Verschwörungstheorien
Theorie – Geschichte – Wirkung
Reihe: Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei
hg. von Helmut Reinalter
in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ideengeschichte und der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei
Band 3
Theorie – Geschichte – Wirkung
StudienVerlag
Innsbruck
Wien
München
Bozen
© 2002 by StudienVerlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6010 Innsbruck
e-mail: order@studienverlag.at
homepage: www.studienverlag.at
ISBN 978-3-7065-5781-8
Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder/Circus, Innsbruck
Umschlag und Satz: Studienverlag/Karin Berner
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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Vorwort
Einleitung (Hg.)
Johannes Rogalla von Bieberstein:
Zur Geschichte der Verschwörungstheorien
Armin Pfahl-Traughber:
„Bausteine“ zu einer Theorie über „Verschwörungstheorien“:
Definitionen, Erscheinungsformen, Funktionen und Ursachen
Michael Hagemeister:
Die Protokolle der Weisen von Zion –
eine Anti-Utopie oder der Große Plan in der Geschichte?
Manfred Böcker:
Antisemitismus ohne Juden:
Die spanische radikale Rechte der dreißiger Jahre
und die Theorie der „jüdisch-freimaurerischen Verschwörung“
Armin Pfahl-Traughber:
Renaissance der antisemitisch-antifreimaurerischen Verschwörungstheorie in esoterisch-rechtsextremistischen Veröffentlichungen
Eduard Gugenberger:
Kosmische Mächte im Widerstreit – Esoterische Grundlagen im Verschwörungsweltbild des Rechtsextremismus
Pierre-André Bois:
Vom „Jesuitendolch und -gift“ zum „Jakobiner-“ bzw. „Aristokratenkomplott“: das Verschwörungsmotiv als Strukturelement eines neuen politischen Diskurses
Anhang:
Helmut Reinalter:
Verschwörungstheorien in der Habsburgermonarchie
„Geheime Geschichte des Verschwörungs-Systems der Jakobiner in den österreichischen Staaten“
Kommentierte Quellentexte (Auszüge)
Johannes Rogalla von Bieberstein
Armin Pfahl-Traughber
Autoren
Die Referate dieses Bandes wurden im Rahmen einer Vortragsreihe an der Universität Innsbruck am 17. und 18. Mai 2001 gehalten. Eduard Gugenberger hat seine Studie ohne Referat für den Tagungsband zur Verfügung gestellt. Diese Veranstaltung wurde in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Innsbruck, dem Institut für Politikwissenschaft und dem Institut für Slawistik vom privaten Institut für Ideengeschichte organisiert und durchgeführt. Das Thema der Vortragsreihe ist auch Gegenstand eines Forschungsprojekts an der Universität Innsbruck, das von Helmut Reinalter gegenwärtig geleitet wird. Eine Fortsetzung dieser wissenschaftlichen Initiative ist mit dem Schwerpunkt „Typologien des Verschwörungsdenkens“ 2002 geplant.
Der Herausgeber dankt den Kooperationspartnern und der Universität Innsbruck für die finanzielle Unterstützung. Ohne deren Hilfe hätte die Vortragsreihe nicht stattfinden können. Die einzelnen Vorträge greifen neben der Geschichte der Verschwörungstheorien wichtige Aspekte des Verschwörungsdenkens auf und vertiefen sie. Mit dieser Aufklärungsarbeit wird ein wichtiger Beitrag zur Zielsetzung, Struktur, Strategie und Wirkung des Verschwörungsdenkens geleistet. Im Anhang des vorliegenden Bandes wurden einige zum Teil kommentierte Quellentexte als Ergänzung zu den Vorträgen zusammengestellt.
Innsbruck, im Dezember 2001 |
H. R. |
Am 17. und 18. Mai 2001 fand an der Universität Innsbruck eine Vortragsreihe über „Verschwörungstheorien in Geschichte und aktueller Gegenwart“ in Kooperation mit der Volkshochschule Innsbruck, dem Institut für Politikwissenschaft, dem Institut für Slawistik und dem privaten Institut für Ideengeschichte unter Leitung von Helmut Reinalter statt. Das Thema ist nicht ohne Brisanz, wenn man an die Renaissance von Verschwörungstheorien denkt. „Geheime Gesellschaften machen Weltpolitik“ – diese Feststellung findet sich in zahlreichen literarischen Werken, populärwissenschaftlichen Büchern und in der rechtsextremistischen Propaganda, die die Hintergrundkräfte der Geschichte seit der Französischen Revolution aufzeigen und ihr Wirken diffamieren möchten. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, daß geheime Drahtzieher am Werk seien, die die Politik gestalten und bestimmen, und daß die Welt von konspirativen Gruppen gelenkt werde. Da die traumatische Erfahrung von militärischer Niederlage und Revolution, bürgerkriegsähnlichen Konflikten und Inflation im 20. Jahrhundert ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit und Umbruch hervorrief, setzte nach dem Ersten Weltkrieg erneut die Suche nach möglichen Sündenböcken ein. Die Juden mußten in Verbindung mit den Freimaurern herhalten. Sie und die Logenbrüder waren für diese Rolle besonders geeignet, weil sie als privilegierte Minderheiten galten. Für das Entstehen der These von der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung war die Stellung des Judentums in der mittelalterlichen Sozialordnung von entscheidender Bedeutung.
Da die Juden aus christlicher Sicht kollektiv für die Hinrichtung Jesu verantwortlich gemacht wurden, gelang ihnen auch die volle Integration in die religiöslegitimierte Gesellschaft nicht. Die Folge dieser Entwicklung war, daß die in Ghettos verbannten Juden sich auf Kleinhandel, Wechselgeschäft und Geldverleih konzentrierten – alles Berufe, die nach der christlichen Soziallehre nur über ein geringes Ansehen verfügten oder sogar als unchristlich galten. Auf diese Weise wurde der langsam entstehende ökonomisch-soziale Antisemitismus begünstigt, der den christlichen Antisemitismus ergänzte. Helmut Reinalter, der in die Vortragsreihe kurz einführte, betonte u.a., daß für das ideologisch-akzentuierte Komplottdenken die moralische Verabsolutierung einer gegebenen konkreten Sozialordnung und damit ein antiliberales Weltbild Voraussetzung war, das den sozialen Wandel dieser Ordnung als illegitimes und böswilliges Werk dämonisierter Minderheiten auslegte. Der Verschwörungsmythos ist als monokausale und stereotype Ideologie interpretiert worden. Die Forschung ist sich darüber hinaus weitgehend im klaren, daß er ebenso Mythoscharakter aufweist. Bei der Wirkung des Verschwörungsmythos spielen neben psychologischen Faktoren (wie z.B. Angst) auch Projektionen eine wichtige Rolle, weil vieles, was die Exponenten der Verschwörungstheorie den Juden und Freimaurern unterstellten, von ihnen selbst betrieben oder angestrebt wurde. Auch soziale Faktoren waren wichtig, weil es vor allem um die ideologische Prägung jener sozialen Gruppen geht, die für den Verschwörungsmythos besonders empfänglich waren, wie z.B. der Mittelstand mit seiner Krisenerfahrung und mit seinem Bindungsverlust. Schließlich sind auch noch politische Faktoren zu nennen, weil die Verschwörungstheorie bei der Werbung für bestimmte politische Ämter gezielt verwendet bzw. politisch eingesetzt wurde. Diese politische Instrumentalisierung verweist sehr stark auf die Manipulationsfunktion einer solchen Ideologie. Alle diese Faktoren müssen zudem, wie Helmut Reinalter hervorhob, in einem engen Wechselverhältnis zueinander gesehen werden.
