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Rudolf Taschner

GERECHTIGKEIT SIEGT –
ABER NUR IM FILM

 

Rudolf Taschner

GERECHTIGKEIT
SIEGT –
ABER NUR IM FILM

 

 

 

 

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Rudolf Taschner

Gerechtigkeit siegt – aber nur im Film

 

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Umschlagidee und -gestaltung: kratkys.net

 

 

 

 

 

 

1. Auflage

© 2011 Ecowin Verlag, Salzburg

Lektorat: Mag. Josef Rabl

Gesamtherstellung: www.theiss.at

Gesetzt aus der Sabon

Printed in Austria

ISBN 978-3-7110-5009-0

 

www.ecowin.at

Inhalt

Prolog

Gerechtigkeit und Gleichheit

Gerechtigkeit und Generationen

Gerechtigkeit und Gesetz

Gerechtigkeit und Geschichte

Gerechtigkeit und Geschäft

Gerechtigkeit und Gestaltung

Gerechtigkeit und Gewissen

Gerechtigkeit und Gnade

Danksagung

Literaturverzeichnis

Personenregister

Prolog

Gerechtigkeit: ein Wieselwort

(Friedrich August von Hayek, 1899–1992,
Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften)

„Früher hieß es: Die kleinen Diebe hängt man, die großen lässt man laufen. Jetzt aber: Die kleinen Diebe hängt man, den großen läuft man nach.“ Pointierter und treffender als Daniel Spitzer, Jurist, Journalist, Aphoristiker und Satiriker der österreichischen Monarchie, konnte zu seiner Zeit wohl niemand die Ernüchterung derer beschreiben, die auf Gerechtigkeit setzten. Und verprellt wurden.

Was Daniel Spitzer einst erkannte, ist bis heute gang und gäbe.

Wir stolpern von einer Verwerfung des Vertrauens auf Gerechtigkeit in die nächste. Erinnern wir uns, was die Krisen der letzten Jahre bescherten: Das Platzen der Dotcom-Blase Anfang des Jahrtausends, bei der viele Kleinanleger im blinden Glauben an den ungebremsten Anstieg der Technologie-Kurse ihr Vermögen verloren. Die Subprime-Krise als Folge eines spekulativ aufgeblähten Wirtschaftswachstums in den USA und einer global kreditfinanzierten Massenspekulation, in der Lehman Brothers in die Brüche ging, nicht aber andere ähnlich pleitegefährdete Institute. Die Krise der überschuldeten europäischen Staaten, bei der die hehre Ankündigung, Griechenland, das erste der vom Bankrott bedrohten Länder, „retten“ zu wollen, sich als Schonung von Bankinstituten in Frankreich, in Deutschland und in anderen Staaten entpuppte, die um den Wert ihrer griechischen Wertpapiere bangten. Bei all den fatalen Auswirkungen dieser Schlamassel ist die fatalste wohl jene, dass der Schaden in den seltensten Fällen den trifft, der ihn angerichtet hat.

Bernard Madoff, Milliardenbetrüger einsamster Klasse, hatte so brutal über die Stränge geschlagen und so perfide Tausende in den blanken Ruin getrieben, dass er schließlich der Justiz in die Fänge geriet. Ein Sieg der Gerechtigkeit? Manch andere Gauner, die wie die Hollywood-Figur Gordon Gekko, von Gier und Geiz getrieben, vor keiner üblen Machenschaft zurückschrecken, haben ihre Schäfchen ins Trockene gebracht und lachen sich ins Fäustchen. Nur Hollywood verheißt, dass letztendlich das Gute triumphiert. Dem Abspann des Films folgt die Ernüchterung.

Denn es gibt sie, die Matadore der Finanzkrisen, die Profiteure des Unglücks. Nicht selten sind es jene, die zu den Verursachern von Krisen zählen. Wer auf einen totalen Kursverfall mit anschließendem Börsencrash setzt, die Macht und den Einfluss hat, den Eintritt des Debakels zu forcieren und mit dem gerissenen Instrument des Leerverkaufs darauf wettet, kann mit dem Unglück und der Not anderer Milliarden verdienen.

Und es gibt sie, die Verlierer. Es mögen jene unter ihnen nicht frei von Schuld sein, die ihre Ersparnisse dank schlechter Beratung und mangelnder Kenntnis in Schrottpapiere investiert haben. Aber waren ihre fehlende Umsicht und ihr mangelndes Risikobewusstsein so schlimm, dass der bittere Verlust des einst ehrlich erworbenen Vermögens, der komplette Wegfall der Pensionsvorsorge einen dafür angemessenen Schicksalsschlag bedeuten? Und welches Fehlverhalten haben sich die vielen Angestellten in der Finanzbranche vorzuhalten, die nun vor dem Nichts stehen, nachdem ihre einstigen Chefs, die damaligen „Masters of the Universe“, den totalen Kollaps angerichtet haben?

