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Inhaltsverzeichnis

Buch
Autorin
Von J. D. Robb ist bereits erschienen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Copyright

Von J. D. Robb ist bereits erschienen

Rendezvous mit einem Mörder · Tödliche Küsse ·
Eine mörderische Hochzeit · Bis in den Tod · Der
Kuss des Killers · Mord ist ihre Leidenschaft ·
Liebesnacht mit einem Mörder · Der Tod ist mein
· Ein feuriger Verehrer · Spiel mit dem Mörder ·
Sündige Rache · Symphonie des Todes · Das
Lächeln des Killers · Einladung zum Mord ·
Tödliche Unschuld
Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas
Nora Roberts ist J.D. Robb Ein gefährliches Geschenk

Autorin

J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts, einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren erfolgreich Kriminalromane.

1

Heiraten war Mord. Eve war sich nicht sicher, wie es überhaupt dazu hatte kommen können. Himmel, sie war Polizistin. Die zehn Jahre bei der Truppe hatten sie davon überzeugt, dass Cops besser ledig blieben, unbelastet, frei, konzentriert allein auf ihren Job. Es war verrückt zu glauben, ein Mensch könnte seine Zeit, seine Energie und seine Emotionen zwischen dem Gesetz mit allen seinen Vorzügen und Schwächen und der Familie mit allen ihren Ansprüchen und den verschiedenen Persönlichkeiten, aus denen sie bestand, so einfach aufteilen.

Denn in beiden Jobs wurden zu den unmöglichsten Arbeitszeiten die unmöglichsten Anforderungen an einen gestellt. Vielleicht lebte sie im Jahr 2058 und somit in einer technologisch weit fortgeschrittenen Zeit, doch eine Ehe war noch immer ganz einfach eine Ehe und für Eve der Inbegriff des Grauens.

Trotzdem bereitete sie sich eines schönen Sommertags, wenn auch innerlich erschaudernd, auf einen Einkaufsbummel vor. Es war einer ihrer seltenen, kostbaren freien Tage, und sie ging nicht einfach unbekümmert shoppen, erinnerte sie der Kloß in ihrem Magen, sondern auf die Suche nach einem Hochzeitskleid.

Ganz offensichtlich war sie tatsächlich wahnsinnig geworden.

Schuld daran hatte natürlich Roarke. Er hatte einen ihrer schwachen Momente schamlos ausgenutzt. Sie beide waren verletzt gewesen, hatten geblutet, hatten Glück gehabt, überhaupt noch am Leben zu sein. Wenn ein Mann clever genug war und sein Opfer so gut kannte, dass er genau den rechten Ort und rechten Zeitpunkt für seinen Heiratsantrag wählte, tja, dann war eine Frau verloren.

Zumindest eine Frau wie Eve.

»Du siehst aus, als müsstest du es mit bloßen Händen mit einer ganzen Horde Junkies aufnehmen.«

Eve zog einen Schuh an und drehte ihren Kopf. Mit seinem kraftvollen Gesicht, den Lippen eines Dichters, den blauen Augen eines Killers, der dichten Mähne schwarzer Haare war er einfach viel zu attraktiv. Der Körper war nicht weniger gelungen als das prachtvolle Gesicht, und nahm man noch den melodiösen Singsang des gebürtigen Iren, der in seiner Stimme mitschwang, konnte man sich seinem Charme unmöglich entziehen.

»Das, was mir bevorsteht, ist wesentlich schlimmer als irgendeine Gang.« Angesichts des jämmerlichen Klanges ihrer Stimme verzog Eve verärgert das Gesicht. Sie jammerte nie. Aber ehrlich gesagt hätte sie tatsächlich lieber einen Faustkampf mit irgendeinem voll gepumpten Junkie ausgefochten, als eine Diskussion über Saumlängen zu führen.

Saumlängen, o Gott.

Sie unterdrückte einen Fluch und verfolgte mit zusammengekniffenen Augen, wie er durch das Zimmer in ihre Richtung kam. Er hatte das Talent, ihr manchmal das Gefühl zu geben, sich völlig lächerlich zu machen. Wie in diesem Moment, da er sich neben ihr auf den Rand des hohen breiten Bettes sinken ließ, sanft ihr Kinn umfasste und sie zwang, ihm ins Gesicht zu sehen.

»Ich bin hoffnungslos in dich verliebt.«

Genau das war der Punkt. Dieser Mann mit den bezwingenden Augen und dem kraftvollen, sündhaft attraktiven Aussehen eines gefallenen Engels brachte sie mit seiner Liebe vollkommen um den Verstand.

»Roarke.« Sie kämpfte gegen einen Seufzer. Die Begegnung mit einem laserbewaffneten, wahnsinnigen Söldnermutanten hätte sie weniger verängstigt als das, was Roarke für sie empfand. »Ich ziehe diese Sache durch. Ich habe gesagt, dass ich es tue.«

Er zog die Brauen in die Höhe. Es war ihm ein Rätsel, weshalb sie sich ihrer eigenen Ausstrahlung offenbar so wenig bewusst war. Sie raufte sich die schlecht geschnittenen seidig braunen Haare, senkte den Blick aus ihren großen whiskeybraunen Augen und runzelte sorgenvoll die Stirn.

