Ins Deutsche übertragen

von Diana Steinbrede

 

Für die Schüler der Oakmere Grundschule und der Wroxham Schule, die wissen, dass LESEN TOTAL ROCKT.

Mein Leben ist ein Witz. Wobei, eigentlich stimmt das nicht – es ist zu tragisch, um witzig zu sein. Aber es ist eine totale Katastrophe. Du denkst jetzt vielleicht, dass ich ein klitzekleines bisschen übertreibe, aber das kommt nur daher, weil du nichts über den ganzen Horror weißt. Es ist nämlich so: Morgen ist mein erster Tag an der weiterführenden Schule, und ich weiß jetzt schon, dass ich das Mädchen sein werde, auf das jeder zeigt und über das alle lachen. Ehrlich, es wird noch schlimmer als damals auf der Schulversammlung, als ich fünf war und aus Versehen meine ausgeleierte graue Unterhose aufblitzen ließ, was mir ein Jahr lang den Spitznamen Miss Windelschlüpfer einbrachte. Und das war schon schlimm genug.

Zuerst einmal habe ich den lächerlichsten Namen in der Geschichte der Namensgebung. Ich meine, wer nennt ein Mädchen schon Charly? Meine Eltern, die machen das. Obwohl das nicht so schlimm ist wie Moon Unit. So hat ein alter Rockstar seine Tochter genannt. Eltern sollten die ausgewählten Namen bei irgendeinem Babynamen-Gericht vorlegen müssen, bevor sie sie auf die Geburtsurkunde schreiben dürfen. Das würde einem später eine Menge Hänselei ersparen. Es ist ja noch ganz in Ordnung, in der Grundschule mit einem komischen Namen anzufangen. Da sind noch alle zu sehr mit Knete beschäftigt, um sich darum zu kümmern. Aber die weiterführende Schule ist anders. Ich will gar nicht wissen, wie viel Gekicher es gibt, wenn zum ersten Mal die Namenslisten vorgelesen werden.

Damit könnte ich wahrscheinlich klarkommen, wenn es das Ende vom Albtraum wäre. Aber das ist es nicht. Noch schlimmer, als den dämlichsten Namen der Welt zu haben, ist nämlich der hässliche Schulblazer, den ich tragen muss. Wirklich, der ist so riesig, dass meine Fingerspitzen fast im Ärmel verschwinden, und die Schulterpartie sieht so aus, als wäre sie aus den Achtzigern übrig geblieben. Genau genommen hat er mal meinem Bruder Liam gepasst. Und da der ein vierzehnjähriger Bulldozer ist und ich elf bin, ist das die totale Katastrophe. Im Futter der Innentasche ist ein großes Loch, das wie dafür geschaffen ist, dass ich meine Sachen verliere. Und dann der Geruch. Wie muffiges altes Gras und Käsefüße. Ich sollte wahrscheinlich dankbar dafür sein, dass er nicht so stinkt wie Liam. Aber wenn man riecht wie Das Mädchen ohne Deo“, ist es schwer, den Silberstreif am Horizont zu sehen.

Mum ist das anscheinend egal. Ich habe ihr schon wochenlang gesagt, dass ich eine neue Uniform brauche, aber sie hört mir ja nicht zu. Ehrlich, manchmal ist es sogar so, als wäre ich gar nicht da. Also haben wir es natürlich erst am letzten Wochenende der Schulferien zum Uniform-Laden geschafft, und sie hatten keine kleinen Blazer mehr. Das schien Mum aber gar nichts auszumachen, nicht mal, als Liam anfing zu lachen und meine Unterlippe zitterte. Sie hat nur müde ihren mächtig dicken Babybauch gerieben und gesagt: „Hör auf zu heulen, Charly. Es wird dich schon nicht umbringen, ein paar Tage lang den alten von Liam zu tragen.“

Dagegen konnte ich nicht viel sagen. Im Prinzip hat sie recht, ich werde wahrscheinlich nicht daran sterben, wenn ich Liams abgelegte Klamotten tragen muss (obwohl da eine verdächtig klebrige Masse in einer Tasche ist, die aussieht wie irgendeine Biogefährdung), aber Coolness-Punkte bringt mir das auch nicht gerade ein. In Wirklichkeit hätte sie mir genauso gut ein riesiges L für Loser auf die Stirn tätowieren können. In solchen Momenten wünsche ich mir, ich wäre eine Waise. Natürlich nicht Oliver Twist. Eine reiche, und am besten aus der königlichen Familie.

