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Jacques Vriens

Für Akkie!

Jacques Vriens

Für Akkie!

Roman

Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer

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Dieses Buch ist für Anke

Originaltitel: Achtste-groepers huilen niet

Copyright © 2012 by Van Holkema & Warendorf

Copyright © 2013 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Redaktion: Julia Przesplaska

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-09518-5
V002

www.heyne-fliegt.de

Ferkeln

»Ina, Joep nervt wieder total beim Fußball!«, schnaubte Akkie empört. »Ich hätte ein Tor geschossen, aber dann hat sich der Mistkerl mit seinen Riesenlatschen voll auf meinen großen Zeh gestellt … Blöder Trampel!«

Die Pause war noch lange nicht vorbei, als Akkie mit ihrer besten Freundin Elise im Schlepptau ins Klassenzimmer gestürmt kam.

Ina nutzte die Pause, um die nächste Stunde vorzubereiten, und hatte angefangen, die Namen australischer Tiere an die Tafel zu schreiben.

Jetzt drehte sie sich um. »Ein bisschen weniger heftig geht auch, Akkie!«

»Ja, genau! Das hab ich Joep auch gesagt. Bringt aber nix, der hat doch glatt angefangen zu ferkeln.«

»Wie bitte?«, fragte Ina erstaunt.

»Na ferkeln halt … Du weißt schon, wenn Schweine so mit dem Hintern gegeneinander donnern, nur dass Joep, die alte Sau, gegen mich gedonnert ist.«

Ina linste prüfend über ihren Brillenrand. »Erstens: Weniger heftig, bitte! Zweitens: Ich glaube, das verträgst du schon …«

Akkie zwinkerte verlegen. »Na ja! Ich hab vielleicht ein bisschen zurückgeferkelt, und da ist er sauer geworden und hat getreten.«

»Ich hab auch einen Tritt abbekommen«, bestätigte Elise, »und Tamara auch. Dabei hatten wir nur gesagt, dass er ein Blödmann ist. Wir haben nicht mal geferkelt!«

Das war zu viel! Inas Fassade zerkrümelte endgültig, und sie musste schallend lachen.

»Das ist wirklich nicht witzig«, fauchte Akkie entrüstet.

Ihre Lehrerin riss sich zusammen und sagte so ernst es eben ging: »Ferkeln. Ich ferkle, du ferkelst, wir ferkeln, ich habe geferkelt.«

Es blieb einen Moment still, aber dann lachten die Mädchen.

»Ich verstehe bloß nicht, warum ihr immer mitspielt. Fußball ist doch so was von grob!«

»Hallo, jetzt sei aber mal nicht altmodisch, Frau Lehrerin!«, rief Akkie. »Du klingst ja plötzlich wie meine Oma.«

»Könnte ich ja auch fast sein«, erwiderte Ina trocken.

»Sonst bist du immer so modern«, sagte Elise und sah Ina mit großen Augen an. »Wenn ich meinen Freundinnen von meiner alten Schule erzähle, dass du schon fast sechzig bist und trotzdem total nett, glauben die mir kein Wort. Für die sind alle alten Lehrerinnen Hexen.«

»Oh, vielen Dank! Dann wird sich diese alte Hexe hier nach der Pause mal ein paar Zaubersprüche ausdenken und für Frieden zwischen den Damen und Herren Fußballspielern sorgen. Und jetzt ab mit euch! Seht zu, dass ihr nach draußen kommt.«

»Und was ist mit Joep?«, fragte Akkie.

»Den lasst ihr mal schön in Ruhe.«

»Aber dann können wir doch nicht weiterspielen.«

»Es sind sowieso nur noch fünf Minuten. Nach der Pause reden wir. Marsch, raus mit euch!«

Akkie und Elise rauschten ab, und Ina sah ihnen kopfschüttelnd nach. Sie lächelte. Auf den ersten Blick passten die beiden Mädchen überhaupt nicht zueinander. Akkie war groß und hatte vor niemandem Angst, während die kleine, zierliche Elise sofort in Deckung ging, wenn sich irgendwo eine Prügelei anbahnte. Akkie trug am liebsten Jeans und Schlabberpullis, während Elise lieber mit Rock und Bluse in die Schule kam und dazu Ballerinas anzog.

