Der Autor

James Ellroy – Foto © Marion Ettlinger

James Ellroy, 1948 in Los Angeles geboren, lernte die dunkle Seite der amerikanischen Gesellschaft sehr früh kennen. Als Jugendlicher geriet er aus der Bahn und konnte sich erst durchs Schreiben wieder fangen. Mit »Die schwarze Dahlie« gelang ihm der internationale Durchbruch. Heute gilt er als einer der wichtigsten literarischen amerikanischen Autoren. Von James Ellroy sind in unserem Hause bereits erschienen: Blut auf dem Mond Blut will fließen Blutschatten Browns Grabgesang Crime Wave Der Hilliker-Fluch Die Rothaarige Die schwarze Dahlie Ein amerikanischer Albtraum Ein amerikanischer Thriller Endstation Leichenschauhaus Heimlich Hollywood, Nachtstücke Hügel der Selbstmörder In der Tiefe der Nacht L.A. Noir Perfidia Stiller Schrecken White Jazz

Das Buch

Das L.A.-Quartett gilt als das Aufregendste, was James Ellroy jemals geschrieben hat. Die vier voneinander unabhängigen Romane erzählen auf der Grundlage genau recherchierter historischer Fakten vom Los Angeles der Nachkriegszeit. Im Mittelpunkt steht das Los Angeles Police Department und seine Fälle, doch James Ellroy entwirft nicht weniger als ein gesellschaftliches Panorama jener Zeit, deren Akteure machtversessene Politiker, manipulative Schauspielerinnen, zweifelhafte Journalisten und – nicht zu vergessen – korrupte Polizisten sind. Berühmt wurden auch die oscarprämierte Verfilmung von »L.A. Confidential« mit Russell Crowe, Kevin Spacey, Danny DeVito und Kim Basinger in den Hauptrollen sowie »The Black Dahlia« von Starregisseur Brian de Palma mit Scarlett Johansson und Josh Hartnett. »Ein gültiges Epos über das Los Angeles der vierziger und fünfziger Jahre.« Rolling Stone

James Ellroy

L.A. Confidential

Stadt der Teufel

Aus dem Amerikanischen
von Hans H. Harbort

Ullstein

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www.ullstein.de

Neuausgabe zum 70. Geburtstag des Autors
Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Februar 2018 © für die deutsche Ausgabe by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2006
© 2003 für die deutsche Ausgabe by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München
© 1991 für die deutsche Ausgabe by Verlag Ullstein GmbH & Co. KG, Frankfurt/Main – Berlin
© 1990 by James Ellroy Titel der amerikanischen Originalausgabe: L.A. Confidential (Alfred A. Knopf, New York)
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: Getty Images / © Marion Ettlinger
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Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-8437-1024-4

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Für Mary Doherty Ellroy



Ein Ruhm, der alles kostet und ohne Sinn ist –

Steve Erickson

Prolog

21. Februar 1950

Ein verlassenes Motel in den Ausläufern der San-Bernardino-Berge; Buzz Meeks mietete sich ein mit vierundneunzigtausend Dollar, achtzehn Pfund hochwertigem Heroin, einer großkalibrigen Schrotflinte, einem 38er Special, einer 45er Automatik und einem Schnappmesser, das er einem Pachuco an der Grenze abgekauft hatte – um kurz darauf das auf der anderen Seite parkende Auto zu entdecken: Mickey Cohens Schläger in einem Zivilwagen des LAPD, dazu etliche Tijuana-Cops auf der Lauer, sich einen Teil seiner Habe unter den Nagel zu reißen und seine Leiche in den San Ysidro River zu kippen.

Er war jetzt eine Woche auf der Flucht; er hatte sechsundfünfzig Riesen fürs Überleben ausgegeben: Autos, Schlupfwinkel zu vier- und fünftausend pro Nacht – Risikotarif –, die Inhaber wussten, dass Mickey C. hinter ihm her war, weil er sein Drogengipfeltreffen und seine Frau aufgemischt hatte, und dass ihn die Polizei von L. A. wegen Mordes an einem der Ihren kriegen wollte. Der Kontrakt, den Cohen auf ihn rausgegeben hatte, vermasselte ihm jeden Direktverkauf des Stoffes – aus Angst vor Racheakten wollte keiner das Zeug haben; er konnte nichts Besseres tun, als den Dreck bei Doc Engleklings Söhnen zu bunkern – Doc würde ihn einfrieren, portionieren, später verkaufen und ihm seinen Anteil geben. Doc hatte früher mit Mickey zusammengearbeitet und war schlau genug, um vor dem Scheißkerl Angst zu haben; die Brüder knöpften ihm fünfzehn Riesen ab, schickten ihn zum El Serrano Motel und wollten seine Flucht vorbereiten. Heute Abend nach Sonnenuntergang sollten ihn zwei Männer – Illegalenschlepper – zu einem Bohnenfeld fahren und ihn via Aerokoks nach Guatemala City verfrachten. Er hätte dann mehr als zwanzig Pfund Big H in den Staaten, die für ihn arbeiteten – falls er den Söhnen von Doc und sie den Schmugglern trauen konnten.

Meeks versteckte seinen Wagen in einem Pinienhain, wuchtete seinen Koffer heraus und sondierte das Terrain.

Das Motel hatte die Form eines Hufeisens, ein Dutzend Zimmer, die Berge im Rücken – unmöglich, von hinten heranzukommen.

Der Hof war mit losem Kies ausgestreut und übersät mit Ästen, Papierfetzen und leeren Weinflaschen – jeder Fußtritt würde knirschen, Autoreifen würden auf Holz und Glas knacken.

Es gab nur einen Zugang – die Straße, auf der er gekommen war. Die Kundschafter müssten sich durch dichten Wald kämpfen, wenn sie ihm ans Leder wollten.

Oder sie könnten in einem der Zimmer auf ihn warten.