Den Krisen auf den Finanzmärkten folgten unmittelbar die Krisen der überschuldeten Staaten. Kaum jemand weiß, wie sie zu überwinden sind, wenn man Grundsätze der Gerechtigkeit nicht über Bord werfen möchte. Wie weit, so stellt sich die Frage, kann man die Solidarität in einer Staatengemeinschaft beanspruchen, bis es von der Bevölkerung eines Landes mit solider Volkswirtschaft als bitter ungerecht empfunden wird, Pleitestaaten unter die Arme zu greifen? Ein Leserbrief zum Artikel „Das letzte Gefecht. Wie Europa seine Währung ruiniert“ des „Spiegel“ vom Dezember 2010 verdeutlicht den Aberwitz: „Zunächst bemühen sich einige Staaten unter großer Anstrengung, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern – was nichts anderes heißt, als zu Lasten der eigenen Arbeitnehmer und der gesamten Binnenkonjunktur die Löhne zu drücken. Ist dadurch dann schließlich ein Exportvorteil gegenüber anderen Ländern entstanden, werden diese mit gigantischen Finanzmitteln ,aufgepeppt‘: Der errungene Wettbewerbsvorteil wird bewusst wieder zunichte gemacht … und zu diesem Zweck werden auch noch zig Milliarden an Steuergeldern gezahlt. Absurder geht es kaum.“

Unschuldig kommen Arbeiter und Angestellte auch solider Unternehmen der Realwirtschaft zum Handkuss, wenn infolge von Staatskrisen der Konsum abebbt, Investitionen zurückgesteckt werden, der Export an Schwung verliert, die Produktion gedrosselt wird. Selbst jene, die glauben, in krisensicheren Sektoren tätig zu sein, sollten sich hüten zu frohlocken: Schlägt die Krise massiv durch, geht der Kelch auch an ihnen nicht vorüber. Denn die Bereitschaft und die Möglichkeiten der Banken, Kredite zu vergeben, sinken. Die Bonitätsanforderungen steigen, ebenso die Zinsen für Autos, für Möbel und für vieles mehr. Und Unternehmen, die weniger Gewinn machen, können sich keine nennenswerten Lohn- oder Gehaltssteigerungen leisten. Am allerwenigsten der Staat, der hochverschuldet glücklich sein darf, wenn er zumindest die Zinsen bedienen kann. Und künftige Generationen, die nur sehr wenige dauerhafte Errungenschaften, dafür im Gegenzug eine nicht zu bewältigende Flut von Schulden erben werden, dürfen jene, die dies alles angerichtet haben, mit Fug und Recht der Ungerechtigkeit zeihen.

„Zeit für Gerechtigkeit“, so lautet die Losung des österreichischen Bundeskanzlers angesichts der von der größten Krise seit fast 80 Jahren angerichteten finanziellen, ökonomischen, sozialen und politischen Zerwürfnisse. „Gerechtigkeit beginnt mit Ehrlichkeit“, sekundiert der Vizekanzler und Finanzminister im Kampf gegen das Budgetdefizit, gegen Sozial- und Steuerbetrug. „Zeit für Gerechtigkeit“, „Gerechtigkeit beginnt mit Ehrlichkeit“: große Worte. Denn alle sehnen sich, so scheint es, nach Gerechtigkeit. Aber wissen wir, was Gerechtigkeit bedeutet? Ob Gerechtigkeit ein letztes Ziel darstellt? Gar ob es Gerechtigkeit gibt?

Es gibt keine Gerechtigkeit, zumindest nicht auf Erden.

Dieses Buch beleuchtet den Begriff „Gerechtigkeit“ aus den verschiedensten Blickwinkeln. Dabei stellt sich heraus: Man scheitert, wenn man sich um eine konzise und unumstößliche allgemeingültige Beschreibung dessen bemüht, worauf Gerechtigkeit gründet, worin Gerechtigkeit besteht, wonach Gerechtigkeit zielt. Denn Gerechtigkeit ist ein allzu flüchtiges Wort, ein der scharfen Definition unzugänglicher, ein opaker Begriff. Darum ist dieses Buch im Stil des Feuilletons verfasst. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Es geht nicht systematisch vor. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Manches, das in ihm gesucht wird, mag ungeschrieben bleiben. Manches andere, das man in ihm findet, mag überflüssig scheinen.

