Cover

Das Buch

Warum fällt es uns so schwer, Geld fürs Alter zurückzulegen, obwohl dies sinnvoll wäre? Warum essen wir zu viel fettige Speisen, obwohl wir wissen, dass es uns schadet? Warum sind unsere Neujahrsvorsätze fast immer zum Scheitern verurteilt?

Nobelpreisträger Richard Thaler hat als erster Ökonom anschaulich gezeigt, dass unser Handeln in Wirtschaft und Alltag oft unvernünftig ist – und hat damit die traditionellen Grundannahmen der Ökonomie auf den Kopf gestellt. In diesem Buch fasst er die Forschungen der Verhaltensökonomik zusammen und zeigt anhand vieler Beispiele aus Beruf und Alltag, warum das Konzept des rational handelnden Homo oeconomicus ein fataler Irrglaube ist.

Ein ebenso kluger wie amüsanter Blick auf die psychologischen Grundlagen unserer Entscheidungen – der unsere Sicht auf die Wirtschaft, auf die Welt und nicht zuletzt uns selbst für immer verändern wird.

Der Autor

Richard Thaler, geboren 1945, ist Professor für Behavioral Science and Economics an der University of Chicago. Er zählt zu den weltweit führenden Experten für Verhaltensökonomik und war u. a. Berater des US-Präsidenten Barack Obama. 2017 erhielt er für seine Forschungen zur Wirtschaftspsychologie den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Richard Thaler

Misbehaving

Was uns die Verhaltensökonomik über
unsere Entscheidungen verrät

Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt

Pantheon

Die Originalausgabe ist 2015 unter dem Titel »Misbehaving. The Making of Behavioral Economics« bei W. W. Norton, New York, erschienen.



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Erste Auflage

April 2018

Copyright © Richard H. Thaler, 2015

© 2018 für die deutsche Ausgabe by Siedler Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München,
auf der Grundlage eines Entwurfs von Pete Garceau
Umschlagabbildungen: istockphoto/Oksanita und mysondanube

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-23028-9
V004

www.pantheon-verlag.de

Für Victor Fuchs, der mir ein Jahr zum Nachdenken gab, und Eric Wanner und die Russell Sage Foundation, die eine verrückte Idee unterstützten.

Und für Colin Camerer und George Loewenstein, die das Phänomen des »Fehlverhaltens« schon früh erforschten.

Inhalt

Vorwort

I. ANFÄNGE: 1970 – 1978

1. Vermeintlich irrelevante Faktoren

2. Der Endowment-Effekt

3. Die Liste

4. Die Werttheorie

5. California Dreamin’

6. Spießrutenlauf

II. Mentale Buchführung: 1979 – 1985

7. Schnäppchen und Abzocke

8. Versunkene Kosten

9. Einweckgläser und Budgets

10. Am Pokertisch

III. Selbstkontrolle: 1975 – 1988

11. Willenskraft? Kein Problem

12. Die Planerin und der Macher

Zwischenspiel

13. Ungezogenes Verhalten in der Wirklichkeit

IV. Meine Zusammenarbeit mit Danny: 1984 – 1985

14. Was erscheint uns als fair?

15. Fairness-Spiele

16. Kaffeebecher

V. Kontroversen mit anderen Wirtschaftswissenschaftlern: 1986 – 1994

17. Die Debatte beginnt

18. Anomalien

19. Ein Team bilden

20. Enges Framing in der Upper East Side

VI. Finanzökonomik: 1983 – 2003

21. Der Schönheitswettbewerb

22. Kommt es an der Börse zu Überreaktionen?

23. Die Reaktion auf die Überreaktion

24. Der Preis ist nicht richtig

25. Die Kontroverse um geschlossene Investmentfonds

26. Taufliegen, Eisberge und negative Aktienkurse

VII. Willkommen in Chicago: 1995 – heute

27. Rechtswissenschaft

28. Die Büros

29. Football

30. Spielshows

VIII. Anwendung in der Praxis: 2004 – heute

31. Morgen mehr sparen

32. Ein breiteres Publikum erreichen

33. »Nudging« in Großbritannien

Schluss: Wie geht es weiter?

Anhang

Dank

Bibliografie

Abbildungsverzeichnis

Personenregister

Anmerkungen

Die Grundlage der politischen Ökonomie und, im Allgemeinen, jeder Sozialwissenschaft ist offensichtlich die Psychologie. Es mag ein Tag kommen, an dem wir in der Lage sein werden, die Gesetze der Sozialwissenschaften aus den Prinzipien der Psychologie abzuleiten.

VILFREDO PARETO, 1906[1]

Vorwort

Bevor wir richtig loslegen, möchte ich zwei Anekdoten über meine Freunde und Mentoren Amos Tversky und Daniel Kahneman erzählen. Diese Geschichten liefern gewisse Anhaltspunkte darüber, worum es in diesem Buch gehen wird.

Der Wunsch, Amos zu gefallen

Selbst denjenigen von uns, die sich nicht daran erinnern können, wo sie zuletzt ihre Schlüssel hingelegt haben, bietet das Leben unvergessliche Momente. Einige davon sind öffentliche Ereignisse. Wenn Sie so alt sind wie ich, ist eines davon der Tag, an dem John F. Kennedy ermordet wurde (ich war Erstsemester im College und beim Basketballspielen in der Turnhalle). Für jeden, der alt genug ist, um dieses Buch zu lesen, ist der 11. September 2001 ein anderes (ich war gerade aufgestanden, hörte Radio und versuchte, mir einen Reim auf all das zu machen).

