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© 2018 Norbert Flörken

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783746042299

Inhalt

Abbildung 1: Die Reliquiare des Cassius und des Florentius

Einleitung

Alljährlich im Oktober feiert die Pfarrei der Bonner Münsterkirche das Fest der beiden Stadtpatrone Cassius und Florentius. Allerdings sind diese beiden Männer – im Gegensatz zur dritten Stadtpatronin, der heiligen Adelheid von Vilich – unhistorisch. Auf der Internet-Seite www.stadtpatrone.de ist vorsichtig die Rede von eine(r) alte(n) und ehrwürdige(n) Legende aus der Zeit des frühen Christentums, nichtsdestotrotz wird weiterhin verbreitet, u.a. auf YouTube:

Abbildung 2: Cathédrale St. Cassius et St. Florentius

(Deroy, 1826)

Die literarischen Belege

Die ältesten Zeugnisse zum Thema (im weitesten Sinne) sind die ›Passiones‹ (Leidensgeschichten), die Bischof EUCHERIUS1 von Lyon etwa 450 n. Chr. und ein ANONYMUS2 um 400 n. Chr. verfasst haben. Um 390 n. Chr. sind nämlich in Acaunus (dem späteren Saint-Maurice in der schweizerischen Diözese Martigny) die Überreste von Toten geborgen worden. Theodor, der örtliche Bischof, und sein späterer Kollege Eucherius aus Lyon erklärten sie schlichtweg zu Märtyrern; Eucherius schreibt:

(10) Als dies alles dem [Kaiser] Maximianus gemeldet wurde und er einsah, dass die Männer im christlichen Glauben verharrten und ihre Standhaftigkeit nicht erschüttert werden konnte, ordnete er3 an, dass alle getötet werden sollten und dass der Befehl von den benachbarten Einheiten ausgeführt werden sollte. Als diese zu der heiligen Legion kamen, zogen sie das gottlose Schwert gegen die Heiligen, die sich nicht beklagten und sich nicht weigerten zu sterben. Sie wurden also mit dem Schwert getötet, widerstandslos, indem sie den Henkern den Nacken darboten oder den Schlächtern die Kehle oder den unbedeckten Körper. [...]

(13) Die folgenden sind die Namen der Märtyrer: Die Heiligen Mauritius, Ex[s]uperius, Candidus und Victor. Die Namen der übrigen sind unbekannt, aber im Buch des Lebens aufgeschrieben.

(14) Aus derselben Legion sollen auch gewesen sein jene Märtyrer Ursus und Victor, die - so wird erzählt - bei Solothurn den Märtytertod erlitten haben. Solothurn ist ein Militärlager am Fluss Aare und nicht weit entfernt vom Rhein.

Die (lateinischen) Texte des Anonymus und des Eucherius wimmeln von Fehlern und Ungereimtheiten, z.B.:

  • Es gab nie eine ›Thebäische Legion‹;
  • die militärischen Ränge sind abwegig;
  • die Kollektivstrafe der Dezimierung war längst nicht mehr gebräuchlich;
  • eine Legion hatte schon längst nicht mehr die Sollstärke von 6.000 Mann;
  • dass eine komplette Legion zur Strafe getötet wird, ist völlig aus der Luft gegriffen;
  • ab 302 gab es zwar Repressalien gegen Christen, aber keine Hinrichtungen;
  • ausser Anonymus/Eucherius gibt es kein antikes/frühmittelalterliches Zeugnis der behaupteten Ereignisse.
  • In einer späteren Ausgabe des Eucherius heisst es, die Soldaten seien vor ihrem Einsatz in Gallien von Marcellinus, dem Bischof von Rom, empfangen worden – der ist aber erst 296 n. Chr. geweiht worden, die Massenhinrichtung wird aber auf 288 datiert.

