Jörg Juretzka

Los Bandidos

Ein Claude-Honka-Kriminalroman

Rotbuch Verlag

eISBN 978-3-86789-587-3

© 2014 by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, Berlin

Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin

Umschlagillustration: fuxbux, Berlin unter Verwendung zweier Motive von shutterstock/KathyGold

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

Rotbuch Verlag

Alexanderstraße 1

10178 Berlin

Tel. 01805/30 99 99

(0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)

www.rotbuch.de

Für Cora und Verena

Prolog

»Machen wir uns nichts vor«, knurrte Claude Honka und packte die Zange noch etwas fester. »Dass ich so einen beschissenen Beruf habe, ist mein Problem. Doch dass ich damit zu dir komme, ist ganz allein deins. Sind wir uns da einig?«

Honkas Kunde nickte mit der ganzen Vorsicht von jemandem, dem diese Kopfbewegung, dem jede Kopfbewegung einen Backenzahn rausbrechen kann. Sprechen bot sich trotzdem nicht als Alternative, mit offenen Mund und einer rostigen Wasserpumpenzange drin und Claude Honkas rund hundert Kilo Durchsetzungsvermögen auf dem Brustkorb kniend und allem.

»Also, wirst du Harry sein Geld zurückgeben, mitsamt den idiotischen Wucherzinsen, die ihr vereinbart habt, bevor du meintest, alles auf die Rennbahn tragen zu müssen?«

Honkas Kunde entschied sich für eine Lautäußerung, die, wie er hoffte, zustimmend klang. Das Knirschen des geriffelten Stahls um seinen Zahn ließ nach, genau wie der Druck auf seinen Brustkorb. Nur Honkas glasgrüner, glasharter, glaskalter und glasscharfer Blick blieb noch einen Moment in seinen versenkt, wie, um sich zu vergewissern. Wie, um sich die Szene und sämtliche Umstände haargenau einzuprägen. Wie, um sie als Beweis abzuspeichern, als ein Argument, als Rechtfertigung für was immer ihre nächste Begegnung mit sich bringen würde.

»Du hast Zeit bis heute Abend, achtzehn Uhr.« Honka stand auf, ächzte dabei. Er ließ die Zange in der Tasche seines langen Staubmantels verschwinden, nahm den Hut vom Schreibtisch, rammte ihn sich achtlos auf den Schädel und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Sein Kunde blieb noch einen Augenblick liegen, starrte wie hypnotisiert hoch zur Decke seines Geschäftsführer-Büros, während draußen, vor dem verspiegelten Fenster, der Betrieb des Supermarktes mit all seiner unfassbaren Gleichförmigkeit weiterlief, wie jeden Tag. Wie jeden gottverdammten Tag. Wie … immer.

Kapitel 1

Der braunmetallicfarbene Volvo schlich die Ausfallstraße hinunter. Was von seinem Auspuff übrig war, grollte gleichmäßig vor sich hin. Die Nässe eines leichten, kalten Regenschauers und der nächtliche Widerschein von Ampeln, Neonreklamen und Straßenlaternen gaben dem abgestumpften Lack für den Moment ein wenig von seinem alten Glanz zurück.

Ein Wintergewitter grummelte aus der Distanz heran. Es war, als ob der Auspuffton und die atmosphärischen Entladungen im Dialog miteinander stünden. Es war, als ob der Wagen das Unwetter hinter sich herzöge.

Der Mann am Steuer hatte seinen Hut tief in die Stirn gedrückt. Die beiden Scheiben auf seiner Seite waren trotz des Wetters heruntergedreht. Er schien dem ihn begleitenden Grollen zu lauschen wie Musik.

Der Wagen war ein 262 Coupé, gezeichnet von Bertone. An einem Tag mit Migräne. Er wirkte wie ein ganz gewöhnlicher zweitüriger Volvo-Pkw, der einfach nur gewaltig eins aufs Dach gekriegt hatte. Das passte, in gewisser Weise. Viele Leute, die es mit seinem Fahrer zu tun bekamen, sahen anschließend ganz ähnlich aus.

Claude Honka trieb Geld ein. Fertig. Wer immer meinte, daran irgendetwas in Frage stellen zu können, tat es meist nicht für lange.

Auf Höhe des überdimensionierten, praktisch leeren Parkplatzes, aus dessen Mitte der Betonklotz von Ed’s Bar ragte wie eine Festung aus einem grauen Teich, ging Honka weiter vom Gas. Er registrierte die beiden Harleys, dann die Handvoll Pick-ups und aufgemotzter Opels und VWs, die sich möglichst nah um den Eingang des Gebäudes drängten, bemerkte den Türsteher in seiner Daunenjacke unter der Markise, setzte den Blinker und bog nach rechts in die nächste Seitenstraße ab.

