Inhaltsverzeichnis
Für Gerda
wegen allem
Kleinigkeiten machen die Summe des Lebens aus.
Charles Dickens, David Copperfield
Was sich gegenübersteht, ist klar. Es sind Licht und Dunkelheit, und jeder muss wählen, auf welche Seite er sich schlägt.
G.K. Chesterton
Alle Menschen sind tragisch … Alle Menschen sind komisch … Jeder Mensch ist wichtig, wenn er sein Leben verliert; und jeder Mensch ist komisch, wenn er seinen Hut verliert.
G.K. Chesterton, Charles Dickens
Erster Teil
Penny Boom sagt: Lass gut sein
1
Das gehört zu den Erfahrungen, die ich gemacht habe: Selbst wenn man mir eine Waffe an den Kopf hält, kann ich mich noch vor Lachen ausschütten. Ich weiß nicht recht, was diese extreme Begabung, Heiterkeit zu demonstrieren, über mich aussagt. Das müsst ihr selbst entscheiden.
Ganze siebenundzwanzig Jahre lang – angefangen mit einer Nacht, als ich ein sechsjähriger Junge war – hat das Glück mich dauerhaft begleitet. Der Schutzengel, der über mich wachte, erfüllte seine Aufgabe mit Bravour.
Als Belohnung für sein ausgezeichnetes Behüten meines Lebens durfte mein Engel – nennen wir ihn Ralph – anschließend wohl in Urlaub gehen. Möglicherweise wurde er auch jemand anderem zugeteilt. Auf jeden Fall war er in meinem vierunddreißigsten Lebensjahr eine Weile nicht zur Stelle, denn da fand uns die Dunkelheit.
In den Tagen, in denen Ralph noch gewissenhaft seine Tätigkeit ausübte, lernte ich Penny Boom kennen und verliebte mich in sie. Ich war vierundzwanzig, sie ein Jahr jünger.
Vorher hatten Frauen, die so schön waren wie Penny, einfach durch mich hindurchgeguckt. Na gut, gelegentlich hatten sie mich doch angesehen, aber so, als würde ich sie an etwas erinnern, das sie mal in einem Buch über exotische Pilze entdeckt hatten. Im wirklichen Leben hatten sie einen solchen Anblick offenkundig nie erwartet – und ihn sich auch nicht gewünscht.
Außerdem war Penny eigentlich zu klug, zu geistreich und zu anmutig, um ihre Zeit mit einem Kerl wie mir zu vergeuden, weshalb ich nur annehmen kann, dass eine übernatürliche Kraft sie gezwungen hat, mich zu heiraten. Ich stelle mir vor, wie Ralph neben dem Bett kniet, in dem Penny schläft, und flüstert: »Das ist der Richtige für dich, das ist der Richtige für dich! Egal, wie absurd dir die Vorstellung gerade vorkommen mag – das ist wahrhaftig der Richtige für dich!«
Wir waren bereits über drei Jahre verheiratet, als sie Milo auf die Welt brachte, der das Glück hatte, mit den blauen Augen und dem schwarzen Haar seiner Mutter ausgestattet zu sein.
Eigentlich hätten wir unserem Sohn lieber den Namen Alexander gegeben. Pennys Mutter Clotilda – die laut ihrer Geburtsurkunde Nancy heißt – hatte uns jedoch gedroht, wenn wir ihn nicht Milo nennen würden, dann würde sie sich das Hirn aus dem Schädel pusten.
Pennys Vater Grimbald – dessen Eltern ihn Larry genannt hatten – weigerte sich standhaft, die Schweinerei nach einem solchen Selbstmord zu beseitigen, und auch Penny und ich hätten nicht den Mumm dazu gehabt. Deshalb wurde Alexander zu Milo.
Man hat mir gesagt, der Name von Pennys Familie gehe auf eine holländische Kaufmannsdynastie mit langer Tradition zurück. Wenn ich frage, womit diese Vorfahren denn so gehandelt hätten, runzelt Grimbald die Stirn und gibt ausweichende Antworten, während Clotilda einfach so tut, als wäre sie taub.
Mein Name lautet Cullen Greenwich, wobei letzterer im britischen Stil ohne das W in der Mitte ausgesprochen wird. Seit meiner Kindheit nennen die meisten Leute mich Cubby.
Als ich Penny kennenlernte, hat ihre Mutter anfangs versucht, mich mit Hildebrand anzureden, aber das habe ich erfolgreich abgewehrt.
Der schöne altdeutsche Name Hildebrand bedeutet »Feuerbrand« oder »Schlachtschwert«. Normalerweise liebt Clotilda kraftvolle Namen, nur im Falle unseres Sohnes war sie gegenteiliger Ansicht. Deshalb wollte sie sich ja umbringen, wenn wir ihn nicht Milo nannten, was »geliebt und sanft« bedeutet.
Dr. Jubal Frost, ein mit uns befreundeter Internist, der bei Milos Geburt zugegen war, behauptet steif und fest, unser Kind habe dabei überhaupt nicht geschrien, sondern sei lächelnd geboren worden. Es habe im Entbindungszimmer sogar leise eine Melodie gesummt, wenn auch mit Unterbrechungen.
Ich bin bei der Geburt zwar auch dabei gewesen, erinnere mich jedoch nicht an Milos musikalische Darbietung, weil ich in Ohnmacht fiel. Penny erinnert sich ebenfalls nicht mehr daran, weil sie zwar bei Bewusstsein war, aber von der Nachblutung abgelenkt wurde, wegen der ich umgekippt war.
Dennoch bezweifle ich das, was Jubal Frost berichtet, nicht im mindesten. Milo war immer für eine Überraschung gut. Nicht umsonst nennen wir ihn manchmal Marsmensch.
An seinem dritten Geburtstag zum Beispiel hat er erklärt: »Jetzt werden wir ein Hündchen retten!«
Penny und ich meinten, er würde etwas nachspielen, was er im Fernsehen gesehen hatte, aber da hatten wir uns getäuscht. Er kletterte auf einen Küchenstuhl, nahm den Autoschlüssel vom Haken und rannte in die Garage, als wollte er sich selbst ans Steuer setzen, um sich auf die Suche nach dem in Gefahr schwebenden Tier zu machen.
Wir nahmen ihm den Schlüssel ab, worauf er uns über eine Stunde lang auf den Fersen blieb und dabei ständig »Wir werden ein Hündchen retten!« intonierte. Um nicht den letzten Nerv zu verlieren, beschlossen wir, mit ihm zu einer Tierhandlung zu fahren, um seine Hundebegeisterung auf eine Wüstenspringmaus, eine Schildkröte oder beides zu lenken.
Auf der Fahrt erklärte er plötzlich: »Jetzt sind wir gleich beim Hündchen!« Kaum hundert Meter weiter deutete er auf ein Schild mit der Aufschrift TIERHEIM. Wir nahmen fälschlicherweise an, er sei darauf nicht durch das Wort, sondern durch den daneben gemalten Umriss eines Deutschen Schäferhundes aufmerksam geworden. »Da rein, Daddy!«
Ganze Scharen verlassener Hunde bevölkerten diverse Zwinger, aber Milo marschierte direkt zur Mitte des mittleren Gangs und sagte: »Der da!«
Es handelte sich um einen zweijährigen Australischen Schäferhundmischling, weiblich, laut Aufschrift am Zwinger zweiundzwanzig Kilo schwer, mit zottigem, schwarz-weißem Fell und verschiedenfarbigen Augen, eines blau, das andere grau. Einen Collie zählte die Hündin offenkundig nicht zu ihren Vorfahren, aber Milo taufte sie trotzdem Lassie.
