Als junge Frau verläßt Inés Suárez im 16. Jahrhundert ihr Heimatland Spanien, um auf dem wilden südamerikanischen Kontinent nach ihrem verschollenen Ehemann zu suchen. Ihn wird sie nicht mehr lebend finden, dafür aber ihre große Liebe: den Feldherrn Pedro de Valdivia, mit dem sie sich gegen alle Widerstände an die Eroberung Chiles macht.
Mit viel Hingabe und Einfühlungsvermögen verleiht Isabel Allende in ihrem Weltbestseller der historischen Gestalt der Inés Suárez ein Gesicht und eine Stimme und nimmt ihre Leser mit auf eine packende Reise durch ein bewegtes und bewegendes Leben.
»Ein farben- und facettenreiches Geschichtsepos voller Leidenschaft, mit charismatischen Figuren und einer wunderbaren Heldin.«
Antenne Brandenburg
Isabel Allende, 1942 geboren, hat ab ihrem achtzehnten Lebensjahr als Journalistin in Chile gearbeitet. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil, wo sie ihren Weltbestseller Das Geisterhaus schrieb. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. Ihr Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.
Inés meines Herzens
Roman
Aus dem Spanischen von
Svenja Becker
Suhrkamp
Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel
Inés del alma mía
bei Random House Mondadori, Barcelona.
© Isabel Allende, 2006
Umschlagfoto: Debra McClinton/getty-images
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2007
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-73525-1
www.suhrkamp.de
Ich bin Inés Suárez, Bürgerin der königstreuen Stadt Santiago de la Nueva Extremadura im Königreich Chile. Wir schreiben das Jahr des Herrn 1580. Wann genau ich geboren wurde, weiß ich nicht, doch sagte meine Mutter, ich sei nach der großen Hungersnot und dem schlimmen Pestausbruch zur Welt gekommen, die Spanien heimsuchten, als Philipp der Schöne starb. Daß der Tod des Königs die Pest brachte, wie die Leute raunten, die den Leichenzug gesehen und noch Tage später einen Geruch nach Bittermandel in der Nase gehabt hatten, glaube ich nicht, aber man weiß ja nie. Königin Johanna, die damals noch jung war und lieblich, reiste mit dem Totenschrein mehr als zwei Jahre landauf, landab durch Kastilien, und manchmal öffnete sie ihn, um die Lippen ihres Gemahls zu küssen, weil sie hoffte, er werde zu neuem Leben erwachen. Trotz der Salben des Leichenbesorgers stank der Schöne. Als ich das Licht der Welt erblickte, war die unglückliche Königin schon restlos ohne Verstand und mit dem Leichnam ihres Gefährten hinter den Mauern des Palasts von Tordesillas verschwunden. Das bedeutet, daß ich mindestens siebzig Winter auf meinen Schultern trage, und ehe es Weihnachten wird, muß ich sterben. Ich könnte behaupten, eine Zigeunerin habe mir am Ufer des Jerte den Tag meines Todes prophezeit, doch das wäre ein Schwindel, wie er in Büchern gedeiht und für bare Münze genommen wird, sobald sie gedruckt sind. Die Zigeunerin verhieß mir nur ein langes Leben, was sie einem immer sagen für ein Geldstück. Es ist mein unstetes Herz, das mir vom nahen Ende spricht. Ich habe immer gewußt, daß ich alt werden und friedlich in meinem Bett sterben würde wie alle Frauen meiner Familie. Deshalb bin ich vielen Gefahren ohne Furcht begegnet, denn niemand bricht vor der ihm bestimmten Stunde ins Jenseits auf. »Glaub mir, Herrin, du stirbst als altes Frauchen«, beschwichtigte mich Catalina in ihrem warmen peruanischen Singsang, wenn der Galopp scheuender Pferde, den ich in der Brust spürte, mich zu Boden warf. Ich weiß nicht mehr, wie Catalinas Name in ihrer Quechuasprache war, und nun ist es zu spät, sie danach zu fragen – viele Jahre ist es her, daß ich sie in meinem Hof begrub –, aber ihre Weissagungen sind wahrhaftig und zutreffend gewesen, dessen bin ich gewiß. Catalina trat in der alten Stadt Cuzco, der Perle der Inkas, in meine Dienste, als Francisco Pizarro dort herrschte, dieser unerschrockene Bastard, der, wenn man den losen Zungen glauben will, in Spanien einst Schweine hütete, und der, zum Marqués geadelt, als Gouverneur von Peru schließlich vom eigenen Ehrgeiz und vielfachen Verrat vernichtet wurde. So geht es zu in den Neuen Indien, dieser Welt, in der die Gesetze des Althergebrachten nicht gelten und alles ein Drunter und Drüber ist: Heilige und Sünder, Weiße, Schwarze, Braune, Indios, Mischlinge, Edle und Gesinde. Jeder kann sich in Ketten finden, gebrandmarkt von glühenden Eisen, und schon am nächsten Tag hebt ihn das Glück in einem Handstreich empor. Über vierzig Jahre lebe ich nun schon in der Neuen Welt und kann mich an die Unordnung noch immer nicht gewöhnen, obwohl ich doch selbst von ihr profitierte. Wäre ich in meinem Heimatort geblieben, ich wäre heute eine arme alte Frau und blind vom vielen Stikken im Kerzenschein. Dort wäre ich Inés, die Näherin aus der Calle del Acueducto. Hier bin ich Doña Inés Suárez, eine Dame von vornehmstem Rang, Witwe des ehrwürdigen Gouverneurs Don Rodrigo de Quiroga, Konquistadora und Gründerin des Königreichs Chile.
Siebzig Jahre habe ich also mindestens gelebt, ich habe das Leben ausgeschöpft, ich weiß, aber meine Seele und mein Herz, die noch im Zutrauen der Jugend befangen sind, fragen sich dennoch, was um alles in der Welt mit meinem Körper geschehen ist. Wenn ich mich in dem silbernen Spiegel betrachte, Rodrigos erstem Geschenk nach unserer Hochzeit, erkenne ich diese alte, von weißem Haar umkränzte Frau nicht, die zurückschaut. Wer ist die? Wie kommt sie dazu, die wahre Inés zu verspotten? Ich betrachte sie aus der Nähe, weil ich hoffe, auf dem Grund des Spiegels das Mädchen mit den Zöpfen und den aufgeschrammten Knien zu finden, das ich einst war, die junge Frau, die sich für ein heimliches Stelldichein in die Obstgärten davonstahl, die reife und leidenschaftliche Frau, die in den Armen von Rodrigo de Quiroga schlief. Sie kauern dort, sind da, ich weiß es, doch vermag ich sie nicht zu erspähen. Ich reite meine Stute nicht mehr, trage weder Harnisch noch Schwert, aber nicht, weil es mir an Mut gebricht, der immer überreich vorhanden war, sondern weil mein Körper mich im Stich läßt. Die Kraft ist dahin, meine Gelenke schmerzen, meine Knochen sind eisig, mein Blick ist getrübt. Ohne die Augengläser, die ich mir aus Peru habe bringen lassen, könnte ich diese Seiten nicht schreiben.