Andere Ereignisse sind persönlicher Natur: vom Heiraten bis zum Einlochen mit dem ersten Schlag auf dem Golfplatz. Für mich war ein solches Ereignis ein Anruf von Danny Kahneman. Obwohl wir oft miteinander sprechen und es Hunderte von Anrufen gibt, die keine Spuren hinterlassen haben, weiß ich noch genau, wo ich bei diesem Telefonat stand. Es war Anfang 1996, und Danny rief mich an, um mir mitzuteilen, dass sein Freund und Kollege Amos Tversky an Krebs im Endstadium leide und nur noch etwa sechs Monate zu leben habe. Ich war so verwirrt, dass ich das Telefon meiner Frau reichen musste, während ich versuchte, mich wieder zu fangen. Die Nachricht, dass ein guter Freund stirbt, ist immer schockierend, aber Amos Tversky war einfach nicht der Schlag Mensch, der im Alter von 59 Jahren stirbt. Amos, dessen Aufsätze und Vorträge präzise und perfekt waren und auf dessen Schreibtisch nur ein Notizblock und ein Bleistift lagen, parallel angeordnet, starb nicht einfach so.

Amos behielt die Neuigkeit für sich, bis er nicht mehr ins Büro gehen konnte. Zuvor wusste nur ein kleiner Kreis von Personen davon, darunter zwei enge Freunde von mir. Wir durften unser Wissen mit niemandem teilen, außer mit unseren Ehegatten, und so haben wir uns in den fünf Monaten, in denen wir diese schreckliche Nachricht für uns behielten, abwechselnd gegenseitig getröstet.

Amos wollte nicht, dass sein Gesundheitszustand öffentlich bekannt wurde, weil er in seinen letzten Monaten nicht die Rolle eines Sterbenden spielen wollte. Es gab noch Dinge zu erledigen. Er und Danny beschlossen, ein Buch herauszugeben: eine Sammlung von Aufsätzen, die sie und andere in jenem Teilgebiet der Psychologie, das sie selbst begründet hatten, der Urteils- und Entscheidungsforschung, geschrieben hatten. Sie gaben ihm den Titel Choices, Values, and Frames.[2] Vor allem aber wollte Amos das tun, was ihm Spaß machte: arbeiten, Zeit mit seiner Familie verbringen und sich Basketballspiele ansehen. Während dieser Zeit wehrte Amos alle Besuche von Leuten ab, die ihm ihr Mitgefühl aussprechen wollten, »Arbeitsbesuche« ließ er jedoch zu, und so suchte ich ihn etwa sechs Wochen vor seinem Tod unter dem Vorwand auf, einen Aufsatz fertigstellen zu wollen, an dem wir gearbeitet hatten. Wir diskutierten über diesen Aufsatz und sahen uns dann im Fernsehen ein Playoffspiel der National Basketball Association (NBA) an.

Amos war ein intelligenter, lebenskluger Mensch, und dies betraf auch seinen Umgang mit Krankheiten.1 Nachdem er mit Spezialisten an der Universität Stanford über seine Prognose gesprochen hatte, gelangte er zu dem Schluss, dass es keine verlockende Option sei, sich seine letzten Monate mit nutzlosen Behandlungen zu verderben, durch die er sich sehr schlecht fühlen würde und die sein Leben bestenfalls um ein paar Monate verlängern würden. Sein scharfer Intellekt blieb. Er erklärte seinem Onkologen, Krebs sei kein Nullsummenspiel. »Was schlecht für den Tumor ist, ist nicht unbedingt gut für mich.« Eines Tages fragte ich ihn bei einem Telefonat, wie er sich fühle. Er sagte: »Es ist wirklich seltsam. Wenn du die Grippe hast, hast du das Gefühl, du wirst bald sterben, aber wenn du stirbst, fühlst du dich die meiste Zeit bestens.«

Amos starb im Juni, und er wurde im kalifornischen Palo Alto beigesetzt, wo er und seine Familie lebten. Amos’ Sohn Oren hielt auf der Trauerfeier eine kurze Ansprache und zitierte aus einem Brief, den Amos ihm wenige Tage vor seinem Tod geschrieben hatte:

Ich habe den Eindruck, dass wir in den letzten Tagen Anekdoten und Geschichten ausgetauscht haben, in der Absicht, dass sie in Erinnerung bleiben mögen, zumindest eine Zeit lang. Ich meine, dass es eine lange jüdische Tradition gibt, historisches Wissen und Weisheitslehren nicht durch Belehrungen und Geschichtsbücher, sondern durch Anekdoten, komische Geschichten und passende Witze von einer Generation an die nächste weiterzugeben.