Ihren Eltern war es nicht recht, dass sie Fußball spielte. Wenn sie nach Hause kam, rief ihre Mutter regelmäßig: »Kind, was machst du bloß … und immer erwischt es die teuren Schuhe …«

Jedes Mal, wenn Elise reumütig versprach, nie wieder einen Fuß auf das kleine Spielfeld neben der Schule zu setzen, meinte sie das auch so. Zumindest im Moment. Doch sobald Akkie in der nächsten Pause versuchte, sie zu überreden, waren die guten Vorsätze schon vergessen.

»Hey, Liesje, komm schnell! Wir brauchen dich hier. Du bist supergut – unsere Geheimwaffe …«, rief Akkie ihrer Freundin dann zu. »So schnell wie du ist keine von uns. Wir können nicht auf dich verzichten!«

Elise war erst in der sechsten Klasse auf diese Schule gekommen, aber es fühlte sich für sie inzwischen so an, als wäre sie schon immer da gewesen. Das war vor allem Akkie zu verdanken. Elise stammte aus dem Süden und wurde am Anfang noch wegen ihres singenden Dialekts aufgezogen, bis Akkie dem lautstark ein Ende bereitete. Von da an waren die beiden ungleichen Mädchen Freundinnen.

Ina wollte sich gerade wieder der Tafel mit den australischen Tieren zuwenden, als die Tür zum zweiten Mal aufflog. »Ina, Akkie foult!«

Dieses Mal standen Joep und sein Kumpel Frenklin auf der Schwelle.

»Ich bin nicht schwerhörig, Junge«, entgegnete Ina.

»Aber schau doch mal, was diese Singzicke angestellt hat.«

»Unter einer Singzicke kann ich mir nichts vorstellen, Joep«, erwiderte Ina.

Joep tobte weiter: »Aber es geht doch nicht, dass Akkie uns da draußen die Beine bricht.«

»Das stimmt wirklich!«, rief Frenklin. »Ich habe Joep so eine tolle Vorlage geliefert. Der hätte ein Tor geschossen, bestimmt! Aber dieses Weib hat ihn einfach umgesäbelt.«

»Guck mal«, rief Joep, »meine verdammte Zahnspange ist total verbogen – bin aufs Gesicht gefallen.«

Mit gerunzelter Stirn bog Ina den Außenbogen seiner Zahnspange wieder in die richtige Stellung und sagte: »Es wird nicht geflucht und bitte auch ein bisschen weniger gebrüllt.« Um ihre Worte zu unterstreichen, legte sie den Zeigefinger an die gespitzten Lippen.

»Das musst du Akkie sagen, die hat immerhin …«

»Aber du hast geferkelt!«

»Ge-was?«

»Ferkeln. Ich ferkle, du ferkelst, wir ferkeln, ich habe geferkelt.«

»Also«, Joep zog geräuschvoll Luft ein und blähte die Nasenflügel, »also wenn hier eine ferkelt, dann wohl Akkie mit ihrem dicken Arsch … äh … Hintern.«

Ina setzte gerade zu einer Standpauke an, als draußen die Pausenglocke läutete.

»Na schön, darüber sprechen wir noch«, seufzte Ina. Sie warf einen missmutigen Blick auf die Tafel. Mit ihren Tieren war sie nicht gerade weit gekommen.

»Stuhlkreis, Kinder«, kommandierte die Lehrerin, als die restliche Klasse in den Raum gepoltert kam. »Wir müssen reden.«

»Nicht schon wieder, Ina!«

»Immer Fußball …«

»Fünf Minuten«, sagte Ina, »und dann nie wieder – hoffentlich.«

Alarmiert vom Tonfall ihrer Lehrerin, sahen sich die Schüler betreten an. Das verhieß nichts Gutes. Ina war nett und lustig, ließ sich aber nicht auf der Nase herumtanzen. Wenn sie sauer war, wurde sie nicht laut, sondern ganz leise. Die Klasse traute sich keinen Mucks mehr zu machen, wenn ihre großen blauen Augen wütend funkelnd das scharfe Flüstern begleiteten. In diesen Momenten wurden sie alle ganz klein auf ihren Stühlen und wären am liebsten unter die Bank gerutscht.

