Das Buch
Unschuldig sieht er mich aus seinen braunen Augen an. Ein Unterlid hängt schon ein bisschen herunter. Beagle, fällt mir in diesem Moment ein, er sieht aus wie ein Beagle.
»Von wann ist denn dein Profilbild?«, erkundige ich mich in bemüht neutralem Tonfall.
»So alt ist das noch gar nicht!«, behauptet er. »Außerdem habe ich mich in den letzten zwanzig Jahren sowieso kaum verändert. Bis auf die paar grauen Haare sehe ich doch noch genauso aus.« Irrtum, mein Lieber! Auf dem Foto siehst du aus wie ein griechischer Gott. Heute hast du sehr viel mehr Ähnlichkeit mit einem englischen Jagdhund.
Die Autorin
Jana Voosen, Jahrgang 1976, studierte Schauspiel in Hamburg und New York. Es folgten Engagements an Hamburger Theatern. Seitdem war sie in zahlreichen TV-Produktionen zu sehen. Jana Voosen lebt in Hamburg.
Lieferbare Titel
Er liebt mich … – Zauberküsse – Mit freundlichen Küssen – Allein auf Wolke Sieben – Prinzessin oder Erbse? – Liebe mit beschränkter Haftung
JANA VOOSEN
Pantoffel oder Held?
Roman
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
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Originalausgabe 07/2013
Copyright © 2013 by Jana Voosen
Copyright © 2013 by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: © Eisele Grafik-Design, München
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-10281-4
V002
www.heyne.de
Für alle Töpfe, Deckel,
Fische und Fahrräder!
Viel Glück!
Liebe geht durch die Nase
und
auf jeden Topf passt eine Faust.
Anni Martens (87 Jahre)
Liebe geht durch die Nase!
Noch schneller zum perfekten Partner per Genanalyse!
Sie sehnen sich nach einer glücklichen, erfüllten Partnerschaft? Nach einem Menschen, der Sie ohne viele Worte versteht, der Sie ergänzt und glücklich macht? Mit dem Sie eine Familie gründen und gemeinsam alt werden können?
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Schöpfen Sie neuen Mut, denn wir von DreamTeam helfen Ihnen dabei, Ihren Traumpartner zu finden!
Ob wir jemanden attraktiv finden oder nicht, bestimmen unsere Gene: Sie entscheiden, wen wir »riechen« können. Deshalb können Sie jetzt bei uns mithilfe eines einfachen Tests Ihre DNA analysieren und mit der anderer Menschen vergleichen lassen. In Kombination mit unserem bewährten, eigens für DreamTeam von renommierten Wissenschaftlern entwickelten Persönlichkeitstest finden Sie so die ganz große Liebe! Genetisch kompatible Paare haben erwiesenermaßen langlebigere Beziehungen, ein besseres Sexualleben und höhere Fruchtbarkeitsraten!
Er oder sie wartet irgendwo da draußen – und wir sagen Ihnen, wo!
Wie das Ganze funktioniert, erfahren Sie in unserer Broschüre »Ihr perfekter Partner – für Sie bestimmt!«
Kapitel 1
»Also, Frau Martens, als Mitarbeiterin bekommen Sie natürlich einen Rabatt von fünfzig Prozent«, erklärt mein Gegenüber, »denn glücklich liierte Mitarbeiter sind für uns die allerbeste Werbung. Sie verstehen?« Ich lasse meinen Blick durch das elegante Büro meines neuen Auftraggebers mit dem wunderschönen Ausblick auf die Hamburger Binnenalster wandern und kann noch immer nicht recht glauben, dass meine Chefin mir allen Ernstes die Alleinverantwortung für unseren neuesten Werbekunden übertragen hat, die Internet-Partnerbörse DreamTeam!
Endlich! Endlich! Nach fünf Jahren als Junior-Produktmanagerin, was übersetzt eigentlich nichts anderes bedeutet als Laufbursche für den Produktmanager, habe ich jetzt mein erstes eigenes Projekt. Mein Ansprechpartner Herr Löffelstiel, der mir gegenüber in einem mächtigen schwarzen Ledersessel thront, ist ein freundlicher, grauhaariger Mann im tadellos sitzenden Nadelstreifenanzug, der an jeden zweiten Satz die Worte »Sie verstehen?« anhängt. Ein wenig aus dem Konzept bringt mich das Augenzwinkern, das diese Floskel begleitet und das irgendwie anzüglich wirkt. Sie verstehen, zwinker, zwinker?
»Äh, ja, ich verstehe«, sage ich und zwinkere vorsichtshalber zurück. »Aber das wird nicht nötig sein. Ich habe bereits einen Freund. Bin glücklich liiert sozusagen. Sie verstehen?«, rutscht es mir heraus und ich beiße mir auf die Unterlippe. Reiß dich zusammen, Franzi. Sonst denkt er noch, dass du dich über ihn lustig machen willst. Aber Herr Löffelstiel sieht vollkommen arglos aus.
»Wie schön für Sie! Welche Quote?«
»Bitte?«, frage ich irritiert, als mir gerade noch rechtzeitig einfällt, dass dies bei DreamTeam der Fachausdruck für die Kompatibilität zwischen Mann und Frau ist. »Keine Ahnung. Wir haben uns auf die altmodische Art kennengelernt. Vor drei Jahren. Auf einer Party.« Entschuldigend hebe ich die Schultern.
»Ich verstehe. Nun, dann kommen Sie doch mal vorbei mit Ihrem …?«
»Fabian«, ergänze ich.
»Mit Ihrem Fabian. Dann können Sie hautnah miterleben, wie wir arbeiten. Und bei der Gelegenheit können Sie gleich überprüfen, ob Sie auch mit dem richtigen Mann zusammen sind. Die richtige Entscheidung getroffen haben, sozusagen. Sie verstehen?« Ich blinzele verunsichert. Meint der das ernst?
»Danke, aber ich kann meinen Freund sehr gut riechen«, wehre ich ab und nehme damit gleich Bezug auf den Werbeslogan »Liebe geht durch die Nase«, den ich Herrn Löffelstiel für das neue Produkt Gentest vorgeschlagen habe.
»Das glauben Sie! Aber sind Sie sich auch ganz sicher, dass auf Ihre Nase Verlass ist? Wussten Sie zum Beispiel, dass der Geruchssinn einer Frau durch hormonelle Verhütungsmittel vollkommen irregeleitet wird?«
»Äh, nein«, gebe ich zu.
