Über dieses Buch

Wir Deutsche haben keinen Humor? Das wollen wir doch mal sehen – denkt sich Comedian Guido Cantz und macht sich auf die Suche nach dem teutonischen Frohsinn. Und er hat Erfolg: Überall findet er Belege dafür, dass "der Deutsche" längst nicht so bierernst ist, wie viele behaupten. Cantz schildert ungewöhnliche und humorvolle Begegnungen mit Kölner Karnevalsprinzen, Berliner Taxifahrern, ostfriesischen Blondinen und gesamtdeutschen TV-Stars. Unterhaltsam und anekdotenreich widerlegt er so ein altes Klischee und präsentiert einen Schatz voller skurriler Alltagsgeschichten, origineller Lieblingswitze und verblüffend heiterer Lebenseinstellungen.

Guido Cantz

mit Paulus Vennebusch

Wo ist der Witz?

Meine Suche nach dem
deutschen Humor

BASTEI ENTERTAINMENT

Für Kerstin und Paul

Inhalt

  1. Prolog
  2. Ach, du lieber Gott, die Taufe
  3. Mein Leben als Klassenclown
  4. Wer zusammen lacht, ist weniger allein
  5. Wann Frauen keinen Spaß verstehen
  6. Alles amtlich, oder was?
  7. Auf dem Weg zum Humor-Profi
  8. Wenn einer eine Reise tut
  9. Kommt ein Handwerker zum Arzt
  10. Wer zuletzt lacht
  11. Epilog
  12. Dank
  13. Nachweise

Prolog

»Deutscher Humor ist, wenn man trotzdem nicht lacht.«
Sigismund von Radecki (1891–1970), deutscher Schriftsteller und Übersetzer

Für die 5.335 Kilometer Luftlinie zwischen meiner Haustür in Köln-Porz (Deutschland) und unserem Hotelzimmer in Maskat (Oman) braucht man: zwölf Stunden Reisezeit, drei Rollkoffer, ein Stofftier und jede Menge Humor.

Es war Dezember, und mir war kalt. Die Außentemperatur betrug, untypisch für einen deutschen Winter, deutlich unter null Grad. Es war so kalt, dass die Bofrost-Wagen mit offenen Türen durch die Gegend fuhren. Ich vertrage die Kälte nicht besonders gut, also wollte ich nur noch weg. Ab in den Süden! Und das schnell.

Die Buchung selbst dauerte nur Minuten: Browserfenster auf, Reise aussuchen, Kreditkartennummer eingegeben, Returntaste drücken, fertig. Oman, wir kommen! So schnell bucht man im 21. Jahrhundert.

Nur das Reisen selbst, das ist noch fast so beschwerlich wie früher, als die Leute in Köln dachten, hinter Wuppertal fällt man von der großen, runden Scheibe. Immer noch gilt: Wer sich in die Welt aufmacht, der muss mit allem rechnen. Erst recht, wenn er mit Frau und Kleinkind in den Urlaub fliegt. Mir jedenfalls war vollkommen bewusst: Ich würde in den nächsten Stunden jede Menge Spaß haben!

Das erste Mal musste ich schon vor der Abfahrt lachen, als der von meiner Frau auf zwölf Kilo geschätzte Koffer bei genauerem Nachwiegen 28,3 Kilo auf die Waage brachte. Auch Kerstins Vorschlag machte die Sache nicht besser: »Dann lasse ich halt deine Flip-Flops hier.«

Das zweite Mal musste ich lachen, als ich sah, wen uns die Taxizentrale als Fahrer geschickt hatte. Die ersten 11,8 Kilometer unseres Abenteuers würden wir mit Taxi-Wolle verbringen, unserem Lieblingsfahrer, weil er bei jeder Tour seinen neuesten Lieblingswitz zum Besten gibt. So war es auch diesmal.

»Fragt der Richter: ›Wieso haben Sie Ihre Frau aus dem fahrenden Auto geschmissen?‹ Sagt der Angeklagte: ›Was sollte ich machen? Es war doch Halteverbot!‹«

Ich musste sehr lachen und konnte selbst dann nicht aufhören, als Kerstin mich vorwurfsvoll von der Seite ansah und fragte: »So was findest du lustig?«

Ja, so was finde ich lustig. Männer und Frauen haben offenbar nicht immer den gleichen Humor. Doch dazu später mehr.

Jedenfalls kamen wir pünktlich und entspannt am Bahnhof Siegburg an. Entschuldigung, korrekt muss es heißen: ICE-Bahnhof Siegburg/Bonn. Wobei Siegburg und Bonn satte sechzehn Kilometer voneinander entfernt sind. Trotzdem haben sie einen gemeinsamen Bahnhof. Na ja, wir wollen nicht kleinlich sein. Wir reden ja nicht vom Ostseebad Kaiserslautern.

Wir standen an Gleis 6 und warteten auf den Stolz der Deutschen Bahn, den ICE. Wobei ich die drei Buchstaben ICE bei minus fünf Grad Außentemperatur eher englisch ausgesprochen hätte. Es war eisig, außerdem standen wir im Zug. Dabei war der noch gar nicht eingetroffen.

Ein paar Minuten später kam er dann endlich. Die Einfahrt, wenn man der schlecht gelaunten Durchsage aus dem Lautsprecher glauben wollte, war planmäßig. Nur, wie es in schönstem Bahndeutsch hieß, »verkehrt der ICE 43 von Dortmund nach Basel heute ausnahmsweise in umgekehrter Wagenreihung«.

Logisch, klar, natürlich: Das ist nur heute so.

Mir drängt sich die Frage auf, sind die Züge der DB überhaupt jemals in richtiger Reihenfolge unterwegs? Die Zusammenstellung der Wagenfolge erinnert mich kolossal an das Kinderzimmer meines Sohnes Paul: ein ständiges Durcheinander. Komischerweise kommt der Hinweis auf die umgekehrte Reihung der Waggons immer erst drei Minuten vor der Einfahrt, dabei ist der Zug doch schon falsch sortiert losgefahren. Warum sagt man den Reisenden nicht schon früher Bescheid? Es ist zumindest immer so knapp, dass ältere Menschen keine Chance haben, in der kurzen Zeit von Gleisabschnitt A zu Abschnitt H zu hasten. Und selbst für mich ist es konditionell anstrengend, obwohl ich noch nicht zu den älteren Semestern zähle. Zumindest wenn es nach Taxi-Wolle geht. Der hat mir gesagt: »Richtig alt bist du erst dann, Guido, wenn der Bürgermeister zum Gratulieren kommt.«

Jedenfalls war die falsche Reihenfolge bei der Abfahrt des Zuges in Dortmund offenbar keinem aufgefallen. Erst kurz vor Siegburg hatte der Zugchef bei seinem lockeren Kontrollgang gemerkt: »Ups, nach Wagen 38 kommt nicht 39, sondern Wagen 24. Da stimmt doch was nicht! Lieber schnell Bescheid sagen.«

Ich dachte mir: »Nicht aufregen, Guido, konzentriere dich auf die Einfahrt des Zuges.« Und auf die Frage: Wo ist Wagen 29? Ist der erste Zugteil verdreht, oder ist es der zweite? Ist Wagen 29 überhaupt dabei? Oder ist Wagen 29 bei umgekehrter Wagenreihung Wagen 92? Und was macht die Lok in der Mitte des Zuges?