Meeks schnappte sich die 10er Schrotflinte und fing an, Türen einzutreten. Eins, zwei, drei, vier – Spinnweben, Ratten, Badezimmer mit verstopften Toiletten, verschimmelte Lebensmittel, Zeitschriften in spanischer Sprache – die Schmuggler benutzten das Motel offensichtlich dazu, die Spics einzulogieren, ehe sie sie zu den Sklavenfarmen oben im Kern County brachten. Fünf, sechs, sieben – Bingo: mexikanische Familien, die sich auf Matratzen drängten und verängstigt auf den weißen Mann mit der Waffe starrten. »Ruhig, schön ruhig«, damit sie friedlich blieben. Die letzten paar Zimmer standen leer. Meeks holte sein Bündel, ließ es gleich hinter der Tür von Nummer 12 zu Boden fallen: Blick nach vorne über den Hof, eine Matratze auf durchgerittenen Federn, aus der die Füllung quoll – nicht schlecht für die letzte Absteige in Amerika.

Ein Kalender mit käsigen Weibern an der Wand; Meeks blätterte auf April und schaute nach seinem Geburtstag. Ein Donnerstag – das Mädchen hatte schlechte Zähne, sah aber trotzdem gut aus, erinnerte ihn an Audrey: ehemalige Stripperin, ehemalige Geliebte von Mickey und der Grund dafür, dass er einen Cop umgelegt und den Cohen/Dragna-Deal hatte hochgehen lassen. Er blätterte weiter bis Dezember, rechnete seine Chancen aus, das Jahr zu überleben, und bekam plötzlich Schiss: Bauchflattern, eine Ader auf seiner Stirn übte Stepptanzen, der Schweiß brach ihm aus.

Es wurde schlimmer – richtiges Muffensausen. Meeks legte sein Arsenal auf die Fensterbank, stopfte sich die Taschen voll Munition: Patronen für den 38er, Reservemagazine für die Automatik. Er steckte sich das Schnappmesser in den Gürtel, verbarrikadierte das hintere Fenster mit der Matratze, machte das vordere der Lüftung wegen einen Spaltbreit auf. Ein Luftzug kühlte seinen Schweiß; er sah den Mexenbälgern zu, die draußen mit einem Baseball spielten.

Lange Zeit verharrte er so. Draußen sammelten sich die Wetbacks, deuteten auf die Sonne, als könnten sie daran die Uhrzeit erkennen, warteten auf den Lastwagen, der sie abholen sollte – harte Knochenarbeit für drei arme Mahlzeiten und eine Pritsche. Es dämmerte. Die Mexen fingen an zu schnattern; Meeks sah zwei weiße Männer – einen fetten, einen dürren – auf den Hof kommen. Sie winkten leutselig; die Spics winkten zurück. Sie sahen nicht aus wie Cops oder wie Cohens Schläger. Meeks, die Schrotflinte hinter dem Rücken, trat hinaus.

Die Männer winkten: breites Grinsen, keine bösen Absichten. Meeks kontrollierte die Straße – eine grüne Limousine quer geparkt, dahinter etwas Hellblaues, zu glänzend, als dass es der Himmel zwischen den Föhren sein könnte. Er sah einen Lichtreflex auf Metalliclack, und da klickte es bei ihm: Bakersfield, das Treffen mit den Jungs, die ein bisschen Zeit brauchten, das Geld zu besorgen. Das meiseneifarbene Coupé, das ihm eine Minute später eine Breitseite verpassen wollte.

Meeks lächelte: ein freundlicher Kerl, keine böse Absicht. Den Finger am Abzug; ein Blick auf den Dürren: Mal Lunceford, ein Uniformierter vom Hollywood-Revier – er machte immer in Scrivener’s Drive-in den Serviererinnen schöne Augen, schmiss sich in die Brust und protzte mit seinen Schieß-Auszeichnungen. Der Fette, etwas näher, sagte: »Das Flugzeug steht bereit.«

Meeks riss das Gewehr nach vorne, feuerte eine Garbe ab. Der Fette bekam die Rehposten ab, flog zurück und verdeckte Lunceford – der ging ebenfalls zu Boden. Die Wetbacks flüchteten Hals über Kopf; Meeks rannte in sein Zimmer, hörte das Rückfenster splittern, riss die Matratze weg. Scheibenschießen: zwei Männer, drei Schrotladungen aus nächster Nähe.

Die beiden wurden buchstäblich zerfetzt; Glas und Blut spritzten auf drei weitere Männer, die sich entlang der Wand vorschlichen. Meeks machte einen Satz, warf sich zu Boden, feuerte auf drei Paar eng zusammengepresste Beine; seine freie Hand wirbelte herum, schnappte sich einen Revolver aus dem Hosenbund eines der Toten.

Schreie auf dem Hof; schnelle Schritte auf dem Kies. Meeks ließ das Gewehr fallen, stolperte zu der Wand. Zu den Männern hin, schmeckte Blut – Kopfschüsse aus kürzester Distanz.

Gepolter im Zimmer; zwei Gewehre in Griffnähe. Meeks brüllte: »Wir haben ihn!«, hörte begeisterte Antwortrufe, sah Arme und Beine aus dem Fenster kommen. Er griff sich das nächstbeste Teil und zog ab, Vollautomatik: die Männer wie auf dem Präsentierteller, Putz explodierte, trockenes Holz fing Feuer.

Über die toten Körper hinweg hinein in das Zimmer. Die Vordertür stand offen; seine Waffen lagen immer noch auf dem Fensterbrett. Plötzlich ein seltsam dumpfes Geräusch; Meeks sah einen Mann breitbeinig am Boden liegen – er zielte von hinter dem Bettkasten aus auf ihn.

Er warf sich zu Boden, trat zu, verfehlte. Der Mann gab einen Schuss ab – knapp daneben; Meeks packte sein Schnappmesser, sprang, stach zu: in den Hals, ins Gesicht, und der Mann schrie, schoss – Querschläger heulten. Meeks schlitzte ihm die Kehle auf, kroch hin und trat die Tür zu, schnappte sich seine Waffen und holte erst einmal Luft.

Das Feuer breitete sich aus: röstete Fleisch und Pinienholz; die Vordertür war sein einziger Ausweg. Wie viele Männer lagen da draußen auf Lauer?

