Paul Heyse

Die kleine Mama

Novelle

Paul Heyse

Die kleine Mama

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-46-4

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Die kleine Mama

In ei­ner stil­len Früh­lings­nacht, die auf einen stür­mi­schen Tag ge­folgt war, saß ein Mäd­chen wo­bei sei­ner ein­sa­men Lam­pe noch wach, da in den üb­ri­gen Zim­mern des al­ten Hau­ses schon seit ei­ner Stun­de alle Lich­ter aus­ge­löscht wa­ren. Auch hör­ten die en­gen Stra­ßen der klei­nen nor­di­schen Stadt, ob­wohl es noch nicht weit über zehn Uhr war, kei­nen an­de­ren Fuß­tritt mehr, als den des Wäch­ters, der von Zeit zu Zeit un­ter dem hel­len Fens­ter ste­hen blieb und mit be­son­de­rem Nach­druck sei­ne War­nung, das Feu­er und das Licht zu ver­wah­ren, hin­aufsang. Das Fens­ter dro­ben war nur an­ge­lehnt. Der Nacht­wind hauch­te über die Hya­zin­then­flo­ra, die auf dem Sim­se stand, kühl ins Zim­mer und mach­te die klei­ne Lam­pe fla­ckern. Das Mäd­chen zog ein paar Mal das brau­ne Tuch, in das sie sich ein­ge­wi­ckelt hat­te, fes­ter um die Schul­tern, schloss aber den Fens­ter­flü­gel nicht, son­dern horch­te über das Buch auf ih­ren Kni­en hin­weg nach­denk­lich in die schla­fen­de Stadt hin­aus auf die Vier­tel­stun­den­schlä­ge von der Stadt­kir­che. Ge­gen­über dem Groß­va­ter­stuhl, in dem sie lag, stand ein Tisch­chen mit ei­nem sau­be­ren Tuch über­brei­tet. Ein klei­ner Tee­kes­sel summ­te dar­auf, ein ein­fa­ches kal­tes Abendes­sen und ein ein­zel­nes Ge­deck wa­ren mit ei­ner ge­wis­sen Zier­lich­keit her­ge­rich­tet und ein lee­rer Stuhl der Lam­pe ge­gen­über­ge­rückt. Im Üb­ri­gen sah es in dem großen nied­ri­gen Zim­mer nicht nach ei­nem Frau­en­re­gi­ment aus. Alte ver­gilb­te Kup­fer­sti­che, Ölskiz­zen, an­ti­ke Sta­tu­en­frag­men­te ver­zier­ten Wän­de und Mö­bel in ma­le­ri­scher Un­ord­nung, und den grü­nen Ka­chel­ofen be­krön­te der Ab­guss ei­nes ko­rin­thi­schen Säu­len­ka­pi­täls, der von Rauch und Staub ge­bräunt war. Jetzt, in der stil­len Nacht­stun­de, da die Lam­pe die fer­ne­ren Ecken des Zim­mers in tie­fem Schat­ten ließ, nahm sich die bun­te Ge­sell­schaft fast un­heim­lich aus. Das Frem­des­te war hier ein­an­der so nahe ge­rückt, dass nichts recht zu Hau­se schi­en.

Nun schlug es Elf; die Le­se­rin warf den klei­nen blau­en Band, in dem sie ge­blät­tert hat­te, un­ge­dul­dig auf das alte Sofa und trat ans Fens­ter. Sie war nicht mehr in der ers­ten Ju­gend, das Ge­sicht trug den Aus­druck ei­ner ent­schlos­se­nen See­le, die Man­ches durch­ge­kämpft hat und gleich­gül­tig ge­wor­den ist ge­gen alle ver­gäng­li­chen Rei­ze. Aber wer den erns­ten Kopf län­ger be­trach­te­te, dem schi­en es bald, als ob nur Le­ben und Schick­sa­le nicht hät­ten rei­fen las­sen, was die Na­tur mit die­sen Zü­gen ge­wollt hat­te. Stirn und Au­gen wa­ren vom reins­ten Schnitt, die Wan­ge breit und kräf­tig ge­schwun­gen, und ei­ni­ge leich­te Nar­ben von den Blat­tern ent­stell­ten nicht die fei­ne Li­nie des Pro­fils. Nur einen Hauch von Ju­gend, Glück oder Leicht­sinn, so hät­te auch der selt­sam stren­ge Mund lieb­lich er­schei­nen müs­sen.

