Inhalt

Vorwort von Johannes Falk

Erster Teil – Christians Pilgerreise

Die große Unruhe

Die Flucht

Ein gefährlicher Irrweg

Durch die enge Pforte

Im Haus des Auslegers

Die große Erleichterung und eine kleine Unachtsamkeit

Gestärkt und gerüstet

Der Kampf mit dem Höllengeist

Im Tal der Todesschatten

Ein treuer Gefährte

Die Begegnung mit Schwätzer

Auf dem Markt der Nichtigkeiten

Treu bis in den Tod

Wieder zu zweit – durch neue Gefahren und Versuchungen

Die Silbergrube

Auf der Burg des Zweifels – verschleppt, gepeinigt und befreit

Bei den Hirten auf den lieblichen Bergen

Im Netz des Feindes

Die Erlebnisse auf dem verzauberten Boden / Der Atheist

Im lieblichen Land

Zweiter Teil – Christines Pilgerreise

Der Aufbruch

Durch die enge Pforte

In großer Gefahr

Lehren im Hause des Auslegers

Am Kreuz

Von Schwierigkeiten und Gefahr

Ein Palast für müde Pilger unterwegs

Das ungleiche Joch – neue Erfahrungen – Abschied

Im Tal der Demütigung

Im Tal der Todesschatten

Der treue Redlich findet Mitpilger

Von den Dummheiten eines Mannes namens Eigenwillig

In der Pilgerherberge des Gajus

In der Stadt der Nichtigkeit wohnen Brüder

Das Ende des Riesen Verzweiflung und seiner Burg des Zweifels

Bei den Hirten auf den lieblichen Bergen

Drei gegen einen

Über dem verzauberten Boden

Der Einzug in die himmlische Stadt

Verweise

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Vorwort von Johannes Falk

Ich erinnere mich daran, wie mir als Kind das Buch „Die Pilgerreise“ von John Bunyan zum allerersten Mal in die Hände fiel. Es lag auf dem Nachttisch meiner Mutter. Es war ein uraltes Exemplar in gotischer Schrift mit einer Widmung meines Großvaters. Sowohl mein Großvater als auch meine Eltern erlebten den Zweiten Weltkrieg. Mein Großvater saß aus „politischen Gründen“ dreizehn Jahre in russischer Gefangenschaft. Mein Vater wurde im Alter von elf Jahren aus der Ukraine und meine Mutter ebenfalls im Alter von elf Jahren aus einer deutschen Kolonie an der Wolga nach Sibirien verschleppt. Sie galten als Faschisten. Beide Generationen hatten wahrlich kein leichtes Leben. Wie soll für einen Menschen das Leben lebenswert sein, wenn er unter solchen Umständen aufwächst bzw. lebt? Für beide Generationen wurde das Buch von John Bunyan zu einem stellvertretenden Schrei nach Heimat und der Sehnsucht, endlich anzukommen.

1976 schafften meine Eltern die Ausreise aus der damaligen UdSSR und bauten sich in Deutschland ein neues Leben auf. Sie waren vorerst „angekommen“. Dennoch waren die Erlebnisse des Krieges und der Verfolgung aufgrund ihres Glaubens unter der kommunistischen Herrschaft so tief in ihre Seelen gebrannt, dass sie immer wieder die „Pilgerreise“ zur Hand nahmen und darin lasen, um den Blick auf das, was kommt, neu zu schärfen: glich doch ihr Leben auch einer Pilgerreise, einer Suche nach Heimat.

Ich, der ich im Wohlstand, ohne Krieg, in religiöser Freiheit und in der Demokratie groß geworden bin, konnte mit diesem Buch zunächst nichts anfangen. Wie auch? Ich nahm das Leben nicht als mühsam wahr. Mein Leben war nicht von Nöten und Sorgen geplagt. Hier war doch meine Heimat, mein Zuhause. Die Empfehlungen meiner Mutter, das Buch doch auch einmal zu lesen, wehrte ich damals ab. Es passte einfach nicht in mein Leben.

Es mag eine Ironie des Schicksals sein oder eine Fügung Gottes – wobei ich eher an Letzteres glaube –, dass ich 24 Jahre später eine CD mit dem gleichnamigen Titel veröffentlichte, inspiriert durch das Buch, das Sie in den Händen halten. Beim Besuch einer Freundin fiel mir das Buch in ihrem Bücherregal auf. Schmunzelnd nahm ich es zur Hand und begann, darin zu lesen. Nichts von alldem, was ich damals mit diesem Buch in Verbindung brachte, erkannte ich wieder. Ganz im Gegenteil: Was ich damals als angestaubt, konservativ und altbacken wahrgenommen hatte, bekam beim Lesen auf einmal eine neue Aktualität. Schon die ersten Zeilen packten mich, nahmen mich mit auf eine Reise. Dieses Buch weckte in mir eine tief verschüttete Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach dem Himmel, nach Übernatürlichem, ja, eine Sehnsucht nach Gott!

In seiner allegorischen Erzählung schickt John Bunyan einen Pilger auf den Weg. Mir stellt sich die Frage: Was ist ein Pilger und warum geht man auf Pilgerreise? Pilgernde sind Suchende. Sie suchen nach Sinn, nach sich selbst, nach einem Ziel für ihr Leben. Sie hören erst dann auf zu suchen, wenn sie angekommen sind.

