Cover_Hermann_eBook.jpg

»In Schwäng, do heäd de Weld ihr Äng«

Dort, wo nach dem einheimischen Sprichwort aus dem 19. Jahrhundert die Welt ihr Ende hat, in Geschwenda, in »Schwäng«, wurde ich geboren. Im Unterschied zu Rita und Ute liegt mir darüber jedoch nichts Authentisches aus dem zuständigen Standesamt vor. Die ersten »amtlichen« Texte über meine Existenz fanden wir im Arztbericht von Dr. med. Alfred Fuhrmann und über die Schuleinführung in der zweiten Hälfte der 40er-Jahre.

Mehrfache Anfragen in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen führten immer zum gleichen Resultat: Über mich sei nichts bekannt, in den Wirrungen der letzten Kriegstage, danach während des Wechsels von der amerikanischen zur sowjetischen Besatzungsmacht, vielleicht auch noch in den »Wende«-Tagen, sei Standesamtliches verloren gegangen. Noch zu unserer Trauung musste ich dem Standesamt eine eidesstaatliche Erklärung meiner Mutter vorlegen, dass ich ihr Sohn sei. Auch von der Kirche war nichts Brauchbares zu erfahren. Das hat mich allerdings angesichts des »Alleinstellungsmerkmals«, das mein Verhältnis zu Herrn Pfarrer Schlösser in Schwäng im April/Mai 1956 kennzeichnete, nicht verwundert. Wir kommen darauf zurück. Wie auch immer. Zeitzeugen sind Geschichtsquellen. Über meine Menschwerdung finden sich in den Erzählungen und Nacherzählungen meiner ehemaligen Vorgesetzten folgende Übereinstimmungen: geboren an einem 19. Februar als einziges Kind von Konrad und Käthe Hermann, in der Schillerstraße 6 a, im Haus meines Großvaters Arthur Kellermann. Ganz oben unterm Dach, im hinteren der beiden Mansardenräume. Ungefähr um 17 Uhr. Geboren wurde ich auch mithilfe der sehr kräftigen Hebamme Rotraut von der Schaftrifft. Als ich sie zehn Jahre später sah, habe ich mich gefragt, ob sie mit ihren großen Händen und ihren kräftigen Armmuskeln frisch Geborene nicht kaputtmacht. Offensichtlich nicht. Denn sie hat, wie mir meine Mutter erzählte, fast unsere gesamte Schulklasse gesund auf die Welt gebracht. Eine prima Leistung.

Auch hier: hineingeboren in die Kriegszeit. Im Frühjahr und Sommer 1945 gab es drei Episoden, an die ich mich auch später immer wieder erinnern konnte.

Die erste. Ich stand in der Schillerstraße auf der kleinen Kreuzung, die neben unserem Haus von den Eckhäusern der Wallendorfs, Schramms und Zöllners flankiert wurde. Über mir ein höllischer Motorenlärm, ziemlich niedrig ein Flieger, der »stand« in der Luft. Ich machte mir wahrscheinlich vor Angst fast in die Hosen, da kam Mama Käthe durch das Hoftor gerannt, selbst angstvoll rufend, um mich rasch hinter das Tor zu ziehen. Ein amerikanischer »Doppeldecker« sei das gewesen, wurde später erzählt.

Die zweite. Ich muss mich schon in diesem Alter offenbar ganz gerne mal aus dem Staub gemacht haben. Eines Tages ging ich den Geschwendaer Berg, Richtung Gräfenroda, hinauf. Es kann auf halber Höhe gewesen sein, da fuhren amerikanische Militärfahrzeuge den Berg hinab. Das erste Fahrzeug hielt an, der Fahrer sprach mich an, ich verstand freilich nichts. Ich erschrak und ich staunte: Zum ersten Mal sah ich dunkelhäutige Männer … In demselben Augenblick wurde ich von einer Frau geschnappt, die mich nach Hause brachte. Meine Mutter war es in diesem Fall nicht. Es seien amerikanische »Neecher« gewesen, wurde mir später erklärt.

Die dritte. Geschwenda wurde 1945 zunächst von der US-Army besetzt. Wir mussten unser Haus verlassen, weil dort amerikanische Soldaten einquartiert wurden. Wir, meine Mutter und ich, wurden von unseren Nachbarn schräg gegenüber, den Schramms, aufgenommen. Die anderen aus dem Hause gingen jeweils zu ihren Verwandten. Das Haus von Bertha Schramm war größer als unseres, auf dem Hof war es zusätzlich ausgebaut. Im Parterre hatte sie ihren Lebensmittelladen. Noch in den 60er-Jahren war am Schaufenster der Schriftzug aus der Kaiserzeit zu lesen: »Kolonialwaren Schramm«. Als Kinder kauften wir bei ihr am liebsten saure Fassgurken aus Großengottern und Kandiszucker – jeweils in Papiertüten. Hinter dem Gurkenfass hatte Bertha, die wegen ihrer Körperfülle nicht so schnell hinter dem Ladentisch hervorkam, vorsorglich einen Teppichklopfer platziert – für den Fall, dass mal wieder naseweise Knirpse kamen und ein Pfund Stecknadelsamen oder eine Kümmelspaltmaschine verlangten. Irgendwann während der kurzzeitigen amerikanischen Besetzung des Dorfes schaute ich gemeinsam mit den Schramm-Kindern aus dem ersten Stock hinüber zu unserem Haus. Wir trauten unseren Augen kaum! Ein amerikanischer Soldat hielt, ebenfalls aus dem ersten Stock, seinen Hintern aus dem Fenster und schiss auf die Straße. Meine Erinnerung wurde noch Jahre danach durch erwachsene Zeitzeuginnen beglaubigt: durch meine Mutter, durch die Schramms und durch die »Färzch-Linna«. Die zuletzt genannte Dame galt in der Straße als das, was man gewöhnlich »gut informierte Kreise« nennt. Sie meinte: »Ä Neecher wor das nech. Das wor ä wisser Nacktorsch. On mejäd sin Schnerpfel heäde offn Alfred gepinkelt.«13 Auch Emil Zöllner hatte den Vorgang aus seinem Parterre-Fenster gegenüber so beobachtet. Ein paar Jahre später war für mich die Frage, warum der amerikanische Soldat aus dem Schlafzimmerfenster von Luise und Emil Hopf seine Notdurft verrichtet hatte. Wo es doch am Seiteneingang, zum Hof hin, ein Plumpsklo gab. Warum kampierte die US-Army ausgerechnet in »unserem«, das heißt in des Großvaters Haus? Da ich anderthalb Jahrzehnte auf die Antwort warten musste, kommen wir ein paar Seiten später darauf zurück.