Ich nenne diese heitere Abteilsuche »Wagen-Bingo«. Manchmal habe ich das Gefühl, die Deutsche Bahn betreibt ein Resozialisierungsprogramm für ehemalige Trickbetrüger. Vermutlich kümmert sich um die Wagenreihung der Deutschen Bahn niemand anderes als Salvatore. Kennen Sie den noch? Pronto-Salvatore war der Hütchenspieler in den guten alten Anfangszeiten von RTL. Nur, dass er damals »Rosso, giallo, blu!« gesagt hat und heute: »Wo isse Bistrowage, he? Isse in Gleisabschnitt A, B oder C?« Wer es weiß, gewinnt fünfzig Mark!

Nachdem wir Wagen 29 schließlich doch noch gefunden hatten, stand Familie Cantz mitsamt den drei Rollkoffern und dem Stofftier im Gang. Schlappe 48 Minuten lang. Denn auf unseren reservierten Plätzen hockten drei verdutzte japanische Touristen, die nicht glauben konnten, dass wir die rechtmäßigen Sitzinhaber waren. Wir vertrieben uns die Zeit, indem wir die Fahrkarten kontrollieren ließen und uns mit der Speisekarte des Bordbistros beschäftigten. Wobei ich als Vielfahrer nie lange suchen muss, denn ich bestelle immer das Gleiche, nämlich das leckerste Produkt, das die Schiene zu bieten hat: die Vollkornschnitten.

Leider waren sie aus. Unter uns: Die Vollkornschnitten sind immer aus. Ich habe extra mal einen Zug um 6.11 Uhr gebucht, aber selbst da waren die Stullen schon weg. Wie kann das sein? Bei so etwas verstehe ich gar keinen Spaß. Wie viele Brote bereiten die eigentlich vor? Werden die alle vom Bahnchef persönlich belegt? »Cornelia, heute schmier ich mal zwei Kniften mehr für den ICE 43 Dortmund–Basel! Meinst du, das reicht?«

Egal, schon kurz darauf kamen wir mit knurrenden Mägen an Deutschlands Vorzeige-Airport an. Ratzfatz hatten wir eingecheckt, ich dachte: »Super! Endlich geht’s los!«

Doch dann kam die Sicherheitskontrolle. Jeder kennt das: Es gibt drei Schlangen – eine schnelle, eine mittelschnelle und die, an der man selbst ansteht.

Wir wollten schlau sein und wählten die Fast Lane.

In der Fast Lane kommt man angeblich schneller voran als in anderen Schlangen, aber wie der Name schon sagt: leider nur fast.

Es war nur eine Person vor uns, und die hatte auch nur eine einzelne Plastiktüte als Handgepäck. Leider hatte die Dame offenbar kurz vorher den Drogeriemarkt des Flughafens leer gekauft und diskutierte nun mit dem zuständigen Sicherheitsbeamten darüber, ob Shampoo eine Flüssigkeit oder ein Haarwaschmittel ist. Nachdem ihr der Mitarbeiter geduldig erklärt hatte, dass Shampoo weder einen festen noch einen gasförmigen Aggregatszustand vorweise und somit durchaus als Flüssigkeit zu verstehen sei, versuchte es die Frau mit weiblicher Logik: »Aber ich will es doch gar nicht trinken!«

Ich hatte auch noch nie Shampoo getrunken – trotzdem hatte ich Schaum vor dem Mund.

Dann waren wir endlich dran. Ich verstehe einfach nicht, warum ich mich bei der Sicherheitskontrolle stets komplett ausziehen muss, obwohl ich mich am Morgen doch erst komplett angezogen habe. Ich habe nie Kleingeld in der Hosentasche. Ich bin nicht gepierct. Ich habe (noch) kein künstliches Hüftgelenk. Und trotzdem piept es bei mir. Jedes Mal. Und dann auch noch der Kommentar meiner Frau: »Kein Wunder, dass es bei dir piept. Du hast eh ’nen Vogel!«

Herr und Frau Cantz: Beide haben Humor.

Leider nicht immer denselben.

Nach der Kontrolle konnte nicht mehr viel passieren. Nach 28 Minuten Fußweg waren wir endlich am Gate A32. Ich liebe diese kleinen überschaubaren Flughäfen. 28 Minuten! Mein Sohn fragte völlig zu Recht: »Papa, sind wir schon im Oman?«

Der Blick auf die Uhr sagte: Es war halb elf. Wir waren schon seit Stunden unterwegs, und ich verspürte einen deutlichen Hunger. Zeit für ein gemütliches Frühstück im Stehen. Ein Brötchen für meine Frau, eines für mich und eine Brezel für den Sohnemann – das war unser Plan. Versüßt wurde uns der Einkauf durch die lustigen Nikolausmützen, die die Mitarbeiter der überregionalen Großbäckerei tragen mussten. Ihre Blicke sagten: Wo ist Amnesty International, wenn man die mal braucht? Ich kann das verstehen. Noch unwürdiger ist nur, wenn man als Student im Ganzkörper-Bananen-Kostüm durch die Fußgängerzone von Halle an der Saale laufen muss und den Chiquita-Song trällert.

»Ho-ho-ho!«, begrüßte ich Herrn Nikolaus und Frau Ruprecht, doch die beiden guckten nur genervt. Auch mein nächster Spruch kam nicht so gut an, wie ich es mir erhofft hatte: »Wie orientiert sich der Weihnachtsmann eigentlich in seinem Schlitten? Mit einem Ruten-Planer!«

Na ja – Künstlerpech, es kann nicht jeder Gag funktionieren. Immerhin schmeckten die Brötchen komisch.