»Und dann die übertriebene Hygiene von heute. Ich sage nur Antitranspirant. Wie sollen Sie als Frau den richtigen Partner auswählen, wenn der seinen Eigengeruch mit Chemie überdeckt?«
»Ja, das erschwert die Sache natürlich ungemein«, stimme ich ihm zu, während ich insgeheim ein Dankgebet gen Himmel sende, dass sich der Erfinder des Deos von dieser Argumentation nicht von seinem Schaffensdrang hat abhalten lassen. Ich bin nämlich überhaupt nicht scharf darauf, den Eigengeruch jeder Person, die mir auf der Straße begegnet, auf zehn Meter Entfernung wahrnehmen zu können. »Aber sehen Sie, ich habe einen sehr sensiblen Geruchssinn, ein feines Näschen sozusagen.«
»Nun gut, nun gut, wie Sie meinen«, sagt mein Gegenüber, »es ist jedoch unstrittig, dass unsere instinktive Partnersuche heute nicht mehr so einwandfrei funktioniert. Und wissen Sie, woran man das auch feststellen kann?«
»Nein. Woran?«
»An den vielen Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch«, sagt er triumphierend. »Paare mit niedriger Kompatibilität brauchen erwiesenermaßen erheblich länger, bis eine Schwangerschaft eintritt. Wenn überhaupt. Wollen Sie denn mal Kinder haben?«
»Irgendwann schon.«
»Ich sage Ihnen was«, er beugt sich über den Schreibtisch zu mir rüber und flüstert verschwörerisch: »Diesen Kompatibilitätstest machen wir umsonst für Sie. Gehört ja quasi mit zum Einarbeitungsprozess. Sie verstehen?«
»Ehrlich?«, frage ich und finde die Idee plötzlich gar nicht mehr so blöd. Warum eigentlich nicht? Wenn ich unseren Auftraggeber damit glücklich machen kann … Zudem habe ich strenggenommen mit dem Job gerade erst angefangen und schon sage und schreibe zweihundert Euro verdient. In fünf Minuten. Zweihundert Euro. So viel kostet nämlich die Kombination aus Persönlichkeits- und Gentest für Neukunden von DreamTeam. Ein solch großzügiges Geschenk sollte man dankbar annehmen, oder, wie meine Omi Anni es ausdrücken würde: »Einem geschenkten Gaul haut man nicht aufs Maul.«
Als ich aus den Geschäftsräumen von DreamTeam trete, scheint die Frühlingssonne auf mich herab. Trotz des emsigen Treibens um mich herum bleibe ich mitten auf dem Jungfernstieg stehen, schließe die Augen und genieße die wärmenden Strahlen der Aprilsonne. Endlich hat die kalte Jahreszeit ein Ende. Beschwingt beschließe ich, den Bus Bus sein zu lassen und zu Fuß nach Hause in das etwa zwanzig Minuten entfernte Grindelviertel zu gehen, wo ich seit zweieinhalb Jahren mit Fabian wohne. Während ich gemächlich in Richtung Heimat schlendere, bekomme ich nun doch ein bisschen Muffensausen. Vielleicht hätte ich, bevor ich Herrn Löffelstiel einfach so zusage, Fabian erst mal fragen sollen. Andererseits, was sollte er dagegen haben? Dass wir beide ein Dreamteam sind, das weiß schließlich jeder. Was den Test natürlich von vornherein vollkommen unnötig macht. Fabian und ich sind ein Traumpaar. Er ist der Topf für meinen Deckel oder umgekehrt. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich ihn gefunden habe. Es war auf einer sogenannten Secondhand-Party meiner Freundin Lydia, wo jeder den ganzen Kram hinschleppen konnte, den er loswerden wollte: Bücher, DVDs, Klamotten und … Exfreunde oder solche, die es werden sollten. Dass es sich um eine Art Kontaktbörse handelte, wussten allerdings nur die weiblichen Besucher. Ich war damals, das ist jetzt fast drei Jahre her, alleine auf die Party gekommen, denn mein Exfreund hatte diese Bezeichnung erst vor wenigen Wochen erworben, und nicht etwa, weil ich ihm den Laufpass gegeben hatte, sondern weil er »seine Freiheit zurückwollte«. Und obwohl es »nicht an mir lag, sondern ganz allein an ihm«, er mich »immer noch wahnsinnig lieb« hatte, wir immer »die allerbesten Freunde bleiben« sollten und er mir »nur das Allerallerbeste für mein Leben« wünschte, konnte ich das umgekehrt nun überhaupt nicht behaupten. Deshalb wollte ich ihm keinesfalls die Gelegenheit geben, auf der Party vor meinen Augen die nächste Frau kennenzulernen, die ihn seiner Freiheit berauben würde. Allerdings, das konnte ich damals nicht wissen, wäre mir das sowieso ziemlich egal gewesen. Denn in dem Moment, als Fabian mit einer langbeinigen Blondine Lydias Küche betrat, war Peter, so hieß der Ex, über den ich mir seit Wochen jede Nacht die Augen aus dem Kopf geheult hatte, plötzlich nur noch eine schemenhafte Erinnerung. Ich verliebte mich augenblicklich in den Mann mit dem wuscheligen, blonden Lockenkopf, den sanften, braunen Augen und dem athletischen Körper. Bis heute bin ich der festen Überzeugung, dass für alle Anwesenden sichtbare Blitze zwischen uns hin- und herflogen, während Fabian sich halbherzig mit seiner blonden Begleitung unterhielt und ich mir alle Mühe gab, nicht vor lauter Begeisterung zu sabbern, während ich Lydia über die beiden Neuzugänge ausfragte.
»Wer ist er? Wie heißt er? Was macht er? Wie alt ist er? Und am allerwichtigsten: Will die ihn wirklich loswerden?«
Und Lydia antwortete zu meiner vollsten Zufriedenheit: »Das ist Fabian. Er heißt Fabian. Er macht irgendwas mit Informatik. Er ist Anfang dreißig. Und ja, Lisa hat sich vor ein paar Wochen von ihm getrennt.«
»Ja, aber wieso denn bloß?« Es war mir wirklich völlig unbegreiflich, wie jemand einen solchen Traum von Mann verlassen konnte.
