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INHALTSVERZEICHNIS

Zitat

No 1 – Animal Print

No 2 – Ballerinas

No 3 – Betrügerchen

No 4 – Bikini

No 5 – Bomberjacke

No 6 – Brautkleid

No 7 – Bubikragen

No 8 – Büstenhalter

No 9 – Caprihose

No 10 – Cardigan

No 11 – Chanel-Jäckchen

No 12 – Dufflecoat

No 13 – Espadrilles

No 14 – Fascinator

No 15 – Flipflops

No 16 – Gummistiefel

No 17 – Hausmantel

No 18 – Hotpants

No 19 – It-Bag

No 20 – Jeans

No 21 – Jogginghose

No 22 – Kamelhaarmantel

No 23 – Karomuster

No 24 – Keilabsatz

No 25 – Kitten Heels

No 26 – Kleines Schwarzes

No 27 – Marineshirt

No 28 – Mary Janes

No 29 – Minirock

No 30 – Monokini

No 31 – Moon Boots

No 32 – Norwegerpullover

No 33 – Overall

No 34 – Overknee-Stiefel

No 35 – Pailletten

No 36 – Paisleymuster

No 37 – Panamahut

No 38 – Parka

No 39 – Plateauschuh

No 40 – Plisseerock

No 41 – Pullover

No 42 – Pyjama

No 43 – Reißverschluss

No 44 – Rollkragen

No 45 – Schößchen

No 46 – Spitze

No 47 – Strumpfhose

No 48 – Tanktop

No 49 – Trenchcoat

No 50 – T-Shirt

Quellenverzeichnis

Impressum

INHALT



» Über die Autoren

» Über das Buch

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» www.keinundaber.ch

ÜBER DIE AUTOREN

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Katharina Blansjaar, geboren 1977 in Deventer in den Niederlanden, lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Zürich. Sie ist Verfasserin eines Stilratgebers für Frauen und leitete während mehrerer Jahre das Ressort »Stil« der NZZ am Sonntag. Dort schrieb sie unter anderem die Kolumne »Strassentauglich«, in der sie nach den Geschichten hinter den Dingen, die wir tragen, suchte. Dieses Buch entstand, weil es immer noch eine Geschichte hinter der Geschichte gibt.

www.rinneke.ch

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Daniel Müller, geboren 1964 in Baden in der Schweiz, studierte an der Kunstgewerbeschule Luzern und an der Schule für Gestaltung Zürich. Seit 1993 lebt und arbeitet er als freier Illustrator in Zürich. Seine Arbeiten sind in diversen Zeitschriften und Büchern zu finden. Bei Kein & Aber sind von ihm bereits Stil zeigen und Leichter reisen mit Texten von Philipp Tingler, Wie Bismarck auf den Hering kam mit Texten von Petra Foede und Homestories mit Texten von Elke Heidenreich erschienen.

www.illumueller.ch

ÜBER DAS BUCH

Träumen Sie auch davon, einen eigenen Stil zu haben?

Wer in Kleiderfragen zwischen modisch und modern unterscheiden können will, muss wissen, wo alles beginnt. Die ersten Parkas stanken nach Fischöl, das kleine Schwarze glich eher einem bodenlangen Sack als einem Kleid mit Klasse, und Ballerinas hätten sich ohne Audrey Hepburn niemals durchgesetzt:

50 textile Entstehungsgeschichten, garniert mit Tipps, wie man heute in den großen Klassikern am schönsten daherkommt. Ein überraschendes, anregendes und stilvoll illustriertes Handbuch.

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»Dafür, gelegentlich ein wenig zu gut angezogen zu sein, kann man nur büßen, indem man jederzeit viel zu gut gebildet ist.«

Oscar Wilde

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Man könnte sich unter »Animal Print« im Grunde auch Kuhflecken vorstellen. Oder die gestreiften Felle von Zebras und Tigern, die ja tatsächlich hin und wieder auf Kleidungsstücke gedruckt werden. Eigentlich aber reden wir, wenn wir vom »Animal Print« reden, fast immer vom Leopardenmuster. Und oft reden wir ein wenig abschätzig davon, denn es ist ein Muster, das polarisiert und bei dem der schmale Grat zwischen »sexy« und »billig« zu Messers Schneide wird.