Ich wollte Rodrigo, Gott hab ihn selig, zu seiner letzten Schlacht gegen die Mapuchehorden begleiten, aber er erlaubte es nicht. »Du bist etwas betagt für ein solches Unternehmen«, lachte er. »Nicht betagter als du«, hielt ich ihm entgegen, obwohl es nicht stimmte, denn er war etliche Jahre jünger. Wir glaubten beide, wir würden uns nicht wiedersehen, nahmen jedoch Abschied ohne eine Träne, weil wir uns sicher waren, im Jenseits erneut zueinanderzufinden. Ich wußte längst, daß Rodrigos Tage gezählt waren, auch wenn er das nach Kräften zu verbergen suchte. Nie hörte ich eine Klage von ihm, er biß die Zähne zusammen, und nur der kalte Schweiß auf seiner Stirn verriet seine Schmerzen. Fiebrig und abgezehrt brach er in den Süden auf, am Bein ein eiterndes Geschwür, gegen das all meine Heilsalben und Gebete nichts vermochten; er wünschte, als Soldat im Getümmel der Schlacht zu sterben, nicht als Greis zwischen den Laken seiner Bettstatt. Ich wünschte, bei ihm zu sein, wenn das Ende käme, um seinen Kopf zu halten und ihm für all die Liebe zu danken, die er mir in unserem langen Leben geschenkt hat. »Sieh dich um, Inés«, sagte er und wies mit der Hand auf unsere Ländereien, die sich bis an den Fuß der Berge erstrecken. »All das und die Seelen Hunderter Indios hat Gott unserem Schutz anempfohlen. Wie es meine Pflicht ist, gegen die Wilden in Araukanien ins Feld zu ziehen, ist es deine, den Gütern und unseren Schutzbefohlenen beizustehen.«
In Wahrheit brach er allein auf, weil er mir den traurigen Anblick seiner Krankheit ersparen wollte, ich sollte ihn zu Pferd in Erinnerung behalten, wie er seine Tapferen in den Kampf gegen die ungezähmten Heerscharen der Mapuche führte, die sich in ihrer heiligen Region südlich des Flusses Bío Bío verschanzt haben. Als Hauptmann war das sein gutes Recht, und so gehorchte ich seinem Befehl wie die folgsame Ehefrau, die ich nie war. In einer Hängematte trug man ihn aufs Schlachtfeld, und dort band ihn sein Schwiegersohn auf dem Pferd fest, wie man es einst mit dem großen Cid getan hatte, um den Feind durch seine bloße Anwesenheit in Schrecken zu versetzen. Der Gefahr nicht achtend und mit meinem Namen auf den Lippen, stürmte er wie außer sich seinen Mannen voran, doch fand er nicht den ersehnten Tod. Sterbenskrank brachten sie ihn mir in einer notdürftig gezimmerten Sänfte zurück – das Gift des Geschwürs hatte seinen Leib befallen. Jeder andere wäre längst den Verheerungen der Krankheit und der Mühsal des Krieges erlegen, aber Rodrigo war stark. »Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt und werde dich bis in alle Ewigkeit lieben, Inés«, sagte er mir mit ersterbender Stimme und auch, man solle ihn in aller Stille begraben und dreißig Messen lesen für den Frieden seiner Seele. Ich sah den Engel des Todes, ein wenig verschwommen wie die Buchstaben hier auf dem Papier, aber doch unverkennbar. Da schickte ich nach Dir, Isabel, damit Du mir zur Hand gingst, denn Rodrigo war zu stolz, seine Vernichtung durch die Krankheit vor den Dienstmädchen zu zeigen. Nur Dir, seiner Tochter, und mir gestattete er, ihm die vollständige Rüstung anzulegen und dazu die eisenbeschlagenen Stiefel, und dann halfen wir ihm in den Sessel, der ihm der liebste gewesen war, und legten ihm Helm und Degen auf die Knie, damit er die Sakramente der Kirche in ungebrochener Würde empfangen konnte, so, wie er gelebt hatte. Der Engel des Todes, der nicht von seiner Seite gewichen war und still darauf wartete, daß wir ihn für die Reise bereitmachten, nahm ihn in seine schützenden Arme, und dann nickte er mir zu, damit ich herantrat und den letzten Atemhauch meines Mannes empfing. Ich beugte mich über Rodrigo und küßte ihn auf den Mund, küßte ihn, wie Liebende küssen. Er starb in diesem Haus, in meinen Armen, an einem warmen Sommerabend.
Ich konnte Rodrigos Wunsch nach einem stillen Begräbnis nicht erfüllen, denn er war der am meisten geliebte und geachtete Mann Chiles. Ganz Santiago war auf den Beinen, um ihn zu betrauern, und aus den anderen Städten des Landes erreichten uns ungezählte Beileidsbekundungen. Jahre zuvor waren die Bewohner der Stadt auf die Straßen geströmt und hatten mit Blumen und Salutschüssen seine Ernennung zum Gouverneur gefeiert. Nun trugen wir ihn mit der ihm gebührenden Ehre in der Kirche unserer Señora de las Mercedes zu Grabe, die er und ich zum Ruhme unserer heiligsten Jungfrau hatten errichten lassen und in der sehr bald auch meine Knochen ihre letzte Ruhe finden werden. Ich habe den Barmherzigen Brüdern ausreichend Geld vermacht, damit sie dreihundert Jahre hindurch allwöchentlich eine Messe lesen für den Frieden der Seele des edlen Ritters Don Rodrigo de Quiroga, der ein tapferer Soldat Spaniens war, Adelantado, Konquistador und zweimaliger Gouverneur Chiles, Ritter des Santiagoordens, mein Ehemann. Diese Monate ohne ihn sind mir eine Ewigkeit geworden.
Ich sollte nicht vorgreifen. Wenn ich die Ereignisse meines Lebens ohne Strenge und Ordnung schildere, werde ich mich auf dem Weg verlieren; eine Chronik hat dem natürlichen Verlauf der Geschehnisse zu folgen, auch wenn die Erinnerung ein Wirrsal ohne Logik ist. Ich schreibe nachts an Rodrigos Pult, eingehüllt in seine Alpakadecke. Der vierte Baltasar wacht bei mir, der Urenkel des Hundes, der mit mir nach Chile kam und mich vierzehn Jahre hindurch begleitet hat. Dieser erste Baltasar starb 1553, im selben Jahr, in dem Valdivia getötet wurde, aber er hat mir seine Nachkommen hinterlassen, die alle groß sind wie Kälber, mit tolpatschigen Pfoten und drahtigem Fell. Es ist kalt in diesem Haus, trotz der Teppiche, Vorhänge und Tapisserien und obwohl die Dienerschaft die Kohlebecken stets mit Glut füllt. Wie oft hast Du Dich beklagt, Isabel, man könne in diesen Wänden vor Hitze nicht atmen; die Kälte muß wohl in mir selbst sein. Daß ich meine Erinnerungen und Gedanken mit Tinte zu Papier bringen kann, verdanke ich dem Gottesmann González de Marmolejo, der neben seiner Arbeit, den Wilden das Evangelium zu bringen und den Christen Trost, die Zeit fand, mich lesen und schreiben zu lehren. Damals war er Feldkaplan, doch sollte er der erste Bischof von Chile werden und obendrein der reichste Mann im Land. Auch sein letztes Hemd hatte keine Taschen, jedoch ist die Spur seiner guten Taten geblieben, die ihm die Liebe der Menschen eintrugen. Am Ende besitzt man nur, was man gegeben hat, sagte Rodrigo, der weitherzigste Mensch, den es je gab.