Nach der Beisetzung veranstalteten die Tverskys in ihrem Haus ein traditionelles jüdisches Schiwa-Trauerritual. Es war ein Sonntagnachmittag. Irgendwann wanderten einige von uns ins Fernsehzimmer ab, um sich das Ende eines NBA-Playoff-Spiels anzusehen. Es war uns ein wenig peinlich, aber dann sagte Amos’ Sohn Tal von sich aus: »Wenn Amos hier wäre, wäre er dafür gewesen, die Beisetzung auf Video aufzunehmen und sich das Spiel anzusehen.«

Seit dem Beginn meiner Bekanntschaft mit Amos im Jahr 1972 unterzog ich jeden Aufsatz, den ich schrieb, einem inoffiziellen Test: »Würde Amos ihn gutheißen?« Mein Freund Eric Johnson, den Sie später kennenlernen werden, kann bestätigen, dass ein Aufsatz, den wir gemeinsam schrieben, erst drei Jahre nachdem er von einer Fachzeitschrift angenommen worden war, veröffentlicht wurde. Der Redakteur, die Gutachter und Eric waren voll und ganz zufrieden mit dem Beitrag, aber Amos störte sich an einem Punkt, und ich wollte seinem Einwand Rechnung tragen. Ich habe mich mit diesem Aufsatz abgerackert, während sich dem armen Eric die Chance zur Beförderung bot, ohne dass dieser Beitrag auf seiner Publikationsliste auftauchte. Zum Glück hatte Eric zahlreiche andere exzellente Aufsätze geschrieben, sodass meine Verzögerungstaktik ihn nicht die Festanstellung kostete. Schließlich war Amos zufrieden.

Beim Schreiben dieses Buchs habe ich Amos’ Mitteilung an Oren ernst genommen. Es ist nicht die Art Buch, die man von einem Wirtschaftsprofessor erwarten würde. Es ist weder eine theoretische Abhandlung noch eine Polemik. Selbstverständlich werde ich Forschungsergebnisse behandeln, aber Sie werden auch Anekdoten, (möglicherweise) komische Geschichten und hin und wieder Witze lesen.

Danny über meine besten Eigenschaften

Eines Tages Anfang 2001 besuchte ich Danny Kahneman in seinem Haus in Berkeley. Wir saßen in seinem Wohnzimmer und plauderten, wie wir es oft tun. Dann erinnerte sich Danny plötzlich daran, dass er einen Termin für ein Telefonat mit Roger Lowenstein hatte, einem Journalisten, der einen Artikel über meine Arbeit für das New York Times Magazine schrieb.[3] Roger, der unter anderem das bekannte Buch When Genius Failed verfasst hatte, wollte sich aus nachvollziehbaren Gründen mit meinem alten Freund Danny unterhalten.[4] Das brachte mich in eine Zwickmühle. Sollte ich das Zimmer verlassen oder zuhören? »Bleib«, sagte Danny, »es könnte lustig werden.«

Das Interview begann. Wenn man einem Freund dabei zuhört, wie er eine alte Anekdote über einen erzählt, ist das nicht besonders aufregend, und es ist immer peinlich, mit anzuhören, wenn man von jemandem gelobt wird. Ich griff nach einer Zeitschrift und konzentrierte mich auf die Lektüre – bis ich Danny sagen hörte: »Das Beste an Thaler, das, was ihn wirklich besonders macht, ist die Tatsache, dass er faul ist.«

Was? Wirklich? Ich würde nie bestreiten, dass ich faul bin, aber hielt Danny meine Faulheit wirklich für meinen größten Vorzug? Ich begann, abwiegelnd mit den Händen zu winken und wie verrückt den Kopf zu schütteln, aber Danny fuhr fort, meine Faulheit zu loben. Bis heute beteuert er, er habe es als großes Kompliment gemeint. Meine Faulheit, so versichert er, bedeute, dass ich mich nur mit Fragen beschäftigte, die so faszinierend seien, dass sie diese natürliche Neigung, Anstrengung zu vermeiden, überwinden würden. Nur Danny konnte meine Faulheit in eine Stärke verwandeln.

Aber da haben Sie es. Bevor Sie weiterlesen, sollten Sie bedenken, dass dieses Buch von einem nachweislich faulen Mann geschrieben wurde. Der Vorteil besteht darin, dass – Danny zufolge – nur solche Themen darin vorkommen, die interessant sind – zumindest für mich.


1 Zu Amos’ Lebzeiten pflegten Psychologen untereinander zu scherzen, er habe einen IQ-Test ermöglicht, der nur ein einziges Item umfasste: Je eher man erkannte, dass er intelligenter war als man selbst, umso intelligenter war man.

I.
ANFÄNGE:
1970 – 1978

1.
Vermeintlich irrelevante Faktoren

Schon früh in meiner Laufbahn als Hochschullehrer gelang es mir, die meisten meiner Studenten in meinem Mikroökonomik-Kurs unabsichtlich gegen mich aufzubringen, und ausnahmsweise hatte es mal nichts mit dem zu tun, was ich im Unterricht sagte. Das Problem wurde durch eine Klausur in der Mitte des Semesters verursacht.

Ich hatte die Prüfungsfragen so zusammengestellt, dass sie die Studenten in drei Gruppen einteilen sollten: die Stars, die den Stoff wirklich beherrschten; die mittlere Gruppe, die die Grundbegriffe verstand; und die Nieten, die es einfach nicht kapierten. Um dieses Ziel zu erreichen, musste die Prüfung einige Fragen enthalten, die nur die besten Studenten richtig beantworten würden, was bedeutete, dass sie schwer war. Tatsächlich erfüllte die Klausur ihren Zweck – es gab eine breite Streuung von Punkten –, aber als die Studenten die Ergebnisse erhielten, begehrten sie auf. Sie beklagten vor allem, dass die durchschnittliche Punktzahl nur 72 von möglichen 100 Punkten betrug.