Denn plötz­lich er­schi­en sie schon als eine An­de­re, als sie hin­aus­hor­chend einen ra­schen Schritt auf der Gas­se ver­nahm, der sich dem Hau­se nä­her­te, und eine halb­lau­te Stim­me, die, wäh­rend der Haus­schlüs­sel im Schloss um­ge­dreht wur­de, eine Wal­zer­me­lo­die zu ihr hin­auf­summ­te. End­lich! sag­te sie und trat vom Fens­ter zu­rück. Es ist spät ge­nug. Und wie komm­t’s, dass er singt? Am Ende hat er ein Glas Wein im Kopf, und für mein War­ten hab’ ich’s nun, dass ich ihn wie­der nüch­tern pre­di­gen muss.

Sie lausch­te in den Flur hin­un­ter. Es kam ein elas­ti­scher, ste­ter Schritt die Trep­pe hin­auf, ohne Lärm zu ma­chen. So scheint’s doch noch nicht arg zu sein, sag­te sie be­ru­hig­ter zu sich selbst. Aber dass er sich aufs Sin­gen ver­legt –

In­dem öff­ne­te sich die Tür, und ein hoch­ge­wach­se­ner Jüng­ling, der nicht über neun­zehn Jahr ha­ben konn­te, trat mit freund­li­cher Ge­bär­de ins Zim­mer.

Gu­ten Abend, klei­ne Mama, sag­te er, die Müt­ze ab­neh­mend und das bu­schi­ge fahl­blon­de Haar zu­rück­strei­chend. Heut ist’s lan­ge ge­wor­den. Aber warum hast du auch auf­blei­ben wol­len? Ich sag­te es dir vor­aus. Es war ja die letz­te Tanz­stun­de für die­sen Win­ter, und da gab’s or­dent­lich eine Art Ball, und hät­ten wir nicht un­ter un­sern Her­ren und Da­men auch so blut­jun­ge Herr­schaf­ten, die Ge­schich­te wäre noch nicht zu Ende. Aber ei­ni­ge von den Tän­zern wur­den von ih­ren Dienst­mäd­chen ab­ge­holt, ob­wohl sie’s um die Welt nicht ein­ge­stan­den hät­ten, und da durf­ten wir die Mit­ter­nacht nicht her­an­wal­zen. Du hast in­des ein we­nig ge­nickt, will ich hof­fen.

Nein, mein Sohn, er­wi­der­te sie in ge­las­se­nem Tone. Wenn man große Kin­der in die Welt schickt, hal­ten einen die Mut­ter­sor­gen zu Hau­se wach. Am Ende aber hät­te ich wohl bes­ser ge­tan, zu Bett zu ge­hen, als auf den lan­gen Nacht­schwär­mer mit mei­ner Tee­ma­schi­ne zu war­ten; denn wie ich mer­ke, hat der Herr Leicht­fuß sei­nen Durst be­reits ge­löscht, und der häus­li­che Tee wird ihm schal und lang­wei­lig vor­kom­men.

Und wor­an willst du das ge­merkt ha­ben, klei­ne Mama? er­wi­der­te er hei­ter, in­dem er sich setz­te und sei­ne lan­gen Glied­ma­ßen so gut es ging un­ter das klei­ne Tisch­chen streck­te.