Penny und ich verliebten uns sofort in sie. Springmaus und Schildkröte mussten daher weiterhin auf ein neues Heim warten.
In den folgenden drei Jahren hat das Tier nicht ein einziges Mal gebellt. Wir fragten uns schon, ob unsere Lassie wenigstens dann dem Vorbild des Originals folgen und Laut geben würde, wenn Milo in einen verlassenen Brunnen fiel oder in einer brennenden Scheune eingesperrt war – oder ob sie uns in einem solchen Fall pantomimisch über den Notfall informieren würde.
Bis Milo sechs und Lassie fünf waren, blieb unser Leben nicht nur ohne jede Katastrophe, sondern auch frei von größeren Unannehmlichkeiten. Das änderte sich erst mit der Veröffentlichung meines sechsten Romans, der den Titel One O’Clock Jump trug, nach dem Jazz-Standard von Count Basie.
Meine ersten fünf Bücher waren alle Bestseller gewesen. Danke, Engel Ralph!
Übrigens handelt es sich bei Penny Boom natürlich um die Penny Boom, die berühmte Autorin und Illustratorin von Kinderbüchern. Es sind spannende und zudem sehr lustige Bücher.
Pennys Sinn für Humor ist auch der Hauptgrund, weshalb ich mich in sie verliebt habe, mehr als ihre Schönheit, ihr wacher Verstand und ihr gutes Herz. Würde sie je ihren Humor einbüßen, so müsste ich sie verlassen. Und dann würde ich mich umbringen, weil ich ohne sie nicht leben könnte.
Der Name auf ihrer Geburtsurkunde lautet Brunhild, was in etwa »gerüstet für den Kampf« bedeutet. Im Alter von fünf Jahren hat sie durchgesetzt, von nun an Penny genannt zu werden.
Am Anfang von Weltkrieg Waxx, wie wir inzwischen sagen, lebten Penny, Milo, Lassie und ich im Süden Kaliforniens, in einem schönen, von eleganten Phönixpalmen umstandenen Natursteinhaus mit Gipsverzierungen. Meerblick hatten wir zwar keinen, aber den brauchten wir auch nicht, denn wir waren genug mit uns und unseren Büchern beschäftigt.
Weil wir allerhand Batman-Filme gesehen hatten, wussten wir, dass das Böse durch die Welt schlich, aber wir hätten nie erwartet, es könnte plötzlich absichtlich sein Auge auf unser glückliches Heim richten. Dass es durch ein von mir geschriebenes Buch angezogen wurde, hätten wir uns erst recht nicht vorgestellt.
Nachdem ich bei jedem meiner früheren Bücher eine Lesereise durch zwanzig Städte unternommen hatte, überredete ich den Verlag, mir diese Strapaze bei One O’Clock Jump zu ersparen.
Deshalb stand ich am Erscheinungstag, einem Dienstag Anfang November, um drei Uhr morgens auf, um mir eine Kanne Kaffee aufzubrühen und mich damit in mein Arbeitszimmer zurückzuziehen. Unrasiert und im Schlafanzug führte ich dort von vier bis halb zehn Uhr vormittags telefonisch eine Reihe von dreißig Radiointerviews, angefangen mit den Morgensendungen an der Ostküste.
Egal, ob es sich um Talkshows oder Musiksendungen handelt, Radiomoderatoren führen meist bessere Interviews als ihre Kollegen vom Fernsehen. Die haben normalerweise keine Ahnung von dem Buch, um das es geht, aber acht von zehn Radiomoderatoren haben es gelesen.
Außerdem sind die Typen im Radio intelligenter und lustiger, und dazu oft rücksichtsvoll und bescheiden. Warum das so ist, weiß ich nicht, aber vielleicht liegt es daran, dass man ständig auf der Straße angesprochen wird, wenn man sich regelmäßig im Fernsehen präsentiert. Das könnte eingebildet, wenn nicht gar arrogant machen.
Nach fünf Stunden im Radio hatte ich das Gefühl, kotzen zu müssen, wenn ich mich noch ein einziges Mal die Worte One O’Clock Jump sagen hörte. Wenn ich so viel Werbung für jedes neue Buch machen musste, dann würde ich irgendwann womöglich dazu übergehen, weiterhin welche zu schreiben, aber ihre Veröffentlichung erst nach meinem Tod zu erlauben.
Wenn man nie im Blickpunkt der Öffentlichkeit gestanden hat, um seine Arbeit wie ein Marktschreier an den Mann zu bringen, dann hält man eine solche Idee wahrscheinlich für ein wenig übertrieben. Aber ausgiebige Selbstvermarktung zehrt so an der Psyche, dass man nach einem solchen Medienmarathon Wochen braucht, um sich zu erholen und wieder erfreut in den Spiegel zu blicken.
Bücher zu schreiben, ohne sie zu publizieren, wäre allerdings nicht ungefährlich gewesen. Hätte Hudson »Hud« Jacklight, mein Agent, keine Aufträge mehr bekommen, so hätte er höchstens bis zur Vollendung von drei unveröffentlichten Werken gewartet, bevor er mich umbringen ließ, um die Manuskripte vermarkten zu können.
Und wenn ich Hud so gut kannte, wie ich ihn zu kennen glaubte, dann hätte er den Killer nicht mit einem sauberen Schuss in den Hinterkopf beauftragt. Er hätte mich so spektakulär foltern und verstümmeln lassen, dass einer seiner Sachbuchautoren einen Bestseller über meinen Mord hätte schreiben können.
Hätte kein Verlag einen angemessen hohen Vorschuss für ein Buch über den ungelösten Mord an mir gezahlt, dann hätte Hud die Tat irgendjemandem in die Schuhe geschoben. Wahrscheinlich Penny, Milo und Lassie.
Jedenfalls erhob ich mich nach dem dreißigsten Interview voller Selbstekel von meinem Bürostuhl, um in die Küche zu trotten. Ich hatte vor, ein derart ungesundes Frühstück in mich hineinzuschaufeln, dass die Schuldgefühle wegen der darin enthaltenen Cholesterinmenge mich von meinen finsteren Gedanken ablenkten.
Netterweise hatte Penny mit ihrem Frühstück gewartet, damit sie mir Gesellschaft leisten und dabei all den unglaublich geistreichen Dingen lauschen konnte, die ich bei diesen dreißig Interviews liebend gern gesagt hätte, aber nicht über die Lippen gebracht hatte. In scharfem Kontrast zu meinem zerzausten Haar, meinem unrasierten Gesicht und meinem übel zerknitterten Pyjama trug sie eine frisch gebügelte weiße Bluse und zitronengelbe Slacks, und wie üblich leuchtete ihre Haut, als wäre sie durchsichtig und von innen her angestrahlt.
Als ich durch die Tür trat, servierte sie gerade Blaubeerpfannkuchen. »Du siehst zum Anbeißen aus«, sagte ich. »Man könnte dich glatt mit Ahornsirup begießen und lebendig auffressen.«
»Kannibalismus«, sagte Milo warnend, »ist ein Verbrechen.«
»Nicht überall auf der Welt«, gab ich zurück. »An manchen Orten ist so etwas gang und gäbe.«
»Es ist ein Verbrechen!« Er ließ sich partout nicht davon abbringen.