Das Seltsame an dieser Reaktion war die Tatsache, dass die durchschnittliche numerische Punktzahl bei der Prüfung sich in keiner Weise auf die Verteilung der Zensuren auswirkte. An der Universität wurde in der Regel ein Notensystem verwendet, in dem die Durchschnittsnote eine B oder B+ (»Zwei«) ist, und nur eine sehr geringe Zahl von Studenten erhielt eine Zensur unter einer C (»Drei«). Ich hatte mit der Möglichkeit gerechnet, dass eine niedrige numerische Punktzahl in dieser Hinsicht für einige Verwirrung sorgen würde. Und so hatte ich erläutert, wie ich die Punkte in Noten umrechnen würde. Jeder, der mehr als 80 Punkte erhielt, würde eine A oder A– (»Eins«) bekommen, Punkte über 65 würden einer B entsprechen, und nur diejenigen, die weniger als 50 Punkte hatten, liefen Gefahr, eine Note unter C zu bekommen. Die resultierende Verteilung von Noten unterschied sich nicht von einer normalen Verteilung, aber diese Ankündigung heiterte die Stimmung der Studenten nicht auf. Sie hassten meine Prüfung noch immer, und auch mit mir waren sie nicht sonderlich zufrieden. Als ein junger Professor, dem daran gelegen war, seine Stelle zu behalten, war ich entschlossen, dem Abhilfe zu schaffen, aber ich wollte meine Klausuren nicht leichter machen. Was sollte ich tun?

Schließlich kam mir eine Idee. Bei der nächsten Klausur erhöhte ich die Gesamtzahl der erreichbaren Punkte von 100 auf 137. Diese Klausur erwies sich als etwas schwieriger als die erste; die Studenten beantworteten im Schnitt nur 70 Prozent der Fragen richtig, aber die durchschnittliche Punktzahl betrug erfreuliche 96 Punkte. Die Studenten waren begeistert! Durch diese Umstellung änderte sich nicht eine Note, aber alle waren glücklich. Von da an vergab ich jedes Mal, wenn ich diesen Kurs hielt, bei Klausuren maximal 137 Punkte. Diese Zahl wählte ich aus zwei Gründen. Erstens führte sie zu einer durchschnittlichen Punktzahl deutlich über 90, und einige Studenten erhielten sogar über 100 Punkte, was eine Reaktion auslöste, die an Verzückung grenzte. Zweitens, weil es nicht leicht war, die erreichte Punktzahl im Kopf durch 137 zu dividieren, schienen sich die meisten Studenten nicht die Mühe zu machen, ihre Punkte in Prozente umzurechnen. Damit Sie nicht denken, ich hätte die Studenten irgendwie getäuscht: In den folgenden Jahren habe ich diese Erläuterung, in Fettdruck, in den Lehrplan meines Kurses aufgenommen: »Bei Klausuren sind, statt der üblichen 100, maximal 137 Punkte zu erreichen. Dieses Punktesystem wirkt sich nicht auf die Zensur aus, die Sie in dem Kurs erhalten, aber es scheint Sie zufriedener zu machen.« Und tatsächlich hat sich nach dieser Umstellung niemand mehr beschwert, meine Klausuren seien zu schwer.

Für das Verhalten meiner Studenten verwendete ich den Begriff »misbehaving« (auf Deutsch etwa »sich ungezogen benehmen«). Damit meine ich, dass ihr Verhalten nicht dem idealisierten Verhaltensmodell entsprach, das die Grundlage der konventionellen Wirtschaftstheorie bildet. Ein Ökonom ist der Meinung, dass sich niemand mehr über 96 von 137 Punkten (70 Prozent) freuen sollte als über 72 von 100 Punkten, aber meine Studenten taten genau das. Und nachdem ich dies erkannt hatte, konnte ich die Klausuren so konzipieren, wie ich es wollte, und trotzdem dafür sorgen, dass die Studenten nicht murrten.

Seit 40 Jahren – seit meiner Studienzeit – interessieren mich derartige Geschichten, die zeigen, dass wirkliche Menschen (»Humans«) sich in vielfältiger Weise von den fiktionalen Geschöpfen unterscheiden, die die herkömmlichen Wirtschaftsmodelle bevölkern. Mir ging es nie darum, zu behaupten, dass etwas mit den Leuten nicht stimmt; wir alle sind nur Menschen – Homo sapiens. Problematisch ist vielmehr das von den Volkswirten verwendete Modell, das Homo sapiens durch ein erfundenes Geschöpf ersetzt, den Homo oeconomicus oder »Econ«, wie ich ihn abgekürzt nenne. Verglichen mit dieser fiktionalen Welt der Econs, verhalten sich reale Menschen vielfach ungezogen, und das bedeutet, dass ökonomische Modelle viele falsche beziehungsweise ungenaue Vorhersagen machen, was viel schwerwiegendere Folgen haben kann, als eine Gruppe von Studenten zu verärgern. So gut wie kein Wirtschaftswissenschaftler sah die Finanzkrise von 2007/2008 kommen2, und noch schlimmer, viele dachten, sowohl der Crash als auch seine Nachwirkungen seien Dinge, die schlichtweg nicht passieren könnten.

