Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne
Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonders für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Aus Gründen der besseren Übersicht erfolgt im Text keine explizite
Differenzierung zwischen der weiblichen und männlichen Form.

Copyright Stefan Schurr – Winterbach 2020

Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN-13: 978-3-7519-1074-3

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Im Ausdauersport existieren schon immer unterschiedliche Trainingsphilosophien und damit verbundene Planungsstrategien. Bereits aus der Antike sind einfache Anweisungen und Prinzipien für eine gezielte Trainingssteuerung bekannt. Athleten und Trainer stellten schon damals fest, dass die Leistungsentwicklung verschiedenen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist.

In der Mitte des letzten Jahrhunderts wurde dann vor allem in den früheren Ostblockstaaten eine rege und umfangreiche Forschung betrieben. Ein zentrales Thema war immer auch die strukturierte Planung und Steuerung des Trainingsprozesses. Mit unterschiedlichen Strategien versuchte man die Leistungsfähigkeit der Athleten zu optimieren und sie „auf den Punkt" fit zu bekommen. 1965 veröffentlichte der russische Trainingswissenschaftler Matwejew ein erstes Konzept der „Periodisierung des sportlichen Trainings''. Ein Meilenstein in der Trainingswissenschaft: Bis heute bildet es für viele Trainer die Grundlage ihrer Trainingsplanung und -gestaltung.

Doch das Modell ist nicht ganz unumstritten, und so wurden im Laufe der Zeit Planung und Periodisierung -auch im Rahmen zunehmender Professionalisierung im Sport- immer mehr zum Thema sportwissenschaftlicher Forschung. Mittlerweile gibt es zahlreiche Modelle und Ansätze. Teilweise stehen deren wissenschaftliche und empirische Überprüfung aus und sind zu hinterfragen. Oft scheinen Erfahrungen, die Trainer in der täglichen Arbeit mit ihren Athleten gesammelt haben, den wissenschaftlichen Grundlagen zu widersprechen. Oder lassen sie zumindest in einem neuen Licht erscheinen. Was für den einen Athleten gut ist, muss nicht zwangsläufig auch für den anderen die beste Lösung darstellen. Zu unterschiedlich sind die individuellen Voraussetzungen und Anforderungen! So hat sich unter Experten und Trainern auf der ganzen Welt eine rege Diskussion und Erfahrungsaustausch entwickelt.

Polarisiertes Training ist ein Konzept das sich großer Beliebtheit erfreut. Es baut auf einer Kombination von (hoch-)intensivem Intervalltraining und lockerem Ausdauertraining auf. Dadurch unterscheidet es sich vom ebenfalls weit verbreiteten Konzept des Laktatschwellentrainings, das vermehrt auf Trainingsinhalte in moderater Intensität setzt. Beim polarisierten Training verzichtet man weitestgehend auf diese Belastungen. Beide Modelle wurden in der Vergangenheit sehr erfolgreich eingesetzt.

Das Laktatschwellenmodell blickt auf eine lange Tradition zurück. Hier wird in der Belastungsgestaltung vor allem fähigkeitsbezogen, mit Trainingsinhalten identischer Wirkrichtung trainiert. Ein Trainingsabschnitt dient dann zum Beispiel vorwiegend der Entwicklung der Grundlagenausdauer, der spezifischen Ausdauer, oder letztendlich der Ausprägung der komplexen Wettkampfleistung. Einzelne Trainingsabschnitte erstrecken sich bei diesem Trainingsmodell meist auf 20 bis 30 Tage. Nach diesem Zeitraum ist eine stabile Anpassung erreicht und der nächste Trainingsschwerpunkt kann gesetzt werden..

Das Polarisierte Trainingsmodell gestaltet sich dagegen in seiner Struktur relativ einfach. Im Wochenverlauf werden zwei bis maximal drei hochintensive Trainingseinheiten geplant, der Rest des Trainings findet vor allem in niedriger Intensität statt. Die Trainingssteuerung wird dadurch erleichtert. Auch bei krankheits- oder verletzungsbedingtem Ausfall ist der Wiedereinstieg ins Training und die weitere Trainingsplanung wesentlich einfacher.

Ein weiterer Vorteil des polarisierten Trainings ist die leichtere Einplanung von Wettkämpfen in das Gesamtkonzept. In einem fähigkeitsbezogenen Trainingsentwurf müssen (wichtige) Wettkämpfe immer längerfristig vorbereitet werden.