Zwischen seinem fünften und sechsten Geburtstag war Milo auf die Idee gekommen, später zur Polizei zu gehen. Zu viele Leute seien gesetzlos, meinte er, und die Welt würde von Verbrechern beherrscht. Wenn er einmal groß war, wollte er etwas dagegen unternehmen.
Viele Kinder wollen Polizist werden. Milo allerdings wollte nicht nur Direktor des FBI, sondern auch Verteidigungsminister werden, damit er die Macht hatte, Übeltätern im Inwie im Ausland das Handwerk zu legen.
Nun, kurz vor Ausbruch von Weltkrieg Waxx, hockte Milo auf einem hohen Küchenstuhl. Unter seinem Hintern lag ein dickes Schaumstoffkissen, weil er für sein Alter winzig war. Auf seinem weißen T-Shirt stand in blauen Blockbuchstaben COURAGE.
Später sollte uns das Wort auf seiner Brust wie ein Omen vorkommen …
Da mein Sohn sein Frühstück schon lange beendet hatte, saß er vor einem Glas Schokomilch und las ein Comicbuch. Er konnte Bücher jeder Sorte lesen und war an anderen Themen interessiert als andere Sechsjährige.
»Was ist denn das für ein Mist?«, fragte ich und griff nach dem Comic.
»Dostojewski«, antwortete er.
Stirnrunzelnd betrachtete ich die Titelillustration. »Wie kann man Schuld und Sühne bloß zu einem Comicbuch komprimieren?«
»Es handelt sich um eine Kassette mit sechsunddreißig Doppelbänden«, sagte Penny. »Momentan ist er bei Nummer sieben.«
Ich gab Milo das Buch zurück. »Vielleicht sollte ich lieber fragen, weshalb man aus Schuld und Sühne einen Comic machen sollte.«
»Raskolnikow«, erklärte Milo mir ernst und tippte mit dem Finger auf eine Seite des illustrierten Klassikers, »ist ein total verwirrter Typ.«
»Das kann ich gut verstehen«, sagte ich.
Ich setzte mich an den Tisch, griff nach der Flasche Flüssigbutter und übergoss damit ausgiebig meine Pfannkuchen.
»Du schämst dich wohl wegen der ganzen Eigenwerbung und versuchst, das unter einer Cholesterinorgie zu begraben?«, wollte Penny wissen.
»Genau.«
Von der anderen Seite des Tischs aus sah Lassie zu, wie ich meine Pfannkuchen butterte. Direkt am Tisch durfte sie nicht sitzen, aber da sie sich weigerte, ständig auf Hundehöhe zu leben, hatten wir ihr in gebührender Entfernung einen Stuhl hingestellt, damit sie uns beim Essen beobachten und sich als echtes Familienmitglied fühlen konnte.
Für einen so süßen Hund war sie oft erstaunlich schwer durchschaubar. Sie hatte ein Pokerface, und sie sabberte praktisch nie. Offenbar war sie weniger vom Thema Futter besessen als die meisten anderen Hunde.
Stattdessen legte sie den Kopf schief und studierte mich wie eine Anthropologin, die das Mitglied eines primitiven Stammes bei einem unergründlichen Ritual beobachtete.
Vielleicht staunte sie darüber, dass ich in der Lage war, mit einem so komplizierten Werkzeug wie einer Plastikflasche mit Klappdüse umzugehen. Ich bin nämlich bekannt dafür, in technischen Dingen zwei linke Hände zu haben.
Zum Beispiel ist es mir nicht mehr gestattet, einen platten Reifen zu wechseln. Wenn ich eine Panne habe, dann muss ich den Automobilclub anrufen und genügend Abstand von dem Mechaniker halten, den man mir schickt.
Wieso das so ist, will ich nicht erklären, weil es sich um keine besonders interessante Geschichte handelt. Sobald ich zu der Stelle mit dem Affen in Marschkapellenuniform käme, könntet ihr meinen, ich würde euch etwas vorflunkern, obwohl mein Versicherungsmakler durchaus in der Lage wäre, die Wahrheit jeder Einzelheit zu bestätigen.
Der liebe Gott hat mir ein Talent zum Geschichtenerzählen geschenkt. Offenbar war er nicht der Ansicht, ich bräuchte darüber hinaus auch noch genügend Geschick, um ein Düsentriebwerk zu reparieren oder einen Atomreaktor zusammenzubasteln. Wie könnte ich den lieben Gott wohl deshalb kritisieren? Allerdings wäre es nett, wenigstens ein einziges Mal einen Hammer oder Schraubenzieher verwenden zu können, ohne anschließend in der Notaufnahme des Krankenhauses zu landen.
Gerade als ich den ersten Bissen meines buttergetränkten Pfannkuchens zum Mund hob, läutete das Telefon.
»Dritte Leitung«, sagte Penny.
Das war meine Geschäftsnummer, die ich nur Lektoren, Verlegern, Agenten und Anwälten verriet.
Ich ließ die volle Gabel sinken, stand auf und schnappte beim vierten Läuten den Hörer von der Wand, noch bevor sich der Anrufbeantworter einschaltete.
Es war Olivia Cosima, meine Lektorin. »Cubby, du bist ein Goldstück«, sagte sie. »Von der Werbeabteilung habe ich gerade gehört, dass die Radiointerviews einfach Spitze waren.«
»Wenn das heißen soll, dass ich mich nicht ganz so oft blamiert habe, wie ich dachte, dann waren die Interviews tatsächlich Spitze.«
»Ab und zu blamiert sich jeder Schriftsteller, mein Lieber. Das Besondere an dir ist, dass du dich noch nie bis auf die Knochen blamiert hast.«
»Ich arbeite daran.«
»Hör mal, Cubby, ich habe dir gerade drei wichtige Rezensionen gemailt, die heute früh erschienen sind. Lies bitte zuerst die von Shearman Waxx.«
Ich hielt den Atem an. Waxx schrieb für das Feuilleton der bedeutendsten Zeitung des Landes. Er war gefürchtet und wurde deshalb regelrecht verehrt. Bisher hatte er keinen meiner Romane rezensiert.
Weil ich die Zeitung, für die er schrieb, nicht abonnierte, hatte ich nie etwas von ihm gelesen. Dennoch wusste ich, dass es sich um den derzeit einflussreichsten Literaturkritiker handelte.
»Wieso?«, fragte ich.
»Lies es doch erst mal, dann können wir darüber reden«, sagte Olivia.
»O je.«
»Er ist ein Fan von langweiligem Minimalismus, Cubby. Die Eigenschaften, die ihm an deinem Buch missfallen, sind genau das, wonach deine Leser gieren. Also handelt es sich eigentlich um eine verkaufsfördernde Rezension.«
»O je.«
»Ruf mich an, sobald du es gelesen hat. Samt den anderen zwei Rezensionen, die beide großartig sind. Die bilden ein ideales Gegengewicht zu Waxx.«
Als ich aufgelegt hatte und mich umdrehte, saß Penny am Tisch und hielt Messer und Gabel so in den Händen, als handelte es sich nicht um Esswerkzeuge, sondern um Waffen. Nachdem sie meinen Teil des Gesprächs mit meiner Lektorin mitbekommen hatte, nahm sie offenbar eine Bedrohung für ihre Familie wahr und war so gut zum Kampf gerüstet wie die Brunhild, die sie einmal gewesen war.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Shearman Waxx hat mein Buch rezensiert.«
»Ist das alles?«
»Es hat ihm nicht gefallen.«
»Na und? Der sondert doch ständig irgendwelchen Blödsinn ab, dieser Schleim…« Sie stockte, warf einen Blick auf Milo und bog den erzieherisch fragwürdigen Ausdruck zu einem Fantasiewort ab: »…schlinger.«
»Was ist denn ein Schleimschlinger?«, erkundigte sich Milo unverzüglich.
