Einführung

Dieses Buch handelt von der Mythologie. Es behandelt die mythischen Geschichten, in denen die Menschen seit alters her ihr Wissen um Himmel und Erde verschlüsselt aufbewahrt haben. Die mythischen Erzählungen geben Antworten auf Fragen, die für alle Menschen bedeutsam sind. Man kann behaupten, dass das Erzählen von Mythen mit zu den wichtigsten Gewohnheiten des Menschen gehört. Jeder Mensch hat sicher schon einmal auf die eine oder andere Weise einen Mythos erzählt. Jede Kultur und jedes Zeitalter hat eigene Mythen hervorgebracht. Der Gegenstand der »Mythologie« ist genau diese Gesamtheit aller jemals erzählten Mythen (soweit sie uns überhaupt überliefert sind), ein schier unerschöpflicher Fundus an Geschichten über Helden, Götter, Ungeheuer und Naturgewalten.

Wer zu verstehen versucht, was Mythologie ist, wird gleichzeitig auch eine Menge über das Wesen des Menschen lernen. Genau das ist der Grund, warum es sich lohnt, über Mythen nachzudenken. Genauso wie die Menschen können auch Mythen aufwühlend, inspirierend, witzig und schön sein. Ähnlich wie die Menschen haben aber auch die Mythen ihre Schattenseiten; so sind auch sie mitunter verworren, grausam und gewalttätig; sie spiegeln die erotischen Begierden der Menschen und sind genau wie sie mitunter (scheinbar) paradox.

Dieses Buch versucht dem Leser Erklärungen anzubieten, wo immer dies möglich ist. Wer aber auf schnellen Wissensgewinn und klare Antworten aus ist, den wird die Beschäftigung mit der Mythologie möglicherweise zur Verzweiflung bringen. Der Mythos entstand aus dem Bedürfnis heraus, Antworten auf jene Menschheitsfragen zu geben, für die es einfach keine schnellen und eindeutigen Antworten geben kann.

Noch eine wichtige Anmerkung: Mythologie war immer ein Teil der Religion. Einige der in diesem Buch wiedergegebenen mythischen Geschichten entstammen Religionen, die heute niemand mehr praktiziert; andere dagegen gehören zur Überlieferung von Religionen, die heute noch von Millionen von Menschen ausgeübt werden.

Über dieses Buch

Dieses Buch ist ein Nachschlagewerk für alle, die sich rasch einen Überblick über die wichtigsten Grundlagen der unterschiedlichen Mythologien verschaffen möchten, die es auf der Welt gibt. Die einzelnen Teile und Kapitel des Buches behandeln jeweils bestimmte Einzelthemen. Der Leser, der eine bestimmte Frage beantwortet haben möchte, lese einfach das betreffende Kapitel, ohne sich um die anderen Abschnitte des Buches groß zu kümmern. Man kann natürlich auch gleich das ganze Buch durchlesen (was allen Lesern wärmstens empfohlen wird), wobei aber die Reihenfolge der einzelnen Teile nicht unbedingt eingehalten werden muss.

Konventionen in diesem Buch

Dieses Buch ist in deutscher Sprache verfasst. Die allermeisten Mythen sind aber ursprünglich in einer anderen Sprache erzählt oder aufgeschrieben worden. Wir mussten aus diesem Grunde oft zwischen verschiedenen im Prinzip gleichrangigen Möglichkeiten wählen, einen mythologischen Namen ins Deutsche zu übertragen. Hieß der Held des Trojanischen Krieges Achill, Achilleus oder Akhilleus? Sollen wir den Namen des Begründers des Taoismus Lao Tse oder Lao Tzu schreiben? Wir haben versucht, die optimale Lösung zu finden. Seien Sie aber bitte nicht überrascht, wenn Sie in anderen Büchern auf ganz andere Schreibweisen für ein und dieselbe mythische Figur treffen.

Wie dieses Buch aufgebaut ist

Dieses Buch ist in sechs Teile untergliedert. Jeder Teil enthält mehrere Kapitel. Der erste Teil gibt einen Überblick über das Thema Mythologie. Jeder der folgenden vier Teile beschäftigt sich mit der Mythologie einer bestimmten Region der Welt: Griechenland, das Römische Reich, Nordeuropa und schließlich die übrigen Erdteile. Jedes Kapitel ist zwischen zehn und 16 Seiten lang und behandelt unterschiedliche Themen wie zum Beispiel griechische Göttinnen, die Geschichten Homers oder die Mythologie Altägyptens.

Teil I: Mythologie und die Wiege der Menschheit

Dieser Teil gibt einen Überblick über das Thema Mythologie. Kapitel 1 erläutert, was wir unter dem Begriff Mythologie zu verstehen haben. Es stellt einige der Theorien vor, die jeweils eine Deutungsmöglichkeit der Mythologie liefern, und gibt außerdem einen Überblick über die typischen, oft themenverwandten mythischen Erzählungen sowie über häufig verwendete Figuren in ihnen. Das diesen Teil abschließende Kapitel 2 gibt einige Beispiele dafür, auf welche Art und Weise uns die alten Mythen auch heute noch täglich in unserem Leben begegnen.