»Meine liebe Eve.« Er küsste erst ihre zusammengepressten Lippen und dann das kleine Grübchen in der Mitte ihres Kinns. »Daran habe ich niemals gezweifelt.« Doch genau das hatte er die ganze Zeit getan. »Ich habe heute diverse Dinge zu erledigen. Gestern Abend kamst du ziemlich spät. Ich hatte gar keine Gelegenheit, dich danach zu fragen, ob du etwas vorhast.«

»Die Überwachung im Fall Bines hat bis nach drei in der Früh gedauert.«

»Habt ihr ihn erwischt?«

»Lief mir geradewegs in die Arme – war voll gepumpt mit irgendwelchen Pillen und vollkommen fertig, weil er stundenlang irgendwelche Virtual-Reality-Spielchen gemacht hatte.« Sie lächelte, aber es war das dunkle, kalte Lächeln des passionierten Jägers. »Der mörderische kleine Bastard kam so brav angelaufen, als wäre er mein persönlicher Droide.«

»Umso besser.« Er stand auf, tätschelte ihr sanft die Schulter, ging hinüber an den Schrank und blickte grübelnd auf die diversen edlen, dort aufgehängten Jacken. »Und heute schreibst du den Bericht?«

»Heute habe ich frei.«

»Oh.« Ein teures Jackett aus schwarzer Seide in den Händen, blickte er sie an. »Wenn du möchtest, kann ich sicher ein paar meiner Nachmittagstermine umlegen.«

Was, wie Eve dachte, gleichbedeutend wäre mit der Änderung eines großen Schlachtplans. In Roarkes Welt war jedes Geschäft ein komplizierter, profitabler Krieg. »Ich bin bereits ausgebucht«, erklärte sie denn auch und runzelte unweigerlich abermals die Stirn. »Ich gehe einkaufen«, murmelte sie leise. »Schließlich brauche ich noch ein Hochzeitskleid.«

Er bedachte sie mit einem breiten Lächeln, denn er wusste, dass ein solcher Satz aus ihrem Mund die größte Liebeserklärung war. »Kein Wunder, dass du so gereizt bist. Dabei habe ich dir bereits gesagt, dass ich mich darum kümmern werde, wenn es dir lieber ist.«

»Mein Hochzeitskleid suche ich lieber selbst aus. Und ich kaufe es auch selbst. Schließlich heirate ich dich nicht deiner verdammten Kohle wegen.«

Immer noch lächelnd schob er seine Arme lässig in das Jackett. »Und warum heiratest du mich?«

Ihr Stirnrunzeln verstärkte sich, doch eine seiner besten Eigenschaften war endlose Geduld. »Soll ich dir vielleicht mehrere Antwortmöglichkeiten vorgeben?«

»Weil du ein Nein als Antwort niemals akzeptierst.« Sie stand breitbeinig auf dem Podest neben dem Bett und vergrub die Hände in den Taschen ihrer Jeans.

»Dafür kriegst du nur einen halben Punkt. Versuch’s also noch mal.«

»Weil ich verrückt bin.«

»Auch mit dieser Antwort gewinnst du sicher keine Reise für zwei Personen in die Tropenwelt auf Stern Fünfzig.«

Gegen ihren Willen fing sie an zu lächeln. »Vielleicht, weil ich dich liebe.«

»Vielleicht.« Zufrieden kehrte er zu ihr zurück und legte seine Hände auf ihre schmalen, doch muskulösen Schultern. »Wie schlimm kann ein solcher Einkauf denn schon sein? Schließlich brauchst du nur ein paar Programme in den Computer einzugeben, dir ein Dutzend passender Kleider anzugucken und zu bestellen, was dir am besten gefällt.«

»Genau das hatte ich auch vor.« Sie rollte mit den Augen. »Aber das lässt Mavis ganz einfach nicht zu.«

»Mavis.« Er erbleichte. »Eve, sag mir, dass du nicht mit Mavis zum Einkaufen gehst.«

Dank seiner Reaktion hellte sich ihre Stimmung tatsächlich etwas auf. »Sie hat da diesen Freund. Einen Designer.«

»Großer Gott.«

»Sie sagt, er ist einfach super. Braucht nur einen einzigen größeren Erfolg, um sich einen Namen zu machen. Er hat ein kleines Atelier in SoHo.«

»Lass uns durchbrennen und woanders heiraten. Jetzt, auf der Stelle. So wie du bist, siehst du fantastisch aus.«

Sie bedachte ihn mit einem Grinsen. »Kriegst du etwa Angst?«

»Ich bin vollkommen panisch.«

»Gut. Dann sind wir ja jetzt quitt.« Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss. »Jetzt kannst du dir während der nächsten Wochen Gedanken darüber machen, was ich an unserem großen Tag wohl trage. Jetzt muss ich aber wirklich los.« Sie tätschelte ihm begütigend die Wange. »Mavis und ich treffen uns in zwanzig Minuten vor dem Eingang des Geschäfts.«

»Eve.« Roarke packte ihre Hand. »Du wirst doch wohl nichts Lächerliches tun?«

Sie riss sich von ihm los. »Ich heirate, oder etwa nicht? Was, bitte, könnte lächerlicher sein?«

 

Sie hoffte, er hätte den ganzen Tag daran zu knabbern. Der Gedanke an ihre Ehe war bereits erschreckend, doch die Vorstellung von der Hochzeit – von den eleganten Kleidern, den Blumen, der Musik und all den Gästen – war mehr, als sie ertrug.

