Édouard Manet sticht auf ein Doppelportrait ein, das sein Freund Degas von ihm und seiner Frau gemalt hat. Im Wettstreit mit Matisse verändert Picasso seinen Kunststil radikal und malt sein Meisterwerk »Les Demoiselles d’ Avignon«. Francis Bacon und Lucian Freud verbindet nicht nur die Obsession von Portraits, sondern auch der Hang zum selbstzerstörerischen Exzess. Und Jackson Pollock und Willem de Kooning, die Wegbereiter des Action Painting, finden erst in der Konfrontation ihrer gegensätzlichen künstlerischen Herangehensweisen zu ihrer je eigenen Stimme.

Sebastian Smee bietet einen großartigen Einblick in die kreativen Dramen der Kunst: Vier Portraits der engen Freundund Feindschaften zwischen einigen der berühmtesten Künstler der Moderne.

»Großartig geschrieben.« Publishers Weekly

»Ein reines Vergnügen: informativ, instruierend, witzig.« Boston Sunday Globe

Sebastian Smee, in Australien geboren und aufgewachsen, ist Kunstkritiker beim Boston Globe. Von 2001 bis 2004 lebte er in London. Autor u. a. von Lucian Freud im Atelier (2006), Freud (2015). Pulitzer-Preisträger 2011.

Sebastian Smee

KUNST UND RIVALITÄT

Vier außergewöhnliche Freundschaften

Aus dem Englischen
von Stephan Gebauer

Insel Verlag

Copyright © 2016 by Sebastian Smee

Titel der Originalausgabe: The Art of Rivalry. Four Friendships, Betrayals, and Breakthroughs in Modern Art

First published in the US in 2016 by Random House US

Willem de Kooning, für Auszüge aus einem Interview mit James Vallière, Partisan Review Herbst 1967 © 2016 The Willem de Kooning Foundation / Artists Rights Society (ARS) New York

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2017.

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2017.

© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2017

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Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, hamburg/Gundula Hißmann

Umschlagabbildung: Getty Images, München

eISBN 978-3-458-75228-8

www.suhrkamp.de

In Liebe für Jo, Tom und Leila

INHALT

Einleitung

FREUD UND BACON

MANET UND DEGAS

MATISSE UND PICASSO

POLLOCK UND DE KOONING

Quellen und Danksagungen 

Liste der Schwarzweiß-Abbildungen 

Register 

EINLEITUNG

Während eines Japanaufenthalts im Jahr 2013 nahm ich den Hochgeschwindigkeitszug von Fukuoka nach Kitakyushu, um mir ein Gemälde von Edgar Degas anzusehen. Wenn man für ein einzelnes Kunstwerk eine weite Reise auf sich nimmt, hat man oft unrealistische Erwartungen. Man macht sich in der frommen Vorfreude des Pilgers auf den Weg, und wenn es am Ziel der Pilgerfahrt zu der lang ersehnten Begegnung mit dem Meisterwerk kommt, fühlt man sich verpflichtet, eine Begeisterung zu empfinden, die all die geistige Einstimmung, den Zeitaufwand und die Kosten rechtfertigt. Entweder man ist glücklich oder man fühlt eine herbe Enttäuschung.

Aber bei dieser Reise nach Japan empfand ich weder das eine noch das andere. Bei dem Bild, dem ich nachgereist war, handelte es sich um ein Doppelportrait [ Bildtafel 6 ] von Degas’ Freund Édouard Manet und dessen Frau Suzanne. Es zeigt einen bärtigen, adrett gekleideten Manet, der mit auf die Hand gestütztem Kopf und angezogenem Bein halb auf einem Sofa liegt und versonnen ins Leere schaut. Suzanne sitzt mit dem Rücken zu ihm am Klavier.

Das Bild ist eher klein – man könnte es hochhalten, ohne die Arme allzu weit ausbreiten zu müssen. Und es wirkt frisch, so frisch, dass man den Eindruck hat, es sei erst gestern gemalt worden. Es hat nichts Rhetorisches und erhebt keine großen Ansprüche, sondern wirkt fast distanziert, neutral, angenehm frei von Illusionen und falschen Gefühlen.

Aus all diesen Gründen (und trotz meiner bemühten Pilgerfahrt) gab das Gemälde keinen Anlass zur Enttäuschung. Gleichzeitig weckte es auch nicht das Bedürfnis nach emotionaler Überhöhung. Stattdessen versank ich in seiner eigentümlichen Gelassenheit.