Teil II: Wo alles begann: Die griechische Mythologie

Die meisten Leser werden bei dem Gedanken an »Mythologie« mit Recht sofort an die griechische Mythologie der Antike denken. Es sind ja gerade die Götter, Göttinnen, Helden und Ungeheuer der griechischen Mythologie, die für uns heute Lebende besonders lebendig geblieben sind. Ein weiterer Grund hierfür ist, dass uns viele bedeutende Dichtungen griechischer (und römischer) Autoren erhalten geblieben sind, deren Werke oft aus dem Mythenschatz ihrer Zeit schöpfen, darunter wunderbare Geschichten, die bis in unsere Zeit gelesen und geschätzt werden. Tatkräftige Hilfe bei der Überlieferung des klassischen Mythenschatzes leistete die Renaissance, die die Antike sozusagen »wiederentdeckte«. Der Leser wird in Teil II des Buches mit der Herkunft und Geschichte der griechischen Götter und Göttinnen vertraut gemacht (eine nicht immer angenehme Geschichte). Die Abenteuer der bekannteren Helden der griechischen Mythologie werden hier nacherzählt: Herakles (besser bekannt unter dem Namen Herkules), Perseus, Theseus und Jason (auch Iason geschrieben). Erzählt werden auch die lange und verwickelte Geschichte des Trojanischen Krieges sowie die mythischen Geschichten, die den stofflichen Hintergrund für einige berühmte griechische Tragödien bilden.

Teil III: Eine Kultur wird geplündert: Die römische Mythologie

Es ist hinlänglich bekannt, dass die Römer von den Griechen die meisten Götter und Göttinnen direkt übernommen haben. Oft wurde dabei nicht einmal der Name abgeändert. In Teil III erfährt der Leser die Gründe hierfür. Außerdem wird er mit den römischen Gottheiten vertraut gemacht und lernt, auf welche Weise die Römer die von den Griechen entlehnten Götter und Sagengestalten mit ihrer eigenen Götterwelt verbunden haben. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit den römischen Gründungsmythen, wie sie in der Aeneis Vergils und der Sage von Romulus und Remus geschildert werden. Das diesen Teil abschließende Kapitel schließlich rekapituliert einige der bekannteren Geschichten der römischen Mythologie.

Teil IV: Eine einzige Familienfehde: Die nordeuropäische Mythologie

Auch wenn die Mythen des Mittelmeerraums besser bekannt sind, so besaßen auch die Menschen in Nordeuropa ihre eigenen Gottheiten und ihre eigenen Mythen und Sagen. Dieser Teil behandelt die Mythenwelt der nordgermanischen Völker, wie zum Beispiel das im achte Jahrhundert entstandene Heldengedicht Beowulf, die Wölsungen-Sage von Sigurd, dem Drachentöter, und das Nibelungenlied. Ein Kapitel widmet sich einem der bekanntesten mythischen Helden: König Artus.

Teil V: Die Mythologien außerhalb Europas

Menschen in der westlichen Hemisphäre sind häufig der Ansicht, dass »Mythologie« gleichbedeutend mit der Mythologie des Westens sei. Sie vergessen oft, dass alle Völker der Erde ihre eigenen Sagen und Mythen hervorgebracht haben. In Teil V wird es um die Mythen im Mittleren Osten, Ägypten, China, Indien, Japan und Latein-Amerika gehen. Mit diesem Buch verbindet sich die Hoffnung, dass es dem Leser die Anregung gibt, sich mit Mythen intensiver zu beschäftigen und noch mehr über die Mythologien der Welt zu lernen.

Teil VI: Der Top-Ten-Teil

Viel Vergnügen bei der Lektüre dieser Listen, die ein unverzichtbarer Teil aller ... für Dummies-Bücher sind. Sehen Sie nach, ob Sie Ihren mythologischen Lieblingsschauplatz oder Lieblingshelden hier wiederfinden können.

Symbole, die in diesem Buch verwendet werden

Sie werden im Verlauf des Buches immer wieder auf folgende vier Icons stoßen, die den Leser auf nützliche Informationen aufmerksam machen sollen. Man kann das Buch zwar auch dann lesen, wenn man alle entsprechend markierten Stellen überspringt; mehr Unterhaltung und Lesevergnügen stellt sich aber dann ein, wenn man auch sie mitliest.

Dieses Icon findet sich an Stellen, an denen der Leser durch die Verknüpfung von mythologischer Theorie und Mythenerzählungen darauf aufmerksam gemacht werden soll, um welche Art von Mythos es sich im betreffenden Textabschnitt handelt.

Die mit diesem Icon gekennzeichneten Stellen vermitteln dem Leser kleinere Wissenshappen, die an und für sich vielleicht nicht unbedingt wichtig sind, die aber immerhin über Wohl und Wehe bei einem Quiz entscheiden oder einen Menschen bei passender Gelegenheit unheimlich intelligent erscheinen lassen können. Die Beschäftigung mit Mythen produziert reichlich Wissen dieser Art.

Diese Stellen enthalten Informationen historischen und akademischen Inhalts. Sie finden hier Wissen, das auch für Akademiker und Fachleute im Bereich Mythologie interessant ist.

