gehört, dieses Jahr gibt es ein gemischtes Team«, meinte Darryl und betrachtete das Anmeldeformular unter der Ankündigung.

»Ja … Na ja, wir werden sehen, was sich ergibt. Ich bin nicht sicher, ob viele acht- bis zehnjährige Mädchen Interesse an Eishockey haben, aber man weiß ja nie«, sagte er achselzuckend.

In Wirklichkeit war er begeistert von der Entscheidung des Junioren-Eishockey-Verbands, in den Altersgruppen der Sieben- bis Neunjährigen und der bis Elfjährigen gemischte Teams aufzustellen. Bisher hatten sie in Glenwood Falls nicht die Gelder für ein Mädchenteam gehabt, dabei kannte er ein Mädchen, das darauf brannte zu spielen. Seine Nichte Taylor hatte schon auf Schlittschuhen gestanden, bevor sie laufen konnte; bei zwei Onkeln in der NHL, und ihm als Coach des örtlichen Juniorenteams schien es nur natürlich, dass sie sich für den Sport interessierte. Sie war zehn und hatte somit dieses Jahr die letzte Chance, in seinem Team zu spielen. Er konnte es nicht erwarten, sie aufs Feld zu bekommen; sie konnte besser Eislaufen und mit dem Puck umgehen als jeder Junge, den er je trainiert hatte.

»Ich nehme mal an, dass Taylor ein Platz sicher ist?«, fragte Darryl.

Jackson grinste. »Sie wird sich wie alle anderen auch bewerben müssen, aber ich hab so das Gefühl, die Glenwood Falls Blitze werden diese Saison eine neue Abwehrspielerin bekommen.«

»Also, ich hab sie spielen sehen und bin voll dafür, aber nicht alle sehen das so.«

Jackson runzelte die Stirn. »Wer hat denn ein Problem damit?«

Darryl senkte die Stimme. »James hat erwähnt, dass einige der Jungs … und ich vermute mal, sie haben das von ihren Vätern aufgeschnappt … der Sache nicht ganz so aufgeschlossen gegenüberstehen.«

Er nickte langsam. Nicht jeder mochte Veränderungen. Das wusste er. Er hoffte einfach, dass sich alle Vorbehalte legen würden, sobald das Team nicht mehr nach Geschlecht zusammengestellt wurde, sondern danach, wer gut spielte. Schließlich waren es noch Kinder, und in der Liga der Neun- bis Elfjährigen ging es darum, den Sport mit Spaß zu lernen. Das Konkurrenzverhalten würde zunehmen, wenn die talentierten, vielversprechenden Spieler in die U13- und U15-Teams aufstiegen. »Danke für die Vorwarnung.«

Als Darryl an ihm vorbei den Flur hinunterschaute, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Apropos Vorwarnung …«

Oh, nein. Sein Bauchgefühl sagte ihm schon, wer dort stehen würde, bevor er sich überhaupt umdrehte. Er hatte bereits Gerüchte gehört, dass sie wieder da sei. Dennoch war er überhaupt nicht auf den Anblick von Abby Jansen vorbereitet, die in einem schmal geschnittenen Hosenanzug auf sie zukam; das lange blonde Haar fiel ihr offen auf die Schultern, und ihre Sieben-Zentimeter-Absätze klackerten auf dem Fliesenboden.

In zehn Jahren hatte sie sich kein bisschen verändert.

Und seine Gefühle für sie offensichtlich genauso wenig.

Verdammt.

Geh weiter. Bleib nicht stehen. Geh einfach weiter.

Einfach einen teuren, hochhackigen Gucci-Schuh vor den anderen … Scheiße. Sie starrten sie beide an. »Hey, Leute«, sagte Abigail knapp, den Blick stur auf Darryl gerichtet. Den zweiten Mann, mit dem sie gemeinsam zur Schule gegangen war, beachtete sie nicht weiter.

Wow – was für eine untertriebene Art, ihre Beziehung zu beschreiben, dachte sie.

»Hi, Abby. Wie geht’s dir?«, fragte Darryl und warf seinem Freund einen unbehaglichen Blick zu.

Jacksons Blick bohrte ihr ein Loch in die Stirn, aber sie setzte das falsche Lächeln auf, das sie perfektioniert hatte, seit die Nachricht von ihrer Scheidung landesweit bekannt geworden war, und tat weiterhin so, als wäre er Luft.