Anfang Juli 1945, nach dem Gebietsaustausch zwischen den USA und der UdSSR, übernahmen die Sowjets Geschwenda. Der Schacher um die thüringischen, rhönischen und fränkischen Gebiete zwischen den Sowjets und den Amis zeigt, wie alternativ und minimalistisch es bei historischen Wegmarkierungen zugehen kann. Und wie ungleich auch. Die minimalistischen Entscheidungen hatten weitreichende Konsequenzen für die Deutschen in dieser Gegend. Die einen wurden Bundesbürger, die anderen DDR-Bürger. Deutsche Nachkriegsgeschichte ist zuerst durch die Entscheidungen der Weltmächte in Europa zu erklären. Als unabwendbare und im Grunde historisch »gerechte« Antwort auf den vom faschistischen Deutschland angezettelten Zweiten Weltkrieg. Deutsche Politiker in Ost und West kamen im Wesentlichen nicht über die Rolle der Handlanger hinaus. Auch wenn sie gestaltende Gewalten wurden. Die sollten sie doch werden.

Die Rote Armee kam auch nicht zu den »schlechten« Deutschen, wiewohl sich im Osten Antifaschisten von vor 1949 zahlreicher versammelten als im Westen. Die Amerikaner kamen nicht zu den »guten« Deutschen. Dies sei für gewisse Betrachtungen 45 Jahre später bedacht, als es plötzlich um den unterschiedlichen Wert von Deutschen ging, weil der eine im Osten und der andere im Westen gelebt hatte.

Soldaten der Roten Armee haben Frauen vergewaltigt. Russische Rachegefühle waren freilich besonders hartnäckig, denn in der Sowjetunion, nicht in den USA, gab es deutschen, faschistischen Brandschatz und die Erschießung von Menschen. Über die Soldaten der Roten Armee schrieb Rudolf Herrnstadt am 19. November 1948 im »Neuen Deutschland« einen Aufsatz zum Thema »Über die Russen und über uns«. Eine derart offene und ehrliche Veröffentlichung zu »unserem« Verhältnis zur Sowjetunion hat es im »ND« bis zum Ende der DDR nicht noch einmal gegeben. Herrnstadt hatte ehedem in Warschau für die Sowjetunion und gegen Nazideutschland spioniert, das Verhältnis zur »SU« war für ihn eine Herzensangelegenheit. Zum Zeitpunkt des Artikels war er Chefredakteur der von ihm gegründeten »Berliner Zeitung«, bald darauf wurde er Chefredakteur des »ND«, um nach dem 17. Juni 1953 von Ulbricht – der eigentlich selbst hätte gehen müssen – geschasst zu werden.

Also lesen wir bei ihm über die Rote Armee als Besatzungsmacht, an die Deutschen gerichtet: »Und die Armee, die da kam? Sie war ihm unheimlich, denn der Instinkt sagte ihm, dass sie mit ihm nicht befreundet sein könne, weil er nicht gekämpft hatte. Sah er, woher sie kam? […] Nein, sie kam von dort her, woher er nicht kam, nämlich aus dem Klassenkampf in seiner erbittertsten, wildesten Form, aus dem Freiheitskampf eines überfallenen Volkes, gegen das vier Jahre lang Krieg auf Leben und Tod geführt worden war. Sie kam daher – nicht in den abgetragenen, aber sauberen Schuhen, die er selber anhatte, auch nicht in den geputzten Schühchen aus der kürzlich verlassenen Friedenskaserne in Boston oder Manchester […] Sie kamen in den klobigen Stiefeln, an denen der Dreck der Historie klebte, entschlossen, entzündet, gewarnt, geweitet, in Teilen auch verroht, jawohl in Teilen auch verroht, denn der Krieg verroht die Menschen, wer hat ein Recht, sich darüber zu erregen? Kaum derjenige, der die Hand nicht dagegen rührte, als noch kürzlich ganz Deutschland von den Worten widerhallte: ›Wir wol-len den to-ta-len Krieg.‹«

Aus Schwäng ist aus Erzählungen, die ich in den 50er-Jahren mehrfach gehört habe, überliefert, dass der erste Offizier, wir nehmen an, dass es einer war, der mit seinem Spähtrupp in das Dorf kam, einen Zettel in der Hand hielt, den er Einheimischen zeigte. Auf dem Zettel soll, in krakeliger Schrift, gestanden haben: »Befehl! Wo ist Fabrik, die baut Kisten mit Henkel?« Den Zettel und die Kisten mit Henkel habe ich selbst nicht gesehen. Die Fabrik, das waren die Gebrüder Dornheim, mit Spitznamen »de Döffels«. Es ging um ihre Kofferfabrik, die nach meinem Wissen über einhundert Leute aus Schwäng und aus Nachbarorten beschäftigte. Die »Döffels« aber hatten den Braten gerochen und waren gerade mit allen Fabrikunterlagen in die amerikanische Zone umgezogen. Im »VEB Kofferfabrik Geschwenda« arbeitete später auch meine Mutter. Für 80 Mark im Monat, später waren es 240 Mark. In der Kofferfabrik wurden immer wieder Brände gelegt, deren Beschädigungen aber immer noch begrenzt werden konnten. Beim letzten Brand Mitte der 60er-Jahre wurde die Kofferfabrik bis auf die Grundmauern zerstört.

Auf ihrer Suche nach der Fabrik wurden die Offiziere und Soldaten der Roten Armee, die sich in der Garnison Ohrdruf niedergelassen hatten, woanders fündig. In der Werkstatt von Walter Ratzmann. Sie befand sich am Rande des »Steg«, vor dem steilen Abhang zum »Rasen« hinunter. Die Werkstatt fanden die Offiziere aus Ohrdruf für ihre Zwecke offenbar interessant. Eine »freie Werkstatt« wahrhaftig! Neben dem Wohnhaus eine Scheune, oder eben eine Werkstatt, mit Werkbänken und Werkzeug, mit gewaltig anmutenden Sauerstoffflaschen und Schweißgeräten. Die Tür zu dieser Werkstatt kenne ich nur offen stehend. Dazu der ebenfalls ständig offene Hof, dahinter der Garten. Dort befand sich Ratzmanns »Ersatzteillager«. Uns Jungen kam es wie ein großer Schrotthaufen vor. Das meiste stammte aus der Zeit von vor 1945.

Walter Ratzmann war Mechaniker, Monteur, Schweißer, Bastler. Schon im vorgerückten Alter gehörte er zu jenen, über die man sagte: »Us nischt macht dr Walder woas.« Seine Arbeitskleidung bestand aus einer dunklen, ledernen Latzhose und einer schwarzen Lederjacke. Und er trug eine flache, schwarze, ebenfalls lederne Mütze. Die Arbeitskleidung glänzte speckig, sie »stand«. Dazu gern die Zigarre. Alles, was irgendwie ging, baute er zusammen oder reparierte er. Kochtöpfe, Fahrräder, Motorräder, Autos, Ackerpflüge … Da es keine Ersatzteile gab, schweißte er sich welche zusammen. Da wusste er wenigstens, dass das Blech hielt. Mein gebrauchtes Damenfahrrad von 1953 für 75 DDR-Mark, das mir meine Mutter zum Geburtstag schenkte, stammte auch von Ratzmann. Das Baujahr 1936 war eingraviert.