Im alten Ägypten war das Fell der Raubkatze den Hohepriestern vorbehalten, im Mittelalter schmückten sich Könige damit. Und während man sich in vielerlei Hinsicht darüber freuen darf, dass nach der Aufklärung und der Französischen Revolution die Unterschiede zwischen den Ständen schwanden und sich nun auch Bürger Dinge leisten durften, die zuvor dem Adel vorbehalten waren, bedeutete dies für den Leoparden nichts Gutes.

Seinen ersten großen Auftritt in der modischen Moderne hatte das Leopardenfell 1925 in Form eines Mantels. Die Schauspielerin Marian Nixon trug ihn in Los Angeles spazieren – absurderweise führte sie an der Leine neben sich eine lebendige Variante des Tieres, das sie da tot am Körper hatte. So viel Extravaganz brachte zwangsläufig Nachahmer auf den Plan, und weil das Halten eines lebendigen Leoparden doch mit arg viel Aufwand verbunden ist, interessierten sich die gut betuchten Damen eher für die tote Version in Form eines Kleidungsstücks. Die Jagd war eröffnet.

Alle großen Couturiers versuchten sich nun an Kleidungsstücken und Accessoires aus Leopardenfell, und die Damen der besseren Gesellschaft rissen ihnen die exklusiven Teile förmlich aus den Händen. Da half es nur wenig, dass Christian Dior bereits 1947 in seiner Kollektion zwei Kleider mit Leopardenmuster zeigte, für die kein Tier hatte sterben müssen – es handelte sich um Stoffdrucke. Zwar wurde das Muster dadurch umso beliebter und fand sich nun auch auf Badekleidern für die »anständige« Frau (zuvor hatten nur Starlets wie Bettie Page knappe Höschen mit solch verwegenen Mustern getragen, nun tat es auch Liz Taylor), doch jene, die es sich leisten konnten, setzten weiterhin auf echten Pelz.

Und dann kam Jackie O. Besser gesagt Jacqueline Kennedy, denn so hieß sie damals noch, als sie Ehefrau des amerikanischen Präsidenten und eine der wichtigsten Stilikonen überhaupt war. Ihre Kostüme und Pillbox-Hütchen wurden tausendfach kopiert und von Frauen in aller Welt förmlich angebetet. Verantwortlich für den wegweisenden Look war der Modedesigner Oleg Cassini. Ob er auch die Idee für ihren Mantel aus Leopardenfell hatte, ist heute unklar – es wird Verschiedenes behauptet, und in Zeitungsberichten aus den 60er-Jahren gibt es gar Vermutungen, die Felle seien ein Geschenk eines afrikanischen Diktators gewesen. Unbestritten ist dagegen, dass Jackie Kennedy Unsummen für ihre Garderobe ausgab – auf Staatskosten. Allein im Jahr 1962, als sie erstmals im Leopardenmantel auftrat, waren es stolze 121000 US-Dollar.

Was Jackie hatte, das wollten alle anderen, die es sich leisten konnten, auch.

Unfassbare 250000 Leoparden sollen in den folgenden Jahren ihr Leben gelassen haben, weil Tausende von wohlhabenden Frauen der Präsidentengattin nacheiferten und sich mit dem edlen Tierfell schmücken wollten. Belegt ist diese Zahl nicht, eine andere aber schon: Allein im Jahr 1968 wurden 9556 Leopardenfelle in die USA importiert. Erst in den 70er- und 80er-Jahren kam der Tierschutz auf die politische Agenda und in vielen Ländern wurden Gesetze und Importverbote zum Schutz gefährdeter Arten erlassen.

Von da an dominierten falsche Leoparden die Mode – ob nun als Webpelz oder Stoffdruck. Vielleicht lag es ja am Umschwenken auf Imitate, dass etwa ab demselben Zeitpunkt der Leo-Look plötzlich nicht mehr als edel und verrucht, sondern als billig und fast schon ein wenig schlampig galt. Nicht mehr der Adel trug nun Animal Prints, sondern der Pöbel. Nacktmodelle posierten in tierisch bedruckten Schlüpfern, Rockmusiker wie Axl Rose und Rod Stewart trugen enge Hosen und Oberteile im Leopardenprint auf der Bühne. In Großbritannien verkörperte die Schauspielerin Julie Goodyear in der Kultserie Coronation Street eine Pubbesitzerin der Arbeiterklasse – und trug dazu ein Überangebot an Animal Prints. Ein amerikanisches Pendant gab es auch; Peggy Bundy, die dümmliche und ordinäre Frau von Al aus Married with Children (Eine schrecklich nette Familie).