Bereichern Sie Ihren Wortschatz! Mythen und Sagengestalten sind für zahllose Wörter unserer Sprache verantwortlich.

Wie es weitergeht

Das vorliegende Buch ist nicht linear aufgebaut. Sie müssen Ihre Lektüre nicht notwendigerweise mit dem ersten Kapitel beginnen. Falls Sie sich zuerst mit den Mythen des alten Ägyptens beschäftigen möchten, so können Sie die vorangehenden Abschnitte des Buches getrost überspringen.

Die einleitenden Kapitel des Buches geben Ihnen einen ersten Einstieg in das Thema Mythologie. Sie erfahren, welche Rolle die Mythen in der Menschheitsgeschichte gespielt haben. Beginnen Sie hier, wenn Sie zunächst wissen möchten, was Mythologie überhaupt ist. Wer dagegen einen leichten und unterhaltsamen Einstieg in das Thema haben möchte, der beginnt am besten mit dem Top-Ten-Teil am Ende des Buches. Für alle anderen Leser gilt, dass sie ganz nach Belieben an jeder beliebigen Stelle im Buch mit dem Lesen beginnen können und auch die Freiheit haben, von einem Abschnitt zum anderen zu springen.

Abbildungsverzeichnis

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Die Wahrheit über Mythen

In diesem Kapitel

Was macht einen Mythos zum Mythos?

Die gängigsten Theorien zum Thema Mythologie

Die Hauptfiguren im Mythos

Bevor Sie mit der Lektüre des Buches fortfahren, wollen wir zunächst auf Folgendes hinweisen: Wir nehmen das Thema Mythen in diesem Buch sehr ernst.

Damit wollen wir zwar nicht behaupten, Mythen könnten nicht auch humorvoll sein; viele Mythen sind es und sollen es auch sein. Auch wollen wir nicht behaupten, dass alle Informationen über Mythen in diesem Buch von akademischer Strenge sein werden. Dem ist einfach nicht so. Vielmehr ist Sinn und Zweck dieses Buches, den Leser bei der Lektüre nicht nur zu fesseln, sondern auch zu unterhalten. Das Vergnügen, das die Autoren beim Schreiben des Buches hatten, soll sich auch auf den Leser übertragen. Nicht zuletzt soll die Beschäftigung mit Mythologie auch unterhaltsam sein.

Behaupten wir, etwas sei ein Mythos, so treffen wir keine Aussage darüber, ob der betreffende Gegenstand wahr oder falsch ist. In diesem Buch wird nicht die Meinung vertreten, dass Wissenschaft und Geschichte auf der einen Seite und Mythologie auf der anderen Seite durch diese Unterscheidung in wahr und falsch getrennt wären. (Nicht dass wir irgendetwas gegen die Wissenschaft hätten. Sie hat uns schließlich ein bedeutsames Wissen über die Welt geliefert und stellt ihren positiven Nutzen für die Menschen jeden Tag unter Beweis. Wir sind nur nicht der Auffassung, dass man die Mythen nur aus dem Grund dem wissenschaftlichen Wissen unterordnen sollte, weil Letzteres beweisbar erscheint.)

Als Kindern sagte man uns, dass sich die Menschen – als es noch keine Wissenschaft gab – die Welt mithilfe der Mythen erklärt hätten. Man wollte mit dieser Behauptung gleichzeitig zum Ausdruck bringen, dass die Menschen von dem Zeitpunkt an keine Mythen mehr benötigt haben, als sie begannen, rational zu denken und sich die Welt mithilfe der Wissenschaft zu erklären. Heute wissen wir es natürlich besser. Die Mythologie ist eine Art und Weise, die Welt zu verstehen. Sie ist dabei genauso wichtig und genauso »wahr« wie die naturwissenschaftlichen oder historischen Erkenntnisweisen. Tatsächlich ist es so, dass die Naturwissenschaft, die Geschichtswissenschaft oder auch andere logische Erkenntnisformen nicht für alle wichtigen Fragen auch sinnvolle Antworten bereithalten. Mythen dagegen erweisen sich bei einigen dieser Fragen, die wir für wichtig halten und deren Beantwortung uns wahre Erkenntnisse liefern, als überaus erfolgreiches Erkenntnisinstrument.

Christopher Blackwells Vater hatte das Glück, Paul Tillich gekannt zu haben. Tillich war ein deutscher Theologe und Religionsphilosoph, der vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste, in die USA emigrierte und schließlich an der Harvard Universität als Professor lehrte. Tillich, der sicher einiges von den wirklich bedeutsamen Dingen verstand, pflegte zu sagen: »Man soll nie sagen, etwas sei nur ein Mythos. Vielmehr soll man sagen: Es ist nichts Geringeres als ein Mythos.«

Genau derselben Ansicht sind auch wir in diesem Buch. Mythen sind eminent wichtig und sollten unbedingt ernst genommen werden. Man sollte Themen von solchem Ernst aber gleichzeitig auch mit Spaß und Vergnügen behandeln. Also, los geht’s ...

Wie erkennt man einen Mythos?