»Das musst du sie schon selber fragen«, sagte Lydia und ergänzte: »Was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall.«
»Oder wie meine Omi wahrscheinlich sagen würde, was dem einen seine Eule, das trägt der andere nach Athen«, grinste ich. »Los, stell mich vor.«
Der Rest ist Geschichte. Von Nahem gefiel mir Fabian noch besser als von Weitem, obwohl sich herausstellte, dass er gerade mal einen halben Zentimeter größer war als ich. Und dabei bin ich selbst mit eins fünfundsechzig auch nicht unbedingt ein Riese. Aber das machte mir nichts aus. Wir verstanden uns auf Anhieb so gut, dass Lydia und Lisa, Letztere mit einem erleichterten Seufzer, sich nach drei Minuten unauffällig zurückzogen. Wir redeten die ganze Nacht. Dabei erfuhr ich, dass seine Exfreundin sich anscheinend in ihren fünfundzwanzig Jahre älteren Chef verliebt und Fabian deshalb verlassen hatte. Das konnte ich nun überhaupt nicht verstehen. Ich heuchelte ein bisschen Betroffenheit, aber ganz offensichtlich nahm er die Sache nicht besonders schwer, sondern baggerte stattdessen eifrig an mir herum. Am nächsten Abend gingen wir zusammen essen, tags darauf ins Kino und danach miteinander ins Bett. Sechs Monate später bezogen wir unsere gemeinsame Wohnung. Sehr zum Leidwesen meiner Mutter haben wir die noch ausstehenden Schritte, wie sie es nennt, nicht im gleichen Tempo vollzogen, denn nach ihrer Meinung wird eine Beziehung erst durch Eheringe und mindestens drei Kinder wahrhaft geadelt. Aber ich finde unser Leben auch so schon absolut perfekt. Wir streiten uns nie, haben den gleichen Einrichtungsgeschmack, ähnliche Interessen und sogar dieselbe Lieblingsmarmelade, nämlich Orangengelee mit Ingwer. Das soll uns erst mal einer nachmachen. Erdbeere, Himbeere, vielleicht auch Pflaumenmus, das mag doch jeder. Das hat nichts zu bedeuten. Aber einen Menschen zu treffen, der mit einem zusammen wohlige Grunzlaute ausstößt, wenn das bittere Aroma einem die Geschmacksnerven zusammenzieht, und der voller Hingabe auf zähen Orangenschalen-Streifen herumkaut, das ist schon ein großes Glück. Alle, die uns kennen, sind sich einig, dass wir das perfekte Paar sind, und plötzlich regt sich in mir der Ehrgeiz, Herrn Löffelstiel zu zeigen, was für eine großartige Wahl ich getroffen habe. Dass ich den richtigen Riecher hatte, sozusagen, Sie verstehen, zwinker, zwinker. Ich freue mich schon auf sein Gesicht, wenn er das Testergebnis sieht: »Hundert Prozent, also Frau Martens, ich muss schon sagen, das gab es noch nie. Wenn alle so zielsicher ins Schwarze treffen würden bei ihrer Partnerwahl, also, das wäre das Ende für unsere Firma. Der Ruin, sozusagen. Sie verstehen?« Und ich werde tiefgründig lächeln und ihm dann huldvoll gestatten, trotzdem mit Fabian und mir für sein Unternehmen zu werben. Obwohl wir die Quote von hundert Prozent ganz alleine hinbekommen haben. Aber immerhin sind wir schon durch die Tatsache, dass wir den Test gemacht haben, zu Kunden von DreamTeam geworden, sodass es nicht einmal richtig gelogen ist. Und dass der Übergang zwischen Lüge und Wahrheit in der Werbung manchmal fließend ist, daran habe ich mich längst gewöhnt. Denn schließlich ist das mein Beruf. Oder wie Omi Anni es formulieren würde: »Das schmier ich mir aufs tägliche Brot!«
Mein sportlicher Ehrgeiz ist also geweckt und entsprechend hurtig erklimme ich die steilen Stufen zu unserer hübschen Drei-Zimmer-Wohnung, die sich im vierten Stock eines Altbaus befindet. Das Haus ist zwar etwas verlottert und beim Aufstieg muss man sehr genau achtgeben, dass man sich auf den ausgetretenen Stufen nicht den Hals bricht, aber dafür ist die Lage mitten im Hamburger Univiertel, mit seinen zahllosen Cafés, Bars und hippen Klamottenläden, unschlagbar. Und wegen des desolaten Zustands des Hauses ist die Miete viel niedriger als in den Häusern ringsum. Die Wohnung haben wir selbst renoviert, die Dielen abgeschliffen, Wände gespachtelt und gestrichen und Einbauregale montiert. Ein solches Projekt ist eine Prüfung für jede Beziehung, und wäre ich nicht schon vorher hundertprozentig davon überzeugt gewesen, dass Fabian der Richtige für mich ist, dann wäre ich es spätestens in dem Moment gewesen, als er mich schließlich nach wochenlanger harter Arbeit und noch im Blaumann über die Schwelle unserer fertig renovierten Wohnung getragen hat. Es war kein böses Wort gefallen. Nicht eins. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und freue mich, dass ich ihn nur ein halbes Mal herumdrehen kann, bevor sich die Tür mit einem Knacken öffnet. Fabian ist also schon zu Hause.
»Hallo, Schatz«, rufe ich durch den langen Flur und werfe meinen Trenchcoat über die Garderobe.
»Tag, Schatz«, kommt es aus der Küche, gemeinsam mit dem verführerischen Duft von angebratenem Knoblauch. Ja, ich gebe es zu, wir sind diese Leute, die sich gegenseitig Schatz nennen. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Aber ich weiß noch sehr genau, wie blöd ich das immer fand. Vorher. Schatz, das ist ja wohl so ziemlich das Einfallsloseste, was es gibt. Doch man muss das auch mal anders betrachten. Im wahrsten Sinne des Wortes, sozusagen. Sie verstehen, zwinker, zwinker? Mir fällt kein besserer Ausdruck für Fabian ein, denn er ist genau das: mein wertvollster Schatz. Ich betrete die Küche, wo er mit mehreren Pfannen und Töpfen vor sich hin werkelt, und gebe ihm einen Kuss. Dann wasche ich mir die Hände und beginne, den Rucola zu putzen, der in der Salatschleuder wartet.
»Und, wie war es bei dem neuen Kunden?«, erkundigt sich Fabian.
»Es ist gut gelaufen«, sage ich, »und ich glaube, das wird ein spannender Auftrag. DreamTeam ist ja ein riesiges Unternehmen. Die haben über fünf Millionen Kunden.«
»Und wozu brauchen Sie dann dich?«
»Weil Sie ein neues Produkt auf den Markt bringen und damit noch ein paar Millionen weiterer Kunden gewinnen möchten, darum.«
»Ein neues Produkt?« Verständnislos sieht Fabian mich an. »Ich dachte, das ist ’ne Partnervermittlung.«
»Stimmt. Aber sie wollen sich von den vielen anderen Online-Kontaktbörsen abheben. Das Konzept ist total neu und klingt auch irgendwie einleuchtend. Die besten Psychologen und Biologen haben es gemeinsam erarbeitet.«
»Tatsächlich?«
»Ja, DreamTeam geht davon aus, dass für eine lebenslange Bindung zwei Komponenten entscheidend sind. Zum einen die soziale und zum anderen die biologische. Den psychologischen Test gibt’s ja schon lange. Denn natürlich ist es wichtig, dass man gemeinsame Interessen und Werte hat. Aber noch wichtiger ist, dass man auch biologisch zueinander passt.«
»Meinst du nicht sexuell?« Er grinst mich an und wirft mit Schwung eine Handvoll geschnittener Cocktailtomaten in die heiße Pfanne.
»Schon, sexuell, ja. Eigentlich hat es was mit dem Immunsystem zu tun. Wir alle senden permanent Duftstoffe aus, mit denen wir das andere Geschlecht anlocken. Und zwar jeweils diejenigen Exemplare des anderen Geschlechts, deren Immunsystem sich von unserem eigenen am stärksten unterscheidet. Denn die Kinder aus einer solchen Verbindung bekommen das Beste aus beiden Immunsystemen und sind deshalb besonders überlebensfähig.« Ich klinge schon selbst wie eine Werbebroschüre.
»Klingt irgendwie überzeugend«, sagt Fabian dann auch. »Eins musst du mir aber noch erklären: Wozu der Test, wenn man sich doch gegenseitig am Geruch erkennt?« Ich möchte jetzt nicht in Herrn Löffelstiels Hetzreden gegen Deodorants einstimmen und bin froh, dass mir ein besseres Argument einfällt. Bevor ich es ausspreche, klebe ich ein imaginäres Post-it auf meine imaginäre Ideenwand, um später bei der Ausarbeitung meiner Werbekampagne darauf zurückgreifen zu können.