Sie fuhr über die Lexington Avenue in Richtung City, machte eine Vollbremsung und schimpfte laut über einen Verkäufer, der mit seinem rauchenden Gleitstand vor ihr in die Straße bog. Der Verkehrsverstoß als solcher war schon schlimm genug, doch der Gestank verbrannter Sojaburger verschlug ihr regelrecht den Atem.

Entgegen den Vorschriften zum innerstädtischen Lärmschutz lehnte der Fahrer des hinter ihr stehenden Taxis fett auf seiner Hupe und brüllte laute Flüche in sein Mikrofon. Eine Gruppe mit kleinen Kameras, Computerkarten und Ferngläsern beladener Touristen verfolgte mit großen Augen das allgemeine Treiben, und Eve schüttelte den Kopf, als sich ein schnellfingriger Taschendieb geschickt an ihnen vorbeischob.

Wenn sie in ihr Hotel zurückkämen, würden sie bemerken, dass sie um einige Kreditchips ärmer waren. Hätte sie die Zeit gehabt und einen Platz zum Parken ihres Fahrzeugs gefunden, hätte sie sich vielleicht an die Verfolgung des Straftäters gemacht. So jedoch tauchte er unbehelligt auf seinem Luftbrett im Gedränge unter und war, ehe sie nur blinzeln konnte, bereits außer Sicht.

Dies ist eben New York, dachte sie mit einem schwachen Lächeln. Hier leben die Menschen auf eigene Gefahr.

Sie liebte das Gedränge, den Lärm, die beständige Hektik. Man war selten allein, doch beinahe nie mit jemandem vertraut. Weshalb sie vor all den Jahren hierher gekommen war.

Nein, sie war kein Herdenmensch, doch zu viel Platz und zu langes Alleinsein machten sie nervös.

Es war ihr Wunsch gewesen, ein Cop zu werden. Sie glaubte an Recht und Ordnung, brauchte sie zum Überleben. Ihre schlimme, von Missbrauch geprägte Kindheit mit all den weißen Flecken und den dunklen Ecken konnte sie nicht ändern. Doch sie hatte sich verändert. Sie hatte die Kontrolle über ihr Leben übernommen, hatte sich zu dem Menschen geformt, der von irgendeiner anonymen Sozialarbeiterin Eve Dallas genannt worden war.

Und jetzt würde sie sich abermals verändern. Nur noch ein paar Wochen und sie wäre nicht mehr nur Eve Dallas, Lieutenant der Mordkommission. Sie wäre obendrein die Ehefrau von Roarke. Wie es ihr gelingen sollte, diese beiden Rollen miteinander zu vereinen, war ihr ein größeres Rätsel als jeder der Fälle, mit denen sie im Verlauf ihrer Polizeiarbeit je konfrontiert gewesen war.

Weder sie noch er wussten, was es hieß, eine Familie zu gründen und zu haben, Teil dieser Familie zu sein. Sie beide kannten Grausamkeit, Missbrauch und Verlassenwerden. Hatten sie einander eventuell aus diesem Grund gefunden? Weil sie beide wussten, wie es war, nichts zu haben, nichts zu sein, Angst und Hunger und Verzweiflung zu erleben? Weil sie beide die Menschen, die sie heute waren, selbst geschaffen hatten?

Oder war es einfach das Verlangen nach Sex, nach Liebe und nach dem Verschmelzen mit einem anderen Wesen, das für sie, ehe sie Roarke getroffen hatte, unmöglich gewesen war?

Vielleicht sollte sie Doktor Mira diese Frage stellen, der Polizeipsychologin, mit der sie viele ihrer Fälle eingehend besprach.

Doch momentan dachte sie am besten weder an die Zukunft noch an die Vergangenheit, denn die Gegenwart war kompliziert genug.

Drei Blocks oberhalb der Greene Street nutzte sie die Chance und quetschte ihren Wagen in eine kleine Parklücke direkt am Straßenrand. Nach gründlicher Durchsuchung ihrer Taschen fand sie die Kreditchips, nach der die alte Parkuhr mit monotoner Stimme rief, und schob genügend Münzen für die nächsten beiden Stunden in den Schlitz.

Wenn es länger dauern würde, wäre sie bereit für einen Psychiater, und ein Strafzettel wäre ihr dann vollkommen egal.

Sie atmete tief durch und blickte sich um. Es geschah nicht allzu häufig, dass sie direkt in die City kam. Natürlich kam es allerorts zu Morden, aber SoHo war die Hochburg armer, junger Künstler, die ihre Streitereien bei endlosen Gesprächen über kleinen Gläsern billigen Rot- oder Weißweins oder großen Tassen Milchkaffees friedlich beizulegen pflegten.

Der Sommer war in SoHo eingekehrt. Blumenverkäufer boten klassische rote und pinkfarbene Rosen neben gestreiften Hybridgewächsen feil. Dröhnende Autos verstopften die Straßen, und uralte Flieger rumpelten keuchend über den Köpfen der sich auf Gleitbändern und Gehwegen drängenden Passanten durch die Luft. Überall sah man die momentan in Europa modernen, weich fließenden Roben, künstlerisch verzierte Sandalen, elegante Frisuren und schimmernde Bänder, die von den Ohrläppchen bis auf die Schulterblätter herabhingen.