Aus historischer Sicht fällt auf, was Johannes Rogalla von Bieberstein in seinem Vortrag „Zur Geschichte der Verschwörungstheorien“ anführte, daß die Verschwörungstheorie ihren Nährboden vor allem in Phasen grundlegender ideologischer und politisch-ökonomischer Verunsicherung hat. Die Verschwörungsthese geht zurück bis in die Zeit der Französischen Revolution, die als grundlegender Bruch der Kontinuität gesehen wurde. Sie versteht sich als Reaktion auf diesen Bruch und wurde im 19. und 20. Jahrhundert weiterentwickelt bzw.fortgeschrieben. Dabei wurde sie stets an die veränderten politisch-historischen Rahmenbedingungen angepaßt. Sie wurde säkularisiert und radikalisiert, wobei es zu einer Verschiebung der angeprangerten und stigmatisierten Subjekte der Verschwörung kam. Die Kombination des antisemitischen mit dem antimasonischen bzw.antikommunistischen Feindbild, das zur Vorstellung von einem „jüdischen Bolschewismus“ verdichtet wurde, ist in verhängnisvoller Weise geschichtsmächtig geworden. Rogalla von Bieberstein entwickelte in seinem Vortrag die Fortführung der Verschwörungstheorie im 19. und 20. Jahrhundert auf der Grundlage von einigen konkreten, ausgewählten Beispielen.
Armin Pfahl-Traughber stellte in seinem Referat „‚Bausteine‘ zu einer Theorie über ‚Verschwörungstheorien‘“ zur Diskussion. Er leistete einen wichtigen Beitrag zur systematischen Reflexion über Besonderheiten, Funktionen und Ursachen der Verschwörungstheorien. Prinzipiell unterschied er Verschwörung, Verschwörungshypothese, Verschwörungsideologie, Verschwörungsmythos und Verschwörungstheorie und arbeitete verschiedene Varianten von Verschwörungsideologien und -mythen heraus, wie z.B. die Verschwörung der Juden, der Freimaurer, der Illuminaten, der Kommunisten, der Kapitalisten und der Geheimagenten. Diese Liste ließe sich noch weiter fortführen. Eine solche Typologisierung kann die Struktur des Verschwörungsdenkens noch besser wissenschaftlich durchdringen. Unter den Funktionen von Verschwörungsideologien unterschied er zwischen Identitätsfunktion, Erkenntnisinstrument, Manipulationsinstrument und Legitimationsinstrument. Bei den Ursachen für die Akzeptanz für Verschwörungsideologien führte er psychologische Faktoren, soziale Faktoren und politische Gründe an. Entscheidend bleibt dabei, daß die Akzeptanz von Verschwörungsideologien nicht allein durch einen einzigen der erwähnten Faktoren erklärbar ist, vielmehr muß hier die Kombination aller Aspekte Berücksichtigung finden.
Michael Hagemeisters Beitrag setzte sich mit den Protokollen der Weisen von Zion kritisch auseinander. Bei den Protokollen handelt es sich um einen Text von ca. 60 bis 80 Seiten, sein Inhalt konzentriert sich auf die angeblich wörtliche Wiedergabe einer Rede, „die ein anonymer jüdischer Führer auf den Sitzungen der sogenannten ‚Weisen von Zion‘ an einem ungenannten Ort und zu einem ungenannten Zeitpunkt gehalten hat. In dieser Rede werden – gleichsam als Selbstbekenntnis – die geheimen Methoden und Ziele einer jahrhundertealten jüdisch-freimaurerischen Verschwörung gegen die gesamte nicht jüdische Welt bis in Einzelheiten dargelegt“. Hagemeister interpretiert den Inhalt der Protokolle sehr detailliert und geht dann insbesondere auf ihre Wirkungsgeschichte ein. Er stellt sich die Frage, worauf die ungebrochene Wirkung der Protokolle beruht. Seine Antwort ist relativ einfach: sie basiert nicht primär auf ihrem Inhalt, sondern auf ihrer bloßen Existenz, die einen allumfassenden Plan der Verschwörer impliziert, weshalb es auch eine Verschwörung gibt. Die Protokolle sind beinahe beliebig verwendbar und eignen sich nicht nur zur antijüdischen Agitation, sondern auch zur Diffamierung anderer Gruppen wie z.B.der Freimaurer und Jesuiten. Ihre Attraktivität besteht vor allem darin, daß sie einen Weltplan entwickeln, nach dem die Geschichte gestaltet und auf ein Ziel ausgerichtet ist. Darin liegt ein weiterer Grund für ihre anhaltende Wirkung.
Im Vortrag von Manfred Böcker ging es um die spanische radikale Rechte der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts und um die Theorie der „jüdisch-freimaurerischen Verschwörung“. Der Referent führte aus, daß die Koexistenz verschiedener Formen von Judenfeindschaft hybride Formen schuf, in denen sich christliche mit pseudowissenschaftlichen oder politischen Motiven vermischten. Im 20. Jahrhundert trat in Europa eine katholische Variante der Judenfeindschaft auf, die sich zwar vom völkischen Antisemitismus unterschied, zugleich aber mit der Bezeichnung „Anti-Judaismus“ nur unzureichend umschrieben werden kann. Im Spanien der 30er Jahre dominierte fast ausschließlich dieser katholische Antisemitismus. Seine Vertreter verwendeten dabei nicht nur religiöse, sondern vor allem verschwörungstheoretische Argumente. Wie der Forschungsstand zeigt, sind für die Zeit von der Jahrhundertwende bis 1931 nur wenige Zeugnisse über den Antisemitismus überliefert. Die erste spanische Version der Protokolle der Weisen von Zion kam z.B. erst 1932 heraus. Trotzdem gab es im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts einen ausgeprägten Antisemitismus in Spanien. Der Vortragende erwähnte in diesem Zusammenhang verschiedene überzeugende Beispiele. Mit der Zweiten Republik gewann das Thema größere Bedeutung und Aktualität, zumal der unrühmliche Abgang der alfonsinischen Monarchie mit dem Ende des liberalen Konservatismus in Spanien gleichbedeutend war. Autoritäres Denken, Antiliberalismus und Verschwörungstheorien hatten ab diesem Zeitpunkt bei der spanischen radikalen Rechten Konjunktur.
