Impressum

D. Avramoff: Historiker, Schwerpunkt Judentum und Antisemitismus: DA

Dr. Dr. C. Bernet, Historiker, Schwerpunkt Berlingeschichte: CB

M. Freudenstein: Schwerpunkt Film- und Mediengeschichte: MF

Dr. A. Nothnagle, Historiker, Schwerpunkt Politikgeschichte: AN

K. Presber, freischaffende Kulturwissenschaftlerin, Schwerpunkt Alltagskultur: KP

Prof. Dr. A. Schildt, Historiker, Schwerpunkt: Sozial- und Kulturgeschichte: AS

Hg.-Copyright © 2019 Gudrun-Verlag

Friedrichstraße 95, D-10117 Berlin

www.gudrun-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

2. Auflage, ISBN: 9783732296736

Coverdesign und Layout: Jo Wittgenhausen

Manufactured and published by BoD - Books on Demand, Norderstedt, Ger-many.

2. Auflage, Berlin März 2020

ISBN: 9783749475544

Cover design: Leni Waltersdorf

Layout: Jo Wittgenhausen

Manufactured and published by BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die TV-Serie „Babylon Berlin“ hat längst Kultstatus, sie gilt als erfolgreichste deutschsprachige TV-Serie überhaupt. In zahlreichen Zeitschriften und auch im Internet wurde der Film besprochen, kritisiert und gelobt; es gibt sogar Babylon-Berlin-Fanseiten1, eine Babylon-Berlin-Wikipedia2 (beides englischsprachig) und in der Hauptstadt werden „Babylon-Berlin-Partys“ veranstaltet.

Was bislang fehlte, ist ein Fachlexikon, in dem spezialisierte Autoren auf Handlungsorte, historische Personen und politische Zusammenhänge vertiefend eingehen. In „Babylon Berlin“ wird nämlich gerade auch auf solche Orte, Personen oder historische Ereignisse angespielt, die die wenigsten Zuschauer heute noch kennen dürften. Das gilt vor allem für Zuschauer aus dem Ausland oder für Migrantengruppen aus anderen, nichteuropäischen Kulturen.

Viele Orte, Personen oder Ereignisse werden im Film selbst nicht erklärt, was auch gar nicht der Anspruch einer Unterhaltungsserie für ein breites Publikum sein kann. Dennoch hat der Zuschauer sein Recht auf verlässliche Hintergrundinformationen, um historische Faktizität von künstlerischer Fiktionalität unterscheiden zu können.

Aus diesem Grund hat sich ein internationales Team von Historikern, Filmwissenschaftlern und Soziologen zusammengetan und dieses Filmlexikon erarbeitet. Schnell wurde klar, dass bei Begriffen wie „Flattermann“, „Berliner Luft“ oder „Zarengold“ nicht einmal altbewährte Lexika oder die Wikipedia ausreichten, um an zuverlässige Hintergrundinformationen zu gelangen. Daher hat unser Team von Dezember 2018 bis Februar 2019 zahlreiche Archive und Bibliotheken konsultiert, um den Lesern und den Leserinnen ein Höchstmaß an wissenschaftlicher Seriosität und Zuverlässigkeit zu bieten. Die Lemmata sind daher mit Anmerkungen versehen, anhand derer man an weitere Fachliteratur gelangen kann. Zusätzlich möchten wir auf die zwölf internationalen Standartwerke zur Weimarer Republik verweisen, die neben drei Berliner Tageszeitungen („Der Tag“, „BZ am Mittag“ und „Neue Berliner Zeitung“) maßgeblich in dieses Filmlexikon mit eingeflossen sind. Sie sind am Ende des Lexikons angeführt, unmittelbar vor den Anmerkungen.