Es war mir bekannt, dass Degas und Manet enge Freunde gewesen waren. Aber dieses Bild drückt emotionale Zurückhaltung aus, die wiederum eine nicht vollkommen geklärte Ambivalenz heraufbeschwört. Es ist nicht klar, ob Manet auf dem Bild in trübseliger, stumpfsinniger Agonie, in einer Art von aufzehrender Lethargie verharrt, während er seiner Frau zuhört (die übrigens eine herausragende Pianistin war), oder ob er sich dem Genuss der Musik in entrückter Trägheit hingibt, die ihn vollkommen von allem abschottet, was sein köstliches geistiges Dahintreiben unterbrechen könnte.

Die Manets saßen ihrem Freund im Winter 1868 / 69 Portrait. Es war gerade ein halbes Jahrzehnt her, dass Édouard Déjeuneur sur l’herbe (Frühstück im Grünen) und Olympia gemalt hatte, jene beiden Werke, die bei den Kritikern nur empörte Ablehnung hervorgerufen hatten und von der Öffentlichkeit mit Spott überhäuft worden waren. (Heute sind sie indes die beiden berühmtesten Gemälde ihrer Zeit.) Mit diesen Werken hatte ein erstaunlicher mehrjähriger Schaffenssturm Manets begonnen, aber die wütende Geringschätzung der Öffentlichkeit hatte er nicht brechen können. Er festigte lediglich seinen Ruf als ruchloser künstlerischer Außenseiter.

Welchen Preis hatte er dafür gezahlt ? Malte Degas im Jahr 1868 einen von seiner herkulischen künstlerischen Kraftanstrengung erschöpften und von der allgemeinen Ablehnung zermürbten Mann ? Oder hatte er etwas Subtileres und Geheimnisvolleres im Sinn ?

An diesem Punkt muss ich erklären, dass ich nicht nach Japan gekommen war, um mir das Bild anzusehen, wie Degas es gemalt hatte : Ich wollte sehen, was davon übrig geblieben und nicht vollkommen repariert worden war. Denn nicht lange nach seiner Fertigstellung war ein Teil des Bildes mit einem Messer abgetrennt worden. Suzannes Gesicht und Körper wurden durchgeschnitten.

Es war nicht das Werk eines verwirrten Museumsbesuchers – eines jener Sonderlinge, die Säure über einen Rembrandt schütten oder eine Skulptur von Michelangelo mit einem Vorschlaghammer attackieren. Nein, der Täter war Manet selbst. Und das gibt Grund zur Betroffenheit. Denn alle Welt liebte Manet (das heißt alle, die ihn persönlich kannten, liebten ihn). Er war charmant, gesellig, unprätentiös, ein ungemein galanter und sanftmütiger Mann. Warum sollte ein solcher Mensch so etwas tun, und zwar zu einer Zeit, als er und Degas enge Freunde waren (so eng, dass sie gemeinsam an diesem intimen Portrait arbeiteten) ? Die übliche Erklärung, Manet habe sich über die wenig schmeichelhafte Darstellung Suzannes geärgert, klingt durchaus plausibel, aber sie ist nicht vollkommen befriedigend – so leicht greift man nicht zu einem Messer, um ein Gemälde zu zerstören. Da muss noch etwas anderes gewesen sein.

Ich reiste nicht nach Japan, um dieses Geheimnis zu lüften ; ich wollte mich lediglich einer Erklärung annähern. Geheimnisse sind magnetisch. Aber natürlich liefert die Auseinandersetzung damit nicht immer Beweismaterial : Oft führt sie zu weiteren Rätseln, tieferen Fragen und eigenartigeren Vermutungen.

Es dürfte niemanden überraschen, dass die Messerattacke auf das Bild zu einem Zerwürfnis zwischen Manet und Degas führte. Die beiden söhnten sich jedoch rasch wieder aus. (»Man kann nicht lange böse auf Manet sein«, soll Degas gesagt haben.) Aber ihre Beziehung wurde nie so eng wie zuvor. Und nur etwas mehr als ein Jahrzehnt später war Manet tot.