»DreamTeam gibt dir die Chance, an Tausenden von Frauen, denen du sonst nie begegnen würdest, zu riechen – im übertragenen Sinne, versteht sich. Und dir ja sowieso nicht«, füge ich, plötzlich besorgt, hinzu. »Sondern den Kunden. Man gibt eine DNA-Probe ab, der Computer erledigt den Rest und vergleicht deine DNA mit den anderen im System.«
»Ich stelle es mir eigentlich ganz nett vor, an einer langen Reihe von Frauen zu schnuppern.«
»Untersteh dich!«
»Und was kostet der Spaß?«
»Beide Tests zusammen kosten zweihundert Euro. Und die sogenannten Bestandskunden können sich für neunundsechzig Euro upgraden lassen.«
»Wow. Ganz schön teuer, oder?«
»Aber«, sage ich feierlich, »für uns ist es umsonst.«
»Na, wie schön.« Er grinst ironisch. »Ich sage dir Bescheid, wenn ich ’ne neue Freundin suche.«
»Mach keine Witze darüber. Das ist nicht komisch.«
»Du hast doch damit angefangen.«
Über einer riesigen Portion Tagliatelle mit Rinderfiletstreifen und Cocktailtomaten in Weißweinsauce erzähle ich Fabian von Herrn Löffelstiels Angebot. Oder vielleicht war es gar kein Angebot? Sondern ein Befehl? Wie auch immer, zum Glück erklärt sich Fabian sofort bereit mitzumachen.
»Warum nicht? Klingt doch ganz lustig.«
»Ist nur für meinen Auftraggeber. Den muss ich schließlich bei Laune halten und deshalb wollte ich nicht ablehnen. Wir wissen ja schon, dass wir ein Super-Team sind. Stimmt’s?«
»Hmja«, bestätigt Fabian etwas undeutlich. Aber das liegt nur an der riesigen Gabel voll Nudeln, mit der er gerade kämpft.
Und so sitzen wir nach dem Essen Seite an Seite, unsere Laptops auf dem Schoß, auf dem Sofa und füllen den umfangreichen Fragebogen aus.
»Was sind das denn für merkwürdige Fragen?«, erkundigt sich Fabian, nachdem er einen Blick auf die erste Seite geworfen hat. Wenn du ein Tier wärst, welches wärst du dann? Wenn du dir aussuchen dürftest, welches Tier du bist, welches würdest du dann wählen?
»Das ist alles tiefenpsychologisch fundiert«, erkläre ich, während mir das Wort »Kanarienvogel« in den Sinn kommt. Kanarienvogel? Ich denke eine Minute darüber nach und komme zu der Erkenntnis, dass das wohl gar nicht die falscheste Einschätzung meiner Persönlichkeit ist. Ich bin klein und blond, ein bisschen kugelig, gesellig, verträumt und meistens gut gelaunt. Und manchmal zwitschere ich ein wenig zu schnell und zu viel. Außerdem ist mein allergrößter Traum, fliegen zu können. Nicht in einem Flugzeug oder Helikopter, nicht mal mit so einem Drachensegel, Fallschirm oder magischen Umhang – nein, einfach so. Mich vom Boden abstoßen, zweimal mit den Flügeln beziehungsweise Armen rudern und davonflattern. Keine Sorge, ich bin mir dessen bewusst, dass ich auf diese Art sicher niemals werde fliegen können. Auch wenn die Wissenschaft mittlerweile so weit sein mag, uns den Weg zum perfekten Partner zu weisen – bis sie die Schwerkraft besiegen kann, ist es noch ein langer Weg. Länger als meine Lebensspanne. Obwohl ich vor acht Jahren mit dem Rauchen aufgehört habe.
K A N A R I E N V O G E L tippe ich in die erste Zeile meines Tests. Fabians Blick klebt an meinem Bildschirm.
»Hee, nicht abgucken!« Schützend lege ich meinen Arm davor und komme mir gleich darauf albern vor. Wie in der zweiten Klasse. Fabian scheint das Gleiche zu denken, denn er verdreht die Augen.
»Du warst wohl so eine, die in der Schule nie jemanden hat abschreiben lassen, was?«
»War ich nicht«, verteidige ich mich und nehme widerwillig die Hand weg. »Aber du wirst doch wohl zugeben, dass es in diesem Fall absolut kontraproduktiv wäre, von mir abzuschreiben.«
»Ja, schon gut.« Schwer stützt er den Kopf in die Hand, während ich mich den nächsten Fragen zuwende: Wenn du dir aussuchen dürftest, welches Tier du bist, welches würdest du dann wählen? Hm. Fliegen muss es natürlich können. Also wieder ein Vogel. Ich weiß, ein Adler. Das ist es. Hoch im Himmel über allem zu schweben. Erhaben. Ein bisschen Furcht einflößend. Und sehr, sehr selbstsicher. Ich sehe Fabian an, der sich mittlerweile die Haare rauft und dabei unglaublich niedlich aussieht.
»Woher soll denn ich wissen, was für ein Tier ich wäre?«, stöhnt er. »Oder gerne sein würde. Und ist das nicht überhaupt das Gleiche?«
»Du musst das intuitiv machen. Aus dem Bauch heraus.«
»Aber ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, welches Tier ich gerne wäre. Oder welche Blume. In welcher Epoche ich gerne leben würde und was meine liebste Märchenfigur ist«, beschwert sich mein Freund und sieht jetzt richtig übellaunig aus. »Können die nicht einfach fragen, wo ich gerne meinen Urlaub verbringe und wo ich politisch stehe, wie jede andere Kontaktbörse auch?«
»Ach? Du hast Erfahrung mit Online-Dating?« Das wusste ich ja gar nicht.
»Ist ewig her. Aber Lisa habe ich damals so kennengelernt. Bei VIPartners, wenn ich mich nicht irre.«
»Wie schön für dich und Lisa!«
»Hey, nichts gegen Lisa.« Er hebt gespielt drohend den Zeigefinger und beugt sich zu mir rüber. »Ohne sie wären wir uns nie begegnet.« Augenblicklich bin ich wieder versöhnt.
»Da hast du natürlich recht«, murmele ich und schließe in Erwartung des Kusses, der gleich folgen wird, die Augen.
»Kanarienvogel?« Enttäuscht hebe ich ein Augenlid und dann auch das andere. War wohl nichts mit Knutschen.
»Nicht gucken!«
»Kanarienvogel. Gar nicht so verkehrt!«
»Vielen Dank.«
Über eine Stunde lang beantworten wir Fragen über Fragen. Auch mir schwirrt mittlerweile ganz schön der Kopf, so intensiv habe ich schon lange nicht mehr über mich nachgedacht. Und mit den »Was wären Sie, wenn«- Fragen ist es längst nicht getan. Von Musikgeschmack über Ernährungsgewohnheiten bis hin zu sexuellen Vorlieben wird wirklich alles unter die Lupe genommen.
Schließlich loggen wir uns mit unserem gemeinsamen Passwort auf der Webseite ein und mit einem Klick sind unsere Fragebögen auf dem Weg in Richtung Auswertung. Aber im Gegensatz zu regulärem Internet-Dating werden unsere Ergebnisse natürlich nur miteinander verglichen, anstatt mit all den anderen in der Datenbank vorhandenen. Auch wenn ich sowieso nicht glaube, dass es da draußen irgendeinen Mann gibt, der besser zu mir passen würde als Fabian.
»So, das war der erste Teil. Jetzt noch der genetische Test.« Fabian hat sich mittlerweile mit geschlossenen Augen in unsere riesengroßen, flauschigen Sofakissen fallen lassen.