Was sagen wissenschaftliche Studien zu den Möglichkeiten und Wirkungen des Polarisierten Trainings?

Laut einer Untersuchung von Stöggl und Sperlich aus dem Jahr 2014, führt ein polarisiertes Training bei bereits hoch trainierten Ausdauersportlern zu deutlich größeren Leistungssteigerungen, als ein Training, das vor allem im mittleren Intensitätsbereich stattfindet. Mittlere Intensität bedeutet in diesem Zusammenhang ein Training an und knapp unterhalb der individuellen anaeroben Schwelle. Auch die Konzepte des ausschließlich hochintensiven Intervalltrainings, sowie des stark umfangorientierten Grundlagentrainings, erwiesen sich in dieser Studie als unterlegene Trainingsvarianten.

Stöggl und Sperlich beziehen sich bei den Verbesserungen auf die für Ausdauersportler wichtigen Kenngrößen der maximalen Sauerstoffaufnahme, der Leistung an der anaeroben Schwelle, sowie einer maximal erreichten Leistung im Rampentest. In allen Bereichen war das polarisierte Training den anderen Varianten nach neun Trainingswochen deutlich überlegen.

Weitere Studien von Esteve-Lanao et al (2007), Neal et al (2012) und Munoz et al (2014) kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Aus diesen Studien lässt sich schlussfolgern, dass ein umfangreiches Training in der Nähe der Laktatschwelle nicht mehr zu den gewünschten Steigerungsraten in den erwähnten Ausdauerparametern führt. Zumindest bei bereits gut ausdauertrainierten Athleten. Auch die deutliche Priorisierung von niedrig intensivem Grundlagentraining, beziehungsweise Präferenz des nahezu ausschließlich hochintensiven Intervalltrainings, scheinen nicht die optimalen Lösungen darzustellen.

In den Studien zeigte sich aber auch, dass sich das hochintensive Intervalltraining gegenüber anderen Varianten als überlegen erwies. Vor allem für Athleten mit begrenztem Zeitbudget bietet sich damit ein Schwerpunkt auf hochintensivem Training an. Möglichst ergänzt durch maßvolles, ruhiges Grundlagentraining. Auch vor dem Hintergrund der relativ einfachen Planung und Steuerung.

Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass die Studien über einen relativ kurzen Zeitraum und mit bereits gut trainierten Athleten durchgeführt wurden. Ob das polarisierte Trainingskonzept auch auf niedrigerem Leistungsniveau, und über einen längeren Zeitraum sinnvoll eingesetzt werden kann, werden wir im weiteren Verlauf erörtern.

Polarisiertes
Ausdauertraining versus
Laktatschwellentraining

Sportliches Training und damit verbundene Anpassungen folgen gewissen Gesetzmäßigkeiten. Trainingsinhalte und -intensitäten sollten für eine Leistungsentwicklung sowohl im Wochen- als auch im Jahresverlauf systematisch variiert werden. Das Trainingskonzept und dessen Wirksamkeit muss ständig überprüft und hinterfragt werden. Nur so kann der Trainer bei Bedarf eingreifen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen. Es geht einerseits um Kontinuität im Trainingsaufbau, andererseits aber auch um Flexibilität im Trainingsprozess.

Individuelle Stärken sollen optimiert, Schwächen minimiert werden. Immer im Kontext mit der Belastungsgestaltung im Tages-, Wochen-, und langfristigen Verlauf!

Eine entscheidende Frage, ist die nach Belastungsintensität und Trainingsumfang. Und damit sind wir bei unserem eigentlichen Thema angelangt: Den konträren Trainingskonzepten „Polarisiertes Training versus Laktatschwellentraining".

Schauen wir uns die Belastungsintensität ein mal genauer an. Eine erste grobe Einteilung kann entsprechend dem schlicht gehaltenen Dreizonenmodell erfolgen. Zur genaueren Trainingssteuerung werden wir später noch eine weitere Unterteilung vornehmen.

Das einfache Dreizonenmodell unterscheidet zwischen geringer (Belastungszone 1), mittlerer (Belastungszone 2) und hoher Trainingsintensität (Belastungszone 3). Nach Seiler & Kjerland (2006) entspricht die erste Grenze der aeroben Schwelle (1. Laktat-/ventilatorische Schwelle), dem Punkt des ersten Laktatanstiegs bei zunehmender Belastung. Die zweite Grenze stellt die individuelle anaeroben Schwelle dar, dem Punkt der dem maximalen Laktat-Steady-State entspricht. Also der Intensität, bei dem sich Laktatauf- und -abbau die Wage halten und der damit die Grenze für länger andauernde Ausdauerbelastungen darstellt. Die individuelle anaerobe Schwelle kann mittels einer Leistungsdiagnostik ermittelt und zur Belastungssteuerung im Training verwendet werden. Dazu später mehr.