Weil es das ers­te Mal ist, dass der jun­ge Herr sin­gen­d nach Hau­se ge­kom­men ist. Und die­sen un­ge­wöhn­li­chen An­lauf der Na­tur, das ihr Ver­sag­te zu leis­ten – frei­lich war es auch da­nach! – kann man doch nicht aus ge­wöhn­li­chen Ur­sa­chen her­lei­ten.

Er lach­te. Was ich für eine klu­ge klei­ne Mama be­sit­ze! sag­te er. Aber sie ist doch noch nicht hin­ter das gan­ze Ge­heim­nis ge­kom­men. Ir­gend­wo in mir ist es frei­lich nicht mehr ganz rich­tig; aber der Stö­ren­fried sitzt nicht im Ober­stüb­chen, wie du arg­wöhnst. Der zah­me Punsch bei Bür­ger­meis­ters nimmt viel zu viel Rück­sich­ten auf die lie­be Ju­gend von Ober­ter­tia, um un­serei­nem ge­fähr­lich zu wer­den. Über­haupt, was die leib­li­che Nah­rung be­trifft, bin ich so nüch­tern, dass die­se dei­ne Vor­rä­te von Fleisch und But­ter­brot es spü­ren wer­den. Ich kann das Ku­chen­werk nicht aus­ste­hen, mit dem man auf so Bäl­len ge­füt­tert wird. Nein, klei­ne Mama, gieß mir nur im­mer einen Löf­fel Arak mehr als sonst in den Tee, viel­leicht dämpft ein Rausch den an­dern. Denn wie ge­sagt, ir­gend­wo sitzt mir’s, ir­gend­wo brennt was, ir­gend­wo –

Er sah sie halb kläg­lich, halb schalk­haft an, und sei­ne dun­kelblau­en Au­gen blitz­ten. – Wal­ter, sag­te sie, fast ver­dutzt, ich will doch nicht hof­fen –

Der Jüng­ling griff, wie in Ver­le­gen­heit, nach ei­nem But­ter­bro­te und fing mit tief­sin­ni­gem Ernst an zu es­sen. Nie­mand ent­geht sei­nem Schick­sal, sag­te er, be­hag­lich kau­end. Frü­her oder spä­ter muss ja doch ein­mal das ers­te Mal kom­men. Und wenn man neun­zehn Jahr alt ge­wor­den ist, wird es nach­ge­ra­de Ehren­sa­che, sich so gut wie je­der An­de­re –

Er stock­te wie­der. Kin­der­pos­sen! sag­te sie la­chend. Ich glau­be gar, der un­nüt­ze Jun­ge will sich und mir ein­re­den, er sei ver­liebt!

Nichts Ge­rin­ge­res, als das, er­wi­der­te der Jüng­ling und trank die Tas­se Tee, die sie ihm be­rei­tet hat­te, auf Ei­nen Zug aus. We­nigs­tens sind alle An­zei­chen die­ser le­bens­ge­fähr­li­chen Krank­heit vor­han­den.

Vor Al­lem ein un­ge­wöhn­li­cher Ap­pe­tit und zwölf Tak­te ei­ner Wal­zer­me­lo­die, die so falsch her­aus­ka­men, dass sich der Mus­kel­mann dort in der Ecke ge­wiss gern die Ohren zu­ge­hal­ten hät­te, wenn sei­ne Hän­de et­was mo­bi­ler wä­ren. Und wer hat die­ses Wun­der ge­wirkt, wenn man fra­gen darf?

Das hel­le Ge­sicht des Jüng­lings, des­sen Haup­treiz eine lus­ti­ge Of­fen­heit und Ju­gend­fri­sche war, nahm plötz­lich einen ge­heim­nis­voll ver­schmitz­ten Aus­druck an. Rate! sag­te er. Ich bin, wie du siehst, noch zu sehr mit mei­ner Stär­kung be­schäf­tigt, um eine re­gel­rech­te Beich­te ab­zu­le­gen.

Und da­mit mach­te er sich über sei­nen Tel­ler her und schnitt große Stücke von ei­nem dun­kel­ro­ten Schin­ken her­un­ter.

