Die Theodor-Herzl-Dozentur wird unterstützt von:
Stadt Wien,
Kuratorium für Journalistenausbildung. Österreichische Medienakademie,
Universität Wien.
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Hannes Haas – Das Publikum braucht Aufklärung, aber die Aufklärung braucht auch Publikum. Anmerkungen zum Interviewer, Nachrichtenmoderator und Politikwissenschafter Armin Wolf – Vorwort
Drei Vorlesungen zur Poetik des Journalismus – (April/Mai 2012)
»Wenn die Nachricht so wichtig ist, wird sie mich finden« – Wie sich die Mediennutzung verändert – und was Journalistinnen und Journalisten daraus lernen können und müssen
»Wozu brauchen wir noch Journalistinnen und Journalisten? – Was können professionelle Medien, was Blogger, Wikileaks und Wikipedia (noch?) nicht können?
»Das war nicht meine Frage« – Warum Politiker-Interviews noch immer sinnvoll sind – auch wenn es nicht immer so aussieht
Aus der Werkstatt
Über E-Journalismus, U-Journalismus und K-Journalismus. – Festrede für die Absolventinnen und Absolventen der FH Journalismus in Wien
Vom Gleichgewicht ist nur mehr der Schrecken geblieben. – Dankesrede bei der Verleihung des Robert-Hochner-Preises 2006
Falscher Zynismus. – Warum Anton Pelinka mit seinem Beitrag in der »Zeit« zur ORF-Debatte irrt – und ich lieber naiv bleibe. Eine Erwiderung
»Reines Dialektradio, ganz schlecht gemachter Beitrag, grauenvoll, unglaublich, dass das gesendet worden ist.«1 So hart urteilt er über seinen ersten Beitrag als Radioreporter für das ORF Landesstudio Tirol. Achtundzwanzig Jahre später ist Armin Wolf stellvertretender Chefredakteur im ORF-Fernsehen und Anchorman der Zeit im Bild 2, der bekannteste Fernsehjournalist des Landes und der beste Live-Interviewer. Er hat eine beträchtliche Fan-Gemeinde und das nicht obwohl, sondern weil er sich gar nicht bemüht, Everybody’s Darling zu sein. Armin Wolf polarisiert: Manche finden seine Interviews zu hart, zu insistierend, zu böse. Andere nennen das kritischen Journalismus und lieben es. Armin Wolf war der »Theodor-Herzl-Dozent für Journalismus 2012«. Dieses Buch enthält seine Vorlesungen an der Universität Wien, Reden zur Unabhängigkeit des ORF und zur Ermutigung junger Journalistinnen und Journalisten sowie einen Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit zu einer das Land bewegenden ORF-Personalie Ende 2011.
1 »Die Gäste kommen nicht, um meine Fragen zu beantworten.« in: Tiroler Tageszeitung vom 6.1.2013.
Es gibt mehrere Gründe, die Armin Wolf zum idealen Herzl-Dozenten machen. Er moderiert jeweils von Montag bis Mittwoch die halbstündige ZiB2 und liefert dort kontinuierlich journalistischen »Public Value«, also jenen gesellschaftlichen Mehrwert, den der öffentlich-rechtliche Rundfunk so dringend braucht. Sein Ruf als Anchorman reicht über die Landesgrenzen. Seit über zehn Jahren führt er ohne größere Formschwankungen souverän durch seine Sendung. Armin Wolfs Markenzeichen sind seine Live-Interviews, die er zu einem Instrument der journalistischen Aufklärung für das Publikum gemacht hat. So hatte ich ihn angekündigt. Die Reaktion war – dezent formuliert – überwältigend, der Bildungshunger schier grenzenlos. Kaum war die Nachricht in den Medien, wer der Theodor-Herzl-Dozent 2012 sein würde, war klar, dass wir ein Problem hatten – ein Raumproblem.