Die spanischen Verschwörungstheoretiker setzten vor allem am laizistischen und sozialreformerischen Charakter des „Modernisierungsregimes“ an. Die Rechte sah darin eine Kriegserklärung an die katholische Nation. Im ausgehenden 19. Jahrhundert kam es in der spanischen Presse und Publizistik zu rhetorischen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Freimaurern, die sich durch massive gegenseitige Feindschaft auszeichneten. Für die radikale Rechte stellten die Freimaurer, Liberalen, Sozialisten, Kommunisten, katalanischen und baskischen Nationalisten eine Kontinuität der Heterodoxie in der spanischen Geschichte dar. Daher erfolgte ihre Einordnung in eine Traditionslinie, an deren Beginn Juden und „conversos“ standen. Der antisemitische Verschwörungsmythos war allerdings nur einer von mehreren Mythen, mit denen die extreme Rechte die heterogene Gesamtheit innerer Feinde zum „Gegenspanien“ deklarierte. Als wichtigstes Beispiel für den zunehmenden Antisemitismus in der spanischen Rechten der 30er Jahre gilt die Wirkung der Protokolle der Weisen von Zion, die Böcker analysiert. Die Theorie der jüdischfreimaurerischen Verschwörung war am weitesten in der politischen Gruppierung der Karlisten verbreitet, insbesondere im integristischen Flügel dieser ultrakonservativen Massenbewegung und in der integristischen Geistlichkeit. Zwischen den Propagandisten der Verschwörungstheorie während der Zweiten Republik und des Bürgerkriegs existierte eine hohe personelle Kontinuität. Unter Franco zählte schließlich ein religiös geprägter und politisch aufgeladener Antisemitismus zu den Glaubenssätzen des Regimes.
In seinem zweiten Referat reflektierte Armin Pfahl-Traughber über die „Renaissance der antisemitisch-antifreimaurerischen Verschwörungstheorie in esoterisch-rechtsextremistischen Veröffentlichungen“. Der Vortragende thematisierte den historischideologischen Hintergrund, ging näher auf die antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungstheorie zunächst aus historischer Sicht ein und entwickelte dann die esoterischen Grundlagen des Nationalsozialismus. Im zweiten Teil seines Vortrages listete er die wichtigsten esoterischen Werke rechtsextremer Exponenten auf und interpretierte sie kritisch. Im Zentrum standen dabei die Veröffentlichungen Jan van Helsings. Auch die Buchveröffentlichungen in der Kontinuitätslinie von van Helsing werden ausführlich behandelt. Bei der Verbreitung esoterisch-rechtsextremistischer Veröffentlichungen kommt verschiedenen Verlagen und Buchhandlungen bzw. Vertriebsdiensten eine bedeutende Rolle zu, sodaß Pfahl-Traughber auch diesen Aspekt kritisch erörterte. In diesem Vortrag wurden die Gründe der Renaissance der antisemitisch-antifreimaurerischen Verschwörungstheorie in esoterisch-rechtsextremen Publikationen exemplarisch herausgearbeitet. Auf der Grundlage von Umfragen Anfang der 90er Jahre ergaben sich relativ hohe Zustimmungswerte für esoterische Einstellungen. Von solchen Prägungen führt kein automatischer Weg zur Akzeptanz dieser Literatur, gleichwohl verdeutlichen solche Einstellungen auch die Zugänge zu politisch irrationalen Auffassungen, was die hohen Verkaufszahlen solcher Bücher zu erklären vermag.
Im letzten Beitrag von Pierre-André Bois geht es um das Verschwörungsmotiv als Strukturelement eines neuen politischen Diskurses. Im ausgehenden 18. Jahrhundert gingen die Anschuldigungen einer Verschwörung über den religiösen und philosophischen Rahmen hinaus und erfaßten nun auch das politische Feld. Die Verschwörungstheorie war für den politischen Diskurs konstitutiv, der dann durch die Französische Revolution eine neue Dimension erhielt. Bois reduziert das Verschwörungsmotiv auf drei Strukturelemente: als Waffe in der ideologischen Auseinandersetzung, als metaphorische Sprache, die jedes sachliche Argumentationsmuster überflüssig macht, und die Verbindung zwischen Wort und Macht durch die Französische Revolution, seit der die Sprache als Instrument der Macht und Manipulation des öffentlichen Diskurses hervortritt. Diese drei Strukturelemente werden von Bois mit praktischen, konkreten Beispielen empirisch untermauert. Dabei verdeutlicht er, daß das Verschwörungsmotiv per definitionem und der politische Kampf im Grunde irrationale Züge aufweisen. Da sich die Instrumentalisierung der öffentlichen Sprache auf der Ebene des Affekts bewegt, steht diese außerhalb der rationalen Logik. Der ideologische Kern des neuen politischen Diskurses blieb auch nach der Revolution auf „Sieg oder Niederlage“ ausgerichtet.
In den lebhaften Diskussionen nach den Vorträgen wurde das Interesse der Teilnehmer an Fragen nach dem Ursprung der Verschwörungstheorien deutlich, nach Grundmustern des Verschwörungsdenkens, nach dem Wandel bzw. der Verschiebung der Subjekte, nach den Propagandisten und nach den Varianten und Funktionen des Verschwörungsmythos. Es zählt zu den wichtigen Aufgaben der Aufklärungsforschung, die pseudorationale Struktur und die Instrumentalisierungs- bzw. Manipulationsfunktion der Verschwörungstheorien kritisch zu hinterfragen und ihre wirkliche politische Bedeutung für heute aufzuzeigen.
Helmut Reinalter (Innsbruck)
In der Zeitschriftendatenbank „Jade“ bin ich kürzlich auf diesen 1997 im „Materialdienst der Europäischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ publizierten Artikel gestoßen: „Paranoia als Programm. Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur“.1 Von dieser Konjunktur profitieren auch wir. So habe ich gleich Michael Hagemeister im Mai 1999 auf der vom Deutschen Historischen Institut Warschau veranstalteten Tagung über „Verschwörungstheorien“2 gesprochen und treffe ihn heute hier im schönen Innsbruck wieder, auf einer dem gleichen Thema gewidmeten, allerdings thematisch wesentlich enger gefaßten Tagung.