Plötzlich grinste mein Sohn von einem Ohr zum anderen. Beim Boarding standen zwei Mitarbeiterinnen der Oman Air vor uns, die mit ihrer Schönheit und Anmut alles je Gesehene überstrahlten: eins achtzig große, bildhübsche Geschöpfe mit Modelfigur, rehbraunen Augen und strahlendem Lächeln, dazu ausgesprochen hilfsbereit und liebreizend. Im Gegensatz zu den Schönheiten des Orients sieht das Bodenpersonal deutscher Fluggesellschaften tendenziell aus wie ukrainische Gerüstbauerinnen.

Kein Wunder, dass mein Sohn zwei leibhaftige Prinzessinnen aus tausendundeiner Nacht vor sich glaubte. Pauls Logik überzeugte mich dann auch: Prinzessinnen tragen Schleier – die Oman-Mädels auch. Demnach konnten wir nur in einem Märchen sein.

Meine Frau sah das etwas anders. Sie sagte natürlich nichts, aber in ihren Augen las ich: »■■■ ■■■■■■■ ■■■■■ ■■■ ■■

Als wir endlich im Flieger saßen, waren alle bisherigen Strapazen schnell vergessen. Cantz junior genoss seine Apfelschorle, meine Frau freute sich auf sechseinhalb Stunden Bordprogramm (heißt: dreieinhalb Komödien mit Hugh Grant), und ich war einfach froh, endlich zu sitzen.

Die für uns zuständige Stewardess – Entschuldigung, heute sagt man ja: Flight Attendant, also: Unser zuständiger Flight Attendant hieß Veronica. Was ich lustig fand, denn bei einer orientalischen Flugbegleiterin hätte ich damit gerechnet, dass sie Fatma, Scheherazade oder Arezou heißt, aber nicht wie meine Tante. Auf Englisch versuchte ich ihr zu erklären, dass es einen famous German Schlager gebe, der Veronika, the Lenz is There heiße.

Als ich dann auch noch anfing vorzusingen, wurde der Sitznachbar zu meiner Rechten wach.

»Oh, I know you! You are the Voice of Germany, aren’t you?«, grinste er.

»Sorry, war das so schief?«, fragte ich kleinlaut.

»Ich bin ein britischer Gentleman«, sagte er mit nachsichtigem Gesicht. »Also: Nein, es war great

Wenn es je ein Eis zwischen uns gegeben hatte, war es spätestens jetzt gebrochen.

Er war etwa Mitte fünfzig und ein Geschäftsmann aus Bristol. Ich erfuhr von ihm, dass er den Flughafen von Maskat nur zum Umsteigen brauchte, um weiter nach Indien zu reisen. Ein Geschäftstermin. In Indien. Wow! Meine Geschäftsreisen gehen maximal bis nach München oder Berlin.

»Sie sind also ein echter Kosmopolit«, sagte ich bewundernd. »Nach dem Motto: Schatz, ich komme heute ein bisschen später, mir ist in Mumbai der Bus vor der Nase weggefahren.«

Dann erzählte ich ihm, dass ich heute schon viel gelacht hätte und nun zum ersten Mal ohne Flip-Flops in den Urlaub fliegen müsse. Auf die Frage, was ich beruflich mache, antwortete ich wahrheitsgemäß: Komiker.

Offenbar glaubte er mir sofort, denn er fing laut zu lachen an: »Komiker? In Germany? Und wovon lebst du? Ihr Deutschen habt doch gar keinen Humor!«

»Na, das ist nur ein böses Vorurteil«, entgegnete ich empört.

»Tatsächlich?«, grinste mein Nachbar belustigt zurück.

Plötzlich hatte ich eine Idee. »Ich würde dich in den nächsten sechseinhalb Stunden gern davon überzeugen, dass wir Deutschen eine ganze Menge Humor haben. Mein Name ist übrigens Guido, und wie heißt du?«

»My name is David, und ich bin neugierig auf das, was du zu erzählen hast. Also, leg los, wann bist du zum ersten Mal dem deutschen Humor begegnet?«

Ach, du lieber Gott, die Taufe

»Humor ist der Schwimmgürtel auf dem Strom des Lebens.«
Wilhelm Raabe (1831–1910), deutscher Schriftsteller

Meinen ersten Kontakt mit deutschem Humor hatte ich im Jahr 1971. Ich erinnere mich genau. Es war der 19. August, 10.06 Uhr, und ich war verdammt nervös. Mein erster Auftritt stand unmittelbar bevor. Ich atmete noch einmal tief durch, rückte mir die Nabelschnur zurecht und trat hinaus ins Licht der Welt. Eigentlich wollte ich sagen: »Hallo Porz!« Stattdessen sagte ich: »Uäääääh!!!«

Das Publikum bestand aus drei Personen: Stationsarzt Dr. Zinneisen, Hebamme Hildegard und meiner Mutter. Gelacht hat niemand. Und der Applaus war ebenfalls sehr dürftig. Nur die Hebamme hat geklatscht – und das dummerweise auf meinen Hintern. Vielleicht ist mein überschaubarer Erfolg im Kreißsaal des Krankenhauses Porz am Rhein darauf zurückzuführen, dass ich noch nicht sprechen konnte. Schon an diesem Tag war mir klar: Eine Karriere als Pantomime käme für mich nicht infrage.

Schade eigentlich, dass mein Vater meinen ersten Auftritt verpasste, aber so war das früher eben. Warum sollte der Mann auch bei der Geburt dabei sein, wenn er schon bei der Zeugung gefehlt hatte? Haha … Im Ernst: Väter wären Anfang der Siebzigerjahre niemals auf die Idee gekommen, der Geburt ihres eigenen Kindes beizuwohnen. Ein Mann im Kreißsaal? Warum auch? Man kann ja eh nichts tun. Mein Vater hat immer gesagt: »Das bringt doch nichts. Man darf nicht rauchen und steht nur dumm rum.«

Ich hätte mir gewünscht, Papa wäre Verkehrsminister gewesen. Dann hätte er zumindest mit der Schere meine Nabelschnur durchtrennen können – wie das Band bei der Einweihung eines Autobahnteilstücks.

Aber er beharrte auf seinem Standpunkt: »Da muss die Mama alleine durch. Ich nehme ja auch nicht meine besten Kumpels mit zur Darmspiegelung.«

Heute ist das natürlich anders. Da ist im Kreißsaal nicht nur der Vater mit dabei, sondern auch noch Oma und Opa, die beste Freundin, die Freundin von der besten Freundin, der Cousin, der fleißig mitfilmt, um das Ganze schon eine halbe Stunde später auf YouTube zu stellen, und natürlich die 428 Facebook-Freunde, die man versehentlich zu der Veranstaltung eingeladen hat. Gefällt mir.