Ein Mythos ist im Wesentlichen eine Geschichte. Das griechische Wort »Mythos« bedeutet so viel wie »Rede, Erzählung, Fabel«. Dies ist die wörtliche Übersetzung des Begriffs. Natürlich taugt aber nicht jede x-beliebige Geschichte zum Mythos. Amy (eine der beiden Autoren des Buches) wurde einmal in Thailand der Kopf eines Schweins zum Abendessen serviert. So interessant diese Geschichte als Geschichte auch erscheinen mag – um einen Mythos handelt es sich bei ihr nicht. Chris wiederum (der andere Autor des Buches) wurde einmal bei einem Spaziergang im Wald von irgendeinem Verrückten irrtümlich angeschossen, was wiederum als Geschichte ja durchaus spannend und fesselnd sein, aber auch nicht als Mythos durchgehen kann. Auch wenn man einen Mythos normalerweise erkennen kann, wenn man auf einen trifft, so ist es von Vorteil, sich zunächst einmal wenigstens um eine Definition zu bemühen, um Mythen auch wirklich wertschätzen und von anderen Erzählformen sicher abgrenzen zu können.

Mythenexperten lieben es, sich über schwierige, schwer zu definierende Probleme zu streiten. Während der vergangenen 200 Jahre war die Mythologie so ein beliebtes Streitthema unter Wissenschaftlern. Die Mythenexperten debattierten darüber, wodurch man einen »echten« Mythos von einem nur scheinbaren unterscheiden könne. Sie waren sich aber darin einig, dass man Mythen nicht mit anderen verwandten oder ähnlichen Erzählarten verwechseln solle wie etwa Legenden, Sagen oder Volksmärchen.

Das Besondere der mythischen Erzählungen

Was zeichnet einen Mythos aus? Nun, zunächst einmal sind Mythen Geschichten über Götter und Göttinnen, andere übernatürliche Wesen sowie deren Beziehungen zu den Menschen. Diese Definition ließe sich erweitern durch die Einbeziehung von Geschichten, die sich universalen Wahrheiten widmen oder die der Vermittlung von Werten dienen, die Völkern dabei helfen können, eine Vorstellung von sich als Gruppe und Wertegemeinschaft zu bekommen. Mythen helfen außerdem dabei, bestimmte soziale Ordnungen wie etwa die durch Erbschaft weitergegebene Thronfolge oder andere soziale Klassenstrukturen zu legitimieren. Mitunter dienen sie auch dazu, die fiktive »Geschichte« eines Königreiches zu fabrizieren, um so dessen Herrschaftsanspruch zu festigen.

Insofern Mythen von Menschen und Göttern handeln, handeln sie immer auch von der Religion. Jeder der in diesem Buch vorkommenden Mythen war oder ist Teil einer Religion, die von Menschen ausgeübt wurde oder immer noch wird.

Mitunter wird das Wort »Mythos« so gebraucht, dass es die Bedeutung »unwahr« annimmt. Die Menschen sagen dann, etwas sei »bloß ein Mythos«. Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, dass die betreffende Sache keine reale Grundlage hat, sondern nur aus der Luft gegriffen ist. Mythen haben aber ihre eigene Wahrheit. Sie vermitteln den Menschen unter anderem eine Sicht auf die Welt und einen Wertekanon, Dinge also, die ebenso wichtig sein können wie jede x-beliebige wissenschaftlich nachprüfbare Aussage (vergleiche hierzu Kapitel 3).

Legenden

Legenden weisen zwar gewisse Ähnlichkeiten mit Mythen auf, sie basieren jedoch auf geschichtlichen Tatsachen, die mitunter aber sehr frei ausgelegt werden. Viele Legenden erinnern nur noch entfernt an die ihr zugrunde liegenden geschichtlichen Tatsachen. Allerdings müssen Legenden oder Sagen, um als solche gelten zu können, doch auf einem realen Ereignis beruhen, das zumindest tatsächlich passiert sein könnte. Die Geschichte von König Artus zum Beispiel zählt aus diesem Grund zu den Legenden, weil es (wahrscheinlich) tatsächlich einmal eine reale Person gegeben hat, von der sich dann die Artuslegende, wie wir sie heute kennen, abgeleitet hat.

Volksmärchen

Volksmärchen sind überlieferte Erzählungen, die zum einen der Unterhaltung dienten und zum anderen bisweilen auch didaktische Ziele verfolgten. In Volksmärchen erleben die Helden Abenteuer und magische Geschehnisse. Für gewöhnlich gibt es in ihnen jedoch keine Passagen, die menschliche Beziehungen mithilfe des Übernatürlichen oder Göttlichen erklären wollen.

Die meisten Mythen weisen Elemente aus Legenden und Sagen auf und umgekehrt. Diese unterschiedlichen Gattungsbezeichnungen sind durchaus nützlich, wenn es darum geht zu entscheiden, wann es sich um einen Mythos handelt und wann nicht. Man sollte sich aber nicht zu sehr darauf fixieren.

Märchen wiederum sind Mythen und Volkserzählungen sehr ähnlich. Es gibt aber einen Unterschied: Die Märchen sind ein Phänomen der romantischen Bewegung im Europa des 19. Jahrhunderts, als zum Beispiel die Brüder Grimm begannen, von den Bewohnern einer Region mündlich überlieferte Geschichten zu sammeln, aufzuschreiben und in romantisierter Form breiten Leserschichten zugänglich zu machen. Die Original-Grimms-Märchen wiederum haben nur wenig mit den bereinigten, modernen Fassungen zu tun – die Originalversionen sind voll von Blut und Gewalt.