Straßenkünstler boten ihre Ölgemälde, Aquarelle und Computerbilder an den Straßenecken und vor den Geschäften neben Essensständen an, an denen man Hybrid-Früchte, eisgekühltes Jogurt oder konservierungsmittelfreie Gemüseaufläufe bekam.

Lecker.

Mitglieder der in SoHo ansässigen Reinheitssekte glitten in ihren schneeweißen, vom Straßenstaub bedeckten Kleidern, mit leuchtenden Augen und kahl rasierten Köpfen lautlos an ihr vorbei. Eve drückte einem besonders fromm wirkenden Jünger ein paar Kreditchips in die Hand und wurde dafür mit einem engelsgleichen Lächeln und einem auf Hochglanz polierten Kieselstein belohnt.

»Reine Liebe«, wünschte der Frömmling ihr mit seidig weicher Stimme. »Reine Freude.«

»Ja, genau«, murmelte Eve und ging um ihn herum.

Da sie bereits zu weit gegangen war, machte sie entschieden kehrt und marschierte auf das Leonardo’s zu. Der aufstrebende Designer hatte eine Loft im dritten Stock. In den der Straße zugewandten Fenstern drängten sich farbenfrohe Kreationen in diversen Formen, bei deren Anblick sie nervös zu schlucken begann. Sie hatte eine Vorliebe für alles Schlichte – oder, wie Mavis es formulierte –, für alles, was langweilig war.

Sie trat von dem Gleitband und sah sich die ausgestellten Stücke etwas genauer an. Ganz eindeutig hatte der gute Leonardo eher den entgegengesetzten Geschmack.

Beim Anblick der Federn, der Perlen und der Einteiler aus leuchtend buntem Gummi zog sich ihr Magen abermals zusammen. So gern sie auch Roarke geblendet zusammenzucken sähe, träte sie ganz sicher nicht in neongelbem Gummi vor den Traualtar.

Doch das war noch nicht alles. Offensichtlich war der Designer der Ansicht, seine Waren gar nicht auffällig genug zur Schau stellen zu können, denn das Prunkstück des Schaufensters, vor dem sie gerade stand, war ein gespenstisch bleiches, gesichtsloses Modell in einer Wolke transparenter Tücher, die so dramatisch schimmerten, dass man hätte meinen können, er hätte ihnen tatsächlich ein eigenes Leben eingehaucht.

Eve meinte zu spüren, wie der Stoff ganz langsam über ihre Haut kroch.

Uh-uh, dachte sie. Nie im Leben. Sie machte auf dem Absatz kehrt, um hastig zu flüchten, als Mavis fröhlich auf sie zugeschlendert kam.

»Seine Sachen sind von einzigartig kühler Eleganz.« Mavis legte freundlich, doch fest einen Arm um ihre Taille und blickte verträumt in das Schaufenster.

»Hör zu, Mavis –«

»Und er ist unglaublich kreativ. Ich habe einmal zugeguckt, als er ein paar Sachen in den Computer eingegeben hat. Wirklich wilde Dinger.«

»Ja, das glaube ich dir gern. Aber ich denke –«

»Er blickt den Menschen direkt in die Seele«, fuhr Mavis unbekümmert fort. Sie kannte die Seele ihrer Freundin und sie wusste, wenn sie jetzt nicht hart blieb, liefe Eve davon. Mavis Freestone – in ihrem weiß-goldenen Einteiler und den eleganten Pumps mit den siebeneinhalb Zentimeter hohen aufblasbaren Absätzen zart und schlank wie eine Elfe – warf ihre mit weißen Strähnen aufgehellten, dichten schwarzen Locken schwungvoll über ihre Schultern und verzog den Mund zu einem Grinsen. »Lass mich dir versichern, er macht aus dir die coolste Braut von ganz New York.«

»Mavis.« Eve kniff die Augen zusammen. »Ich will einfach etwas, in dem ich mir nicht wie eine komplette Idiotin vorkomme.«

Mavis strahlte, und als sie eine Hand an ihre Brust hob, sah es aus, als flöge das auf ihren straffen Bizeps tätowierte geflügelte Herz jede Sekunde davon. »Dallas, vertrau mir.«

»Nein«, erklärte Eve, während Mavis sie bereits zurück auf das Gleitband dirigierte. »Mavis, ich meine es ernst. Ich werde mir einfach etwas über das Internet bestellen.«

»Nur über meine Leiche«, murmelte die Freundin und zog sie mit sich in Richtung des auf Straßenniveau gelegenen Eingangs. »Das Mindeste, was du tun kannst, ist, dir die Sachen anzugucken und mal mit ihm zu reden. Gib dem Jungen eine Chance.« Sie schob die Unterlippe – wenn magentafarben angemalt, eine unschlagbare Waffe – herausfordernd nach vorn. »Sei kein solcher Feigling, Dallas.«

»Ach, was soll’s, jetzt bin ich einmal hier.«

Mit vor Freude roten Wangen hüpfte Mavis vor der surrenden Sicherheitskamera herum. »Mavis Freestone und Eve Dallas. Wir möchten gern zu Leonardo.«

Die Tür ging quietschend auf und Mavis marschierte schnurstracks in Richtung des alten, käfigartigen Lifts. »Das ganze Haus ist total altmodisch. Ich glaube, Leonardo bleibt vielleicht selbst, wenn er den Durchbruch geschafft hat, weiter mit seinem Laden hier. Du weißt ja, alle Künstler sind irgendwie exzentrisch.«

»Allerdings.« Eve schloss ihre Augen und sprach ein stummes Stoßgebet, als der Fahrstuhl sie beide ruckelnd in die oberen Gefilde des Gebäudes trug. Hinunter nähme sie die Treppe, das war völlig klar.