Der Auspuffton hob sich wieder, bekam einen entschlosseneren, härteren Klang, der sich auch nicht änderte, als der Fahrer den Wagen in einen weiteren Rechtsknick warf, bevor er ihn hundert Meter weiter auf der Rückseite des bunkerähnlichen Bargebäudes ausrollen ließ. Der Motor verstummte und die Lichter des Wagens verloschen, während das Gewitter in der Ferne davongrummelte und den Regen mit sich nahm.

Claude Honka stieg aus, richtete sich auf, drückte das linke Bein in der Hüfte gerade und ächzte. Es war der 27. März 2003, nur drei Tage vor seinem 47. Geburtstag. Es war ein langer, düsterer, nasskalter Bastard von einem Tag gewesen. Und er war noch längst nicht zu Ende.

Honka sah sich um, vergewisserte sich, allein und unbeobachtet zu sein, griff durch das offene Wagenfenster und zog einen armlangen Bolzenschneider hervor. Dann ging er entschlossen auf das Stahlgittertor zu, das den Hinterhof von Ed’s Bar vor Eindringlingen schützen sollte. Ohne weitere Umschweife nahm er sich die dicke Kette vor, die den Torflügel sicherte, spreizte die Schere des Bolzenschneiders, setzte sie an, machte einen Schritt zurück und kniff, mit einem kurzen, explosiven Grunzen, ein Kettenglied mittendurch. Die Kette rutschte von allein in einen matschigen Haufen Schnee, und der Torflügel schwang auf.

Alles war ruhig. Und dunkel.

Allein schon die sparsame Ausleuchtung machte es wenig wahrscheinlich, dass der Hinterhof kameraüberwacht wurde, doch Honka hatte es nicht auf nahezu dreißig Berufsjahre gebracht, wenn ihn in Momenten unsicherer Gefahrenlage das Grübeln gepackt hätte. Der Hof war, wie zu erwarten von der Rückseite einer Kneipe, vollgestellt mit Getränkekisten, aufgeweichten Pappkartons, Bierfässern, überquellenden Mülleimern und sonstigem Gerümpel. Ein einsamer, greller Scheinwerfer leuchtete, und er schien hinab auf den mitten in all diesem Durcheinander geparkten goldfarbenen Mercedes 560 SEC mit dem ›ED‹ im Kennzeichen.

Claude näherte sich dem Wagen und verfluchte innerlich die Blendung durch all den blitzenden Chrom und Lack. Blinzelnd trat er ins Licht, und alles um ihn herum, alles außerhalb dieses Lichtkegels, versank in kompletter Dunkelheit. Suchend kramte er mit der freien Hand in seiner Manteltasche herum, als er in der Schwärze zu seiner Linken eine Bewegung wahrnahm. Es war, als ob ein Schatten durch den Schatten huschte, ein lautloser Schemen, der, wenn überhaupt, nur daran auszumachen war, dass er noch dunkler wirkte als seine Umgebung. Als die Bewegung stoppte, verschmolz er wieder mit dem Hintergrund bis an den Rand der Unsichtbarkeit. Das heißt, so lange, bis der Schemen Nase und Lefzen hochzog und so zwei weiß blitzende, scharf gekrümmte, wild gezackte, speichelfeuchte Zahnreihen entblößte.

*

Das Gewitter war schon lange weitergerumpelt, sein Donner verhallt, doch von hier oben, im 22. Stock, konnte man seine Blitze noch am Horizont zucken sehen.

Jenny stand am Fenster des völlig unmöblierten Apartments und schlürfte Kaffee aus einem Pappbecher. Der Vormieter war kürzlich erst ausgezogen, und seine Vorliebe für selbstgedrehte Zigaretten, vorgekochte Mahlzeiten und billigen Rotwein hing noch in der Luft wie die Essenz von Tristesse.

»Bist du dir sicher, dass wir dabei sind, das Richtige zu tun?«, fragte sie nach einer kleinen Ewigkeit des Schweigens.

Danny sah überrascht auf. Der Lichtschein des Notebook-Displays vor ihm auf dem Teppich ließ sein Gesicht ungewöhnlich blass und tief verschattet wirken, doch das Leuchten seiner braunen Augen überstrahlte diesen Eindruck mühelos.

»Sicher?«, echote er und fasste sich kurz in den Nacken, rollte den Kopf. »Um Gottes willen, nein.« Er lachte. »Wann war ich mir das letzte Mal bei irgendetwas sicher?«, fragte er mit verblüffender Offenheit. »Außer, als ich dir meine Liebe gestanden habe, natürlich«, fügte er rasch, ernst und etwas übertrieben feierlich hinzu.