Oleg Cassini übrigens, der Designer jenes Mantels, der den Leoparden nah an seine Ausrottung brachte, wurde später zum Tierschützer. Er bereute, Jackie Kennedys Mantel überhaupt gemacht zu haben, und entwickelte, sozusagen als Wiedergutmachung, in den 90er-Jahren einen Webpelz aus Mikrofaser. »Ich würde meine Pelze nie ›falsch‹ nennen«, sagte er bei der Präsentation. »Dieser Begriff deutet auf etwas Billiges hin, auf eine mindere Qualität.« Doch es dauerte noch Jahre, bis »falsche« Pelze ihren schlechten Ruf endlich abgestreift hatten.

Inzwischen ist Webpelz vor allem aus ethischer Sicht der »bessere« Pelz. Als Mantel im Leo-Look sollte er aber mit Vorsicht getragen werden. Denn mit Animal Prints setzt Frau heute besser gekonnt Akzente, statt gleich mit dem textilen Vorschlaghammer aufzutreten.

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Wo tragen?

Animal Prints sind durchaus alltagstauglich, vor allem, wenn sie auf Accessoires zu sehen sind. Schwieriger wird es bei ganzen Kleidungsstücken. Ein hautenges Kleid mit Animal Print passt vielleicht in die Disco, aber nicht ins Restaurant oder auf eine Hochzeit.

Wie tragen?

Animal Prints schreien ganz laut Hallo, dessen sollte man sich bewusst sein. Außerdem können sie auch ganz laut »Ich bin ein Flittchen« schreien. Um dem entgegenzuwirken, sollten sie nicht zu großflächig eingesetzt werden und auch nicht zu eng am Körper liegen.

Und dazu?

Zu Leo- oder Tigermuster sollte man nicht zusätzlich dick auftragen – das gilt auch fürs Gesicht.

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Ihr Name mag zwar an eine grazile Tänzerin erinnern, aber an den Füßen der allermeisten Frauen sorgen Ballerinas viel eher für einen ganz eigenartigen und leider gar nicht tänzerischen Watschelgang. In ihnen zu laufen und dabei schön auszusehen ist eine Kunst.

Eine Kunst, die wohl keine so perfekt beherrschte wie jene, die diesen Schuh weltberühmt machte: Audrey Hepburn. Ihr ist es anzulasten, dass noch heute Tausende von Frauen denken, sie könnten auf Ballerinas elfengleich durch die Straßen schweben. Oft wird gar behauptet, die Hepburn hätte gemeinsam mit dem Schuhdesigner Salvatore Ferragamo den Ballerina erfunden, doch das ist ebenso eine Legende wie die Geschichte, dass nicht die Hepburn, sondern Brigitte Bardot die Erste war, die Ballerinas trug.

Denn ultraflache Schuhe gab es selbstverständlich nicht erst im 20. Jahrhundert. Im Mittelalter trug man im deutschsprachigen Raum sogenannte »Kuhmaulschuhe«, die vorne breiter waren als heutige Ballerinas und oft durch ein Band am Fuß gehalten wurden. Auch in anderen Gegenden Europas waren ultraflache Schuhe die Norm, doch im 16. Jahrhundert entdeckte die High Society den Absatz.

Flache Schuhe waren von da an etwas für die Armen und die Arbeiter. Wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, der stach auch längenmäßig aus dem gemeinen Fußvolk hervor und ließ sich vom Schuhmacher ein paar Zentimeter mehr unter die Ferse schieben. Erst die Französische Revolution brachte die bessere Gesellschaft zumindest für kurze Zeit wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Nachdem Marie Antoinette auf fünf Zentimeter hohen Absätzen zum Schafott geschritten war, war es plötzlich gar nicht mehr en vogue, sich künstlich zu erhöhen. Viele Damen trugen nun flache Slipper, die – ganz ähnlich wie Ballettschuhe – mit gekreuzten Bändern am Fuß gehalten wurden.