»Eine Art Wiesel«, sagte ich, wohl wissend, dass das intellektuelle Genie meines Sohnes sich nicht auf die Biologie erstreckte.
»Ich fand das Buch toll«, sagte Penny, »und ich bin die ehrlichste Kritikerin, die es geben kann.«
»Mag sein, aber ein paar Hunderttausend Leute lesen seine Rezensionen.«
»Die liest doch niemand außer irgendwelchen moralinsauren Typen, die sich daran freuen, wenn jemand Gift verspritzt.«
»Wozu macht es das denn?«, fragte Milo.
Ich sah ihn entgeistert an. »Wer? Was?«
»Das Wiesel. Wozu schlingt es Schleim?«
»Um seine Beute auszutricksen.«
»Tu dir einen Gefallen«, riet mir Penny. »Verzichte auf die Rezension.«
»Wenn ich sie nicht lese, weiß ich nicht, was er geschrieben hat.«
»Eben.«
»Was für eine Beute?«, wollte Milo wissen.
»Mäuse natürlich.«
»Hat irgendeine Rezension, egal ob gut oder schlecht, je deinen Schreibstil beeinflusst?«, fragte Penny.
»Natürlich nicht. Schließlich habe ich ein Rückgrat.«
»Also bringt es nichts, das Zeug zu lesen.«
»Und wie trickst es sie aus?«, bohrte Milo weiter.
»Ganz einfach. Es schlingt Schleim um die Grashalme vor seinem Bau, und wenn die Mäuse sich darin verfangen, kann es sie problemlos schnappen.«
»Ehrlich?«
»Ja, klar. Das haben sie erst neulich im Fernsehen gezeigt.« Lassie behielt ihr Pokerface, aber man sah ihr an, dass mein Vortrag über das Jagdverhalten des Schleimschlingers sie nicht überzeugt hatte.
Milo hatte er auch nicht überzeugt. »Mom, jetzt macht Dad es wieder«, sagte er. »Er lügt!«
»Ach, der lügt doch nicht«, versicherte Penny ihm. »Er stellt nur die lebhafte, geschmeidige Fantasie eines guten Romanschriftstellers zur Schau.«
»Wirklich? Und was ist der Unterschied zum Lügen?«
Lassie beugte sich vor und legte den Kopf schief, als wäre sie neugierig, was Penny zu erwidern hatte.
»Lügen schadet anderen Leuten«, erklärte Penny. »Fantasie macht das Leben angenehmer.«
»Wie jetzt zum Beispiel«, sagte ich. »Gerade stelle ich mir nämlich vor, wie Shearman Waxx von einem tollwütigen Schleimschlinger angefallen und getötet wird.«
»Lass einfach gut sein«, riet Penny.
»Ich habe Olivia versprochen, ich rufe sie zurück, sobald ich die Rezension gelesen habe.«
»Lies sie nicht!«
»Und was ist mit meinem Versprechen?«
Den Mund voll Pfannkuchen, schüttelte Penny betrübt den Kopf.
»Ich bin groß und tapfer«, sagte ich. »So was kann mir nichts anhaben. Ich muss es lesen, aber mach dir keine Sorgen – ich werde einfach darüber lachen.«
Damit kehrte ich in mein Arbeitszimmer zurück und schaltete den Computer an.
Statt Olivias E-Mail am Bildschirm zu lesen, druckte ich ihren Kommentar und die drei Rezensionen aus.
Zuerst las ich die aus USA Today und dann die aus der Washington Post. Beide waren glänzend, was mir Mut machte.
Mit professioneller Distanz machte ich mich schließlich an die Kritik von Shearman Waxx.
Dieser miese Schleimscheißer!
2
In New York hatte meine Lektorin Olivia Cosima ihre Mittagspause aufgeschoben, bis ich sie anrief.
Ich hatte die bloßen Füße auf den Tisch gelegt und saß zusammengesackt auf meinem Bürostuhl, den Telefonhörer in der Hand. »Olivia«, sagte ich, »dieser Waxx kapiert einfach nicht, dass mein Buch teilweise humoristische Züge hat.«
»Nein, mein Lieber, das kapiert er nicht. Und du solltest dankbar dafür sein, denn wenn er es kapiert hätte, dann hätte er behauptet, dein Humor würde nicht funktionieren.«
»Er hält einen Ausdruck wie ›prekäre Prosa‹ für geistreich.«
»Das hat er auf der Universität gelernt. Dort hält man Stilmittel, wie du sie benutzt, für bedrückend.«
»Bedrückend? Wen bedrücken sie denn?«
»Die Leute, die sie nicht kapieren.«
»Was – soll ich etwa so schreiben, wie es diesem Hohlkopf gefällt?«
»So würde er es nicht formulieren, mein Lieber.«
Ich starrte auf meine Zehen und kam zu dem Schluss, dass sie hässlich waren. Was immer Penny dazu gebracht hatte, mich zu heiraten, meine Füße waren es bestimmt nicht gewesen.
»Aber Olivia, diese Rezension ist voller Fehler, was die Figuren und die Handlung angeht! Elf Stück habe ich gezählt. Die weibliche Hauptfigur bezeichnet er als Joyce, obwohl sie Judith heißt«
»Das haben wir leider selber verbockt, mein Lieber.«
»Verbockt?«
»In dem Brief, der jedem Rezensionsexemplar beilag, war fälschlich von Joyce die Rede.«
»Den Brief habe ich selbst durchgelesen. Und abgesegnet.«
»Eben, mein Lieber. Ich auch. Wahrscheinlich haben sechs von uns ihn durchgelesen und abgesegnet, ohne dass uns die Sache mit Joyce aufgefallen wäre. So was passiert eben.«
Ich kam mir dämlich vor. Erniedrigt. Unprofessionell.
Da kam mir plötzlich ein Gedanke. »Moment mal!«, sagte ich. »Er hat doch das Buch rezensiert, nicht den Begleitbrief. Im Buch heißt es eindeutig Judith.«
»Kennst du den britischen Autor J. G. Ballard?«
»Ja, natürlich. Den schätze ich sehr.«
»Der hat eine Weile auch Bücher rezensiert, für die Londoner Times, glaube ich. Als er diesen Job längst aufgegeben hatte, hat er verraten, wenn er keine Zeit gehabt hätte, ein Buch zu lesen, habe er es immer gut besprochen. Schade, dass nicht jedermann so fair ist.«
Ich schwieg einen Moment und dachte nach. »Willst du damit etwa sagen, Shearman Waxx hat One O’Clock Jump womöglich gar nicht gelesen?«, fragte ich dann.
»Manchmal bist du so naiv, dass ich dir in deine knuffigen rosa Wangen kneifen möchte«, sagte Olivia. »Aber davon einmal abgesehen, hat er bestimmt manche Teile übersprungen. Vielleicht hat auch ein Assistent das ganze Ding für ihn gelesen.«
»Aber das ist … das ist … unehrlich!«
»Du hattest rasch Erfolg, Cubby, weil schon dein erstes Buch ein Bestseller war. Deshalb ist dir offenbar nicht klar, dass es in der Literaturszene zwar durchaus ein paar hübsche, kleine Inseln gibt, aber die schwimmen in einer riesigen Jauchegrube.«
Meine Fußrücken waren genauso hässlich wie meine Zehen. Ich nahm die Füße vom Tisch, um sie unter dem Stuhl zu verbergen. »Sein Satzbau ist gar nicht gut«, sagte ich dabei.