Die Schönheit rheinischer Nachkriegsarchitektur erschließt sich häufig erst in historischem Abstand.

Mein Erzeuger wusste noch nicht mal, in welchem Krankenhaus ich zur Welt gekommen war. Aber seine Sekretärin recherchierte für ihn, und keine zwei Tage später stand der stolze Papa schon vorm Hospital, um Mutter und Sohn nach Hause zu holen. In seinem weißen Citroën 2 CV. Einer Ente. Auch das dürfte man heute nicht mehr tun, ohne dass sich das Jugendamt einschaltet: »In dieser Kiste transportieren Sie ein Neugeborenes? Ohne Kindersitz, Gurte, Isofix, Seitenairbag, Sonnenrollo und Aufprallschutz und bei geschlossenen Fenstern, während beide Eltern vorne rauchen? Sie Mörder!«

Trotzdem kamen wir wie durch ein Wunder heil zu Hause an.

Jeder verbindet mit dem Jahr 1971 etwas anderes. Für mich war es natürlich ein ganz besonderes Jahr. Ich lernte meinen großen Bruder Jochen kennen. Ich bezog mein erstes eigenes Zimmer. Und ich machte mein erstes Bäuerchen. Leider habe ich es mit meiner Performance nicht auf Seite 1 der BILD-Zeitung geschafft, denn es passierten noch andere weltbewegende Dinge: Willy Brandt bekam den Friedensnobelpreis, Joe Frazier boxte Muhammad Ali nieder, und in München eröffnete die erste deutsche McDonald’s-Filiale. Das Wort des Jahres war »aufmüpfig«, John Lennon sang erstmals Imagine, und auch in die deutsche Humorlandschaft kam jede Menge Bewegung. In der DDR trat Mauerclown Walter Ulbricht zurück und wurde von SED-Kasper Erich Honecker ersetzt. Ich muss jedenfalls heute noch lachen, wenn ich alte Aufnahmen von Honecker höre. Der Mann spricht noch undeutlicher als Til Schweiger.

Auch im westdeutschen Fernsehen wurde es richtig lustig. Am 13. Februar 1971 lief zum ersten Mal Disco. Eine Musiksendung für junge Leute mit Ilja Richter. Das Besondere an dieser Show war, dass der Moderator zwischen den Musikauftritten amüsante Sketche spielte, meistens gereimt und gesungen. Musik meets Comedy – ein Konzept, das später immer wieder angewendet wurde, sei es bei Musikshows wie Plattenküche, Bananas oder Känguru.

Damals war Disco der letzte Schrei – und auch als ich mir neulich im Internet einige der alten Folgen ansah, musste ich schreien: Ein neunzehnjähriger Moderator in Smoking und Fliege singt in Operettenmanier über Goethes Faust – nicht ganz das, was MTV und Jackass dreißig Jahre später unter jugendgerechter Comedy verstanden. Aber es ist ein gutes Beispiel dafür, dass Humor abhängig von seiner Zeit ist. Ich habe gelesen, dass das ZDF mit Disco zwei Ziele verfolgte: Die Sketche sollten die älteren Zuschauer bei der Stange halten (und sie mit der »bösen« Popmusik versöhnen) und den jüngeren Zuschauern Nachhilfeunterricht in Sachen Kultur und Geschichte geben. Ich glaube kaum, dass die Teenager damals nach jeder Disco-Sendung ins Museum oder Theater rannten, aber gelacht haben sie garantiert. Ilja Richter war einfach Kult.

Und noch eine weitere Sendung schrieb 1971 TV-Geschichte. In der ARD wurden die Deutschen mit einer völlig neuen, nie da gewesenen Form von britischem Humor konfrontiert. Zum ersten Mal flatterten Monty Python mit ihrem Flying Circus über die Bildschirme. Eine englische Comedy-Show, die mit Anarchie und Nonsens in Sachen Komik bis heute Maßstäbe setzt. Ich kenne kaum einen Kollegen, der sich nicht auf John Cleese, Eric Idle, Michael Palin, Terry Gilliam, Terry Jones und Graham Chapman bezieht. Als einer der Ersten erkannte Alfred Biolek das Potenzial der Gruppe und holte das englische Original ins deutsche Fernsehen. Zunächst im dritten Programm und mit deutschen Untertiteln. Ich selbst konnte 1971 die TV-Premiere der Pythons nicht mitverfolgen, und zwar aus drei Gründen:

  1. Ich konnte kein Englisch.
  2. Ich konnte nicht lesen.
  3. Ich war erst vier Wochen alt.

In logischer Konsequenz war im Hause Cantz in den folgenden Jahren jemand anderes für Anarchie und Nonsens verantwortlich, nämlich ich.

Wenn ich den Erzählungen meiner Eltern Glauben schenken darf, gab es mit mir früh viel zu lachen. Schon meine Taufe war pure Comedy. Ich erinnere mich, als wenn es gestern gewesen wäre …

Ich wusste schon früh, dass ich Komiker werden wollte. Also bat ich meine Eltern, mich entsprechend albern anzuziehen.

Es war Anfang September 1971, das Wetter war schön und die Tapeten orange, und eigentlich hätten wir uns einfach auf meine bevorstehende Taufe freuen können. Leider gab es ein klitzekleines Problem: Mein Großvater, extra aus Stuttgart angereist, war nicht damit einverstanden, dass ich, sein elfter Enkel, Katholik werden sollte. Schließlich waren laut unseres Stammbaums seit dem 16. Jahrhundert sämtliche Cantzens evangelisch. Dazu muss man wissen, dass unser Vorfahr Kaspar Kantz (*1483 in Nördlingen) nicht nur Reformator gewesen war, sondern sogar ein persönlicher Freund Martin Luthers. Das heißt: Eigentlich hatte Familie Cantz gar keine Wahl. So wie die Simpsons gelb sind, waren die Cantzens evangelisch – da hätte Sohnemann Bart Simpson auch nicht einfach die Farbe wechseln können.