»Mir geht’s super.« Okay, das war jetzt eventuell leicht übertrieben, aber sie hatte gerade einen Job bekommen, das war doch schon mal was. »Wie steht’s?«

»Gut … Bin immer noch Sportlehrer.«

Sie nickte höflich. Er hatte die Stelle von seinem Vater geerbt, als dieser in den Ruhestand gegangen war.

»Tja … Ich geh mal besser wieder da rein.« Darryl schien sich unter der unangenehmen Spannung zu winden, öffnete rasch die Tür zur Turnhalle und duckte sich hinein. »Schön, dich zu sehen«, sagte er noch schnell, bevor die Tür wieder zufiel.

Jackson löste seinen panischen Blick gerade lange genug von ihr, um seinem verschwindenden Freund nachzusehen.

Dann standen sie beide allein im Flur.

Sie räusperte sich und wartete darauf, dass er zuerst etwas sagte. Sie hatte dem besten Freund ihres baldigen Ex-Manns nichts zu sagen – er hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass er sie nicht mochte. Die ganze Highschoolzeit über hatte er sie jedes Mal, wenn sie zu dritt irgendwo hingegangen waren, wie das fünfte Rad am Wagen behandelt. Sie hatte sogar versucht, ihn mit diversen Freundinnen von ihr zu verkuppeln, aber er hatte sie mit seiner idiotischen »Ich bin besser als alle anderen«-Haltung alle vergrault. Offenbar verjagte er sie immer noch alle. Sie hatte gehört, dass er Single war, und es konnte nicht seine große, dunkle, gut aussehende Erscheinung sein, die die Frauen fernhielt.

Abgesehen davon, dass sie manchmal über Deans Schulter gelugt hatte, wenn die beiden skypten, hatte sie ihn jahrelang nicht gesehen. Er war größer, als sie es in Erinnerung hatte, ragte über ihr auf, obwohl sie hohe Absätze trug, und seine breiten Schultern und die breite Brust verrieten, dass er viel muskulöser war als er auf dem Computerbildschirm ausgesehen hatte. Sein mittäglicher Bartschatten wirkte so perfekt, als hätte jemand sein Gesicht in Photoshop bearbeitet, und der kantige, ausgeprägte Kiefer machte jede Ähnlichkeit zu dem Jungen, mit dem sie einst zur Schule gegangen war, zunichte. Alles, worüber Dean und er je sprachen, war Eishockey, und sie hatte sich schon oft gefragt, ob es in ihrer Freundschaft neben der gemeinsamen Leidenschaft für den Sport noch irgendeine andere Ebene gab.

Offensichtlich hat der Mann wenig zu sagen, wenn es nicht um Eishockey geht, dachte sie, während sie darauf wartete, dass er den Mund aufmachte.

Die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, starrte er zu Boden und wippte auf den Fersen vor und zurück.

Schweigen.

Na schön.

Sie lief an ihm vorbei und ging weiter den Flur entlang.

Seine Stimme hielt sie auf. »Ich glaube nicht alles, was über Dean geschrieben wird.«

Das hatte sie genauso wenig getan, aber ihren Mann tatsächlich mit zwei anderen Frauen im Bett zu sehen, hatte ihr dann als Beweis gereicht.

Natürlich erwartete sie nicht von Jackson, dass er auf ihrer Seite war. Langsam drehte sie sich wieder um. »Glaub doch, was du willst, Jackson. Es ist mir echt egal.«

Als er sich in Bewegung setzte, versteifte sie den Rücken. Seine hellblauen Augen hatten sich verdunkelt, und er sah sie an, als würde er gerade ein Urteil über sie verkünden. »Ehebruch? Misshandlung? Komm schon. Wir wissen beide, dass Dean nicht die Sorte Mann ist.«

Sie hatte auch nicht geglaubt, dass er zu seelischer und verbaler Misshandlung fähig war. Das hatte sich an dem Tag geändert, als sie ihn mit Fotos konfrontierte, die ihn zusammen mit einer Cheerleaderin der Dallas Stars zeigte – sie hatte sie im Supermarkt auf dem Titel einer Boulevardzeitung gesehen. Er war in die Defensive gegangen und hatte fiese Dinge gesagt, um ihr das Gefühl zu geben, dass sie diejenige war, die sich ins Unrecht setzte, indem sie es wagte, solche Anschuldigungen zu erheben. Paranoid, dämlich, wahnhaft … das war nur eine kleine Auswahl seiner wütenden Beleidigungen, die ihr seitdem ständig durch den Kopf gingen.