»Stimmt«, meinte Olivia. »Ich nehme mir oft einen Rotstift, um seine Rezensionen zu korrigieren.«
»Hast du ihm das Ergebnis denn schon einmal geschickt?«
»Ich bin doch nicht wahnsinnig, Schätzelchen.«
»Anonym, meine ich.«
»Selbst das wäre mir zu gefährlich.«
»Wie kann man den bloß für den größten Kritiker des Landes halten?«
»In der Literaturszene ist er respektiert.«
»Wieso eigentlich?«
»Weil er brutal ist, mein Lieber. Man fürchtet ihn.«
»Furcht ist nicht dasselbe wie Respekt.«
»In unserer Branche manchmal schon.«
»Olivia, was soll ich bloß tun?«
»Tun? Gar nichts. Bisher wurden deine Bücher zu neunzig Prozent positiv besprochen, und das wird jetzt auch so sein. Das Buch ist gut. Es wird sich verkaufen.«
»Aber diese Ungerechtigkeit wurmt mich!«
»Das Wort Ungerechtigkeit finde ich ein wenig übertrieben. Man hat dich ja nicht in ein Arbeitslager gesteckt.«
»Frustrierend ist es aber schon.«
»Du überlegst dir, ihm zu antworten, nicht wahr?«, sagte sie nach kurzem Schweigen. »Das wäre ein schrecklicher Fehler, Cubby.«
»Ich weiß.«
»Dann würdest du dich bloß als überempfindlicher Nörgler präsentieren.«
»Er hat einfach so viele Fehler gemacht! Und sein Satzbau ist so schlecht. Ich würde ihm am liebsten den Bauch aufschlitzen!«
»Das würde ich lieber nicht tun. Im Bauch hat er nämlich keine normalen Eingeweide, sondern bloß einen riesigen Mastdarm. Wenn man ihn aufschlitzt, kommt einem das ganze Zeug darin entgegen.«
Als ich in die Küche zurückkehrte, waren Milo und Lassie nicht mehr da, und Penny hatte zu Ende gefrühstückt. Sie stand am Wasserhahn, um ihren Teller zu säubern, bevor sie ihn in die Spülmaschine stellte.
Inzwischen waren meine Pfannkuchen natürlich kalt und glänzten von geronnener Flüssigbutter, die mindestens so unappetitlich aussah wie die Absonderungen eines Schleimschlingers. Da ich ohnehin keinen Hunger mehr hatte, beschloss ich, aufs Frühstück zu verzichten.
Penny griff nach einem Handtuch, um sich die Hände abzutrocknen, und drehte sich nach mir um. »Na, hast du die Rezension gelesen?«, fragte sie.
»Ich schon. Aber er hat mein Buch nicht gelesen. Offenbar hat er es bloß überflogen, weil er derart viel missverstanden hat.«
»Was meint Olivia dazu?«
»Sie sagt, er ist ein wandelnder Mastdarm.«
»Du hättest diesen Mist gar nicht so an dich rankommen lassen dürfen. Aber da es jetzt schon passiert ist, musst du ihn von dir runterspülen.«
»Das tue ich.«
Sie nahm mich in die Arme. »Du bist ein toller, sehr begabter Mann, und ich liebe dich.«
Ich drückte sie an mich. »Schau bloß nicht auf meine Füße«, sagte ich.
»Was ist an denen denn verkehrt?«
»Alles. Eigentlich sollte ich nie barfuß gehen. Wie wär’s, wenn wir zum Essen ins Roxie’s fahren, um das neue Buch zu feiern?«
»So gefällst du mir schon besser. Du hast eine Weile richtig neben dir gestanden, aber das ist jetzt vorbei.«
»Hoffentlich.«
»Lass einfach gut sein. Denk dran, was Chesterton einmal gesagt hat.«
Sie war ein großer Fan des verstorbenen englischen Schriftstellers G.K. Chesterton, was sich auf mich übertragen hatte.
»Nichts«, zitierte sie, »kann einem schaden, wenn man es nicht fürchtet. Und es gibt keinerlei Grund, eine Ratte wie Shearman Waxx zu fürchten.«
»Wenn ich mich rasiert, mir die Zähne geputzt und keinen sauren Kaffeegeschmack im Mund hätte, würde ich dich leidenschaftlich küssen.«
Penny griff mit Daumen und Zeigefinger nach meiner Unterlippe und zog sie zu einem Schmollmund zurecht. »Wenn du dich wieder in Form gebracht hast, bin ich ja immer noch da.«
Auf dem Weg zur Treppe kam ich an der offenen Tür meines Arbeitszimmers vorbei. Inzwischen hockten Milo und Lassie gemeinsam auf meinem Bürostuhl, erhöht durch ein Sofakissen. Hätte Norman Rockwell noch gelebt, wäre das ein ideales Motiv für ihn gewesen: ein Junge und sein Hund beim Surfen im Internet.
Als ich hinter den Stuhl trat, sah ich auf dem Bildschirm die Luftaufnahme eines am Meer stehenden Hauses mit rötlichem Ziegeldach.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Google Earth«, sagte Milo. »Ich habe gegoogelt, wo der Typ wohnt.«
»Welcher Typ?«
»Dieser Waxx natürlich.«
Als ichsechs Jahre alt war, beschränkten meine technischen Fertigkeiten sich darauf, meinem Freund Ned Lufferman beim Bau einer Rakete zu helfen. Das Ding bestand aus einer Blechdose und sollte von Kanonenschlägen angetrieben werden, die Ned seinem großen Bruder geklaut hatte. Ned verlor den kleinen Finger seiner linken Hand, während ich mit einer Verbrennung zweiten Grades an der Nase ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Anfangs hatte man zudem Bedenken, meine Augenbrauen würden nicht nachwachsen, aber das taten sie glücklicherweise doch.
Milo klickte auf die Maus, worauf anstelle des Luftbilds eine Straßenansicht der Villa erschien.
Mit ihren cremefarbenen Wänden und den Fensterumrahmungen aus Terracottafliesen wirkte die im mediterranen Stil erbaute Villa ebenso hübsch wie romantisch. Der Vorgarten wurde von zwei hohen Magnolien beschattet, und die Mauern zu den Nachbargrundstücken waren dicht mit roter Bougainvillea bewachsen.
»Ich dachte, er wohnt in New York«, sagte ich.
»Nein«, erklärte Milo, »in Laguna Beach.«
Wenn es nicht gerade einen Verkehrsstau gab, war Laguna Beach nur zwanzig Minuten von uns entfernt.
Im heutigen E-Mail-Zeitalter konnte Waxx so weit von seiner Zeitung entfernt wohnen wie ich von meinem Verlag und doch seine wöchentlichen Abgabefristen einhalten. Dass er in der Nachbarschaft wohnte, war zwar überraschend, aber bestimmt bloß ein Zufall.
Dennoch meldete sich entweder meine Intuition oder meine Fantasie, denn mich durchfuhr eiskalt die Vorahnung, die räumliche Nähe des Kritikers könnte mehr Bedeutung haben, als es den Anschein hatte.
»Hast du etwa die Rezension gelesen?«, fragte ich Milo.