Sie hat­te ih­ren Lehn­stuhl nah an das Tisch­chen her­an­ge­zo­gen und sah ihm ru­hig ins Ge­sicht. – Als ob noch viel her­um­zu­ra­ten wäre, sag­te sie, wenn man die Tän­ze­rin­nen sämt­lich zu ken­nen die Ehre hat und von dem leicht­sin­ni­gen Ka­va­lier und sei­nen star­ken und schwa­chen Sei­ten mehr weiß, als er sel­ber. Auch ist es ja längst be­kannt, dass das Bes­te für un­sern über­mü­ti­gen Jun­ker ge­ra­de gut ge­nug ist, und wer von den Töch­tern der Stadt wird in Al­lem, was jun­ge To­ren be­tört, der Toch­ter un­se­res hoch­ge­bie­ten­den Bür­ger­meis­ters den Vor­rang strei­tig ma­chen? Fand ich nicht auch auf ei­nem ge­wis­sen Zei­chen­brett erst vor we­nig Ta­gen den Na­men »Flo­ra« in den schöns­ten Ara­bes­ken aus­ge­führt?

Dein Tee ist stark, klei­ne Mama, er­wi­der­te der Jüng­ling mit ver­stell­tem Ernst. Aber dein Ah­nungs­ver­mö­gen ist nur schwach. Ich will nicht leug­nen, fuhr er mit flüch­ti­gem Er­rö­ten fort, dass ich die­se klei­ne glat­te Schlan­ge, die sich so ge­wandt durch Al­les durch­win­det, wo ich zehn­mal ste­cken blei­be, – dass ich sie, will ich sa­gen, be­wun­der­t habe; ja es mag auch sein, dass ich mei­ne Un­ge­schick­lich­kei­ten ihr ge­gen­über mir sel­ber we­ni­ger übel nahm, wenn ich mir vor­re­de­te, ich sei nur ver­le­gen aus Lie­be, die ja auch weit­läu­fi­ge­re Men­schen un­be­hol­fen und ein­fäl­tig ma­chen soll. Aber heu­te sind mir die Au­gen dar­über auf­ge­gan­gen, dass von Lie­be zwi­schen uns kei­ne Rede sein kann. Denn ich möch­te schwö­ren, dass, wenn man durch ein ge­wis­ses wei­ßes Flor­kleid se­hen könn­te, man nichts un­ter der lin­ken Brust ent­de­cken wür­de, als eine Tanz­kar­te und eine Num­mer der Mo­den­zei­tung.

Und was be­rech­tigt den jun­gen Herrn zu die­sem schwar­zen Ver­dacht? Si­cher­lich wird hier wie­der ein­mal ei­nem harm­lo­sen Frau­en­zim­mer das Herz ab­ge­spro­chen, weil sie nur für ge­wis­se Leu­te kein Herz hat.

Wir ha­ben un­se­re Be­wei­se, sag­te der Jüng­ling ernst­haft. Ich hal­te mich nicht für den größ­ten Men­schen­ken­ner, und habe mich auch rich­tig wie­der eine Wei­le be­trü­gen las­sen. Den gan­zen Win­ter hin­durch hät­test du nur se­hen sol­len, wie die­se hoff­nungs­vol­le klei­ne De­li­la mir um den Bart ging – bild­lich ge­spro­chen; denn die paar ro­ten Flaum­haa­re kön­nen frei­lich noch nicht zäh­len. Das ging auch ganz mit rech­ten Din­gen zu. Denn ob­wohl ich gotts­er­bärm­lich schlecht tan­ze, nie weiß, ob Wal­zer oder Schot­tisch und mit wel­chem Fuß zu­erst an­ge­tre­ten wird, so war ich doch im­mer ihr er­klär­ter Günst­ling; denn ich war der Äl­tes­te in der gan­zen Ge­sell­schaft und konn­te schon für einen Mann und Rit­ter gel­ten. –

Ein Hecht un­ter den Back­fi­schen, Schal­te­te die Zu­hö­re­rin ru­hig ein.