Ohne daß ich auf diese Konjunktur näher eingehen möchte, sei hier doch angemerkt, daß sie auch manch unseriöse, primär der Unterhaltung, dem Kommerz oder aber auch der Verbreitung dubioser Vorstellungen dienende Publikationen hervorbringt. So heißt es denn ja in dem 1998 erschienenen Buch: Wer steckt dahinter? Die 99 wichtigsten Verschwörungstheorien: „Überall kursieren Verschwörungstheorien und zu jedem Mist“.3
Unseren Forschungen legen wir nicht den weiten, ja uferlosen Verschwörungsbegriff zugrunde, der – so das amerikanische Recht – „eine Verbindung beinhaltet „von zwei oder mehrereren Personen zu dem Zweck, eine illegale oder verbrecherische Tat zu verüben“. Bei den vermeintlichen Verschwörungen, welche hier zu diskutieren sind, handelt es sich also nicht um kriminelle und auch nicht um lokale Verschwörungen. Vielmehr um – wie Daniel Pipes in seinem Buch Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen schreibt – eine „Weltverschwörung“.4 Diese zeichnet sich dadurch aus, daß im Verborgenen agierende Konspiratoren ein umfassendes politisch-ideologisches Konzept mit dunklen Machenschaften und somit unter Täuschung der Bevölkerung durchzusetzen suchen.
Der Ausgangspunkt unseres Forschungsinteresses ist die in Reaktion auf Aufklärung und Französische Revolution entwickelte Verschwörerthese.5 Sie ist im 19. und 20. Jahrhundert fortgeschrieben und weiterentwickelt worden, d.h. an die veränderten politisch-historischen Rahmenbedingungen angepaßt worden. Dabei ist die Verschwörerthese säkularisiert und radikalisiert worden. Hierbei ist es es zu einer Verschiebung der angeprangerten und stigmatisierten Subjekte der Verschwörung, also von den Philosophen/Freidenkern zu den Freimaurern und Juden gekommen. Die Kombination des antisemitischen mit dem antimasonischen, speziell jedoch dem antikommunistischen Feindbild, welches zu der Vorstellung von einem „jüdischen Bolschewismus“ bzw.der „Judokomuna“ verdichtet worden ist, ist in verhängnisvoller, ja mörderischer Weise geschichtsmächtig geworden.6
Der Vollständigkeit halber sei eingeschoben, daß es neben antirevolutionären und antiliberalen, „rechten“ Verschwörertheorien auch sich fortschrittlich gerierende gegeben hat und noch gibt. So wurde von einigen Aufklärern im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die Vorstellung von einer das Licht der Aufklärung verdunkelnden reaktionären „exjesuitischen“ Verschwörung verbreitet. Daniel Pipes und andere haben darauf verwiesen, daß Kommunisten vielfach in paranoider Weise an eine gegen sie gerichtete weltweite Verschwörung geglaubt haben. Dabei ist dem „Kapital“ als vermeintliche Verschwörungsagentur eine Schlüsselrolle zugefallen. Diese Verschwörungsthese, die so weit geht, Adolf Hitler und Adolf Eichmann als Agenten des Kapitals hinzustellen,7 ist noch nicht systematisch erforscht worden. Sie hat mit der antirevolutionären gemein, daß es sich dabei gleichfalls um ein umfassendes und zwar marxistisches „Welterklärungsmodell“ handelt.
Ohne daß ich hier Armin Pfahl-Traughber vorgreifen möchte oder könnte, sei hier darauf verwiesen, daß das gegenwärtige Interesse esoterischer Kreise an Verschwörertheorien das Links-rechts-Schema sprengt. Man kann hierin einen Ausdruck der Spaßgesellschaft erblicken, die ja den Slogan „Hitler ist Pop“ hervorgebracht hat, oder auch eine Bestätigung für den Satz, daß sich die Extreme berühren. Es scheint mir bezeichnend, daß mir vor einiger Zeit ein ganz offensichtlich zur linksalternativen Subkultur gehörender Bibliotheksbenutzer das Buch von Jan Helsing zur Anschaffung vorgeschlagen hat, in dem sich absurde antisemitische Verschwörungsbeschuldigungen befinden.
Als Einstieg in die konterrevolutionäre Verschwörerthese möchte ich die Eingabe eines Wiener Gubernialsekretärs vom August 1790 an den Kaiser wählen. Darin glaubte dieser nachweisen zu können, daß „das Rad der gegenwärtigen Irrungen und Revolutionen Europens von der Bruderschaft der Freymaurer getrieben“ werde8.
Die Basis für diesen Verschwörungsglauben ist 1791 von einem Augsburger Jesuiten so formuliert worden: „Eine Bruderschaft, die unter Personen von verschiedenen Ständen eingegangen wird, hat kein Verhältnis zu der Verschiedenheit der hierarchischen Ordnung, welche Gott zur guten Leitung der Welt eingesetzt hat, daraus folgt unnachläßlich der Umsturz des geistlichen und weltlichen Systemes“.9
Die Tatsache, daß die Verschwörungsthese von einem ständisch-hierarchischen Standpunkt aus Fundamentalkritik am Gleichheitsprinzip übt, erklärt den Sachverhalt, daß sie sowohl von Repräsentanten des Ancien Régime, als auch später von antiliberalen Vertretern des laizistischen Rechtsradikalismus in Anspruch genommen werden konnte. Die Verschwörungsthese konstituiert also ein antimodernistisches Feindbild. Es hat im zwanzigsten Jahrhundert mit seinen „Sündenböcken“ dabei geholfen, in „feindlicher Nähe“ zueinander stehende christliche Konservative und Nationalsozialisten in gemeinsamer Frontstellung gegen Laizismus, Liberalismus und Sozialismus miteinander zu verbinden.
So hat Kaiser Wilhelm II., welchem Ludendorff seine antifreimaurerischen Pamphlete ins holländische Exil nachschickte, 1924 behauptet, die Schuld an der Revolution von 1918 „trifft in erster Linie die Freimaurer“10. Dabei ging er davon aus, daß die Freimaurer der Mittelmächte mit den Entente-Freimaurern unter einer Decke gesteckt hätten. Den Hintergrund für diese Unterstellung bildet jene deutsche Kriegsideologie11, nach der es „um den Sieg des demokratisch-nationalen Prinzips über das theokratischautokratische, monarchisch-feudale, militaristisch-imperialistische“ ging.
Dies hatte der Jesuit Hermann Gruber in seiner 1917 publizierten Schrift Freimaurerei, Weltkrieg und Weltfriede behauptet.12 Ähnlich hat der alldeutsche Präsident des Flottenvereins, Fürst Otto zu Salm-Horstmar, am 9. Juli 1918 in seiner Herrenhaus-Rede argumentiert. Unter Bezug auf die bayerischen Illuminaten erklärte er, alle Revolutionen der Neuzeit wären von Freimaurern „in Szene“ gesetzt worden. Dabei stellte er die „jüdisch-demokratische“ der „deutsch-aristokratischen Weltanschauung“ gegenüber und warnte vor der „jüdisch-freimaurerischen“ Sozialistischen Internationale.