Der flache Trend währte nicht lange. Bereits um 1820 gewannen Modelle mit Absatz wieder die Oberhand, und als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die strengen Kleiderkonventionen langsam zu wanken begannen, kam zusätzlich eine erotische Komponente hinzu: Der Absatz streckte das nun immer mehr zur Schau gestellte Bein und ließ die Frau beim Gehen verführerisch mit den Hüften schwingen.

Einzig auf der Bühne setzte sich der Schuh ohne Absatz immer mehr durch. Balletttänzerinnen trugen Pointé-Schuhe, und als die Musicals den Broadway eroberten, wurden weichere Modelle zur Norm. Für diese gab es im New York der 30er- und 40er-Jahre nur eine Adresse: Salvatore Capezio. Der Italiener hatte mit seinen handgemachten Tanzschuhen die Herzen – und die Füße – aller Broadwaystars im Sturm erobert. Auch der Modedesignerin Claire McCardell gefielen seine Entwürfe, und so überredete sie ihn, straßentaugliche Sohlen an seine »ballet flats« zu nähen, die sie 1941 mit ihrer Kollektion auf dem Laufsteg zeigte. Die Modelle gefielen, wurden bald in vielen Farben produziert und schafften es 1949 sogar auf das Cover der Vogue. Doch ein echter Trend waren die flachen Treter vorerst nicht.

Bis Audrey Hepburn die Weltbühne betrat. Eigentlich hatte sie von einer Karriere als Balletttänzerin geträumt. Als junges Mädchen hatte sie hart dafür trainiert, doch die mageren Kriegsjahre machten diese Pläne zunichte. Sie wog keine 50 Kilo, und das bei stattlichen 170 Zentimetern. Zu groß und zu dünn für eine Primaballerina.

So wurde sie Musicaldarstellerin. Sie tanzte am Londoner West End und ab 1951 am Broadway, wo Hollywood auf sie aufmerksam wurde. Aber auch in der Filmwelt waren ihre Maße alles andere als förderlich. Heute würde man von einer Modelfigur sprechen, in den 50er-Jahren jedoch waren kurvige Frauen gefragt. Erschwerend kam hinzu, dass Hepburn viele ihrer männlichen Zeitgenossen überragte.

Ein Glück, dass bei ihrem ersten wichtigen Film auch der männliche Hauptdarsteller groß gewachsen war: In Roman Holiday (Ein Herz und eine Krone) hatte sie den 190 Zentimeter großen Gregory Peck an ihrer Seite. Trotzdem tat die Hepburn bereits in diesem Film das, was später zu ihrem Markenzeichen werden sollte: Sie trug flache Schuhe. Ihre am Knöchel geschnürten Sandalen erinnerten stark an Tanzschuhe, und noch deutlicher wurde dieser Bezug in Hepburns nächstem Film. In Sabrina hatten die Ballerinas ihren ersten Auftritt – und was für einen: Die Hepburn avancierte zur Stilikone, die Kombination aus flachen Tretern und 7/8-Hose eroberte die Straßen.

Ob Brigitte Bardot durch die Hepburn inspiriert war, als sie 1956 für ihre Rolle in Et Dieu … créa la femme (Und immer lockt das Weib) bei der Schuhmacherin Rose Repetto, die unter anderem für die Pariser Oper arbeitete, Schuhe bestellte, die so bequem wie Tanzschuhe und zugleich sexy sein sollten, ist nicht bekannt. Heraus kam jedenfalls das, was auch heute noch als der »klassische« Ballerina gilt: Ein knallrotes Modell, vorne so tief ausgeschnitten, dass es den Zehenansatz entblößt, dekoriert mit einer feinen Masche. Seither watscheln die Frauen in Ballerinas durch die Gegend, im Glauben, dabei so sexy zu sein wie die Bardot und so elegant wie die Hepburn. Wenn es doch nur so einfach wäre.

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Wo tragen?

Ballerinas sind im Büroalltag ebenso tragbar wie im Urlaub beim Cocktail auf der Piazza.

Wie tragen?