»Und jetzt zeig dich ganz offen«, wies Mavis sie an, »und lass Leonardo einfach machen, Schätzchen!« Sie schwebte aus dem dunklen Fahrstuhl in einen chaotischen, farbenfrohen Raum. Eve musste sie unweigerlich bewundern.

»Mavis, meine Taube.«

Dann traf es sie wie ein Schlag. Der Mann mit dem Künstlernamen war mindestens einsfünfundneunzig groß und hatte eine Figur wie ein Maxi-Bus. Riesige Muskeln türmten sich unter einer ärmellosen Robe in den blendend grellen Farben eines Sonnenunterganges auf dem Mars. Er hatte ein rundes Pfannkuchengesicht, seine kupferbraune Haut spannte sich über rasiermesserscharfen Wangenknochen. Als er grinste, blitzte in einem seiner Mundwinkel ein kleiner Diamant und seine Augen glänzten wie zwei Goldmünzen.

Er zog Mavis in die Arme, hob sie in die Luft, schwenkte sie schnell und elegant im Kreis und gab ihr einen langen, liebevollen Kuss, der die Befürchtung in Eve wachrief, dass die beiden mehr verband als nur die Liebe zur Mode und allgemein zur Kunst.

»Leonardo.« Strahlend vergrub Mavis ihre Hände in seinen festen, schulterlangen Locken.

»Zuckerpuppe.«

Eve rang erstickt nach Luft und rollte mit den Augen. Ohne jeden Zweifel saß sie ernsthaft in der Klemme. Mavis war wieder mal verliebt.

»Deine Haare sind einfach fantastisch.« Liebevoll fuhr Leonardo mit seinen würstchengroßen Fingern über Mavis’ wilden Schopf.

»Ich hatte gehofft, dass es dir gefallen würde. Das hier …« – sie machte eine dramatische Pause, als wollte sie ihm ihren preisgekrönten Riesenschnauzer zeigen – »… ist meine Freundin Dallas.«

»Ah, ja, die zukünftige Braut. Freut mich, Sie kennen zu lernen, Lieutenant Dallas.« Einen Arm um Mavis’ Taille, schüttelte er Eve gut gelaunt die Hand. »Mavis hat mir schon so viel von Ihnen erzählt.«

»Ja.« Eve blickte auf ihre Freundin. »Mir gegenüber hat sie sich mit Auskünften über Sie eher zurückhaltend gezeigt.«

Er lachte derart dröhnend, dass Eve ernsthaft befürchtete, sie würde vielleicht taub. »Meine kleine Turteltaube kann durchaus verschwiegen sein. Aber jetzt brauchen wir alle erst mal eine Erfrischung«, verkündete er und wirbelte, eingehüllt in einer Farbenwolke, unerwartet leichtfüßig davon.

»Er ist einfach wunderbar, findest du nicht auch?«, wisperte Mavis mit verträumter Stimme.

»Du schläfst mit ihm.«

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie… einfallsreich er ist. Wie…« Mavis klopfte sich auf die Brust und seufzte wohlig auf. »Der Mann ist ein Sexualkünstler.«

»Ich will nichts davon hören. Kein einziges Wort.« Eve runzelte die Stirn und sah sich kritisch um.

Sie standen in einem großen, hohen, mit Blumen und Stoffbahnen voll gestopften Raum. Fuchsienrote Regenbogen, ebenholzschwarze Wasserfälle und mintgrüne Kaskaden ergossen sich von der Decke, entlang sämtlicher Wände, über Tische und Stuhllehnen.

»Himmel«, war alles, was sie herausbrachte.

Schalen und Tabletts mit Bändern, Samtstreifen und Knöpfen, Schärpen, Gürtel, Schleier, Hüte waren ebenso wie strassbesetzte Bodys und halb fertige Kleider aus schimmernden Stoffen überall verteilt.

Es roch wie in einem mit einer Parfümerie verbundenen Blumenladen.

Und es war erschreckend.

Mit bleicher Miene wandte sie sich an die Freundin. »Mavis, ich liebe dich. Vielleicht habe ich dir das noch nie gesagt, aber es ist wirklich wahr. So, und jetzt gehe ich nach Hause.«

»Dallas.« Kichernd legte Mavis eine Hand auf ihren Arm. Für eine Frau von ihrer Größe war sie erstaunlich stark. »Entspann dich. Atme ein paarmal tief durch. Ich garantiere dir, dass Leonardo dich hinkriegen wird.«

»Das befürchte ich auch, Mavis. Genau das befürchte ich.«

»Eisgekühlter Zitronentee«, verkündete Leonardo mit melodiöser Stimme, als er mit einem Tablett und drei Gläsern durch einen unechten Seidenvorhang trat. »Bitte, bitte, nehmt doch endlich Platz. Erst sollten wir uns entspannen und ein wenig kennen lernen.«