Degas starb dreißig Jahre später als vereinsamter, griesgrämiger Mann inmitten einer Sammlung, die neben dem zerschnittenen Gemälde (das er sich von seinem Freund zurückgeholt hatte, um es zu reparieren) auch drei weitere Portraits, die er von Manet gemalt hatte, sowie mehr als achtzig Bilder Manets umfasste. Beweist das nicht, dass Manet noch lange nach seinem Tod eine besondere und möglicherweise sentimentale Faszination auf Degas ausübte ? Und wenn ja, was bedeutet das ?

Ich glaube, dass die innigen Beziehungen zwischen Künstlern in den Lehrbüchern nicht ausreichend gewürdigt werden. Dieses Buch ist mein Versuch zu zeigen, wie wichtig solche Beziehungen für die Entwicklung der Kunst sein können.

Der Titel des Buches ist Kunst und Rivalität, aber hier geht es nicht um die klischeehafte männliche Rivalität unversöhnlicher Feinde, erbitterter Rivalen und starrköpfiger Männer, die an einem tiefen Groll festhalten und miteinander um eine künstlerische und soziale Vormachtstellung streiten. Vielmehr geht es in diesem Buch um die Bereitschaft nachzugeben, um Innigkeit und Offenheit für Einflüsse. Es geht um Empfänglichkeit. Die Tatsache, dass Empfänglichkeit vor allem in der Frühphase einer künstlerischen Laufbahn zu beobachten ist und eine beschränkte Lebensdauer hat – dass sie nie über einen bestimmten Punkt hinaus Bestand hat –, ist in mancher Hinsicht das eigentliche Thema dieses Buches. Denn solche Beziehungen sind zwangsläufig anfällig für Schwankungen. Sie leiden unter einer fließenden Psychodynamik und sind kaum mit historischer Präzision zu beschreiben. Und oft enden sie nicht gut. Dieses Buch handelt also nicht nur von Verführung, sondern auch von Trennungen und Betrug.

Trennungen sind immer erschreckend. Selbst wenn die Beziehung später gekittet wird, ist es nie leicht, eine Antwort auf die verzwickte Frage zu finden, wodurch der Bruch verursacht wurde. Es ist fast unmöglich, die erforderliche Distanz zu gewinnen. Vielleicht war ein zu großer Teil von uns im Spiel, und möglicherweise stehen wir noch zu tief in der Schuld des anderen. Wie können wir diese Verpflichtung akzeptieren und Klarheit darüber gewinnen, was wirklich geschehen ist, ohne den erlittenen Schaden aus den Augen zu verlieren ? Wie können wir den Schaden eingestehen, den wir selbst dem anderen Menschen zugefügt haben ? Diese Fragen klingen unerfreulich vage. Aber sie gehören zu den vier Geschichten, die ich in diesem Buch erzählen werde.

Zu Beginn des Jahrtausends lebte ich in London, wo ich den Maler Lucian Freud kennenlernte, um dessen Freundschaft mit Francis Bacon sich vermutlich mehr Legenden ranken als um jede andere Beziehung in der britischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Auch zwischen diesen beiden Malern war es zum Zerwürfnis gekommen. Es verursachte großes persönliches Leid und viel Bitterkeit – die Wunden verheilten so schlecht, dass es noch zehn Jahre nach Bacons Tod als unklug galt, Freud darauf anzusprechen.

Aber wer Freud in seinem Haus besuchte, konnte unmöglich das riesige Gemälde von Francis Bacon übersehen, das dort an der Wand hing. Es war eine beunruhigende, gewalttätige Darstellung eines verschwommenen männlichen Liebespaars auf einem Bett. Freud hatte es in einer von Bacons ersten Ausstellungen für 100 Pfund erworben, kurz bevor die beiden Freundschaft schlossen. Er trennte sich nie davon. Und abgesehen von einer einzigen Ausnahme stellte er es im Lauf eines halben Jahrhunderts nie für eine Ausstellung zur Verfügung. Was bedeutete das ?

Was verrät es über die unbehagliche Freundschaft zwischen Jackson Pollock und Willem de Kooning – der beiden herausragenden amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts –, dass de Kooning nicht einmal ein Jahr nach Pollocks Unfalltod eine Affäre mit Pollocks Geliebter Ruth Kligman begann, die jenen Autounfall als Einzige überlebt hatte ?