Walter Ratzmann wurde mit seiner Werkstatt etliche Jahre zur »Außenstelle« der Garnison Ohrdruf. Der »Wolga« und der »Moskwitsch« der Offiziere und Panzerautos wurden von ihm repariert und »gewartet«. Auch hier musste er Ersatzteile erfinden und schweißen, die Rote Armee hatte keine. Eines Tages stand gar ein T 34 auf seinem Hof, an dem geschweißt werden sollte. Walter mit seinem großen handwerklichen Geschick reparierte alles – vom Kochtopf bis zum Panzer. Ratzmann und die Offiziere und Soldaten aus Ohrdruf wurden, sagen wir mal, »Kumpels«. Er nannte sie »meine Russen«, sie ihn »Towarischtsch Walter«, obwohl er keiner war. Ratzmanns Grundstück wurde mit der Zeit »exterritorial« für die Offiziere und Soldaten, die »Hoheit« der Garnison galt hier nicht. Anders als bei der offiziellen deutsch-sowjetischen Freundschaft war Russisch nicht die Amtssprache. »Eier Russschch larn ech nech«, »mäände« Walter. »Ech breng eich mei Deitsch bei.« Also »Schwänger Platt«. Ein Offizier, so wurde erzählt, soll sich bei Ratzmann beschwert haben, dass er mit seinem »Deitsch« in Erfurt nichts anfangen könne. – »Du mosst jo nech bi de Affsche.«14 Wenn Soldaten auf seinem Ersatzteillager standen, soll er auch gerufen haben: »Jong, gii ronger, du fliichst offn Nischel on dar Alfred es nech darhemm.« Alfred war der Landarzt Dr. Fuhrmann.

Ein lockeres Verhältnis gab es zweifellos auch zum Wodka. Nach getaner Arbeit – von Walter Ratzmann verrichteter Arbeit – saßen sie im Hof und speisten, tranken und stanken gemeinsam nach Wodka und Machorka. Und wenn sich der Offizier angesichts der Soldaten doch einmal zierte, besaß der alte Ratzmann genügend Bauernschläue, um die Soldaten zu schützen: »No Jong, heid siffste eän meäd.«

Walter Ratzmann stärkte mit seiner Werkstatt also die Verteidigungsfähigkeit der Roten Armee. Nachdem er aus Altersgründen seine Werkstatt geschlossen hatte, schenkte er »seinen« Russen sein Ersatzteillager. Das war für die Sowjets in Ohrdruf mehr wert als die von ihnen herausgerissenen Bahnschienen zwischen Gräfenroda/Hauptbahnhof und Dörrberg. Somit müssen die 2,1 Milliarden – ausgedrückt in deutscher Westmark – Reparationsleistungen, die die DDR gegenüber der UdSSR aufzubringen hatte, überarbeitet werden, weil Ratzmanns Werkstattleistungen und vor allem sein Ersatzteillager darin bisher nicht erfasst worden sind.15

»Gyswenda« wurde erstmalig 1302 urkundlich erwähnt. Die Urkunde berichtet von der Schenkung des Ortes durch den Grafen von Käfernburg an den Abt von Hersfeld. Von diesem erhielt Käfernburg den Ort als Lehen zurück. Jahrhundertelang war Geschwenda ein Lehensgebiet. Im Zeitalter der deutschen Kleinstaaterei waren die Fürsten von Schwarzburg-Arnstadt und Schwarzburg-Sondershausen die prominentesten Lehnsherren, die es als Rittergut durch die Herren von Liechtenberg, von Plassenburg, von Röder und von Belmont verwalten ließen. Am Fuße der Alteburg, im Dörrtal, dort, wo sich im engen Tal die Bahnlinie von Arnstadt durch den Tunnel nach Oberhof und Suhl zieht, führte einst die große Handelsstraße von Erfurt nach Mainz und Nürnberg. Dort bauten sich die »Raubritter« ihr »Schloss«, von dem aus sie sich wie die Habichte auf Hab und Gut der Handelsreisenden gestürzt haben sollen. 1290 ließ Kaiser Rudolf von Habsburg 66 Ritterburgen schleifen, darunter das »Raubschloß Alteburk«. In Erfurt wurden 300 Raubritter enthauptet.16

In den Grundmauern der Burg, auf dem ebenfalls »geschwendeten« Grundstück der Raubritter, spielten wir Straßenkinder die Raubritter nach. Allerdings mit bescheidener Ausbeute. Mehr als Heidelbeeren, Pilze und von der schnaufenden Lokomotive des Personenzuges plattgefahrene DDR-Pfennige sprangen nicht heraus.

Auf dem Weg nach Gräfenroda, am offenen, ebenfalls »geschwendeten« Berg, liegt die »Hexenleide«. Wie ich während meines »Archivpraktikums« in der Gemeindeverwaltung im Juli/August 1961 feststellen konnte, waren auf der Hexenleide zwischen 1665 und 1667 fünf »Hexinnen« verbrannt worden. Noch in den 50er-, 60er-Jahren war Hexengläubigkeit im Dorf verbreitet. Wurde uns ein appetitlicher Hochzeits- oder Kirmeskuchen gereicht, durfte er nicht gegessen werden. Es hieß, die Nachbarin sei eine Hexe.

Warum hat Geschwenda, im Unterschied zu den Nachbarorten, keinen Bahnhof? Der Großbauer Wallendorf am nördlichen Ende des Dorfes, Richtung Angelroda/Rippersroda, dessen Grundbesitz aus den Rittergütern hervorgegangen war, klärt uns auf: »Dass de Boanschiehn ewer minn Acker on darch meine Schinn geläht son war, weal ech ju bei guder Endschädchung nuch en Koaf nahm, awer de huuchen Herrschaften von der Boahn sonn sech je nech einbild, dass ech jedesmoal wenn ä Zug kemmt, mei Schinndur auf on zu mach.«17

In Wirklichkeit führte die Bahnlinie nicht am Ortsschulzen Eduard Große vorbei. Nachdem sich Geschwenda Anfang des 19. Jahrhunderts vom fürstlichen Schwarzburg-Sondershausen freigekauft hatte, war es eine Gemeinde mit eigenem Dorfschulzen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war Große für 46 Jahre Dorfschulze von Schwäng. Eine Institution. Kein Generalsekretär im Feudalsozialismus hat so etwas geschafft. Als der Bahnlinienbau Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre, von Erfurt und Arnstadt kommend, über »Rippersch« und Schwäng führen sollte, stieß das auf den energischen Widerstand von Große. Sein Argument war die frische Luft, sein Schwäng und der Wald sollten nicht durch die qualmenden Lokomotiven »verpestet« werden. Es gab schon Grüne vor den Grünen. Große setzte sich durch. Die Bahnlinie wurde über Gräfenroda, Dörrberg und durch den Brandleitetunnel zwischen Gehlberg und Oberhof gebaut. Kommunale Selbstverwaltung im Kaiserreich. An dieser Bahnlinie erhielten 1891 Dörrberg, zwischen Geschwenda und Gräfenroda gelegen, und Albrechts-Mäbendorf ihren kleinen Bahnhof. Sofern von solchen Bahnhöfen etwas übrig geblieben ist, sind es heute die »Haltepunkte«.

