BELTING
Belt Voice Training für die Singstimme
Dr. des. Christin Bonin
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2021 Christin Bonin
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7534-8931-5
Dr. des. Christin Bonin hat am Institut für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München mit magna cum laude zum Thema Broadway Belt – Implications of Gender, Ethnicity and Social Order promoviert. Ihre Doktorväter waren Prof. Dr. David Roesner, LMU, und Prof. Ph.D. David Savran von der City University New York, USA. Gleich nach ihrem Abschluss erhielt sie die Zusage der Cambridge University Press, UK, für die Veröffentlichung von Belting in Musical Theatre: Origins, Sound, and Vocal Technique, edited by Prof. Ph.D. William Everett, University of Missouri-Kansas City, USA. Neben Konferenz-Vorträgen, Gast-Lesungen, Masterclasses und Workshops, konzentriert sich Christin Bonin auf weitere Veröffentlichungen zu den Themen Belting und die weibliche Musicaldarstellerin, den Broadway Belt.
Christin Bonin hat außerdem einen Abschluss als Master of Arts in Musikwissenschaft (LMU) und ein staatliches Examen als Gesangspädagogin. Nach einigen Berufsjahren als Sängerin in den unterschiedlichsten Bereichen, u.a. in Musical und Jazz, auf Tournee mit Udo Jürgens und als Mitglied der Bayerischen Staatsoper, hat sie ihre eigene Gesangschule Star Me Up in München gegründet und sich auf Musical-, Pop-, Rock- und Jazz-Gesang spezialisiert. Ihre erfolgreiche Methode Belt Voice Training – Singen mit schmetternder Stimme wurde 2009 als Buch veröffentlicht und auch in die englische Sprache übersetzt. 2011 erschien ihr zweites Buch, Singen macht glücklich – 10 Minuten Workout für eine schöne Stimme, das ebenfalls in die englische Sprache übersetzt wurde und in einer Neuauflage 2021 erschienen ist. Dieses Buch ist eine aktualisierte und überarbeitete Neuauflage von Belt Voice Training. Alle Bücher bieten zusätzlich Audio-Tracks zum Üben, die auf Christin Bonin’s Website zum Download erhältlich sind.
Aktuelle Informationen zu Veranstaltungen, Workshops und Büchern von und mit Christin Bonin finden Sie auf:
http://www.christinbonin.com
In vielen Jahren des Unterrichtens im Fach Gesang habe ich mehrfach ins Auge gefasst, ein Buch über Gesangstechnik zu schreiben. Was im Unterricht jedoch durch „Vormachen“ und „Zeigen“ leicht zu erklären ist, auf Papier zu bringen – und zwar so, dass es gut verständlich ist und vor allem leichte Missverständnisse oder sogar völliges Falsch-Verstehen vermieden werden – ist eine große Aufgabe.
Im Gesang zählen viele Aspekte:
Das musikalische Talent und dessen Ausarbeitung zum musikalischen Können, „Feeling“ (Gefühl) und „Soul“ (Seele) unabhängig von Musikstil und Sound, der Geschmack der Interpreten, Mit-Musiker, Komponisten, Texter und vor allem der Zeitgeschmack des Publikums, um nur die wichtigsten Faktoren zu nennen.
„Es gibt keine schlechte Musik – nur schlecht gemachte“, haben schon viele große Künstler gesagt.
Doch was ist Musik?
Es ist nicht einfach zu sagen, was Musik ist. Die meisten Musiktheoretiker gehen davon aus, dass Musik nur Musik ist, wenn sie absichtlich gemacht wird. In der Regel wird Musik auch für Menschen (Zuhörer) gemacht, außer man singt unter der Dusche oder pfeift vor sich hin. Deshalb hat Musik meistens einen konkreten Zweck und somit gesellschaftliche Bedeutung. Dabei wird und wurde sie immer schon von der geschichtlichen Situation, Vorbildern und Traditionen gesteuert.
Anders betrachtet kann man auch sagen, dass Musik nur dadurch Musik ist, weil Menschen sie so wahrnehmen. Solche Ausnahmen sind zum Beispiel Vogelgesang, die Fahrgeräusche einer Lokomotive und das Stimmen eines Instruments. Da ist es schwer, Musik und Nicht-Musik in verschiedene Schubladen zu stecken.
Wie gesagt, es gibt keine schlechte Musik, nur schlecht gemachte....
Dies bedeutet wiederum, dass es eigentlich auch keinen schlechten Gesang, ergo schlechte oder falsche Gesangstechnik geben kann, oder? Wenn ein Song „einfach toll“ klingt – ist es dann nicht egal, wie der Sänger oder die Sängerin das geschafft hat?
Theoretisch schon.
Doch als passionierte Gesangspädagogin stellen sich mir dann folgende Fragen:
Wie oft und wie lange halten Sänger/innen das durch, bis nahezu irreparabler Schaden an den Stimmbändern entsteht?
