Vorwort

Dieser Leitfaden soll einen ersten Einstieg in das Bauordnungsrecht des Freistaats Bayern ermöglichen und den Zugang zu den sich in Ausbildung, Prüfung und Praxis am häufigsten stellenden Rechtsfragen ermöglichen. Die vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung zu treffende Auswahl an Themen und Problemen führte zu einer Konzentration auf die wesentlichen Grundzüge des Verfahrensrechts und der bauaufsichtlichen Befugnisse, im materiellen Recht zu einer Beschränkung auf die Darstellung von Grundlagen und einzelner praktisch besonders bedeutsamer Teilbereiche. Über die engeren Grenzen des Bauordnungsrechts hinausgreifend sind zusätzlich die Grundfragen des Rechtsschutzes für Bauherrn, Nachbarn und Gemeinden einbezogen, und zwar unter Einschluss der Grundzüge des materiellen bauplanungsrechtlichen Drittschutzes. Bei alledem habe ich auch versucht, meine Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte als Prüfer in den beiden juristischen Staatsexamina einfließen zu lassen.

Die Darstellung orientiert sich in erster Linie an der höchstrichterlichen Judikatur und an der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Soweit es daran fehlt oder länderübergreifend vergleichbare bauordnungsrechtliche Fragestellungen vorliegen, namentlich, wenn sie kontrovers beantwortet werden, ist auch die obergerichtliche Rechtsprechung der anderen Länder berücksichtigt worden. Demgegenüber tritt die Auseinandersetzung mit der Literatur zurück, die nur punktuell und überwiegend für vertiefende Hinweise herangezogen wird.

Das Buch ist auf dem Stand von Ende Januar 2013. Einzelheiten sind noch bis Ende Juni 2013 nachgetragen.

Flintsbach am Inn, im Juni 2013

Henning Jäde

Abkürzungsverzeichnis

A

a. A.

anderer Ansicht

ABl

Amtsblatt

abl.

ablehnend

Abs.

Absatz

AEG

Allgemeines Eisenbahngesetz

AllMBl

Allgemeines Ministerialblatt

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

AS

Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland

AtG

Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz)

Aufl.

Auflage

B

BauGB

Baugesetzbuch

BauGB-MaßnahmenG

Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch

BauKaG

Gesetz über die Bayerische Architektenkammer und die Bayerische Ingenieurekammer-Bau (Baukammerngesetz)

BauNVO

Baunutzungsverordnung

BauO

Bauordnung

BauPG

Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Umsetzung und Durchführung anderer Rechtsakte der Europäischen Union in Bezug auf Bauprodukte (Bauproduktengesetz)

BauPV

Verordnung über bauordnungsrechtliche Regelungen für Bauprodukte und Bauarten (Bauprodukte- und Bauartenverordnung)

BauR

Baurecht (Zs.)

BauVorlV

Verordnung über Bauvorlagen und bauaufsichtliche Anzeigen (Bauvorlagenverordnung)

BayAbgrG

Bayerisches Abgrabungsgesetz

BayBGG

Bayerisches Gesetz zur Gleichstellung, Integration und Teilhabe von Menschen mit Behinderung (Bayerisches Behindertengleichstellungsgesetz)

BayBgm

Bayerischer Bürgermeister (Zs.)

BayBO

Bayerische Bauordnung

BayGT

Bayerischer Gemeindetag (Zs.)

BayJG

Bayerisches Jagdgesetz

BayNatSchG

Gesetz über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur (Bayerisches Naturschutzgesetz)

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayObLGSt.

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen

BayObLGZ

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen

BayRS

Bayerische Rechtssammlung

BayStrWG

Bayerisches Straßen- und Wegegesetz

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter (Zs.)

BayVerfGH

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

BayVwVfG

Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz

BayWaldG

Bayerisches Waldgesetz

BayWG

Bayerisches Wassergesetz

BBauBl.

Bundesbaublatt (Zs.)

BBauG

Bundesbaugesetz

BBergG

Bundesberggesetz

Bbg

Brandenburg

ber.

berichtigt

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGG

Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen

BGH

Bundesgerichtshof

BImSchG

Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz)

Bln

Berlin

BNatSchG

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz)

BRS

Baurechtssammlung

BStättV

Verordnung über den Bau und Betrieb von Beherbergungsstätten (Beherbergungsstättenverordnung)

Buchholz

Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

Buchst.

Buchstabe

BV

Bayerische Verfassung

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BW

Baden-Württemberg

D

DIBt

Deutsches Institut für Bautechnik

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung (Zs.)

DSchG

Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler (Denkmalschutzgesetz)

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt (Zs.)

E

EltBauV

Verordnung über den Bau von Betriebsräumen für elektrische Anlagen (EltBauV)

EOVGB

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des OVG Berlin

ESVGH

Entscheidungssammlung des Hessischen und des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs

EU

Europäische Union

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

F

f./ff.

folgende(r)

FeuV

Feuerungsverordnung

FlBauR

Richtlinie über den Bau und Betrieb fliegender Bauten

FStBay

Die Fundstelle Bayern (Zs.)

FStrG

Bundesfernstraßengesetz

Fußn.

Fußnote

G

GaStellV

Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze

GastG

Gaststättengesetz

GewArch

Gewerbearchiv (Zs.)

