Der kleine Fürst
– 189–

Fiona in Gefahr

… denn ihr Kavalier kennt nur noch seine Eifersucht!

Viola Maybach

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-693-9

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»Mit dir tanze ich noch immer am liebsten!«, sagte Baron Friedrich von Kant mit liebevollem Lächeln, als er seine Frau Sofia von der Tanzfläche des großen Ballsaals von Schloss Sternberg führte. Sie dankte ihm mit einem Kuss auf die Wange für seine Worte.

Im Schloss wurde die Doppelhochzeit von Sofias älterer Schwester Angelika mit ihrer Jugendliebe Clemens von Hasselfeld und beider Tochter Isabella mit Ulrich von Thakhen gefeiert. Der erste Termin hatte abgesagt werden müssen, weil sich eine Gruppe von Ausbrechern in den Wäldern des Sternbergs verschanzt hatte. Daraufhin hatte Angelika große Ängste entwickelt, dass auch der zweite Termin platzen könnte, doch das war nicht passiert. Nach der standesamtlichen Trauung und einer zu Herzen gehenden kirchlichen Zeremonie waren sie ins Schloss zurückgekehrt, hatten ein hervorragendes Menü zu sich genommen, und nun wurde im festlich geschmückten Ballsaal des Schlosses mit vielen Gästen gefeiert.

Sofia und Friedrich sahen Christian von Sternberg auf sich zukommen, mit blassem, verschlossenem Gesicht. Er war Sofias und Angelikas Neffe und mit seinen fünfzehn Jahren bereits Vollwaise: Im vergangenen Jahr waren seine Eltern, Fürstin Elisabeth und Fürst Leopold von Sternberg, bei einem Hubschrauberabsturz gemeinsam mit dem Piloten ums Leben gekommen. Seitdem war der Junge praktisch das dritte Kind von Sofia und Friedrich, neben ihrer dreizehnjährigen Tochter Anna und deren drei Jahre älterem Sohn Konrad.

»Was ist denn, Chris?«, fragte Sofia erschrocken.

»Ihr müsst sofort kommen! Es ist …, es ist etwas passiert.« Verstört sah sich Christian um. Angelika tanzte glücklich mit ihrem Mann Clemens, auch Isabella und Ulrich waren auf der Tanzfläche. »Schnell«, setzte er hinzu, »bevor jemand etwas merkt.«

Sie folgten ihm, mittlerweile überaus beunruhigt. Christian war ein zurückhaltender Junge, der nicht zu Übertreibungen neigte. Wenn er in dieser Weise reagierte, musste etwas Ernsthaftes vorgefallen sein. Dennoch schafften sie es zu lächeln, hierhin und dorthin zu nicken und den Eindruck zu erwecken, dass sie ihrem Neffen nur nach draußen folgten, um ein wenig Luft zu schnappen.

Sobald sie den Ballsaal verlassen hatten, sagte Christian: »Volker hat Peter niedergeschlagen. Er blutet, kurz war er sogar bewusstlos, er ist immer noch benommen. Herr Hagedorn war zum Glück in der Nähe. Er hat mir gesagt, ich soll euch aus dem Ballsaal lotsen, ohne Aufsehen zu erregen, denn wenn die anderen Gäste mitbekommen, was passiert ist, ist der Ball vorüber, meinte er.«

»Herr von der Weiden hat Peter niedergeschlagen?«, wiederholte der Baron verwirrt. »Aber wieso denn das?« Er konnte sich keinen Reim auf Christians Worte machen. Was der Junge da sagte, klang gar zu unwahrscheinlich. Eine Schlägerei im Schloss hatte es noch nie gegeben.

»Peter hatte gerade mit Fiona getanzt, mehr weiß ich nicht.«

Sofia und Friedrich wechselten einen kurzen Blick, enthielten sich aber jeglichen Kommentars. Ihre Freundin Fiona von Beeck war mit Volker von der Weiden verlobt, den sie erst jetzt kennen gelernt hatten. Er war ein gut aussehender Mann, der sehr charmant sein konnte, ihnen war aber nicht entgangen, dass er offenbar zu Eifersucht neigte.

Christian führte sie in einen abgelegenen Teil der Eingangshalle, nicht weit vom Ausgang des Ballsaals entfernt, von diesem aus aber nicht zu sehen. Dort befanden sich vier Menschen: Fiona, ihr Verlobter Volker von der Weiden, Peter von Leidesdorff, wie Fiona seit langem mit den Schlossbewohnern befreundet, sowie Eberhard Hagedorn, langjähriger Butler auf Sternberg und in jeder Hinsicht unverzichtbar.