Egal, verstehst du mein Problem? Ich habe Molly und Sina gesimst, um mir Rat zu holen, aber sie waren keine große Hilfe. Molly schlug vor, ich sollte die Ärmel aufkrempeln, wie sie das letzten Monat in einem Modemagazin gesehen hat. Ich sagte ihr, das würde vielleicht mit einem schicken kleinen und modischen Blazer funktionieren, aber ein gestärkter Ärmel aus hundert Prozent Polyester wäre da etwas widerstandsfähiger gegen modische Anpassungen. Sina meinte, es gäbe Kinder in Afrika, die hätten gar keine Kleidung und wären froh, wenn sie meine Blazer-Probleme hätten. Vielleicht kann ich ihn ja spenden. Man könnte ihn als Zelt benutzen.

Ich weiß genau, was du jetzt sagen willst: Warum erzähle ich meiner Mum nicht, dass ich eine schrecklich ansteckende Krankheit habe, und drücke mich vor der Schule? Tja, daran habe ich auch gedacht, als ich Liam auf der Treppe begegnet bin. Er musterte mich von Kopf bis Fuß und lachte höhnisch.

„Der unheimliche Hulk hat angerufen. Er will seinen Blazer zurück.“

Dann grinste er total fies und verschwand in seinem Zimmer. Dabei fiel ihm nicht mal auf, dass er sich gerade selbst beleidigt hatte. Er ist so ein Vollpfosten. Ich bin sicher, dass du total verstehst, warum ich ihn hasse. Sogar der Dalai Lama würde es schwierig finden, ihn zu mögen, dabei ist es sein Job, jeden zu lieben. Der Halbbruder von Sina ist siebzehn und bringt ihr jedes Mal haufenweise coole Sachen mit, wenn er vorbeikommt. Liam reißt immer nur blöde Witze über mich und jammert, wenn Mum und Dad ihn zum Babysitten verdonnern. Wenn er mich schon nervig findet, soll er erst mal abwarten, bis die Zwillinge da sind. Molly sagt, sie hat gesehen, wie ihr kleiner Cousin als Baby seinem Dad ins Gesicht gepinkelt hat. Ich hoffe also schwer, dass die Zwillinge im Krieg der Geschwister auf meiner Seite sind.

Nachdem ich aufgehört hatte, vor seiner geschlossenen Tür Grimassen zu schneiden, bin ich nach unten gegangen. Dort war Mum gerade damit beschäftigt, meinen Namen in den Rest meiner neuen Uniform zu sticken. Die Sache mit der Krankheit hat sie mir nicht abgekauft.

„Charly Bond, du hast keine Malaria“, schnauzte sie, als ich die Symptome herunter­leierte, die ich bei Google nachgeguckt hatte. „Und hör auf, über deinen Blazer zu meckern. Krempel die Ärmel auf, wenn sie zu lang sind.“

Für sie ist alles in Ordnung, sie ist im sechsten Monat schwanger – für sie ist nichts zu groß. Aber als ich das sagte, sah sie ziemlich ärgerlich aus. Also beschloss ich, nicht zu erwähnen, dass das Abzeichen auf der Tasche auch noch schief aufgenäht ist. Schwangere Frauen sind anscheinend sehr mürrisch. Oder vielleicht ist das auch nur bei meiner Mum so.