Mei­net­hal­ben! Sie nahm mich für voll, und warum soll­te ich mir’s nicht ge­fal­len las­sen? Bei an­dern weib­li­chen We­sen – und er lä­chel­te gut­mü­tig – wer­de ich wohl mein Leb­tag nicht als mün­dig gel­ten, und wenn ich auch durch die Stu­ben­de­cke wach­se und in gan­zen Bart­wäl­dern star­re.

Si­cher­lich, sag­te sie. Mein »klei­ner Wal­ter« bleibst du, und wenn du Groß­va­ter bist. Denn ich, als dei­ne klei­ne Mama, wer­de mich stets für dei­ne dum­men Strei­che ver­ant­wort­lich füh­len, und es ist Aus­sicht vor­han­den, dass du de­ren ma­chen wirst, so lan­ge du lebst.

Kann sein, er­wi­der­te er und lach­te. Aber heut hab’ ich dei­ner Er­zie­hung alle Ehre ge­macht. Das hoch­mü­ti­ge Ding näm­lich, un­se­re Ball­kö­ni­gin, fand mich heut so­gar zu den üb­li­chen Skla­ven­diens­ten zu schlecht. Es war da ein jun­ger Herr vom Stadt­ge­richt, der aus Herab­las­sung mit­tanz­te und mich, als ich her­ein­trat in mei­nem ein­fa­chen schwar­zen Rock und baum­wol­le­nen Hand­schu­hen, von oben bis un­ten durch eine Lor­gnet­te be­sah. Er selbst näm­lich war in Frack und Glacé, und da be­greift sich’s, dass er mich völ­lig aus­stach. Aber wirst du glau­ben, dass sie plötz­lich kaum noch die Fin­ger­spit­zen für mich hat­te? O Wei­ber, Wei­ber!

Kei­ne Ge­ne­ral­ver­dam­mung, muss ich bit­ten!

Be­hü­te! sag­te er. Es gibt En­gel un­ter eu­rem Ge­schlecht, ei­ni­ge, die ich nicht nen­nen will, mit feu­ri­gen Schwer­tern, an­de­re aber, En­gel schlecht­weg, die noch dazu ihre Flü­gel un­ter ganz be­schei­de­nen Mous­se­lin­klei­dern ver­ste­cken.

Zum Exem­pel?

Wie ich näm­lich von der Ver­si­che­rung, dass Fräu­lein Flo­ra schon alle Tän­ze ver­ge­ben habe, noch ganz ver­blüfft da­ste­he, fällt mein Blick auf ein Ge­sicht, das ich bis­her so gut wie über­se­hen hat­te, weil es frei­lich nicht so schlan­gen­haft zu lä­cheln und zu lo­cken ver­steht, wie an­de­re Ge­sich­ter. Aber jetzt sah ich zwei stil­le sanf­te Au­gen auf mich ge­hef­tet, die mir zu sa­gen schie­nen: wir hät­ten dich schon längst ge­warnt, dich nicht mit ei­nem Eis­block ein­zu­las­sen, aber du hat­test ja kei­nen Blick für uns! und so wei­ter, was ei­nem Au­gen nur im­mer sa­gen kön­nen. Und da war ich kein Narr und schritt, mit ei­nem kö­nig­li­chen An­stand, sag’ ich dir –

Ich sehe ihn! schal­te­te sie tro­cken ein. Du bist un­ter­wegs nur ei­ni­gen Da­men auf die Klei­der ge­tre­ten und hast ein paar Stüh­le um­ge­wor­fen.

Dies­mal nicht, du un­na­tür­li­che Mut­ter, die von ih­rem Zög­ling im­mer das Schlimms­te denkt. Wie ein ge­bo­re­ner Prinz ging ich auf Lott­chen zu. –

Lott­chen Klaas? Ich er­tei­le dir mei­nen müt­ter­li­chen Se­gen, sag­te sie fei­er­lich. Die­se ers­te Lie­be macht mir al­ler­dings nicht die Sor­ge, dass sie dich zu lan­ge von ernst­haf­te­ren Din­gen ab­zie­hen wird. Nur bit­te ich mir aus, dass du dem gu­ten Mäd­chen nichts in den Kopf set­zest, hörst du?