Bevor ich die Entfaltung der Verschwörungstheorie skizziere. möchte ich vorausschicken, daß es nicht angängig ist, alle Propagatoren der Verschwörungstheorie als Opfer eines Wahns zu betrachten. Vielmehr lassen sich unter ihren Fabrikanten und Propagatoren neben naiven und fanatischen Gläubigen auch skrupellose Machttechniker ausmachen. Und zwar Leute, die in durchaus zynischer Weise die Ressentiments und Ängste der durch krisenhafte Entwicklungen Verunsicherten mit oft nicht geringem Erfolg zu manipulieren versucht haben.
Für die Geburt von Verschwörungstheorien stellen tiefgreifende gesellschaftliche und geistige Umbrüche den erforderlichen Nährboden dar. Sie pflegen viele Menschen in hohem Maße zu verunsichern und lassen sie nach einfachen Formeln zur Erklärung der komplexen Realität suchen. Dabei ist für die Plausibilität von Verschwörerheorien ein Korn Wahrheit erforderlich, welches dann in verzerrter Form präsentiert wird. Die „idée de complot“, welche François Furet als „notion centrale et polymorphe“ gekennzeichnet hat,13 erfüllt eine rationalisierende Funktion, indem sie vorgibt, für alle existentielle Ängste hervorrufenden gesellschaftlichen Umbrüche eine griffige Erklärung bereit zu haben. Sie ist durch eine interessengeleitete Denkstruktur gekennzeichnet, welche dualistisch-manichäistische Züge trägt.
Damit entspringt die Verschwörerthese einem Bedürfnis nach Reduktion der komplexen Realität und vermag eine – wegen ihrer Wahnhaftigkeit – gefährliche Orientierungsfunktion wahrzunehmen. Denn bei der Verschwörungsthese handelt es sich nicht um ein distanziertes und unparteiisches Erkenntnisinstrument, sondern vielmehr um eine der Feindbestimmung und damit der Feindbekämpfung dienenden ideologisch politische Waffe, also um eine Kampfthese.
Da zum Wesen der Verschwörungsthese der Glaube gehört, daß kleine Minderheiten14 den Geschichtsprozeß – und zwar illegitim – steuern können, müssen diesen Minderheiten zwangsläufig dämonisch-übermenschliche Kräfte zugeschrieben werden. Gleichzeitig muß jedoch die Zuversicht vermittelt werden, daß durch die Entlarvung und die Ausschaltung der wenigen die Gesellschaft vergiftenden Bösen der soziale Organismus wieder geheilt werden könne. Es handelt sich dabei um das sog. verschwörungstheoretische Paradox.
Bevor die Entstehung, die unterschiedlichen Ausprägungen sowie die geschichtliche Relevanz der antifreimaurerischen, antisemitischen und antisozialistischen Verschwörungsthese skizziert wird, ist dies anzumerken: Der Verschwörungsthese wird erst in jüngster Zeit ernsthafte wissenschaftliche Beachtung geschenkt. Wenn man sie früher als ein „Schauermärchen“15 abtat, so deshalb, weil man die Bedeutung der Angst und damit sozialpsychologischer Mechanismen in der Politik verkannte16 und weil man darüber hinaus „unseriösen“ Theoremen keine Beachtung schenken zu müssen glaubte.
Die ursprüngliche konterrevolutionäre Verschwörungsthese beruht auf einem antiaufklärerischen, antirevolutionären, integral-christlichen Weltbild. Der Abbé und Exjesuit Augustin Barruel,17 der sie unter Rückgriff auf deutsche Pamphlet-Literatur in seinen erstmals 1797/98 in London publizierten und in neun europäische Sprachen übersetzten und geschichtsmächtig gewordenen Mémoires pour servir à l’histoire du Jacobinisme18 zu einem eingängigen System verarbeitet hat, behauptet dies: Die Philosophen (Freidenker), Freimaurer, Physiokraten, Juden, Jakobiner und Republikaner hätten eine „Sekte“ gebildet, die sich „in Amerika mit den ersten Grundlagen des Codex der Gleichheit, der Freiheit und des Souveränen Volkes“ angekündigt habe19.
Für Barruel wie für andere Repräsentanten des durch die Symbiose von „Thron und Altar“ gekennzeichneten Ancien Régime stellten die Aktivitäten der „Sekte“ – speziell der Freimaurer – eine Revolte gegen den göttlichen Herrn dar. Denn: „Der Gott, der die Menschen für die bürgerliche Gesellschaft geschaffen hat, hat ihnen die vorgeblichen Rechte der Gleichheit und Freiheit, die Grundlagen der Unordnung und der Anarchie, nicht beigelegt. Der Gott, der uns die Herrschaft und die Aufrechterhaltung der Gesetze nur in der Subordination der Staatsbürger unter die Obrigkeiten und Regenten wahrnehmen lässet und zeiget, hat nicht jeden einzelnen Staatsbürger zum Regenten und zur Obrigkeit gemacht.“20
Die ursprüngliche Verschwörungsthese präsentiert sich also als aggressiver Ausdruck jener politischen Theologie, welche durch die Gleichung Demokratie = Atheismus gekennzeichnet ist.21 Sie muß demzufolge im Zusammenhang mit der Diskussion über die „Dechristianisierung“ gesehen werden.22 Hierbei ist zu beachten, daß für die Traditionalisten die Devise „une foi, une loi, un roi“ maßgeblich war und daß der in der vorjakobinischen Phase der Französischen Revolution unternommene Versuch, eine „démocratie chrétienne“ zu begründen23, als blasphemisch verworfen worden ist.
Die Tatsache, daß die Verschwörungsthese eine enorme Bedeutung erlangen und bis in die Gegenwart fortwirken konnte, erklärt sich wie folgt: In der Freimaurerei als dem Subjekt der Verschwörungsthese sind die aufklärerischen Ideale von religiöser und konfessioneller Toleranz, kosmopolitischer Orientierung, Humanität und Brüderlichkeit nicht nur ideell, sondern auch organisatorisch verkörpert. Insbesondere deshalb, weil der aufklärerische Fortschrittsglaube diesen Idealen ein optimistisches Moment verlieh, konnte die im Arkanraum der Loge praktizierte Freimaurerei als eine private und konkrete Vorwegnahme auf eine ideale Wert- und Sozialordnung erfahren werden.