Jenny glitt hinter ihn, kniete sich hin und begann, vorsichtig seinen Nacken zu massieren. Die Muskeln waren hart und verspannt von stundenlanger Arbeit in dieser unbequemen Haltung. Sie hatten sich vier Wohnungen angesehen, bis sie endlich eine mit noch freigeschaltetem Telefonanschluss gefunden hatten, und da war dann keine Zeit mehr geblieben, noch einen vernünftigen Arbeitsplatz einzurichten. In ein paar Stunden ging ihr Flieger.

Danny senkte den Blick wieder auf den Bildschirm, die Finger auf die Tasten.

»Wenn ich mir sicher wäre«, meinte er halb abwesend, schon wieder voll auf seine Tätigkeit konzentriert, »dann hätte ich das hier gar nicht erst angefangen.«

»Aber du bist davon überzeugt, dass das eine gute Idee ist?«, hakte Jenny nach.

Danny ließ wieder von den Tasten ab, wandte sich um. Er musste eine Strähne seiner federnden, schwarzen Locken hinters Ohr streichen, um Jenny ansehen zu können. Mit diesem leuchtenden Jungenblick, der sie vom allerersten Moment an gefesselt hatte. So voller Unschuld. So voller Teufelei.

»Gut?« Er klang völlig verwundert. »Baby, wann habe ich das letzte Mal eine gute Idee gehabt? Sie ist brillant, natürlich.«

Und damit schien das Thema für ihn erledigt. Leise nahmen die Tasten wieder ihr Klappern auf.

Doch Jenny war noch nicht fertig.

»Ich frage nur«, begann sie, zögernd, »weil, nimm’s mir nicht übel, Schatz, aber deine letzte brillante Idee hat dich deinen Job bei Jensen & Stoltz gekostet.«

»Ach, Broker!« Danny winkte ab. »Soll ich dir mal was verraten: Diese Leute haben kein Risikobewusstsein. Okay, es war vielleicht ein bisschen eigenmächtig, was ich da unternommen habe, doch die Gelegenheit erschien mir einfach supergünstig. Im Endeffekt waren es nur unglückliche Umstände, eine ganze Verkettung davon, warum es in die Hose gegangen ist. Wenn Jensen & Stoltz mich nicht gefeuert hätten, hätte ich ihnen das Geld schon wieder reingeholt, aber, ach … Vorbei ist vorbei, Schatz. Das hier …«, er tippte gegen den Bildschirm, schnippte den Finger und ein weiteres Fenster ging auf, eine weitere Seite blätterte sich auf ihre Vorgängerin, die wiederum auf gut einem Dutzend anderer, ähnlicher Seiten lag, alle gleichmäßig gestaffelt wie … tja, wie eine Hand säuberlich ausgerichteter Spielkarten. »Das hier ist etwas völlig anderes. Da werden uns keine Erbsenzähler reinreden.«

»Es ist nur …«, Jenny seufzte, schmiegte sich an ihn, legte ihren Kopf auf seine Schulter, »… jetzt, wo wir es tun, wo wir wirklich dabei sind, es zu tun, da krieg ich doch ein bisschen Schiss.«

Danny nickte. Ihm war selbst ein wenig mulmig, obwohl er nun wirklich alle Register gezogen hatte, die gleich bevorstehende Transaktion so perfekt wie nur möglich zu verschleiern. Doch er wusste, ohne dieses Gefühl im Bauch, ohne dieses Pochen in der Brust, ohne diese Spannung, diesen Kitzel und ja, gut, auch Angst, ohne all diese Elemente gelebten Risikos würde die Befriedigung, wenn’s dann klappt, ungleich geringer ausfallen. Doch Jenny das zu erklären, fehlten ihm einfach die Worte. Man hatte es in sich, oder eben nicht. Er entschied sich, sie zu beruhigen.

»Baby, erinnere dich bitte: Wir leihen uns das Geld nur aus. Wir investieren es clever, zahlen es zurück und streichen den Gewinn ein. Niemand wird zu Schaden kommen und niemand wird uns dabei erwischen. Verlass dich auf mich.«

*

Der Hund gab keinen Laut von sich. Als Honka sich zu ihm umdrehte, reagierte er nur mit einer leichten Veränderung seiner Position. Nun fiel etwas Licht auf ihn. Es fiel auf die stromlinienförmige Gestalt eines schwanz-, ohren- und halsbandlosen Dobermanns. Groß für die Rasse und ungewöhnlich muskulös. Honka drehte sich ein wenig weiter, der Hund trippelte noch ein Stück zur Seite, und nun fiel das Licht auch in seine Augen, die, transparent und pupillenfrei aufleuchteten und dabei zu flackern schienen wie in einem Anfall von Wahnsinn.