Der Hörsaal 47 im ehrwürdigen Hauptgebäude der Universität Wien ist ein schöner, heller, technisch hervorragend ausgestatteter Saal. Aber nach kaum einer Stunde hatten Hunderte Menschen auf den diversen Foren begeistert ihr Kommen angekündigt und »mindestens das Audimax für Armin Wolf« gefordert. Wir folgten dem Wunsch des Schwarms und wechselten in den größten Hörsaal der Universität Wien. Der Aufwand hat sich gelohnt: Mehr als tausend Hörerinnen und Hörer folgten – im knapp achthundert Personen fassenden Audimax – den Herzl-Vorlesungen von Armin Wolf.
Wolf bewies in diesen Vorlesungen eindrucksvoll, dass er nicht nur das ZiB2-Format beherrscht, sondern über neunzig Minuten didaktisch geradezu aufblüht. Seine Bemerkung, dass er am liebsten Universitätsprofessor geworden wäre, unterstrich er durch eine ausgereifte Ars docendi. Streamings und YouTube-Aufzeichnung hatte er als überzeugter Anhänger der Präsenzuniversität abgelehnt und auch mit seinem Wunsch nach Diskussion mit den Hörerinnen und Hörern begründet. Tatsächlich bewiesen er und das Publikum, dass in den guten Momenten – die wir an drei Abenden hatten – auch Diskussionen mit tausend Menschen möglich sind und gelingen können. Am letzten Abend hatten wir (trotz zeitgleich übertragener Fußball-EM) über neunzig Minuten diskussionsintensiver Nachspielzeit. Dagegen verblasst selbst der Überzieher Gottschalk.
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Armin Wolf war unser 14. »Theodor-Herzl-Dozent für eine Poetik des Journalismus«. Die Dozentur ist nach dreizehn Jahren etabliert, das Interesse groß. Die Herzl-Dozentur ist ein Statement für Qualitätsjournalismus. Jahr für Jahr schreiben wir den Kanon eines Qualitätsjournalismus fort, Jahr für Jahr stellen wir unter Beweis, dass es auch unter schwierigen Rahmenbedingungen exzellente Qualität im Journalismus gibt. Wir führen diesen Beweis anhand von Personen. Auch wenn ich die Letztentscheidung alleine treffe und verantworte, hat sich im Lauf der Jahre ein informelles Beratungsgremium aus Wissenschaft und Journalismus gebildet, dem an dieser Stelle herzlich gedankt sei.
Herzl-Dozentinnen und -Dozenten stehen für einen Journalismus auf höchstem Niveau, der sich seiner Aufgaben für Gesellschaft und Demokratie bewusst ist. Die Journalistinnen und Journalisten, die wir einladen, haben etwas geleistet, das wir »ein Werk« nennen. Ein Werk, über das sich zu reflektieren lohnt. Die Frage der journalistischen Qualität soll über eine universitäre in eine allgemeine Öffentlichkeit getragen werden, die Vorlesungen sind auch für nicht studierende Interessierte frei zugänglich. »Poetik« bedeutet übrigens »schöpferisch tätig sein, herstellen, verfertigen«. Darum geht es: Die »Poetik des Journalismus« analysiert journalistische Werke, die Bedingungen ihrer Entstehung, die Methoden und Verfahren, die Kontexte und Herstellungsprozesse. Darüber und über ihre Position, ihre Arbeitsweisen und ihren Zugang zum Journalismus sprechen die Journalistinnen und Journalisten in ihren Vorträgen. Die Dozentur versteht sich als Teil einer langen und internationalen universitären Tradition, die in den Bereichen von Musik, Literatur und Kunst selbstverständlich geworden ist. Wir meinen, dies sollte auch für einen Journalismus mit gesellschaftlichem Mehrwert gelten.
Für die organisatorische Unterstützung danke ich Dr.in Petra Herczeg und Martina Winkler, die sich schon seit der Gründung der Dozentur für dieses Projekt engagieren, ganz herzlich! Sie haben seit 2000 folgende Dozentinnen und Dozenten betreut: Margrit Sprecher, Kai Hermann, Elizabeth T. Spira, Herbert Riehl-Heyse, Peter Huemer, Luc Jochimsen, Klaus Harpprecht, Gerhard Kromschröder, Sibylle Hamann, Antonia Rados, Alice Schwarzer, Florian Klenk, Heribert Prantl und Armin Wolf.