Den Blick in Richtung Tür, schob sich Eve auf einen Stuhl. »Hören Sie, Leonardo. Mavis hat Ihnen die Sache vielleicht nicht ganz richtig erklärt. Wissen Sie, ich bin –«

»Sie sind Lieutenant bei der Mordkommission. Ich habe bereits in der Zeitung über Sie gelesen«, erklärte Leonardo und machte es sich – Mavis so dicht neben sich, dass sie fast auf seinem Schoß saß – auf einem geschwungenen Kanapee bequem. »Ihr letzter Fall hat für einige Aufregung gesorgt. Ich muss gestehen, ich war ehrlich fasziniert. Genau wie ich, Lieutenant, stehen auch Sie an jedem Arbeitstag vor irgendeinem neuen Rätsel, das es zu lösen gilt.«

Eve kostete den Tee und hätte vor Überraschung beinahe geblinzelt. Er schmeckte tatsächlich, als hätte Leonardo ihn aus echten Zitronen eben frisch gemacht. »Ihre Arbeit stellt Sie vor Rätsel?«

»Natürlich. Ich sehe eine Frau, stelle mir vor, wie ich sie gerne angezogen sähe. Dann muss ich herausfinden, wer sie ist, was sie ist, wie sie ihr Leben lebt. Was hat sie für Hoffnungen, was für Fantasien, wie sieht sie sich selbst? Und schließlich muss ich all diese Informationen zusammensetzen, um festzulegen, welches Aussehen, welches Image am besten dazu passt. Jede Frau, die zum ersten Mal hierher kommt, ist ein vollkommenes Rätsel, das ich, um meine Arbeit tun zu können, lösen muss.«

Mavis stieß einen Seufzer aus. »Also, Dallas, ist er nicht fantastisch?«

Leonardo lachte und knabberte an Mavis’ Ohr. »Deine Freundin macht sich Sorgen, meine kleine Taube. Sie denkt, dass ich sie in leuchtendes Pink und Flitter stecken will.«

»Klingt doch wirklich toll.«

»Für dich.« Strahlend wandte er sich wieder an Eve. »Sie heiraten also den mächtigen, geheimnisvollen Roarke.«

»Ist zumindest so geplant«, murmelte Eve.

»Sie haben ihn über Ihre Arbeit kennen gelernt. Durch den Fall DeBlass, nicht wahr? Und dann haben Sie ihm mit Ihren rehbraunen Augen und Ihrem ernsten Lächeln den Verstand geraubt.«

»So würde ich es nicht gerade ausdrücken –«

»Nein, das würden Sie nicht«, fuhr Leonardo unerschüttert fort. »Weil Sie sich selbst nicht mit seinen oder meinen Augen sehen. Ganz sicher hat er genau wie ich sofort erkannt, dass Sie eine starke, mutige, nachdenkliche, zuverlässige Person sind.«

»Sind Sie Designer oder Analytiker?«, fragte Eve erbost.

»Man kann nicht das eine ohne das andere sein. Erzählen Sie mir, Lieutenant, wie hat Roarke Sie gewonnen?«

»Ich bin kein Preis, den man einfach gewinnt!«, schnauzte sie und stellte ihr Glas unsanft auf den Tisch.

»Wunderbar.« Er klatschte in die Hände und hätte vor Freude beinahe geschluchzt. »Leidenschaftlich, unabhängig und zugleich ein bisschen ängstlich. Sie geben ganz sicher eine wunderbare Braut ab. Und jetzt machen wir uns am besten endlich an die Arbeit.« Er stand geschmeidig auf. »Los, kommen Sie mit.«

Sie erhob sich ebenfalls. »Hören Sie zu, wir sollten weder Ihre noch meine Zeit unnötig vergeuden. Ich werde einfach –«

»Kommen Sie«, wiederholte er und griff nach ihrer Hand.

»Bitte, Eve, probier es doch wenigstens mal aus.«

Mavis zu Gefallen ließ sie sich von Leonardo unter Stoffkaskaden hindurch in Richtung eines Arbeitstisches führen, auf dessen Oberfläche ein ebensolches Chaos herrschte wie überall im Raum.

Beim Anblick des Computers fühlte sie sich etwas besser. Mit diesen Dingern kannte sie sich aus. Doch angesichts der von ihm erstellten Bilder, die überall hingen oder lagen, sank ihr abermals der Mut.

Fuchsienrot und Glitter waren bei weitem nicht das Schlimmste, was der Designer bot.

Die Modelle mit ihren übertrieben langen Körpern wirkten wie Mutanten. Einige trugen Federn, andere jede Menge Strass, und das bisschen, was man hätte Kleidung nennen können, war derart kühn geschnitten – spitze Kragen, waschlappengroße Röcke, hautenge, durchsichtige Catsuits –, dass sie wirkten wie die Teilnehmer an einem Halloween-Umzug.

»Die Sachen gab es bei meiner ersten Modenschau zu sehen. Wissen Sie, Mode ist eine Verzerrung der Realität. Es geht darum, dass man etwas Verwegenes, etwas Einzigartiges, etwas Unmögliches kreiert.«

»Ich liebe jedes Einzelne der Kleider.«

Eve kreuzte entschieden die Arme vor der Brust und verzog verächtlich das Gesicht. »Es wird eine kleine, schlichte Zeremonie bei uns zu Hause.«

»Hmm.« Leonardo saß bereits vor dem Computer und hämmerte geschickt auf den Tasten herum. »Wie wäre es damit?« Auf dem Monitor erschien ein Bild, bei dessen Anblick Eve das Blut in den Adern gefror.

