Heinrich von Kleist

Der Zweikampf

 

Saga

Der Zweikampf

Herzog Wilhelm von Breysach, der seit seiner heimlichen Verbindung mit einer Gräfin, namens Katharina von Heersbruck aus dem Hause Alt-Hüningen, die unter seinem Range zu sein schien, mit seinem Halbbruder, dem Grafen Jakob dem Rotbart, in Feindschaft lebte, kam gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts, da die Nacht des heiligen Remigius zu dämmern begann, von einer in Worms mit dem deutschen Kaiser abgehaltenen Zusammenkunft zurück, worin er sich von diesem Herrn in Ermangelung ehelicher Kinder, die ihm gestorben waren, die Legitimation eines mit seiner Gemahlin vor der Ehe erzeugten natürlichen Sohnes, des Grafen Philipp von Hüningen, ausgewirkt hatte. Freudiger als während des ganzen Laufs seiner Regierung in die Zukunft blickend, hatte er schon den Park, der hinter seinem Schlosse lag, erreicht: als plötzlich ein Pfeilschuss aus dem Dunkel der Gebüsche hervorbrach und ihm dicht unter dem Brustknochen den Leib durchbohrte. Herr Friedrich von Trota, sein Kämmerer, brachte ihn, über diesen Vorfall äusserst betroffen, mit Hilfe einiger andern Ritter in das Schloss, wo er nur noch in den Armen seiner bestürzten Gemahlin, die Kraft hatte, einer Versammlung von Reichsvasallen, die schleunigst auf Veranstaltung des letzteren zusammenberufen worden war, die kaiserliche Legitimationsakte vorzulesen; und nachdem nicht ohne lebhaften Widerstand, indem infolge des Gesetzes die Krone an seinen Halbbruder, den Grafen Jakob den Rotbart, fiel, die Vasallen seinen letzten bestimmten Willen erfüllt und unter dem Vorbehalt, die Genehmigung des Kaisers einzuholen, den Grafen Philipp als Thronerben, die Mutter aber, wegen Minderjährigkeit desselben, als Vormünderin und Regentin anerkannt hatten: legte er sich nieder und starb.

Die Herzogin bestieg nun ohne weiteres unter einer blossen Anzeige, die sie durch einige Abgeordnete an ihren Schwager, den Grafen Jakob den Rotbart, tun liess, den Thron; und was mehrere Ritter des Hofes, welche die abgeschlossene Gemütsart des letzteren zu durchschauen meinten, vorausgesagt hatten, das traf wenigstens dem äusseren Anschein nach ein: Jakob der Rotbart verschmerzte in kluger Erwägung der obwaltenden Umstände das Unrecht, das ihm sein Bruder zugefügt hatte; zu mindesten enthielt er sich aller und jeder Schritte, den letzten Willen des Herzogs umzustossen, und wünschte seinem jungen Neffen zu dem Thron, den er erlangt hatte, von Herzen Glück. Er beschrieb den Abgeordneten, die er sehr heiter und freundlich an seine Tafel zog, wie er seit dem Tode seiner Gemahlin, die ihm ein königliches Vermögen hinterlassen, frei und unabhängig auf seiner Burg lebe; wie er die Weiber der angrenzenden Edelleute, seinen eignen Wein und in Gesellschaft munterer Freunde die Jagd liebe und wie ein Kreuzzug nach Palästina, auf welchem er die Sünden einer raschen Jugend, auch leider, wie er zugab, im Alter noch wachsend, abzubüssen dachte, die ganze Unternehmung sei, auf die er noch am Schluss seines Lebens hinaussehe. Vergebens machten ihm seine beiden Söhne, welche in der bestimmten Hoffnung der Thronfolge erzogen worden waren, wegen der Unempfindlichkeit und Gleichgültigkeit, mit welcher er auf ganz unerwartete Weise in diese unheilbare Kränkung ihrer Ansprüche willigte, die bittersten Vorwürfe: er wies sie, die noch unbärtig waren, mit kurzen und spöttischen Machtsprüchen zur Ruhe, nötigte sie, ihm am Tage des feierlichen Leichenbegängnisses in die Stadt zu folgen und daselbst an seiner Seite den alten Herzog, ihren Oheim, wie es sich gebühre, zur Gruft zu bestatten; und nachdem er im Thronsaal des herzoglichen Palastes dem jungen Prinzen, seinem Neffen, in Gegenwart der Regentin Mutter, gleich allen andern Grossen des Hofes, die Huldigung geleistet hatte, kehrte er unter Ablehnung aller Ämter und Würden, welche die letztere ihm antrug, begleitet von den Segnungen des ihn um seine Grossmut und Mässigung doppelt verehrenden Volks wieder auf seine Burg zurück.

Die Herzogin schritt nun, nach dieser underhofft glücklichen Beseitigung der ersten Interessen, zur Erfüllung ihrer zweiten Regentenpflicht, nämlich wegen der Mörder ihres Gemahls, deren man im Park eine ganze Schar wahrgenommen haben wollte, Untersuchungen anzustellen, und prüfte zu diesem Zweck selbst mit Herrn Godwin von Herrthal, ihrem Kanzler, den Pfeil, der seinem Leben ein Ende gemacht hatte. Inzwischen fand man an demselben nichts, das den Eigentümer hätte verraten können, ausser etwa, dass er auf befremdende Weise zierlich und prächtig gearbeitet war. Starke, krause und glänzende Federn steckten in einem Stiel, der, schlank und kräftig, von dunkelm Nussbaumholz gedrechselt war; die Bekleidung des vorderen Endes war von glänzendem Messing, und nur die äusserste Spitze selbst, scharf wie die Gräte eines Fisches, war von Stahl. Der Pfeil schien für die Rüstkammer eines vornehmen und reichen Mannes verfertigt zu sein, der entweder in Fehden verwickelt oder ein grosser Liebhaber von der Jagd war; und da man aus einer, dem Knopf eingegrabenen Jahreszahl ersah, dass dies erst vor kurzem geschehen sein konnte: so schickte die Herzogin auf Anraten des Kanzlers den Pfeil, mit dem Kronsiegel versehen, in allen Werkstätten von Deutschland umher, um den Meister, der ihn gearbeitet hatte, aufzufinden und, falls dies gelang, von demselben den Namen dessen zu erfahren, auf dessen Bestellung er gedrechselt worden war.