Schüsse.

Aus dem Hof: schweres Kaliber, das dicke Brocken aus der Wand riss. Einer erwischte Meeks am Bein; ein Schuss streifte ihn am Rücken. Er warf sich zu Boden, die Schüsse nahmen kein Ende, die Tür fiel aus den Angeln – er war mitten im Kreuzfeuer.

Keine Schüsse mehr.

Meeks schob sich die Waffen unter die Brust, stellte sich tot. Die Sekunden zogen sich hin. Vier Männer mit Gewehren kamen herein. Flüstern: »Mausetot« – »Wir sollten gaaaanz vorsichtig sein« – »Verrückter Okie-Scheißer.« Durch die Tür; Mal Lunceford nicht dabei; Schritte.

Fußtritte in die Seite, schweres Atmen, höhnische Bemerkungen. Ein Fuß wurde unter ihn geschoben. Eine Stimme sagte: »Fetter Sack.«

Meeks riss den Fuß weg; der zugehörige Mann fiel hintenüber. Meeks wirbelte herum und schoss – kurze Distanz, lauter Treffer. Vier Männer gingen zu Boden; Meeks sah alles verkehrt herum: den Hof, Mal Lunceford, der Fersengeld gab. Dann, direkt hinter ihm: »Hallo, mein Junge.«

Dudley Smith schritt durch die Flammen, geschützt durch einen schweren Feuerwehrmantel. Meeks sah seinen Koffer – vierundneunzig Riesen, das Dope – drüben neben der Matratze. »Dud, allzeit bereit.«

»Wie bei den Pfadfindern, mein Junge. Und, willst du ein letztes Wort sprechen?«

Selbstmord: einen Deal aufmischen, bei dem Dudley S. den Wachhund spielte. Meeks hob seine Waffen; Smith schoss zuerst. Meeks starb – und dachte, das El Serrano sehe genauso aus wie der Alamo.

1

BLUTIGE WEIHNACHT

1

Bud White saß in einem Zivilwagen und sah zu, wie an dem Weihnachtsbaum auf dem Rathaus immer wieder die Zahl »1951« aufblinkte. Die Rückbank war vollgepackt mit Schnaps für die Revier-Party; den ganzen Tag lang hatte er Ladenbesitzer abgeklappert, ohne sich um Parkers Anordnung zu scheren. Verheiratete Männer hatten den Vierundzwanzigsten und den ersten Feiertag frei, nur die Junggesellen mussten Dienst schieben, und die gesamte Kriminalabteilung von Central war abgestellt, um Obdachlose einzukassieren: Der Chief wollte die örtlichen Penner auf Eis haben, damit sie nicht bei Bürgermeister Bowrons Gartenparty für arme, unterprivilegierte Kids hereinplatzten und die ganzen Kekse einsackten. Letztes Jahr zu Weihnachten hatte doch tatsächlich ein verrückter Nigger mit seinem Wiener gewedelt, in einen Krug Limonade gepisst, die für irgendwelche Waisenkinder gedacht war, und Mrs Bowron aufgefordert: »Greif zu, olle Zicke.« William H. Parker hatte sein erstes Weihnachtsfest als Chief des Los Angeles Police Department damit zugebracht, die Frau des Bürgermeisters zum Ruhigstellen in die Wachstube des Central-Reviers zu bringen, und jetzt, ein Jahr danach, musste er dafür bezahlen.

Die Schnapskartons auf der vollgepackten Rückbank zermatschten ihm die Wirbelsäule zu Wackelpudding.

Ed Exley, der stellvertretende Wachhabende, war ein scharfer Hund und machte möglicherweise Ärger, wenn sich mehr als hundert Cops im Mannschaftsraum einen ansoffen. Und Johnny Stompanato hatte sich schon zwanzig Minuten verspätet.

Bud drehte an seinem Sprechfunkgerät. Das Gemurmel wurde deutlicher: Ladendiebstähle, Überfall auf einen Schnapsladen in Chinatown. Die Beifahrertür ging auf; Johnny Stompanato rutschte auf den Nebensitz.

Bud schaltete die Innenbeleuchtung an. Stompanato sagte: »Fröhliche Weihnachten. Wo ist denn Stensland? Ich hab was für euch zwei.«

Bud musterte ihn genauer. Mickey Cohens Leibwächter war seit einem Monat arbeitslos – Mickey saß wegen einer Steuersache, einer Bundesangelegenheit, drei bis sieben Jahre auf McNeil Island. Johnny Stomp hatte nichts weiter zu tun, als sich die Finger zu maniküren und seine Hosen zu bügeln. »Für dich immer noch Sergeant Stensland. Er hat zu tun, Penner auflesen, und der Lohn ist eh derselbe.«

»Schade. Ich mag Dick, er hat Stil. Das wissen Sie ja, Wendell

Der süße Johnny: ganz Spaghettieleganz, die Löckchen zu einem strengen Pompadour frisiert. Bud hatte gehört, dass er ausgestattet war wie ein Pferd und sich trotzdem noch den Stall auspolsterte. »Spuck aus, was du hast.«

»Dick hat bessere Umgangsformen als Sie, Officer White.«

»Bist du scharf auf mich, oder willst du bloß plaudern?«

»Ich bin scharf auf Lana Turner, und Sie sind scharf auf Typen, die ihre Weiber prügeln. Außerdem hab ich gehört, dass Sie ein richtiges Schätzchen bei den Weibern sind und nicht besonders wählerisch, was das Aussehen betrifft.«

Bud ließ seine Fingerknöchel knacken. »Und du lebst davon, andere Leute fertigzumachen, und wenn Mickey noch so viel Geld für wohltätige Organisationen gibt, ist er keinen Deut besser als ein Dope-Dealer und Zuhälter. Auch wenn’s noch so viele Beschwerden hagelt, weil ich mit Typen, die ihre Weiber prügeln, zu hart umspringe, heißt das noch lange nicht, dass ich mit dir auf einer Stufe stehe. Capisce, du Scheißer?«