Mein Großvater, der sonst durchaus als sehr humorvoll galt, verstand beim Thema Religion leider überhaupt keinen Spaß. Seine Ansage war: »Der Junge wird evangelisch – sonst reise ich ab!«

Daraufhin konterte meine Mutter: »Wir stammen auch vom Neandertaler ab und essen trotzdem kein Mammut mehr. Der Junge wird katholisch – schöne Heimfahrt!«

Um kurz vor drei Uhr am Nachmittag trafen sich alle Freunde und Verwandte meiner Eltern vor der Pfarrkirche St. Aegidius in Porz-Wahn. Mittendrin war übrigens auch mein evangelischer Opa, der insgeheim immer noch protestierte – aber was will man von einem überzeugten Protestanten auch anderes erwarten?

Wir waren also vollständig. Der Einzige, der fehlte, war der Pfarrer. Als der um kurz nach drei immer noch nicht aufgetaucht war, wurden meine Eltern langsam unruhig. Auch ein Blick in die Kirche verbesserte die Situation nicht wesentlich, denn dort war es stockdunkel, und es roch nach gelöschten Kerzen. Meine Eltern waren irritiert: kein Personal da, und das Licht war aus? Was war los?

Mein Opa wusste es natürlich. Er fiel auf die Knie und sagte mit bebender Stimme: »Der liebe Gott ist gerecht – und evangelisch!«

Zehn Minuten später kam Pastor Kirsch dann doch noch vorbei, wenn auch nur zufällig. Er schien aufrichtig verwundert: »Was machen Sie denn hier?«

Meine Mutter dachte an einen Scherz und lachte herzlich. »Sehr witzig, Herr Pastor! Lassen Sie den Blödsinn, unser Guido wird doch heute getauft.«

Pastor Kirsch wurde nervös. »Ach du lieber Gott, die Taufe! Ich bin eigentlich auf dem Weg zu meiner Schwester. Die feiert heute Geburtstag, und ich bin zum Kaffee eingeladen.«

Unglaublich: Der Gottesmann hatte meine Taufe vergessen!

Was folgte, war die reinste Impro-Comedy, denn es gab weit und breit keine Messdiener, keinen Organisten, und auch die Kerzen mussten erst angezündet werden.

Kein Problem für meine Familie. Onkel Wolfgang und Vetter Volker übernahmen den Part der Ministranten, die fehlende Orgelbegleitung wurde durch extralauten Gesang ersetzt, und nach zwei Minuten erstrahlte das komplette Kirchenschiff in hellem Kerzenglanz dank dem Einsatz von vierzehn Feuerzeugen. Kein Problem, wenn die ganze Familie aus Rauchern besteht – mich mal nicht eingerechnet.

Glücklicherweise war das Taufbecken wenigstens da, und es war sogar gefüllt. Es hätte niemanden gewundert, wenn das Weihwasser auch noch gefehlt hätte.

Mit einer Verspätung von dreißig Minuten konnte die Zeremonie dann endlich losgehen. Dachte zumindest die anwesende Gemeinde. Dummerweise hatte Pastor Kirsch auch noch seine Lesebrille vergessen und war nicht in der Lage, die Texte im Gebetbuch zu entziffern. Meine Tante Helga bot kurzerhand ihre Brille an. Pastor Kirsch sah mit der tellergroßen violetten Damenbrille aus wie Dame Edna, aber immerhin konnte er endlich loslegen. Wasser marsch!

Von da an ging alles ganz schnell, die gesamte Prozedur dauerte nur elf Minuten. Die reinste Schnelltaufe. Ein bisschen wie bei Carwash: Das Herbstangebot für nur 8,99€, Taufen und Säubern in einem! Nur ohne Unterbodenwäsche und Trocknen. Aber mit Politur, oder wie die katholische Kirche sagt: mit Chrisam.

Auf meiner Geburtsanzeige waren Größe und Gewicht als besondere Kennzeichen aufgeführt – eine lustige Idee meiner Eltern Irmhild (54.280 Gramm, 161 cm) und Otto (74.550 Gramm, 178 cm).

Seit dem Tag höre ich auf den Namen Guido, benannt nach dem Ratefuchs Guido Baumann aus dem TV-Klassiker Was bin ich?. Mein Bruder sagt immer: »Nicht weil der Guido so clever ist wie ein Fuchs, sondern weil er so riecht.«

Meine Taufe war jedenfalls ein einziges Chaos. Erst keiner da, dann keine Kerze, dann keine Orgel, dann ohne Brille … Verstehen Sie Spaß? gab es damals noch nicht, sonst hätten alle auf versteckte Kamera getippt.

Aber die einzige Kamera, die lief, war die von Onkel Werner, und die war nicht versteckt, sondern Super 8.

So wurde der Tag meiner Taufe zu einem unvergesslichen Erlebnis für alle Anwesenden, sogar für Pastor Kirsch. Und selbst mein Opa aus Stuttgart soll angeblich kurz darüber nachgedacht haben, die Konfession zu wechseln.

»Excuse me, Guido, kurze Zwischenfrage«, meldete sich mein Sitznachbar David mit einem leisen Räuspern zu Wort. »Verstehe ich richtig? Du bist der Sohn von zwei Profi-Comedians?«

»Nein«, lautete meine Antwort. »Mein Vater arbeitete als Direktionsassistent und meine Mutter bei der Deutschen Welle. Aber für Eltern gilt heute noch dasselbe wie damals: Ohne Humor geht gar nichts. Ohne Drinks übrigens auch nicht!«

Mit diesen Worten klappte ich das Tischchen in der Rückenlehne vor mir herunter, denn ich sah in der Ferne Flight Attendant Veronica mit ihrem Saftwagen anrücken.

Nachdem ich mich mit einer kleinen Dose zuckerfreier Cola gestärkt hatte, wandte ich mich wieder David zu. »Wo waren wir noch mal stehen geblieben?«

»Eltern brauchen Humor.«

In diesem Moment schmiss Paul jauchzend seinen Becher um – 250 Milliliter Orangensaft versickerten langsam, aber unaufhaltsam im Polster von Sitz 12A. Ich rollte mit den Augen und wollte gerade loslegen zu schimpfen, als David einwarf: »Zum Beispiel jetzt.«

Ich fühlte mich ertappt und grinste. »Du hast recht, David.«

Und während Kerstin in aller Seelenruhe den Sitz mit einer Serviette trocken tupfte, fiel mein Puls wieder auf seine ursprüngliche Frequenz, und ich dachte weiter laut über den Zusammenhang von Elternschaft und Humor nach.