In Wahrheit war es Panik. Der Hund hatte rasende Angst. Dies hier war der Ernstfall. Was er nun zu tun im Begriff stand, war das Resultat eines langen, harten, eines mitleidlos durchgepeitschten Trainings. Das, was er da unter Anspannung seiner Muskulatur, unter Aufbietung seiner Konzentration und seines gesamten Willens einleitete, entsprach perfekt seinen Fähigkeiten, aber in keiner Weise seiner Natur. Tief in ihm drin gab es eine kleine Stimme, die sich gut stellen wollte mit diesem fremden Menschen, oder sich zumindest arrangieren. Anstatt ihm die Kehle durchzubeißen. Doch die antrainierte Angst war größer, und ihre Stimme lauter.

Der Hund zuckte überrascht, als Claude Honka einen Schritt auf ihn zu machte, duckte die Hinterhand, riss das Maul auf und schnellte katapultartig aus der Hocke hoch.

Seine Zähne klackten knirschend, als Claudes schwerer Schuh ihm mit Wucht den Unterkiefer schloss und absolut zeitgleich auch noch die Breitseite des Bolzenschneiders auf sein Schädeldach niederpfiff.

Der Hund fiel plump, unkoordiniert zu Boden, wie ein Sack mit Beinen. Die Augen schlossen sich, wenn auch nur zur Hälfte, der Kiefer klappte wieder auf und eine lange, rosa Zunge glitt heraus und legte sich schlaff auf den Beton.

Claude Honka ächzte. Hielt sich die Hüfte, richtete sich so gerade auf wie nur möglich. Ächzte noch mal.

»Freu dich«, stöhnte er, und wandte sich ohne einen einzigen weiteren Blick zu der hingestreckten Gestalt wieder dem Wagen zu, »du hast deinen beschissenen Job jetzt hinter dir.«

Er lehnte den Bolzenschneider gegen das Hinterrad des Mercedes, förderte aus der einen Manteltasche eine winzige Akku-Bohrmaschine und aus der anderen eine kleine Plastikflasche mit aufgeschraubter Spitze. Vorn auf der Bohrmaschine saß ein diamantbestückter Fräskopf, der fast ohne Geräusche und Vibrationen in Sekundenschnelle ein exakt drei Millimeter großes Loch in den untersten Rand der Heckscheibe schliff.

Claude schob die Spitze der Plastikflasche ins Loch, quetschte ihren Inhalt heraus bis auf einen Rest, mit dem er eine ölige Spur vom Loch in der Scheibe bis etwa auf halbe Höhe der Wagenflanke hinunterzog.

Fläschchen und Bohrmaschine wieder verstaut, ratschte er ein Plastikfeuerzeug an und – zögerte. Er warf einen Blick auf den knapp hinter dem Wagen zu liegen gekommenen Hund, sah ein Bein zucken und grunzte genervt. Ächzend bückte er sich zu der hingestreckten Gestalt, packte sie an einem Vorderlauf und zerrte sie hinter einen Mauervorsprung.

Dann richtete er sich erneut auf, stöhnte dabei, ging zurück zu dem Wagen und setzte augenblicklich die zähe Flüssigkeit in Brand. Und als eine kleine, energische Flamme sich die Ölspur hochzuarbeiten begann, knisternd und eine Menge schwarzen Rauchs absondernd dabei, trat Honka zurück und hielt mit der freien Hand eine Digitalkamera hoch. Leise fluchend scrollte er sich durch das umfangreiche Menü, auf der Suche nach der Video-Funktion.

*

»So.« Danny rieb sich hektisch die Schläfen, dann die Augen. »Der große Moment.«

Jenny sprang von der Fensterbank und kuschelte sich an seine Seite.

Der Bildschirm zeigte die Online-Banking-Startseite eines Geldinstituts namens Manx Trust Inc. Sieben kleine Sterne in einem schmalen Fenster in der Mitte zeigten an, dass ein Passwort eingegeben war.

Jenny kannte das Passwort. Sie hatte es selbst besorgt.

Danny presste »Enter«.

Eine neue Seite öffnete sich und verriet ihnen, dass Zugang gewährt wurde.

Danny ließ den Cursor über den Bildschirm huschen, klickte zweimal, und unter dem verschnörkelten Manx-Trust-Logo erschienen die Bewegungen der letzten drei Jahre dieses Kontos. Sie passten auf eine Seite. Es waren ausschließlich Zinseingänge auf der Haben- und Kontoführungsgebühren auf der Soll-Seite.