Beginnen wir also mit meinen frühesten Erinnerungen. Ich bin in Plasencia geboren, einer wehrhaften und gottesfürchtigen Grenzstadt im Norden der Extremadura. Das Haus meines Großvaters, in dem ich aufwuchs, liegt bloß einen Steinwurf von der Kathedrale entfernt, die liebevoll die Alte genannt wird, obwohl sie nur aus dem 14. Jahrhundert stammt. Meine Kindheit verbrachte ich im Schatten ihres sonderbaren, mit steinernen Schuppen bedeckten Turms. Die dicke Wehrmauer rings um die Stadt habe ich seit meinem Fortgang nicht wiedergesehen, nicht den hohen Himmel über der Plaza Mayor, die schattigen Gäßchen, steinernen Stadtpaläste und Arkadengänge und auch nicht das bescheidene Haus meines Großvaters, in dem noch heute die Enkel meiner ein paar Jahre älteren Schwester leben. Mein Großvater, der von Beruf Kunsttischler war, gehörte der Bruderschaft vom Wahren Kreuz an, eine Ehre, die seine ärmlichen Verhältnisse überstrahlte. Die Laienbruderschaft unterstand dem ältesten Kloster der Stadt und führte in der Karwoche die Prozessionen an. Im violetten Habit mit gelber Kordel und weißen Handschuhen trugen mein Großvater und seine Mitbrüder das heilige Kreuz. Seine Kutte war blutbefleckt, weil er sich geißelte, um mit Christus das Leiden auf dem Weg nach Golgatha zu teilen. In der Karwoche blieben die Fensterläden der Häuser geschlossen, das Licht der Sonne wurde ausgesperrt, man fastete und sprach nur im Flüsterton; das Leben war einzig beten, seufzen, beichten und büßen.
An einem Karfreitag erwachte meine Schwester Asunción, die damals elf Jahre alt war, mit den Wundmalen Christi in den Handflächen, zwei grauenvollen offenen Fleischwunden, und ihre ins Weiße verdrehten Augen waren zum Himmel gerichtet. Mit zwei Backpfeifen holte meine Mutter sie ins Diesseits zurück und kurierte sie mit Umschlägen aus Spinnweben an den Händen und einer strengen Diät aus Kamilleaufgüssen. Sie mußte im Haus bleiben, bis die Wunden restlos verheilt waren, und auf Geheiß unserer Mutter durften wir die Angelegenheit mit keiner Silbe erwähnen, damit Asunción nicht in jeder Kirche der Gegend zur Schau gestellt würde wie eine Jahrmarktsattraktion. Asunción war nicht die einzige, die ein Zeichen empfing, irgendein Mädchen wurde zur Karwoche immer von einem ähnlichen Schicksal ereilt, hob Dinge an, ohne sie zu berühren, atmete den Duft von Rosen aus, oder ihr wuchsen Flügel, womit sie umgehend zum Ziel überschwenglicher Verehrung durch die Gläubigen wurde. Soviel ich weiß, endeten all diese Mädchen als Nonnen im Kloster, ausgenommen meine Schwester, die dank der Vorkehrungen unserer Mutter und des Stillschweigens der Familie ohne Folgen von dem Wunder genas, heiratete und viele Kinder gebar, darunter meine Nichte Constanza, von der noch die Rede sein wird.
Ich erwähne die Prozessionen, weil ich bei einer von ihnen Juan begegnete, der mein erster Ehemann werden sollte. Das war 1526, in dem Jahr, als unser Kaiser Karl V. seine bildhübsche Cousine Isabella von Portugal heiratete, die er ein Leben lang lieben würde, und im selben Jahr, in dem Süleiman der Prächtige mit seinen türkischen Heerscharen bis ins Herz Europas vorstieß und die Christenheit bedrohte. Die Gerüchte von den Greueltaten der Muselmanen versetzten die Leute in Angst und Schrecken, uns war schon, als sähen wir die dämonischen Horden vor den Mauern Plasencias. Angeheizt von der Angst, trug die fromme Inbrunst in diesem Jahr Züge von Wahnsinn. Ich schritt wie schlaftrunken neben meiner Schwester und meiner Mutter in der Prozession mit, mir war flau vom Fasten, vom Ruß der Kerzen, dem Geruch nach Blut und Weihrauch, dem Wehklagen der Betenden und dem Stöhnen der Flagellanten. Inmitten des Tumults aus Kuttenträgern und Büßern blieb mein Blick an Juan hängen. Es war unmöglich, ihn nicht zu sehen, er maß eine Handbreit mehr als alle anderen, und sein Kopf ragte aus der Menge. Er war breitschultrig, hatte dunkle Locken, ein Profil wie eine römische Statue und dazu Katzenaugen, die meinen Blick neugierig zurückgaben. »Wer ist das?« zischte ich meiner Mutter zu, bekam aber als Antwort nur ihren Ellbogen in die Rippen und die unmißverständliche Aufforderung, die Augen niederzuschlagen. Ich hatte keinen Verlobten, weil ich nach dem Willen meines Großvaters unverheiratet bleiben sollte, um ihn in seinen letzten Jahren zu pflegen und wohl dafür zu büßen, daß ich nicht als der Enkel geboren war, den er sich gewünscht hatte. Für zwei Aussteuern fehlten ihm die Mittel, und in seinen Augen eignete sich meine Schwester Asunción besser dafür, eine günstige Verbindung einzugehen, weil sie von dieser blassen und üppigen Schönheit war, die den Männern gefällt, und überdies folgsam; ich bestand ja nur aus Muskeln und Knochen und war noch dazu störrisch wie ein Muli. Das hatte ich von meiner Mutter und meiner verstorbenen Großmutter, beide nicht eben ein Ausbund an Sanftmut. Damals hieß es, das Beste an mir seien die dunklen Augen und das Haar, das kräftig war wie das einer jungen Stute, aber dasselbe hätte man von der Hälfte aller Mädchen in Spanien sagen können. Nur flink mit den Fingern, das war ich zweifellos, in Plasencia und im ganzen Umkreis gab es keine, die so kunstfertig zu nähen und zu sticken verstand wie ich. Schon mit acht Jahren hatte ich mit meiner Handarbeit zum Unterhalt der Familie beigetragen, und ich sparte für die Mitgift, die mein Großvater mir nicht zu geben gedachte; ich war entschlossen zu heiraten, wollte mich lieber mit Kindern herumschlagen, als meine Zukunft an diesen alten Wüterich zu verschwenden. Deshalb dachte ich auch an diesem Tag der Karwoche gar nicht daran, auf meine Mutter zu hören, warf den Schleier zurück und lächelte den Unbekannten an. So begann meine Liebschaft mit Juan, der aus Málaga stammte und deshalb von allen Juan de Málaga genannt wurde. Erst war mein Großvater strikt dagegen, und bei uns daheim ging es zu wie im Tollhaus: Es hagelte Beschimpfungen und Teller, vom Türenschlagen klaffte bald ein Riß in der Wand, und wäre meine Mutter nicht dazwischengegangen, mein Großvater und ich hätten einander den Hals umgedreht. Ich stritt so erbittert mit ihm, daß er am Ende vor Erschöpfung nachgab. Was Juan in mir sah, weiß ich nicht, aber jedenfalls vereinbarten wir schon bald nach unserer ersten Begegnung, daß wir vor Ablauf eines Jahres heiraten würden, was ihm Zeit gab, eine Arbeit zu finden, und mir, meine karge Mitgift aufzubessern.