Hier im Stuhlkreis gab es aber nicht einmal eine Bank, unter der man sich hätte verkriechen können. Zum Glück klang Inas Stimme noch normal. »Ihr seid jetzt fast ein halbes Jahr in meiner Klasse und die ganze Zeit gibt es Theater. Ich sage es euch, wie es ist: Ich habe die Nase gestrichen voll von diesem dummen Fußball.«

»Was heißt denn hier dumm?«, protestierte Joep.

»Entschuldigung«, sagte Ina, »das sollte ich nicht sagen. Aber ich konnte mit Fußball noch nie viel anfangen, und dieser ständige Hickhack macht es nicht unbedingt besser. Immer nur fiese Tricks, und im Fernsehen vermurksen sie es erst recht … Ganz ehrlich, geht das nicht auch ohne Streit?«

Joep nickte bestätigend. »Ja klar, wenn die Mädchen nicht mitmachen …«

Jetzt explodierten Akkie, Elise, Tamara, Annemieke, Nilgun und Christel und schrien durcheinander:

»Diskriminierung!«

»Die sind doch hier nicht der Chef!«

»Das lassen wir uns nicht gefallen.«

»Das Feld ist für uns alle da!«

»Die blöden Jungs suchen Streit, nicht wir!«

Christel schrie am lautesten von allen: »Ina, du musst den Jungs einfach verbieten, aufs Feld zu kommen!«

Blicke flogen wie Giftpfeile durchs Klassenzimmer.

»Die Christel spinnt echt!«

»Fußball ist ein Männersport!«

»Spielt doch mit euren Barbies!«

Der kleine Ibrahim war sogar auf seinen Stuhl geklettert und verkündete mit hoher Stimme: »Weg mit den Mädchen, lang leben die Jungs!«

Ina sagte nichts. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und musterte die Runde mit einem Blick, der Bände sprach.

Das wirkte. Alle verstummten schlagartig. Bis auf Ibrahim, der immer noch auf seinem Stuhl auf und ab hüpfte. »Lang leben die Jungs! Weg mit den …« Weiter kam er nicht. Als Inas Blick ihn traf, schien er zu versteinern. Stocksteif stand er auf seinem Stuhl, die Arme noch in der Luft.

Akkie und Elise prusteten los.

Ibrahim ließ langsam die Arme sinken. »Äh … ich meine … äh.«

Die ganze Klasse bog sich vor Lachen, und sogar Ina musste sich ein Grinsen verkneifen.

»Mein lieber Herr Brammie, hätten Sie vielleicht die Güte, sich wieder zu setzen?«, fragte sie mit gespielter Strenge.

Ibrahim war zwar der Kleinste in der Klasse, machte aber mit doppelter Lautstärke auf sich aufmerksam. Er plumpste mit einem dumpfen Knall auf seinen Stuhl. »Ich sitz ja schon, Ina«, meinte er ein wenig verlegen und schenkte ihr sein charmantestes Lächeln.

»Schön, dann kann ich vielleicht auch mal was sagen: Das ist euer letztes Jahr hier an der Schule. Wir werden noch gemeinsam auf Klassenfahrt gehen, das Abschiedsmusical aufführen, das 25-jährige Jubiläum unserer Schule feiern …«

»Aber die Jungs …«, unterbrach Akkie.

Ina ignorierte den Zwischenruf. »… und es stehen noch viel mehr schöne Sachen auf dem Programm. Ist es denn so viel verlangt, dass ihr euch ein bisschen Mühe gebt? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich möchte dieses Jahr genießen und Spaß an den vielen Extras haben. Aber wenn ihr euch so aufführt, finde ich es hier unerträglich. Wer hat etwas Vernünftiges dazu anzumerken?«

Laurens meldete sich. »Ina, ich glaube, dass manche Jungs einfach neidisch sind, weil Akkie besser Fußball spielt als sie. Die hat’s echt drauf.«

Tamara stieß Laurens in die Seite.

»Und Tamara natürlich auch, die ist auch total gut«, ergänzte Laurens und fügte mit einem Blick in die Runde noch schnell hinzu: »Und die anderen Mädchen genauso …«

Annemieke kicherte. »Ich kann nicht mal Fußball spielen.«

Joep protestierte. »Ich und neidisch? Ganz sicher nicht!«

»Ich schon«, sagte Laurens und wurde purpurrot im Gesicht.