Und was verrät es uns über die Bedeutung von Matisse für Picasso, dass Picasso nach Matisse’ Tod im Jahr 1954 nicht nur zahlreiche komplizierte Bilder zu Ehren des Verstorbenen malte, sondern auch Matisse’ Portrait seiner jungen Tochter Marguerite – ein Gemälde, das Picassos Freunde einst zu seinem Vergnügen als Zielscheibe für Wurfpfeile verwendet hatten – an einem Ehrenplatz in seinem Haus aufbewahrte ?

Es wird dem Leser aufgefallen sein, dass die acht Hauptfiguren dieses Buches allesamt Männer sind. Wir bezeichnen die Periode, der diese Künstler angehören – die Zeit zwischen 1860 und 1950 –, als »modern«, aber die Kultur dieser Zeit war immer noch vorwiegend männlich geprägt. Es gibt zahlreiche Geschichten über faszinierende Beziehungen zwischen modernen Künstlern und Künstlerinnen und einige über Beziehungen zwischen Frauen, aber die bedeutsamsten dieser Beziehungen – hier kommen uns zum Beispiel die zwischen Auguste Rodin und Camille Claudel, zwischen Georgia O’Keeffe und Alfred Stieglitz, zwischen Frida Kahlo und Diego Rivera in den Sinn – hatten zumeist eine romantische Komponente, und diese verdeckt und kompliziert die Rivalität, die das Thema dieses Buchs ist. In Beziehungen, die annäherungsweise als »homosozial« bezeichnet werden können, kommt diese Rivalität deutlich zum Ausdruck, weil sie nicht von heterosexueller Leidenschaft oder chauvinistischer Herablassung überlagert wird. Diese homosozialen Beziehungen sind gekennzeichnet vom Wettbewerb um Status, von wachsamer Freundschaft, gegenseitiger Bewunderung, die sogar Liebe sein kann, und einer Frage nach der Hierarchie, die nie endgültig geklärt wird, selbst wenn es den Anschein haben mag.

Aber das andere Geschlecht spielt in allen vier Geschichten sehr wohl eine wichtige Rolle. Unter den Frauen, denen wir in diesem Buch begegnen, finden wir herausragende Künstlerinnen wie Berthe Morisot und Lee Krasner, wagemutige Sammlerinnen wie Sarah Stein, Gertrude Stein und Peggy Guggenheim sowie brillante, unabhängige Gefährtinnen wie Caroline Blackwood und Marguerite Matisse.

Wie allgemein bekannt, hatten die acht Künstler, mit denen wir uns beschäftigen werden, noch andere Freunde und Rivalen, und es gab noch weitere Menschen, die Einfluss auf sie nahmen und sie förderten. Aber manchmal – ich würde sogar sagen, normalerweise – gibt es im Leben eines Künstlers eine Beziehung, die bedeutsamer ist als alle anderen. Picasso wusste vermutlich, dass er ohne den verführerischen Druck von Matisse weder sein bahnbrechendes Bild Demoiselles d’Avignon gemalt noch gemeinsam mit Braque den Kubismus begründet hätte. Und es war Freud bewusst, dass er sich ohne den Einfluss seines Freundes Bacon nicht von seinem angespannten und peniblen Zeichenstil gelöst und in den großen Maler üppiger, lebendiger Fleischlichkeit verwandelt hätte. Ohne Pollocks Einfluss wäre es de Kooning kaum gelungen, sich aus der Zwangsjacke seines großen technischen Könnens zu befreien und seine atemberaubenden Meisterwerke der fünfziger Jahre zu schaffen. Und hätte ihn die Freundschaft zu Manet nicht geprägt, so hätte Degas weiter die Vergangenheit gemalt und hätte nicht sein Atelier verlassen, um das Leben auf der Straße, in den Cafés und in den Probenräumen zu studieren.

In diesem Buch geht es also um die Frage, wie Freundschaft und Rivalität zur Entwicklung dieser acht Männer beitrugen, die allesamt zu den bedeutendsten Künstlern der Moderne zählen. In vier Kapiteln erzähle ich die Geschichte von vier gefeierten künstlerischen Beziehungen, wobei jene eigentümliche Zeitblase – normalerweise drei bis vier intensive Jahre – in den Mittelpunkt rückt, die ein entscheidendes Geschehen enthält : eine Portraitsitzung, einen Austausch von Arbeiten, einen Besuch im Atelier eines anderen Künstlers oder die Eröffnung einer Ausstellung.