Was war zuerst da – die Menschen oder der Mythos?

Die Menschen hatten nicht immer Zugang zu dicken Büchern, die sich ausführlich mit der Mythologie etwa der Griechen oder anderer Völker befassten. Sie konnten also nicht einfach mal eben so die Mythen nachlesen. Dennoch ist es gelungen, Jahrtausende alte Erzählungen und Geschichten bis in die Gegenwart zu bewahren. Vor der Erfindung der Schrift waren es insbesondere das gesprochene Wort und die künstlerische Darstellung, die die Mythen dem Vergessen entrissen haben. Nach der Erfindung der Schrift begannen die Menschen, die Mythen aufzuschreiben. Bis in unsere jüngste Vergangenheit gab es für Schriftsteller nichts Aufregenderes, als nach dem Vorbild der alten Mythen neue Geschichten zu erfinden.

Die mündliche Überlieferung

Mythen sind Geschichten. Früher wurden sie hauptsächlich mündlich nacherzählt und weitergegeben. Wenn Geschichten so von einer Generation zur nächsten wandern, spricht man von mündlicher Überlieferung.

Wo es keine Möglichkeit gibt, Informationen in schriftlicher Form zu speichern, ist die mündliche Überlieferung eine von zwei Arten, Wissen von einer zur nächsten Generation weiterzugeben. (Die andere ist die Kunst; ihr werden wir uns gleich zuwenden.)

In Gesellschaften, die über eine lange Tradition mündlicher Überlieferung verfügen, haben die Menschen normalerweise ein sehr gutes Gedächtnis. In Kulturen dagegen, in denen die Schrift verbreitet ist, benötigen die Individuen kein besonders ausgeprägtes Erinnerungsvermögen, weil es ja neben vielen anderen Möglichkeiten zum Beispiel Bücher, Broschüren, Notizzettel (und nicht zuletzt Dummies-Bücher) gibt, die helfen, sich an wichtige Dinge zu erinnern, die die Menschen sonst vielleicht vergessen würden. Gesellschaften dagegen mit starker mündlicher Überlieferung bewahren das zu Erinnernde oft in Form von Gedichten oder Liedern, einfach weil man es sich so leichter Wort für Wort merken kann.

Mythen entstammen ursprünglich ausschließlich dieser oralen Tradition. Sie wurden immer mündlich weitererzählt. Jede Veränderung an ihnen geschah auf diesem Wege des Erzählens. Da jede Mythen produzierende und Mythen erzählende Generation über ihre eigenen spezifischen Bedürfnisse und Erfahrungen verfügt, neigen Mythen dazu, sich im Laufe der Zeit zu verändern. Am Schluss einer solchen Entwicklung liegt dann ein und derselbe Mythos in mehreren Versionen vor.

Der heutige E-Mail-Austausch im Internet stellt vielleicht eine moderne Form der mündlichen Überlieferung dar. Die Geschichten können heute leicht von Computernutzer zu Computernutzer auf der ganzen Welt wandern. Auf ihrem im Prinzip keine Zeit mehr beanspruchenden Weg erfahren sie dabei immer wieder leichte Veränderungen. Vielleicht haben ja einige dieser Geschichten im Internet das Zeug dazu, später einmal zu den Mythen des 21. Jahrhunderts zu werden.

Der Mythos und die Archäologie

Menschen, die weder schreiben noch lesen können, sind nicht nur imstande, Geschichten zu erzählen, sondern zum Beispiel auch Kunstwerke herzustellen. Die bildlich darstellende Kunst ist eine weitere Möglichkeit, Mythen von einer Generation zur nächsten weiterzugeben; sie müssen nicht unbedingt niedergeschrieben werden. Kunstwerke können ihre Schöpfer durchaus Jahrtausende überdauern. Selbst nach einer so langen Zeit sind die Archäologen in der Lage, Fundstücke von längst untergegangenen Kulturen auszugraben, zu restaurieren und zu deuten. Damit Mythen auf diese Weise bewahrt werden können, muss es sich nicht unbedingt um aufwendige oder raffinierte Kunstwerke handeln. Schon gewöhnliche Alltagsgegenstände sind oft mit dekorativen Szenen versehen, die dem Archäologen viel über die betreffende Kultur verraten können (ein besonders schönes Beispiel hierfür können Sie in Kapitel 9 nachlesen).

Literatur

Mit der epochalen Erfindung der Schrift aber wurden auch die Mythen schließlich in schriftlicher Form niedergelegt. Die Dichtung Homers etwa – eine eminent wichtige Quelle für unser Wissen über die griechische Mythologie – hat ihren Ursprung in mündlich überlieferten Liedern, die öffentlich von Sängern vorgetragen wurden. Diese Liedtexte und Verserzählungen wurden später aufgeschrieben und konnten somit nachgelesen werden. Die Mythenexperten streiten sich noch heute endlos darüber, wie zum Beispiel im Falle Homers das mündlich überlieferte Material in einer bestimmten Version (und nicht etwa einer anderen, die es sicher gegeben hat) den Weg aufs Papier beziehungsweise auf den Papyrus fand.