Ironischerweise sind formale Modelle, die auf dieser verfehlten Konzeption des menschlichen Verhaltens beruhen, der Grund dafür, dass die Volkswirtschaftslehre als die einflussreichste Sozialwissenschaft gilt – einflussreich in zweierlei Hinsicht. Zum einen haben Volkswirte von allen Sozialwissenschaftlern unbestreitbar den stärksten politischen Einfluss. Tatsächlich besitzen sie praktisch ein Monopol in Bezug auf politische Beratung. Bis vor Kurzem wurden andere Sozialwissenschaftler nur selten dazugebeten, und wenn man sie einlud, dann wurden sie sozusagen an den Kindertisch bei der Familienfeier verbannt.

Zum anderen gilt die Volkswirtschaftslehre auch als die einflussreichste Sozialwissenschaft in einem intellektuellen Sinne. Dieser Einfluss rührt von der Tatsache her, dass die Volkswirtschaftslehre über eine einheitliche Basistheorie verfügt, aus der fast alles Weitere folgt. Wenn man von »Wirtschaftstheorie« spricht, wissen die Leute, was man meint. Keine andere Sozialwissenschaft besitzt eine ähnlich solide theoretische Grundlage. Tatsächlich dienen Theorien in anderen Sozialwissenschaften tendenziell bestimmten Zwecken – sie sollen erklären, was unter bestimmten Rahmenbedingungen geschieht. Ökonomen vergleichen ihr Fachgebiet auch gern mit der Physik, wie die Physik basiert auch die Volkswirtschaftslehre auf einigen wenigen Kernprämissen.

Die Kernprämisse der Wirtschaftstheorie lautet, dass Menschen sich so entscheiden, dass sie ihren Nutzen optimieren. Unter all den Gütern und Dienstleistungen, die eine Familie kaufen könnte, wählt sie das/die beste, das/die sie sich leisten kann. Außerdem wird angenommen, dass Econs keine verzerrten Entscheidungen treffen. Das heißt, wir treffen unsere Entscheidungen auf der Grundlage dessen, was Ökonomen »rationale Erwartungen« nennen. Wenn Menschen, die ein Unternehmen gründen, in der Regel glauben, dass ihre Erfolgschancen 75 Prozent betragen, dann sollte dies eine gute Schätzung für die tatsächliche Zahl erfolgreicher Gründungen sein. Econs sind nicht übertrieben optimistisch.

Diese Prämisse der Optimierung unter Nebenbedingungen, das heißt der Auswahl des Besten unter Berücksichtigung begrenzter finanzieller Mittel, wird mit der zweiten Grundannahme der Wirtschaftstheorie, der des Gleichgewichts, verknüpft. Auf Wettbewerbsmärkten, auf denen sich Preise frei nach oben und unten bewegen können, schwanken diese Preise in einer Weise, dass das Angebot gleich der Nachfrage ist. Etwas vereinfacht ausgedrückt, können wir sagen: Optimierung + Gleichgewicht = Wirtschaftstheorie. Dies ist eine mächtige Kombination, und andere Sozialwissenschaften haben nichts Vergleichbares zu bieten.

Allerdings gibt es ein Problem: Die Prämissen, auf denen die Wirtschaftstheorie beruht, sind fehlerhaft. Erstens sind die Optimierungsprobleme, denen sich gewöhnliche Konsumenten gegenübersehen, oftmals so schwierig, dass sie sie nicht lösen können beziehungsweise einer Lösung nicht einmal nahekommen. Schon bei einem Einkauf in einem Lebensmittelgeschäft mittlerer Größe haben Käufer die Wahl zwischen Millionen von Kombinationen von Artikeln, die sie sich leisten können. Wählen sie wirklich die beste aus? Und selbstverständlich sind wir in unserem Leben mit sehr viel bedeutenderen Problemen als einem Lebensmitteleinkauf konfrontiert: der Wahl eines Berufs oder eines Ehegatten, der Aufnahme eines Hypothekendarlehens. In Anbetracht der Misserfolgsquoten in all diesen Bereichen ließe sich nur schwerlich behaupten, all diese Entscheidungen seien optimal.

Zweitens sind die Überzeugungen, auf deren Grundlage Menschen ihre Entscheidungen treffen, nicht unverzerrt. »Selbstüberschätzung« mag nicht zum Wortschatz eines Ökonomen gehören, aber sie ist erwiesenermaßen ein menschlicher Wesenszug, und es gibt zahlreiche weitere Verzerrungen, die von Psychologen dokumentiert wurden.