In all diesen Fällen entstand eine magnetische Anziehung zwischen zwei unterschiedlichen Temperamenten – zwei Arten von Charisma. Beide Künstler standen vor einem großen schöpferischen Durchbruch. Beide hatten bereits gewaltige Fortschritte gemacht, aber noch keinen unverkennbaren Stil gefunden und keine bestimmte Vorstellung von Wahrheit oder Schönheit entwickelt, die ihnen eine Sonderstellung sicherte. Es war noch alles Potenzial.

Wenn sich die Freundschaft zwischen den beiden Künstlern entwickelte – manchmal näherten sie sich einander zaghaft, manchmal stürzten sie sich Hals über Kopf in eine intensive Beziehung –, begann ein inniges Wechselspiel. Wo der eine Künstler beneidenswert gewandt war (gesellschaftlich und künstlerisch), war der andere unbeholfen. Wo der eine wagemutig voranstürmte, hinkte der andere hinterher, weil er übermäßig vorsichtig, perfektionistisch oder gehemmt war. Die Begegnung mit einem gewandteren, kühneren Kollegen war eine Offenbarung und eine befreiende Erfahrung für den, der nicht von der Stelle kam. Neue Möglichkeiten taten sich auf. Es offenbarte sich ihm eine andere Art zu arbeiten, aber auch eine andere Art, die Welt zu betrachten. Sein Leben bog in eine andere Richtung ab.

Von diesem Augenblick an wurde die Beziehung zwangsläufig kompliziert. Die ursprünglich einseitige Einflussnahme begann in beide Richtungen zu funktionieren. Der von Natur aus »beredte« Künstler setzte seinen Weg fort, begann jedoch, Defizite in seinem eigenen Repertoire zu erkennen : Nun erkannte er die Fähigkeiten, den Mut und die Unbeirrbarkeit des anderen.

Alle hier erzählten Geschichten zeichnen also eine Bewegung nach, die von der Begegnung mit einer unwiderstehlich anziehenden Person durch eine Phase der Ambivalenz zur Unabhängigkeit führte – dies ist der kreative Prozess, den wir meinen, wenn wir sagen, dass jemand »seine eigene Stimme findet«. Dieses Streben nach Unabhängigkeit und einer spirituellen Sonderstellung, das der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Partnerschaft entgegenwirkt, ist ein natürlicher Bestandteil der Entstehung einer wirklich ausgeprägten kreativen Identität. Aber selbstverständlich hat es auch mit dem sehr modernen Bemühen um Einzigartigkeit, Originalität und Unnachahmlichkeit zu tun, mit der Sehnsucht nach Einmaligkeit und Größe.

Daher ist es kein Zufall, dass die Künstler, die ich ausgewählt habe, sowohl bedeutend als auch modern sind, denn dieses Spannungsverhältnis – zwischen gewählter Einsamkeit des Genies und Anerkennung, zwischen Einzigartigkeit und Zugehörigkeit – ist untrennbar mit der Geschichte der Moderne verbunden.

Wenn es einen grundlegenden Unterschied zwischen der künstlerischen Rivalität in der Moderne und der Rivalität in früheren Epochen gibt, so ist es der, dass die moderne Kunst eine vollkommen andere Vorstellung von persönlicher Größe entwickelt hat. Diese Vorstellung beruht nicht mehr auf der meisterhaften Beherrschung und der Erweiterung einer bildlichen Tradition, sondern auf dem Drang nach radikaler und revolutionärer Originalität.

Woher kam dieser Drang ?

Im Grunde war er eine Reaktion auf die neuen Lebensbedingungen – auf das Gefühl, dass die moderne, industrialisierte, urbane Gesellschaft, die in mancher Hinsicht einen Höhepunkt der abendländischen Zivilisation darstellte, zugleich bestimmte Möglichkeiten der menschlichen Entfaltung beschränkt hatte. Die Moderne, so ein verbreiteter Eindruck, hatte die Möglichkeit beseitigt, eine innige Beziehung zur Natur und zu den Reichtümern des spirituellen Lebens und der Phantasie zu knüpfen. Die Welt war entzaubert worden, wie Max Weber schrieb.