Mythographen gab es schon in der Antike. Sie schrieben die Mythen für spätere Generationen auf.

Mythen dienten in der Vergangenheit immer wieder als Anregung für andere Arten von Literatur. Sehr viele griechische Tragödien, ursprünglich niedergeschrieben, um als Bühnenstück aufgeführt zu werden, griffen auf Stoffe und Motive der damaligen Mythologie zurück. In späterer Zeit war es zum Beispiel William Shakespeare, der sich beim Entwurf vieler seiner dramatischen Werke auf mythologische Geschichten stützte, wobei er sich der Mythologien des Mittelmeerraumes ebenso bediente wie der Mythen nordeuropäischer Herkunft. In seinem Stück Ein Mittsommernachtstraum spielt die Handlung am Hofe des griechischen Königs Theseus zum Zeitpunkt seiner Heirat mit der Königin der Amazonen Hippolyte (mehr dazu in Kapitel 7). Shakespeares Stück Romeo und Julia entlehnt seine Handlung der Geschichte von Pyramus und Thisbe, die in Ovids Metamorphosen geschildert wird (vergleiche Kapitel 12).

In jüngster Vergangenheit haben Wissenschaftler versucht, mündlich überlieferte Mythen und Sagen gezielt ausfindig zu machen mit der Absicht, sie aufzuschreiben und zu erforschen. Anthropologen und Ethnologen besuchten dazu etwa die eingeborenen Völker Brasiliens oder andere noch weitgehend unerforschte Naturvölker. Sie ließen sich deren Geschichten erzählen und schrieben sie anschließend auf. Diese schriftlich niedergelegte Überlieferung dient dazu, einen Beitrag zur Bewahrung der jeweiligen Kultur zu leisten, und ermöglicht unter Umständen auch einen Blick darauf, wie Mythen sich mit der Zeit weiterentwickeln.

Die verschiedenen Arten von Mythen

Mythen sind eine schwierige, verwirrende Angelegenheit. Oft scheinen Mythen aus verschiedenen Teilen der Welt und aus unterschiedlichen Zeiten gewisse Ähnlichkeiten aufzuweisen. Die meisten Mythen lassen sich in bestimmte Klassen oder Gruppen einteilen, unabhängig davon, ob die unterschiedlichen Kulturen, denen sie entstammen, viele Gemeinsamkeiten haben oder nicht. Wieso ist das so?

Vergleichende Mythologie

Immer wenn Wissenschaftler auf mehrere, anscheinend einem bestimmten Muster gehorchende Aspekte einer Sache stoßen, versuchen sie herauszufinden, welchen Regeln dieses Muster gehorcht. In den letzten einhundert Jahren arbeiteten viele Mythenexperten an der Beantwortung der uralten Frage, worum es in all diesen mythischen Geschichten geht. Da diese Frage geradezu unbeantwortbar erscheint, stellten sie mehrere unterschiedliche Theorien auf, die allmählich Teil der Fachgebiete Psychologie, vergleichende Literaturwissenschaft und Anthropologie wurden.

Im Folgenden sind einige der bedeutenderen Theorien über Mythen aufgelistet:

Mythen sind bestimmend für die Überzeugungen, Sitten und Gebräuche einer Gesellschaft.

Mythen sind dasselbe wie Rituale.

Mythen sind Allegorien, vergleichbar mit den Gleichnissen in der Bibel.

Mythen enthalten Erklärungen für die Phänomene in der Natur.

Mythen liefern Erklärungen für psychologische Zustände wie etwa die Liebe, den Sex oder auch die Wut auf die eigenen Eltern (Sigmund Freud war sicher ein Anhänger dieser Theorie).

Mythen dienen der Kommunikation und helfen Menschen dabei, miteinander zu arbeiten; oder sie sind eine Art, über Dinge zu sprechen, die den Menschen Sorgen bereiten (die Theorie des Strukturalismus, die auf Claude Levi-Strauss zurückgeht, ist mit diesem Erklärungsansatz verbunden).

Wenn man sich diese Theorien anschaut, wird schnell deutlich, dass keine einzelne imstande ist, alle Mythen zu erklären. Nimmt man aber alle zusammen zur Hilfe, so kann das Nachdenken über Mythen zu einer durchaus fruchtbaren Tätigkeit werden. (Die Autoren des Buches neigen dazu, die symbolische/allegorische Theorie über die Mythen für die überzeugendste aller genannten Theorien zu halten. Der Hauptgrund hierfür ist, dass diese Theorie fast alle anderen mit einschließt und sie nicht als in ein zu enges theoretisches Korsett gezwängt erscheint.)