Besonderer Dank gebührt Nina Putz für technischen und administrativen Support sowie unseren Studierenden Mario Aberl, Karol Nuhn, Paloma Schretter, Stefanie Slamanig und Harald Stoiber, die das gefährliche Gedränge bei den Saaleingängen sicher dirigiert und als »wandernde Mikrofone« spannende Diskussionen möglich gemacht haben.
Die Theodor-Herzl-Dozentur wird von der Stadt Wien, dem Kuratorium für Journalistenausbildung und der Universität Wien unterstützt. Vielen Dank dafür, die Veranstaltungen wären ohne diese Sponsoren nicht möglich. Danke schließlich an unsere Verleger Dr. Alexander Potyka und Dorothea Löcker sowie ihr Team bei Picus, die Jahr für Jahr die Herzl-Vorlesungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Und Dank an den Gründer der Dozentur, Wolfgang R. Langenbucher, der mir 2008 die Leitung übergeben hat.
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Armin Wolf wurde am 19. August 1966 in Innsbruck geboren. Er wuchs – so das Munzinger-Archiv – als Sohn einer konservativen Arbeiterfamilie in einer Sozialwohnbausiedlung im ehemaligen Olympischen Dorf auf. Sein Vater arbeitete als Hausmeister und Taxifahrer, die Mutter als Lebensmittelverkäuferin. Die Eltern engagierten sich politisch, der Vater als Betriebsratsobmann, die Mutter in der ÖVP-Frauenbewegung. Auch Armin Wolf war in seiner Schulzeit im Vorstand der Schülerunion und als Mitglied der Jungen Volkspartei politisch tätig, mit achtzehn Jahren trat er aber wieder aus. Und nirgendwo mehr bei, das ist ihm wichtig.
Wie bei unserem letztjährigen Herzl-Dozenten Heribert Prantl sorgte auch bei Wolf die Großmutter für eine frühe journalistische Prägung. Er erinnert sich: »Meine Großmutter hatte seit ewig den Spiegel abonniert und die Weltwoche, die damals noch im Zeitungsformat erschienen ist. Wenn die neuen Ausgaben kamen, gingen die vorherigen an meinen Vater weiter. Und wenn er sie dann im Taxi am Standplatz durch hatte, bekam ich sie und habe sie, seitdem ich etwa 13 war, jede Woche mit großem Interesse gelesen.« 1981, an der Handelsakademie in Innsbruck, verweigerte ihm die Chefredakteurin die Mitarbeit bei der Schülerzeitung, weil er als Erstklässler zu jung dazu sei. Also gründete er selbst eine Schülerzeitung mit dem Namen Brennessel. Es war eine erfolgreiche Gründung, die alte Schülerzeitung musste eingestellt werden. Und Wolf weiter: »Kurz darauf, im Dezember 1981, erschien das profil mit einer Titelstory ›Die Journalisten‹, die ich zufällig in einer Trafik sah. Die fand ich wirklich spannend – und sie hat mich zum profil-Leser gemacht.«
Von seinem Sitzplatz in der Maturaklasse konnte er auf das Dach des ORF Landesstudios Tirol hinunterschauen. Am Tag nach seiner schriftlichen Matura begann er dort als freier Mitarbeiter, nicht so sehr um Journalist zu werden, sondern um sich das Studium der Politikwissenschaft im Hauptfach sowie der Soziologie, Zeitgeschichte, Medienkunde und Pädagogik an der Universität Innsbruck zu finanzieren. Der eigentliche Berufswunsch lautete: Universitätsprofessor für Politikwissenschaft. Die Arbeit im ORF verzögerte das Studium. Was sich wie die typische österreichische Journalistenbiografie vom erfolgreichen Studienabbrecher zu lesen anschickt, geht ganz anders weiter. Davon gleich mehr. Wolf macht in der Folge im ORF zunächst Karriere beim Radio, nach der Lehrzeit in Tirol wechselt er 1988 als außenpolitischer Redakteur nach Wien, berichtet unter anderem über die »Samtene Revolution« in Prag 1989, über die Slowenien-Krise 1991, die ersten demokratischen Wahlen in der damaligen ČSSR, in Polen, Albanien und Südafrika, und liefert Reportagen aus Israel, Jordanien, Saudi-Arabien und dem Irak. 1991–1992 ist er USA-Korrespondent im ORF-Büro Washington, D.C. und nach seiner Rückkehr nach Wien noch kurz innenpolitischer Redakteur beim Radio, ehe er 1995 als Redakteur und Chef vom Dienst zur ZiB2 und damit zum Fernsehen wechselt. Das war definitiv nicht sein Ziel gewesen: »Interessanterweise war dabei das Medium, das mich immer am wenigsten interessierte, das Fernsehen. Letztlich bin ich aber genau dort gelandet und das seit mittlerweile 18 Jahren. ;-)« (Armin Wolf via Mail am 18.1.2013)