Im übertragenen Sinne musste der Großbauer hundert Jahre später aber sein Scheunentor doch noch aufmachen. Die Autobahn A 71 durch den Thüringer Wald führt dort entlang, wo die Eisenbahnstrecke hatte gebaut werden sollen. Vom Autobahnbau waren Äcker aus unseren Familien- und Verwandtschaftskreisen in Albrechts und in Geschwenda betroffen. Wer sich mit Vollgas auf meines Großvaters einstigen Acker in die »Kahre« legt, kommt Minuten später in Erfurt heraus. Während die Alteburg einen knappen Kilometer lang vom gleichnamigen Autobahntunnel durchlöchert wird. An der Nordseite der Alteburg beginnt der Tunnel dort, wo wir als Kinder im Winter mit unseren »Hopfern« unser Skiparadis hatten.

Tausende, nach Zeitungsberichten waren es fünftausend, zogen zum Fuße der Alteburg, um gegen den Tunnelbau zu protestieren. Die Demokratie ist so verfasst, dass Tausende ihren Widerstand vom Berg aus hörbar ins Land rufen konnten. Aber es änderte nichts. Was für ein albernes Sprichwort, das einem weismachen will, dass guter Wille Berge versetzt. Als der Bundesverkehrsminister Wissmann seine Pistole zum Startschuss gegen den Berg erhob, wurden Protestierer und Protestanten in Schwäng und Arlesberg von der Polizei zurückgehalten.

Acht Jahre nach dem Autobahnbau erhielten Rita und ich, ebenso die Anverwandten, die Aufforderung, 14,67 Euro aus der Entschädigung zurückzuzahlen, die wir für die Äcker unserer Vorfahren erhalten hatten. Die Bundesrepublik hätte sich vermessen und verrechnet. Das passiert der Berliner Republik hin und wieder.

In Schwäng indes ist die Sprache der Dialekt, von dem uns der Großbauer vorhin eine Kostprobe gab. Gewiss, der Schwänger Dialekt besitzt nicht die Exklusivität der irokesischen Silbensprache des Indianerstamms aus Oklahoma. Aber einmalig ist der Dialekt allemal. Er ist keine Lingua franca, sondern streng auf die 5,88 Quadratkilometer des Ortes begrenzt. Eine Enklave des »Schwänger Platt«, umringt vom Zentralthüringischen und beginnendem Südthüringischen. Mir ist eine »kleinere« Mundart in Thüringen nicht bekannt als die Geschwendaer. Die Eigenständigkeit dieses Dialekts hat mit ursprünglichen Besiedelungen und langer, relativer Abgeschiedenheit zu tun. Schon nebenan in Gräfenroda oder in Geraberg, ganz zu schweigen von Arnstadt oder Ilmenau, wird »anders« gesprochen – »hochdeutsch«, wie man in Schwäng meint. Diese linguistische Situation könnte nun für die Kleinen gewinnbringend werden, wenn die Verhältnisse umgekehrt werden. Man erklärt das Schwänger Platt zum Zentralthüringischen und ruft die Anrainer und weitere Nachbarn ins Hochdeutsche. Für die einen wie für die anderen wäre das ein Aufstieg auf die linguistische Hochebene. Gewiss, im Hintergrund hört man schon die Sachsen grummeln. »On nu, was wärd’n nu aus uns?« Ihnen rufen wir mit Kaiser Augustus zu: »Festina lente!« Uwe Steimle hat doch schon den Antrag abgegeben, das »Säggsch« ins Weltkulturerbe aufzunehmen … Bleiben noch die Bayern. Um die muss man sich solche Sorgen nicht machen. Die regeln das wieder mit dem Meinungsforschungsinstitut in Allensbach, von dem sie sich selbst nach der schönsten deutschen Mundart befragen lassen … Wie auch immer. Die Sprachwissenschaftliche Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, die regionale Mundarten Thüringens offiziell unterscheidet, steht vor der grundlegenden Aufgabe, das Schwänger Platt zu klassifizieren.

Nach meiner Beobachtung sind vor allem die Umbildung und Verlängerung der Vokale mit eigener Konsonanz typisch für den Schwänger Dialekt. Butter – Bodder, Hof – Huuf, Garten – Goorden, Hund – Hond, Klöße – Gliis, Brot – Bruud, Keller – Kaller, Ameisen – Imazen, Straße – Stroasn, Ofen – Uufen, rot – ruud, heute Abend – hind … Das darf man jedoch nicht so ernst nehmen, weil ich den Dialekt inzwischen verlernt habe. Nie hätte ich gedacht, dass mir so etwas passieren könnte.

Und der Wirsing, das Gemüse. Meine Mutter schaut aus der ersten Etage auf die Straße, gegenüber schaut auch die Nachbarin, parterre, aus ihrem Fenster.

»Kääde, woas gebbdsn heid bei dech?«

»No Miirschingden.«

»O heejen, suuäne Arbd machsde dech.«

»Mei Jong es doch dooe.«

»Ach suue.«

»Das moss-ch dn Häärbert sää.«

Herbert wird gerufen, ich werde gerufen. Herbert:

»Enner halbn Schdonn schbeeld dor Boss geechn Schalge. Kemmsde reewer?«

»Ech gii neewer.«18

Herbert gehörte in Schwäng zu den Ersten, die einen Rubens-Fernseher besaßen. Bildschirm-Diagonale 33 Zentimeter, schwarz-weiß-grau das Bild. Mit selbst gebauter Westantenne auf dem Dach, an der ständig gebastelt wurde. Wenn aber der »Boss«, also Helmut Rahn von Rot-Weiß Essen und aus der Weltmeistermannschaft, zu seinem Vollspannschuss ausholte, gab es zu unserem Unmut »Grieß« auf dem Fernseher. Verantwortlich für den »Grieß« war die DDR.

Als nach dem Mauerbau linksradikalisierte junge Genossen im Blauhemd auf SED-Anordnung die »Aktion Ochsenkopf« starteten, mit Eisensägen ausgerüstet, um die Antennen zum Empfang des Westfernsehens vom Hessischen Rundfunk abzusägen, verteidigte Herbert seinen Dachfirst heldenhaft. Die »Aktion Ochsenkopf« musste abgebrochen werden.

Außer Nachbar Meyer besaßen den »Rubens« nach meinen Kenntnissen noch der Bürgermeister, der Schuldirektor Woop, der Ortsparteisekretär Pfeiffer mit »drei F«, eins vor dem »Ei«, zwei hinterm »Ei«, und Pfarrer Schlösser. Das Fernsehgerät des Herrn Pfarrer erlangte für mich und zwei weitere Schulkameraden eine wegweisende Bedeutung, auf die wir zu sprechen kommen werden. Hätte es diesen Fernseher nicht gegeben, wäre vielleicht manches anders gelaufen.

Dialekt und Mentalität der »Schwänger« brachten es mit sich, dass vielfach Spitznamen verteilt wurden. Manchmal war mir gar nicht bekannt, wie dieser oder jener wirklich hieß. Mancher Spitzname gab auch eine Kurzcharakteristik der Persönlichkeit oder der Familie her. Man erinnert sich an den »Helzernen Uufen« (hölzernen Ofen) aus dem Kellermann’schen Familienkreis meines Großvaters. Es gab den »bleiernen Sack«, den »grommen Hond«, den »laafenden Meeder«, den »Hebbelherd« (Ziegenhirt), den »decken Dens-ch« (Dienstag). Oder die »Schneppelelse«. Sie hieß nach den »Schnipplern«, den Männern und Frauen, die mit ihren Kindern im 19. Jahrhundert in Hausarbeit Blumenstäbe und Besenstiele »schnippelten«. Die »Schnippler« wurden davon nicht reich, sie aßen »ikles Bruud« (belegtes Brot).