Das Gewand hatte die Farbe frischen, gelben Urins, und von dem langettierten Kragen bis hin zu dem spitzen, mit faustgroßen Steinen verunzierten Saum ergoss sich ein schlammbrauner Volant. Die Ärmel waren derart eng geschnitten, dass Eve davon überzeugt war, dass man bereits nach zwei Minuten automatisch jedes Gefühl in den Fingern verlor.

Das Bild wurde gedreht, sodass Eve den bis zur Taille freien, mit watteweichen Federn gesäumten Rücken sah.

»Das war nicht wirklich für Sie bestimmt«, erklärte Leonardo und brach beim Anblick von Eves wachsweißem Gesicht in lautes Lachen aus. »Ich hoffe, Sie können mir verzeihen. Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen. Sie brauchen etwas völlig anderes. Nichts übermäßig Zartes. Etwas Schmales, Langes, Schlichtes. Ähnlich einer fließenden Säule.«

Während er sprach, schlug er weiter auf die Tasten und allmählich entstand vor ihrer aller Augen ein völlig neues Bild. Eve vergrub die Hände in den Hosentaschen und blickte auf das dort entstehende Kleid.

Es sah erstaunlich leicht aus. Lange, fließende Linien, subtil betonte Brüste, Ärmel, die oberhalb des Handrückens weich und abgerundet zuliefen. Immer noch unbehaglich, wartete sie darauf, dass er das Traumgewand mit irgendwelchen grauenhaften Accessoires versehen würde.

»Ein paar Kleinigkeiten können wir natürlich gerne ändern«, erklärte er geistesabwesend und drehte abermals das Bild, damit sie den Rücken sah, der ebenso schlank und elegant wie die an den Knien leicht geschlitzte Vorderansicht war. »Einen Schleier wollen Sie sicher nicht haben.«

»Einen Schleier?«

»Nein.« Lächelnd blickte er sie an. »Ganz bestimmt nicht. Der passt nicht zu Ihrer Frisur.«

Eve fuhr sich mit den Händen durch die wirren Stoppeln, über die beinahe jeder irgendwann abfällig sprach. »Wenn es sein muss, kann ich sie ja unter irgendwas verstecken.«

»Nein, nein, nein. Die Frisur passt hervorragend zu Ihnen.«

»Ach, ja?« Sie ließ schockiert die Hände sinken.

»Allerdings. Nur müssten Sie sie ein bisschen in Form bringen. Ich kenne da jemanden –« Er winkte fröhlich ab. »Aber die Farbe, diese diversen Braun- und Goldtöne, und der kurze, nicht ganz gezähmte Schnitt stehen Ihnen wirklich ausgezeichnet. Es müsste tatsächlich höchstens ein bisschen nachgeschnitten werden.« Er kniff die Augen zusammen und musterte sie reglos. »Nein, Sie brauchen weder einen Schleier noch sonst was auf dem Kopf. Ihr Gesicht allein reicht vollkommen aus. Tja, und jetzt zur Farbe und zum Stoff. Sie brauchen echte Seide, und zwar möglichst schwer.« Er verzog schmerzlich das Gesicht. »Mavis sagt, dass Roarke das Kleid nicht bezahlt.«

Eve straffte ihre Schultern. »Schließlich ist es mein Kleid.«

»In diesem Punkt lässt sie einfach nicht mit sich reden«, mischte sich Mavis in die Unterhaltung ein. »Als ob er es überhaupt bemerken würde, wenn er ein paar Tausender weniger hätte.«

»Darum geht es nicht –«

»Nein, darum geht es nicht.« Leonardo begann abermals zu lächeln. »Tja, irgendwie werden wir es auch so schaffen. Nun, welche Farbe wäre passend? Ich glaube, Weiß wäre für Ihren Hauttyp wesentlich zu hell.«

Er presste die Lippen aufeinander, drückte wieder ein paar Tasten, und wider Willen fasziniert verfolgte Eve, wie die Skizze erst schneeweiß, dann cremefarben, blassblau, leuchtend grün und schließlich türkis wurde. Obgleich Mavis immer wieder in Beifallsrufe ausbrach, schüttelte der Designer jedes Mal den Kopf.

Bis er sich schließlich für einen Bronzeton entschied.