GG

Grundgesetz

GrKrV

Verordnung über Aufgaben der Großen Kreisstädte

GV., GVBl

Gesetz- und Verordnungsblatt

H

HB

Bremen

HessVGH

Hessischer Verwaltungsgerichtshof

HessVGRspr.

Rechtsprechung der hessischen Verwaltungsgerichte

HH

Hamburg

h. M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

I

i. S. d.

im Sinne des(r)

i. V. m.

in Verbindung mit

J

JuS

Juristische Schulung (Zs.)

K

KG

Kostengesetz

KommJur

Kommunaljurist (Zs.)

KommP BY

Kommunalpraxis Bayern (Zs.)

krit.

kritisch

L

LKrO

Landkreisordnung

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung (Zs.)

LS

Leitsatz

LSA

Sachsen-Anhalt

LT-Drs.

Landtagsdrucksache

LuftVG

Luftverkehrsgesetz

M

m.

mit

MABl

Ministerialamtsblatt

MBO

Musterbauordnung

MV

Mecklenburg-Vorpommern

N

Nds

Niedersachsen

NdsRPfl.

Niedersächsische Rechtspflege (Zs.)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zs.)

Nr.

Nummer

NRW

Nordrhein-Westfalen

NuR

Natur und Recht (Zs.)

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

NVwZ-Rechtsprechungs-Report (Zs.)

NWVBl.

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Zs.)

O

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

OVGE

Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein

P

PrOVG

Preußisches Oberverwaltungsgericht

PrüfVBau

Verordnung über Prüfingenieure, Prüfämter und Prüfsachverständige im Bauwesen

R

RdL

Recht der Landwirtschaft (Zs.)

Rn.

Randnummer

RP

Rheinland-Pfalz

r. Sp.

rechte Spalte

RuPrVerwBl.

Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt

S

S.

Seite

s.

siehe

Saar

Saarland

SächsBO

Sächsische Bauordnung

SächsOVG

Sächsisches Oberverwaltungsgericht

SächsVBl.

Sächsische Verwaltungsblätter (SächsVBl.)

SH

Schleswig-Holstein

SPrüfV

Verordnung über Prüfungen von sicherheitstechnischen Anlagen und Einrichtungen (Sicherheitsanlagen-Prüfverordnung)

str.

streitig

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StrSchV

Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung)

StVO

Straßenverkehrsordnung

T

ThürOVG

Thüringer Oberverwaltungsgericht

ThürVBl.

Thüringer Verwaltungsblätter (Zs.)

Tz.

Teilziffer

U

UPR

Umwelt- und Planungsrecht (Zs.)

UVP

Umweltverträglichkeitsprüfung

V

VBlBW

Baden-Württembergische Verwaltungsblätter (Zs.)

VerwArch

Verwaltungsarchiv (Zs.)

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

VGH n. F.

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (neue Folge, seit 1946)

vgl.

vergleiche

VkV

Verordnung über den Bau und Betrieb von Verkaufsstätten (Verkaufsstättenverordnung)

VRspr.

Verwaltungsrechtsprechung (Zs.)

VStättV

Verordnung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten (Versammlungsstättenverordnung)

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

VwZVG

Verwaltungs-Zustellungs- und Vollstreckungsgesetz

W

WEG

Wohnungseigentumsgesetz

WHG

Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz)

Z

ZA-NTS

Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut

ZfBR

Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht

ZMR

Zeitschrift für Miet- und Raumrecht

ZPO

Zivilprozessordnung

ZQualVBau

Verordnung über den Erwerb der Zusatzqualifikation zur Erstellung der bautechnischen Nachweise im Sinn des Art. 62 der Bayerischen Bauordnung (Zusatzqualifikationsverordnung Bau)

Zs.

Zeitschrift

ZustVBau

Zuständigkeitsverordnung im Bauwesen

ZVEnEV

Verordnung zur Regelung der Zuständigkeiten und zur Durchführung der Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden (Zuständigkeits- und Durchführungsverordnung EnEV)

1. Kapitel Grundlagen

I. Begriff des Bauordnungsrechts

1. Allgemeines

1

Das Bauordnungsrecht ist Teil des öffentlichen Baurechts, zu dem neben ihm noch das Bauplanungsrecht (BauGB, BauNVO) gehört. Faustregelartig wird zwischen Bauplanungs- und Bauordnungsrecht danach unterschieden, dass das Bauplanungsrecht darüber entscheide, ob, während das Bauordnungsrecht regele, wie gebaut werden darf. Daran ist sicher richtig, dass das Bauplanungsrecht vor allem die großen städtebaulichen Linien in den Blick nimmt, während das Bauordnungsrecht auch viele eher technische Details regelt. Ganz so einfach liegen die Dinge freilich nicht. Das zeigt schon ein Blick in den Katalog möglicher Regelungsgegenstände von Bebauungsplänen in § 9 Abs. 1 BauGB, deren potenzielle Detailverliebtheit hinter derjenigen des Bauordnungsrechts – zumal örtlicher Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO (Gestaltungssatzungen) – keineswegs zurückbleibt. Auch überlagern und überlappen sich diese Regelungsgenstände vielfältig.