Drittens gibt es zahlreiche Faktoren, die das Optimierungsmodell unberücksichtigt lässt, wie das oben beschriebene Beispiel einer Klausur mit 137 Punkten verdeutlicht. In einer Welt der Econs gibt es eine lange Liste von Dingen, die vermeintlich belanglos sind. Kein Econ würde eine besonders große Portion des Abendessens für Dienstag kaufen, nur weil er beim sonntäglichen Einkauf zufälligerweise hungrig ist. Der Hunger am Sonntag sollte für die Wahl der Portionsgröße am Dienstag irrelevant sein. Ein Econ würde die riesige Portion am Dienstag nicht aufessen, wenn er nicht mehr hungrig wäre, nur weil er sie bezahlt hat und Verschwendung hasst. Für einen Econ hat der in der Vergangenheit für ein Lebensmittel gezahlte Preis keinen Einfluss auf die Entscheidung, wie viel davon er oder sie jetzt isst. Ein Econ würde auch an dem Tag des Jahres, an dem er oder sie zufälligerweise geheiratet hat oder geboren wurde, kein Geschenk erwarten. Welchen möglichen Unterschied kann schon ein Datum machen? Tatsächlich würde die ganze Idee von Geschenken Econs verwirren. Ein Econ würde wissen, dass Bargeld das bestmögliche Geschenk ist; es erlaubt dem Empfänger, das zu kaufen, was optimal ist. Ich rate Ihnen allerdings nicht, an Ihrem nächsten Hochzeitstag Geld zu schenken, es sei denn, Sie sind mit einem(r) Wirtschaftswissenschaftler(in) verheiratet. Aber wenn ich’s mir recht überlege, ist es vermutlich auch dann keine gute Idee, wenn Ihr Ehegatte Ökonom ist.

Sie wissen, und ich weiß, dass wir nicht in einer Welt von Econs leben. Wir leben in einer Welt von fehlbaren Menschen. Und da die meisten Ökonomen Menschen sind, wissen sie auch, dass sie nicht in einer Welt von Econs leben. Adam Smith, der Begründer der modernen Nationalökonomie, räumte diese Tatsache ausdrücklich ein. Vor seinem Hauptwerk, Der Wohlstand der Nationen, schrieb er ein Buch über menschliche »Leidenschaften«, ein Wort, das in Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre nicht vorkommt.[5] Econs haben keine Leidenschaften, sie sind kaltblütige Optimierer. Denken Sie an Mr. Spock in Raumschiff Enterprise.

Dennoch hat sich dieses Modell des wirtschaftlichen Handelns auf der Basis einer Population, die nur aus Econs besteht, allgemein durchgesetzt und die Volkswirtschaftslehre zu jener einflussreichen Disziplin gemacht, die sie noch immer ist. Kritische Einwände sind im Lauf der Jahre mit einer ganzen Reihe fadenscheiniger Ausreden und unglaubwürdiger alternativer Erklärungen von empirischen Befunden, die nicht ins Bild passten, abgetan worden. Aber auf diese Ausflüchte reagierte man mit einer Reihe von Studien, die in wachsendem Maße Zweifel an diesem Modell weckten. Eine Anekdote über die Notengebung bei einer Klausur kann man leicht abtun. Schwerer ist es schon, Studien zu ignorieren, die schlechte Entscheidungen in Bereichen dokumentieren, bei denen viel auf dem Spiel steht, wie bei der Altersvorsorge, der Auswahl eines Hypothekendarlehens oder der Kapitalanlage in Aktien. Und es ist unmöglich, die Serie von Booms, Spekulationsblasen und Kurseinbrüchen auf den Finanzmärkten seit dem 19. Oktober 1987 als belanglos abzutun, als die Aktienkurse weltweit um über 20 Prozent fielen, obwohl es keine bedeutenden negativen Nachrichten gab. Anschließend kam es zu einer Blase und einem Crash bei Technologieaktien, auf den alsbald eine Immobilienpreisblase folgte, die, nach ihrem Platzen, eine weltweite Finanzkrise verursachte.

Es ist an der Zeit, keine Ausflüchte mehr zu machen. Wir brauchen einen differenzierteren Ansatz in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, der die Existenz und Bedeutung realer Menschen aus Fleisch und Blut anerkennt. Die gute Nachricht ist, dass wir nicht alles, was wir über die Funktionsweise von Volkswirtschaften und Märkten wissen, über Bord werfen müssen. Theorien, die auf der Annahme basieren, dass jeder ein Econ ist, sollten nicht verworfen werden. Sie bleiben nützlich als Ausgangspunkte für realitätsnähere Modelle. Und unter besonderen Umständen, etwa wenn die Probleme, die Menschen lösen müssen, einfach sind oder wenn ökonomische Akteure die entsprechenden hoch spezialisierten Kompetenzen besitzen, dann beschreiben Modelle von Econs womöglich in guter Näherung das tatsächliche Verhalten. Aber wie wir sehen werden, sind diese Situationen eher die Ausnahme als die Regel.