»Können wir den nicht morgen machen?«, ächzt er und tastet nach der Fernbedienung. »Ich möchte jetzt einfach nur abschalten.«
»Keine Sorge«, ich krame in meiner neuen Knautsch-Handtasche aus hellbraunem Leder nach den Testutensilien, »es dauert nur eine Sekunde. Na ja, vielleicht fünf, aber nicht mehr. Ah, da sind sie ja.« Damit ziehe ich zwei schmale Röhrchen aus durchsichtigem Plastik hervor, die ungefähr die Größe eines Zigarillos haben. Mäßig interessiert setzt Fabian sich auf und schaut mir dabei zu, wie ich mit einem leisen Plopp den Plastikverschluss löse und das weiße Teststäbchen herausnehme. Eigentlich ist es ein ganz normaler Q-tip.
»So, Mund auf«, befehle ich und fuhrwerke mit dem Ding in Fabians Mund herum.
»Wa mach dun da?«, fragt er, während ich sorgfältig eine Zellprobe von seiner Mundschleimhaut abkratze und ihm das gleichzeitig erläutere. Dann nehme ich noch meine eigene Probe und verschließe die Röhrchen sorgfältig.
»Das geht morgen ab ins Labor und ein paar Tage später bekommen wir die Auswertung. Toll, oder?«
»Ja. Toll.« Damit lehnt er sich ins Sofa zurück und schaltet den Fernseher ein. Ein bisschen enttäuscht sehe ich ihn an.
»Freust du dich nicht?«
»Worüber denn?«, fragt er ehrlich überrascht.
»Na ja, auf das Ergebnis.«
»Das haben wir doch noch gar nicht.«
»Nein, aber …« Ratlos sehe ich auf die Röhrchen in meiner Hand und weiß selbst nicht, was für eine Reaktion ich eigentlich erwartet hätte. Etwas mehr Enthusiasmus vermutlich. Und die Beteuerung, dass er fest davon überzeugt ist, dass wir die Hundert-Prozent-Quote knacken. »Was glaubst du denn, wie wir abschneiden werden?«
»Ach, bestimmt gut. Wir sind doch schon so lange zusammen.«
»Genau.« Ich robbe mich an ihn heran. »Und immer noch verliebt.«
DREAMTEAM
Auswertung der Teilnehmer Franziska Martens und Fabian Röth
Genetisch-biologische Komponente:
Kompatibilität: 23%
Sie sind ähnliche MHC-Typen, das heißt, Ihre Immunsysteme unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander. Erwiesenermaßen beeinflussen die MHC-Gene sowohl das sexuelle Verlangen zweier Partner nacheinander als auch ihre Fähigkeit, sich fortzupflanzen. Für die Zeugung eines Kindes brauchen Paare mit ähnlichen MHC-Genen deutlich länger, auch kommt es in den ersten drei Monaten häufiger zu Fehlgeburten.
Soziale und psychische Komponente:
Kompatibilität: 50 %
Sie teilen einige Interessen miteinander, aber bei Weitem nicht alle. Wenn Sie Ihre Beziehung fortführen wollen, müssen Sie sich darauf einstellen, dass jeder auch seine eigenen Wege gehen wird, Ihr Freundeskreis wird sich nie ganz mischen, Sie werden keines von jenen Paaren sein, die zu einer Einheit verschmelzen. Eher wird man Sie als Partner wahrnehmen, die einander Freiheiten lassen, auch mal getrennt in den Urlaub fahren und viel Zeit mit ihren unterschiedlichen Hobbys verbringen.
Gesamtprognose:
Kompatibilität: 36 %
Ihre Erfolgsquote liegt bei 36 Prozent. Natürlich können Sie trotzdem Ihr Glück miteinander versuchen, sollten aber Ihre Hoffnungen nicht zu hoch schrauben. Insbesondere, wenn es Ihnen wichtig ist, eine Familie zu gründen, sollten Sie überdenken, ob es nicht auf lange Sicht besser wäre, sich nach einem anderen Partner umzuschauen.
Bedenken Sie: Es gibt Menschen, die besser zu Ihnen passen. Wir haben Paare zusammengeführt, die im Kompatibilitätstest bis zu 96 Prozent erreichten. (Berichte von zufriedenen Kunden finden Sie in der dieser E-Mail als PDF-Datei angehängten Broschüre.)
Auch Sie können eine harmonische, sorgenfreie und glückliche Beziehung führen. Eine kurze Nachricht an uns genügt und gegen eine geringe Gebühr speisen wir Ihre Ergebnisse in unsere Datenbank ein. Wir machen DreamTeams!
Kapitel 2
Sprachlos starre ich auf meinen Monitor. Ich weiß gar nicht, worüber ich mich zuerst aufregen soll. Über das absolut niederschmetternde Ergebnis oder über die unsensible Art und Weise, wie mir von DreamTeam selbiges um die Ohren gehauen wird. Und dann dieser absolut plumpe Versuch, mir eine Mitgliedschaft in der Kontaktbörse schmackhaft zu machen. Wer hat sich das bloß ausgedacht? Das muss man doch viel subtiler angehen. Noch einmal überfliege ich den Text, und ein Schauer läuft mir über den Rücken. Das kann gar nicht sein. Da muss irgendetwas vertauscht worden sein. Fabian und ich, wir sind ein Traumpaar. Das Dream-Team schlechthin sozusagen. Wir lieben uns. Es war sogar Liebe auf den ersten Blick. Wir konnten uns auf Anhieb gut riechen, um mal in der Terminologie von meinem blöden Auftraggeber zu bleiben. Will mir so ein dämlicher Test allen Ernstes erzählen, dass ich nicht in der Lage bin, mir den richtigen Partner auszusuchen? Dass ich also nicht den richtigen Riecher hatte, zwinker, zwinker? So eine Frechheit. Und was heißt hier eigentlich mangelndes sexuelles Verlangen nacheinander? So ist es doch gar nicht. Vielleicht reißen wir uns nicht die Klamotten vom Körper, sobald wir einander ansichtig werden, aber ist das nicht ganz normal nach ein paar Jahren? Schön, auch am Anfang sind wir nicht an jedem möglichen oder unmöglichen Ort übereinander hergefallen wie die Tiere, ich ziehe es nämlich vor, beim Sex warm und trocken zu liegen und mir keine blauen Flecken zu holen. Aber ist das nicht auch einfach eine Temperamentsfrage? Auf jeden Fall war es immer sehr schön mit uns. Ich korrigiere, es ist immer sehr schön mit uns. Auch wenn ich mich, ehrlich gesagt, gerade nicht genau erinnern kann, wann wir das letzte Mal miteinander geschlafen haben. Das muss vorletztes Wochenende …, nein, da hatte ich meine Tage. Dann vor drei Wochen? Oder vier? Ganz schön lange her ist es auf jeden Fall. Aber schließlich haben wir beide anstrengende Jobs und genießen es abends oft, einfach gemeinsam auf der Couch herumzulümmeln. Das ist doch legitim. Dennoch nehme ich mir vor, heute Abend etwas gegen unsere Sexflaute zu unternehmen. Sicher ist sicher. In diesem Moment klingelt mein Telefon. Es ist Fabian. Augenblicklich wird mir heiß und kalt. Natürlich hat er die E-Mail auch bekommen. Und wahrscheinlich gerade gelesen. Beklommen gehe ich ran.