»Nein. Mom hat doch gesagt, du sollst es gut sein lassen. Bei so Sachen weiß sie Bescheid.«
»Bei was für Sachen?«
»Bei den meisten.«
»Wenn du das Ding nicht gelesen hast, wieso hast du dann nach ihm gegoogelt?«
»Das war Lassies Idee.«
Die Hündin drehte den Kopf und sah mich an.
»Shearman Waxx ist extrem zurückgeblieben«, teilte Milo mir mit.
Ich kraulte Lassie sanft hinter den Ohren. »Das mag schon stimmen, aber es ist trotzdem nicht nett, so etwas über andere Leute zu sagen.«
»Das hab nicht ich erfunden!«
Milos kleine Hand bewegte sich flink von der Maus zur Tastatur und wieder zurück zur Maus. Damit verließ er die bisherige Website, um eine Online-Enzyklopädie aufzurufen. Dort gab es eine Biografie von Shearman Waxx.
Ich beugte mich über den Kopf meines Sohnes und las den ersten Satz auf dem Bildschirm vor: »Shearman Thorndike Waxx, preisgekrönter Kritiker und Autor von drei äußerst erfolgreichen College-Lehrbüchern über kreatives Schreiben, lebt extrem zurückgeblieben.«
»Siehst du?«, sagte Milo.
»Das ist ein Irrtum«, erklärte ich. »Es müsste eigentlich zurückgezogen heißen.«
»Ach so. Laaangweilig!«
Ich las weiter: »Waxx lehnt alle Ehrendoktorwürden und anderen Auszeichnungen ab, die seine Anwesenheit bei einer öffentlichen Zeremonie erfordern würden. Selbst analen Interviews verweigert er sich kategorisch.«
»Was ist ein anales Interview?«, erkundigte sich Milo.
»Das ist ein Tippfehler. Das soll bestimmt banal heißen.« Ich überflog den restlichen Text. »Offenbar gibt es nur ein einziges bekanntes Foto von Waxx.«
»Der ist sehr, sehr alt«, sagte Milo.
»Tatsächlich? Wie alt denn?«
»Er wurde 1868 geboren.«
»Wahrscheinlich soll das 1968 heißen.«
»Machen richtige Lexiköner auch so viele Fehler?«
»Nein.«
»Können wir dann ein richtiges Lexikon kaufen?«
»Aber gern.«
»Und wann holen wir uns Waxx?«, fragte Milo.
»Was soll das heißen?«
»Rache«, sagte Milo, während Lassie leise knurrte. »Wann werden wir ihn dafür büßen lassen, dass er dich beleidigt hat, Dad?«
Bestürzt darüber, dass Milo meinen Zorn so deutlich spüren konnte und davon zu Rachegelüsten angeregt wurde, trat ich neben ihn, griff zur Maus und klickte die Enzyklopädie weg.
»Rache ist keine gute Sache, Milo.« Ich schaltete den Computer aus. »Außerdem tut Mr Waxx nur, wofür er bezahlt wird.«
»Wofür wird er denn bezahlt?«
»Dafür, Bücher zu lesen und seinem Publikum zu sagen, ob es ihm gefallen hat oder nicht.«
»Kann sein Publikum denn nicht selber lesen?«
»Doch, aber es hat viel zu tun, und weil so viele Bücher gedruckt werden, aus denen man auswählen kann, vertraut man seinem Urteil.«
»Wieso vertraut man dem?«
»Das wüsste ich selber gern.«
Das Telefon auf meinem Schreibtisch läutete. Die dritte Leitung.
Als ich abhob, hörte ich die Stimme von Hud Jacklight, meinem Literaturagenten. »Die Rezension von Waxx«, sagte er ohne irgendwelches Vorgeplänkel. »Eine tolle Sache. Du hast es geschafft, Cubster!«
»Wieso habe ich es geschafft? Hud, er hat das Buch verrissen!«
Milo verdrehte die Augen. »Das ist der Quakerich«, flüsterte er Lassie zu.
Weil Hud keine Ahnung von Kindern hatte, meinte er, die wären begeistert, wenn er ihnen in die Nase, die Ohren oder das Kinn kniff und dabei ein lautes, quakendes Geräusch von sich gab.
»Völlig schnuppe«, sagte er. »Ist schließlich eine Rezension von Waxx. Du hast es geschafft. Er nimmt dich ernst. Das ist fantastisch!«
Lassie brach ihr charakteristisches Schweigen und stieß ein leises Knurren aus, während sie auf das Telefon in meiner Hand blickte.
»Hud«, sagte ich, »offenbar hat er das Buch nicht einmal gelesen.«
»Irrelevant. Es ist Publicity, und die wirkt verkaufsfördernd. Jetzt bist du ein Waxx-Autor. Darauf kommt es an. Ein Waxx-Autor! Was Besseres gibt es nicht.«
Hud gab zwar vor, meine Romane alle gelesen zu haben, aber mir war völlig klar, dass er keinen davon kannte. Er rühmte sie nämlich, ohne in irgendeiner Weise auf die Handlung oder eine bestimmte Figur einzugehen.
Manchmal wählte er nach dem Zufallsprinzip eine Manuskriptseite aus und schwärmte über die Eleganz eines Satzes oder Abschnitts. Den las er mir dann laut am Telefon vor, als würde meine Prosa frisch und brillant klingen, wenn er sie mit seiner penetranten Intonation vortrug, aber seine Stimme erinnerte leider weniger an die eines Theaterschauspielers als an die eines Viehauktionators. Indem er die falschen Wörter betonte, verriet er oft ungewollt, dass er die Passage, mit der er mich bombardierte, überhaupt nicht verstanden hatte.
»Ein Waxx-Autor. Ich bin stolz auf dich, Cubman. Heute Abend musst du feiern! Das hast du dir verdient.«
»Es gibt nichts zu feiern, Hud.«
»Lass dir eine gute Flasche Wein servieren. Auf meine Kosten. Behalte die Rechnung. Ich gebe dir das Geld dann wieder.«
»Selbst Lassie meint, diese Rezension verdient eher Rache als eine Feier.«
»Eine Flasche für hundert Dollar. Oder für achtzig. Ach, eigentlich gibt es auch für sechzig einen guten Tropfen. Moment mal. Hast du was von Rache gesagt?«
»Milo hat das gesagt, und Lassie hat ihm zugestimmt. Worauf ich den beiden erklärt habe, das sei keine gute Idee.«
»Reagiere bloß nicht auf Waxx.«
»Tu ich schon nicht.«
»Reagiere nicht, Cubman!«
»Bestimmt nicht. Habe ich doch schon gesagt.«
»Das wäre schlecht. Ganz schlecht.«
»Ich habe es schon weggesteckt.«
Milo hatte den Computer wieder eingeschaltet und auf Google Earth die Luftaufnahme mit dem Haus des Kritikers aufgerufen.
Lassie hatte sich auf dem Bürostuhl vorgebeugt und schnüffelte, als könnte sie selbst übers Internet den infernalischen Gestank von Waxx wahrnehmen.
»Denk positiv«, ermunterte mich Hud Jacklight. »Du bist jetzt ein Waxx-Autor. Du bist echt literarisch.«
»Bin ganz beeindruckt von mir selbst.«
»Eine tolle Publicity ist das. Ein Waxx-Autor für immer!«
»Für immer?«
»Von nun an wird er jedes deiner Bücher rezensieren. Du bist ihm ins Auge gefallen. Er interessiert sich für dich.«
»Für immer ist eine lange Zeit.«
»Andere Autoren würden dafür ihre Seele verkaufen. Um anerkannt zu sein. Auf höchstem Niveau.«
»Das würde ich nicht tun«, versicherte ich Hud.