2

Die Ursache für diese Abgrenzungsschwierigkeiten liegt darin, dass es eine Trennung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen dem bundesrechtlichen Bauplanungs- und dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht erst seit dem Erlass des Grundgesetzes im Jahr 1949 auf der Grundlage der Zuweisung des Bodenrechts zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG gibt; eine Restkompetenz für eine bauordnungsrechtliche Gesetzgebung im Bereich des Wohnungsbaus hat der Bund erst im Zuge der Föderalismusreform aufgegeben. Maßgeblich ist nach Auffassung des BVerwG die gesetzgeberische Zielsetzung, nicht der Regelungsgegenstand.1 Was unter Wahrung der Kompetenzgrenzen jeweils zum bundesrechtlichen Bauplanungsrecht einerseits, zum landesrechtlichen Bauordnungsrecht andererseits gehört, lässt sich faustregelartig wohl am besten in zwei Schritten ermitteln: (1) Zunächst ist zu fragen, ob eine Regelung, die das Bauordnungsrecht trifft, auch durch Festsetzung in einem Bebauungsplan auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB getroffen werden könnte.2 (2) Ist dies der Fall, begründet dies gewissermaßen eine Vermutung dafür, dass die Regelung kompetenzgerecht dem Bundesrecht zugehört und nicht durch landesrechtliches Bauordnungsrecht getroffen werden darf, es sei denn, es handelte sich um eine herkömmlich dem Bauordnungs- im Sinne des Baupolizeirechts (als eines Teils des materiellen Sicherheitsrechts) zugewiesene Materie.3

2. Bayerische Bauordnung

3

Zentrale Rechtsvorschrift des bayerischen Bauordnungsrechts ist die Bayerische Bauordnung (BayBO)4 als Landesgesetz.

3. Rechtsverordnungen

4

Auf ihrer Grundlage (Art. 15 Abs. 4, Abs. 5 und 6, Art. 19 Abs. 2, Art. 47 Abs. 2 Satz 1, Art. 53 Abs. 2 Satz 1, Art. 80 BayBO) ist eine Reihe von Rechtsverordnungen erlassen worden, die ebenfalls zum Bauordnungsrecht gehören, nämlich

5

Mit Ausnahme der ZVEnEV werden alle diese Rechtsverordnungen vom Staatsministerium des Innern als dem für das Bauordnungsrecht zuständigen Ressort erlassen. Zustimmungsvorbehalte des Landtags bestehen seit 2008 nicht mehr.

6

Die Vielzahl der Rechtsverordnungen erweckt auf den ersten Blick den Anschein einer unübersichtlichen Zersplitterung der einheitlichen Materie Bauordnungsrecht. Eine solche Kritik wäre aber in der Sache nicht gerechtfertigt. Die BayBO regelt, was aufgrund des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalts durch den parlamentarischen Gesetzgeber entschieden werden muss; daneben kann der Verordnungsgeber flexibler auf aktuelle Notwendigkeiten reagieren. Im Übrigen steht die BayBO zu den auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen – vor allem zu den Sonderbauverordnungen (VStättV, VkV, BStättV) – gleichsam im Verhältnis eines Allgemeinen Teils des Bauordnungsrechts zu einer Reihe Besonderer Teile. In der BayBO wird gewissermaßen vor die Klammer gezogen, was grundsätzlich jeder braucht, der mit dem Bauordnungsrecht umgeht, während sich die auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen weitgehend mit spezielleren Fragen beschäftigen. Alle diese Rechtsvorschriften in der BayBO selbst zusammenzufassen, würde deren praktische Handhabbarkeit nicht verbessern. Ähnliches gilt im Verhältnis der bauordnungsrechtlichen Rechtsverordnungen untereinander: Hier differenziert Bayern grundsätzlich nach unterschiedlichen Anlagen – wie Versammlungs-, Verkaufs- und Beherbergungsstätten.19 Schon dabei zeigt sich aber, dass etwa die VStättV eine solche weitgespannte Vielfalt verschiedener Anlagentypen – vom Pfarrgemeindesaal bis zur Allianz-Arena – abdecken muss, dass sie nicht immer allen Einzelfällen ohne Weiteres gleichermaßen gerecht werden kann. Auch hier zieht die Natur der Sache einer Konzentration der Rechtssetzung Grenzen.

4. Örtliche Bauvorschriften

7

Handelt es sich bei den aufgrund der BayBO erlassen Rechtsverordnungen um staatliches Recht, stellen die aufgrund Art. 81 Abs. 1 BayBO selbstständig oder als Bestandteile von Bebauungsplänen (Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO i. V. m. § 9 Abs. 4 BauGB) erlassenen örtlichen Bauvorschriften gemeindliche Satzungen dar, die – wie Art. 81 Abs. 1 BayBO klarstellend20 regelt – im eigenen Wirkungskreis ergehen. Die Materien, deren Regelung durch örtliche Bauvorschriften die BayBO den Gemeinden ermöglicht, stehen außerhalb des sicherheitsrechtlichen Kerns des Bauordnungsrechts und betreffen Fragen der gemeindlichen Selbstgestaltung, bei denen sich eine nach Maßgabe der örtlichen Besonderheiten differenzierte Rechtssetzung anbietet, die ebenfalls nicht als Rechtszersplitterung missverstanden werden darf, sondern als eine Öffnung gegenüber der regionalen und lokalen Vielfalt des Flächenstaats Bayern.