Der Baron wandte sich umgehend an ihn und sagte mit leiser Stimme: »Sorgen Sie dafür, dass niemand hierherkommt, Herr Hagedorn. Zerstreuen Sie eventuelle Fragen, lenken Sie die Gäste ab.«

Der alte Butler nickte nur und eilte davon.

Nun erst nahmen Sofia und Friedrich Einzelheiten der Szene wahr, die sich ihren Augen bot: Während Peter, schneeweiß im Gesicht, mit benommenem Blick, bereits halb zugeschwollenem rechtem Auge, aufgeplatzter Lippe und aus der Nase blutend, am Boden saß, stand Volker mit verzerrtem Gesicht und leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper neben ihm. Es war klar erkennbar, dass der geringste Anlass genügte, ihn erneut zuschlagen zu lassen. Er hielt Fiona, die vergeblich versuchte, sich zu befreien, mit eisernem Griff am Arm fest. Sofia, Friedrich und Christian schien er gar nicht wahrzunehmen, als er jetzt mit zorniger Stimme sagte: »Er hat es verdient, und wir fahren sofort nach Hause!«

»Aber ich möchte …«, begann Fiona, doch er ließ sie den Satz nicht beenden, sondern bekräftigte: »Wir fahren!«

Sofia würdigte ihn keines Blickes, sie eilte zu Peter. Während sie neben ihm kniete, bereits ein Taschentuch in der Hand, um ihm das Blut abzutupfen, wie es zuvor Eberhard Hagedorn bereits versucht hatte, fragte der Baron mit mühsam erzwungener Ruhe: »Was ist hier passiert?«

Es war Volker, der antwortete. Wütend sagte er: »Er hat meine Verlobte geküsst. Sie verstehen sicher, dass wir sofort abreisen müssen.« Sie waren bereits beim ›Du‹ gewesen, das hatte er offenbar vergessen. Oder er wollte nach dem, was geschehen war, wieder auf Distanz gehen. Sofia und Friedrich hatten nichts dagegen, diesen Wunsch hegten sie ebenfalls.

»Aber ich möchte …«, begann Fiona erneut, doch auch dieses Mal konnte sie ihren Satz nicht beenden. Offenbar verstärkte Volker den Griff um ihren Arm.

»Lass mich los«, sagte sie leise. »Du tust mir weh.«

Daraufhin lockerte er seinen Griff zwar wieder, ließ sie aber nicht los. Sein Gesichtsausdruck war unnachgiebig.

»Gleichgültig, was hier vorgefallen ist, Sie hatten kein Recht, Peter niederzuschlagen«, erklärte der Baron beherrscht. »Und ich möchte nicht, dass Sie noch länger unser Gast sind. Fiona, du kannst natürlich jederzeit bleiben.«

»Sie fährt mit mir«, sagte Volker von der Weiden mit wildem Blick. »Ich bin Derjenige, dem Unrecht geschehen ist. Er hat sich an meine Verlobte herangemacht, heißen Sie das etwa gut?«

»Ich heiße es jedenfalls nicht gut, dass Sie zugeschlagen haben. Bei uns werden Auseinandersetzungen anders ausgetragen.«

Volker funkelte ihn zornig an, erwiderte aber nichts. Sein Griff um Fionas Arm wurde wieder fester. Sie verzog das Gesicht, sagte dieses Mal aber nichts.

»Geht’s wieder?«, fragte die Baronin leise. Sie kniete nach wie vor neben Peter am Boden.

Er nickte. Noch immer sah er benommen aus, aber ein wenig Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt. »Helft mir, aufzustehen«, bat er.

Christian und die Baronin stützten ihn, damit er, mühsam genug, auf die Beine kam. Als er stand, schwankte er ein wenig, daraufhin schlang Christian einen Arm um seine Hüfte. »Halt dich an mir fest«, sagte er.

Peter nahm das Angebot dankbar an.

Volker von der Weiden hatte sich jetzt wieder so weit in der Gewalt, dass er sich an seine guten Manieren erinnerte. Mit kalter Höflichkeit sagte er, an Sofia und Friedrich gewandt: »Es tut mir leid, dass der Ball für uns so endet, aber Sie verstehen vielleicht, dass mich der Anblick meiner Verlobten in den Armen eines anderen Mannes aus der Fassung gebracht hat.«

»Fiona«, begann die Baronin, aber die schöne junge Frau unterbrach sie sofort. Sie war offenbar in der Zwischenzeit zu einem Entschluss gelangt.