Dazu muss man sich einmal vor Augen führen, was junge Paare überhaupt zusammenbringt, nämlich nicht der gemeinsame Nachwuchs, sondern diese anderen kleinen Racker, die immer und überall ihren Willen durchsetzen. Wie heißen die noch? Richtig: Hormone. Das heißt, im Zentrum des Interesses stehen Schmetterlinge im Bauch, Händchenhalten, Küsschen hier, Küsschen da, Candle-Light-Dinner, Kino, Strandspaziergänge, heiße Nächte, am Wochenende ausschlafen, Frühstück im Bett, romantisches Schaumbad bei Kerzenschein – so ziemlich alles, was wir aus diesen Filmen mit Julia Roberts kennen.

Und dann kommt irgendwann der Tag, an dem sie die drei magischen Worte ausspricht, die alles verändern. Und damit meine ich nicht: »Lass uns heiraten!«

DREI MAGISCHE WORTE, DIE ALLES VERÄNDERN

»Ich bin weg.«

»Du wirst fett.«

»Das ist Thomas.«

»Unser Haus brennt.«

»Vorsicht, eine Dachpfanne.«

»Der beißt nicht.«

»Rechts ist frei.«

Die drei magischen Worte, die alles Dagewesene auf den Kopf stellen, lauten natürlich: »Ich bin schwanger.«

Im ersten Moment eine prima Nachricht. Beide lachen und freuen sich über den anstehenden Nachwuchs. Außerdem kann sie die nächsten neun Monate endlich all das essen, was sie sich sonst verkneift, ohne auf ihre Figur achten zu müssen. Und er freut sich, dass er auf jeder Party Gas geben kann, denn es ist klar, wer von beiden fährt.

Aber in der Sekunde, in der der neue Erdenbürger seinen ersten Schrei getan hat, ist erst mal Schluss mit lustig. Und spätestens jetzt ist eine ordentliche Portion Humor gefragt. Denn die Zeit von Küsschen, Kino, Candle-Light-Dinner ist endgültig vorbei. Jetzt heißt es: nicht mehr durchschlafen, stinkende Windeleimer durch die Gegend tragen und Spinatflecken auf dem Designerteppich.

Diesen epochalen Erdrutsch in der eigenen Biografie ertragen junge Eltern viel leichter, wenn sie sich und ihren Nachwuchs nicht ganz so ernst nehmen und wenn sie akzeptieren, dass sie ab jetzt nicht mehr das Sexleben eines Kaninchens haben, sondern das eines tibetanischen Bettelmönches. Man kann also mit Fug und Recht behaupten: Die Ringe unter Augen verbinden stärker miteinander als die an den Fingern.

Kein Sex, kein Schlaf, keine Freizeit – und trotzdem gute Laune. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Eltern ihr Schicksal mit viel Humor nehmen. So erkläre ich mir auch, warum viele Väter und Mütter ihre Kinder in Strampler mit lustigen Sprüchen stecken.

Als ich klein war, gab es nur drei Botschaften: Rosa für Mädchen, Blau für Junge und Weiß für Weiß-noch-nicht-so-genau. Heute sind Strampler Ausdruck von Lebensgefühl, Individualität und Kreativität. Das Design drückt dabei vor allem die Vorlieben der Eltern aus: Ein zwei Monate alter Che-Guevara-Anhänger oder ein sechs Wochen alter AC/DC-Fan sind anders nicht zu erklären. Allerdings weiß ich nicht, ob das, was die Eltern cool finden, später auch die Kinder cool finden. Wahrscheinlich wäre es dem Präsidenten der Hells Angels unangenehm, wenn seine Leute wüssten, dass er vor 35 Jahren im rosa Strampler seiner älteren Schwester auf dem Flokati rumgekrabbelt ist. Aber auch der coole Strass-Totenkopf kann peinlich werden, wenn der Hosenscheißer später Chef der Jungliberalen wird.

Sehr beliebt für Babys sind auch Fanartikel von Fußballvereinen. Eine perfide Methode, den Nachwuchs schon früh an Papas Lieblingsclub zu binden. Wobei man aufpassen muss: Ein grün-weißer Schnuller kann schnell missverstanden werden als »Ich hab die Schnauze voll von Werder Bremen«.

Ich habe meinen Sohn natürlich in einen Strampelanzug vom VfB Stuttgart gesteckt.

Es ist eigentlich das Gleiche wie bei einer Taufe: Da wird das Kind auch nicht gefragt, ob es katholisch werden will oder nicht. Meine persönlichen Favoriten sind die Strampler mit den lustigen Sprüchen, »Bio-Wecker« etwa oder »Sklaventreiber«. Beide sind recht nah dran an der Realität.

DIE LUSTIGSTEN SPRÜCHE AUF BABYSTRAMPLERN

Ich schreie nicht – ich bestelle Essen!

Nicht von schlechten Eltern.

Bitte seien Sie nett zu meinen Eltern – sie schlafen zurzeit schlecht.

Gebt mir Milch und keiner wird verletzt!

Ich war geplant.

Abi 2033

Ich schreie nur, wenn hässliche Menschen mich in den Arm nehmen!

Ich war geplant.

Meine Mama kann alles – außer schlafen.

Frisch gepresst.

Meine erste Sprechrolle hatte ich mit fünfzehn Monaten. Obwohl es schon lange her ist, kann ich mich noch genau an den Text erinnern: »Mama!«

Mit dem Erlernen der Muttersprache eröffneten sich für mich ganz neue Möglichkeiten. Und die Lachquote im Hause Cantz stieg deutlich an. Denn es gibt für Erwachsene kaum etwas Lustigeres als den Kindermund.

Wenn Kinder Erwachsenen Einblick in ihre kleine Gedankenwelt geben, gibt es immer was zu lachen. Die Kids haben ihre eigene Logik und hauen Sachen raus, die sich kein Comedy-Autor ausdenken könnte. Meistens sind sie dabei erfrischend ehrlich. Ich habe zum Beispiel mal als Kind an der Supermarktkasse eine ältere Dame angesprochen und gefragt: »Du bist schon alt, ne?«

Sie lächelte mich an: »Ja, mein Kleiner.«

Und ich machte weiter: »Wann stirbst du denn?«

Alle Kunden fanden das natürlich saukomisch, mit zwei Ausnahmen: der älteren Dame und meiner Mutter. Die wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. Alle Eltern werden wissen, wovon ich spreche. Meine Mutter wollte sich noch entschuldigen, aber die Dame war schon wutentbrannt davongerauscht.