Stompanato lächelte – nervös; Bud sah aus dem Fenster. Ein Weihnachtsmann von der Heilsarmee zählte gerade die Münzen in seinem Sammelbecher, ein Auge auf dem Schnapsladen auf der anderen Straßenseite. Stomp sagte: »Hören Sie, Sie wollen Informationen, und ich brauche Geld. Mickey und Davey Goldman sitzen, und Mo Jahelka kümmert sich um alles, solange die zwei nicht da sind. Mo geht selber auf dem Zahnfleisch und hat keine Arbeit für mich. Jack Whalen wollte mich ums Verrecken nicht einstellen, und von Mickey kommt kein einziger gottverdammter Umschlag mehr.«

»Kein Umschlag mehr? Mickey ist doch fein raus. Ich hab gehört, dass er sogar das Gift aus dem geplatzten Deal mit Jack D. zurückgekriegt hat.«

Stompanato schüttelte den Kopf. »Da haben Sie falsch gehört. Mickey hat zwar den Kerl gekriegt, aber das Gift ist futsch und der Typ hat außerdem hundertfünfzig Riesen von Mickeys Geld mitgehen lassen. Also, Officer White, ich brauche Geld. Und wenn Ihr Informanten-Fonds noch was hergibt, besorg ich Ihnen ’n paar erstklassige neue Rangabzeichen.«

»Werd endlich sauber, Johnny. Werde ein guter Bürger, wie ich und Dick Stensland.«

Stomp kicherte höhnisch – es wirkte nicht überzeugend. »Ein Schlüsseldieb für zwanzig und ein Ladendieb, der seine Alte vermöbelt, für dreißig. Leisten Sie sich ’n schnellen Spaß: Ich hab auf dem Weg hierher gesehen, wie sich der Typ bei Ohrbach bedient hat.«

Bud nahm einen Zwanziger und einen Zehner aus der Tasche. Stompanato griff sofort zu. »Ralphie Kinnard. Er ist blond und fett, um die vierzig. Trägt ’n Wildlederjackett und graue Flanellhosen. Ich hab gehört, dass er regelmäßig seine Frau vertrimmt und sie auf ’n Strich schickt, damit er seine Pokerschulden bezahlen kann.«

Bud machte sich Notizen. Stompanato sagte: »Beste Weihnachten, Wendell.«

Bud packte ihn am Schlips und zog; Stomp knallte mit dem Kopf aufs Armaturenbrett.

»Prost Neujahr, Schmalzkopp.«


Bei Ohrbach war es gedrängt voll – die Kunden umschwärmten Ladentische und Kleiderständer. Bud bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg zum dritten Stock, ein wahres Paradies für Ladendiebe: Schmuck, edle Spirituosen in Kristall.

Ladentische, übersät mit Armbanduhren; Kassen, an denen die Leute in langen Schlangen standen. Bud hielt Ausschau nach blonden Männern, wurde immer wieder von Hausfrauen mit Kindern beiseite gedrängt. Dann, aus dem Augenwinkel: ein blonder Kerl mit Wildlederjacke, der gerade in der Herrentoilette verschwand.

Bud drängelte sich durch und ging hinein. Zwei alte Knacker standen an den Pinkelbecken; auf dem Boden der Toilettenkabine ringelten sich graue Flanellhosen. Bud bückte sich und blickte unten durch – Bingo: beide Hände voller Schmuck. Die Alten zogen ihre Reißverschlüsse hoch und gingen; Bud hämmerte an die Tür. »Komm raus, der Nikolaus ist da.«

Die Tür flog auf; eine Faust flog heraus. Bud wurde voll erwischt, fiel gegen ein Waschbecken, stolperte zu Boden. Manschettenknöpfe im Gesicht, Kinnard auf und davon. Bud rappelte sich hoch und nahm die Verfolgung auf.

Durch die Tür, Kunden versperrten ihm den Weg; Kinnard entwischte durch einen Nebenausgang. Bud jagte hinterher – über das Geländer und dann die Feuertreppe hinunter. Der Parkplatz war leer: keine Lieferfahrzeuge, kein Ralphie. Bud rannte zu seinem Streifenwagen, klemmte sich ans Funkgerät. »4A31 an Zentrale, dringend.«

Rauschen, dann: »Roger, 4A31.«

»Letzte bekannte Adresse. Weißer, männlich, Vorname Ralph, Nachname Kinnard. Ich nehme an, K-I-N-N-A-R-D. Schnell, ja?«

Der Mann gab sein Roger; Bud schlug ein paar kurze Haken: Bamm-bamm-bamm-bamm-bamm-bamm. Im Radio knackte es:

»4A31, Roger Ihre Anfrage.«

»4A31, Roger.«

»Antwort positiv: Kinnard, Ralph Thomas, weiß, männlich, Geburtsdatum –«

»Bloß die verdammte Adresse, hab ich gesagt –«

Der Mann von der Zentrale schnaubte verächtlich. »Das ist für deinen Weihnachtsstrumpf, du Scheißer. Die Adresse lautet: 1486 Evergreen, und ich hoffe, du –«

Bud schaltete den Kasten aus, fuhr in Richtung Osten nach City Terrace. Beinahe 40 Sachen, Daumen auf der Hupe. Knapp fünf Minuten bis Evergreen. Der 1200er und 1300er Block rasten vorbei; dann der 1400er – riesige alte Kästen in Fertigbauweise.

Er parkte, folgte den Hausnummern bis 1486 – ein weiß verputztes Haus mit einem Weihnachtsschlitten aus Neon auf dem Dach. Innen Licht, ein Vorkriegs-Ford in der Auffahrt. Durch ein Glasfenster: Ralphie Kinnard, der eine Frau im Bademantel vermöbelte.

Die Frau hatte ein aufgedunsenes Gesicht, Alter etwa fünfunddreißig. Sie wich vor Kinnard zurück; ihr Bademantel klaffte auf. Ihre Brüste waren voller blauer Flecken, die Rippen zerschrammt.