Ist dieser Sound eine einmalige Zufallsleistung eines Sängers – z.B. nach wochenlanger harter Arbeit, immer wieder neuen Versuchen im perfekt ausgestatteten und hochmodernen Tonstudio – ähnlich einem Guinnessbuch-Rekord? Oder ist es eine live reproduzierbare, professionelle Leistung?
Das Verkaufsprodukt CD erreicht in der heutigen Popular-Musik, aber auch bei Aufnahmen klassischer Musik, immer häufiger eine Perfektion, die sogar für die Interpreten selbst live unerreichbar zu sein scheint: Warum sonst sollten Sänger/innen bei Live-Auftritten ihre Stimme durch Geräte laufen lassen, die unsaubere Tongebung in Echtzeit korrigieren, bevor der Ton den Zuhörer erreicht?
Warum wird überhaupt immer weniger live gesungen?
Ich gebe zu, die kommerziellen Audio-CDs sind schon fantastisch: Man hört meistens noch nicht einmal mehr, dass der Sänger überhaupt atmet. Toll! Aber ist das wirklich das, was die Zuschauer und Fans möchten? Ich denke nicht. Es mag durchaus faszinierend sein, dass die Tontechnik Wunder vollbringen kann. Doch echter, ehrlicher Live-Gesang bleibt unschlagbar, weshalb begeisterte Musik-Fans häufig ein kleines Vermögen zahlen, um bei einem Live-Konzert Ihres größten Idols dabei zu sein. Der Mensch und seine tatsächliche künstlerische Leistung werden immer beeindruckender sein als die tollsten technischen Tricks.
Als Zuschauerin und Zuhörerin im Konzert von Michael Bublé habe ich mich immer wieder gefragt, wie er wohl ohne Tontechnik klingt. Als er dann für die letzten 30 Sekunden seines Auftritts das Mikrofon weglegte, tief einatmete und mit voller Kraft unverstärkt in die Olympiahalle hinein sang, war dies der beste Moment des Konzertes: Er kann wirklich singen: resonanzreich, sauber, kraftvoll, schön!
Wir benötigen für elektronisch verstärkte Musik eine verstärkte Stimme. Aber wenn die Technik die Stimme verändert oder mehr oder weniger ersetzt, ist ihr ursprünglicher Sinn, nämlich dass Tontechnik es möglich macht, mit Musik unendlich viele Menschen zu erreichen, verloren gegangen.
Wer also in diesem Buch nach schnell realisierbaren „Tipps und Tricks“ sucht, um beim nächsten TV-Casting zu glänzen, sollte den Kaufpreis lieber in Frisur, Kleidung oder eine Schönheitsoperation stecken.
Ich möchte Ihnen in diesem Buch mit wenigen, aber besonders präzisen Übungen erklären, wie Sie auf gesunde, aber durchaus anstrengende Art und Weise intensiv an Ihrem modernen Stimmklang arbeiten können:
Zum Singen benötigt man Luft, also arbeiten wir an der Atmung und Atemstütze.
Zum Singen benötigen wir Resonanzräume, also arbeiten wir daran, unsere naturgegebenen Möglichkeiten voll zu nutzen.
Zum Singen benötigen wir Gesundheit, Ausdauer, Geduld, Leidenschaft, Vernunft und eine unglaubliche Liebe zur Musik, die uns quasi wie eine Sucht dazu zwingt, immer weiter an uns zu arbeiten, Klangmöglichkeiten zu stabilisieren und abrufbar zu machen und neue zu entdecken, die unseren Interpretationen dienlich sind.
Zum Singen benötigen wir Übungen und Erklärungen, die uns weiterhelfen, ohne unserer Stimme zu schaden.
Die ersten Aspekte über Stimmsitz, Atmung und Stütze sind unerlässlich, um eine Basis für die darauffolgenden, eigentlichen Belt-Übungen zu schaffen. Aber dann geht es los:
Let’s belt out!
Christin Bonin
Das Wort Belting kommt aus der englischen Sprache, von „to belt out“ und bedeutet „ein Lied schmettern“. Dieser Ausdruck ist weitläufig bekannt, aber dennoch findet man zu dem deutschen Wort „schmettern“ im Duden vor allem Erklärungen, die sich auf das Schmetterlingsschwimmen im Schwimmsport beziehen, auf den Schmetterball im Tennis, Tischtennis oder Volleyball etc. In Bezug auf Stimme findet man diesen Begriff gelegentlich in der Beschreibung starker Stimmen oder intensiven gesanglichen Ausdrucks, jedoch ohne jede weitere Erklärung.
Belting ist ein Gesangsstil, der vor allem im Musical, in der Popmusik, im Soul und im Rock, generell in allen jazzverwandten musikalischen Genres eingesetzt wird. Es wird ein „schmetternder“ und „durchdringender“ Klang erreicht. Seinen Ursprung hat dieser Begriff im Vaudeville Theater, dem Vorläufer des Broadway Musicals. Darstellerinnen mit natürlich lauten Gesangsstimmen ohne eine klassische Gesangsausbildung schmetterten ihre Lieder in den Zuschauerraum.