Ernster wurde es schon mit dem »Garmatz«, gemeinhin als »Aufschneider«, als Lügenbold verstanden. »O hejen du aaler Garmatz, erzeel nech suuwoas.« Dazu kam der »Huddch«, der Gauner, der Lump. Auch ein »Harengsbäncher« war dabei. Der ging einst durch das Dorf, um Rollmöpse und Bismarckheringe zu verkaufen. Der große Kanzler des »ersten Reichs« hatte seinen bedeutenden Namen für einen sauren Hering hergegeben. Mein Großvater Arthur aß nun für sein Leben gern das Fischbrötchen mit dem Bismarckhering. Er achtete stets darauf, dass der »Bismarcker« in der Semmel (Brötchen) lag und nicht der Rollmops. Wie sich bei ihm der Bismarckhering mit der SPD-Zugehörigkeit vertrug? Irgendwann hat er mir seine »Rechtfertigung« dafür offeriert. Erstens sei der Bismarck ohnehin an der Sozialdemokratie gescheitert, zum Zweiten habe er seine Sozialversicherung ja nur eingeführt, um die Sozialdemokratie zur Ruhe zu bringen. Da könne er doch mit gutem Gewissen in den Hering beißen. Das sagte er, obwohl er Glasbläser und Hühnerzüchter und nicht Historiker geworden war. Ende der 50er-Jahre beklagte der Großvater, dass die »Bismarcker« in der DDR abgeschafft worden seien. Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus neigte sich ihrem Ende zu, da konnte man in der DDR keinen »Bismarcker« mehr gebrauchen.

Schließlich die »Eelmodder«. Dieser Spitzname wurde in Anlehnung an die historische »Ölmutter« aus dem 19. Jahrhundert vergeben. Die »Eelmodder« war eine ältere Frau, die, dem »Harengsbäncher« ähnlich, gemächlich durch die Straßen ging und aus einem Kanister, den sie im Buckelkorb trug, Leinöl verkaufte. Lose, über Messbecher aus Metall oder Glas. Ein umständliches Procedere. Für das 20. Jahrhundert hatte sie nun Pate für den Spitznamen gestanden, der inzwischen aber vorwiegend an Männer vergeben wurde. An solche, die bei der Verrichtung ihrer Arbeiten in Haus und Hof oder im Handwerk besonders langsam, bedächtig, umständlich zu Werke gingen. Das ging bis zu den Zuschauern auf dem Fußballplatz auf dem »Kickelhähnchen«. Schieds- und Linienrichter, die etwas gegen unsere Mannschaft hatten, wurden zur »Eelmodder« ernannt. Dem Mittelstürmer der eigenen Mannschaft, der den Ball frei vor dem Tor nicht hineinbrachte, rief auch Großvater Arthur, mit dem Spazierstock gestikulierend, zu: »Jong, ech komm gleich nein, du schbeelst heid wie ääne Eelmodder.«

Auch die Bewohner benachbarter Orte und Städte erhielten ihre typisch schwänger Bezeichnungen. Die Nachbarn aus Geraberg waren »de Gersche«, die Gräfenrodaer »de Grawereedre«, die Arnstädter »de Arnschdre«, die Ilmenauer »de Elmsche«. »De Affsche« hatten wir schon.

Doch in den ersten Jahren nach 1945 bekam Schwäng selber seinen Spitznamen weg, verliehen von den Nachbarorten. »Groß-Kuttnow« wurde es genannt. Und der Bekanntheitsgrad dieses Spitznamens wuchs im Thüringischen. »Groß-Kuttnow« erlangte seine regionale Berühmtheit nach der Währungsreform und dem Marshall-Plan im Westen. Mancher Leute Not oder ein durchaus bescheidener Besitzerdrang trieb sie nach dem Westen, nach Hessen oder Bayern, wo sie »einkauften«. Über Meiningen waren es dorthin ja nur ein paar Kilometer. Natürlich zu entsprechenden Umtauschsätzen oder auch gegen Naturalien. Zurückgekehrt, wurde jedoch nicht gegen bare Münzen verkauft – es wurde »gekuttet«. Gehandelt, getauscht. Jetzt wurde richtige Naturalwirtschaft betrieben.

Ich erinnere mich zum Beispiel eines »Kutters«, der im Turmgeschoss der Gaststätte »Thüringer Wald« von Wilhelm Schneider nebenan auf der Neuen Sorge wohnte. Der »lange Schneider« war das, nicht verwandt mit dem Besitzer der Gastwirtschaft. Das war der »dicke Schneider«. Im Krieg hatte der »lange Schneider« den rechten Arm verloren. Vielleicht Mitte fünfzig, eben noch Umsiedler, besorgte er das West-Geschäft zusammen mit seinem Sohn. Der Mann kreuzte wiederholt bei Großvater Arthur auf und »kuttete« mit ihm. Gegen hochgelobte Damast-Tischdecken und Damast-Bettwäsche aus dem Westen, die mein Großvater später vererbte, holte er Selbstgeschlachtetes aus der Speisekammer. Die Kutter-Schwänger Laufkundschaft des Marshall-Plans mit eigenem Sozialstatus. Die Leute schlichen sich bei Nacht und Nebel, im Winter, oft ganz bewusst bei schlechtem Wetter, über die Grenze. Solange diese »grün« und nur Demarkationslinie war, ging das noch gut. Es muss sich gelohnt haben, sonst hätten sie es nicht gemacht. Aber mit der Einführung des Grenzregimes durch die DDR wurde das Kutten gefährlich. Mancher Kutter wurde geschnappt. Eines Tages hieß es plötzlich, der Sohn vom »langen Schneider« sei von Grenzpolizisten erschossen worden. Das war das Ende von »Groß-Kuttnow«.

Aber das Image von »Groß-Kuttnow« hielt noch jahrelang an. Geschäftemacher, Leute, die andere übers Ohr hauen … das hörte ich noch in den 60er-Jahren in Malmers über die Leute aus Schwäng. »Bist woll auch so einer?«, wollte Jochen Reiff, der Ehemann von Ritas Cousine Lianne, wissen.

Mitten in »Schwäng« steht eine prächtige Kirche, von der man meinen könnte, sie wäre für den kleinen Ort viel zu groß – die Nikolaikirche. Auf dem Gelände der verfallenen Vorgängerkirche entstand die neue Kirche als spätbarocker Bau zwischen 1741 und 1747. Der Reichsfreiherr, der Württembergische Geheimrat und Oberstallmeister von Röder wurde zum Bauherrn und hauptsächlichen Finanzier. Das erklärt auch die Größe der Kirche, denn Röder gehörte beispielsweise auch das Schloss Molsdorf bei Arnstadt. 1744 wurde in die Kirche eine Orgel von Johann Michael Gutjahr eingebaut, die nach der »Wende« saniert wurde. Im Frühjahr 1955 erhielt die Kirche drei neue Glocken aus der berühmten Glockengießerei Apolda.