Eine Wiener Freimaurerschrift von 1786, welche den bezeichnenden Titel Schatten und Licht trägt, machte dies deutlich: „Die Maurerei ... vereinigt Leute aus allen Nationen, von allen Religionen, von allen Ständen: der Mexikaner, der Sibirier, der Deutsche und der Japaner, der Christ und der Muselmann, und der Jude, der Minister, der Kapuziner und der Feldmarschall umarmen einander in der Loge: die Meinungen der Sekten werden wechselseitig geduldet.“
Die moderne „spekulative“ Freimaurerei hat wegen ihrer in orthodoxen Kreisen als indifferentistisch abgelehnten Toleranzidee schon früh den Argwohn der Kirche erweckt und wurde daher 1738 durch eine erst 1974 erheblich abgeschwächte24 päpstliche Bulle verdammt.
Nachdem die Freimaurer bereits 1746 vom Abbé Gaultier bezichtigt worden waren, eine „conspiration génerale contre la religion“ zu organisieren25, veröffentlichte der Abbé Larudan 1747 in Amsterdam die Broschüre Les francs-macons écrasés. Darin warnte er – konkreter Anlaß war der englisch-französische Krieg – vor einer großen antikatholischen, protestantisch-freimaurerischen Verschwörung. Die Freimaurer machten, so unterstellte er, „die vollkommene Freiheit und Gleichheit, so uns von allen Arten der Obrigkeit losmacht ... einem jeden beliebt und anständig“.26 Cromwell habe den Freimaurerorden gegründet, um „das menschliche Geschlecht zu bessern und Könige und Potentaten, deren Geißel er war, auszurotten“.27
In der Schrift Centinella contra Francs Masones thematisierte der spanische Dominikaner Joseph Torrubia, Mitglied der Inquisition, das zum Aufhänger für Verschwörungs-Unterstellungen gewordene freimaurerische Toleranzprinzip wie folgt: „Der Katholik ist hier (in der Loge) der Bruder des Lutheraners, des Kalvinisten, des Zwinglianers, des Schismatikers und wer weiß, ob nicht des Mohammedaners und Juden.“28
Nachdem der Fortschritt der vielfach antiklerikale Akzente tragenden Aufklärungsbewegung die Befürchtungen der christlichen Orthodoxie noch gesteigert hatte, attackierte der Aachener Dominikaner Greinemann 1778 die Freimaurer von der Kanzel wie folgt: „Die Juden, die den Heiland kreuzigten, waren Freimaurer, Pilatus und Herodes die Vorsteher einer Loge. Judas hatte sich, bevor er Jesus verriet, in einer Loge zum Maurer machen lassen.“29
Mit diesen Worten, welche Ausschreitungen gegen Aachener Bürger und damit einen politischen Skandal ausgelöst haben,30 stellte sich Greinemann in die Tradition des christlichen Antijudaismus. Zugleich aber brachte er erstmals die Juden und die Freimaurer in einen konspiratorischen Zusammenhang, der dann bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein immer wieder konstruiert worden und zum Anlaß für Verfolgungen genommen worden ist.
Zu den Unterstellungen der antimasonischen kirchlichen Polemik ist global zu sagen, daß die antifreimaurerischen und gelegentlich auch schon antisemitischen Verschwörungsvorwürfe konstruiert sind. So hat der Freimaurer George Washington selbstverständlich nicht als Marionette einer Loge agiert. Die in Einzelfällen vorgenommene und auch noch nach 1789 keineswegs unumstrittene Rezeption von Juden in Freimaurerlogen31 hat allerdings unbestreitbar einen Beitrag zur Integration von bereits assimilierten Juden in die christlich-bürgerliche Gesellschaft geleistet.
Auch kann nicht bestritten werden, daß es kein Zufall ist, wenn eine Affinität zwischen freimaurerischen Idealen und der amerikanischen Declaration of Independence von 1776 vorliegt. Immerhin konnte der Freimaurer Gotthold Ephraim Lessing in seinen freimaurerischen Gesprächen Ernst und Falk von einem Freimaurer sagen, daß er zu denjenigen gehöre, die „in Europa für die Amerikaner fechten“. Er habe die Grille – so heißt es dort weiter –, „daß der Congreß eine Loge ist, daß da endlich die Freimaurer ihr Reich mit gewaffneter Hand gründen“.32
Wie die Attacken der Dominikaner Torrubia und Greinemann zeigen, hat die aufklärerische Infragestellung der kirchlichen Orthodoxie die Folge gehabt, daß kirchlicherseits Urängste ausgelöst und mittelalterliche Vorstellungen reaktiviert worden sind. Dies bezieht sich sowohl auf die Freimaurer als auch auf die – in der kirchlichen Tradition vielfach mit dem Antichristen in Verbindung gebrachten und dämonisierten – Juden.33 Auf sie sind neben Elementen des Satans- auch solche des Hexenglaubens34 übertragen worden. Hiervon zeugt etwa die erstmals 1761 in London publizierte und anschließend – 1768 und 1769 – auch ins Deutsche und Französische übersetzte Schrift: Freemasonry, the highway to hell, a sermon, wherein is clearly proved, both from reason and scripture, that all who possess these mysteries are in a state of eternal damnation.35
Eine Analyse der jeweils unterschiedliche Aktualisierungsformen annehmenden Verschwörungsthese zeitigt das Ergebnis, daß ihr Realitäts- bzw. Wahngehalt große Schwankungen aufweist. Der Abbé Barruel selbst spricht von einer „dreyfachen Verschwörung ... in welcher, lange vor der Revolution, der Ruin der Kirche, der Ruin des Thrones, und endlich der Ruin der ganzen bürgerlichen Gesellschaft geschmiedet wurde, und noch geschmiedet wird“. Träger dieser Verschwörungen seien die jeweils mit der Freimaurerei assoziierten Philosophen („Sophisten des Unglaubens“), bürgerlich-konstitutionalistischen Revolutionäre („Sophisten des Aufruhrs“) von 1789 und endlich die Jakobiner („Sophisten der Anarchie“).
Die erste dieser Verschwörungen, nämlich der Glaube an eine „philosophische Conspiration“36, nimmt sich im Vergleich mit den anderen noch vergleichsweise realitätsnah und darum wenig wahnhaft aus. Sie beruht nämlich gewissermaßen auf einem ideologisch-geisteswissenschaftlichen Politikverständnis, nach dem aufklärerische und damit auch freimaurerische Ideen auf eine recht direkte Weise zu politischen Gestaltungsprinzipien transformiert worden sind und einen Wertwandel bewirkt haben. So wird den Freimaurern in der von Augsburger Exjesuiten herausgegebenen „Neuesten Sammlung“ im Zusammenhang mit Warnungen vor dem quasifreimaurerischen Illuminatenorden dies nachgesagt: „Was soll man denken von einem Haufen Leute, die nichts als Freiheit atmen, die nichts schreiben, werden sie nicht auch frei handeln wollen?“
Der 1776 von dem Ingolstädter Professor Adam Weishaupt begründete und von seinem Mitstreiter Adolf Freiherr Knigge in Norddeutschland verbreitete radikalaufklärerische Illuminatenorden, der sich der Freimauererei als eines „Deckmantels“ bedient hat, fasziniert – wie ein Blick ins Internet belegt – bis in die Gegenwart und hat deswegen eine mythologische Überhöhung erfahren. Ein Grund hierfür war, daß er seine radikalen emanzipatorischen Ziele mit konspirativen, also quasi-absolutistischen Methoden zu erreichen suchte.