Die Herausgeber legen Wert darauf, dass wir „Babylon Berlin“ schätzen und die Freude an dem Meisterwerk sicher eine zusätzliche Motivation zu dieser Publikation war. Gleichzeitig besteht aber von keinem Herausgeber und von keinem beteiligten Autor eine nähere Beziehung zu den Machern von „Babylon Berlin“. Das Filmlexikon ist keine Auftragsarbeit und auch weder von ARD-Degeto, X-Filme Creative Pool, Beta Film oder Sky autorisiert, zensiert, freigegeben oder nicht freigegeben – das Filmlexikon ist eine eigenständige Leistung, unabhängig von der eingetragenen Marke Babylon Berlin, von den am Film beteiligten Regisseuren, Produzenten und Schauspielern.

Auch wenn die Lammata von spezialisierten Fachleuten abgefasst wurden, so wurde doch darauf geachtet, stets allgemeinverständlich zu schreiben und auch Dinge zu erklären, die vielleicht als selbstverständlich gelten mögen. Es sollte kein Lexikon von Historikern für Historiker sein, sondern unser Anspruch war es, stets so zu schreiben, dass selbst dann die Begriffe verständlich werden, wenn man den Film (noch) nicht gesehen hat. Geschichtsinteressierte werden hier sicher ebenso Neues entdecken, wie Freunde der Berlingeschichte oder eingefleischte Cineasten. Vor allem bei jungen Leuten ist „Babylon Berlin“ populär; sogar im Geschichtsunterricht wird es herangezogen – auch für solche Fälle ist dieses Fachlexikon bestens geeignet.

Der Regisseur Tom Tykwer formulierte den Anspruch, ein „Sittengemälde in Gewand eines Kriminalfilms zu kreieren und dieses kulturelle Panorama der Weimarer Zeit so detailliert wie möglich zu gestalten“3 – inwieweit das gelungen ist, kann nur durch eine Überprüfung von wissenschaftlicher Seite beantwortet werden. Fiktiv sind Personen wie Gereon und Helga Rath, Bruno Wolter oder Charlotte Ritter – diese sind daher auch nicht Bestandteil eines historischen Lexikons, sehr wohl aber Persönlichkeiten wie Max Schmeling, Gustav Stresemann oder Paul von Hindenburg – diese Namen wird der ein oder andere Zuschauer schon einmal gehört haben, jedoch kann er allein aus den Informationen des Films den historischen Zusammenhang oder die Biographien nicht verstehen, sondern er benötigt weiterführende Informationen. Diese bietet das „Filmlexikon Babylon Berlin“. Zutreffend wurde daher bereits festgestellt: „Ohne geschichtliche Grundkenntnisse ist für das Laienpublikum nur schwer nachvollziehbar, warum Berlin im Jahre 1929 ein Sündenpfuhl war oder die Republik von rechts- und linksextremen Kräften angegriffen wurde“.4 Wir hoffen, das solches nach der Lektüre besser verstehbar wird.

Das Lexikon umfasst zunächst Staffel I und II, also die Folgen 1 bis 16. Falls eine Fortsetzung der Serie erscheint, wird auch dieses Lexikon erweitert werden, wobei jedoch andere Fachautoren diese Arbeit fortsetzen.

Wir haben zu danken. Es ist leider nicht möglich, all die Studenten, Bibliothekare, Archivare und Fachleute namentlich zu nennen, die Schreiben beantwortet haben, ihr Spezialwissen mit uns teilten, seltene Literatur zugänglich gemacht haben. Wir möchten lediglich drei Personen hervorheben, nämlich Sebastian Ruff, der im Berliner Stadtmuseum die Sammlung „Alltagskultur“ betreut, dann Carola Pohlmann von der Zeitungsabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – ihr verdanken wir die großzügige Ausnahme, digitalisierte Berliner Tageszeitungen des Jahrgangs 1929 im Original einsehen zu dürfen; und last but not least Thomas Jander vom Deutschen Historischen Museum (Berlin), wo eine exzellente Postkartensammlung der Forschung zur Verfügung steht.