Die Hauptarten des Mythos

Einer der Gründe, warum sich so viele Wissenschaftler abgemüht haben, eine brauchbare Definition für den Begriff Mythos zu finden, ist darin zu sehen, dass Mythen über Kulturgrenzen hinweg Ähnlichkeiten aufweisen. So gibt es etwa unabhängig voneinander in Griechenland wie auch in Japan Geschichten, in denen ein Mann in die Unterwelt hinabsteigt, um seine tote Frau wieder ins Reich der Lebenden heraufzuholen, wobei es ihm jeweils nicht gestattet ist, seine Frau vor Verlassen der Unterwelt anzublicken. Die Übereinstimmung ist verblüffend, so als gäbe es ein aus uralten Zeiten herstammendes universales Wissen im kollektiven menschlichen Gedächtnis.

Wie dem auch sei – einige Geschichten tauchen in unterschiedlichen Kulturen immer wieder in ähnlicher Form auf. Im Folgenden geben wir eine Auswahl dieser Geschichten:

Schöpfungsmythos: Jeder Mensch brennt darauf zu erfahren, wie die Welt und die darin lebenden Geschöpfe entstanden sind. Für gewöhnlich erklären die Schöpfungsmythen dies so, dass eine Schöpfergottheit die Welt aus einer ursprünglichen, oft eiförmig gedachten Ur-Dunkelheit erschaffen habe.

Weltentstehungsmythos: Viele Mythen beschreiben, wie die Welt, der Himmel, das Meer und die Unterwelt zusammen entstanden sind und wie die Sonne und der Mond ihre Bahnen am Firmament ziehen.

Der Ursprung der Menschheit: Da das Dasein der Menschen einen Ursprung haben muss, findet sich in vielen Mythologien eine Erklärung für deren Existenz. Oftmals sprechen die Mythen dann von einer Gottheit, die ihre Geschöpfe aus Lehm oder einem ähnlichen Material geformt habe.

Sintflutgeschichten: In vielen Mythen wiederholt sich in ähnlicher Form immer wieder die Geschichte einer Gottheit, die aus einem Gefühl der Enttäuschung über ihre Schöpfung heraus die Welt durch eine Sintflut zerstört, um danach zu einem zweiten Versuch anzusetzen. Normalerweise überleben bei einer solchen Sintflut genau eine Frau und ein Mann (wodurch der ganze Schlamassel wieder von vorne beginnen kann).

Über den Ursprung von Krankheit und Tod: Diese Mythen erzählen davon, dass die ersten Menschen in einem Paradies lebten, dessen vollkommenes Glück gestört wurde, als einer der Bewohner des Paradieses das Unglück in irgendeiner Form in diese Welt brachte. Einer der bekanntesten Mythen dieser Art ist der Mythos der Büchse der Pandora.

Das Leben nach dem Tod: Viele Völker glauben, dass die Seele des Menschen nach dessen Tode weiter besteht. Die entsprechenden Mythen beschreiben, wie dieses Leben nach dem Tod aussieht.

Die Gegenwart übernatürlicher Wesen: Alle Mythologien berichten von Gottheiten oder anderen übernatürlichen Wesen. Einzelne Gottheiten sind oft verantwortlich für bestimmte Bereiche des menschlichen Lebens. Manche übernatürlichen Wesen sind gut, andere sind böse. Die Menschen kämpfen im Bunde mit den guten Gottheiten gegen die bösen.

Das Ende der Welt: Auch wenn die Welt schon mindestens einmal in den meisten Mythologien untergegangen ist (normalerweise durch eine verheerende Sintflut), so enthalten Mythen manchmal auch Vorstellungen darüber, wie das Ende der Welt in der Zukunft aussehen wird.

Mythen über den Anbruch der Zivilisation: Die Menschen mussten lernen, nicht wie Tiere zu leben, sondern wie Menschen. Oft halfen ihnen die Götter dabei. Ein bekannter Mythos aus Griechenland erzählt die Geschichte, wie eine Gottheit das Feuer raubte, um es den Menschen zu bringen.

Gründungsmythen: Reichsgründer und Herrscher führen gerne »geschichtliche« Gründe ins Feld, um zu erklären, warum es notwendig war, dass gerade sie ihre Feinde bezwingen und zu Staatsgründern werden konnten. Die Erfindung eines Mythos ist bei diesem Ansinnen häufig hilfreich gewesen.

Ein Grund, warum Mythen in ähnlicher Form immer wieder auftreten, lässt sich darin sehen, dass Menschen seit jeher von einem Ort zum anderen gezogen sind und sich dabei mit anderen ausgetauscht haben. Dies war schon so, lange bevor die Schrift erfunden wurde. Genauso wie es einen regen Austausch an Gütern oder auch ansteckenden Krankheiten gegeben hat, tauschten die Menschen auch ihre Mythen aus. Es gibt zum Beispiel nordamerikanische Indianerstämme, deren Mythologien interessanterweise Sintflutgeschichten enthalten. Wie lässt sich das erklären? Eine mögliche Deutung dafür wäre die Annahme, dass es die frühen christlichen Missionare waren, die den Indianern zusammen mit anderen christlichen Geschichten unter anderem auch die von Noah und der Sintflut erzählten. Vor ihrem ersten Kontakt mit den europäischen Einwanderern war ihnen die Vorstellung einer Zerstörung der Welt durch eine Sintflut vielleicht vollkommen unbekannt gewesen. Sie könnten sie schließlich durchaus von den Europäern übernommen und zu ihrer eigenen gemacht haben.