»Weil du es schon geschafft hast. Was für ein Tag! Ein Waxx-Autor. Mein Klient. Das ist fantastisch. Besser als Multivitaminsaft.«
Das mit dem Multivitaminsaft war kein Witz, denn Hud Jacklight war ganz versessen auf das Zeug. Außerdem hatte er keinerlei Sinn für Humor.
Aber obwohl er ebenso humor- wie skrupellos und kein großer Leser war, hatte sich Hud seit zwei Jahrzehnten als erfolgreichster Literaturagent des Landes behauptet. Allerdings sagte das weniger über ihn aus als über die Verlagslandschaft.
»Ein Waxx-Autor«, tönte er schon wieder. »Unglaublich! Sensationell! Men-schens-kind!«
»Es ist zwar November«, sagte ich mit munterer Stimme, »aber allmählich bekomme ich Frühlingsgefühle.«
Bevor Penny und ich am Abend zu Roxie’s Bistro aufbrachen, hatte ich Anrufe von meinem Verleger, dem Verleger meiner Hörbücher, meinem Filmagenten und drei Freunden erhalten. In allen war es um die Rezension von Waxx gegangen, und alle hatten auf verschiedene Weise das gesagt, was auch Penny mir geraten hatte: Lass gut sein.
Als Vivian Norby, Milos Babysitter, ankam, sagte sie schon an der Haustür: »Ich hab die Rezension gelesen, Cubby. Was für ein unverschämter Trottel! Lass dir von dem bloß nicht Bange machen.«
»Durchaus nicht«, beruhigte ich sie. »Ich lasse es einfach gut sein.«
»Wenn du willst, setze ich mich mal mit ihm zusammen, um ihm die Leviten zu lesen.«
Das war eine interessante Idee. »Was würdest du ihm denn sagen?«, fragte ich.
»Dasselbe, was ich zu jedem Kind sage, das eine große Klappe hat, ohne dass was dahintersteckt. Ich würde ihm erklären, was die Regeln für höflichen Umgang miteinander sind, und dabei klarstellen, dass ich weiß, wie man sie durchsetzt.«
Vivian war Mitte fünfzig, stämmig, aber nicht dick, streng blickend, aber warmherzig, so selbstbewusst wie ein Grizzlybär, aber durchaus weiblich. Ihr inzwischen verstorbener Mann, der nach seinem Dienst als Marineinfanterist zur Kriminalpolizei gegangen war, hatte beim Armdrücken nicht ein einziges Mal gegen sie gewonnen.
Wie üblich trug sie Rosa: rosa Sneakers mit gelben Schnürsenkeln, einen rosa Rock und einen Pullover in Rosa und Hellbeige. An ihren Ohrläppchen baumelten silberne Kätzchen, die an Silberkettchen hochkletterten.
»Ich kann mir durchaus vorstellen, dass du ihn zur Räson bringen würdest«, sagte ich.
»Gib mir doch seine Adresse.«
»Das würde ich schon tun, aber ich beschäftige mich nicht weiter mit dem, was er geschrieben hat. Wie schon gesagt, ich lasse es gut sein.«
»Wenn du’s dir anders überlegst, ruf einfach an!«
Nachdem sie die Haustür zugezogen hatte, nahm sie mich am Arm, als wäre sie die Hausherrin, die einen Gast willkommen heißt. So führte sie mich durch den Flur ins Wohnzimmer, wobei sie mich fast auf die Zehen hob. Mit breiter Brust, den mächtigen Busen angehoben, bewegte Vivian sich so kraftvoll vorwärts wie ein Eisbrecher, der sich durchs Meer der Arktis pflügt.
Drei Jahre zuvor hatte sie gerade die Kinder der Jamesons am Lamplighter Way betreut, als zwei maskierte Banditen versuchten, das Haus auszurauben. Der erste Eindringling – ein rachsüchtiger früherer Angestellter von Bob Jameson, wie sich später herausstellte – zog sich dabei eine gebrochene Nase, aufgeplatzte Lippen, vier angeknackste Zähne, zwei zerquetschte Finger, eine zersprungene Kniescheibe und ein Loch im rechten Hinterteil zu.
Vivian erlitt lediglich einen gesplitterten Fingernagel.
Der zweite Gauner, dem es wesentlich übler erging als dem ersten, entwickelte eine derart lähmende Furcht vor über fünfzigjährigen Frauen, die Rosa trugen, dass es im Gerichtssaal zu einer grotesken Szene kam. Als die Staatsanwältin eines Tages mit einem Halstuch in der besagten Farbe auftauchte, brach der Angeklagte in unkontrollierbares Schluchzen aus und musste von Sanitätern auf einer Trage aus dem Haus geschafft werden.
Im Wohnzimmer ließ Vivian mich endlich los und deponierte die Stofftasche mit ihren Siebensachen neben dem Sessel, auf dem sie den Abend verbringen wollte.
»Dein Buch ist großartig, Cubby!« Sie hatte ein Rezensionsexemplar von mir bekommen. »Ich bin zwar nicht so gebildet wie ein gewisser hochnäsiger Kritiker, aber ich weiß, wenn etwas wirklich gut ist. Dein Buch ist voller Wahrheiten.«
»Vielen Dank, Vivian.«
»Wo ist eigentlich Prinz Milo?«
»In seinem Zimmer. Er bastelt gerade an einer Art Radio, um mit Außerirdischen zu kommunizieren.«
»Die Zeitmaschine hat wohl nicht funktioniert, was?«
»Noch nicht.«
»Ist Lassie bei ihm?«
»Wo soll sie sonst sein?«, fragte ich.
»Ich werde mal raufgehen und bei ihm killekille machen.«
»Penny und ich gehen zum Essen ins Roxie’s. Falls Milo tatsächlich Kontakt mit irgendwelchen Aliens aufnehmen sollte, kannst du uns gerne anrufen.«
Ich folgte Vivian aus dem Wohnzimmer und sah zu, wie sie die Treppe mit einer Majestät hinaufschritt, die nur geringfügig weniger ehrfurchtgebietend war als das gewaltige Mutterschiff in dem Film Unheimliche Begegnung der dritten Art.
Als ich die Küche betrat, brachte Penny gerade einen gelben Klebezettel an der Kühlschranktür an. Er enthielt Anweisungen, wie Milos Abendessen – Lasagne – aufzuwärmen war.
»Vivian«, meldete ich, »hat das Kommando übernommen.«
»Ein Glück, dass wir jemand wie sie gefunden haben«, sagte Penny. »Wenn sie da ist, mache ich mir nie Sorgen um Milo.«
»Ich auch nicht. Aber ich mache mir Sorgen um sie. Milo ist wieder am Basteln.«
»Ihr wird schon nichts passieren. Schließlich hat Milo bloß einmal etwas in die Luft gesprengt, und das war ein Versehen.«
»Vielleicht sprengt er versehentlich wieder etwas in die Luft.«
Penny sah mich stirnrunzelnd an. Diesen Ausdruck kannte ich nur zu gut, aber selbst in solchen Momenten war sie so zum Anbeißen, dass ich sie aufgefressen hätte, wären wir in einem Land gewesen, in dem man Kannibalen tolerierte.