Alan L. Nothnagle David Avramoff Claus D. Bernet

1 http://babylon-berlin-series.blogspot.com (abgefragt zuletzt am 6.8.2019)

2 https://babylon-berlin.fandom.com (abgefragt zuletzt am 6.8.2019)

3 Freudenstein, Babylon Berlin, Norderstedt 2018, S. 5-6.

4 Freudenstein, Babylon Berlin, Norderstedt 2018, S. 9.

Absinth

Historisches Absinth-Glas (Reservoirglas), dazu ein geschlitzter Löffel, auf welchem der Zucker zum Zerlaufen gebracht wird; rechts eine Fontäne aus Silber mit Kristallglasaufsatz.

In den Katakomben des →Moka Efti nehmen Polizist Bruno Wolter und die Edelprostituierte Charlotte Ritter ein heute kaum mehr bekanntes Getränk zu sich: Absinth.

Absinth war das alkoholische Modegetränk der Zwanziger Jahre. Preisgünstiger als Wein war es vor allem während der Weltwirtschaftskrise populär. Es besteht aus Wermut, Anis und Fenchel, hochprozentigem Schnaps und schmeckt extrem bitter, eigentlich nach Medizin. Im 18. Jahrhundert war diese Mischung in der Schweiz entstanden, zunächst als Heilmittel verwendet.1 Wegen seines Thujone-Gehalts2 geriet das Getränk in den Ruf, süchtig zu machen, Schwindel, Halluzinationen, Depressionen, Krämpfe, Blindheit sowie geistiger und körperlicher Verfall wurden ihm nachgesagt, was seine Beliebtheit jedoch noch beförderte: In Frankreich wurde der Absinth extrem populär, vor allem in Paris um 1900 war er das Modegetränk. In Deutschland wurde er nach 1918, vor allem durch französische Soldaten, bekannter. Hier war, bis zum Absinth-Verbot 1923, Berlin das Zentrum der Absinthproduktion und Absinthkonsumption. Nach dem Verbot 1923 wurde selbstverständlich im Verborgenen weiter konsumiert. Absinth war ein Kultgetränk, das man nicht einfach so zu sich nahm, sondern das gekonnt zelebriert werden musste: Man benötigt einen hohen Wasserbehälter mit meist mehreren Hähnen. Auf einen geschlitzten Löffel wird ein Stück Würfelzucker gelegt. Dieser wird unter einen Hahn gehalten, so dass Tropfen für Tropfen Wasser über den Zucker in ein Glas laufen, in das man zuvor den grünen Absinth gegeben hat, der sich nun durch das Wasser milchig verfärbt. Wie in „Babylon Berlin“ waren es auch Frauen, die das Getränk konsumierten, vorzugsweise am späten Nachmittag, was umgangssprachlich als „Grüne Stunde“ bezeichnet wurde.

KP

Alexanderplatz

Immer wieder erscheint in „Babylon Berlin“ der Berliner Alexanderplatz, schon damals kurz „Alex“ genannt: Autos fahren über den Platz, Gereon Rath schlendert im Regen über den Platz, man trifft sich am Zeitungskiosk, Wolter fährt mit dem PkW über den Platz, Charlotte Ritter eilt frühmorgens zur Arbeit, sie trifft hier zufällig Greta Overbeck, kurz darauf liest Gereon Rath in der Tram am Alex einen Text aus der →Weltbühne, usw.

Der Platz ist seit 1805 nach dem russischen Zaren Alexander I. benannt. Er war hundert Jahre später das Herz Berlins: hier kamen zahlreiche Straßen, U- und S-Bahnlinien zusammen, zusätzlich Straßenbahnen und Busse. Der Alex war sogar einer der belebtesten Plätze der Welt, der durch schöne Bauten, durch Brunnen- und Grünanlagen ein unverkennbares Gesicht hatte. Im Zentrum befand sich die fast acht Meter hohe Berolina-Statue3 mit einer kleinen Grünanlage – sie ist, historisch korrekt, im Film nicht zu sehen, da sie 1929 gerade restauriert und nach Treptow umgesetzt wurde. Sie fand 1933 eine neue Heimat vor dem Alexanderhaus, bis sie 1942 zu Rüstungszwecken eingeschmolzen wurde.