1997 konzipiert und entwickelt er gemeinsam mit Andrea Puschl und Lorenz Gallmetzer das neue Sendungsformat ZiB3 (heute ZiB24), baut gemeinsam mit Johannes Fischer die Redaktion auf und leitet die neue Spätnachrichten-Sendung. Die Sendung gewinnt 1999 den Fernsehpreis Romy (für die »Beste Programmidee«). Im selben Jahr schließt er – kein Studienabbrecher! – am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien sein Studium mit dem Magister ab, das Thema seiner Abschlussarbeit: »Die Inszenierung von Politik in der Mediengesellschaft«.
2002 wird er Chefreporter und ZiB2-Moderator, 2010 stellvertretender Chefredakteur der TV-Information des ORF. Der »Journalist des Jahres« (2004) erhält 2005 den Concordia-Preis für Pressefreiheit. Wolf moderiert in diesen Jahren neben zahlreichen Sondersendungen die Pressestunde, das Diskussionsformat Offen Gesagt und führt 2005 die ORF-Sommergespräche, ausführliche einstündige Interviews mit den Chefs der Parlamentsparteien.
Für die ORF-Sommergespräche wird er 2006 mit dem Robert-Hochner-Preis ausgezeichnet. Die festliche Preisverleihung in der Wiener Hofburg verlässt er als Instanz im Ringen um journalistische Unabhängigkeit. Er hatte das Ausschreibungskriterium der »kritischen Haltung gegenüber Machthabern aller Art« zum Motto seiner Rede gemacht und mit deutlichen Worten die politische Einflussnahme im ORF angeprangert. Es war eine mutige Rede, ein Aufruf zum aufrechten Gang und ein ergebnisoffener Akt. Das angegriffene Imperium hätte zurückschlagen können. Wir haben seine Rede als Zeitdokument in dieses Buch aufgenommen. Breiter öffentlicher Zuspruch, großes Medienecho und vor allem nachfolgende Entwicklungen zum Besseren lohnten seine Bereitschaft zum Konflikt für die gute Sache, die Verweigerung des Arrangements mit der Realpolitik und die Pflicht zum Ungehorsam angesichts der bedrohten journalistischen Unabhängigkeit. Es sollte nicht die einzige und nicht die letzte öffentliche Intervention des Armin Wolf bleiben.
2006, 2007 und 2012 erhielt er die Romy als beliebtester Nachrichtenmoderator, 2007 den Claus-Gatterer-Preis, 2008 wird er zum »Ehrenbürger der Universität Innsbruck« ernannt. Es muss zu jener Zeit gewesen sein, dass er die sozialen Medien für sich entdeckte. Und während die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen noch Facebook übten, machte er Twitter zu seinem Instrument. Zu Zeiten seiner Herzl-Vorlesungen betrieb er mit 40.000 Followers schon den bei Weitem meistgelesenen Twitter-Account Österreichs. Heute sind es 70.000 und seine Facebook-Fanpage steht bei 95.000 Fans. Er wurde dafür 2012 zum »Onliner des Jahres« gewählt und als »Kommunikator des Jahres« ausgezeichnet. Armin Wolf ist im Netz nicht nur präsent, sondern äußerst aktiv, nutzt die Möglichkeiten zum Dialog, zur Information, zum Streit, zum Spaß, zum Kommentar, für Hinweise auf seine Sendung, für Feedback, Sendungskritik et cetera. Gerade mit seinen Social-media-Aktivitäten schafft er es, die an Nachrichten immer weniger interessierten junge Leute neugierig zu machen. Seine Sendung zu versäumen können sich nur jene leisten, die sowieso nicht mitreden wollen. Er hat ihre Zahl kleiner gemacht. Und wer die immer häufiger praktizierte Nutzungskombination von TV plus Tablet kennt, kann einen während (!) der Sendung twitternden Wolf erleben, der die Zeit zwischen den Moderationen nutzt.