Zudem besteht ein Großteil der Arbeit von Ökonomen darin, mit großer Sorgfalt Daten über die Funktionsweise von Märkten zu sammeln und mit statistischem Sachverstand auszuwerten. Diese Forschungen gehen größtenteils nicht von der Annahme aus, dass Menschen ihren Nutzen optimieren. Zwei Forschungsinstrumente, die in den letzten 25 Jahren immer häufiger eingesetzt wurden, haben die Möglichkeiten von Ökonomen, empirische Daten zu erheben, enorm erweitert. Das erste Instrument ist die sogenannte randomisierte kontrollierte Studie, die bereits seit Langem in anderen Wissenschaften wie der Medizin eine Standardmethode ist. Bei einer solchen Studie wird in der Regel untersucht, was geschieht, wenn einige Personen eine bestimmte »Behandlung« erfahren, die Gegenstand des Interesses ist. Die zweite Methode besteht darin, entweder Experimente zu nutzen, die sich von selbst ergeben (etwa wenn Menschen sich für ein Programm anmelden und andere nicht), oder intelligente ökonometrische Techniken, mit denen sich die Auswirkungen von »Behandlungen« erfassen lassen, obwohl diese Situation nicht gezielt zu diesem Zweck konzipiert wurde. Diese neuen Instrumente haben Studien über eine Vielzahl wichtiger gesellschaftlicher Fragen ermöglicht. Dabei wurden unter anderen folgende Interventionen erforscht: verbesserte Bildungsangebote, Unterricht in einer kleineren Klasse oder durch einen besseren Lehrer, von den Dienstleistungen einer Unternehmensberatung profitieren, Unterstützung bei der Stellensuche, eine Freiheitsstrafe verbüßen müssen, der Umzug in ein Viertel mit geringerer Armutsquote, Krankenversicherungsleistungen von Medicaid erhalten und so weiter. Diese Studien zeigen, dass man auch dann viel über die Welt lernen kann, wenn man keine Optimierungsmodelle zugrunde legt, und sie liefern in manchen Fällen verlässliche Daten, anhand deren man solche Modelle testen kann, um herauszufinden, ob sie tatsächlich menschlichen Verhaltensmustern entsprechen.

Für weite Gebiete der Wirtschaftstheorie ist die Annahme, dass alle Akteure ihren Nutzen optimieren, nicht entscheidend, auch wenn die Personen, deren Verhalten erforscht wird, keine Experten sind. So ist zum Beispiel die Vorhersage, dass Landwirte bei sinkenden Düngemittelpreisen mehr Dünger einsetzen, mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffend, auch wenn Landwirte ihre Praktiken in Reaktion auf Marktbedingungen nur langsam ändern. Die Vorhersage ist höchstwahrscheinlich zutreffend, weil sie ungenau ist: Vorhergesagt wird lediglich die Richtung des Effekts. Dies entspricht der Vorhersage, dass Äpfel, die vom Baum fallen, nach unten und nicht nach oben fallen. Die Vorhersage gilt in diesem konkreten Fall, aber sie ist keine Formulierung des Gravitationsgesetzes.

Ökonomen geraten in Schwierigkeiten, wenn sie höchst spezifische Vorhersagen machen, die ausdrücklich davon abhängen, dass alle Akteure ökonomisch versiert sind. Kommen wir zurück auf das Beispiel aus der Landwirtschaft. Angenommen, Wissenschaftler fänden heraus, dass Landwirte besser dastehen würden, wenn sie mehr oder weniger Dünger verwenden würden, als sie es herkömmlicherweise getan haben. Wenn man davon ausgehen kann, dass alle richtig handeln, solange sie alle maßgeblichen Informationen besitzen, dann besteht die einzige sachgerechte (politische) Handlungsempfehlung darin, diese Informationen frei verfügbar zu machen. Man sollte also die Ergebnisse veröffentlichen, sie den Landwirten leicht zugänglich machen und die Magie der Märkte den Rest besorgen lassen.

Sofern nicht alle Landwirte Econs sind, ist dies ein schlechter Rat. Vielleicht würden multinationale Lebensmittelkonzerne die jüngsten Forschungsergebnisse zügig übernehmen, aber wie steht es mit Kleinbauern in Indien oder Afrika?[6]

Und wenn man in ähnlicher Weise glaubt, dass jeder für die Altersvorsorge genau die richtige Summe zurücklegt, wie es jeder Econ tun würde, und wenn man aus dieser Analyse folgert, dass es keinen Grund gibt, die Sparbereitschaft von Menschen zu fördern (etwa durch Schaffung privater Altersvorsorgeangebote), dann bringt man sich um die Chance, dafür zu sorgen, dass es vielen Menschen im Alter finanziell besser geht. Und wenn man als Notenbankpräsident glaubt, dass Spekulationsblasen an den Finanzmärkten aus theoretischen Gründen unmöglich sind, können einem schwerwiegende Fehler unterlaufen – Alan Greenspan zum Beispiel hat dies offen zugegeben, was man ihm hoch anrechnen muss.

Wir müssen nicht damit aufhören, abstrakte Modelle zu erfinden, die das Verhalten fiktiver Econs beschreiben. Wir müssen allerdings aufhören, anzunehmen, dass diese Modelle menschliches Verhalten zutreffend beschreiben, und wir dürfen politische Entscheidungen nicht länger auf der Grundlage solcher fehlerhaften Analysen treffen. Und wir müssen damit beginnen, den vermeintlich irrelevanten Faktoren – abgekürzt VIFs – mehr Beachtung zu schenken.

Es ist schon schwer, die Frühstücksgewohnheiten von Menschen zu verändern, aber es ist noch sehr viel schwieriger, ihre Herangehensweise an Probleme zu verändern, mit denen sie sich ihr ganzes Leben beschäftigt haben. Seit Jahren widersetzen sich viele Ökonomen der Forderung, ihre Modelle auf wirklichkeitsgetreuere Beschreibungen des menschlichen Verhaltens zu stützen. Aber aufgrund vieler kreativer junger Ökonomen, die bereit sind, Risiken einzugehen und mit den traditionellen Methoden der Volkswirtschaftslehre zu brechen, wird der Traum von einer umfassenderen, »reichhaltigeren« Version der Wirtschaftstheorie Wirklichkeit. Dieses Fachgebiet heißt Verhaltensökonomik. Es ist keine eigene Disziplin: Es ist traditionelle Wirtschaftswissenschaft, ergänzt und angereichert um psychologische und andere sozialwissenschaftliche Erkenntnisse.