Bud ging zum Wagen zurück, um die Handschellen zu holen, sah die Lampe des Funkgeräts aufleuchten und meldete sich. »4A31 antwortet.«

»Roger, 4A31, ein APO. Zwei Streifenpolizisten wurden vor einer Kneipe an 1990 Riverside angegriffen, sechs Tatverdächtige flüchtig. Sie wurden aufgrund ihrer Nummernschilder identifiziert, andere Einheiten sind benachrichtigt.«

Bud verspürte ein leises Kribbeln. »Sieht’s schlecht aus für unsere Leute?«

»Roger. Fahren Sie zur 53 rd Avenue Nummer 5314, Lincoln Heights. Festnahme Dinardo, D-I-N-A-R-D-O, Sanchez, Alter zweiundzwanzig, männlich, Mexikaner.«

»Roger. Und Sie schicken einen Streifenwagen nach 1486 Evergreen. Verdächtiger Weißer in Gewahrsam. Ich werde nicht mehr da sein, aber die Kollegen werden ihn schon finden. Sagen Sie ihnen, dass ich die Eintragung mache.«

»Einlieferung ins Revier Hollenbeck?«

Bud gab sein Roger, schnappte sich die Handschellen. Zurück zum Haus und zum Sicherungskasten an der Außenwand. Er legte einen Schalter nach dem anderen um, bis die Lichter im Haus ausgingen. Santas Schlitten blieb weiterhin erleuchtet. Bud packte das Kabel, das in einer Außensteckdose steckte, und zog kräftig daran. Der ganze Aufbau krachte zu Boden, die Rentiere explodierten.

Kinnard kam herausgerannt, stolperte über den abgestürzten Rudolph. Bud legte ihm die Handschellen an, knallte ihn mit dem Gesicht aufs Pflaster. Ralphie heulte auf und spuckte Kies. Bud spulte seine übliche Nummer zum Thema »Frauen prügeln« ab. »In cirka anderthalb Jahren kommst du wieder raus, und ich werde ge-nau wissen, wann es so weit ist. Ich werde rauskriegen, wer dein Bewährungshelfer ist, und mich an ihn ranschmeißen. Ich werde dich besuchen und sehen, wie’s dir geht. Wenn du sie auch nur noch einmal anrührst, werd ich’s sofort erfahren, und dann häng ich dir ’ne Anklage wegen Kinderschändung an. Weißt du, was die in Quentin mit Kinderschändern machen? Hä? Noch ’ne blöde Frage?«

Das Licht ging wieder an – Kinnards Frau fummelte am Sicherungskasten herum. Sie fragte: »Kann ich zu meiner Mutter?«

Bud leerte Ralphies Taschen aus – Schlüssel, eine Rolle Geldscheine. »Nehmen Sie den Wagen, und sehen Sie zu, dass Sie sich ein bisschen zurechtmachen.«

Kinnard spuckte einen Mund voll Zähne aus. Mrs Ralphie schnappte sich die Schlüssel und zog einen Zehner aus der Rolle. Bud sagte: »Und fröhliche Weihnachten noch.«

Mrs Ralphie warf ihm einen Kuss zu und fuhr den Wagen rückwärts aus der Auffahrt, direkt über die noch immer blinkenden Rentiere.


Avenue 53 – Code 2, ohne Sirene. Ein schwarz-weißer Streifenwagen war einen Moment schneller gewesen; zwei Blaue und Dick Stensland stiegen gerade aus und steckten die Köpfe zusammen.

Bud tippte kurz auf die Hupe. Stensland kam zu ihm. »Mit wem haben wir’s zu tun, Partner?«

Stensland deutete auf eine Hütte. »Der eine Typ, von dem in der Meldung die Rede war, vielleicht noch andere. Waren vermutlich vier Spics und zwei Weiße, die unsere Leute fertiggemacht haben. Brownell und Helenowski. Brownell hat vermutlich eine Gehirnverletzung, und Helenowski soll ein Auge verloren haben.«

»Ich höre immer soll und vermutlich.«

Stens stank nach Listerine und Gin. »Willst du mit mir Haare spalten?«

Bud stieg aus dem Wagen. »Keineswegs. Wie viele in Gewahrsam?«

»Bis jetzt Fehlanzeige. Wir haben die Ehre.«

»Dann sag den Blauen, sie sollen sich raushalten.«

Stens schüttelte den Kopf. »Das sind Kumpel von Brownell. Die wollen auch was abhaben.«

»Nix da, das ist unsere Sache. Wir nehmen sie fest, wir schreiben den Bericht, und dann schaffen wir’s bis zur Ablösung noch auf die Party. Ich hab drei Kisten: Walker Black, Jim Beam und Cutty.«

»Exley ist stellvertretender Wachhabender. Der ist ein verdammter Scheinheiliger, und du kannst drauf wetten, dass er für Alkohol im Dienst nichts übrighat.«

»Yeah, und Frieling ist der eigentliche Wachhabende, und der ist genauso ein verdammter Säufer wie du. Also zerbrich dir den Kopf nicht wegen Exley. Außerdem muss ich vorher noch einen Bericht schreiben – also bringen wir’s hinter uns.«

Stens lachte. »Schwere körperliche Misshandlung einer Frau? Was ist das – Paragraf sechshundertdreiundzwanzig, Absatz eins, des Kalifornischen Strafgesetzbuches? Na gut, ich bin ein verdammter Säufer, und du bist ein verdammter guter Samariter.«

»Yeah. Und du bist ranghöher als ich. Und was jetzt?«

Stens zwinkerte ihm zu; Bud übernahm die Flanke – die Vordertreppe hoch, die Waffe bereit. Die Hütte war dunkel, Vorhänge zugezogen. Bud hörte einen Werbespot im Radio: Felix der Chevrolet-Kater. Dick trat die Tür ein.

Schreie. Ein Mann und eine Frau, beide Mexikaner, rannten weg. Stens zielte auf Kopfhöhe; Bud blockierte den Schuss. Den Flur entlang, Bud dicht auf, Stens mit pfeifendem Atem, Möbel stürzten um. Die Küche – die beiden Spics am Fenster. Endstation.