Juan war einer dieser schönen und lebenslustigen Männer, bei denen jede Frau zunächst schwach wird, sich dann aber wünscht, eine andere hätte ihn genommen, weil sie einem nichts als Kummer machen. Er gab sich nicht die Mühe, verführerisch zu sein, wie er sich auch sonst keine gab, sein bloßes Auftreten als schmucker Bursche verdrehte den Frauen den Kopf; seit er mit vierzehn Jahren begonnen hatte, seine Reize auszuspielen, lebte er auf Kosten seiner Verehrerinnen. Lachend erzählte er mir, er wisse nicht mehr, wie viele Frauen ihren Ehemännern wegen ihm Hörner aufgesetzt hätten und wie oft er noch eben mit knapper Not einem eifersüchtigen Gatten entwischt sei. »Aber damit ist jetzt Schluß, Liebste, jetzt habe ich ja dich«, beruhigte er mich und schielte dabei zu meiner Schwester hinüber. Wegen seiner angenehmen Erscheinung und seiner Umgänglichkeit war er auch unter Männern beliebt; er war ein gefragter Trinkgefährte und Spieler, verfügte über einen unerschöpflichen Fundus schlüpfriger Geschichten und spann immer neue, aberwitzige Pläne, wie sich leicht ein Vermögen machen ließe. Ich hatte bald begriffen, daß sein Denken auf die Ferne und das Morgen gerichtet war und sich mit dem Greifbaren nicht zufriedengab. Wie so viele andere in jenen Tagen trieben auch ihn die sagenhaften Geschichten aus der Neuen Welt um, wo unermeßlicher Reichtum und Ruhm jedem zuteil werden konnten, der Manns genug war, den Gefahren zu trotzen. Er glaubte sich zu großen Taten berufen wie einst Christoph Kolumbus, der mit nichts als seiner Todesverachtung aufs Meer hinausgefahren war und den anderen Teil der Welt gefunden hatte, oder Hernán Cortés, der mit Mexiko die kostbarste Perle des spanischen Weltreichs sein eigen nannte.
»Aber es heißt doch, in diesen Weltgegenden sei schon alles entdeckt«, wollte ich ihm sein Vorhaben ausreden.
»Was weißt denn du, Mädchen! Nicht einmal die Hälfte der Neuen Welt ist bisher erobert. Von Panama südwärts erstreckt sich unberührtes Land, und das birgt mehr Schätze als die von Süleiman.«
Seine Pläne machten mir angst, bedeuteten sie doch, daß wir uns würden trennen müssen. Außerdem hatte ich von meinem Großvater gehört, der es seinerseits aus den Tavernen wußte, die Azteken in Mexiko würden Menschen opfern. In Reihen von einer Meile Länge warteten Tausende und Abertausende unglücklicher Gefangener darauf, die Altarstufen der Tempel zu erklimmen, wo ihnen die heidnischen Priester – behaarte Schauerwesen, verkrustet von getrocknetem Blut und von frischem Blut triefend – mit einem Messer aus Obsidian das Herz herausrissen. Die Leiber stürzten die Steinstufen hinab und türmten sich unten zu Bergen verwesenden Fleischs. Die Stadt schwamm in einem See aus Blut, die Aasvögel waren so überfressen an menschlichen Kadavern, daß sie sich nicht mehr in die Luft schwingen konnten, und die fleischgierigen Ratten wurden groß wie Hütehunde. Keinem Spanier war dieses Geschehen unbekannt, aber Juan schreckte es nicht.
Während ich von Sonnenaufgang bis tief in die Nacht hinein stickte und nähte und so Geld für unsere Hochzeit sparte, brachte Juan seine Tage in Tavernen und auf Plätzen zu, machte keuschen Mädchen wie Dirnen gleichermaßen schöne Augen, unterhielt die Umsitzenden mit seinen Späßen und träumte davon, sich nach den Neuen Indien einzuschiffen, dem, wie ihm schien, einzig möglichen Ziel für einen Mann von seinen Anlagen. Manchmal verschwand er für Wochen, sogar Monate, und war dann ohne ein Wort der Erklärung wieder da. Wo er gewesen war? Er sagte es nie, aber weil er so häufig davon sprach, den Ozean zu überqueren, lachten die Leute über ihn und nannten mich »Indienbraut«. Ich ertrug sein Vagabundenleben geduldiger, als es ratsam gewesen wäre, weil mein Denken umnebelt war und mein Leib glühte, wie es mir stets widerfährt, wenn ich liebe. Juan erheiterte mich mit schelmischen Liedern und Versen, er brachte mich zum Lachen, ich schmolz unter seinen Küssen. Er mußte mich nur berühren, und aus meinen Beschwerden wurde Seufzen, aus meinem Unmut Verlangen. Wie nachsichtig ist doch die Liebe, die alles verzeiht!
Ich weiß noch, wie wir uns das erste Mal fanden, verborgen im Dickicht des Waldes. Es war Sommer, die Erde pochte warm und fruchtbar, es duftete nach Lorbeer. Wir hatten Plasencia auf getrennten Wegen verlassen, damit es kein Gerede gab, und waren jeder für sich den Hügel vor der ummauerten Stadt hinunter gelaufen. Am Fluß trafen wir uns und rannten Hand in Hand immer tiefer hinein ins Unterholz, bis wir einen Platz fernab des Weges fanden. Juan scharrte Blätter für ein Nest zusammen, zog sein Wams aus, damit ich mich setzen konnte, und dann unterwies er mich ohne jede Hast in den Zeremonien der Lust. Wir hatten Oliven mitgebracht, Brot, eine Flasche Wein, den ich meinem Großvater gestohlen hatte und den wir ausgelassen Schluck für Schluck aus dem Mund des anderen tranken. Küsse, Wein, Lachen, die Hitze, die vom Boden aufstieg, und wir beide verliebt. Er zog mir Bluse und Hemd aus, sog an meinen Brüsten, sagte, sie seien wie reife und süße Pfirsiche, auch wenn sie mir eher wie harte Pflaumen schienen. Und weiter erforschte er mich mit der Zunge, bis ich glaubte, vor Verlangen und Lust zu vergehen. Ich weiß noch, wie er sich rücklings auf den Blättern ausstreckte und mich nackt, feucht von Schweiß und Begehren auf sich reiten ließ, damit ich den Rhythmus unseres Tanzes vorgab. So verlor ich behutsam und wie im Spiel, ohne Furcht oder Schmerzen meine Jungfräulichkeit. Im Moment des Aufruhrs hob ich den Blick zur grünen Kuppel des Waldes und weiter hinauf zum gleißenden Sommerhimmel und schrie lange aus reiner, ungetrübter Freude.