8

Vor diesem Hintergrund stehen die örtlichen Bauvorschriften materiell der Bauleitplanung besonders nahe, deren städtebauliche Rechtfertigung, die Erforderlichkeit i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sich ebenfalls aus den Besonderheiten der konkreten örtlichen Situation speist. Die bereits angedeuteten Abgrenzungsschwierigkeiten zum und Kompetenzkonflikte mit dem Bauplanungsrecht stellen sich hier besonders prekär.21 Zwar besteht sicherlich Einigkeit darüber, dass örtliche Bauvorschriften nicht im Gewand des Bauordnungsrechts boden- und damit materiell bauplanungsrechtliche Regelungen treffen dürfen.22 Über Einzelfälle23 lässt sich indessen streiten.

9

Nicht zu den örtlichen Bauvorschriften gehören die Satzungen nach Art. 6 Abs. 7 BayBO. Das ergibt sich daraus, dass die Vorschrift ausdrücklich dazu ermächtigt, diese Satzungen auch nach Art. 81 Abs. 2 BayBO (i. V. m. § 9 Abs. 4 BauGB) durch Bebauungsplan zu erlassen. Das wäre nicht erforderlich gewesen, wenn es sich dabei um örtliche Bauvorschriften handelte.

5. Technische Baubestimmungen

10

Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind die vom Staatsministerium des Innern24 durch öffentliche Bekanntmachung25 als Technische Baubestimmung eingeführten technischen Regeln zu beachten. Die Rechtsnatur der Technischen Baubestimmungen ist unklar.26 Rechtsverordnungen können sie nicht sein, weil es an der dafür erforderlichen, hinreichend präzisierten Ermächtigungsgrundlage fehlt. Sie als nur norminterpretierende Verwaltungsvorschriften ohne verbindliche Außenwirkung einzuordnen, wird dem Gesetzeswortlaut nicht gerecht, der einen allgemeinen Geltungsanspruch („... sind zu beachten“) ausdrückt. Da mittels der Technischen Baubestimmungen die in unbestimmten Rechtsbegriffen enthaltenen materiellen Grundanforderungen des Bauordnungsrechts näher ausgestaltet werden, liegt eine Einordnung als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften27 nahe, die eine ähnliche Rechtswirkung entfalten wie eine Rechtsverordnung (auch gegenüber Gerichten), welche erst endet, wenn sie durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt wird.28

11

Den Technischen Baubestimmungen stehen die technischen Regeln der Bauregelliste A (Art. 15 Abs. 2 Satz 1 BayBO) gleich (Satz 2).

6. Verwaltungsvorschriften

12

Neben den Technischen Baubestimmungen als normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften gibt es auch „einfache“ Verwaltungsvorschriften, die keine unmittelbare Außenwirkung entfalten, sondern unmittelbar nur verwaltungsintern wirken. Dazu gehören die Hochhausrichtlinie29 und die Richtlinie über den Bau und Betrieb fliegender Bauten30. Sie steuern das der Bauaufsichtsbehörde bei nicht durch eine Sonderbauverordnung – also durch Rechtsnorm – geregelten und vertypten Sonderbauten (vgl. hier Art. 2 Abs. 4 Nr. 1 BayBO: Hochhäuser, Nr. 17: fliegende Bauten) durch Art. 54 Abs. 3 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen. Nur auf diese Weise kommt ihnen mittelbare Außenwirkung zu.

II. Anwendungsbereich

1. Grundsatz

13

Die BayBO gilt für alle baulichen Anlagen und Bauprodukte (Art. 1 Abs. 1 Satz 1). Was eine bauliche Anlage ist oder als eine solche gilt, ist in Art. 2 Abs. 1 bis 3 BayBO definiert. Bauprodukte definiert Art. 2 Abs. 11 BayBO legal. Da Bauarten (Art. 2 Abs. 12 BayBO) aus Bauprodukten bestehen, gilt die BayBO auch für sie.

14

Ferner gilt die BayBO für Grundstücke sowie für andere Anlagen und Einrichtungen, an die nach ihr oder in Vorschriften auf ihrer Grundlage Anforderungen gestellt werden (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 BayBO).

15

Andere Anlagen sind z. B. Kinderspielplätze (Art. 7 Abs. 2 BayBO), soweit sie nicht schon selbst bauliche Anlagen darstellen.

16

Andere Einrichtungen sind z. B. Baustelleneinrichtungen (Art. 9 BayBO).

2. Ausnahmen

17

Art. 1 Abs. 2 BayBO enthält Ausnahmen vom Anwendungsbereich. Die Gegenstände dieser Regelungen haben ihren sachlichen und fachlichen Schwerpunkt außerhalb des Bauordnungsrechts und unterliegen zumeist anderen Regelungs- bzw. Überwachungsregimen.