»Hallo Schatz.«
»Hallo Schatz.« Schweigen. Vor Aufregung beginne ich nervös an meiner Nagelhaut herumzuknabbern. Dann finde ich mich selbst albern, weil ich mich von so einem dummen Test (das sollte ich meinen Arbeitgeber vielleicht nicht unbedingt hören lassen) dermaßen aus der Fassung bringen lasse. Als würde das irgendetwas ändern. Als könnte es unsere drei gemeinsamen Jahre, die wundervollen Erinnerungen und das starke Band der Liebe zwischen uns zerstören. Oder auch nur ankratzen. Lächerlich. »Na, hast du auch unser überragendes Testergebnis erhalten?«, erkundige ich mich betont locker.
»Tja. Offensichtlich könnten wir kaum schlechter zueinander passen, was?«, fragt er ebenso locker zurück. Oder bilde ich mir das nur ein? »Dafür halten wir es ja ziemlich gut miteinander aus.« Oh, Gott sei Dank. Er nimmt das Ganze nicht ernst. Mit einem lauten Plumpsen fällt mir ein Stein vom Herzen. Nicht dass ich etwas anderes erwartet hätte. Aber trotzdem bin ich erleichtert.
»Stimmt. Dafür, dass du so ziemlich der schlechteste Kandidat bist, den ich mir hätte aussuchen können, ist es eigentlich ganz okay, mit dir zu leben.«
»Ganz okay?«
»Ja, du bist recht nett.«
»Nett? Ist das nicht die kleine Schwester von Scheiße?«
»Ich bin total dagegen, jemanden nach seinen Geschwistern zu beurteilen. Stell dir mal vor, das würde einer mit mir machen.« Meine Schwester Emma ist nämlich ein kleines Miststück.
»Tja, dann hättest du ein Problem. Aber keine Sorge, ich finde, du bist in Ordnung. Trotz deiner Schwester. Und trotz des Testergebnisses«, fügt er nach einer kleinen Pause hinzu.
»Du bist auch in Ordnung«, sage ich zärtlich und finde dieses Gespräch auf eine skurrile Art und Weise gerade unheimlich romantisch. Klar wäre es mir lieber gewesen, wenn der Kompatibilitätstest uns hundert Prozent und damit sozusagen Brief und Siegel darauf gegeben hätte, dass wir die ideale Beziehung führen. Allein schon, um mir die dummen Kommentare von Herrn Löffelstiel zu ersparen, die garantiert kommen werden. Aber wozu braucht man eine Versicherung, wenn man weiß, dass man den anderen liebt? Das ist doch eigentlich eher etwas für Leute, die sich ihrer Beziehung nicht so ganz sicher sind. Sofort mache ich mir eine kleine Notiz, dass wir das in unserem Werbekonzept berücksichtigen müssen. Allerdings ist der Gentest für bereits bestehende Paare ja sowieso nur ein, sagen wir mal, Nebenprodukt von DreamTeam. Ich für meinen Teil hätte ihn jedenfalls niemals gemacht, wenn ich nicht dazu verdonnert worden wäre. Oder auch nur einen Cent dafür hätte hinlegen müssen. Das muss man sich mal vorstellen. Da zahlt man zweihundert Euro dafür, dass einem dann vor den Latz geknallt wird, dass man die falsche Wahl getroffen hat. Und dass man an eventuell anstehenden Fehlgeburten quasi noch selbst schuld ist.
»Ich treffe mich heute schon früher mit den Jungs, wir wollen ins Kino gehen«, unterbricht Fabian meine Gedanken und macht damit meine Sexpläne zunichte. Richtig, heute ist ja Freitag, also trifft er sich mit seinen Freunden und ich mache mit meinen beiden besten Freundinnen Lydia und Kim unseren Frauenabend. »Dann sehen wir uns also erst im Bett.«
»Okay. Viel Spaß!«
»Euch auch.« Nachdem ich Fabian noch einen Kuss durch die Leitung geschickt habe, lege ich auf und mache mich auf den Weg zu meinem Termin mit Herrn Löffelstiel.
»Für unsere Kontaktbörse bekommen Sie natürlich ebenfalls Mitarbeiterrabatt«, erklärt er, ohne mit der Wimper zu zucken, nachdem ich ihm mein katastrophales Testergebnis offengelegt habe. Wozu ich, wie mir im Nachhinein klar wird, wahrscheinlich gar nicht verpflichtet gewesen wäre. Schließlich gibt es so etwas wie Datenschutz. Ich ärgere mich ein wenig über mich selbst, dass ich nicht einfach dreist etwas von 87 Prozentpunkten erzählt habe.
»Danke, das wird nicht nötig sein«, erkläre ich so würdevoll wie möglich.
»Nicht? Wie darf ich das verstehen?«
»Dass ich selbstverständlich nicht vorhabe, mich nur aufgrund dieses Tests von meinem langjährigen Freund zu trennen!«
»Sie müssen sich ja nicht gleich trennen. Nur die Marktlage checken. Schauen, was es da draußen noch so gibt. Sie verstehen?« Zwinker, zwinker.
»Ich verstehe durchaus. Aber ich bin nicht interessiert.«
Ratlos sieht er mich an. »Aber es ist doch eindeutig, dass Sie nicht den besten Fang gemacht haben.«
»Sie scheinen ja wirklich sehr überzeugt von Ihrem Produkt zu sein.«
»Sie etwa nicht?« Er mustert mich mit strengem Blick und ich beiße mir auf die Zunge, damit mir nicht irgendetwas herausrutscht, was ich später bereuen könnte. Tatsächlich halte ich den Test nämlich mittlerweile für ausgemachten Käse. Auch wenn das Konzept in der Theorie durchaus reizvoll klingt und ja auch durch wissenschaftliche Studien belegt ist: Ganz offensichtlich eignet es sich nicht für alle Menschen. Ich beschließe, dass Fabian und ich nun einmal die Ausnahme von der Regel sind und gebe mich diplomatisch.
»Selbstverständlich. Und ich werde Ihr großzügiges Angebot vielleicht später noch in Erwägung ziehen!« Nie im Leben! »Aber jetzt sollten wir uns auf unser vorrangiges Ziel konzentrieren: Menschen zusammenzubringen. Und nicht auseinander.«
»Fabian und ich haben eine miserable Quote und hatten seit vier Wochen keinen Sex mehr«, platze ich am Abend heraus, kaum dass ich Lydia und Kim die Tür geöffnet habe.
»Dir auch einen schönen guten Abend«, grinst Lydia und schält sich aus ihrem Jeansmantel.
»Leider ist es kein schöner Abend. Wir haben für DreamTeam diesen Test gemacht und der behauptet, dass wir überhaupt nicht zusammenpassen.«
»Das ist doch totaler Blödsinn. Ihr seid ein Traumpaar.«
»Das dachte ich ja auch immer.«
»Lass dich doch von so einem blöden Test nicht verunsichern«, meint Kim schulterzuckend. »Könnten wir vielleicht ins Wohnzimmer gehen? Ich schlafe im Stehen ein.«
»Wie geht’s denn Elias?«, erkundige ich mich nach ihrem elf Monate alten Sohn und sie zieht eine Grimasse.