»Diese Unterhaltung werde ich nicht mit dir führen. Beziehungsweise überhaupt keine.« Sie hatten bisher kaum je miteinander gesprochen, warum also jetzt damit anfangen? »Glenwood Falls ist groß genug. Ich denke, wenn wir uns nur genug bemühen, werden wir es weitestgehend vermeiden können, uns über den Weg zu laufen.« Obwohl das jetzt etwas schwieriger werden dürfte, wenn sie viel Zeit in der Schule verbringen würde, die sich direkt neben dem Stadion befand.

»Oh, glaub mir, ich werde mich sehr bemühen«, meinte er, und sie erschauerte unter seinem eiskalten Blick.

Das Klingeln zur Mittagspause hielt sie davon ab, noch etwas zu sagen, denn sie waren augenblicklich von einer riesigen Schar Kinder umgeben, die Richtung Schulmensa ausschwärmten.

Mit den Augen suchte sie die Menge nach Dani ab. Als sie sie auf sich zukommen sah, breitete sich auf Abigails Gesicht ein Lächeln aus – zum ersten Mal an diesem Tag ein echtes. Sie winkte ihrer Tochter zu, erleichtert über den perfekten Vorwand, diese angestrengte, unangenehme Unterhaltung zu beenden.

»Mom? Was machst du denn hier?«, fragte Dani stirnrunzelnd, als sie bei ihr ankam.

Nicht gerade die warmherzige Begrüßung, auf die sie gehofft hatte, aber wenigstens sprach ihre Tochter mit ihr. Dieser kleine Triumph währte allerdings nur kurz, denn sie bemerkte, dass Jackson immer noch neben ihr stand und sie beide beobachtete. Dani hatte Jackson noch nie wirklich kennengelernt, sondern ihn nur gelegentlich auf dem Computer und auf Facebook-Fotos gesehen. Und Abigail hatte nicht vor, sie einander vorzustellen. Wenn die beiden Männer das neun Jahre lang nicht für nötig gehalten hatten, dann tat sie es auch nicht.

»Ich bin hergekommen, um mit Direktorin Breen wegen einer Stelle als Vertretungslehrerin zu sprechen«, erklärte sie und legte einen Arm um ihre Tochter.

Dani machte sich schulterzuckend los.

Ihr Arm fiel an ihrer Seite hinab. Sie wusste, dass das alles nicht leicht für ihre Tochter war. Dani hatte eine enge Beziehung zu ihrem Vater, obwohl er regelmäßig längere Zeit weg war, und sie kam mehr nach ihm, was es zu einer Herausforderung machte, eine Gemeinsamkeit zu finden, die sie einander näherbrachte. Ihre Tochter war zu klein, um richtig zu verstehen, was vor sich ging, aber Abigail hatte ihr Bestes gegeben, ihr die Situation zu erklären. Sie wollte nicht, dass sie alles aus der Boulevardpresse erfuhr. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass Dani ihr die Schuld gab, zumindest an dem Umzug, aber sie war entschlossen, ihre Beziehung wieder hinzubiegen. »Sie hat gesagt, dass ich nächste Woche anfangen kann … wann immer sie eine Vertretung brauchen.« Sie blickte kurz zu Jackson. Warum stand er immer noch hier – und hörte zu? »Ist das nicht toll?«

Dani zuckte mit den Schultern.

Hitze schoss ihr in die Wangen, und sie zwang sich, nicht zu Jackson zu sehen. Sie führte ihre Tochter ein Stück weiter weg und kniete sich vor sie hin. »Es tut mir leid, dass du böse bist, und ich weiß, dass dieser Umzug schwer für dich ist«, sagte sie. »Aber ich verspreche dir, dass jetzt alles besser werden wird.« Wie oft hatte sie das in den letzten drei Tagen zu Dani gesagt? Sie fragte sich, ob sie damit wirklich nur ihre Tochter überzeugen wollte. »Bald ziehen wir in unser eigenes Haus, und das wird sich ganz schnell nach Zuhause anfühlen.« Sie strich ihrer Tochter das glatte, dunkle Haar aus der Stirn – das Haar ihres Vaters – und suchte in ihrem Gesicht nach irgendeinem Anzeichen von Verständnis.