Der wichtigste Grund dafür, reale Menschen in Wirtschaftstheorien einzubeziehen, besteht darin, die Treffgenauigkeit der Vorhersagen, die auf der Basis dieser Theorien gemacht werden, zu verbessern. Aber es hat noch einen weiteren Vorteil, wenn man sich an wirklichen Menschen orientiert. Die Verhaltensökonomik ist interessanter und macht mehr Spaß als die konventionelle Volkswirtschaftslehre. Sie ist das Gegenteil der »trübsinnigen Wissenschaft«, wie die Ökonomie auch genannt wird.

Die Verhaltensökonomik ist ein aufstrebendes Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, und Vertreter dieses Fachs finden sich an vielen der Topuniversitäten weltweit. Und in jüngster Zeit werden Verhaltensökonomen und Verhaltenswissenschaftler auch in politische Entscheidungsprozesse einbezogen. Im Jahr 2010 rief die britische Regierung ein »Behavioural Insights Team« ins Leben, und inzwischen schließen sich andere Länder dieser Bewegung an und setzen spezielle Arbeitsgruppen ein, die den Auftrag haben, die Erkenntnisse anderer Sozialwissenschaften in die Konzipierung politischer Programme einfließen zu lassen. Auch Unternehmen haben mittlerweile verstanden, dass ein tieferes Verständnis des menschlichen Verhaltens genauso wichtig für die erfolgreiche Führung einer Firma ist wie die Fähigkeit, Jahresabschlüsse zu verstehen und die betrieblichen Abläufe effizient zu koordinieren. Schließlich werden Unternehmen von realen, fehlbaren Menschen geleitet, und ihre Mitarbeiter und Kunden sind ebenfalls reale Menschen.

Dieses Buch erzählt, wie es dazu kam, zumindest aus meiner Sicht. Auch wenn ich nicht alle Forschungsarbeiten selbst durchgeführt habe – wie Sie wissen, bin ich dafür zu faul –, war ich doch von Anfang an dabei und Teil der Bewegung, die diese Disziplin schuf. Anknüpfend an Amos’ Diktum, werde ich Ihnen viele weitere Geschichten erzählen, aber mir geht es hier hauptsächlich darum, zu schildern, wie alles angefangen und sich dann weiterentwickelt hat, und einige der Dinge zu erläutern, die wir in dieser Zeit herausgefunden haben. Es ist nicht weiter überraschend, dass es zu zahlreichen Streitigkeiten mit Traditionalisten gekommen ist, die die herkömmliche wirtschaftswissenschaftliche Herangehensweise verteidigten. Diese Streitigkeiten waren damals nicht immer lustig, aber wie negative Reiseerlebnisse bilden sie die Grundlage für interessante Erzählungen im Anschluss, und die Notwendigkeit, diese Kämpfe auszufechten, hat das Fachgebiet gestärkt.

Wie jede Geschichte folgt auch diese keiner geraden Linie, in der eine Idee auf organische Weise zur nächsten führt. Viele Ideen stellten sich zu verschiedenen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ein. Daher ist das Buch sowohl chronologisch als auch thematisch geordnet. Hier eine kurze Vorschau. Wir beginnen zu der Zeit, als ich noch studierte und eine Liste mit Beispielen für merkwürdige Verhaltensweisen zusammenstellte, die nicht mit den Modellen übereinzustimmen schienen, die ich in den Vorlesungen hörte. Der erste Abschnitt des Buchs befasst sich mit jenen frühen Jahren »in der Wildnis« und beschreibt einige der Herausforderungen, mit denen uns die vielen konfrontierten, die den Nutzen dieses Unterfangens in Zweifel zogen. Anschließend wenden wir uns einer Reihe von Themen zu, die in den ersten 15 Jahren meiner Laufbahn als Forscher den größten Teil meiner Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen: mentale Buchführung, Selbstkontrolle, Fairness und Finanzmärkte. Ich möchte darlegen, was meine Kollegen im Zuge dieser Forschungsarbeiten herausfanden, sodass Sie diese Erkenntnisse selbst anwenden können, um Ihre Mitmenschen besser zu verstehen. Aber vielleicht erfahren Sie auch Nützliches darüber, wie man die Denkweise von Menschen verändern kann, insbesondere wenn sie viel in die Bewahrung des Status quo investiert haben. Später wenden wir uns neueren Forschungsprojekten zu, vom Verhalten der Taxifahrer in New York City über die Aufnahme von Spielern in die National Football League bis zum Verhalten von Teilnehmern an Spielshows mit hohen Einsätzen. Zum Schluss treffen wir in Downing Street Number 10 in London ein, wo sich neue spannende Herausforderungen und Gelegenheiten auftun.

Mein einziger Rat für die Lektüre dieses Buchs lautet: Hören Sie auf, wenn es keinen Spaß mehr macht. Alles andere wäre ungezogen.


2 Ein Wirtschaftswissenschafter, der uns vor dem alarmierenden Anstieg der Immobilienpreise warnte, war mein Kollege, der Verhaltensökonom Robert Shiller.