War Juan nicht da, kühlte meine Leidenschaft ab, mein Zorn wallte auf, und ich war entschlossen, ihn aus meinem Leben zu verbannen. Aber kaum daß er mit einer hingehauchten Entschuldigung auf den Lippen und seinen wissenden Händen eines guten Liebhabers wieder vor mir stand, war ich ganz sein. Und alles begann von vorn: Verführung, Versprechungen, Hingabe, die Seligkeit der Liebe und das Leid einer neuerlichen Trennung. Das erste Jahr zerrann, ohne daß wir einen Tag für die Hochzeit festlegten, das zweite und auch das dritte. Mittlerweile war mein Ruf kaum mehr zu retten, die Leute raunten, wir würden hinter geschlossenen Türen Ferkeleien treiben. Das stimmte zwar, aber beweisen konnte es niemand, wir sahen uns vor. Dieselbe Zigeunerin, die mir ein langes Leben verhieß, verkaufte mir auch für ein paar Münzen das Geheimnis, um nicht schwanger zu werden: ein Schwämmchen, das ich mit Essig getränkt tief in die Scheide einführte. Meine Schwester Asunción und meine Freundinnen rieten mir, wenn ich meinen Bräutigam gefügig machen wollte, sollte ich mich verweigern, doch das hätte selbst eine heilige Märtyrerin bei Juan de Málaga nicht vermocht. Ich selbst suchte ja jede Gelegenheit für die Liebe, und das nicht nur hinter geschlossenen Türen. Juan besaß die außergewöhnliche Gabe, die mir bei keinem anderen begegnet ist, mich im Nu und in den unglaublichsten Posituren glücklich zu machen. Meine Lust war ihm wichtiger als die eigene. Die Landkarte meines Körpers kannte er in- und auswendig, und er brachte mir bei, wie ich auch allein genießen konnte. »Sieh nur, wie schön du bist, Mädchen«, sagte er. Ich teilte seine schmeichelhafte Meinung nicht, war aber stolz, daß ich die Begierden des schmucksten Mannes der Extremadura weckte. Hätte mein Großvater geahnt, daß wir uns selbst in den dunklen Winkeln der Kirche wie die Karnickel benahmen, wir wären beide des Todes gewesen; wenn es um seine Ehre ging, kannte er kein Pardon. Und diese Ehre war nicht zuletzt von der Sittsamkeit der Frauen seiner Familie abhängig, deshalb packte ihn, als die ersten Gerüchte an seine behaarten Ohren drangen, die heilige Wut, und er drohte mir, mich mit Stockschlägen in die Hölle zu schikken. »Nur Blut wäscht die befleckte Ehre rein«, brüllte er. Meine Mutter baute sich vor ihm auf, stemmte die Hände in die Hüften, sah ihn an mit diesem Blick, der einem Stier in vollem Lauf Einhalt gebieten konnte, und stellte klar, daß ich zur Heirat jederzeit bereit war und es nur bei Juan noch haperte. Da griff mein Großvater auf seine Freunde von der Bruderschaft vom Wahren Kreuz zurück, allesamt einflußreiche Herrschaften in Plasencia, um meinen widerspenstigen Bräutigam, der sich zu lang schon bitten ließ, an die Kandare zu nehmen.
Wir heirateten an einem strahlenden Dienstag im September, Markttag auf der Plaza Mayor, durch die Straßen wehte der Duft von Blumen, Früchten und frischem Gemüse. Nach der Trauung nahm Juan mich nach Malaga mit, wo wir ein gemietetes Zimmer mit Fenstern zur Straße bezogen, das ich mit Spitzengardinen und mit Möbeln aus der Werkstatt meines Großvaters zu verschönern versuchte. Juan brachte nichts in die Ehe mit als seine hochfliegenden Vorhaben, war aber weiter ungestüm wie ein junger Hengst, obwohl wir einander schon kannten, als wären wir seit Olims Zeiten verheiratet. Mancher Tag war angefüllt mit Liebe, die Stunden vergingen uns im Flug, und wir kamen gar nicht dazu, uns anzukleiden, ja aßen sogar im Bett. Aber trotz der unbändigen Leidenschaft merkte ich schnell, daß diese Ehe, vernünftig betrachtet, ein Irrtum war. Juan hielt keine Überraschungen für mich bereit, er hatte mir seinen Charakter in den Jahren zuvor gründlich offenbart, aber seine Schwächen mit einem gewissen Abstand zu sehen war etwas anderes gewesen, als mit ihnen leben zu müssen. Wenn ich heute an ihn zurückdenke, fallen mir nur zwei Vorzüge ein: sein untrüglicher Instinkt, mich im Bett glücklich zu machen, und sein Stierkämpferwuchs, an dem ich mich nicht satt sehen konnte.
»Dieser Mann taugt nicht viel«, warnte mich meine Mutter, als sie uns einmal besuchte.
»Solange er mir Kinder schenkt, soll der Rest mir gleichgültig sein.«
»Aber wer wird die Kleinen denn ernähren?«
»Na, ich«, sagte ich trotzig. »Dafür habe ich Nadel und Faden.«
Ich war es gewohnt, von früh bis spät zu arbeiten, und es fehlte mir nicht an Kundschaft für meine Näharbeiten und die Stickerei. Außerdem buk ich in den Gemeindeöfen der Mühle salzige, mit Fleisch und Zwiebeln gefüllte Kuchen und verkaufte sie frühmorgens auf der Plaza Mayor. Ich hatte lange ausprobiert, bis ich die perfekte Mischung aus Fett und Mehl fand, die einen geschmeidigen, dünnen, aber reißfesten Teig ergab. Meine Kuchen, oder Empanadas, wurden sehr beliebt, und bald verdiente ich mit Backen mehr als mit Nähen.