Seit Johann Christoph Rose 1722 die ersten zwei Glocken gegossen hatte, fanden die Apoldaer Glocken, verbunden mit den Namen Ulrich und Schilling, eine einzigartige Verbreitung. 20.000 Apoldaer Glocken läuten heute in aller Welt. Viele davon gehören zum »Weltglockengeläut« und künden von Apoldaer Qualität. Der »decke Pitter« im Kölner Dom, der 1924 als »deutsche Friedensglocke« geweiht wurde, die Glocken der Dresdner Kreuzkirche, das 47-stimmige Glockenspiel am Alten Markt in Magdeburg, die Glocken der Christuskirche in Windhoek oder die Glocken in der »Tabor Lutheran Church« im südaustralischen Tanunda – sie alle wurden in Apolda gegossen. Um all dies festzuhalten, verfasste die »Glockenhistorikerin« der Familie, Margarete Schilling, eine bemerkenswerte wissenschaftliche Arbeit.19 Jede Glocke hat ihren eigenen Klang, ihren eigenen historisch-kulturellen Bezug.

1974 wurde die Schilling’sche Glockengießerei, im Rahmen der »Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse«, enteignet. Wer bisher verschont geblieben war, kam nun unter Honecker dran. Dabei wurde nicht selten der Trick angewendet, den bisherigen Eigentümer als »Direktor« anzustellen. Entweder, um fachliche Kenntnisse tatsächlich zu nutzen, weil sie gebraucht wurden. Oder um zu beweisen, dass er es eigentlich gar nicht konnte. Meistens ging das schief. So auch im Falle der Schillings, die bald aufgaben. Die Enteignung läutete 1988 das Ende der weltberühmten Apoldaer Glockengießerei ein.

In der großen Apoldaer Tradition stehen auch die bronzenen Schilling-Glocken der Nikolaikirche in Leipzig und der gleichnamigen in Geschwenda. Die Schilling-Glocken verliehen der Geschwendaer Kirche eine neue kirchlich-kulturelle Würde. Zusammen mit einigen anderen dreizehn- bis 14-jährigen Jungen gehörte ich zu denen, die die neuen Glocken läuten durften. Das Glockenläuten machte uns einen Heidenspaß, sodass es sonntags vorkam, dass die Katechetin aufgeregt in den Glockenturm kletterte und uns aufforderte, aufzuhören, weil die vorgesehene Zeitdauer überschritten war. Und damit der Gottesdienst beginnen konnte. Das Erlebnis des Glockenläutens in unserer Kirche hatte für mich einen nachhallenden Klang. Ein guter Glockenklang aus Kirche oder Dom ist für mich seit jeher etwas Besonderes. Vor allem zu Weihnachten.

Aber ein »christliches Haus«? Nein, das waren wir nicht. Wohl sind wir regelmäßig in die Kirche gegangen. Das war von meiner herzensguten Großmutter Alma so überkommen. Ich ging mit meiner Mutter fast regelmäßig sonntags zum Gottesdienst. Als sie meinte, ich könnte das nun alleine machen, blieb sie zu Hause, um sich um die »Gliis« kümmern zu können. Das war ein gutes Argument.

Großvater Arthur gab mit seinem sozialdemokratischen Selbstverständnis den Feiertagschristen. Ostern, Pfingsten, am Heiligabend und zu Silvester ging er in die Kirche. Aber nur, wenn es das Wetter zuließ. Da zog er los in seinem dunkelgrünen Lodenmantel, mit Spazierstock und Zigarre. Den Lodenmantel lobte der Großvater oft, die Qualität, aus der Weimarer Zeit, aus den besten Wirtschaftsjahren in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre, aus einem bekannten Arnstädter Modehaus, so was gäbe es in der DDR nicht. Dachte ich später an diese Interpretation meines Großvaters, dann sagte ich mir, es wird wohl Arthurs demokratisches Mäntelchen gewesen sein, das er sich in der Weimarer Republik umgehängt hatte.

Einmal kam es vor, dass er versehentlich mit der Zigarre durchmarschierte und das gewöhnlich etwas muffig riechende Kirchenschiff kurzzeitig in einem angenehm-weichen, aromatisch-weltlichen Duft versenkte. Während sich die meisten der doch zahlreichen Kirchgänger amüsierten, wurde er von der strengen Katechetin getadelt. Wie unsereiner weiland im Religionsunterricht, der bald eine entscheidende Rolle spielen sollte. Ich habe meinen Großvater auch dabei erlebt, wie er den erkalteten Zigarrenstummel während der Predigt von Pfarrer Schlösser im Mund behielt. Vom Fußballplatz her wusste ich, was das bedeutete: Er war kritisch gestimmt. Silvester kam hinzu, dass der Großvater nach dem Kirchgang seinen großen Werkstattschlüssel nahm und durchs Schlüsselloch schaute, um zu sehen, was das nächste Jahr so bringen könnte. Mit einem verschmitzten Lächeln haute er uns die Taschen voll …

Zur Glockenweihe 1955 in Geschwenda war der thüringische Landesbischof Moritz Mitzenheim aus Eisenach zugegen. Das wurde ein großer Tag für Kirche und Dorf. Nach dem festlichen Gottesdienst, nach seiner »Luther-Predigt«, kletterte der Bischof, immer noch im Talar, auf den Glockenturm, um die neuen Glocken zu besichtigen. Pfarrer Schlösser stellte dem Bischof die Jungen an den Glocken vor. »Das sind meine Läutnants.« Ich erschrak ob dieser Formulierung, stellte sich mir doch eine Assoziation zum Militär her. Das mochte ich nicht. Etwa eine Viertelstunde weilte der Bischof da oben bei uns, herzlich, gütig, weise erschien er uns. Ein Bischof eben. Neben anderem fragte er uns, was wir mal werden wollten. Der Bischof griff alle Vorschläge der Jungen mit ein paar Worten auf. Meine Antwort lautete: Förster oder Koch. Zum Koch bemerkte er, dass die Thüringer Küche etwas Besonderes sei und ausgezeichnete Köche brauche. Ihm schmeckte die Thüringer Küche also auch – kein Wunder, er war Original-Thüringer, aus Hildburghausen.

Zum Koch ist es bei mir leider doch nicht gekommen. Bestenfalls zum Hobbykoch mit Rezepten von meiner Mutter. Mit etwas Geschick, das sie mir vererbt hat. Aber erst viel später, ich weiß nicht mehr wann, wurde mir die »historische Größe« jenes Augenblicks von 1955 bewusst. Wie hatte der Bischof doch gesagt? Die Thüringer Küche ist etwas Besonderes – war denn das nicht wie ein bischöflicher Segen für die Thüringer Klöße?

Hartmut Moritz Mitzenheim, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche von Thüringen, Dr. hc. theol. von Jena, Bratislava und Warschau. Damals wie heute war beziehungsweise ist er umstritten. Die Vertreter seiner Zunft und Kirche werden schon wissen, warum sie ihn wie beurteilen. Ich habe eine persönliche Ansicht dazu. »Roter Moritz« wurde er auch genannt, teils nur ironisch, teils richtiggehend abwertend. Die Ironie gehe ich ein paar Schritte mit. Bischof Mitzenheim wie weiland der unvergessene O. F. Weidling aus Dresden? Außen schwarz und innen rot? Da fängt die Unterstellung an. Die Abwertung teile ich nicht. Gewiss kann man über seinen »Thüringer Weg« der Loyalität gegenüber der DDR-Staatsmacht, anstelle des Prinzips der Unabhängigkeit, geteilter Meinung sein.