Der Illuminatenorden ist als Forschungsgegenstand von Richard van Dülmen mit seiner ihm 1975 gewidmeten Monographie neu entdeckt worden. Nachdem Hermann Schüttler 1991 erstmals eine umfassende Mitgliederliste dieses Ordens publiziert hatte, veröffentlichte Helmut Reinalter 1997 in Frankfurt/M. den Sammelband Der Illuminatenorden 1776-1785/87.
Monika Neugebauer-Wölk hat 1995 mit ihrem Buch „Esoterische Bünde und bürgerliche Gesellschaft“ einen neuen Akzent in die Freimaurer- und Illuminatenforschung eingebracht. Sie hat die Bedeutung antiker Mythen speziell auch für den Illuminatenorden hervorgehoben und herausgearbeitet, daß sich für die Illuminaten die Vernunftreligion in Mysterien offenbart. Nachdem Monika Neugebauer-Wölk und Richard Saage 1996 in Tübingen den Sammelband Die Politisierung des Utopischen im 18. Jahrhundert publiziert hatten, veröffentlichte Florian Maurice seine Dissertation Freimaurerei um 1800. Auch sie eröffnet neue Horizonte, indem sie sich den zuvor vernachlässigten liturgisch-rituellen und mystisch-esoterischen Aspekten der unterschiedlichen Observanzen der Freimaurerei zugewendet hat.
In der Auseinandersetzung um den 1785 in Bayern verbotenen Illuminatenorden37 haben sich in Deutschland erstmals so etwas wie politisch-ideologische Fronten herausgebildet. Die Reaktion, welche in dem preußischen Religionsedikt von 1788 einen Höhepunkt fand, trug bereits einen präventiv-konterrevolutionären Charakter und hat die später zu einem System ausgearbeitete Verschwörungsthese in hohem Maße präformiert. So hat Ernst August von Goechhausen (1740-1824) in seinem 1786 anonym erschienenen Buch Enthüllung des Systems der Weltbürger-Republik unter Hinweis auf die Illuminaten dramatisierend behauptet, daß die Menschheit „mit blinden Augen“ dem Abgrund zutaumele. Darüber hinaus prognostizierte er: „Revolutionen, die unausbleiblich sind, die ich erwarte und vorhersehe“.38
Der Pietist Jung-Stilling warnte 1788 in seinem Lehrbuch der Staats-Polizey-Wissenschaft vor der Freimaurerei, da er herausgefunden habe, daß „die Logen Schulen des Naturalismus, des Deismus, Verschwörungen gegen die heiligste Grundfeste unserer Staatsverfassung, die wahre christliche Religion und wahre Geheimnisse der Bosheit“ enthielten.39
Neben Goechhausen symbolisiert der Ingolstädter Exjesuit und Theologieprofessor Benedikt Stattler, welcher 1787 mit der Entlarvungsschrift Das Geheimnis der Bosheit des Stifters des Illuminatenordens hervortrat, den engen Konnex von Gegenaufklärung und Gegenrevolution. Stattler publizierte 1788 einen dreibändigen Anti-Kant, wurde 1790 zum geistlichen und Zensur-Rat in München ernannt und hat endlich 1791 das Pamphlet veröffentlicht: Unsinn der französischen Freyheitsphilosophie im Entwurf ihrer neuen Konstitution zur Warnung und Belehrung deutscher französelnder Philosophen ins helle Licht gerückt.
Als sich der zum Hauptpropagator der Verschwörungsthese gewordene Abbé Barruel 1789 darum bemühte, in seiner Schrift Le patriote véridique die „wahren Ursachen der gegenwärtigen Revolution“ zu ergründen, erwähnte er bezeichnenderweise die Freimaurer noch mit keinem einzigen Wort! Auch der Comte de Ferrand, der 1790 die Enthüllungsschrift Les conspirateurs demasqués publizierte, wußte noch nichts von einer freimaurerischen Verschwörung. Vielmehr beschränkte er sich darauf, Männer wie den Herzog von Orléans, Lafayette, Necker und den Abbé Siéyés global als Konspiratoren zu denunzieren.
Erst der im Dienst des Landgrafen von Hessen-Kassel stehende Marquis de Luchet hat dem französischen Publikum 1790 durch eine Broschüre die Existenz des Illuminatenordens bekannt gemacht.40 Da viele deutsche Gebildete mit der Französischen Revolution sympathisiert haben, entstand die Befürchtung, daß es zu einem Zusammenspiel französischer Revolutionäre mit ihren radikalaufklärerisch-illuminatischen deutschen Sympathisanten kommen könne. So hat der preußische Gesandte in Paris am 22. Januar 1790 die Vermutung ausgesprochen, daß die revolutionäre französische Propaganda im Ausland durch die Freimaurer begünstigt werde.41
Ende 1789 ist Alexander Graf Cagliostro, alias Giuseppe Balsamo, von der päpstlichen Inquisition festgenommen worden. Die Verhaftung dieses als Gründer einer „ägyptischen Freimaurerei“ hervorgetretenen Abenteurers ist von kirchlichen Kreisen benutzt worden, um Verschwörungstheoreme glaubwürdig zu machen.42 Es wurde behauptet, daß nach den Aussagen Cagliostros französische Freimaurer unter Führung ihres Großmeisters, des Herzogs von Orléans, den Sturm auf die Bastille organisiert und ausgeführt hätten.43 Darüber hinaus unterstellte das Politische Journal wenig später: „Man will wissen, er (Cagliostro) sey das geheime Oberhaupt der Illuminaten-Sekte. Er und diese Sekte haben an vielen Dingen in Frankreich, und anderen, die so in anderen Ländern vorgehen, Schuld“.44
Die antifreimaurerische Verschwörungsthese spielte seit 1791 in Deutschland sowohl im diplomatischen Schriftverkehr als auch in der konterrevolutionären Publizistik eine wichtige Rolle. Bei ihrer Propagierung hat sich der Wiener Professor Leopold Alois Hoffmann hervorgetan, dessen publizistisches Organ die Wiener Zeitschrift (1792-1793) gewesen ist.45 Daß Hoffmann – wie übrigens auch der Abbé Barruel – vor 1789 selbst Freimaurer gewesen ist, verweist auf einen oft übersehenen und für die Beurteilung der Freimaurerei und auch der Verschwörungsthese grundlegenden Sachverhalt: Die reguläre Johannis-Freimaurerei des 18. Jahrhunderts sowie auch die meisten Illuminaten – man denke etwa an den bayerischen Illuminaten Montgelas und die Reformer des preußischen Staates, Hardenberg und Stein – waren Politiker, welche eine Reform von oben zu inszenieren suchten.