Meine Mutter schenkte mir eine kleine geschnitzte Holzstatuette unserer sehr wundertätigen Señora del Socorro, die meinen Bauch segnen sollte, doch hatte die Jungfrau gewiß Dringlicheres zu tun, jedenfalls blieben meine Bitten unerhört. Das essiggetränkte Schwämmchen benutzte ich schon lange nicht mehr, aber ein Kind wollte sich nicht einstellen. Aus der Leidenschaft, die Juan und ich geteilt hatten, wurde für uns beide Verdruß. Je mehr ich ihm abverlangte und je weniger ich ihm verzieh, desto weiter entfernte er sich von mir. Am Ende redete ich kaum noch mit ihm und er mit mir nur noch brüllend, doch wagte er nicht, mich zu schlagen, denn das einzige Mal, als er die Hand gegen mich erhob, zog ich ihm eine Eisenpfanne über den Schädel, wie es meine Großmutter bei meinem Großvater und später meine Mutter bei meinem Vater getan hatte. Angeblich war mein Vater wegen dieses Pfannenstreichs auf Nimmerwiedersehen von uns fortgegangen. Jedenfalls war meine Familie in dieser Hinsicht etwas Besonderes, denn nur die Kinder wurden geschlagen, die Frauen nie. Was ich Juan versetzte, war kaum mehr als eine Kopfnuß, aber die Pfanne war heiß, und so blieb eine kleine Narbe auf seiner Stirn zurück. Diese unbedeutende Verbrennung war für den eitlen Pfau ein Drama, aber wenigstens hatte ich ihn Respekt gelehrt. Er drohte mir nicht mehr, aber ich muß zugeben, daß dieser Vorfall unser Miteinander nicht verbesserte; jedesmal, wenn Juan mit den Fingern über die Narbe strich, trat ein mörderisches Funkeln in seine Augen. Er strafte mich, indem er mir die Freuden versagte, die er mir zuvor überreich gewährt hatte. Mein Leben wandelte sich, die Wochen und Monate schleppten sich hin, ich rackerte wie ein Galeerensträfling, und dazu kam der Kummer über meinen trockenen Bauch und die Armut. Die Launen und Schulden meines Mannes wurden zu einer schweren Last, die ich auf mich nahm, weil ich mich schämte, seinen Gläubigern in die Augen zu sehen. Vorbei war es mit unseren langen Nächten voller Küsse und mit den zwischen den Laken vertändelten Morgenstunden; unsere Begegnungen brachten keine Nähe, sie waren kurz und grob wie Vergewaltigungen. Ich ertrug sie in der Hoffung auf ein Kind. Heute, da ich mit der Gelassenheit des Alters auf mein Leben zurückschaue, begreife ich, daß es der wahre Segen der Jungfrau war, mir die Mutterschaft zu versagen und mir so die Erfüllung einer außergewöhnlichen Bestimmung zu erlauben. Mit Kindern wäre ich gebunden gewesen, wie es die Mütter von jeher gewesen sind; mit Kindern wäre ich von Juan de Málaga verlassen worden, hätte genäht und Empanadas gebacken; mit Kindern hätte ich dieses Königreich Chile niemals erobert.
Mein Mann kleidete sich weiter wie ein schmuckes Bürschchen und gab sich weiter verschwenderisch wie ein Edelmann, weil er wußte, daß ich mich krummlegen würde, um seine Schulden zu bezahlen. Er trank zuviel und besuchte die Straße der Dirnen, wo er sich oft für Tage verlor, bis ich ein paar Knechte bezahlte, damit sie ihn heimholten. Sie brachten ihn mir verlaust und beschämt zurück; ich kämmte ihm die Läuse aus dem Haar und schürte seine Scham. Ich hörte auf, seinen wie in Stein gemeißelten Torso und sein römisches Profil zu bewundern, und begann meine Schwester Asunción um ihren Mann zu beneiden, der wie ein Wildschwein aussah, aber tüchtig arbeitete und seinen Kindern ein guter Vater war. Juan wurde verdrossen und ich mutlos, daher versuchte ich nicht, ihn zurückzuhalten, als er mir schließlich eröffnete, er werde in die Neue Welt aufbrechen und nach El Dorado suchen, einer Stadt aus purem Gold, in der die Kinder mit Topasen und Smaragden spielen. Wenige Wochen später stahl er sich bei Nacht und Nebel und ohne Lebewohl zu sagen davon, mit einem Bündel Kleider und meinen letzten Maravedis, die er aus dem Versteck hinterm Küchenherd mitnahm.
Juan hatte es geschafft, mich mit seinen Träumen anzustekken, obwohl ich nie mit eigenen Augen einen Wagemutigen gesehen hatte, der als reicher Mann aus den Neuen Indien heimgekehrt wäre, im Gegenteil, sie waren alle elend, krank und um den Verstand gebracht. Die ein Vermögen gemacht hatten, hatten es wieder verloren, und die Besitzer der unüberschaubar großen Ländereien, die es dort angeblich gab, konnten ihre Habe ja nicht mitbringen. Und doch vermochte alle Vernunft nichts gegen die Verlockungen der Neuen Welt. Hieß es nicht, durch die Straßen von Madrid rollten Leiterwagen voller Barren indianischen Goldes? Ich glaubte zwar nicht wie Juan an eine Stadt aus purem Gold, in der verwunschene Wasser einem ewige Jugend schenken, oder an Amazonen, die sich mit den Männern ergehen und sie zum Abschied mit Edelsteinen überhäufen, ahnte aber doch, es könnte dort etwas weit Kostbareres zu finden sein: Freiheit. In den Neuen Indien war jeder sein eigener Herr, man mußte sich niemandem beugen, konnte Fehler machen und noch einmal neu beginnen, ein anderer sein, ein neues Leben wagen. Niemand trug dort lange an einer Schande, und selbst der Jämmerlichste konnte zu Ruhm gelangen. »Über mir nur meine Mütze mit Federbusch«, hatte Juan oft gesagt. Wäre ich ein Mann gewesen, ich hätte dieses Wagnis auf mich genommen. Wie sollte ich es Juan da verdenken?
Als mein Ehemann fort war, kehrte ich nach Plasencia zur Familie meiner Schwester und zu meiner Mutter zurück, denn mein Großvater war mittlerweile gestorben. Jetzt war auch ich eine »Indienwitwe« wie so viele andere in der Extremadura. Es wurde erwartet, daß ich Trauer trug, mein Gesicht hinter einem dichten Schleier verbarg, dem gesellschaftlichen Leben entsagte und mich der treusorgenden Kontrolle meiner Familie, meines Beichtvaters und der Obrigkeit unterwarf. Gebet, Arbeit und Einsamkeit, mehr hielt die Zukunft für mich nicht bereit, aber ich tauge nicht zum Opferlamm. Den Konquistadoren mochte es übel ergehen in den Neuen Indien, weit übler erging es ihren Frauen, die in Spanien bleiben mußten. Der Überwachung durch meine Schwester und meinen Schwager konnte ich leicht entgehen, weil die beiden sich vor mir ähnlich fürchteten wie vor meiner Mutter und nicht allzuviel fragten; ihnen genügte, daß ich nicht für Gerede sorgte. Ich kümmerte mich weiter um die Kundinnen für meine Handarbeit, verkaufte Empanadas auf der Plaza Mayor und erlaubte mir sogar das Vergnügen, manches Volksfest zu besuchen. Außerdem ging ich den Nonnen im Hospital bei der Pflege der Kranken, der Opfer von Pest und Messerstechereien zur Hand, weil ich schon als junges Mädchen die Kunst des Heilens hatte lernen wollen, ohne zu ahnen, daß sie mir einst im Leben von unschätzbarem Wert sein würde, genau wie mein Talent für die Küche und für das Auffinden von Wasser. Wie meine Mutter besaß auch ich die angeborene Gabe, unterirdisches Wasser aufzuspüren. Wir beide begleiteten häufig einen Bauern und zuweilen sogar einen adligen Landherrn über die Felder, um die Stelle zu finden, wo der Brunnen gegraben werden sollte. Es ist ganz einfach, man muß nur mit leichter Hand eine Rute von einem gesunden Baum halten und das Gelände abschreiten, bis die Rute sich in der Nähe des verborgenen Wassers zur Erde neigt. Dort heißt es dann graben. Weil ein Brunnen in der Extremadura ein wahrer Schatz ist, sagten die Leute, meine Mutter und ich könnten uns diese Gefälligkeit vergolden lassen, aber wir nahmen nie etwas dafür, denn wenn man sie sich bezahlen läßt, verliert man die Gabe. Eines Tages sollte sie mir dazu verhelfen, eine Streitmacht vor dem sicheren Tod zu bewahren.