Unerlässlich für elegantes Ballerina-Tragen ist eine gute Körperspannung. Dass die Hepburn und die Bardot in ihren Schuhen so grazil wirkten, liegt vor allem daran, dass beide ausgebildete Balletttänzerinnen waren.

Und dazu?

Nichts passt so gut zu Ballerinas wie eine 7/8-Hose und eine leichte Bluse.

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Ein Kleidungsstück, das Menschen hinters Licht führen will? Nun, eigentlich tun wir das ja mit fast allem, was wir tragen. Wir ziehen uns bestimmte Dinge an, um attraktiver zu wirken, andere, um professionell auszusehen, wieder andere, um so zu tun, als seien wir besser, als wir uns fühlen. Selten ist so ein bekleidungstechnischer Trick aus echter Not heraus geboren, diese Art von Schummeln gehört zum ganz normalen Alltag.

Anders verhält es sich mit dem Betrügerchen. Im Gegensatz zu den edlen Fetzen und kurzen Röcken, mit denen wir uns in ein etwas besseres Licht zu rücken versuchen, ist diesem Stück der Betrug schon in die Wiege – pardon, in den Namen – gelegt. Mit einem Betrügerchen kann man beim besten Willen nicht ehrlich sein, sonst würde man plötzlich ziemlich nackt dastehen, bedeckt es doch gerade einmal die halbe Brust und den Hals.

Heutzutage hat man kaum ein Betrügerchen im Schrank, es sei denn als modische Spielerei. Man mag sich nicht anfreunden mit dem »falschen Hemd«, das nur selten perfekt sitzt und bei der kleinsten falschen Bewegung in seiner Winzigkeit entlarvt werden könnte, weil sich sein unterer Saum plötzlich über den Ausschnitt der Strickjacke stülpt.

Früher war das anders. Nicht nur, weil man höhere Ausschnitte trug, ja insgesamt etwas zugeknöpfter war und so eine Enttarnung des Betrügerchens viel seltener vorkam. Für viele war das Betrügerchen schlicht eine Notwendigkeit, aus praktischen und später auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Im 19. Jahrhundert hieß das Betrügerchen noch »chemisette« und war ungleich edler. Chemisettes waren weiße Brusteinsätze aus Spitze oder Musselin, zart und reich verziert, oft mit Stehkragen, die das Dekolleté der Frau bedeckten. Das diente erstens der schamvollen Verhüllung, zweitens aber auch einer leichteren Reinigung der Alltagsgarderobe. Die aufwendigen Kleider, die Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert trugen, konnten nicht einfach so gewaschen werden. Der herausnehmbare Brusteinsatz dagegen wurde regelmäßig gereinigt und gestärkt, sodass die Frauen immer blütenrein wirkten.

Eine Idee, die auch in der Herrenmode aufgegriffen wurde. Um die Jahrhundertwende kamen Brusteinsätze für Männer auf, die abends zum Frack oder Dinnerjacket getragen wurden. Doch beließ man es dabei nicht einfach nur bei Betrügerchen aus Stoff, sondern fand im Zuge der Industrialisierung noch ganz andere Materialien, die Geld und Arbeit sparten: Es mag aus heutiger Sicht abwegig erscheinen, aber Betrügerchen aus Zelluloid erfreuten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts großer Beliebtheit. Ja, die Herren hängten sich in der Tat ein Stück weißes Hartplastik (das daher auch »Plastron« genannt wurde) um den Hals, das wie ein perfekt gestärktes weißes Smokinghemd aussehen sollte.

Die Vorteile lagen auf der Hand: Zelluloid wirft keine Falten und bleibt unbefleckt weiß, es musste nicht in die Waschmaschine, und allfällige Flecken ließen sich einfach abwischen. Andererseits waren diese Plastik-Betrügerchen aber auch furchtbar unhandlich. Sie hüpften, wenn sie nicht gut befestigt waren (viele hatten an den Seiten zwei Bänder, mit denen sie um den Rumpf gebunden werden konnten), auch mal plötzlich aus dem Revers, wirkten unnatürlich steif und gaben immer wieder Anlass zu ungewollten Lachern – weshalb sie auch gerne in Sketchen zum Einsatz kamen. Comedyfans ist die Szene mit dem Opernsänger, bei dem sich während des Auftritts das Betrügerchen löst und bis zum Hals hochrollt, bestimmt ein Begriff.