Ein kleiner Tipp von mir: Sollten Sie auch einmal von einem Kind gefragt werden, wann Sie sterben, dann antworten Sie einfach: »Wenn du noch mal so was fragst, dann sterbe ich auf jeden Fall nach dir!«

Zum Glück muss es nicht immer so peinlich sein, wenn der Nachwuchs den Mund öffnet. Oft sind Aussagen von Kindern einfach nur lustig. So wie die von meinem Sohn Paul.

Vor einiger Zeit ging sonntagmorgens um halb sieben die Tür des elterlichen Schlafzimmers auf.

6 Uhr 30.

Sonntagmorgens.

Eine tolle Uhrzeit.

Vor allem, weil ich erst um kurz vor zwei nach Hause gekommen war, nachdem ich zum ersten Mal seit Monaten wieder mal mit meinen Kumpels weg gewesen war und dabei 37 Kölsch getrunken hatte.

Außerdem hatte Paul mich erst vor zwei Stunden geweckt, weil sein Teddybär aus dem Bett gefallen war. Normalerweise hätte ich in so einer Situation natürlich meine Frau gehen lassen, aber die schlief im Wohnzimmer auf dem Sofa, weil ich geschnarcht hatte wie ein Ochse. Trotzdem ging mein Vaterherz sofort auf, als ich meinen Sohn ins Schlafzimmer tapsen sah, und ich rief ihm fröhlich entgegen: »Na, wer kommt denn da? Ja, wer kommt denn da? Hm?«

Ich meinte das natürlich freundlich, doch Paul drehte sich enttäuscht um und maulte im Gehen: »Wenn mich hier keiner kennt, kann ich auch wieder gehen!«

Solche Missverständnisse zwischen Erwachsenen und Kindern passieren immer wieder. Und sorgen in den meisten Fällen für Heiterkeitsanfälle.

Vor einigen Jahren holte ich meine Nichte, die damals vier Jahre alt war, mit dem Auto vom Kindergarten ab. Im Rückspiegel sah ich, wie Marie fröhlich in der Nase bohrte. Ich ermahnte sie mehrfach, das zu unterlassen, doch sie grub munter weiter. Irgendwann war ich so genervt, dass ich sagte: »Wenn du oben angekommen bist, kannst du mir ’ne Karte schreiben!«

Auf einmal Stille auf dem Rücksitz. Dann fing Marie fürchterlich an zu weinen.

Ich fragte sie sofort, was los ist, und sie schluchzte: »Onkel Guido, du bist so gemein! Du weißt genau, dass ich noch nicht schreiben kann.«

Kinder sagen oft das, was Erwachsene denken. Ich habe damals sogar gesagt, was Erwachsene denken, ohne zu wissen, was ich da sagte. Es war 1977, beim Abendbrottisch bei meinen Großeltern in Stuttgart (wobei man in Stuttgart dazu eher »Vesper« oder »Nachtessen« sagt). Die Erwachsenen unterhielten sich so lebhaft miteinander, dass ich mich gar nicht mehr beachtet fühlte. Also wollte ich die Aufmerksamkeit auf mich lenken – Zeit für meinen ersten großen Auftritt als Comedian.

Da ich damals erst sechs Jahre alt war und noch kein eigenes Programm hatte, zitierte ich einen lieben Kollegen, Otto Waalkes. Ich stellte mich auf den Stuhl und sagte stolz: »Trap, trap, der Trapper! Trip, trip, der Indianer!«

So leise war es noch nie im Esszimmer meiner Großeltern gewesen.

Schweigen.

Ratlose Blicke.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum lachte keiner? Bei Otto Waalkes hatte die ganze Halle am Boden gelegen. Und bei mir: Totenstille. Dabei hatte ich denselben Text wie mein Vorbild gesprochen!

Meine Mutter fand als Erste ihre Sprache wieder: »Ich glaube, der Guido muss heute mal ein bisschen früher ins Bett.«

Natürlich konnte ich nicht verstehen, warum keiner lachte. Aber selbst wenn sie gelacht hätten, hätte ich es nicht kapiert. Ich hatte schließlich den ganzen Witz nicht verstanden. Wie sollte ich mit sechs Jahren auch wissen, was ein Trapper ist?

Fast vierzig Jahre nach meinem ersten selbst erzählten Otto-Witz erklärte mir der Meister selbst, was ein Trapper ist.

Alle Väter und Mütter werden sofort zustimmen: Kinder sind die besten Komiker. Ohne groß nachzudenken, hauen die kleinen Wortakrobaten einen Kracher nach dem anderen raus. Als Vater oder Mutter muss man einfach nur mitschreiben.

Auch Kerstin und ich haben eine ganze Reihe von Stilblüten gesammelt, die unser Paul im Laufe der Jahre von sich gegeben hat. Unvergesslich bleibt mir ein Gottesdienstbesuch mit meinem Sohn. Paul war knapp drei Jahre alt und beobachtete mit großem Interesse, was vorn im Altarraum vor sich ging. Als der Pfarrer die Hostie vor sich in die Luft hielt und den Wandlungstext aufsagte, fragte Paul: »Papa, warum spricht der Mann da vorn mit dem Keks?«

DIE SCHÖNSTEN KINDERWITZE

»Möchtest du wissen, wie ein Kälbchen auf die Welt kommt?«, fragt der Bauer den kleinen Max.

»Unbedingt!«

»Also, als Erstes sind die Vorderbeine draußen, dann kommen Kopf und Schultern, dann der Körper und schließlich die Hinterbeine.«

»Und wer bastelt dann daraus die Kuh?«

Klein-Hansi, grade mal vier Jahre alt, ist unterwegs zum Dachboden. Er findet seinen alten Laufstall, stürmt die Treppe wieder runter und läuft in die Küche: »Mami, wir kriegen bald ein neues Baby!«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Na, die Falle ist schon aufgestellt.«

Die Großmutter bringt die Enkelin zu Bett.

Da fragt die Kleine: »Oma, haben wir heute wichtige Leute zu Gast?«

»Wie kommst du darauf, mein Kind?«

»Mutti lacht über Papis Witze.«

Levi ist zum ersten Mal mit seiner Mutter in der Oper.

Nach fünf Minuten fragt er: »Mama, warum droht der Mann da vorne der Dame auf der Bühne mit dem Stock?«

»Er droht nicht, er dirigiert.«

»Und warum schreit sie dann so?«

Zwei Zahnstocher gehen einen steilen Berg hinauf. Oben auf dem Gipfel angekommen, sehen sie einen Igel, der ganz schnell den Berg hinaufrennt. Daraufhin sagt der eine Zahnstocher zum anderen: »Hätte ich gewusst, dass hier der Bus fährt, hätten wir nicht laufen müssen.«

Ich werde oft gefragt, wie ich darauf gekommen bin, Komiker zu werden. Ganz einfach: Wer wie ich in den Siebzigerjahren groß wurde, dem Jahrzehnt von Kellerbars, psychedelischen Tapeten und trinkfreudigen Nachbarn, dem wurde es leicht gemacht, das Leben nicht ganz so ernst zu nehmen.