Über Jahre erhielt ich kaum Nachricht von meinem Mann, nur drei kurze Briefe aus Venezuela, die der Gemeindepfarrer mir vorlas und zu beantworten half. Juan schrieb, er habe viele Mühen und Gefahren zu bestehen, die größten Taugenichtse trieben sich dort herum, er müsse die Waffen stets griffbereit haben, immer auf der Hut sein, er habe es zwar noch nicht gesehen, aber es gebe Gold im Überfluß, und er werde reich heimkehren, mir einen Palast bauen, mir das Leben einer Gräfin ermöglichen. Unterdessen krochen meine Tage fade und unter großen Entbehrungen dahin, weil ich für mein Auskommen nur das Unvermeidliche ausgab und den Rest in einem Hohlraum unter dem Fußboden verbarg. Ich wollte allen Klatsch vermeiden, deshalb sagte ich zu niemandem ein Wort davon, daß ich Juan auf seine abenteuerliche Fahrt folgen wollte, um jeden Preis und nicht aus Liebe, die ich nicht mehr für ihn empfand, oder aus Loyalität, die er nicht verdiente, sondern weil es mich lockte, frei zu sein. Dort, fern von denen, die mich kannten, würde ich allein mir selbst gehören.
Ein rastloses Feuer loderte in meinem Leib. Nachts litt ich Höllenqualen, wälzte mich zwischen den Laken, wurde heimgesucht von den Erinnerungen an Juan, als wir einander noch begehrten. Selbst mitten im Winter glühte ich, war zornig auf mich und die Welt, weil ich als Frau geboren und verurteilt war, im Kerker der Sittsamkeit zu schmoren. Ich trank einschläfernde Aufgüsse, zu denen mir die Nonnen im Hospital rieten, die aber bei mir ohne Wirkung blieben. Ich versuchte zu beten, wie der Pfarrer es forderte, brachte jedoch kein Vaterunser zu Ende, ohne mich in bestürzenden Gedanken zu verlieren, weil der alles verwirrende Satan sich in mir austobte. »Du brauchst einen Mann, Inés«, seufzte meine Mutter, die immer eine praktische Frau gewesen ist. »Alles läßt sich einrichten, mit etwas Verschwiegenheit …« Einen zu finden war für eine Frau in meiner Lage nicht schwer, selbst mein Beichtvater, ein übelriechender und lüsterner Mönch, wollte mir einige Jahre der Sühne im Fegefeuer erlassen, wenn ich in seinem staubigen Beichtstuhl mit ihm sündigte. Ich ließ mich nie darauf ein; er war ein widerlicher Kerl. Hätte ich sie gewollt, es hätte mir nicht an Männern gemangelt. Manchmal, wenn der Stachel des Dämons zu quälend wurde, gab ich mich einem hin, aber das geschah aus Not, kannte kein Morgen. Ich war an Juans Phantom gekettet und in meiner Einsamkeit gefangen. Da ich nicht wirklich verwitwet war, konnte ich nicht wieder heiraten, hatte zu warten, nur zu warten. War es da nicht besser, daß ich die Gefahren der Meere und barbarischen Weltgegenden auf mich nahm? Sollte ich alt werden und sterben, ohne gelebt zu haben?
Endlich, nachdem ich mich über Jahre darum bemüht hatte, bekam ich die königliche Erlaubnis, mich nach den Neuen Indien einzuschiffen. Die Krone schützte das Band der Ehe und trachtete, die Familien zusammenzuführen, um die Neue Welt mit rechtmäßigen und christlichen Heimstätten zu besiedeln, aber das beschleunigte ihrei Entschedungen nicht; man weiß ja, daß in Spanien alles seine Weile haben will. Die Erlaubnis, sich ihrem Ehemann anzuschließen, bekam eine verheiratete Frau nur, sofern sie mit einer Respektsperson oder mit jemandem aus der Familie reiste. Mich sollte meine Nichte Constanza begleiten, die Tochter meiner Schwester Asunción, eine schüchterne Fünfzehnjährige mit frommen Neigungen, auf die meine Wahl fiel, weil sie von all meinen Verwandten die robusteste war. Die Neue Welt ist nichts für schwächliche Naturen. Constanza wurde nicht nach ihrer Meinung gefragt, aber ihrem Gezeter nach zu urteilen, war sie nicht angetan von der Reise. Damit ihre Eltern sie mir überließen, mußte ich ihnen schriftlich und von einem Amtsschreiber besiegelt versprechen, daß ich sie, sobald ich meinen Mann gefunden hätte, nach Spanien zurückschicken und mit einer Mitgift fürs Kloster ausstatten würde, ein Versprechen, das zu halten ich außerstande war, aber nicht, weil es mir, sondern weil es ihr an Ehrbarkeit gebrach, wie man später noch sehen wird. Zudem benötigte ich zwei Bürgen dafür, daß mir die Reise nicht verboten, ich weder Muselmanin noch Jüdin, sondern Tochter einer alten christlichen Familie war. Ich drohte meinem Beichtvater, seine Gelüste dem Konsistorium anzuzeigen, und preßte ihm so ein schriftliches Zeugnis über meine moralische Unbescholtenheit ab. Von meinem Ersparten erwarb ich alles Nötige für die Überfahrt, zu viel, um es hier im einzelnen aufzuführen, auch wenn ich mich noch an alles erinnere. Es soll genügen, wenn ich sage, daß ich Lebensmittel für drei Monate einpackte, darunter einen Käfig voller Hühner, außerdem Kleidung und Küchengerät, um mich in den Neuen Indien einzurichten.