Aus Kostengründen statteten auch viele Hotels und Restaurants ihre Angestellten mit Betrügerchen aus, allerdings nicht mit solchen aus Stoff oder Zelluloid, sondern mit Wegwerf-Modellen aus dünnem Karton.

Schließlich fand man doch wieder zum Original aus Stoff zurück, und das hielt sich wacker bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Für eine Bluse und ein Hemd ging man damals nicht einfach schnell zum Modediscounter. Es waren teure Kleidungsstücke, die man hegen und pflegen musste. Gerade in der wirtschaftlich schwierigen Kriegs- und Nachkriegszeit war das Betrügerchen eine praktische Sparmaßnahme, zumal Frauen über der Bluse ohnehin Pullover oder Strickweste trugen und nur der Kragen zu sehen war.

In der heutigen Zeit kauft sich kaum noch jemand aus Spargründen ein Betrügerchen. Stattdessen bietet es im 21. Jahrhundert andere Vorteile. Unsere fehlerfrei funktionierenden Zentralheizungen rechtfertigen es kaum, in Innenräumen die doppellagige Kombination aus Bluse und Pullover zu tragen, außer man möchte die schönen Sachen komplett durchschwitzen. Wie gut, dass sich da mit einem Betrügerchen ganz leicht eine Lage wegschummeln lässt.

Wo tragen?

Überall, wo man nicht peinlicherweise die obere Lage ablegen muss.

Wie tragen?

Ein Betrügerchen muss tadellos sitzen und ebenso tadellos sauber und glatt sein.

Und dazu?

Pullover und Strickjacken, die gut decken. Denn auch das schönste Betrügerchen wirkt lächerlich, wenn seine Ränder durch die obere Lage schimmern und jedem Betrachter sofort klar wird, dass hier geschummelt worden ist.

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Es soll doch tatsächlich Menschen geben, die glauben, das Bikini-Atoll – eine kleine Ansammlung von Palmeninseln in der Südsee, auf denen die USA ab 1946 Atomwaffentests durchführten – sei nach dem zweiteiligen Badekleid benannt. Ergibt ja auch Sinn, denn an radioaktiv verseuchten Stränden tummeln sich naturgemäß zahllose leicht bekleidete Urlauberinnen. Oder haben die Inseln etwa von oben gesehen die Form einer Badenixe? Oder wurde der Bikini gar dort erfunden?

Alles Humbug. Der Bikini bekam seinen Namen erst vier Tage nach der ersten Zündung einer Atombombe über dem gleichnamigen Südseeatoll. Und erfunden wurde er nicht an einem polynesischen Sandstrand, sondern mitten in einer europäischen Großstadt.

Es war der 5. Juli 1946, als im Pariser Schwimmbad Molitor eine Bademodenschau einen textilen Tsunami auslöste. Ihr Veranstalter, der ortsansässige »créateur« Louis Réard (der von seinen Berufskollegen belächelt und geschnitten wurde, weil er kein ausgebildeter Modedesigner war, sondern ursprünglich Ingenieurwesen studiert hatte) hatte die Presse an den Pool geladen, um ihr ein neues Badekleid zu präsentieren – von dem ihm schon von vornherein klar war, dass es einen Skandal verursachen würde.

Alle angefragten »anständigen« Mannequins hatten sich im Vorfeld geweigert, Réards Kreation in der Öffentlichkeit zu tragen, so- dass er schließlich eine Varietétänzerin engagieren musste. Die präsentierte nun die sündige Badebekleidung, die der Designer zwei Wochen später unter der Nummer 19431 beim Pariser Patentamt unter dem Namen »Bikini« anmeldete. Vier Stoffdreiecke – eines für die Pobacken, eines für die Scham, zwei für den Busen – zusammengehalten durch dünne Schnüre, bedruckt mit Zeitungsausschnitten, als hätte Réard geahnt, dass das Bild seiner Kreation am nächsten Tag in allen Blättern gezeigt wurde.