1929 stand am Alexanderplatz das luxuriöse Grand Hotel im Stil der Neorenaissance, das →Polizeipräsidium, die neogotische Georgenkirche, das Lehrervereinshaus, das Minolhaus im Stil der neuen Sachlichkeit, dann gleich zwei große Warenhäuser, nämlich Kaufhaus Wertheim und Kaufhaus Tietz mit der damals längsten Kaufhausfassade der Welt, die Dank einer riesigen Weltkugel auf dem Dach leicht zu erkennen war.4 1929/30 wurde der Platz gerade (wieder einmal) umgebaut: Parallel zur Stadtbahn wurden durch den AEG-Architekten Peter Behrens das Berolinahaus (Textilgeschäft C&A) und das Alexanderhaus (Kaufhaus Jonaß) errichtet.5 Diese beiden Bauten waren im Stil der Sachlichkeit und Funktionalität gehalten, an ihrer Rasterfassade in Stahlbeton-Skelettbauweise kann man sie leicht ausmachen. Die Gebäude, die eigentlich die ersten billigen und schmucklosen Rasterfassaden waren, die man heute in ganz Berlin finden kann, galten damals als besonders modern, fortschrittlich, progressiv. 1929 stand bereits der Rohbau, der Innenausbau dauerte an bis 1932.6

Was ist heute davon übrig? Leider hat der Alexanderplatz fast alles von seiner Schönheit eingebüßt; erst im Krieg, dann durch eine sozialistische Fehlplanung. So gilt der Alexanderplatz heute als einer der hässlichsten und gefährlichsten Plätze ohne Aufenthaltsqualität, ohne Grüngestaltung, ohne attraktive Geschäfte, sondern ist geprägt durch billige Massenware und erscheint mit einer acht Hektar großen Fußgängerzone völlig überdimensioniert.

CB

Der Alexanderplatz während des Umbaus 1929.

Amtsgericht Charlottenburg

Im Amtsgericht Charlottenburg findet der Prozess gegen diejenigen Mitglieder der →Schwarzen Reichswehr statt, denen nachgewiesen werden sollte, dass sie seit Jahren die illegale Wiederbewaffnung des Deutschen Reichs vorantreiben.7 Die Hauptangeklagten: Generalmajor Wilhelm Seegers und Major Anton von Beck. In Charlottenburg fand der Prozess statt (Folge 13), weil einige der Angeklagten vermutlich im Berliner Westen (Charlottenburg, Neu-Westend, Grunewald etc.) wohnten, für das das Gericht damals zuständig war. Auch der Prozess um den →Blutmai fand hier statt (Folge 16).

Das Amtsgericht war 1888 eingerichtet worden, als eines der größten Amtsgerichte im Deutschen Reich.8 Die Zuständigkeit griff weit über die damalige Stadtgrenze von Charlottenburg hinaus. Der klassizistische Bau am heutigen Amtsgerichtsplatz nimmt einen gesamten Block ein. Er wurde 1895 bis 1897 im märkischen Barockstil errichtet und bereits 1915 bis 1921 erweitert. Da nun das Gericht bis heute in Betrieb ist und aus Datenschutzgründen als sensibler Ort gilt, wurde für die Innenaufnahmen schließlich das Rathaus Charlottenburg gewählt. Dieser Bau stammt ebenfalls aus der Kaiserzeit und ist als Behördenbau einem Gericht nicht unähnlich. So beeindruckt die Haupt- und Treppenhalle, die in vielen Berliner Bauten jener Jahre schmuckreich ausgestaltet waren: in Charlottenburg nach Entwürfen der Bildhauer H. Giesecke und G. Riegelmann. Gezeigt werden in „Babylon Berlin“ auch die aufwändigen Holzvertäfelungen, mit denen einst viele Berliner Behörden und auch Villen ausgestattet waren.

CB

H