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass weder der historische Rahmen noch die Einzelheiten der passio einer militärgeschichtlichen Prüfung standhalten. Im wesentlichen bleibt somit das Ergebnis Denis van Berchems bestehen, dass der Legende vom Martyrium der Thebäischen Legion kein historischer Kern zu Grunde liegen kann, der sich auch nur annähernd in der beschriebenen Form abgespielt hat. Dies ist bei jedem Versuch, die passio in ihren historischen Rahmen einzuordnen, zu berücksichtigen. (Speidel, 2005),

und:

Aus der Passio Acaunensium martyrum des Eucherius beispielsweise lässt sich nicht als historischer Kern herausschälen, was im einzelnen in den Zeiten Maximians und Diokletians bei Saint-Maurice passiert sei. (Näf, 2005, S. 96),

und:

Der Aussagewert der Passio [des Eucherius] bleibt aufgrund der Kenntnis um den antiken Geschichtsverlauf in der modernen Forschung umstritten. (Kremer, 1993, S. 203),

und:

Dessen [des Eucherius] Auskünfte zur Herkunft und zum Geschick der Martyrer bereiten jedoch wegen zahlreicher Anachronismen grosse Probleme. (Seeliger, 2006, S. 1386).

Mit anderen Worten: Wenn Cassius und Florentius als Soldaten der Thebäischen Legion hingestellt werden, ist ein erster Zweifel an der Glaubwürdigkeit erlaubt.

Der nächste antike Autor ist GREGOR VON TOURS4 (538 – 594 n. Chr.). In seinem ›Liber miraculorum‹ (Wunderbuch) erzählt er ganz allgemein von 50 Thebäern – aber in Verbindung mit Köln:

Es gibt bei Köln eine Kirche, in der 50 Männer aus jener heiligen Legion der Thebäer in Christi Namen das Martyrium erlitten haben sollen. Und weil sie wegen des bewundenswerten Mosaiks gleichsam vergoldet aussieht, wollten die Einwohner jene Kirche zu den ‚goldenen Heiligen‘ nennen.

Nunmehr sind die Thebäer in Köln getötet worden – allerdings fehlen immer noch die Namen Cassius und Florentius.

Das MARTYROLOGIUM HIERONYMIANUM – eine Art Heiligenkalender aus dem 5. bis 7. Jahrhundert, das fälschlich dem hl. Hieronymus zugeschrieben wird – verheddert sich heillos in den Angaben zu den Toten:

modern römisch Monat Text Sterbeort MH, Seite Codex
10.Okt. UI Idus Oct[obris] et alibi Cassi Eusebii Florentii Uictoris Agripine Mallusi cum aliis tricentos XXX anderswo 131 Bernensis (Ende des 8.Jhdts.)
10.Okt. UI Idus Oct cassi eusebi florenti uictoris agripinae mallus cum aliis CCCXXX Köln 131 Wissenburgensis (Mitte 8.Jhdt.)
30. April Pridie Kalendae Maii cassius florentius in Alexandria Alexandria    
22.Sep. X Kal Oct loco Acauno nat[...] sanctorum Mauricii Exsuperii Candedi Uictoris Innocenti Uitalis cum sociis eorum VI mil[ia] VI centi sexaginta sex martyres Acaunus 124 Bern.
08.Okt. VIII Idus Oct in Gall[iae] civi[tate] coloni[ae] agrippin[ae] sancti gereon et aliorum CCCXCII Köln 130 Epternacensis, ca. 700 n., Chr.
09.Okt. VII Idus Oct in Gall[iae] civit[ate] colonie agripine nat[...] sanctorum Gereon cum sociis suis tricentorum decim et VIII martyrum quorum nomina d[ominu]s scit Köln 130 Eptern.
09.Okt. VII Idus Oct Et alibi cassi eusebi florenti iocundi agripinae depos[...] sanctorum mar[tyrum] maurorum cum aliis CCCXXX. anderswo, Köln 130 Eptern.
  • Mal sind Cassius und Florentius an einem 30. April in Alexandria gestorben,
  • dann wiederum anderswo ( alibi ),
  • dann zusammen mit einem Eusebius und einem Iocundus,
  • mal an einem 9. oder 10. Oktober in Köln,
  • dann wieder Gereon an einem 8. und 9. Oktober in Köln.

Diese drei Namen – und dazu Victor – tauchen zum ersten Mal in einer ›Passio Gereonis‹auf, die dem Mönch HELINANDUS FRIGIDIMONTIS5 (um 1200 n. Chr.) zugeschrieben wird – also rund 800 Jahre nach den angeblichen Märtyrertoden in Acaunus/Saint-Maurice:

Kapitel 1.

Die Standhaftigkeit im Glauben und das Martyrium.

[...]