»Es ist das Beste, wenn wir fahren«, erklärte sie eilig, ohne jemanden anzusehen. »Für alle Beteiligten. Denkt an eure Hochzeitspaare, ihr wollt doch nicht, dass dieser … Zwischenfall ihnen den schönsten Tag ihres Lebens verdirbt. Ich jedenfalls möchte diese Schuld nicht auf mich laden.«

Peter wollte etwas einwenden, doch er verstummte sofort wieder, nachdem Fiona ihn mit einem kurzen Blick darum gebeten hatte. Daraufhin sagte er nur: »Und ich muss mich eine Weile hinlegen, ich habe Kopfschmerzen. Außerdem brauche ich dann niemandem zu erklären, was mit meinem Gesicht passiert ist.« Er sah Volker bei diesen Worten nicht an, und auch Volker vermied es, in seine Richtung zu blicken.

Fiona stand zwischen ihnen und starrte wieder zu Boden. Die Baronin beobachtete sie besorgt, doch Fiona bemerkte es nicht einmal. Sie war anwesend und zugleich weit weg, unerreichbar weit.

»Ich bringe dich nach oben«, bot Christian Peter an. »Ich weiß, wie wir hinaufkommen, ohne dass uns jemand sieht.«

»Und wir packen«, erklärte Volker, der jetzt äußerlich ganz ruhig wirkte. Er hatte seine Fassung endgültig wiedergewonnen. Nichts erinnerte mehr an den zornbebenden Mann, der er noch kurz zuvor gewesen war, jetzt war er so verbindlich und höflich, wie die Sternberger ihn kennen gelernt hatten.

»Ich bedauere außerordentlich, dass unser Besuch hier so zu Ende geht, aber wir können nicht so tun, als sei nichts geschehen.« Er schien völlig vergessen zu haben, dass Baron Friedrich ihm bereits mitgeteilt hatte, er sei als Gast im Schloss nicht länger erwünscht. »Bitte, entschuldigen Sie uns.«

Mit einer angedeuteten Verbeugung wandte er sich ab, ohne Fionas Arm auch nur eine Sekunde lang loszulassen. Sie folgte ihm ohne Gegenwehr.

»Fiona sollte hierbleiben«, sagte die Baronin mit leiser Stimme, während sie den beiden besorgt mit dem Blick folgte. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei, sie mit ihm zurückfahren zu lassen. Er ist unberechenbar.«

»Aber sie hat selbst gesagt, dass sie es für das Beste hält, den Ball mit ihrem Verlobten zu verlassen, und wahrscheinlich hat sie Recht. Außerdem kennt sie ihn besser als wir. Er hat offenbar ein hitziges Temperament, mit dem sie umzugehen weiß«, gab der Baron zu bedenken.

»Ich hätte sie nicht küssen dürfen.« Peters Stimme war sehr leise. »Jetzt mache ich mir Vorwürfe, dass ich sie in Gefahr gebracht habe. Er hat sich wie ein Wilder auf mich gestürzt. Ich hatte seine Faust schon im Gesicht, bevor ich ihn auch nur gesehen hatte.« Er schüttelte langsam den Kopf, als könnte er die Benommenheit auf diese Weise vertreiben. »Ich muss ins Bett«, sagte er. »Und ich brauche eine Kopfschmerztablette.«

»Ich sage Herrn Hagedorn Bescheid«, erwiderte die Baronin.

»Geht zurück auf den Ball und sagt Sabrina, dass ich mir ein bisschen die Beine vertrete«, bat Peter. »Ich rede später mit ihr, aber ich sehe keinen Sinn darin, ihr die Freude am Ball jetzt schon zu verderben. Und ihr seht bitte zu, dass sich von diesem Vorfall nichts herumspricht.«

»Dafür sorgt schon Herr Hagedorn, wir können uns da ganz auf ihn verlassen«, erklärte der Baron.

»Wir schicken ihn gleich zu dir, Peter«, versprach Sofia. »Bist du sicher, dass wir dich alleinlassen können?«

»Ich bleibe noch ein bisschen bei ihm«, versprach der kleine Fürst. »Peter hat Recht: Ihr müsst zurück auf den Ball, bevor eure Abwesenheit auffällt. Komm, Peter, wir müssen dort lang, durch die Tür.«

Sofia und Friedrich sahen den beiden nach, dem Teenager und dem jungen Mann, den er stützte. »Gut, dass Angelika nichts davon mitbekommen hat«, murmelte die Baronin. »Sie hätte sofort wieder angefangen, von einem bösen Omen zu sprechen.«

»Ich bin nicht sicher, ob wir es dauerhaft vor ihr und den anderen verbergen können«, erwiderte der Baron, als er ihr den Arm bot.

Sie kehrten mit lächelnden Gesichtern in den Ballsaal zurück, machten wenig später Sabrina ausfindig, der sie mitteilten, Peter vertrete sich ein wenig die Beine und begaben sich dann unverzüglich auf die Tanzfläche. Niemand schien sich über ihre Abwesenheit gewundert zu haben, was sie mit großer Erleichterung zur Kenntnis nahmen.