Danny pfiff durch die Zähne, als er den Kontostand las. Siebenstellig, geführt in US-Dollar.

»Meine Fresse. Genau wie du gesagt hast: Seit drei Jahren hat sich kein Aas mehr um dieses Geld gekümmert. Und gleich ist es unseres!«

Jenny konnte seine Aufregung spüren. Er zitterte leicht, am ganzen Körper, wie sonst nur beim Sex.

Wie war es nur gekommen, fragte sie sich, dass sie, die eigentlich bis dahin so brave Tochter eines Privatbankiers, ausgerechnet an einen Spieler geraten musste? Oder, anders gefragt, wieso hatte ausgerechnet eine Spielernatur wie Danny daherkommen müssen, sie aus ihrer allzu braven Existenz zu reißen?

»Soll ich?«, fragte er, einen zitternden Finger über den Tasten, die Augen fiebrig, mit der Miene eines Jungen, der es nicht erwarten kann, seinen tollsten und tollkühnsten Trick vorzuführen.

»Versprich mir, dass Paps nicht hineingezogen wird«, bat sie. Es war ihr Gewissen, das da sprach. Schließlich wurde das Konto zwar auf der Isle of Man geführt, aber von der Bank ihres Vaters aus verwaltet, und sie war es gewesen, die es im Rahmen ihrer Ausbildung entdeckt und die Zugangsdaten besorgt hatte.

Danny seufzte, schob das Notebook ein Stück von sich, lehnte seinen Kopf an ihren.

»Baby«, sagte er ruhig, und strich ihr durch das glatte, blonde Haar, »Baby, Baby. Niemand wird hineingezogen werden. In nichts. Denn es wird nichts passieren. Dieses Geld wandert gleich von dieser komischen kleinen Insel in der Irischen See zu einer verschwiegenen kleinen Bank auf einer anderen komischen kleinen Insel im Ärmelkanal, wird dort in Sekundenschnelle in einen Haufen unauffälliger Beträge zerrupft, auf einem Dutzend verschiedener Wege um den halben Erdball gejagt, bevor es sich wieder sammelt und auf unser Eintreffen wartet. Wir werden einen wundervollen Urlaub verbringen, ganz nebenbei reich werden und anschließend den gesamten geliehenen Geldbetrag auf umgekehrtem Weg wieder zurückschicken. Auf dem Papier wird das Ganze später aussehen wie ein kurzfristiger Buchungsirrtum. Das Einzige, was passieren könnte, wäre, dass der Eigentümer ausgerechnet in den nächsten vierzehn Tagen an sein Geld will. Doch sag selbst: Nach drei Jahren völligen Desinteresses, warum sollte er?«

»Ich weiß nicht. Es ist so ein Gefühl. Als ob das Geld da liegt und auf etwas wartet.«

»Genau! Es wartet auf mich. Es wartet darauf, dass ich denen von Jensen & Stoltz beweise, was ich drauf habe. Wenn wir das hier durchgezogen haben, nehmen die mich sofort zurück. Wart’s ab, die machen mich zum Partner! Jensen, Stoltz & Kocks!«

Danny lachte, rieb sich in die Hand, und Jenny sagte sich: Vierzehn wilde Tage, vierzehn verrückte Tage unter südlicher Sonne, und alles kehrt zur Normalität zurück. Wie oft im Leben hat man eine solche Chance?

»Dann los«, entschied sie, »mach uns reich!«

»Okay!« Danny brauchte nur noch ein einziges Feld mit dem Cursor anzutippen, und schon konnten sie gemeinsam den Kontostand Marge um Marge schrumpfen sehen, bis er bei Nullkommanull angekommen war.

»Und jetzt …« Danny sprang auf die Beine, »hinterher!«

*

Ed kam durch die mit Privat beschriftete Tür in die nach ihm benannte Bar geplatzt, Handy am Ohr. Er war ein ofenrußschwarz gefärbter, sehniger Sonnenbank-Anbeter mit messerscharfen Bügelfalten im Gesicht, und er war stinkend sauer. Da riss man ihn per Anruf mitten aus einem Casting …

Okay, er nannte es Casting. Es war, strenggenommen, nur ein Einstellungsgespräch mit einer neuen Stripperin, inklusive diverser Arbeitsproben sowie einem, tja, gründlichen Ausloten, wie viel Entgegenkommen die Dame ihrem neuen Arbeitgeber zu zeigen bereit war.