Mitzenheim war ein Mann der Vernunft, der wohl glaubte, auf diesem Weg am besten »Ruhe« für die religiösen Belange seiner Kirche erreichen zu können. Eine Sicht durch die Brille von 1989 ist irrtümlich, denn die Verhältnisse waren nicht so. Aber es gab noch eine Voraussetzung, die nur wenige Kirchenleute, ob in Ost oder West, mitbrachten. Das ist der Punkt, den ich an ihn hoch schätze. Mitzenheim hatte sich den Nazis verweigert. Während andere unter seinen Gegenspielern nach 1945 Mitglied der NSDAP gewesen waren, vor den Nazis gedienert oder gar mit ihnen ein falsches »Heil« ausgerufen hatten, war das mit Mitzenheim nicht zu machen. Im Gegenteil. Während seiner Zeit als Pfarrer in Eisenach wurde er 1943 Vorsitzender der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen. Nicht ohne Gefahren für sich selbst verhinderte er den Anschluss, die »Gleichschaltung« seiner Kirche durch die in Thüringen besonders starke nazistische DC, die Deutschen Christen. Mitzenheim und aus dem Antifaschismus kommende Akteure der DDR-Staatsmacht räumten sich da wohl einen gewissen wechselseitigen Bonus ein. Dabei steht auf einem anderen Blatt, dass die DDR-Offiziellen zur Enttäuschung des DDR-Antifaschismus’ wurden. Bei den Gesprächen auf der Wartburg dürfte auch weniger Mitzenheim das Problem gewesen sein als vielmehr Ulbricht. Auf Deutschlands größter, geschichtsträchtiger Burganlage hätte Ulbricht eine Menge lernen können. Sicherlich hätte er keine Zulassung zum Sängerwettstreit bekommen. Auch die soziale Natur der Heiligen Elisabeth hätte ihn vermutlich überfordert. Das hat ja auch niemand verlangt. Aber schon die Freiheitsbestrebungen der Burschenschaften vermitteln Denkanstöße, zu denen es freilich nicht gekommen ist. Wer die Leipziger Universitätskirche fällt, der steht als stalinistischer Kirchenkämpfer vor dem Herrn.

Im Notizbuch der Geschichte steht für Bischof Mitzenheim noch ein anderes bemerkenswertes Datum. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1949 hielt er, von ihm selbst mehrfach angemahnt, in Buchenwald im Speziallager II der SMAD die Weihnachtspredigt vor mehreren tausend »kleinen« oder »mittleren« Nazis und unschuldig Inhaftierten. Er vermittelte Hoffnung auf Bekehrung und auf ein neues Leben. Den Weg des Bischofs habe ich auch später stets mit Interesse verfolgt. Besonders nach dem Mauerbau, als deutsche Zweistaatlichkeit zur »Zweikirchlichkeit« führte und Mitzenheim den Vorsitz der DDR-Kirche innehatte. Ob die Grenze, die in Eisenach so nah war, ob die zerstörte Leipziger Kirche ihn nachdenklich gemacht haben? Ob er bei sich selbst je eingekehrt ist? Wer weiß.

Eng verwoben mit der Kirche war in Schwäng der Schulbau um 1750. Neben der Nikolaikirche entstand die sogenannte »Alte Schule«, indem der Pfarrer ein Stück des Kirchgartens abgab. 100 Meter weiter oben wurde 150 Jahre später die »Neue Schule« gebaut. Der konsequente Backsteinbau wurde auch »Rote Schule« genannt. Erste Etage, rechts über dem Haupteingang – das war »mein« Klassenzimmer.

In Schwäng gab es ein beachtliches Vereinsleben mit oftmals schon langer Tradition. Natürlich der »Thüringer SV 1886 Geschwenda« mit seinen Turnern und Fußballern, später kamen unter anderem die Leichtathletik, Schach und Wintersport dazu. Ich durchlief alle Fußballmannschaften von der Kindermannschaft bis zur 1. Männermannschaft. In den 50er- und 60er-Jahren hießen wir dann »BSG Bekleidungsfabrik« und »Fortschritt«, mit der Textilfabrik am Weißen Stein als Trägerbetrieb. Heute ist es wieder der ThSV 1886.

Ähnlich alt war der Rassegeflügel-Züchterverein, dem Großvater Arthur schon als junger Mann angehörte. Etwas Besonderes war auch der Geschwendaer Spielmannszug. Gegründet 1891. Der bespielte in den 50er-Jahren so ziemlich alles, was in Schwäng gefeiert wurde: den Umzug zur Glockenweihe der Nikolaikirche, die Straßendemonstrationen zum 1. Mai und zum 7. Oktober, die Kirmes, Hochzeiten, Umzüge der Feuerwehr, unsere Fußballturniere zu Ostern oder Pfingsten. Vorneweg der »Capri-mulgus«, der »Hebbelherd«. Er bestimmte den Takt, bei besonderen Anlässen war er sogar flankiert von zwei herausgeputzten Funkenmariechen, die vor ihm herumhampelten.

In Schwäng gab es sechs Kneipen, die »Schänke« in der Ortsmitte, den »Roten Hirsch« am Plan – zwischen 1933 und 1945 Besäufnisort der Nazis –, den »Rasen«, den »Thüringer Wald« gleich neben der Schillerstraße, den »Weißen Stein« mitsamt seinem großen Kino, bewirtschaftet von meiner näheren und entfernten Verwandtschaft, und das »Kickelhähnchen«, unsere Fußballer-Kneipe. Zu alledem kam seit Anfang der 60er-Jahre auf der Wiese gleich hinter der Schillerstraße die LPG Typ I dazu. So ungefähr sah es also in Schwäng aus, als es in den 50er-Jahren von 2.200 Leuten bewohnt war.

Eine fränkische Sippe in Schwäng

Meine Herkunft ist mit den Kekulé-Zahlen dingfest zu machen. Mütterlicherseits mit den Namen Kellermann und Hopf, die ihre typisch germanische Herkunft nicht verbergen können. Eine frühe Kindheitserinnerung ist die an die Urgroßmütter, da sie die fast oder tatsächlich 100-Jährigen in der Familie geworden sind: Natalie Kellermann und Emilie Hopf. Natalia – die Geburt, die Geburt Christus.

Das »Stammhaus« der Kellermanns befand sich in der Feldstraße, am Fuße der »Hexenleide«. Die »Kellermänner« waren aus dem Fränkischen gekommen, wie mein Großvater berichtete. Im ganzen Land war der Name Kellermann gleichmäßig schwach verteilt. Am häufigsten waren sie wohl in Hamburg, in Berlin, in München oder eben in Franken anzutreffen. Was haben die Männer im Keller gemacht? Wir überlassen es der Fantasie. Sie können Mönche im Klosterkeller gewesen sein, im Weinkeller, oder Bierbrauer im Felsenkeller. Sie können auch im Kartoffelkeller gearbeitet haben. Dies aber erst, nachdem die 13.000 Jahre alte Frucht nach Europa gekommen war. Das kann in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gewesen sein, Historiker wissen das immer noch nicht genau. Dafür haben andere Wissenschaftler kürzlich das Genom der Kartoffel entdeckt.