»Das ist es. Ja, o ja. Es passt zu Ihrer Haut, Ihren Augen, Ihrem Haar. Sie werden fantastisch aussehen, majestätisch. Wie eine Göttin. Dazu brauchen Sie noch eine Kette, mindestens fünfundsiebzig Zentimeter lang. Besser noch, zwei Stränge, sechzig und fünfundsiebzig. Ich tendiere zu Kupfer mit irgendwelchen bunten Steinen. Rubin, Zitrin, Onyx. Ja, ja, und Karneol und vielleicht ein paar Turmaline. Sprechen Sie darüber am besten mit Roarke.«

Kleider hatten ihr bisher nie etwas bedeutet, doch Eve ertappte sich dabei, wie sie sehnsüchtig seufzte. »Es ist wunderschön«, erklärte sie vorsichtig und ging im Kopf ihre Finanzen durch. »Ich bin nur noch nicht ganz sicher. Wissen Sie, Seide… ist etwas zu kostspielig für mich.«

»Sie kriegen das Kleid zum Selbstkostenpreis, wenn Sie mir etwas versprechen.« Fröhlich begegnete er ihrem argwöhnischen Blick. »Und zwar, dass ich Mavis’ Brautjungfernkleid entwerfen darf und dass Sie meine Entwürfe für Ihre Aussteuer verwenden.«

»An eine Aussteuer habe ich bisher noch gar nicht gedacht. Ich habe Kleider genug.«

»Lieutenant Dallas hat Kleider genug«, verbesserte er sich. »Roarkes Ehefrau jedoch wird andere Kleider brauchen.«

»Vielleicht können wir uns einig werden.« Sie merkte, sie wollte das verdammte Kleid. Sie spürte es bereits auf ihrer nackten Haut.

»Wunderbar. Dann ziehen Sie sich aus.«

Sie zuckte zusammen. »Okay, du Arschloch.«

»Damit ich Maß nehmen kann«, erklärte Leonardo eilig und rollte zur Vorsicht mit seinem Stuhl etwas zurück. Er war ein Mann, der die Frauen liebte und der ihren Zorn verstand, oder anders ausgedrückt, der wusste, dass mit ihnen nicht zu spaßen war. »Sie müssen in mir etwas Ähnliches sehen wie Ihren Arzt. Ich kann das Kleid erst dann passend entwerfen, wenn ich Ihren Körper kenne. Ich bin Künstler und ein Gentleman«, erklärte er mit würdevoller Stimme. »Aber wenn es Ihnen lieber ist, bleibt Mavis vielleicht besser hier.«

Eve legte den Kopf auf die Seite und betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Ich werde schon alleine mit dir fertig, Kumpel. Falls du dich nicht anständig benimmst oder auch nur daran denkst, dich schlecht zu benehmen, wirst du sehr schnell merken, dass ich es ernst meine.«

»Da bin ich ganz sicher.« Behutsam griff er nach seinem Scanner. »Das Ding vermisst Sie haargenau. Aber damit es die richtigen Maße lesen kann, müssen Sie nun einmal nackt sein.«

»Hör auf zu grinsen, Mavis, und hol uns noch drei Gläser Tee.«

»Sicher. Ich habe dich sowieso schon nackt gesehen.« Mit einer Kusshand in Richtung ihres Liebsten entschwand sie aus dem Raum.

»Ich habe noch andere Ideen …« – wieder kniff Eve die Augen drohend zusammen – »in Bezug auf die Kleider. Natürlich brauchen Sie eine völlig neue Grundausstattung. Tageskleider, Abendkleider, förmliche und lässige Garderobe. Wo verbringen Sie die Flitterwochen?«

»Keine Ahnung. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.« Resigniert streifte sie die Schuhe von den Füßen und stieg aus ihren Jeans.

»Dann wird Roarke Sie sicher überraschen. Computer, Datei Dallas, erste Vermessung – Körperumfang, Teint, Größe und Gewicht.« Sie warf ihr Hemd zur Seite und er trat mit dem Scanner auf sie zu. »Füße zusammen, bitte. Größe, ein Meter zweiundsiebzig. Gewicht fünfundfünfzig Kilo.«

»Seit wann schlafen Sie mit Mavis?«

Er gab weitere Daten in den Kasten ein. »Seit ungefähr zwei Wochen. Ich habe sie sehr gern. Taillenumfang fünfundsechzig Komma fünf.«

»Haben Sie angefangen, mit ihr zu schlafen, bevor oder nachdem sie Ihnen erzählt hat, dass ihre beste Freundin Roarke heiraten wird?«

Er erstarrte und in seinen Augen blitzte heißer Zorn. »Ich benutze Mavis nicht, um irgendwelche Aufträge zu ergattern, und falls Sie das denken, beleidigen Sie sie.«

»Ich wollte es nur wissen. Ich habe sie nämlich ebenfalls sehr gern. Und wenn wir uns handelseinig werden wollen, sollten wir besser mit offenen Karten spielen, das ist alles. Also –«

Die Unterbrechung kam urplötzlich in Gestalt einer zornbebenden Frau in einem hautengen, schmucklosen, schwarzen Anzug, die wie ein Komet hereingeschossen kam, die perfekten Zähne bleckte und die todbringenden zentimeterlangen roten Fingernägel in den Handflächen vergrub.

»Du doppelzüngiger, hinterhältiger, verlogener Hurensohn.« Wie eine Rakete flog sie durch den Raum, und mit einer aus Todesangst geborenen Schnelligkeit und Eleganz machte Leonardo einen Satz zurück. »Pandora, ich kann dir alles erklären –«

»Dann erklär mir zuerst das hier.« Sie wandte sich in ihrem Zorn an Eve, fuhr ihre Krallen aus und hätte ihr beinahe die Augen ausgekratzt.

Es gab nur eine Möglichkeit. Eve versetzte ihr einen Fausthieb, der sie zu Boden gehen ließ.

»O Gott, o Gott.« Leonardo ließ die breiten Schultern hängen und rang entsetzt die Pranken.