Abb.: Belastungszonen in Bezug zur individuellen anaeroben Schwelle (IANS)

Wie bereits in der Einleitung angesprochen, „konkurrieren" zwei unterschiedliche Konzepte der Trainingssteuerung. Zum einen, das des polarisierten Trainings, zum anderen das des Laktatschwellentrainings.

Im polarisierten Trainingsmodell findet der Großteil der Belastungen in der Intensitätszone 1 statt. Es wird vor allem durch Training in Zone 3 ergänzt. Belastungen im mittleren Bereich werden weitestgehend gemieden. Demgegenüber findet beim Laktatschwellentraining ein wesentlicher Teil genau in dieser Zone statt.

Abb.: Trainingsintensität nach Belastungszonen bei den Trainingskonzepten Laktatschwellentraining und Polarisiertes Training

Und wie sieht es in der Praxis von Ausdauersportlern aus?

Ein Blick auf das Training von Profiathleten ist in diesem Zusammenhang interessant und aufschlussreich. Betrachtet man die Untersuchungen von Seiler & Kjerland [2006], so zeigt sich eine Belastungsverteilung, die ziemlich genau dem des polarisierten Trainingsmodells entspricht: Etwa 85-90% des Trainings werden in niedriger Trainingsintensität (Belastungszone 1) absolviert. Die restlichen 10-15% verteilen sich vor allem auf sehr hohe Intensitäten in Zone 3. Das Training im mittleren Bereich spielt eine untergeordnete Rolle.

Abb.: Trainingsintensität bei erfolgreichen Ausdauersportlern (Seiler & Kjerland, 2006)

In den letzten Jahren herrscht im Ausdauertraining von Spitzensportlern eine klare Tendenz hin zu polarisiertem Training!

Warum ist das so?

Welchen Vorteil bietet die „polarisierte" Herangehensweise?

Die vergleichsweise einfache Trainingssteuerung und die leichte Einbindung von Wettkämpfen in des Gesamtkonzept, haben wir bereits in der Einleitung angesprochen. Es gibt weitere Gesichtspunkte.

Das polarisierte Konzept vereint die Vorteile eines umfangbetonten lockeren Grundlagentrainings mit denen des (hoch-)hochintensiven Intervalltrainings.

In den jeweiligen Belastungszonen werden unterschiedliche physiologische Adaptionsmechanismen ausgelöst, die sich in ihrer Wirkung optimal ergänzen. Der zusätzliche Effekt eines abwechslungsreichen Trainings fördert die Motivation und reduziert durch die geringere Belastung von Hormon- und Nervensystem die Gefahr von Übertraining.

Gerade ein umfangreiches Training knapp unter, und im Bereich der anaeroben Schwelle, wirkt sehr belastend. Neben der großen muskulären Erschöpfung werden durch den sehr aktiven Kohlenhydratstoffwechsel auch die Glykogenspeicher in Muskulatur und Leber stark ausgeschöpft. Wird ein großer Teil des Trainings in diesem mittleren Bereich absolviert, so geht das meist zu Lasten der sehr hohen Intensitäten in den Trainingseinheiten oberhalb der anaeroben Schwelle. Denn zum einen ist die Muskulatur von diesen submaximalen Einheiten sehr stark ermüdet. Zum anderen fehlt der wichtige Brennstoff Glykogen, da die Speicher nach dem vorausgegangenen Training leer sind.

Durch eine Polarisierung des Trainings, kann die Trainingsqualität in den intensiven Einheiten verbessert werden. Für leistungsstarke Athleten ein wichtiger Aspekt. Gerade auf hohem Leistungsniveau wird es zunehmend schwieriger, die notwendigen intensiven Reize für neue Anpassungen zu generieren. Bei hoch ausdauertrainierten Athleten geht man momentan auch davon aus, dass -sobald ein hoch ausgeprägtes Niveau erreicht ist- eine weitere Steigerung des Trainingsumfangs an der anaeroben Schwelle zu keiner weiteren signifikanten Entwicklung der maximalen Sauerstoffaufnahme führt. Hier muss dann für eine weitere Verbesserung mit (hoch-)intensiven Intervallen trainiert werden.