Wer glaubt, Joko und Klaas wären kindisch, der hätte damals meine Eltern erleben sollen. Mit dem Blödsinn, den die beiden gemeinsam mit ihren Freunden angestellt haben, hätte man problemlos drei Staffeln Circus HalliGalli füllen können. Es gab legendäre Gelage mit Rumtopf und Käse-Igel, nach denen man froh sein konnte, wenn das Haus überhaupt noch stand.

Meine Eltern sind auf die verrücktesten Ideen gekommen – eine Grundvoraussetzung für jeden Comedian. Von den beiden habe ich mir für meine Laufbahn als Humorist eine Menge abschauen können. Otto und Irmhild Cantz waren Meister der Improvisation. Für eine ihrer spektakulärsten Nummern brauchten sie nicht mehr als ein befreundetes Ehepaar und einen Hammer. Von der Flasche Scharlachberg Meisterbrand einmal abgesehen.

Meine Eltern hatten unsere Nachbarn Bernie und Bert zum abendlichen Umtrunk eingeladen und dabei viel gelacht. So hörte es sich zumindest bei mir im Kinderzimmer an. Ich lag im Frotteeschlafanzug in meiner VfB-Stuttgart-Bettwäsche und hörte durch die geschlossene Tür zur Musik von Albert Hammond lautes Lachen und Gläserklirren. Es war ein bisschen wie im Radio: Man konnte nichts sehen, aber die Geräusche waren eindeutig. Zusätzlich sorgte der Rauchteppich, der unter meiner Zimmertür hereinzog und aus einer vertrauten Mischung aus Lord Extra und Ernte 23 bestand, für das Gefühl, live dabei zu sein.

Irgendwann schlief ich trotzdem ein und verpasste so einen der größten Gags, den meine Eltern je brachten. Zum Glück erzählten sie mir am folgenden Morgen die Details.

Bernie und Bert hatten davon berichtet, dass sie in ihrem baugleichen Bungalow nebenan das Wohnzimmer vergrößert hätten. Sie hatten die Wand zu einem angrenzenden Zimmer einfach eingerissen.

Zu Beginn des Abends fand mein Vater die Aktion total absurd. »Wie kann man nur auf ein Zimmer verzichten? Das Wohnzimmer ist doch so groß! Wir haben genug Platz für das Sofa, den Fernseher und das Bücherregal.«

Und meine Mutter fügte hinzu: »Keine Ahnung, ob unsere Familienplanung abgeschlossen ist. Einen Raum extra kann man doch immer gut gebrauchen!«

Zwei Stunden (umgerechnet eine halbe Flasche Cognac) später fand mein Vater die Idee bereits nicht uninteressant. »Na ja, also, ein größeres Wohnzimmer könnten wir schon gebrauchen. Ich denke da an meinen vierzigsten Geburtstag. Andererseits, die ganze Arbeit, der Dreck …«

Kurz vor Mitternacht taten meine Erzeuger schon so, als hätten sie die Idee gehabt. »Welche Pfeife hat denn dieses Haus hier geplant? Viel zu kleine Räume! So ein Schwachsinn. Irmhild, ich hol den Hammer.«

Noch in derselben Nacht betätigten sich Otto und Irmhild Cantz als Mauerspechte. Sie schlugen ein erstes kleines Loch in besagte Wand und machten ein eventuelles Überdenken ihrer Umbaupläne somit unmöglich.

Nachdem alle vier Beteiligten begeistert von beiden Seiten durch das Loch geschaut hatten, rief mein Vater: »Die Mauer muss weg! Morgen früh bestellen wir einen Container.«

Am nächsten Tag glich unser Wohnzimmer einer Großbaustelle – wobei bei Familie Cantz im Gegensatz zu heutigen Großbaustellen tatsächlich gearbeitet wurde. Der Bautrupp bestand aus meinen Eltern, Bernie, Bert, ein paar weiteren Nachbarn, meinem älteren Bruder Jochen und mir. Der kleine Guido wollte unbedingt mithelfen! Mit meinen drei Jahren schaute ich mir alles bei den Großen ab, füllte wie ein echter Bauarbeiter Schutt in mein Eimerchen und trug es aus dem Wohnzimmer. Das machte ich immer wieder, bis meine Mutter meinen Vater fragte: »Wo geht Guido eigentlich immer mit seinem Eimer hin? Der Junge ist doch viel zu klein. Der kommt doch gar nicht an den Container.«

Bei der nächsten Runde folgte sie dem kleinen Guido und fand heraus, wo er immer mit seinem Eimer hinging: in die Küche. Dort leerte er gerade die nächste Fuhre Dreck aus, wie er es schon die vorherigen zehn Mal getan hatte.

Zwei Minuten später standen alle Erwachsenen in der Küche und bewunderten mit großen Augen mein Werk. Ich verbeugte mich und hätte gern noch eine Zugabe gegeben, aber meine Eltern machten mir schnell klar, dass sie die Nummer überhaupt nicht lustig fanden. Die Folge: kein Applaus und Eimer weg. Seitdem bin ich nie wieder mit Requisiten aufgetreten.

David und ich waren von Flight Attendant Veronica ein weiteres Mal mit Getränken versorgt worden. Es gab Gingerale für meinen englischen Gesprächspartner und Pfefferminztee für mich. Während ich versuchte, mithilfe des Löffels das Wasser aus dem Teebeutel zu pressen, fragte ich ihn, ob er mehr hören wolle.

»Of course, Guido«, rief er aus. »Denn noch hast du mich nicht davon überzeugt, dass ihr Germans wirklich Humor habt!«

»Wie bitte? Immer noch Vorurteile?«, fragte ich augenzwinkernd. Und dann erzählte ich ihm weiter von den Kindheitserlebnissen, die mein Komikverständnis bis heute geprägt haben.

Da ich im Rheinland aufgewachsen bin, spielte für meine Humorentwicklung der Karneval eine wichtige Rolle. Zugegeben, ich bin in einem Vorort groß geworden und nicht mitten auf der Kölner Domplatte. Daher fielen bei uns in Porz-Lind die Feierlichkeiten ein wenig bescheidener aus.