Was denkst du von mir? sag­te er treu­her­zig. Ich habe den gan­zen Abend kein Wort mit ihr ge­spro­chen, das ich nicht eben so gut an ein sieb­zig­jäh­ri­ges Fräu­lein hät­te rich­ten kön­nen.

Da wird sie frei­lich von dei­ner Un­ter­hal­tung sehr er­baut ge­we­sen sein.

Hm, sag­te er, sie brach­te sie selbst aufs Ta­pet. Sie wuss­te, dass ich nicht ganz zu­frie­den da­mit bin, hier beim Pfle­ge­va­ter zu hocken und es über einen leid­li­chen Stu­ben- und De­ko­ra­ti­ons­ma­ler nicht hin­auf­zu­brin­gen. Wer’s ihr nur ge­sagt ha­ben mag, dass ich lie­ber heut als mor­gen fort­gin­ge, um ir­gend­wo in eine Bau­schu­le zu kom­men und noch ein­mal einen or­dent­li­chen Archi­tek­ten aus mir zu ma­chen? Ge­nug, sie fing da­von an –

Und du konn­test nicht wie­der da­von auf­hö­ren, wie ich dich ken­ne.

Frei­lich nicht. Aber es schi­en sie gar nicht zu lang­wei­len. Und da­zwi­schen tanz­ten wir na­tür­lich, und ich kam mir die­sen Abend be­son­ders ge­schickt vor, denn du kannst dir nicht den­ken, wie gut sie es ver­stand, mir nach­zu­hel­fen, so­dass wir nur sel­ten aus dem Takt ka­men und beim Con­tre­tanz mit ei­ner ganz klei­nen Kon­fu­si­on uns aus der Af­faire zo­gen. Sie ist wirk­lich ein himm­lisch gu­tes Mäd­chen, und ich glau­be, eine bes­se­re Ge­le­gen­heit, zu ei­ner ers­ten Lie­be zu kom­men, wer­de ich in Jahr und Tag nicht fin­den. Da sieh – und er zog eine Hand­voll Co­til­lo­nor­den aus der Wes­ten­ta­sche – die alle wer­fe ich in den Ofen, aber die dun­kel­ro­te Schlei­fe da kommt von ih­r, die wird auf­ge­ho­ben und heu­te Nacht un­ter mein Kopf­kis­sen ge­legt, und es müss­te nicht mit rech­ten Din­gen zu­ge­hen, wenn ich mor­gen nicht kreuz­ver­liebt auf­wach­te.

Also soll es erst über Nacht kom­men? sag­te sie und strich ihm ne­ckend mit der Hand übers Haar. Ar­mer Jun­ge, da fürch­te ich, dass es gute Wege da­mit hat. Mor­gen ist Sonn­tag. Wenn du erst wie­der über dei­nen Zeich­nun­gen sit­zest, wird dir eine schlan­ke Säu­le oder ein hüb­sches Or­na­ment lie­bens­wür­di­ger vor­kom­men, als alle Lott­chen der Welt. Und wahr­haf­tig, mein Jun­ge, es ist auch eben kein Scha­de. Du kommst noch früh ge­nug dazu.

Sie schwieg und sah nach­denk­lich in das blaue Spi­ri­tus­flämm­chen un­ter dem Kes­sel, das mit trau­li­chem Sum­men ihre Re­den be­glei­tet hat­te. Auch er war still ge­wor­den, seufz­te ein­mal und schob end­lich den lee­ren Tel­ler zu­rück.

Klei­ne Mama, sag­te er, mir ist bei­na­he, als ob du Recht be­hal­ten soll­test. Je­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­