Die Einzelheiten mythologischer Geschichten sind bedeutsam und hatten teilweise weitreichende Folgen. Viele Menschen haben zum Beispiel Mythen benutzt, um die Vorherrschaft der Männer über die Frauen zu rechtfertigen (denken Sie etwa daran, dass die Bibel berichtet, Eva sei aus einer Rippe Adams entstanden; nach dem Motto, »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, sollte so die erzwungene Unterordnung der Frau legitimiert werden). Mythen haben auch dazu gedient, die Unterdrückung einer sozialen Gruppe durch die andere zu rechtfertigen. Dies geschieht sogar noch in der heutigen Zeit.

Häufig vorkommende Figuren in Mythen

In mythischen Erzählungen treten sehr oft die gleichen oder ähnliche Figuren auf. Es kommen in ihnen fast immer übernatürliche Wesen vor. Sie erscheinen als Gottheiten oder Götter. Neben den Göttern gibt es noch die menschlichen Figuren, die mit den Göttern interagieren. Menschen mit besonderen Eigenschaften erlangen den Status von Helden. Die Liste der Figuren wird vervollständigt durch mit übernatürlichen Fähigkeiten begabte Tiere und andere Gestalten, die ein Moment der Täuschung und List in die Geschichten hineinbringen.

Gottheiten

In allen mythischen Geschichten treten übernatürliche Wesen auf, die Macht über die Welt und die sie bevölkernden Menschen haben. Diese Wesen sind entweder Götter oder Göttinnen; das Wort Gottheit verwenden wir, wenn von dem Geschlecht der Götter abgesehen werden soll. Es gibt Kulturen, die nur eine Gottheit kennen; andere wiederum haben viele unterschiedliche. Normalerweise ist es aber so, dass eine Kultur eine Schöpfergottheit und mehrere andere göttliche Wesen kennt, die unter sich die unterschiedlichen Aufgaben aufteilen, wie zum Beispiel für den Lauf von Sonne und Mond zu sorgen, sich um die Toten zu kümmern, oder auch die Aufgabe haben, den Menschen eine ausreichende Ernte zu sichern und so weiter. Diese Arbeitsteilung im Reich der Götter war insofern praktisch, als die Menschen immer wussten, welche Gottheit sie wofür anzurufen hatten. Eine hochschwangere Frau musste also nicht ihre Zeit damit verschwenden, den Regengott um Beistand zu bitten.

Antigötter

Die übernatürliche Welt ist nicht nur ein Reich der gütigen Gottheiten. Es leben dort auch Wesen, die die negative Seite der Welt verkörpern und die Erde und die dort lebenden Menschen heimsuchen. Die Rede ist von Teufeln, Dämonen, Ungeheuern und Riesen, die Teil der Mythologie sind und sowohl gegen die Götter als auch gegen die Menschen kämpfen.

Helden

In vielen Mythen treten Helden auf, die erstaunliche Taten voller Wagemut, Stärke und Klugheit vollbringen. Manche Helden sind Menschen, manche Götter; bisweilen sind sie auch halb Mensch und halb Gottheit. Helden sind in Mythen normalerweise männlichen Geschlechts. Man erkennt die mythologischen Helden typischerweise daran, dass ihre Veranlagung zu ihren späteren Heldentaten schon in ihrer Kindheit sichtbar wird.

Kulturbringende Helden treten in Mythen auf, um den Menschen Zugang zu bestimmten Kulturtechniken zu ermöglichen. So war für die Griechen Prometheus ein kulturbringender Held, weil er den Menschen das Feuer brachte. In Kapitel 7 werden wir uns ausführlicher mit ihm beschäftigen. In der Mythologie der nordamerikanischen Indianer gibt es sogar einen zweifach kulturbringenden Helden; es handelt sich um die männliche Figur, die an ein und demselben Ort nicht nur den Tabak entdeckte, sondern (einige Zeit vorher) auch den Sex.

Andere Helden wiederum dienten als Vorbild für menschliche Fertigkeiten und Leistungen. Der griechische Held Herakles (beziehungsweise Herkules bei den Römern) war der größte, stärkste und heldenhafteste Held aller Zeiten. Mit ihm werden wir uns in Kapitel 7 beschäftigen. Häufig spielen Helden auch eine Rolle in Gründungsmythen, Mythen also, die erklären, warum Königreiche gerade dort entstanden, wo sie entstanden, und warum die Menschen, die dort vorher siedelten, gerechterweise weichen mussten.

Mit Täuschung und List agierende Figuren

Mythen sind voller Figuren, die mit List und Heimtücke agieren. Manche dieser Figuren bringen den Menschen Gutes, indem sie deren Feinde austricksen und ihnen Gaben wie das Feuer bringen. Andere dagegen sind gar nicht nett. Die Figur Loki im nordgermanischen Mythos ist mitunter ausgesprochen böse. Mehr zu dieser Figur in Kapitel 14. Mit Täuschung und List agierende Figuren untergraben die soziale Ordnung, bringen die Dinge durcheinander, um entweder anderen ein Bein zu stellen oder sich auf Kosten anderer zu unterhalten. Derartige Figuren sind sehr beliebte mythische Gestalten.