Die ganze Klasse starrte ihn an. So viel Offenheit musste man erst einmal verdauen. Oder wollte er sich nur einschleimen?

Joep verdrehte die Augen und zischte seinem Nachbarn zu: »Der wieder … Ein Herz aus Gold …«

Annemieke, die an Laurens’ anderer Seite saß, flüsterte: »Aber er hat recht, ihr seid neidisch!«

Ina machte ihnen ein Zeichen, dass sie still sein sollten, und sagte: »Laurens, sprich ruhig weiter.«

»Na ja, ganz einfach … wenn Akkie mir den Ball abnimmt, ist mir das peinlich, weil sie ein Mädchen ist.«

»Das macht doch nichts«, sagte Akkie.

»Ja, aber Mädchen sind anders. Ich meine …«

»Was meinst du?«

»Na, einfach anders.«

»Sie kriegen Brüste«, platzte Brammie heraus.

Hier und da erklang noch unterdrücktes Kichern, als Akkie trocken zu Protokoll gab, dass sie noch keine Brüste habe. Ina, die groß und ziemlich rundlich war, setzte sich kerzengerade hin und sah prüfend an sich herab: »Dann darf ich wahrscheinlich nicht mitmachen …«

»Aber klar doch!«, rief Akkie. »Ich fände es genial, wenn du mitspielen würdest.«

»Schade, dass Fußball einfach nicht mein Ding ist«, erwiderte Ina, »sonst würde ich über den Platz ferkeln, dass euch Hören und Sehen vergeht!«

Die ganze Klasse lachte.

Nur Joep war noch nicht zufrieden. »Ina, was machen wir denn jetzt wegen dem Fußballspielen?«

»Ich finde, jeder sollte mitmachen dürfen. Wir sind hier immerhin die Martin-Luther-King-Schule. Unser Namensgeber hat dafür gekämpft, dass alle Menschen dieselben Rechte bekommen. Da werden wir es doch wohl hinbekommen, dass alle Schüler gleiche Rechte auf dem Fußballplatz haben!«

»Aber konnte Martin Luther King denn überhaupt Fußball spielen?« So einfach ließ Frenklin nicht locker.

»Das weiß ich nicht, und eigentlich tut das auch gar nichts zur Sache. Selbst wenn wir Langer-Lulatsch-Schule heißen würden, wäre ein bisschen Toleranz nicht verkehrt.«

»Was bedeutet Toleranz, Ina?«, wollte Arno wissen, und ein paar Kinder stießen tiefe Seufzer aus. Typisch Arno! Sobald Ina etwas »Erwachsenes« sagte, hob er garantiert den Finger.

»Dass man aufeinander Rücksicht nimmt«, antwortete Ina, »und einfach mit Spaß Fußball spielt und zwar ohne zu foulen oder zu ferkeln.«

»Aber die Jungs …«, fing Akkie wieder an.

»Davon will ich jetzt gar nichts hören, mein Unschuldslämmchen«, sagte Ina streng. »Wir beenden dieses Thema, und ich werde mir eine Lösung einfallen lassen. Heute Nachmittag reden wir weiter. Ab auf eure Plätze! Jetzt sind Kängurus, Koalabären und Schnabeltiere dran.«

Die Kinder nahmen ihre Stühle und gingen zu ihren Plätzen zurück. Im Vorbeigehen flüsterte Joep Akkie zu: »Nach der Schule krieg ich dich, du dummes Känguru!«

Akkie wies auf seine Zahnspange und zischte: »Schnabeltier!«

Joep wollte ihr einen Schubs geben, aber Akkie wich geschickt aus.

»Ina!«, rief Joep.

»Nein, ich will nichts mehr hören. Schlagt euer Erdkundebuch auf Seite dreiundzwanzig auf. Wir sehen uns die Landkarte an.«

Um die wilde Bande ein wenig zu beruhigen, erzählte die Lehrerin der Klasse von ihrer Australienreise. Damit gelang es ihr sogar, die Streithähne Joep und Akkie in ihren Bann zu ziehen. Aber als Ina Schnabeltiere erwähnte und Akkie Joep herausfordernd angrinste, wurde ihm ganz heiß.

Wütend kritzelte er etwas auf einen Zettel und schob ihn Frenklin zu:

Um 12 schnappen wir uns Akkie im Park.

Rache!