»Sag mir mal, was du meinst, wofür ich dich bezahle«, blaffte er seinen Gesprächspartner an. Seinen Türsteher. Ließ einfach einen Kerl in die Bar und – das war das Beste – traute sich dann nicht hinterher. »Jetzt hör auf zu winseln, Kurt! Beschreib ihn mir lieber.«

Ed lauschte, sah sich um. Der Laden lief nicht. Nicht so, wie er könnte. Dabei war alles da: Theke, Tische, Tanzfläche, Rockmusik, schummrige Beleuchtung, sogar eine Bühne mit Stange, an der sich gerade diese picklige Stripperin abmühte, die er durch die Neue zu ersetzen gedachte.

»Was hast du gesagt? Mit Hut? Kein Mensch trägt heute noch …« Ed brach ab. Sein Blick war an dem massigen Mann mit dem bodenlangen Mantel hängengeblieben, der es sich an der Bar bequem gemacht hatte und den anderen Gästen in all ihrer lärmenden Raubeinigkeit keinerlei Beachtung schenkte. Sein Hut lag oben auf dem Tresen, neben einem doppelten Whisky mit Eis.

»Schon gut, ich hab ihn. Nein, du bleibst draußen. Ich regle das hier. Und, Kurt: Noch mal so ein Vorfall, und du bist gefeuert, kapiert?«

Ed klappte das Handy zu, ließ es in die Hosentasche gleiten. Sieh ihn dir an, sagte er zu sich, mit Blick auf den Mann, der gerade mit einem einzigen Griff fast seinen Türsteher entmannt hätte. Diese Schuhe! Diese Hose! Dieser Mantel! Dieser Hut! Diese alte, lederne Aktentasche mit Schnallen! Der ganze Kerl ein Relikt aus einer anderen Zeit. Dann bemerkte er, dass der Kerl ein Notebook aus der Aktentasche gezogen hatte, und er gab den Gedankengang auf und bewegte sich zügigen Schrittes hinter die Bar. Nickte Mickey, dem Keeper, zu, der sich augenblicklich ein Tablett schnappte und Gläser einsammeln ging.

Ed wandte sich an den Eindringling. Stützte sich mit beiden Armen auf die Theke und sah ihn direkt an.

»Claude Honka«, stellte er fest. »Na so was. Wolltest du nicht schon längst im Süden leben? Dich zur Ruhe setzen?«

»Ich möchte nicht darüber sprechen,« antwortete Honka, ohne aufzusehen. »Ist eine hässliche Geschichte.« Er war damit beschäftigt, eine Digicam an das Notebook anzuschließen. Es ging ihm nicht unbedingt flott von der Hand.

Ed zuckte die Achseln. »Wie du willst. Doch was treibt dich her?«

»Business.« Claudes Miene wirkte finster, während er mit großen Fingern kleine Stecker in winzige Anschlussbuchsen zu fummeln versuchte.

»Business«, echote Ed etwas ungläubig. »Hier. Bei mir.«

Claude sah nicht auf, nickte aber knapp. »Bei dir.« Er hatte das Handy angeschlossen und tippte nun ungeduldig auf der Tastatur des Notebooks herum, starrte abwartend auf den Bildschirm. »Mann, Mann, Mann«, murmelte er. »Bis sich das mal aufgebaut hat …«

Ed nahm den Kopf zurück, verschränkte die Arme vor der Brust.

»Pass auf, Claude«, meinte er sachlich, »ich weiß nicht, wer dich geschickt hat …«

»O doch«, musste er sich belehren lassen. »Das weißt du, Ed.« Claude sprach leise, fast sanft. Er hob selten die Stimme.

Sein Gegenüber klang nicht ganz so entspannt. »Okay. Dann kann ich dir nur sagen, was ich denen schon gesagt habe, nämlich …«

»Das krieg ich jeden Tag zu hören, Ed. Ah, warte, hier kommt’s« Honka drehte den Bildschirm so, das Ed ihn ebenfalls betrachten konnte. Ein Foto erschien. Ein Porträt. Das Porträt eines jungen Mannes, mit unübersehbaren, erheblichen Blessuren der Physiognomie. Honka schnalzte ärgerlich mit der Zunge, klickte weiter. Noch ein Porträt. Mehr Blessuren. Noch eins. Dieses ganz offensichtlich von einem Toten. »Ah, verdammt! Irgendwie erwischt man doch immer zuerst mal die falsche Datei.« Claude klickte sich in immer schnellerem Tempo durch die Porträtsammlung, blieb dann kurz bei einer Aufnahme hängen, die eine komplette, wenn auch völlig verkohlte Leiche neben einem ausgeglühten Benzinkanister zeigte. »Dr. Parker«, stellte er vor. »Mein Anlageberater.«

Ed pfiff beeindruckt durch die Zähne. »Jesus. Was ist denn mit dem passiert?«

»Hässliche Geschichte, Ed, ganz hässliche Geschichte. Doch nun zu dir.« Und Claude Honka sah auf.