Pedro de Valdivia wuchs in einem Herrenhaus in Castuera auf, dem Landsitz verarmter Edelleute, etwa drei Tagesmärsche südlich von Plasencia. Ich bedaure, daß wir uns in jungen Jahren nicht begegnet sind, als er, ein stattlicher Leutnant auf dem Rückweg von einem Feldzug, in meiner Stadt weilte. Womöglich liefen wir am selben Tag durch die verwinkelten Gassen, er schon ein ganzer Mann, in der prächtigen Uniform der königlichen Reiterei und mit dem Degen am Gürtel, ich noch ein Mädchen mit rötlichen Zöpfen, die ich damals hatte, bevor mein Haar schließlich dunkler wurde. Möglich, daß wir zur selben Zeit die Kirche betraten, seine Hand im Weihwasserbecken die meine streifte und unsere Blicke sich trafen ohne Erkennen. Weder dieser aufrechte Soldat, der im Getriebe der Welt gereift war, noch ich, ein Mädchen, das Kleider nähte, hätten erahnen können, was das Schicksal für uns bereithielt.
Pedro entstammte einer soldatischen Familie, die kein Vermögen, indes einen altehrwürdigen Namen besaß. Ihre Großtaten reichten zurück bis in vorchristliche Zeit, als man gegen die römischen Legionen zu Felde zog, darauf folgten sechshundert Jahre Kampf gegen die Mauren, und noch immer brachte diese Familie temperamentvolle Männer hervor für die nimmer endenden Kriege zwischen den gekrönten Häuptern der Christenheit. Pedros Vorfahren waren einst aus dem Gebirge gekommen, um in den Ebenen der Extremadura zu siedeln. Als Kind hörte er oft von seiner Mutter die Heldengeschichte von den sieben Brüdern aus dem Valle de Ibia, den Valdivias, und von ihrem erbitterten Kampf gegen ein schreckliches Untier. Wenn man der phantasiebegabten Frau Mutter glauben durfte, so war das kein herkömmlicher Drache gewesen wie der, den der heilige Georg besiegt hatte – Echsenschwanz, Fledermausflügel und zwei oder drei Schlangenköpfe –, nein, dieses Scheusal war zehnmal größer und grimmiger, es war Jahrhunderte alt und verkörperte alle Feinde Spaniens, angefangen bei den Römern über die Muselmanen bis hin zu den verfluchten Franzosen, die sich in jüngster Zeit erdreisteten, unserem König die angestammten Rechte streitig zu machen. »Stell dir nur vor, mein Junge!« rief die gute Frau an dieser Stelle der Geschichte stets. »Wir müßten französisch reden!«
Einer nach dem anderen wurden die Brüder Valdivia niedergemacht, von den Flammen versengt, die das Untier spie, oder von seinen Tigerkrallen in Stücke gerissen. Als sechs bereits gefallen waren und der Kampf verloren schien, hieb der jüngste der Brüder, der sich noch auf den Beinen hielt, einen dicken Ast von einem Baum, spitzte ihn an beiden Enden an und rammte ihn dem Scheusal zwischen die Lefzen. Der Drache wand sich vor Schmerz, unter seinem peitschenden Schwanz barst die Erde, und die Staubwolke reichte bis nach Afrika. Alsdann packte der Held sein Schwert mit beiden Händen, stieß es dem Drachen ins Herz, und so ward Spanien befreit.
Von diesem Jungen, dem Tapfersten unter den Tapferen, stammte Pedro in direkter mütterlicher Linie ab, und davon gaben zwei Trophäen beredtes Zeugnis: das Schwert, das sich noch immer im Familienbesitz befand, und das Wappen mit den zwei Schlangen auf goldenem Grund, die sich in den Stamm eines Baumes verbissen haben. Der Wappenspruch lautete: »Wer den Tod nicht scheut, am Leben sich freut.« Für einen Sproß solcher Ahnen war es nur natürlich, bereits in jungen Jahren dem Ruf zu den Waffen zu folgen. Pedros Mutter gab, was von ihrer Mitgift geblieben war, und stattete ihn für die Unternehmung aus: mit Kettenhemd und vollständiger Rüstung, den Waffen eines Ritters, einem Knappen und zwei Pferden. Das sagenumwobene Schwert der Valdivias war ein rostiges Stück Eisen, es war unhandlich wie ein Knüppel und nur noch als Andenken und Wandschmuck von Wert, deshalb kaufte sie ihrem Sohn einen Degen aus bestem Toledostahl, biegsam und leicht. Mit ihm sollte Pedro unter dem Banner Karls V. für Spanien kämpfen und das fernste Reich der Neuen Welt erobern, und blutverschmiert und geborsten sollte die Waffe neben ihm in der Erde stecken, als er starb.
Der junge Pedro de Valdivia, der zwischen Büchern und behütet von seiner Mutter aufgewachsen war, zog freudig in den Krieg wie einer, der außer dem Schlachten der Schweine auf dem Marktplatz, für die das ganze Dorf zusammenlief, nie ein blutiges Spektakel gesehen hat. Seine Unschuld währte so lange wie die neue Standarte mit dem Wappen der Familie, die nach der ersten Schlacht in Fetzen hing.
In den spanischen Reihen ritt auch der verwegene Edelmann Francisco de Aguirre, der rasch zu Pedros bestem Freund wurde. Francisco war ein Polterer und Maulheld, Pedro dagegen von stillem Ernst, doch beide teilten sie den Ruf großer Tapferkeit. Die Familie Aguirre stammte ursprünglich aus dem Baskenland, hatte sich jedoch in Talavera de la Reina, nahe Toledo, niedergelassen. Von Beginn an zeigte sich der junge Francisco als Draufgänger, keine Gefahr schien ihm zu groß, denn er glaubte sich beschützt vom goldenen Kreuz seiner Mutter, das er um den Hals trug. Am selben Kettchen hing ein Medaillon mit der braunen Haarlocke eines schönen Mädchens, das er schon als Knabe geliebt hatte und das ihm ewig verwehrt sein würde, denn sie war seine Cousine ersten Grades. Da er sie nicht heiraten durfte, hatte er geschworen, keine zu heiraten, was ihn jedoch nicht davon abhielt, um die Gunst jedes weiblichen Wesens zu buhlen, das seinem feurigen Naturell zu nahe kam. Seinem hohen Wuchs und dem hübschen Gesicht, seinem offenen Lachen und der volltönenden Tenorstimme, die wie dazu gemacht war, Tavernen zu beleben und den Frauen den Kopf zu verdrehen, konnte keine widerstehen. Pedro warnte ihn, sich vorzusehen, schließlich kannte die Franzosenkrankheit weder mit Muselmanen noch mit Juden oder Christenmenschen ein Erbarmen, aber da sich das kleine Kreuz seiner Mutter im Kampf als unfehlbarer Schutz erwiesen hatte, vertraute Francisco darauf, daß es auch gegen die Folgen der Wollust wirksam wäre. In Gesellschaft umgänglich und charmant, gebärdete sich Aguirre in der Schlacht wie ein Berserker und war damit grundverschieden von Valdivia, der auch im Angesicht der größten Gefahren beherrscht und ritterlich blieb.