Daher das wachsende Interesse an alternativen Möglichkeiten. Die neuen Faszinationen erschlossen ein weitläufiges künstlerisches Betätigungsfeld. Aber indem die modernen Künstler die überkommenen Standards ablehnten, gerieten sie zwangsläufig in eine prekäre Lage. Sie waren nicht nur von den herkömmlichen Wegen zum Erfolg abgeschnitten (von den Salons, den Preisen, den Kunsthändlern, Sammlern und Mäzenen), sondern fanden auch keinen Halt mehr bei allgemein anerkannten Kriterien.

In dieser Situation rückte das Problem der Qualität in den Vordergrund. Wenn die modernen Künstler die in ihrer Kultur anerkannten Maßstäbe ablehnten, wie konnten sie dann wissen, ob ihre Erzeugnisse gut waren ? Wenn sie beispielsweise den künstlerischen Leistungen von Kindern großen Wert beimaßen (wie es Matisse tat), wie konnte dann jemand feststellen, dass ihre Kunst herausragend war – besser als die eines Kindes, besser als die eines Künstlers, der eine jahrelange Ausbildung auf sich genommen hatte, eben um die kindliche Kunst hinter sich zu lassen ?

Wenn sie wie Pollock mit einem Stab Farbe auf eine auf dem Boden ausgebreitete Leinwand träufelten, wie konnte dann irgendjemand behaupten, dass diese Art des künstlerischen Ausdrucks der Malerei von jemandem überlegen war, der einer geheiligten Tradition gehorchend jahrelang gelernt hatte, mit Farben und Pinseln und Paletten und Staffeleien umzugehen ? Natürlich gab es Kunstkritiker, aber diese waren normalerweise voreingenommen und hielten oft noch strikter an der Konvention fest als die Öffentlichkeit. Es gab wohlgesinnte Dichter und Autoren. Aber niemand verstand vollkommen, wie ein Maler diesen Kampf erlebte.

Wirklich verstehen konnten das nur andere Maler. Kollegen konnten mehr als Kunstkritiker und Sammler davon profitieren, dass ein Künstler neues imaginatives Potenzial erschloss und neue Kriterien definierte. Wenn andere Künstler für die Auseinandersetzung mit den eigenen Interessen gewonnen werden konnten, würden die neuen Kriterien glaubwürdig werden und irgendwann einen normativen Charakter erhalten. Das Publikum – der Kreis der Personen, die das Genie des Künstlers anerkannten – würde wachsen. Delacroix’ Romantik und Courbets Realismus mussten erst von anderen Künstlern angenommen werden, bevor das Establishment davon überzeugt werden konnte, und dasselbe galt für den Impressionismus, für die flachen, satten Farben von Matisse, für Picassos facettenreiche Formen und Pollocks verspritzte Farbe, für Bacons verwischte Gesichter …

Zumindest war das die Hoffnung. Also wurde aufwändige Überzeugungsarbeit geleistet. Im Drucktopf des Wettbewerbs brauchte man Charisma. Unter diesen Bedingungen wurden die Beziehungen zwischen den Künstlern natürlich inniger und angespannter : Was, wenn es ein Künstlerkollege besser verstand, die wichtigen Sammler (zum Beispiel die Steins in Paris) zu beeindrucken und für sich einzunehmen ? Was, wenn das Interesse eines Rivalen an afrikanischer Kunst oder an Cézanne eine andere Qualität hatte als der eigene Hang zu diesen Ausdrucksformen ? Was, wenn alle Welt sehen konnte, dass der Kollege besser zeichnete als man selbst oder ein besseres Gespür für Farben hatte ? Was, wenn der Freund und Rivale einfach aufgrund seines Temperaments den Erfolg anzog ?

Dies waren keine akademischen Fragen. Es waren schmerzhaft konkrete Fragen. Im Wettkampf zwischen künstlerischen Rivalen in der Moderne wurde nicht nur um die künstlerische Vorreiterrolle gekämpft, darum, wer sich besonders weit vorwagte und wer Bedeutung erlangte. Es wurde auch um weltliche, praktische Belohnungen gekämpft, wie überall zwischen Menschen. Und natürlich wurde oft um Liebe und Freundschaft gekämpft.

In der Kunst der Rivalität sehen wir also den Kampf der Vertrautheit, den unablässigen, aufreibenden Kampf darum, mit einem anderen Menschen zu verschmelzen und gleichzeitig man selbst zu bleiben.