18

Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayBO nimmt aus dem Anwendungsbereich der BayBO zunächst Anlagen des öffentlichen Verkehrs sowie ihre Nebenanlagen und Nebenbetriebe aus, unterwirft ihm aber im Wege der Gegenausnahme Gebäude an Flugplätzen. Diese Gegenausnahme hat ihre Ursache darin, dass – anders als die straßen- und eisenbahnrechtliche – die luftrechtliche Planfeststellung lediglich über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Hochbauten auf dem Flugplatzgelände entscheiden kann (§ 8 Abs. 4 Satz 1 LuftVG) und die Erforderlichkeit eines bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahrens (ebenso wie die Anwendbarkeit des materiellen Bauordnungsrechts) durch die Konzentrationswirkung der luftrechtlichen Planfeststellung wegen § 9 Abs. 1 Satz 1 LuftVG unberührt bleibt.31 Folglich verbleibt ein Bedürfnis nach einem bauaufsichtlichen Trägerverfahren, um öffentlich-rechtliche Anforderungen an diese Gebäude zu „transportieren“.

19

Die Zurücknahme des Anwendungsbereichs bei den Anlagen des öffentlichen Verkehrs korrespondiert mit der Sperrwirkung der privilegierten Fachplanung nach § 38 Satz 1 BauGB.32 In ihrer Reichweite gilt das Bauordnungsrecht nicht, und zwar auch nicht örtliche Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 BayBO.33 Jedoch gilt das materielle Bauordnungsrecht und greifen die bauaufsichtlichen Befugnisse immer dann und überall dort, wo es sich um planfeststellungsfremde Vorhaben handelt. Schulbeispiel dafür ist die eisenbahnfremde Werbeanlage34. In jüngerer Zeit spielen vermehrt Umnutzungen von Bahnliegenschaften ohne vorhergehende Freistellung von Betriebszwecken nach § 23 AEG35 zu bahnbetriebsfremden Zwecken eine Rolle.36 Schwierige Fragen werfen die „Bahnhöfe neuen Typs“ auf, die sich nicht mehr als reine Verkehrsanlagen verstehen, sondern zugleich Laden-, Kommunikations- und Dienstleistungszentren darstellen; hier kann innerhalb einer dem äußeren Erscheinungsbild einheitlichen baulichen Anlage eine Trennung zwischen den unterschiedlichen Verfahrens- und materiell-rechtlichen Regimen je nach funktioneller Zuordnung erforderlich sein.37

20

Unabhängig davon, ob eine Straße planfestgestellt ist oder nicht, erstreckt sich die Herausnahme aus dem Anwendungsbereich der BayBO nur auf die Straße selbst nebst ihren Nebenanlagen und Nebeneinrichtungen (vgl. § 1 Abs. 4 FStrG, Art. 2 BayStrWG). Sonstige Anlagen unterliegen nach den allgemeinen Regeln dem Bauordnungsrecht. So kann z. B. eine Heiligenfigur auf einer Brücke, über die eine öffentliche Straße einen Fluss quert, einer bauaufsichtlichen Genehmigung bedürfen (wenn die Grenzen der Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. d BayBO überschritten sind).

21

Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 BayBO nimmt aus dem Anwendungsbereich der BayBO Anlagen aus, die der Bergaufsicht unterliegen. Die Abgrenzung richtet sich nach dem BBergG. Der Anlagenbegriff ist ebenso weit wie in Art. 2 Abs. 1 Satz 4 BayBO. Unmaßgeblich ist, ob es sich um ober- oder untertägige Anlagen handelt.

22

Art. 1 Abs. 2 Nr. 3 BayBO nimmt aus dem Anwendungsbereich der BayBO Rohrleitungsanlagen sowie Leitungen aller Art, abgesehen von solchen in Gebäuden, aus. Die Herausnahme der Rohrleitungsanlagen erfasst nicht nur die Leitungen selbst, sondern auch damit verbundene Hochbauten wie Pump- und Schieberstationen. Im Übrigen sind Leitungen bauordnungsrechtlich nur relevant, soweit sie in Gebäuden geführt werden und dort auf Anforderungen an den Brandschutz einwirken (vgl. Art. 38 f. BayBO).

23

Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 BayBO nimmt aus dem Anwendungsbereich der BayBO Kräne und Krananlagen aus. Die von ihnen ausgehenden Gefahren können durch das Produktsicherheits-, das Arbeitsschutzrecht und die Unfallverhütungsvorschriften abgearbeitet werden, sodass es einer Einbeziehung in das Bauordnungsrecht nicht bedarf. Baurechtlich relevant (und damit vom Anwendungsbereich der BayBO erfasst) ist aber beispielsweise ein Lagerplatz mit einer in die Landschaft wirkenden Krananlage (im Hinblick auf § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) oder ein Kran, der so in ein Gebäude eingebaut ist, dass er auf dessen Standsicherheit (Art. 10 BayBO) einwirkt.

24

Art. 1 Abs. 2 Nr. 5 BayBO nimmt aus dem Anwendungsbereich der BayBO Gerüste aus, weil für deren Sicherheit die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften ausreichen. Auch Art. 9 Abs. 1 BayBO ist insoweit nicht anwendbar.

25

Art. 1 Abs. 2 Nr. 6 BayBO nimmt aus dem Anwendungsbereich der BayBO Feuerstätten aus, die nicht der Raumheizung oder der Brauchwassererwärmung dienen, bezieht in den Geltungsbereich aber im Wege der Gegenausnahme Gas-Haushalts-Kochgeräte ein. Hinter dieser auf den ersten Blick schwer verständlichen Regelung steckt die Überlegung, dass alle ausgenommenen Feuerstätten durch produktsicherheitsrechtliche Vorschriften hinreichend abgedeckt werden, während die Gas-Haushalts-Kochgeräte wegen ihrer Auswirkungen auf die Raumluft im Anwendungsbereich der BayBO verbleiben.