*

»Ich kündige!« Die Leiterin der Inkasso-Abteilung des vom Heusenstamm’schen Bankhauses warf ihrem Chef einen Computerausdruck auf den Schreibtisch, ihr Haar zurück und sich in Pose. Sie war groß, sie war schlank und sie war sich bewusst, wie gut ihr diese stolze Haltung stand.

»Na, na«, machte Alfons vom Heusenstamm beschwichtigend. Dazu bestand eigentlich keine unbedingte Notwendigkeit. Zur Beschwichtigung. Christine Bovier würde nicht kündigen, nicht so bald, nicht mit ihren Kreditkartenschulden, aber obwohl sie das wusste und klar war, dass er es wusste, galt es doch eine gewisse Form zu wahren.

Vom Heusenstamm nahm also den Ausdruck zur Hand, hob den Kopf, bis er den Text durch die Halbgläser seiner Lesebrille erkennen konnte, und las.

»Ach, das«, sagte er unvorsichtigerweise. ›Das‹ war schon öfter ein Streitpunkt zwischen ihnen beiden gewesen.

»Ja, das!«, wütete Christine. Sie hatte dieses Temperament. Da war ein deutliches Quantum Rot in ihrem kastanienbraunen Haar, und Alfons vom Heusenstamm suchte die Ursache manchmal da.

»Ich habe mir im Laufe der letzten zwei Jahre x-mal verbeten, dass Aufgaben aus meinem Verantwortungsbereich an diesen Honka vergeben werden! Noch dazu hinter meinem Rücken!«

Der Bankier ließ das Blatt sinken und seufzte.

»Christine«, sagte er in besänftigendem Tonfall, »Sie wissen so gut wie ich, in was für einer Schieflage sich dieses Haus seit Dr. Parkers … äh … Abgang befindet.« Seltsam, aber er fand und fand kein auch nur halbwegs zufriedenstellendes Wort zur Umschreibung von Dr. Parkers spätem Schicksal. Dabei war der Mann tot, schlicht und einfach. Erschlagen und verbrannt, doch hatte die Polizei irritierenderweise bis heute immer noch keinen Täter präsentieren können, sondern nur eine lange Liste von Geschädigten und somit Verdächtigen. Ein recht illustrer Kreis, doch vom Heusenstamm fühlte sich alles andere als geschmeichelt, dazuzugehören.

»Unser Verlust-Abschreibungs-Rahmen ist mehr als erschöpft, die Summe unserer Verpflichtungen liegt nun schon den sechsten Monat in Folge an der kritischen Marke. Christine, Sie wissen, wir müssen zusehen, dass wir unsere Außenstände eintreiben, oder die Aufsicht macht uns den Laden zu.«

Er seufzte. Darin, jemandem wie Dr. Parker vertraut zu haben – idiotisch lange vertraut zu haben –, lag der wahre Schmerz. Und natürlich sollte er das Ruder nicht noch mal herumgerissen bekommen, auch darin, das Bankhaus nach sieben Generationen aus der Hand der Familie geben zu müssen, anstatt die Leitung eines Tages seiner Tochter Jenny übertragen zu können.

Doch andererseits, beruhigte er sich, wird Jenny ihren Weg schon machen. Sie ist ein ebenso gescheites wie grundsolides Mädchen.

Dann riss ihn Christine Bovier aus seinen Gedanken.

»Das ändert nichts daran, dass ich mir jedwede Einmischung von außen in meinen Aufgabenbereich verbeten habe und Sie trotzdem hingehen und …«

»Ich habe Herrn Honka vor einiger Zeit eine Auflistung unserer hartnäckigsten und dreistesten Schuldner übergeben, das ist richtig«, gestand vom Heusenstamm. »Doch Sie müssen zugeben, dass es sich dabei ausnahmslos um Fälle handelt, an denen Sie und Ihre Abteilung sich schon längst die Zähne ausgebissen hatten.«

Keine glückliche Wortwahl, musste er sich eingestehen, denn er bekam sie nun zu sehen, Christine Boviers Zähne, und sie waren vollständig und sehr schön und, wie es scheinen wollte, recht scharf waren sie auch.