»Ihm geht es super. Er ist quicklebendig und schläft eigentlich nie. Entsprechend geht es mir. Kann ich mich ein bisschen hinlegen?«
»Na klar.« Ich mache eine einladende Handbewegung und sie wankt ins Wohnzimmer, wo sie wie ein sterbender Schwan aufs Sofa sinkt und die Wolldecke über sich zieht.
»Oh, tut das gut.« Sie schließt die Augen und ist innerhalb von Sekunden eingeschlafen.
»Ist Fabian schon weg?«, erkundigt sich Lydia, nur um die Frage gleich darauf selbst zu beantworten. »Blöde Frage, natürlich ist er, sonst würdest du eure Sexprobleme wohl kaum so herausposaunen.«
»Wir haben keine Sexprobleme«, protestiere ich, »wir haben nur seit vier Wochen keinen Sex gehabt. Das ist ein Unterschied. Aber wenn wir Sex haben, ist er ganz unproblematisch.«
»Unproblematisch, hm.« Meine Freundin macht es sich auf dem noch nicht besetzten Flügel unseres Ecksofas bequem und greift in die mit Sour-Cream-and-Onion-Chips gefüllte Salatschüssel. »Das klingt wirklich aufregend.«
»Ist es auch. Soweit ich mich erinnern kann.« Ich lasse mich neben sie plumpsen und tröste mich wider besseres Wissen ebenfalls mit ein paar Chips, obwohl ich eigentlich dringend ein paar Pfunde abspecken möchte. Aber ich will mich gar nicht erst der Illusion hingeben, dass ich es ausgerechnet heute Abend schaffen könnte, Diät zu halten. Wie jeden Freitag begehen wir unseren Freundinnen-Abend mit Pizza, Häagen-Dazs-Eiscreme und mehreren Folgen von entweder »Desperate Housewives«, »Greys Anatomy« oder »Doctor’s Diary«, während Fabian mit seinen Kumpels um die Häuser zieht. Eigentlich merkwürdig, dass er dafür die Energie hat, obwohl er doch jeden Abend so müde ist, dass er schon schnarcht, wenn ich frisch parfümiert und in einem meine Kurven umschmeichelnden Nachthemd aus dem Badezimmer komme. Na schön, normalerweise trage ich Boxershorts, T-Shirt und eine Beißschiene, weil ich nachts mit den Zähnen knirsche. Und riechen tue ich nach meiner Kräutergesichtscreme, die unheimlich gut für die Haut sein soll, ihr aber leider auch einen recht unattraktiven Fettglanz verleiht. Während ich mir diese Gedanken mache, dämmert mir langsam, warum Fabian immer so schnell einschläft. Ich lasse die Chips, nach denen ich gerade gegriffen habe, zurück in die Schüssel fallen.
»Ich glaube, er findet mich nicht mehr attraktiv. Und ich kann es ihm nicht verdenken. Ich habe so viel zugenommen. Und das T-Shirt, in dem ich schlafe, ist total ausgeleiert und auf der Brust steht: Ein Mann – ein Wort. Eine Frau – ein Wörterbuch.«
»Ach komm, daran kann es doch wohl nicht liegen.« Heftig schüttelt Lydia den Kopf. »Fabian liebt dich bestimmt auch in einem doofen T-Shirt. Ihr seid schließlich ein Traumpaar.«
»Schon. Aber …«
»Nichts aber. Ihr hattet bloß ein paar Wochen keinen Sex, das ist doch kein Problem.«
»Ein paar Wochen«, grunzt Kim und öffnet träge ein Auge, »was soll ich denn sagen?«
»Wieso? Wie lange ist es denn bei euch her?«
»Ungefähr so lange wie die letzte durchgeschlafene Nacht. Und ich sag dir eins: Den Schlaf vermisse ich mehr.« Das Augenlid klappt wieder herunter.
»Was soll das heißen? Seit Elias geboren ist? Meint sie, seit Elias geboren ist?« Ich sehe Lydia an, die ratlos die Schultern zuckt. »Aber, das wäre ja fast ein Jahr. Kim? Ist das wahr? Hattest du ein Jahr lang keinen Sex mehr?« Ich stupse sie zaghaft an der Schulter an, aber sie gibt nur ein unwilliges Knurren von sich und dreht sich auf die andere Seite.
»Siehst du, ist vielleicht ganz normal. Das wird schon wieder.« Während Lydia mir Mut zuspricht, zwirbelt sie eine ihrer dunklen Schnittlauchlocken.
»Und das Testergebnis? Wir kommen bloß auf 36 Prozent. Das ist echt mies.«
»Aber ihr seid doch glücklich miteinander. Und das schon ganze drei Jahre lang. Vielleicht ist mit diesem Test einfach was schiefgegangen.«
»Ja, vielleicht.« Wenig überzeugt wiege ich den Kopf hin und her.
»Was sagt denn Fabian dazu?«
»Wir haben uns heute noch gar nicht gesehen. Aber am Telefon klang er ganz entspannt. So, als würde er der Sache nicht viel Bedeutung beimessen.«
»Na siehst du. Das solltest du auch nicht.«
»Ja, schon gut.«
»Lasst euch bloß nicht einfallen, euch zu trennen!« Aus großen braunen Augen sieht sie mich ängstlich an.
»Wer redet denn von Trennung?«
»Niemand. Das sage ich doch gerade. Ihr dürft euch auf keinen Fall trennen. Ihr habt eine Vorbildfunktion. Dessen müsst ihr euch bewusst sein. Seit Heidi und Seal sich getrennt haben, seid ihr der letzte Beweis für mich, dass es wahre Liebe doch noch gibt.« An dem Tag, an dem das Ehepaar Samuel seine Trennung offiziell bekanntgab, hat Lydia zwei Flaschen Rotwein geleert und sich danach auf dem Kiez einen One-Night-Stand aufgerissen, den sie, ich zitiere, »in nüchternem Zustand nicht mit der Kneifzange« angefasst hätte. »Also macht keinen Quatsch, ist das klar?«
»Okay, ist ja gut. Niemand hat vor, sich zu trennen.« Ich glaube, es ist höchste Zeit für das erste Glas Rotwein. Lydia nimmt einen großen Schluck und lässt sich in die Kissen zurückfallen.
»Das war ein Schock in der Abendstunde.«
»Jetzt sei doch nicht so dramatisch. Ich habe kein Wort über Trennung gesagt. Nur, dass das Testergebnis mich ein bisschen aus der Bahn geworfen hat. Und dass wir eben eine Zeitlang keinen Sex hatten.«
»So fängt’s an!« Sie legt ihr hübsches Gesicht in so komische Falten, dass ich lachen würde, wenn mich ihr plötzlicher Umschwung nicht schockieren würde.