26

Art. 1 Abs. 2 Nr. 7 BayBO nimmt schließlich aus dem Anwendungsbereich der BayBO Messestände in Messe- und Ausstellungsgebäuden aus und klärt damit die alte Streitfrage, ob es sich dabei um bauliche Anlagen oder bloße „Einrichtungsgegenstände“ handelt, im letzteren Sinne.

III. Grundbegriffe

27

Art. 2 BayBO enthält die Legaldefinitionen wichtiger bauordnungsrechtlicher Grundbegriffe.

1. Anlagen

28

Art. 2 Abs. 1 Satz 4 BayBO fasst die baulichen Anlagen (Satz 1), die Werbeanlagen (Satz 2) und die als bauliche Anlagen geltenden (fiktiven) Anlagen (Satz 3) unter einem einheitlichen bauordnungsrechtlichen Anlagenbegriff zusammen. Dieser Anlagenbegriff dient nur der Vereinfachung des gesetzlichen Sprachgebrauchs, weil er die Notwendigkeit entfallen lässt, jeweils alle drei Anlagenarten aufzuführen, wenn man an sie alle bauordnungsrechtliche Anforderungen stellen will. Eine Anlage ist immer etwas von Menschen zweckgerichtet künstlich Geschaffenes.

29

a) Bauliche Anlagen. Mit den baulichen Anlagen definiert Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayBO einen besonders wichtigen bauordnungsrechtlichen Zentralbegriff. Bauliche Anlagen sind danach mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen.

30

Was eine bauliche Anlage ist, bemisst sich nach dem üblichen Sprachgebrauch. Abzugrenzen sein kann sie von einer Maschine, also technischen Geräten, die auch unabhängig von einer baulichen Anlage erfasst werden können. Einen Streitfall stellt der sogenannte Himmelsstrahler dar.38

31

Die Anlage muss mit dem Erdboden verbunden sein. Dafür genügt es, dass sie fest auf dem Erdboden ruht, ohne dass die Verbindung unauflöslich sein müsste. Außer Streit ist inzwischen, dass die Verbindung mit dem Erdboden nicht unmittelbar sein muss;39 eine bauliche Anlage ist deshalb beispielsweise eine Werbeanlage auch dann, wenn sie auf dem Dach eines Gebäudes montiert ist.

32

Damit eine bauliche Anlage vorliegt, muss sie zudem aus Bauprodukten hergestellt sein. Das Kriterium des Herstellens zielt – wie schon der Anlagenbegriff selbst – auf das künstliche Schaffen der Anlage. Die Rechtsprechung zieht dabei den Begriff des Bauprodukts weit.40

33

b) Werbeanlagen. Bauliche Anlagen sind nach Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayBO ferner Werbeanlagen, unter die das Gesetz ortsfeste Anlagen der Außenwerbung einschließlich der Automaten fasst. Die Vorschrift hat lediglich klarstellenden Charakter und ist seit der Klärung der Frage, ob für die Eigenschaft als bauliche Anlage eine mittelbare Verbindung mit dem Erdboden ausreicht, eigentlich entbehrlich.

34

Dass es sich um Anlagen der Wirtschaftswerbung handeln muss, schließt Werbung politischen41 und religiösen Inhalts aus. Für die Eigenschaft als Werbeanlage genügt aber schon die reine Hinweisfunktion.42

35

Für die Ortsfestigkeit der Werbeanlage genügt auch hier ein längeres Aufstellen an einer bestimmten Stelle, auch wenn die Anlage von Zeit zu Zeit bewegt wird,43 oder ein wiederholtes Aufstellen an derselben Stelle.

36

c) Fiktive bauliche Anlagen. Art. 2 Abs. 1 Satz 3 BayBO enthält Anlagen, die als bauliche Anlagen gelten (fiktive bauliche Anlagen). Das sind einmal Anlagen, die, ohne bauliche Anlagen zu sein, überwiegend ortsfest benutzt, also anstelle einer baulichen Anlage eingesetzt werden. Schulbeispiel ist der Wohnwagen, der wie ein Garten- oder Wochenendhaus genutzt wird. Dass die Fiktionsregelung reinen Auffangcharakter hat, wird auch aus dem anschließenden Katalog deutlich, bei dessen Gegenständen es sich durchgängig bereits um bauliche Anlagen i. S. d. Satzes 1 handeln dürfte.

2. Gebäude

37

Art. 2 Abs. 2 enthält eine Legaldefinition des Gebäudes. Gebäude sind danach selbstständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können.