Die zentrale Botschaft hingegen, die aus dem im Buch vollzogenen Kreisen um den Begriff „Gerechtigkeit“ in vielfältigster Weise hervordringt, soll gleich hier zu Beginn ohne Umschweife klipp und klar ausgesprochen werden:

Es gibt sie nicht auf Erden: die Gerechtigkeit.

Sehr wohl aber gibt es die Sehnsucht nach ihr. Denn wir alle fühlen: Diese Welt ist nicht das Paradies, von dem wir träumen. Die Menschen werden an den verschiedensten Plätzen geboren: Manche sind vom Glück bevorzugt und wachsen im Überfluss auf. Andere sind vom Schicksal geschlagen, sie kommen in einem von Armut und Drangsal beherrschten Flecken der Erde zur Welt, sie werden, selbst wenn sie bis zu den Grenzen der wohlhabenden Länder gelangen, bürokratisch kalt abgewiesen. In dieser Welt klafft ein Abgrund zwischen Reich und Arm: Manchen ist Fortuna hold und sie werden unversehens, fast ohne Zutun Millionäre. Andere rackern sich zeit ihres Lebens ab und entrinnen doch nicht der Schuldenfalle, in die sie ohne eigenes Versagen geraten sind. In dieser Welt sind wir dem Zufall hilflos ausgeliefert: Manchen ist ein langes sorgenfreies Leben beschieden und sie sterben friedlich und – wie die Bibel sagt – „lebenssatt“ im Kreis ihrer Kinder und Kindeskinder. Andere werden von einer teuflischen Krankheit gepeinigt, die sie bitterem Leid aussetzt, allzu früh dem irdischen Dasein entreißt. In dieser Welt garantiert der Anstand nicht den Erfolg: Manche entdecken gerissen Gesetzeslücken, die ihnen zugute kommen, beanspruchen unverfroren Privilegien, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Andere hoffen auf die Verlässlichkeit und Ehrlichkeit ihrer Partner, werden betrogen und getäuscht, haben nicht die geringste Chance, sich dagegen zu wehren.

Doch selbst wenn man das Träumen vom Paradies auf Erden aufgegeben hat, bleibt die Sehnsucht danach, sich dem Ungemach überall dort zu widersetzen, wo dies nur möglich ist. Unüberhörbar erschallt der Ruf nach Gerechtigkeit.

In den ersten sechs Kapiteln wird beschrieben, wie man versuchte und versucht, der Gerechtigkeit in den verschiedensten Sphären des öffentlichen Lebens zum Durchbruch zu verhelfen. Viele Beispiele, ein Großteil davon aus dem Fundus der Geschichte, begleiten diese Betrachtung. Selbst wenn man bis in die Antike zurückblickt: Bereits damals beherrschte die Sehnsucht nach Gerechtigkeit die Menschen so wie heute. Die Probleme von einst sind so aktuell, so brennend, so widerspenstig wie die gegenwärtigen. Fast alle großen Erzählungen und Schauspiele, mit den „Persern“ des Aischylos beginnend bis hin zu „Les Justes“ („Die Gerechten“) von Albert Camus, erfahren ihre Dramatik im vergeblichen Ringen um Gerechtigkeit. Alle mit großer Geste vorgetragenen politischen Programme, alle mit dem Pathos der Weltverbesserung verbundenen Vorhaben und Maßnahmen der Mächtigen sind – zumindest nach außen hin – vom Ziel geleitet, für Gerechtigkeit zu sorgen. Wie ehrenwert diese Versuche auch sein mögen: Sie werden immer Stückwerk bleiben.

Es gibt sie nicht auf Erden: die Gerechtigkeit.

Doch dies ist kein Grund zur Resignation.

Denn im vorletzten Kapitel wird gezeigt: Wenn man die Verantwortung des Einzelnen in den Blick nimmt, verankert man die Gerechtigkeit in der Seele und verleiht der Gerechtigkeit eine auf den Einzelnen zugeschnittene, unverwechselbare Kontur. Gerechtigkeit verwandelt sich zur Lauterkeit, zur Redlichkeit, zum Anstand. Im Zuge dieser Verwandlung verliert sie die ihr sonst eigene beklemmende Flüchtigkeit.

Und im letzten Kapitel kommt zur Sprache: Wenn es schon keine Gerechtigkeit auf Erden gibt, mag man auf eine letzte, eine absolute, eine nicht mehr irdische Gerechtigkeit zählen, mit dieser rechnen, auf diese seine Sehnsucht und seine Träume setzen. Doch auch hierbei ist man nicht vor Überraschungen gefeit.