Die beiden drehten sich um, hoben ihre Hände. Ein Pachuco-Lümmel, ein hübsches junges Mädchen, etwa im sechsten Monat.

Der Junge stellte sich mit dem Gesicht an die Wand – ein Profi. Bud durchsuchte ihn. Ein Ausweis auf den Namen Dinardo Sanchez, ein Haufen Kleingeld. Das Mädchen heulte. Draußen jaulten Sirenen. Bud drehte Sanchez um, trat ihm in die Eier. »Das ist für unsere, Pancho. Freu dich. Diesmal bist du leicht davongekommen.«

Stens packte das Mädchen. Bud sagte: »Hau ab, Herzchen. Eh mein Freund hier deine Aufenthaltserlaubnis sehen will.«

Das Wort »Aufenthaltserlaubnis« jagte ihr einen Schrecken ein – Madre mia! Madre mia! Stens schob sie zur Tür. Sanchez stöhnte vor Schmerzen. Bud sah eine Menge Blaue in der Auffahrt. »Lassen wir ihnen Pancho. Sollen die ihn mitnehmen.«

Stens atmete tief durch. »Wir übergeben ihn Brownells Kumpels.«

Zwei junge Cops schleiften Sanchez nach draußen. Stens sagte: »Du und die Weiber. Was kommt als Nächstes? Kinder und Hunde?«

Mrs Ralphie – voller blauer Flecken zum Weihnachtsfest. »Bin schon dabei. Komm, liefern wir den Schnaps ab. Wenn du dich benimmst, kriegst du ’ne eigene Flasche.«

2

Preston Exley zog mit einem Ruck das verhüllende Tuch weg. Seine Gäste brachen in laute Ohs und Ahs aus; ein Stadtrat klatschte und bekleckerte dabei eine Matrone aus der feinen Gesellschaft mit Eierpunsch. Ed Exley dachte: Das ist alles andere als der übliche Heiligabend eines Polizisten.

Er warf einen Blick auf seine Uhr. Acht Uhr sechsundvierzig – um Mitternacht musste er auf dem Revier sein. Preston Exley wies auf das Modell.

Es nahm fast die Hälfte seines Wohnzimmers ein: ein Freizeitpark voller Berge aus Papiermaschee, Weltraumraketen, Wildwest-Städte. Am Eingang Comicfiguren: Moochie Mouse, Scooter Squirrel, Danny Duck – alles Raymond Dieterlings Kreaturen, bekannt aus der Sendung Dream-a-Dream-Hour und aus zahllosen Zeichentrickfilmen.

»Ladies und Gentlemen. Ich präsentiere Ihnen das Dream-a-Dreamland. Es soll von der Firma Exley Construction in Pomona, Kalifornien, gebaut werden und im April 1953 dem Publikum zugänglich sein. Es wird der schönste und größte Freizeitpark der Geschichte werden, eine Welt für sich, in der Kinder jeder Altersstufe die Segnungen von Spaß und Unterhaltung genießen können – das Markenzeichen von Raymond Dieterling, dem Vater der modernen Zeichentrickkunst. In Dream-a-Dreamland werden Sie all Ihren Lieblingsfiguren begegnen. Es wird ein Anziehungspunkt sein für alle Jungen und Junggebliebenen.«

Ed starrte auf seinen Vater: Er war siebenundfünfzig, wirkte aber wie fünfundvierzig, ein Cop aus einem lange zurückreichenden Stammbaum von Cops, der jetzt in dieser riesigen Villa im Hancock Park seine Ansprache vor lauter Politikern hielt, die auf ein Fingerschnipsen von ihm hin ihren Heiligabend geopfert hatten. Die Gäste klatschten Beifall. Preston zeigte auf einen schneebedeckten Berg. »Paul’s World, Ladies und Gentlemen. Eine maßstabgerechte Nachbildung eines Berges der Sierra Nevada. Paul’s World wird den Besuchern eine atemberaubende Schlittenfahrt und eine Skihütte bieten, in der Moochie, Scooter und Danny Sketches für die ganze Familie aufführen. Und wer ist dieser Paul aus Paul’s World? Paul war Raymond Dieterlings Sohn. Er kam als Teenager im Jahre 1936 auf tragische Weise ums Leben, als er während eines Campingausflugs von einer Lawine verschüttet wurde – auf einem Berg wie diesem. So wurde aus einer Tragödie eine Lobeshymne an die Unschuld. Und vergessen Sie nicht, Ladies und Gentlemen, von jedem Dollar, den Sie in Paul’s World ausgeben, gehen fünf Cents an den Fonds für polio-gelähmte Kinder.«

Wilder Applaus. Preston nickte Timmy Valburn zu – dem Schauspieler, der in der Dream-a-Dream-Hour die Figur von Moochie Mouse verkörperte und mit seinen riesigen, vorstehenden Schneidezähnen ständig an einem Stück Käse knabbern musste. Valburn stieß den Mann an, der neben ihm stand; der Mann erwiderte die Geste.

Art De Spain erhaschte Eds Blick; Valburn spulte seine Moochie-Nummer ab. Ed steuerte De Spain hinaus in die Halle. »Das ist ja eine riesige Überraschung, Art.«

»Dieterling wird’s in der Dream-Hour öffentlich ankündigen. Hat dein Vater dir nichts gesagt?«

»Nein, und ich wusste auch nicht, dass er Dieterling kennt. Hat er ihn damals beim Fall Atherton kennengelernt? War Wee Willie Wennerholm nicht einer von Dieterlings Kinderstars?«

De Spain lächelte. »Ich war damals nur ein kleiner Laufbursche für deinen Vater, und ich glaube nicht, dass die beiden großen Männer sich je über den Weg gelaufen sind. Preston kennt einfach die richtigen Leute. Ganz nebenbei, hast du den Maus-Menschen und seinen Kumpan gesehen?«