38

Die bauliche Anlage muss, um ein Gebäude zu sein, selbstständig benutzbar sein; dafür genügt also bereits die Möglichkeit der selbstständigen Benutzung.44 Selbstständig benutzbar in diesem Sinne sind insbesondere auch Doppelhaushälften und Reihenhäuser; dass eine bauliche Anlage mit einem Mauerteil eines bereits vorhandenen, gesondert überdeckten Bauwerks verfugt wird, schadet nicht.45

39

Die bauliche Anlage muss ferner überdeckt sein. Die Überdeckung muss geeignet sein, Niederschläge zuverlässig abzuleiten. Eine die Gebäudeeigenschaft begründende Überdeckung liegt auch bereits dann vor, wenn diese – je nach Witterung – entfernt und wieder aufgebracht werden kann.46

40

Nicht erforderlich ist hingegen, dass das Gebäude neben der Überdeckung eine Abschlusswand oder mehrere Abschlusswände hat.47

41

Schließlich muss die bauliche Anlage von Menschen betreten werden können. Dafür müssen geeignete Eintrittsmöglichkeiten vorhanden sein.48 Keine Gebäude sind deshalb bauliche Anlagen, die nur durch eine Luke o. ä. betreten werden können, beispielsweise ein Silo.49 Im Übrigen hängt die Gebäudeeigenschaft insoweit von einer natürlichen Betrachtungsweise ab; am Vorliegen eines Gebäudes wird beispielsweise auch dann nicht gezweifelt werden können, wenn bei einem älteren Baudenkmal Menschen der heute üblichen Körpergröße nur gebeugt eintreten können.

3. Gebäudeklassen

42

Art. 2 Abs. 3 BayBO enthält die Legaldefinitionen der Gebäudeklassen. Das System der Gebäudeklassen ist ein zentrales Element des Brandschutzkonzepts der BayBO, in dessen Vordergrund nach Art. 12 insbesondere die Rettung von Menschen im Brandfall steht. Dabei trägt die Gliederung der Gebäudeklassen dem Umstand Rechnung, dass die Anforderungen an die Personenrettung und damit an die Rettungswege sowie die Feuerwiderstandsfähigkeit der tragenden, aussteifenden und raumabschließenden Bauteile von zwei Faktoren abhängen, die nebeneinander zu berücksichtigen sind, einmal den Rettungsgeräten der Feuerwehr, zum anderen der Zahl der zu rettenden Personen.

43

Grundsätzlich müssen aus Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum in jedem Geschoss mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein (Art. 31 Abs. 1 Halbsatz 1 BayBO). Der zweite Rettungsweg kann auch eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein (Art. 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BayBO). In diesem Fall hängt die Erreichbarkeit dieser Stelle mit Rettungsgeräten der Feuerwehr von der Gebäudehöhe ab. Die Gebäudeklassen werden daher zunächst nach diesem Kriterium unterschieden. Bis zu einer Höhe von 7 m reicht die bei jeder Feuerwehr vorhandene tragbare vierteilige Steckleiter aus (Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 und 3: Gebäudeklassen 1a, 2 und 3). Darüber hinaus sind bis zur Hochhausgrenze (vgl. Art. 2 Abs. 4 Nr. 1 BayBO) Hubrettungsgeräte (Drehleitern) für die Personenrettung erforderlich. Bei Hochhäusern bedarf es zumindest in aller Regel eines Sicherheitstreppenraums (zum Begriff s. Art. 31 Abs. 2 Satz 3 BayBO).

44

Wie die Höhe berechnet wird, sagt Art. 2 Abs. 3 Satz 2 BayBO. Höhe i. S. d. Satzes 1 ist danach das Maß der Fußbodenoberkante des höchstgelegenen Geschosses, in dem ein Aufenthaltsraum möglich ist, über der Geländeoberfläche im Mittel. Auszugehen ist von den Fertigmaßen, nicht vom Rohbaumaß. Ein Aufenthaltsraum ist möglich, wenn die Maßanforderungen des Art. 45 Abs. 1 Satz 1 BayBO erfüllt sind, bei Wohngebäuden der Gebäudeklasse 1, für die diese Maßanforderungen nicht gelten (Satz 2) eine Höhe, bei der ein Mensch ohne Weiteres aufrecht stehen kann, faustregelartig also 2 m. Die Geländeoberfläche, von der aus gemessen wird, ist die geplante, d. h. diejenige, die nach Fertigstellung des Bauvorhabens vorhanden ist, weil es darauf ankommt, wo die Rettungsgeräte der Feuerwehr tatsächlich aufgestellt werden müssen; deshalb können auch untergeordnete Einschnitte wie Kellertreppen und Lichtschächte außer Betracht bleiben. Zugrunde zu legen ist die Höhe der Fußbodenoberkante über der Geländeoberfläche im Mittel (und nicht an der ungünstigsten Stelle). Damit werden ungerechtfertigte Verschärfungen vermieden, die sich sonst in Hanglagen dadurch ergeben können, dass der Angriffsweg der Feuerwehr hangseitig verläuft und von dort aus die Rettungsgeräte problemlos eingesetzt werden können, während talseitig eine deutlich größere Höhe vorliegt.

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Gehören zu einem Gebäudekomplex Teile unterschiedlicher Höhe, kommt es darauf an, ob sich diese Teile selbstständig betrachten lassen. Ist dies der Fall, werden die jeweiligen Teile in die ihnen zukommende Gebäudeklasse eingeordnet. Andernfalls ist die höchste Gebäudeklasse maßgeblich.

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Welche Anforderungen an das Gebäude gestellt werden, um die Selbstrettung und/oder die Rettungsmöglichkeiten der Feuerwehr sicherzustellen, hängt ferner von Zahl und Größe der Nutzungseinheiten ab: Da die Nutzungseinheiten brandschutztechnisch wirksam voneinander abgeschottet („gekapselt“) sind (vgl. Art. 27 Abs. 2 Nr. 1 BayBO), erfasst ein Brand jedenfalls regelmäßig nicht sofort das gesamte Gebäudeinnere, sondern nur eine einzelne Nutzungseinheit, sodass die Personenrettung nur für die sich in dieser Nutzungseinheit aufhaltenden Personen erforderlich wird.