»Und er bringt Ergebnisse, das müssen Sie zugeben«, flocht er hastig ein. »Ob Sie ihn nun mögen oder nicht.«

»Mögen?« Christine explodierte geradezu, beugte sich über den Schreibtisch, dass ihr Arbeitgeber sichtlich zurückzuckte. »Der Mann ist abstoßend, mindestens so abstoßend wie seine Methoden, und ich werde es keinen Tag, nicht einen einzigen Tag länger hinnehmen, dass er in meinem Verantwortungsbereich herumräubert wie ein streunender Köter. Habe ich mich klar ausgedrückt?« Sie richtete sich wieder auf, nahm die kerzengerade Haltung von gerade wieder ein, plötzlich ganz eisige Ruhe. »Sie feuern diesen Kerl, oder ich kündige. Das ist mein letztes Wort. Gute Nacht.« Damit machte sie kehrt und stolzierte auf hohen Hacken aus dem Raum.

Vom Heusenstamm sah ihr nach, bis sich die Tür hinter ihr schloss, und seufzte.. Da kam einiges zusammen, in diesem Seufzer.

*

Ed machte vor Honkas Blick unwillkürlich einen Schritt zurück, hob abwehrend die Hände. »Pass auf. Um es kurz zu machen:« Er deutete weiträumig um sich. »Mir gehört hier gar nichts mehr. Ich bin hier nur Angestellter. Von der Bar über den Saunaclub bis zum Nagelstudio habe ich alles meiner Frau überschrieben. Verstehst du? Bei mir ist nichts mehr zu holen.«

»Darum hat man ja mich beauftragt, Ed. Hier, sieh mal«, Claude tippte eine Taste an und die Rückansicht von Eds goldfarbenem Mercedes erschien auf dem Bildschirm.

»Falls du darauf aus bist«, warf Ed hastig ein, »auch der Wagen gehört mir schon lange nicht mehr.«

»Gut«, fand Honka. »Das ist gut. Dann wird dir das ja nichts ausmachen.« Ein weiterer Tastenklick, und das Bild geriet in Bewegung. Schwankend, unsicher in ungeübter Kamerahand, aber, vom Geschehen her deutlich, geradezu unmissverständlich. Ausgehend von der linken unteren Ecke des Heckfensters glomm das Wageninnere auf in einem schwarz umwaberten, orangenen Schein, der nur eines bedeuten konnte. Und Ed begriff.

»Bist du wahnsinnig?«, fauchte er, und nahm plötzlich den bitteren Brandgeruch war, den die Klimaanlage hereinwehte, scheinbar zusammen mit dem anwachsenden, unsynchronen Sirenengeheul eines rasch näherkommenden Löschzuges. »Bist du komplett wahnsinnig geworden? Mir den Wagen abzufackeln?«

Claude klappte sein Notebook zu und hob wieder den Blick. Diesen Blick. »Gerade hast du noch gesagt, es wäre nicht deiner«, stellte er fest.

Ed rang um Fassung. Dieser Nerv, den der Typ besaß! In einem Anfall ratloser Wut packte Ed den abgesägten Billardqueue, der immer hinter der Theke lauerte, doch dann besann er sich. Es war zwecklos. Wenn, dann würde er Honka totschlagen müssen. Alles unter einer absolut und einhundertprozentig tödlichen Verletzung wäre nichts als ein herausgeschobener Selbstmord. Da kursierten Geschichten über Honka … Für einen kurzen, irritierten Moment wollte Ed sich nach seinem Wachhund erkundigen, doch dann ließ er es einfach. Was immer mit diesem war, er würde ihn noch früh genug zu Gesicht bekommen. Stattdessen fragte er etwas anderes. Er war auf dem Rückzug, er spürte es, doch noch galt es, das Gesicht zu wahren. »Was sind das denn verdammt noch mal für Leute, die dich schicken? Ich denke, das ist ’ne Bank?«

»Und du schuldest ihnen Geld, Ed. Doch nur noch bis morgen, wie ich hoffe.« Da schwang eine Menge ruhiger, wohlwollender Zuversicht mit, in Honkas Stimme. Er packte seine Sachen, schloss sorgfältig die Lederschnallen seiner Aktentasche.

Ed sah sich hektisch um, wusste buchstäblich nicht, wohin mit sich, wollte nur noch retten, was zu retten war.

»Pass auf,« zischte er, »dann richte den Herren Bankern mal was von mir aus.«

»Nein.«

»Wenn die mir so kommen, dann sollen sie nur wissen, dass ich auch anders kann! Ich stehe keineswegs allein da, und du weißt das! Ein Anruf von mir und …«

»Spar dir die Worte.« Claude Honka rammte sich den Hut auf den Kopf, glitt vom Hocker, ächzte leicht und wandte sich zum Gehen. Sein Whisky war unberührt. »Wer es mit mir zu tun kriegt«, sagte er noch über die Schulter, »der ist allein, Ed. Ganz allein.«