Ed nickte. »Wer ist denn das?«

Aus dem Wohnzimmer erklang lautes Lachen; De Spain steuerte Ed in das Arbeitszimmer. »Das ist Billy Dieterling, Rays Sohn. Er ist einer der Kameraleute für die Serie Badge of Honor, die jede Woche von Millionen Fernsehzuschauern für unser geliebtes LAPD die Werbetrommel rührt. Vielleicht schmiert sich Timmy Käse auf seinen Dingsbums, eh er ihm einen bläst.«

Ed lachte. »Art, du bist ein Pisser.«

De Spain fläzte sich in einen Sessel. »Eddie, von Ex-Cop zu Cop. Wenn du ein Wort wie ›Pisser‹ in den Mund nimmst, dann klingst du wie ein College-Professor. Und du bist in Wirklichkeit gar nicht ›Eddie‹, sondern ›Edmund‹.«

Ed rückte seine Brille zurecht. »Ich hör schon wieder gut gemeinte Ratschläge vom lieben Onkel. Bleib bei der Streife, weil Parker es auf diese Weise zum Chief gebracht hat. Kletter auf dem Verwaltungswege nach oben, weil du keinerlei Führungsqualitäten hast.«

»Du hast keinen Sinn für Humor. Und kannst du nicht endlich die Brille absetzen. Kneif meinetwegen die Augen zu oder sonst was. Abgesehen von Thad Green gibt es, glaub ich, keinen Mann in der Abteilung, der eine Brille trägt.«

»Guter Gott, du scheinst das Department wirklich zu vermissen. Ich glaube, wenn du Exley Construction und deine Fünfzigtausend pro Jahr aufgeben müsstest, um als Rookie beim LAPD einzusteigen, du würdest das glatt machen.«

De Spain zündete sich eine Zigarre an. »Bloß, wenn dein Vater auch mitmacht.«

»Einfach so?«

»Einfach so. Ich war Lieutenant, als Preston Inspector war, und ich bin immer noch die Nummer zwei. Wäre schön, endlich mit ihm auf einer Stufe zu stehen.«

»Wenn du dich nicht so gut im Holzgeschäft auskennen würdest, gäbe es Exley Construction heute gar nicht.«

»Danke. Und sieh zu, dass du endlich diese Brille loswirst.«

Ed nahm ein gerahmtes Foto zur Hand. Sein Bruder Thomas in Uniform, aufgenommen an dem Tag, bevor er starb. »Wenn du ein Rookie wärst, würd ich dich in die Mangel nehmen wegen Ungehorsam.«

»Das trau ich dir zu. Wie hast du bei der Prüfung zum Lieutenant abgeschnitten?«

»Als Bester von dreiundzwanzig Bewerbern. Ich war der Jüngste von allen, mit mehr als acht Jahren Abstand, war die kürzeste Zeit Sergeant und hatte die kürzeste Dienstzeit im Department.«

»Und du willst ins Detective Bureau, zu den Kriminalern?«

Ed stellte das Foto wieder hin. »Ja.«

»Also gut. Aber du musst mindestens ein Jahr einkalkulieren, bis eine Stelle frei wird. Dann musst du davon ausgehen, dass es wahrscheinlich eine Streifenstelle sein wird. Und schließlich musst du damit rechnen, dass ein Transfer zum Bureau nicht bloß Jahre, sondern auch eine Menge Arschkriecherei erfordert. Du bist jetzt neunundzwanzig?«

»Ja.«

»Dann wirst du mit dreißig oder einunddreißig Lieutenant. So junge Leute von Rang machen sich schnell Feinde. Mal im Ernst, Ed. Du bist keiner von diesen Typen. Du bist nicht für Gewaltmethoden. Du gehörst nicht ins Bureau. Und Parker als Chief hat einen Präzedenzfall geschaffen, dass man auch als Streifenbeamter ganz nach oben kommen kann. Du solltest drüber nachdenken.«

Ed widersprach: »Art, ich will richtige Fälle bearbeiten. Ich habe gute Beziehungen, und ich bin mit dem Distinguished Service Cross ausgezeichnet worden, was für manch einen durchaus Gewaltmethoden bedeutet. Und ich werde eine Berufung ins Bureau bekommen.«

De Spain klopfte sich Zigarrenasche von seinem Kummerbund. »Können wir mal Tacheles reden, Sunny Jim?«

Der alte Kosename nagte an ihm. »Natürlich.«

»Also … du bist nicht schlecht, und mit der Zeit könntest du sogar wirklich gut werden. Ich zweifle auch keinen Moment an deinem Killerinstinkt. Aber dein Vater war nicht bloß skrupellos, sondern auch beliebt. Du bist das nicht, also …«

Ed ballte die Fäuste. »Also was, Onkel Arthur? Von einem Cop, der das Department für das große Geld verlassen hat, zu einem Cop, der das nie tun würde – wie lautet dein Ratschlag?«

De Spain verzog das Gesicht. »Also sei unterwürfig und mach dich an die richtigen Leute ran. Krieche William H. Parker in den Arsch und bete, dass du zur richtigen Zeit am richtigen Ort bist.«

»So wie du und mein Vater?«

»Touché, Sunny Jim.«

Ed sah auf seine Uniform: maßgeschneidertes blaues Tuch. Rasiermesserscharfe Bügelfalten, Sergeant-Streifen, ein einzelner Streifen für die dreijährige Militärzeit. De Spain meinte: »Du wirst bald goldene Streifen tragen, Eddie. Und eine Tresse an der Mütze. Und du kannst sicher sein, ich würde dich nicht aufziehen, wenn du mir nicht so viel bedeuten würdest.«

»Ich weiß.«

»Und du bist nun mal ein verdammter Kriegsheld.«

Ed wechselte das Thema. »Es ist Weihnachten. Du denkst sicher an Thomas.«

»Geht mir immer durch den Kopf, dass ich ihm vielleicht was hätte beibringen müssen. Er hatte nicht mal sein Pistolenhalfter aufgeknöpft.«

»Ein Handtaschendieb mit einer Waffe? Wie hätte er das wissen sollen?«

De Spain drückte seine Zigarre aus. »Thomas war ein Naturtalent, und ich hab immer gedacht, dass er mir noch was hätte beibringen können. Das ist auch der Grund, warum ich dir immer so zurede.«

»Er ist zwölf Jahre tot, und ich bring’s als Polizist viel weiter als er.«

»Ich will vergessen, dass du das gesagt hast.«

»Nein, du solltest es dir merken. Du wirst dich dran erinnern, wenn ich im Bureau bin. Und wenn Vater gleich einen Toast anbringt auf Thomas und auf Mutter, dann werde bitte nicht rührselig. Er leidet dann immer tagelang.«

De Spain erhob sich, er war rot angelaufen. Preston Exley betrat den Raum, in der Hand Cognacschwenker und eine Flasche.