Als der letzte Gutsbesitz in Geschwenda Anfang des 19. Jahrhunderts aufgeteilt und verkauft wurde, waren die fränkischen »Kellermänner« zur Stelle. Die Kellermann’schen Äcker und Wiesen auf der »Hexenleide« am Geschwendaer Berg bis zum Oberen Bienenweg auf der Bergkuppe, »An der Lehne«, »An der Kahre«, direkt über dem Rasen gelegen, am Fuße der Alteburg im Dörrtal und auf der »Klääne Wiesen« gleich hinter dem Grundstück Schillerstraße stammen alle aus dieser Zeit.

Diese Felder und Wiesen bewirtschaftete auch mein Großvater Arthur Kellermann mit seiner Familie. Zugleich betrieb er seit den 20er-Jahren bis 1954 im Nebengelass seines Grundstückes eine kleine Glasbläserei mit zwei, drei Angestellten. Sie arbeiteten am Blasebalg, der mit den Füßen angetrieben wurde, und an der offenen Flamme auf dem Tisch und lieferten damit die Zuarbeit für Thermometerhülsen, Glaskugeln und Ähnliches.

Die Glasbläserei meines Großvaters, darüber hinaus auch weitere Glasbläser dieser thüringischen Gegend, waren mir Anlass, auf die seit Jahrhunderten gestellte Frage, was denn ein Rasselbock sei, endlich eine schlüssige Antwort zu finden. Historiker, Germanisten, Theologen, auch Biologen mit ihren Kenntnissen über die Artenvielfalt konnten mit ihren bisherigen Deutungen nicht überzeugen. Ebenso ist die aktuelle Version, wonach es sich beim Rasselbock um ein ausgestopftes Fabelwesen handeln soll, in Frage zu stellen.20 Damit müssen auch gewisse verwandtschaftliche und humane Beziehungen zwischen den Freistaaten Bayern und Thüringen abschlägig beurteilt werden. Solche Beziehungen zwischen dem Rasselbock und dem Wolpertinger gab es nicht. Der Wolpertinger mit seinen langen Ohren und dem vorn aufgesetzten Gehörn bleibt ein bayerisches Alleinstellungsmerkmal. Das konnte man auch an einem bayerischen Ministerpräsidenten gut erkennen. Ich empfinde es immer noch als sensationell, wie Albrecht Dürer d. J. einen solchen Wolpertinger mit malerischer Perfektion um ein halbes Jahrtausend vorwegnehmen konnte. Ich habe die Angelegenheit des Rasselbocks historisch-konkret analysiert und kann zudem als Zeitzeuge auftreten. Es hat ihn gegeben, nicht ausgestopft, sondern leibhaftig. Den wirklichen Rasselbock! Ich habe ihn nach 1945 gesehen und sogar mit ihm gesprochen. Und wenn es nur die Antwort auf die Frage war: »Jong, wuu ess’n dei Grussfoader? Dar setzd nech an’n Balch.«

Und wie ich den Rasselbock bestaunt habe, denn er war ein Besonderer. Um die 50, barfuß auf einem 250er Motorrad aus der Vorkriegszeit sitzend, kurze Lederhose mit Edelweißträgern, rot-weiß-kleinkariertes Hemd, geflochtener Tragekorb auf dem Rücken (nicht alle Tragekörbe sind geflochten und werden auf dem Rücken getragen, gemeint ist also der »Buckelkorb«), lange, wellige, rote Haare, die hinter ihm einen Schweif bildeten, wenn er kräftig Gas gab und von dannen knatterte. So transportierte er des Großvaters und anderer Leute Glasprodukte in die weiterverarbeitenden kleinen Betriebe nach Langewiesen, Ilmenau, Lauscha oder in die Glasfabrik Geraberg.

Der berühmte, später in Rede stehende Wirtschaftshistoriker Professor Rolf Sonnemann aus Halle und Dresden hätte dieser volkswirtschaftlichen Organisation und dem obwaltenden Stand der Produktivkraftentwicklung unter den thüringischen Glasbläsern um die Mitte des 20. Jahrhunderts nur Erstaunen entgegengebracht.

Das war der wirkliche »Rasselbock«. Aufgrund seiner Epoche und des roten Haarschweifs war er, ob er wollte oder nicht, Staatsbürger der Deutschen Demokratischen Republik. Das war eben die Objektivität der Geschichte. Die gibt es. Der bürgerliche Name des Rasselbocks? Er hatte einen – den ich und andere Zeitgenossen nicht kannten. Er war auch nicht so wichtig, weil selbst der Wortstamm des Rasselbocks noch für die Logik unserer Interpretation spricht. Die Rassel – die Knarre, die Klapper, sein Motorrad.

Großvater Arthur blies auch Glaskugeln, die er höchstpersönlich, nicht über den Rasselbock, »in die Lausche« brachte. Zurück kam er mit kunstvoll bemalten Glöckchen, Laternen, Tannzapfen und Glaskugeln, die unsere Weihnachtsbäume jahrzehntelang schmückten. Außerdem nahm er einen meterhohen Weihnachtsmann als Baumständer mit, der für unsere Kinder zur kleinen Legende wurde.

Auch der amerikanische Handelsmann Woolworth importierte Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts die Lauschaer Glaskugeln nach Amerika.21 Woolworth importierte außerdem aus einem Familienbetrieb in der Schillerstraße in Schwäng Gartenzwerge ins große Amerika. Daneben lieferte der Drei-Mann-Betrieb in den 50er-Jahren noch in die UdSSR. Das war vollkommen normal. Jede Weltmacht hält sich Gartenzwerge. Aber nur, solange es sich die Zwerge gefallen lassen.

 

Kaum war das Haus in der Schillerstraße gebaut, musste Arthur Kellermann für »Volk und Vaterland«, vom Kaiser dazu aufgerufen, in den Ersten Weltkrieg ziehen. Er wurde an die Westfront befohlen, zum Marsch nach Frankreich. Als typischer Landser, als »Feldgrauer«. Gegen die Barbeurs, die »Bärtigen«, das Sinnbild des französischen Patriotismus’ schlechthin. Landser und Barbeurs waren diejenigen, die sich im Felde massenhaft gegenseitig metzelten. Zurück kam der Großvater mit einem zerschossenen, gelähmten rechten Arm, mit ein paar Vokabeln der französischen Sprache, die er sich im Lazarett angeeignet hatte, und als Kriegsgegner.

Arthur Kellermann und Emil Hopf – er hatte inzwischen seine Luise aus Nordhausen geheiratet, ihr Sohn war im Zweiten Weltkrieg ebenfalls in falscher Mission in Frankreich unterwegs – lebten mit ihren Familien in der Schillerstraße 6 a jahrelang in Eintracht. Bis ihre Wege sich trennten …