»Was soll das denn jetzt? Du hast doch gesagt, Fabian liebt mich und dass es nichts zu bedeuten hat.«
»Schon. Aber du solltest kein Risiko eingehen. Männern ist Sex viel wichtiger als uns.«
»Aber er will doch nicht.« In meiner Verzweiflung stoße ich auf den Grund der Chipsschüssel vor. »Er ist einfach zu müde. Was soll ich denn tun, wenn er schon schläft, wenn ich ins Bett komme? Ihm kaltes Wasser über den Kopf schütten und ihn zwingen, mit mir zu schlafen?«
»Vielleicht solltest du ihn auf andere Art und Weise wecken.« Lydia dreht das Weinglas in ihren Händen und lächelt vor sich hin. »Ich kenne keinen Mann, der da nicht drauf abfährt.« Ich brauche eine Sekunde, bis ich kapiere, wovon sie redet.
»Also, ich weiß nicht.«
»Aber ich! Glaub mir, das ist die Lösung.« In diesem Moment klingelt es an der Tür und ich springe auf, um dem Pizzaboten zu öffnen. Gerettet durch den Gong, würde ich sagen. Während ich in meinem Portemonnaie krame, denke ich über Lydias Vorschlag nach. Und stelle mir vor, wie ich reagieren würde, wenn ich mit Fabians Kopf zwischen meinen Beinen aufwachen würde. Wahrscheinlich würde ich reflexartig um mich schlagen, die Knie zusammenpressen und mich panisch zur Seite drehen. Was dabei alles passieren könnte! Im Geiste sehe ich Fabian vor mir, mit gebrochenem Genick und ebensolchen Augen, während ich meine eigenen öffne und verschlafen um mich blicke. Zum Glück keucht in diesem Augenblick Willi, der Pizzabote, die Treppe hoch und reißt mich aus meinen höchst unerfreulichen Gedanken. Er klammert sich am Geländer fest und gibt pfeifende Laute von sich.
»Alles in Ordnung?«, frage ich wie jeden Freitag besorgt, und er winkt nach Luft ringend ab, auch wie immer.
»Kein Ding, alles klar. Es ist nur mein Asthma. Geht gleich wieder.«
»Okay.« Ich warte geduldig. Mit jedem seiner mühevollen Atemzüge erhöhe ich sein Trinkgeld im Geiste um zwanzig Cent. Kopfschüttelnd betrachte ich die schmächtige Gestalt und frage mich, wie ein Asthmatiker auf die Idee kommt, Pizzabote zu werden. Dann fällt mir ein, dass Studentenjobs heutzutage knapp sind, dass Willi vielleicht einfach keine andere Wahl hat, und schlage einen weiteren Euro auf die Endsumme auf.
»So.« Er lächelt mich an und holt schwungvoll drei Pizzakartons aus seiner Warmhalte-Tasche hervor. »Einmal Peperoni-Salami, einmal Hawaii, einmal Funghi. Und ein Becher Cookies and Cream. Macht zweiundzwanzig Euro neunzig bitte.« Ich drücke ihm dreißig Euro in die Hand und bin froh, dass Fabian in diesem Moment nicht hinter mir steht, der mir mit Sicherheit einen Vortrag über die Regeln des Trinkgeldgebens halten würde. Fünf Prozent für Muffelköpfe, zehn, wenn alles in Ordnung war und fünfzehn für herausragenden Service. Aber egal. Ich finde einunddreißig Prozent für Asthmatiker, die ihr Leben riskieren, damit Lydia, Kim und ich freitags nicht verhungern müssen, durchaus angemessen.
»Stimmt so.«
»Danke. Und gute Besserung!«
Im Wohnzimmer versuche ich kurz, Kim aus ihrem komatösen Schlaf zu erwecken, gebe meine Bemühungen aber bald auf und lege ihr den Pizzakarton auf den Bauch. Lydia hingegen stürzt sich auf ihre Peperoni-Pizza wie ein ausgehungerter Löwe auf die Antilope.
»Also, wo waren wir?«, erkundigt sich der Schmetterling, während ihm eine fettige Ölspur das Kinn runterläuft. »Ach ja, euer Sexleben. Wie gesagt …«
»Aha! Da haben wir ja schon das Problem. Du findest Sex also unappetitlich.«
»Andere Sachen? So nennst du das also? Komm, Fabian, steck mir deine Sache in meine Sache. Ich lach mich tot.« Sie kichert albern vor sich hin und hält erst inne, als sie meinen grimmigen Gesichtsausdruck bemerkt. »Was guckst du denn so komisch?«
»Vielleicht solltest du mich auf der nächsten Secondhand-Party verscheuern.«
»Ach komm, jetzt sei mal nicht so. Du weißt doch, aus mir spricht der Neid der Besitzlosen.« Sie schenkt uns beiden Rotwein nach und prostet mir zu. »Ich weiß vielleicht, wie man einen Mann auf Touren bringt, habe aber keine Ahnung, wie man ihn länger als eine Nacht an sich bindet.« Das stimmt: Obwohl Lydia es schafft, jeden Mann, der sie interessiert, um den kleinen Finger zu wickeln und in ihr Bett zu locken, ist sie seit mittlerweile sechs Jahren Single. Und das, obwohl sie in ihrem Job als Krankenschwester im UKE täglich mit schnuckeligen Ärzten und Pflegern zu tun hat. Dabei müsste sie doch eigentlich der Traum eines jeden Mannes sein: Rehäugig und gertenschlank von außen, trinkfest wie ein Matrose von innen und dabei offensichtlich auch noch vollkommen hemmungslos im Bett.
»Guten Morgen«, flüstere ich an seinem Gesicht vorbei, denn ich möchte ihm meinen Atem nicht direkt ins Gesicht hauchen.
»Ich hol dir ein Aspirin.«
»Autsch«, mache ich empört.
»Das hättest du wohl gerne.«
»Ist das ein Versprechen?« Ich klimpere mit den Wimpern und freue mich, als sein Grinsen noch frecher wird und er heftig mit dem Kopf nickt. Dann wird unsere Sexflaute also heute endlich zu Ende gehen.
»Von mir aus.« Seufzend nehme ich den Konturenstift wieder zur Hand und male weiter, während Fabian die Klobrille hochklappt und laut plätschernd in die Schüssel strullt. Romantisch ist irgendwie anders. Nicht falsch verstehen. Ich bin froh, dass unsere Beziehung über die Anfangszeit hinaus ist, in der ich in Fabians Wohnung nicht auf die Toilette gehen mochte, weil ich Angst hatte, er könnte etwas hören und herausfinden, dass ich ein menschliches Wesen mit ganz normalen Körperfunktionen bin. Ich weiß selbst, dass ich da ein bisschen komisch bin, kann es aber leider nicht ändern. Damals habe ich das Trinken quasi eingestellt und mich vorsätzlich dehydriert, trotzdem diverse Nächte schlaflos und mit drückender Blase im Bett gelegen und einmal sogar in meiner Verzweiflung einen Streit vom Zaun gebrochen, nur damit ich scheinbar wütend aus der Wohnung und in die Pizzeria gegenüber aufs nächste Klo stürmen konnte. Unnötig zu erwähnen, dass meine Verdauung zeitweilig vollkommen zum Erliegen kam und mühsam durch Berge von Backpflaumen und Leinsamen wieder in Schwung gebracht werden musste. Das Rauschen der Spülung reißt mich aus meinen Gedanken und schon drängelt sich Fabian neben mich, um sich die Hände zu waschen.
»Den findet sie doch sowieso.«
»Wirklich?« Gerührt vergrabe ich mein Gesicht an seinem Hals. »Das würdest du tun?«
»Hm, das kann ich verstehen.«