Auch wenn die Interviews und Beiträge im Zentrum der Sendung stehen, ist es doch der rituelle Schemabruch am Ende, der zu einem zusätzlichen Markenzeichen geworden ist. Wolf entlässt seine Zuschauer bisweilen mit einem kurzen witzigen Beitrag, leitet aber immer mit einer trocken-humorvollen Schlusspointe zum Wetterbericht über. Diese Überleitung genießt ebenso Kultcharakter wie die Verabschiedung der Zuseher auf 3sat. Für Aufsehen sorgt Wolfs Bereitschaft zum »practical joke«, zu kleineren, aber im seriösen Ambiente völlig unerwarteten und darum auch umso wirksameren schauspielerischen Darbietungen, die eine ordentliche Portion an Selbstironie verlangen. Beispiele? Etwa seine Erklärung des »Planking«-Hypes (wenn Sie es nicht wissen sollten, geben Sie auf YouTube einfach »Wolf« und »Planking« ein), die er auf dem Studiotisch liegend vorführte. Sein Generaldirektor lobte via Twitter solch anschauliche Erfüllung des Bildungsauftrags. Oder seine Hommage an den gerade mit dem Oscar prämierten Film »Silent Movie«, die darin bestand, dass er in Stummfilmmanier auf einem Zettel lautlos »Das Wetter« ankündigte. Bei Minusrekorden kostümierte er sich für den Wettergag mit Pelzmantel und Polarhaube. Abgesehen davon, dass Wolf das Gefühl vermittelt, dass ihm das selber Spaß macht, bringt es Quote. Und zwar für Qualität.
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Wer neben einer fordernden Berufstätigkeit sein Studium absolviert hat, beginnt sich mit Fragen der Life balance zu beschäftigen, eine Kennerschaft für Rotweine und/oder seltene Single Malts zu entwickeln oder Golf zu spielen – kurzum, nach entbehrungsreicher wissenschaftlicher Einsamkeit das Leben zu genießen. Vielleicht hat er das auch gemacht (auf den ORF-Seiten werden als Hobbys Viellesen – angeblich fünfundzwanzig Print-Abos! –, Theater, Kino, Oper, Ö1 und Reisen genannt), aber zusätzlich beschloss er, noch ein Doktoratsstudium der Politikwissenschaft anzuhängen. Solche Intellektualität und die Offenheit gegenüber der Wissenschaft ist im allgemein etwas bildungsfernen österreichischen Journalismus eine Besonderheit. Natürlich kann man auch Pressekonferenzen als Bildungserlebnisse erfahren, aber nur, wenn man noch keine wirklichen Bildungserlebnisse hatte oder suchte.