Jetzt liege ich also im Bett und wünsche mir, es wäre immer noch Samstagnacht und niemals Sonntag, und suche nach einem anderen Weg, morgen die Schule zu vermeiden. Wenn ich es mir fest genug wünsche, bricht vielleicht ein Monsterschneesturm aus, der alle einschneit und dafür sorgt, dass die Schule geschlossen bleibt. Das wäre echt cool. Wer weiß, vielleicht habe ich ja ein verstecktes Talent dafür, das Wetter zu kontrollieren – ich habe es noch nie versucht. Vielleicht bin ich insgeheim eine Mutantin, so wie die in den X-Men-Filmen. Wenn ja, würde mir das gar nicht viel ausmachen. Ich wette, Wolverine musste nie eine schlecht sitzende Schuluniform tragen.

Was meine Mum anscheinend nicht kapiert, ist, dass ich mir wirklich Sorgen mache wegen morgen, und nicht nur wegen dem Ding, dessen Namen nicht genannt werden darf (momentan in einem Haufen auf meinem Schlafzimmerboden). Ich meine, in der Westwood Grundschule wusste ich, wo ich war. Ich, Sina und Molly waren vom ersten Tag an beste Freundinnen, und, unter uns gesagt, wir kannten alle. St. Jude’s ist viel größer und voller Fremder, die sich über einen lustig machen (abgesehen von Liam und seinen dämlichen Freunden, die so bescheuert sind, dass ich wünschte, ich würde sie nicht kennen). Was, wenn ich mich verirre? Was, wenn ich einen der Zehntklässler aus Versehen komisch angucke und er mich verprügelt? Was, wenn ich so viele Hausaufgaben aufkriege, dass ich keine Zeit für meine Freundinnen mehr habe? Obwohl, wenn ich jetzt so drüber nachdenke … Liam ist eigentlich nie besonders lang mit seinen Hausaufgaben beschäftigt. Ich glaube aber, das liegt daran, dass er später Rockstar werden will (ha, ha) und sich nicht viel aus der Schule macht. Dad hat letzte Woche gesagt, dass Liam sich dieses Jahr zusammenreißen muss, sonst wird seine Gitarre beschlagnahmt. Für mich kann das nur gut sein. Wenn er darauf spielt, hört es sich nämlich an, als würde er die Katze von nebenan erwürgen.

Molly und Sina machen sich auch Sorgen, selbst wenn sie das nicht zugeben. Wir „tun gleichgültig“, wie mein Dad es immer nennt, und reden darüber, als ob es die beste Sache der Welt wäre. Aber unter uns: Ich habe Zweifel, dass wir den ersten Tag überleben werden. Irgendwie hoffe ich fast, dass ich unter dem zornigen Blick eines vorbeigehenden Elftklässlers zu Staub zerfalle. Dann werden meine Eltern es bereuen, dass ich den Blazer vom Käsefuß-Bulldozer tragen musste. O ja, das werden sie.

 

 

Herausgerissene Seite aus Mums Buch BESTELLUNG BEIM UNIVERSUM

 

Wie man vom Leben bekommt, was man will

 

Das Geheimnis, wie man etwas vom Leben bekommt, ist einfach: Bitten Sie das Universum darum, es Ihnen zu geben! Sie wollen neuen Lipgloss, ein neues Aussehen, ein neues Leben? Alles, was Sie tun müssen, ist, es laut auszusprechen, und das Universum wird einen Weg finden, Ihnen alles zu liefern.

 

Schreiben Sie hier Ihre Einkaufsliste für das Universum

auf:

 

Liebes Universum, was ich am meisten will, ist ein Talent. Etwas, worin ich wirklich gut bin. Molly ist eine großartige Sängerin, Sina ist die Berkshire-Junior-Meisterin im Schwimmen, und Liam hat sein Gitarrenspiel (wenn man das so nennen kann). Ist es zu viel verlangt, dass ich endlich das finde, worin ich am besten bin? Dann noch Beine wie ein Supermodel und Haare wie das Mädchen aus der Shampoo-Werbung.

 

Danke!