Nicht etwa, dass Réards Entwurf der erste Zweiteiler der Modegeschichte war. Badebekleidung aus Höschen und Oberteil gab es bereits seit den 20ern, und sie war von Anfang an nichts für »anständige« Mädchen gewesen. Neu an Réards Entwurf war seine kompromisslose Knappheit. Bis dahin hatten Zweiteiler trotz ihrer Sündigkeit doch immer das Nötigste bedeckt. Sie ähnelten eher einer Kombination aus eng anliegenden Boxershorts und Tanktop (ein Ensemble, das heute auch als »Tankini« bekannt ist). In den USA hatte es die sogenannte »palm beach combination« in einige Spielfilme geschafft; oben züchtiges Bustier, unten ein knappes Hosenröckchen, der Nabel bedeckt. In ähnlichen Modellen spielen heute Weltklasse-Sportlerinnen vor Tausenden von Zuschauern Tennis, damals hingegen traute sich damit kaum eine Frau an den Strand.

Es gab sogar einen, der bereits vor Réards Präsentation im Schwimmbad überzeugt war, das absolute Minimum an Stoff herausgeholt zu haben. Jacques Heim, ebenfalls Modemacher in Paris und anders als Réard hoch angesehen, hatte nämlich nur wenige Wochen zuvor den »kleinsten Badeanzug der Welt« vorgestellt. Im festen Glauben, dass es nichts Kleineres geben könne, nannte er seine Kreation »Atome« und bewarb sie an den Stränden Frankreichs mit einem enormen Werbebanner, das von einem Flugzeug die Küste entlanggezogen wurde.

Aber es ging eben doch noch knapper. Am Tag nach Réards Premiere des Bikinis war zu lesen, der Ingenieur habe einen Zweiteiler geschaffen, der »kleiner als der kleinste Badeanzug der Welt« sei – ein klarer Seitenhieb auf Jacques Heim.

Der konnte allerdings in den folgenden Jahren größere Erfolge feiern als Réard. Denn der Triangel-Bikini war seiner Zeit weit voraus, und bis in die 50er-Jahre hinein gehörte es sich schlicht nicht, in etwas anderem als einem Einteiler baden zu gehen. Wenn Frauen überhaupt einen Zweiteiler trugen, dann viel eher einen in der Form des »Atome« – züchtiger und an den richtigen Stellen den Körper formend. Erst nachdem Brigitte Bardot (1956 in Et Dieu … créa la femme – Und immer lockt das Weib) und Ursula Andress (1962 in Dr. No) in ihren Bikinis Filmgeschichte geschrieben hatten, trauten sich mehr Frauen in knappen Zweiteilern an den Strand.

Warum Réard seinen Zweiteiler ausgerechnet »Bikini« taufte, ist bis heute nicht ganz klar. Vielleicht hoffte er ja, dass seine Kreation einschlagen würde wie eine Bombe. In einem Interview sagte er dazu, die Bikini-Inseln seien wie seine Schöpfung winzig klein, paradiesisch und erotisierend – wobei rein objektiv gesehen zumindest die beiden letzten Attribute wohl kaum auf einen Schauplatz für Kernwaffentests zutreffen.

Doch was bedeutet eigentlich das Wort »Bikini«? Anders als man vermuten könnte, weist das »bi« im Wort nicht auf die Zwei hin. Der Begriff stammt aus der Sprache der polynesischen Bewohner des Atolls. Und in dieser bedeutet »pikinni« schlicht »Ort mit vielen Kokosnüssen«.

Wo tragen?

Bikinis gehören in die unmittelbare Nähe von Pools, Ozeanen und Badeseen. An Orten, wo keine Bademöglichkeit besteht, ist ein Bikini unangebracht.

Wie tragen?

Die stützenden und formenden Eigenschaften gewisser Modelle sollten auf keinen Fall ungenutzt bleiben, denn der einst so skandalöse Triangel-Bikini sieht tatsächlich nur an gertenschlanken Frauen mit straffem A- oder B-Cup sexy aus. Ultraknappe Bikinis (wie sie zum Beispiel die Frauen an der Copacabana tragen) können einem auch heute noch böse Blicke einbringen – und darüber hinaus zum Rauswurf aus dem Familienbad führen.

Und dazu?

An der Beach-Bar und auf dem Weg zum Strand ist zumindest eine Minimalbedeckung angebracht.

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