»Bestimmt nicht«, sagte sie. »Milo lernt nämlich aus seinen Fehlern.«
Während ich hinter ihr durch die Verbindungstür zwischen Küche und Garage trat, fragte ich: »Ist das etwa eine abfällige Bemerkung über meine Erfahrung mit Kanonenschlägen?«
»Wie oft hast du dir eigentlich deine Augenbrauen weggebrannt?«
»Ein einziges Mal. Die anderen drei Male habe ich sie mir bloß versengt.«
Penny sah mich über das Dach des Wagens hinweg an und hob ihre eigenen Augenbrauen, als wollte sie mich mit deren unversehrtem Zustand verspotten.
»Das hast du aber ziemlich gut gemacht«, sagte sie. »Der Geruch von verschmortem Haar ist durch die ganze Nachbarschaft gezogen.«
»Sehr lustig. Übrigens ist das letzte Mal schon über fünf Jahre her.«
»Also bist du reif für eine Wiederholung«, sagte sie und stieg in den Wagen.
»Im Gegenteil!«, protestierte ich, während ich mich ans Lenkrad setzte. »Wenn man es fünf Jahre schafft, einen Fehler nicht zu wiederholen, macht man ihn nie wieder. Das kann jeder Verhaltensforscher dir bestätigen.«
»Leider ist gerade kein Verhaltensforscher in der Nähe.«
»Du meinst wohl, der würde mir widersprechen, aber das wäre nicht der Fall. Man nennt es die Fünfjahresregel.«
Ich ließ den Motor an, Penny griff nach der Fernbedienung für das Garagentor. »Warte, bis es ganz auf ist, bevor du losfährst«, sagte sie warnend.
»Vorwärts bin ich bekanntlich noch nie durch ein geschlossenes Garagentor gefahren«, rief ich in Erinnerung. »Rückwärts zwar schon einmal, aber das ist was ganz anderes.«
»Mag sein. Aber da das noch keine fünf Jahre her ist, will ich lieber nichts riskieren.«
»Weißt du, für jemand, dessen Eltern sich Clotilda und Grimbald nennen, bist du erstaunlich komisch.«
»Mir bleibt gar nichts anderes übrig, oder? Fahr bloß den Briefkasten nicht über den Haufen!«
»Vielleicht habe ich gerade Lust darauf.«
Wie amüsierten uns königlich. Der Abend versprach nur angenehme Dinge: gutes Essen, Wein, Lachen und Liebe.
Bald jedoch sollte das Schicksal mich an eine Klippe führen. Den Abgrund im Blick, würde ich ungerührt in die dünne Luft treten und dabei nicht nur auf den Hintern plumpsen, sondern abstürzen wie ein ins Trudeln geratener Turmspringer.
3
Roxie’s Bistro befand sich in Newport Beach auf Balboa Island, ganz in der Nähe einer der zwei Landungsbrücken. Es war schummrig beleuchtet, nicht zu opulent dekoriert und von höchstem kulinarischem Standard.
Heutzutage war es in den meisten Restaurants so laut wie in einer Schlagzeugfabrik, in die zweihundert Schimpansen eingefallen waren, um sich ordentlich auszutoben. Solche Lokale verzichteten auf geräuschdämmende Maßnahmen, weil das Getöse den Gästen angeblich das Gefühl vermittelte, sich an einem angesagten, quirligen Ort zu befinden.
In Wahrheit zogen diese Restaurants vorsätzlich eine Sorte von Gästen an, deren massenhafte Existenz bewies, dass es mit unserer Zivilisation allmählich abwärtsging. Es waren angeberische, konsumfreudige Egoisten, denen man schon in der Kindheit beigebracht hatte, dass Selbstbewusstsein wichtiger sei als Wissen und dass Manieren und Verhaltensregeln bloß Werkzeuge der Unterdrückung darstellten. Sie hörten sich gerne selber schwadronieren und schienen davon überzeugt zu sein, je lauter sie wären, desto versessener müsste jeder Beobachter darauf sein, zu ihrer Clique zu gehören.
Im Gegensatz dazu bot Roxie’s Bistro eine stille Intimität. Ab und zu wurden die Unterhaltungen ringsum zwar etwas lauter, abgelenkt wurde man davon jedoch nie. Im Verein mit dem leisen, silberhellen Klirren des Bestecks und gelegentlichem Lachen schufen die Stimmen einen angenehmen, fast musikalischen Hintergrund.
Penny und ich sprachen über die Verlagswelt, Politik, Pickles, Kunst, Milo, Hunde im Allgemeinen und Lassie im Besonderen, Flöhe, Flaubert, Florida, Alliteration, Eistanz, Dagobert Duck, die Rolle der Dunklen Materie im Universum und über Tofu. Unter anderem.
Im goldenen Schein der Deckenleuchten und dem Flackern von Kerzen in geschliffenen, bernsteinfarbenen Glasschälchen sah Penny aus wie eine Königin, während man mich daneben wahrscheinlich für Rumpelstilzchen hielt, der nach ihrem nächstgeborenen Kind gierte. Wenigstens waren meine hässlichen Füße in Socken und Schuhen versteckt.
Nach dem Hauptgericht und bevor wir das Dessert bestellten, verschwand Penny auf die Toilette.
Als er mich allein am Tisch sitzen sah, kam Hamal Sarkissian herbei, um mir Gesellschaft zu leisten.
Benannt war das Restaurant nach Roxie Sarkissian, die es vor fünfzehn Jahren eröffnet und für ihre Kochkünste seither mehrere Preise erhalten hatte. Sie war zwar charmant, wagte sich jedoch nur selten aus der Küche hervor.
Hamal, ihr Mann, war der ideale Wirt. Er mochte Menschen um sich herum, hatte ein unwiderstehliches Lächeln und war so diplomatisch, dass er selbst den schwierigsten Gast besänftigte und auf seine Seite zog.
Neben meinem Tisch stehend, betrachtete er mich nicht mit seinem charakteristischen Lächeln, sondern mit ernster Miene. »Ist alles in Ordnung, Cubby?«, fragte er.
»Fantastisches Essen«, versicherte ich ihm. »Ausgezeichnet. Wie immer.«
Ohne seinen Gesichtsausdruck zu verändern, fragte er: »Gehen Sie mit dem neuen Buch wieder auf Tour?«
»Nein. Diesmal brauche ich eine Pause.«
»Machen Sie sich keine Sorgen wegen dem, was der Kerl von sich gibt.«
»Wegen wem und was soll ich mir keine Sorgen machen?«, fragte ich verdattert.
»Na, wegen diesem seltsamen Typen, diesem Kritiker.«
»Ach so. Dann haben also auch Sie die Rezension von Shearman Waxx gelesen, ja?«
»Zwei Absätze davon. Dann habe ich draufgespuckt und umgeblättert.«
»So was bringt mich nicht aus dem Konzept. Ich lasse es einfach gut sein.«
»Das ist ein wirklich seltsamer Typ. Er reserviert seinen Tisch immer unter dem Namen Edmund Wilson.«
Überrascht sah ich mich um. »Er kommt hierher?«
»Abends nur selten. Zum Mittagessen öfter.«
»Na so was!«
»Er ist immer allein und bezahlt in bar.«
»Sind Sie sicher, dass er es ist? Scheinbar weiß niemand, wie er aussieht.«
»Zweimal hatte er nicht genügend Geld dabei«, sagte Hamal. »Da hat er eine Kreditkarte benutzt. Shearman Waxx. Ein äußerst seltsamer Typ.«
»Na, machen Sie sich keine Sorgen. Selbst wenn er für heute Abend reserviert hätte, gäbe es keine Szene. Kritik macht mir nichts aus.«