Ed sagte: »Fröhliche Weihnachten, Vater. Und herzlichen Glückwunsch.«

Preston schenkte ein. »Ich danke dir. Exley Construction kriegt nicht nur den Auftrag für den Arroyo Freeway, sondern baut auch noch ein Königreich für ein vergöttertes Nagetier, und ich werde nie wieder ein Stück Käse anrühren. Ein Toast, Gentlemen. Auf meinen Sohn Thomas und meine Frau Marguerite, mögen sie ewig in Frieden ruhen, und – auf uns drei, die wir hier versammelt sind.«

Die Männer tranken ihre Gläser aus; De Spain goss nach. Ed brachte den Toast aus, den sein Vater am liebsten hatte: »Auf die Aufklärung von Verbrechen, die absolute Gerechtigkeit erfordern.«

Wieder wurden die Gläser geleert. Ed sagte: »Vater, ich wusste gar nicht, dass du Raymond Dieterling kennst.«

Preston lächelte: »Ich habe geschäftlich schon seit mehreren Jahren mit ihm zu tun. Art und ich haben den neuen Vertrag auf Raymonds Bitten hin geheim gehalten – er will die Sache unbedingt in seinem infantilen Fernsehprogramm ankündigen.«

»Hast du ihn damals in Zusammenhang mit dem Fall Atherton kennengelernt?«

»Nein, und außerdem war ich damals noch gar nicht im Baugeschäft. Arthur, möchtest du vielleicht auch einen Toast anbringen?«

De Spain goss noch einmal die Gläser voll. »Auf einen Bureau-Posten für unsern künftigen Lieutenant hier.«

Gelächter, aufmunternde Rufe. Preston sagte: »Joan Morrow hat sich nach deinem Liebesleben erkundigt. Ich glaube, die hat’s erwischt.«

»Kannst du dir eine Debütantin als Ehefrau eines Polizisten vorstellen?«

»Nein, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass sie einen höheren Polizeibeamten heiraten würde.«

»Chef der Kriminalabteilung?«

»Nein, ich dachte eher an den Kommandeur des Streifendienstes.«

»Vater, Thomas sollte unter dir Chef der Kriminalabteilung werden, aber er ist tot. Du solltest mir nicht die Chance nehmen. Du solltest mich nicht dazu zwingen, einen alten Traum von dir zu verwirklichen.«

Preston starrte seinen Sohn an. »Du hast recht, mein Sohn. Und ich finde es sehr gut, dass du sagst, was du denkst. Ich gebe zu, das war ursprünglich mal mein Traum. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass du den Blick für die menschlichen Schwächen hast, den ein wirklich guter Detective braucht.«

Sein Bruder: ein mathematisches Genie mit einer Schwäche für schöne Mädchen. »Und Thomas hatte ihn?«

»Ja.«

»Vater, ich hätte diesen Handtaschenräuber damals sofort erschossen, als er in die Tasche griff.«

De Spain fluchte. »Verdammt noch mal.« Preston bedeutete ihm zu schweigen. »Ist schon in Ordnung. Edmund, ich möchte dir nur ein paar Fragen stellen, ehe ich mich wieder meinen Gästen widme. Erstens: Wärst du bereit, einem Verdächtigen, der deiner Überzeugung nach schuldig ist, belastendes Material unterzuschieben, damit er wirklich angeklagt wird?«

»Ich müsste erst mal –«

»Antworte einfach mit Ja oder Nein.«

»Ich … Nein.«

»Wärst du bereit, hartgesottene bewaffnete Räuber in den Rücken zu schießen, um zu verhindern, dass sie Gesetzeslücken ausnutzen und dadurch ihrer verdienten Strafe entgehen?«

»Ich …«

»Ja oder Nein, Edmund.«

»Nein.«

»Und wärst du bereit, aus Verdächtigen, von denen du weißt, dass sie schuldig sind, ein Geständnis herauszuprügeln?«

»Nein.«

»Wärst du bereit, an einem Tatort belastendes Material zu arrangieren, um so den Staatsanwalt zu unterstützen?«

»Nein.«

Preston seufzte. »Dann halte dich, um Gottes willen, an Aufträge, bei denen du nicht gezwungen bist, solche Entscheidungen zu treffen. Benutze lieber den großartigen Verstand, den der Herrgott dir gegeben hat.«

Ed sah auf seine Uniform. »Ich werde meinen Verstand einzusetzen wissen, wenn ich Detective bin.«

Preston lächelte. »Detective oder nicht, du hast auf jeden Fall die Hartnäckigkeit, die Thomas gefehlt hat. Du wirst Großes leisten, mein Kriegsheld.«

Das Telefon läutete; De Spain nahm den Hörer ab. Ed musste an verminte japanische Schützengräben denken – und konnte Preston nicht in die Augen sehen. De Spain sagte: »Es ist Lieutenant Frieling vom Revier. Er sagt, das Gefängnis ist fast voll, und heute Abend sind zwei Beamte tätlich angegriffen worden. Zwei Verdächtige sind in Gewahrsam, vier weitere werden noch erwartet. Er sagt, du sollst dich so früh wie möglich zum Dienst melden.«

Ed drehte sich wieder zu seinem Vater um. Preston war bereits in der Halle und tauschte Witze mit Bürgermeister Bowron aus, der eine Moochie-Mouse-Mütze auf dem Kopf hatte.