So weit, so gut! Aber lässt sich das Trainingsmodell auch auf Freizeit- und Hobbysportler übertragen?

Gerade für die ambitionierten unter ihnen, die ja teilweise neben Beruf und Familie noch einen enormen Zeitaufwand für den Sport aufwenden, scheint dies zuzutreffen. Und damit ist es auf jeden Fall einen Versuch Wert.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Studie, die Esteve-Lanao et al. (2007) mit ambitionierten Hobbyathleten durchführte: Zwei Gruppen trainierten über fünf Monate nach zwei unterschiedlichen Trainingsmodellen mit dem selben Gesamttrainingsumfang. Die Verteilung der Trainingsintensität der beiden Gruppen sah während der Studie entsprechend der folgenden Tabelle aus:

Training unterhalb
der aeroben Schwelle
(~75%VO2max)
Training im
aerob/anaeroben
Übergangsbereich
(~75%-90%VO2max)
Training oberhalb
der anaeroben
Schwelle
(>90%VO2max)
Gruppe 1 80% 12% 8%
Gruppe 2 67% 25% 8 %

Tab. Verteilung der Trainingsintensität in zwei Trainingsgruppen (nach Esteve-Lanao et. Al, 2007)

Das erstaunliche Ergebnis dieser Studie, ist die Tatsache, dass die erste Gruppe ihre Zeit in einem 10km-Wettkampf im Schnitt mehr steigern konnte (157s) als die zweite Gruppe (120s). Und das obwohl die ja die gleiche Zeit oberhalb der anaeroben Schwelle trainiert hatte, und zusätzlich wesentlich mehr Zeit im Bereich der Wettkampfintensität verbrachte.

Anscheinend verbrauchten die Athleten sehr viel Energie bei den submaximalen Trainingseinheiten, so dass die Belastungen im intensiven Bereich zu schwach ausfielen. Entsprechende physiologische Anpassungen blieben aus.

Ein Phänomen, das im Freizeit- und ambitionierten Breitensport sehr häufig anzutreffen ist: Oft wird in den leichten Trainingseinheiten zu hart, und in den intensiven Einheiten zu leicht trainiert. Das ganze Training tendiert zur „Mitte", so dass dem Körper keine neuen wirksamen Trainingsreize mehr geboten werden. Was auf niedrigem Leistungsniveau noch ganz gut funktioniert, verliert auf hohem und höchstem Niveau immer mehr an Wirkung!

Zusammenfassend kann man also attestieren, dass erfolgreiche Ausdauersportler eine ähnliche Verteilung der Trainingsintensitäten aufweisen:

  • Ca. 80-90% des Trainings erfolgt in einer geringen Belastungsintensität unterhalb der aeroben Schwelle, beziehungsweise unterhalb von 2 mmol/l Laktat.
  • Die restlichen 10-20% verteilen sich auf hohe und vor allem sehr hohe Belastungsintensitäten.

Seiler und Kjerland (2006) definieren eine optimale Verteilung der Trainingsintensität nach ihrem Modell des „polarized trainings" folgendermaßen:

  • Trainingszone 1 (geringe Belastung): 75 – 80%
  • Trainingszone 2 (mittlere Belastung): 5%
  • Trainingszone 3 (hohe Belastung): 15-20%

Je nach Sportart, Trainingsphase und Leistungsniveau kann die Verteilung in den Trainingszonen 2 und 3 auch Variationen aufweisen. Im Kapitel „Jahresperiodisierung" gehen wir auf eine stärkere Gewichtung des Laktatschwellentrainings in der spezifische Vorbereitung auf Wettkämpfe noch detailliert ein.

Es sollte immer beachtet werden, dass Sportler auf Belastungsreize unterschiedlich reagieren, so dass es für den einen oder anderen auch sinnvoll sein kann, dass er von dem Muster etwas abweicht. Tendenziell nimmt der relative Anteil an intensivem Training mit steigendem Gesamttrainingsumfang etwas ab. Ansonsten steigt die Gefahr von Überlastung und Übertraining enorm an.

Auch Trainingsalter, disziplinspezifische Anforderungen und aktuelles Leistungsniveau spielen eine wesentliche Rolle und sollten in die Überlegung für das passende Trainingskonzept mit einfließen.