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Der Begriff der Nutzungseinheit ist gesetzlich nicht definiert. Beispiele für Nutzungseinheiten sind Wohnungen, Praxen und selbstständige Betriebsstätten (vgl. Art. 31 Abs. 1 BayBO). Abstrakt ausgedrückt sind Nutzungseinheiten in sich abgeschlossene Folgen von Aufenthaltsräumen, die einer Person oder einem gemeinschaftlichen Personenkreis zur Benutzung zur Verfügung stehen. Eine Nutzungseinheit kann aber auch aus einem einzelnen Aufenthaltsraum bestehen. Die Nutzungseinheit wird also von Nutzung und Nutzerkreis her, nicht hingegen von den brandschutztechnischen Anforderungen her definiert: Nicht alles, was den Anforderungen an die brandschutztechnisch wirksame Abschottung entspricht, ist schon gleichsam automatisch eine Nutzungseinheit.

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Bedeutsam für die Anforderungen an die Personenrettung ist ferner die Zahl der Personen, die sich in der jeweiligen Nutzungseinheit aufhält. Da sie sich – jedenfalls praktikabel – nicht ermitteln oder gar in der Baugenehmigung festlegen lässt, behilft sich das Gesetz mit einer faustregelartigen Anknüpfung an die Fläche der Nutzungseinheit. Grundgröße ist eine Nutzungseinheit mit den Abmessungen einer großzügigen Wohnung, also einer Fläche von 200 m2. Bei der Gebäudeklasse 1a (Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO) hat der Gesetzgeber also an Ein- und Zweifamilienhäuser mit Wohnungen von nicht mehr als 200 m2 gedacht. Die Berechnung der Fläche richtet sich nach Art. 2 Abs. 6 BayBO.

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Die Flächen im Kellergeschoss (Art. 2 Abs. 7 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO) bleiben bei dieser Flächenberechnung außer Betracht, weil an Kellergeschosse besondere Brandschutzanforderungen gestellt werden (vgl. Art. 25 Abs. 2, Art. 27 Abs. 2 Nr. 3, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayBO). Nicht mit dem Kellergeschoss verwechselt werden dürfen die der Gebäudeklasse 5 (Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BayBO) zugeordneten unterirdischen Gebäude. Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen hier vor allem bei unterirdischen Tiefgaragen. Diese teilen grundsätzlich die Gebäudeklasse der Gebäude, denen sie funktional zugeordnet sind, es sei denn, sie sind gegenüber diesen Gebäuden konstruktiv selbstständig.

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Auch wenn das der BayBO zugrunde liegende Brandschutzkonzept davon ausgeht, dass ein Brand regelmäßig immer nur in einer Nutzungseinheit entsteht, ist die Abschottungswirkung der Trennwände zwischen den Nutzungseinheiten zeitlich begrenzt. Deshalb muss für die Einstufung in die Gebäudeklassen auch die Zahl der Nutzungseinheiten Berücksichtigung finden.

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Ebenso wie der Begriff der Nutzungseinheit ist die Zuordnung zu den Gebäudeklassen grundsätzlich nutzungsunabhängig. Der Grund dafür besteht darin, dass die Gebäudeklassen mit den in der BayBO selbst geregelten Standardanforderungen (insbesondere) an den Brandschutz verknüpft sind. Ergeben sich aus der besonderen Art oder Nutzung von diesen Standardanforderungen abweichende, insbesondere strengere Anforderungen, liegt ein Sonderbau vor, der einem besonderen materiell-rechtlichen Regime folgt. Umgekehrt folgt daraus aber auch, dass – abgesehen von Hochhäusern (Art. 2 Abs. 4 Nr. 1 BayBO) – ein Gebäude mit einer Nutzung, auf die die Standardanforderungen des Bauordnungsrechts zugeschnitten sind, kein Sonderbau sein kann; das stellt Art. 2 Abs. 4 Nr. 20 BayBO für Wohnnutzungen ausdrücklich klar.50

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Eine Ausnahme hiervon bilden die land- und forstwirtschaftlichen Gebäude, die der Gebäudeklasse 1b zugeordnet sind (Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO). Der Grund hierfür liegt darin, dass an solche Gebäude – weitgehend unabhängig von ihren Abmessungen – herkömmlich geringe Brandschutzanforderungen gestellt werden und die darin liegenden Erleichterungen bei der Einführung des Systems der Gebäudeklassen erhalten bleiben sollten (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 2, Art. 26 Abs. 5, Art. 28 Abs. 2 Nr. 4, Art. 29 Abs. 1 Satz 2 BayBO). Land- und forstwirtschaftlich genutzte Gebäude sind Gebäude, die zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden, unabhängig davon, ob sie zu einem landwirtschaftlichen Betrieb i. S. d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gehören, nicht hingegen landwirtschaftliche Wohngebäude, deren Zuordnung zu den Gebäudeklassen nach den allgemeinen Regeln erfolgt.

4. Sonderbauten

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definiertnutzungsabhängig.