Dani wirkte nicht überzeugt, nickte aber schließlich. »Schön. Meinetwegen«, meinte sie schlicht.

Im Moment war ihr jede wie auch immer geartete Zustimmung recht. »Komm schon. Wir gehen zum Mittagessen ins Diner auf der Hauptstraße.« Das Mensaessen war mies. Schon sehr bald würden sie sich beide daran gewöhnen müssen. Aber nicht heute.

Sie nahm außerdem an, sie würde sich schon sehr bald daran gewöhnen müssen, Jackson Westmore zu begegnen. Aber auch das war etwas, das sie nur allzu gern so lange wie möglich hinausschieben wollte.

»Die Hände immer vom Körper weghalten … genau so. Du willst schließlich nicht runter auf den Puck schauen, sonst behältst du ihn nicht lange«, erklärte Jackson, während er rückwärts über das Eis kurvte und Taylor dabei beobachtete, wie sie mit dem Puck quer über die Fläche auf das Netz zusauste.

Das Auswahlspiel war kommende Woche, und er wollte sichergehen, dass seine Nichte vorbereitet war. Darryls Warnung wegen der anderen Väter beunruhigte ihn immer noch, aber was ihn völlig aus dem Konzept gebracht hatte, war die kurze – und doch viel zu lange – Begegnung mit Abby Jansen diesen Mittag.

Sie würde hier an der Schule unterrichten. Na super.

Er schüttelte den Kopf, um das Bild zu vertreiben, das ihm vor Augen stand – sie in ihrem teuren Hosenanzug, schöner denn je. Er brauchte keine neuen Erinnerungen an sie, die mit den alten wetteiferten.

Er bewegte sich näher auf seine Nichte zu, um ihr den Puck zu klauen, aber sie brachte ihren Körper zwischen den Puck und ihn, wie er es ihr beigebracht hatte. Er lächelte. Das Kind war ein Naturtalent. »So ist es gut. Wo hast du das gelernt?«

»Von Onkel Ben«, neckte sie ihn.

»Ha! Ich hab deinen beiden Onkeln alles beigebracht, was sie können.« Ironischerweise stimmte das. Er war mit vier Jahren der Erste von ihnen dreien gewesen, der Interesse an Eishockey entwickelt hatte. Sein älterer Bruder Ben und sein jüngerer Bruder Asher hatten erst einige Jahre später angefangen zu spielen.

Aber wie sich herausstellte, waren sie beide besser als er. Deshalb spielten sie heute in der NHL, und er war immer noch Trainer in Glenwood Falls.

Taylor lief schneller und zog ab. Der Puck traf den rechten Pfosten.

»Du hast ihn zu früh geschlagen«, sagte er, glitt auf Kufen zu ihr und klopfte ihr auf den Helm. »Halt ihn einfach einen Tick länger. Du bist zu sehr darauf aus, ohne Hilfe ein Tor zu schießen – vielleicht hast du tatsächlich ein, zwei Sachen von deinem Onkel Ben gelernt.« Ben spielte für die Colorado Avalanche. Er war seit drei Jahren der Top-Torschütze der Mannschaft, aber er konnte den Puck nicht abgeben.

Jackson glitt an ihr vorbei und sammelte den Puck ein. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es nach fünf war. Sie hatten fast zwei Stunden lang trainiert. »Komm, lass uns was essen gehen.«

»Können wir zu Slope & Hatch gehen?«

»Hast du Lust auf einen Big Valley Mac?« Sie setzten sich auf die Bank, um ihre Schlittschuhe auszuziehen.

Sie nahm ihren Helm ab und schüttelte das ziemlich kurze dunkle Haar. »Gibt’s irgendeinen anderen Hotdog, den es sich zu essen lohnt?«

Er lachte. »Guter Einwand, Kleine. Geh dein Zeug holen.«

Als sie in die Umkleide abzischte, stand er auf und starrte auf die Eisfläche. Über der Mittellinie hingen die Meisterschaftswimpel des örtlichen Eishockeyteams, und an der Wand ihm gegenüber ein Banner, auf dem stand: WILLKOMMEN IN DER HEIMATSTADT DER WESTMORE-BRÜDER!

Ben und Asher – der ganze Stolz der Gemeinde.

Sie waren die Stars von Glenwood Falls – er war bloß jedermanns Lieblingstrainer.