Bei der Agitation der Wiener Zeitschrift gegen die Freimaurer fällt auf, daß die Verschwörungstheoreme ihrer ursprünglich christlichen Vorzeichen weitgehend entkleidet und zu einem rein politischen Kampfinstrument transformiert wurden. Zu diesem Zwecke wurde zwischen der evidentermaßen harmlosen „blauen“ Loge und der staatsfeindlichen „roten“ Hochgrad-Loge unterschieden. Letztere würde sich verschwören „zur Vertilgung aller Könige, zur Herstellung der Gleichheit der Stände und sogar der Gesellschaft der Güter“.46 Ganz offenbar wird damit an die Interessen des (Besitz-)Bürgertums appelliert, welches nicht unbedingt auf „Thron und Altar“ fixiert war.47
Der Illuminatismus wurde als „leiblicher Bruder des Jakobinismus“ denunziert48, wobei die Wiener Zeitschrift kühn behauptete: „Ein Jakobiner ist nicht mehr und nicht weniger als ein praktischer Illuminat nach dem im Baierlande geborenen, und dort und anderwärts großgezogenen Weishaupt-Kniggeschen Illuminaten-Sistem“.49 Das Bindeglied zwischen Illuminaten und Französischer Revolution stellte nach ihr die Paris-Reise der Illuminaten Johann Bode und Wilhelm von dem Bussche von 1787 dar, über welche wir inzwischen durch das Auffinden der „Schwedenkiste“ gut informiert sind. Durch diese – tatsächlich vorhanden gewesenen, jedoch maßlos aufgebauschten – Kontakte seien die französischen Logen „mit dem Illuminatismus imprägniert“ worden. Pathetisch wurde dann ausgerufen: „Nicht die Franzosen sind die Erfinder dieses großen Entwurfes, die Welt umzukehren; diese Ehre kommt den Deutschen zu. Den Franzosen gebührt die Ehre, daß sie mit der Ausführung den Anfang gemacht ... Aus dem in Deutschland entstandenen, und noch ganz und gar nicht verloschenen, sondern nur verborgen und desto gefährlicher sein Wesen treibenden Illuminatismus, sind diese Comités politiques entstanden, die dem Jakobinerclub sein Dasein gegeben“.50
Diese spezifisch deutsche Version der Verschwörungsthese, welche in eine Vielzahl von Flugschriften Eingang gefunden hat, ist von der konspirativ arbeitenden „Gesellschaft patriotischer Gelehrter“ propagiert worden, der fast alle namhaften antirevolutionären deutschen Publizisten wie Adolf Christian von Grolmann, Ernst August von Goechhausen, Heinrich Koester und H. O. Reichhard angehört haben und die vom Landgrafen von Hessen-Kassel und vom Markgrafen Karl Friedrich von Baden gesponsert wurde.51 Dank der finanziellen Zuwendungen dieser beiden Fürsten konnte die Eudämonia oder deutsches Volksglück. Ein Journal für Freunde der Wahrheit und des Rechts von 1795 bis 1798 – anonym! – erscheinen. Dieses Blatt suchte der „jakobinisierten Stimmung der öffentlichen Meinung“ entgegenzutreten und verkündete: Die Stifter des Illuminatenordens seien es gewesen, welche „das Ungeheuer der Französischen Revolution zur Welt gebracht, auferzogen, genährt und stark gemacht haben, daß es eine große Menge von Menschen in seine Klauen fassen und den übrigen fürchterliche werden konnte“.52
Die beiden letzten der vier Bände der Barruelschen Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus gehen ganz entscheidend auf die Aktivitäten der „Eudämonisten“ zurück. Dem im englischen Exil von Edmund Burke protegierten Abbé Barruel ist von den deutschen Eudämonisten eine Kollektion einschlägiger deutscher antiilluminatischer und antirevolutionär-antifreimaurerischer Pamphletliteratur übersandt worden.53
Eine weitere Synthese der Verschwörungsthese hat 1797 der Edinburgher Professor John Robison vorgelegt in dem Buch Proofs of a conspiracy against all the religions and governments of Europe, carried on in the secret meetings of free masons, illuminati und reading societies. Es ist ins Französische, Deutsche und Niederländische übersetzt worden und verrät ebenfalls eine intime Kenntnis der deutschen antifreimaurerischen Pamphletliteratur. Von den Barruelschen Denkwürdigkeiten unterscheidet es sich dadurch, daß es von einem dezidiert protestantischen Standpunkt aus verfasst ist.
Wir können also das Resümee ziehen: Die Verschwörungsthese ist überwiegend in Deutschland entwickelt worden, war bereits vor 1789 präformiert, hat jedoch ihre synthetische Zusammenfassung und weltweite Verbreitung durch einen Franzosen und einen Schotten erhalten.
Zu ergänzen ist noch, daß Johann August Starck die Verschwörungsthese in seinem 1803 vorgelegten Triumph der Philosophie im Achtzehnten Jahrhundert auf eine effektvolle Weise neu formulierte, wobei er den Akzent mehr auf den Wertewandel als die Konspiration im engeren Sinn legte.
Schließlich ist hier noch darauf zu verweisen, daß Karl Ludwig von Haller, der einstmals Mitarbeiter der Wiener Zeitschrift gewesen war, in seiner 1820 publizierten Restauration der Staats-Wissenschaft der Verschwörungsthese eine zentrale Rolle zuweist. Er behauptet darin, das Studium „des Getriebes der geheimen Gesellschaften“ habe ihm Aufschluß über die planmäßige Verbreitung und den unglaublichen Einfluß der herrschenden irreligiösen und revolutionären Prinzipien“ erteilt. Dabei distanzierte er sich freilich von einer primitiven Drahtziehertheorie, indem er anmerkte, Barruel und Starck würden dem „bösen Willen ... zu viel, dem Irrtum zu wenig zuschreiben“.54
Insgesamt wurde diese publizistische Auseinandersetzung um die Französische Revolution bei allen verschwörungstheoretischen Überzeichnungen auf einem recht hohen intellektuellen Niveau und meist vergleichsweise differenziert geführt. Dies erklärt sich dadurch, daß die konterrevolutionären Publizisten überwiegend selber Freimaurer gewesen sind und ihre Schriften an das gebildete Publikum gerichtet haben, was sie von den rechtsradikalen Agitatoren des zwanzigsten Jahrhunderts grundlegend unterscheidet.