Durch Belting wird auch ohne Mikrofonverstärkung eine laute Tongebung möglich, die nichts mit dem klassischen Opern- und Operettenklang zu tun hat. Im Broadway Musical war Ethel Merman die erste Sängerin, die als „Broadway Belt“ bezeichnet wurde. Sie war bis ins hohe Alter für ihre Stimmgewalt bekannt. Je mehr sich das Genre Musical von der Operette entfernte, desto mehr waren Darstellerinnen mit Belt-Stimme gefragt und sind heutzutage im modernen Musical und in der Popmusik nicht mehr wegzudenken.
Doch wie kann man den Klang einer Belt-Stimme beschreiben? Ich denke, wenn jemand einen Song schmettert, ist damit gemeint, dass er nicht nur stimmlich alles dafür tut, laut und kräftig zu klingen, sondern dass er darüber hinaus mit dieser musikalischen Klangproduktion, sei es mit oder ohne Text, ein Gefühl verbindet, das er dem Zuhörer mitteilen möchte.
Also zum Beispiel ein Schrei? Nein sicher nicht. Normale Schreie sind uns unangenehm. Ein Pop-Schrei, z.B. von Christina Aguilera, nicht.
Warum? Worin besteht der Unterschied?
Ein Schrei aus vollem Hals wird in der Regel unbeachtet jedweder Klangräume produziert, ein geschmetterter Ton hat eben diese jedoch benutzt und erscheint uns zwar mit voller Kraft erzeugt, aber dennoch als frei schwingender Ton.
Beim Belting wird das Brustregister intensiv genutzt, auch in höheren Tonlagen als im klassischen Gesang. Doch Achtung! Die Bruststimme wird nicht hochgezogen, wie so oft gesagt wird! Das ist eine gefährliche und stimmschädigende Fehlinterpretation der Belt-Technik. Im klassischen Gesang wird das Brustregister bei Frauenstimmen nur auf sehr weiche Art und Weise benutzt und nicht maximal ausgeschöpft. Bei Männerstimmen wird Belten nur in der Höhe interessant, also eher bei hohen Baritonen oder Tenören, da Männerstimmen ja von Natur aus tiefer klingen als Frauenstimmen. Dadurch wird ihr Brustregister sowieso wesentlich ausgiebiger genutzt als dies bei Frauenstimmen der Fall ist. Für meinen Geschmack klingt ein technisch gut produzierter, hoher Ton eines klassischen Tenors fast wie ein Belt-Ton. Isoliert man z.B. einen hohen Ton Pavarottis aus dem musikalischen Kontext, klingt das ganz schön fetzig!
Viele Menschen gehen dennoch davon aus, dass der klassische Stimmsitz nicht unbedingt erlernt werden muss. Ich habe das sogar schon in Büchern gelesen und wer mit klassischer Gesangstechnik überhaupt nichts am Hut hat, ist natürlich gerne bereit, dies zu glauben. Aber das ist nicht ganz korrekt, sondern genau das Gegenteil ist der Fall:
Ohne sauberen Stimmsitz und eine ordentlich durchgeführte Stimme über mindestens 2 Oktaven sollte man mit der Technik des Belting überhaupt nicht anfangen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass man klassischen Gesangsunterricht nehmen muss – sondern dass in gutem, modernem Gesangsunterricht die Arbeit an einem sauberen Stimmsitz, richtiger Atmung und Stütze nicht fehlen darf und zu Beginn der Ausbildung eine absolute Priorität haben muss.
Wer also eine fundierte Ausbildung über einen längeren Zeitraum nicht in Angriff nehmen möchte, sollte sich nur Songs aussuchen, die zufällig im „einfach so“ erreichbaren Stimmumfang liegen und sich damit zufriedengeben.
Für alle Lernwilligen wird es aber ab hier nun ernst.
Um korrekt belten zu können, brauche ich einen hervorragenden Stimmsitz.
Das bedeutet, dass ich in der Lage sein muss, meine oberen Resonanzräume, also Nasennebenhöhlen, Kiefer- und Stirnhöhlen und überhaupt alle noch so kleinen Löcher in unserem Schädel, optimal ausnutzen zu können.
Würde ich ohne korrekten Stimmsitz belten, würden allen geschmetterten Tönen die Obertonschwingungen fehlen und sich nach Geschrei anhören.
Doch was ist eigentlich ein Ton?
Physikalisch ist ein Ton eine reine Sinusschwingung, ein musikalischer Ton ist im Gegensatz dazu ein Klang, der aus mehreren Teiltönen, Obertönen und Nebentönen besteht und im Ohr des Zuhörers den Eindruck eines einzelnen Tones vermittelt. D.h. der physikalische Ton ist eine einzelne Frequenz, die als solche allein nicht wahrnehmbar ist.