Betreut vom Innsbrucker Politologen Fritz Plasser promovierte er 2005 mit einer Arbeit zum Thema: »Image-Politik. Prominente Quereinsteiger als Testimonials der Politik«, die Doktorarbeit erschien zwei Jahre später im angesehenen Wissenschaftsverlag Nomos. Er hat Aufsätze in wissenschaftlichen Bänden veröffentlicht und – wer weiß – vielleicht arbeitet er an seinem Zweitwohnsitz in den ruhigen Waldviertler Nächten heimlich an seiner Habilitation. Wir erinnern uns an seinen Berufswunsch …
Er war Magister, Doktor gar – und hatte immer noch nicht genug. Auf einem Karrierehöhepunkt angelangt (dem spätere folgen sollten), entschied er sich für eine Bildungskarenz (ein riskanter Schritt, wussten die üblichen Insider, »weg vom Schirm«), um ein Executive MBA-Programm an der Berlin School of Creative Leadership der Steinbeis-Hochschule Berlin zu absolvieren. Für den MBA (2010) schrieb er eine Master Thesis über »Young Audiences, Mass Media, and Political Information«. Es gab, weil in der ORF-Information ausgezeichnete Journalistinnen und Journalisten arbeiten, auch eine ZiB2 ohne Armin Wolf, aber seine ZiB2 gibt es nur mit ihm. Sein Ausbildungspaket könnte bei der Besetzung künftiger ORF-Führungspositionen eine Rolle spielen. Schließlich werden solche Stellen ausschließlich nach Qualitätskriterien vergeben.
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Innere Pressefreiheit und couragierte journalistische Selbstbehauptung in einem Feld politischer Begehrlichkeiten sind seine immer wieder aufgegriffenen Themen. Dass Freiheit und Unabhängigkeit kontinuierliche Wachsamkeit verlangen, zeigte sich bei der Affäre um Niko Pelinka Ende 2011. Der Generaldirektor des ORF hatte noch kurz vor Weihnachten in der medial vermeintlich ruhigsten Zeit des Jahres eine umstrittene Personalentscheidung durchwinken wollen. Pelinka, der Leiter des SPÖ-Freundeskreises im Stiftungsrat des Unternehmens, hätte zum Büroleiter des Generaldirektors ernannt werden sollen. Armin Wolf twitterte sofort seinen Protest und initiierte damit eine Welle des Widerstands ungeahnten Ausmaßes. Höhepunkt war ein auf YouTube gestelltes Protest-Video der ORF-Journalistinnen und -Journalisten, das mehr als 600.000 Mal abgerufen wurde. Dieser Widerstand war dem Management und den Medienpolitikern so neu, dass sie schockstarr über mehrere Wochen nichts taten. Die missglückte Entscheidung wurde, viel zu spät aber doch, zurückgenommen.
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Der gängigen Unterscheidung von U- und E-Journalismus fügt Armin Wolf eine dritte Spielart hinzu: den K-Journalismus. Während das »U« für unterhaltenden und das »E« für ernsthaft-seriösen Journalismus steht, meint er mit »K« den Kampagnen- und den Kommerz-Journalismus. Seine Definition der K-Journalismen: »Kommerz-Journalismus ist als Journalismus verkleidete Anzeigenkeilerei. Kampagnen-Journalismus ist als Journalismus verkleidete Politik.« Seine Interviews sind E-Journalismus.
Für Wolf sind Live-Interviews eine der »seltenen Gelegenheiten, in denen sich führende politische Entscheidungsträger kommunikativen Situationen ausgesetzt sehen, die sie nicht zum Großteil (vor-)inszenieren und kontrollieren können«. Bei der Verleihung des Concordia-Preises 2005 charakterisierte Falter-Chefredakteur Armin Thurnher ihn in seiner Laudatio als »seltene Erscheinung, der in Zeiten permanenter Gesprächsverweigerung seitens der Politik nicht nur die richtigen Fragen stellt, sondern auch hartnäckig nachfragt«.
Die Aufgabe des Journalismus ist Aufklärung. Die dialektische Perspektive hilft weiter: Das Publikum braucht Aufklärung und die Aufklärung braucht Publikum. Um dieses Publikum bemüht er sich redlich, er bindet es als »Dr. Twitter« ein, bewirbt dort nicht nur die Sendung und kündigt den Studiogast an, sondern fordert auch dazu auf, interessante Fragen zu schicken. Auf die Interviews bereitet er sich akribisch vor. Belesen und vielseitig interessiert, wissenschaftlich trainiert und journalistisch erfahren, das sind gute Voraussetzungen für kompetente Recherchen. Dazu kommt die Bereitschaft, viele Stunden in die Vorbereitung zu investieren.