C. S. Lewis sagte: „Wenn wir in uns selbst ein Bedürfnis entdecken, das durch nichts in dieser Welt gestillt werden kann, dann können wir daraus schließen, dass wir für eine andere Welt erschaffen sind.“

Sind wir nicht alle auf der Suche danach, wie dieses Bedürfnis gestillt werden kann? Jeder Mensch wird sich im Laufe seines Lebens die Frage stellen: Wo komme ich her und wo gehe ich hin? Diese Frage liegt auch dem Buch von John Bunyan zugrunde.

Mit fantasievollen Bildern, Gestalten und Charakteren erzeugt dieses Buch beim Leser eine Sehnsucht, die bei den meisten Menschen in unserer schnelllebigen Gesellschaft verschüttet ist. Auch uns modernen Christen ist diese Sehnsucht nach dem Himmel abhandengekommen. Warum? Vermutlich weil das Wort „Himmel“ so abstrakt, diffus und ungreifbar ist. Aber sind Liebe und Hoffnung nicht auch ungreifbar – und dennoch glauben die meisten Menschen daran?!

Ist es nicht an der Zeit, dass wir unseren Blick neu schärfen, den Himmel anvisieren und uns immer wieder neu vom Irdischen lösen?

John Henry Newman, ein katholischer Kardinal des 19. Jahrhunderts, sagte: „Zu verstehen, dass wir eine Seele besitzen, heißt, unsere Unabhängigkeit von der sichtbaren Welt zu empfinden.“

Ich glaube, für John Bunyan war das Schreiben dieses Buches auch so ein Prozess des Loslösens, ein „Sich-unabhängig-Machen“ von der sichtbaren Welt. Wie oft werden wir heute von gesellschaftlichen Strukturen und Anforderungen fremdbestimmt und damit abhängig vom Sichtbaren gemacht?! Was sind die Werte, die unsere Gesellschaft und Kultur bestimmen? Ist es nicht so, dass Reichtum und Gier nach Macht, Schönheit und Sex, Anerkennung und Erfolg allgegenwärtig sind? Definieren wir uns nicht allzu oft über diese Dinge? In Anbetracht der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise bekommt deshalb nicht nur das Kapitel „Markt der Nichtigkeiten“ in John Bunyans Pilgerreise eine brisante Aktualität und einen realistischen Bezug zu unserer Zeit.

Ich möchte mir noch eine weitere Anmerkung erlauben. Ich weiß, dass die Generationen vor uns das Buch teilweise als ein theologisches Dogma betrachteten. Nicht wenige erklärten die Pilgerreise neben der Bibel zum wichtigsten religiösen Buch. Nicht umsonst gehört es zur christlichen Weltliteratur. Ich kenne viele Menschen, die mit diesem Klassiker groß geworden sind und denen diese Theologie eingetrichtert wurde: Die Welt ist böse, das Leben ist kein Zuckerschlecken, du darfst keinen Spaß haben, es gilt nur, darauf hinzuleben, den schmalen und beschwerlichen Weg in den Himmel zu gehen. Auch ich wurde so geprägt. Ich denke aber, dass wir John Bunyan damit unrecht tun würden. Wir müssen die Entstehung des Buches im Kontext der Zeit und der Biografie des Schreibers betrachten: Sein Lebensweg war tatsächlich schwer, gepflastert mit Nöten und schmerzlichen Erfahrungen, ebenso wie das meiner Eltern und vieler anderer Menschen der Generationen vor uns.

Vor allem gilt es aber auch, das Buch künstlerisch zu betrachten. Die Pilgerreise von John Bunyan ist kein theologisches Buch, sondern immer noch ein Roman, eine wunderbare Geschichte, ein fantasievoll erzähltes Kunstwerk mit einer wichtigen Botschaft: Es geht um mehr! Es geht um Höheres! Das, was wir suchen, kann uns diese Welt nicht geben.

Menschen, die an Gott glauben, pilgern mit einer Gewissheit durchs Leben, dass sie ihn eines Tages schauen werden und dass alle Not und Ungerechtigkeit und der Tod ein Ende haben werden. In Anbetracht dieser Botschaft werden die Ansprüche und Prinzipien unserer Gesellschaft kleiner und kleiner und die Sehnsucht nach Gott größer und größer.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen beim Lesen dieses Buches eine segensreiche Zeit, viel Freude und vielleicht eine andere Art von Gottesbegegnung, als Sie sie bisher gekannt haben. Möge auch bei Ihnen diese Sehnsucht nach „mehr“ neu geweckt werden.

Johannes Falk, Heidelberg, den 15.10.2011

Johannes Falk ist leidenschaftlicher Musiker, Sänger, Songwriter und Interpret zahlreicher christlicher Songs. Im März 2011 veröffentlichte er ein Konzeptalbum mit dem Titel „Pilgerreise“, inspiriert durch John Bunyans Pilgerreise.

Erster Teil

Christians Pilgerreise

Die große Unruhe

Als ich durch die Wüste dieser Welt zog, gelangte ich an einen Ort, in dessen Nähe eine Höhle war. Dort legte ich mich zum Schlafen nieder und hatte einen Traum, als ich schlief.

Ich sah einen Mann, der ein schmutziges und zerrissenes Kleid trug; er stand da, von seinem Haus abgewandt, mit einem Buch in der Hand und einer großen Last auf seinen Schultern. Ich sah, wie er das Buch öffnete und darin las, und während er las, weinte er, und er zitterte, und als er nicht länger an sich halten konnte, brach er in lautes Klagen aus und rief: „Was soll ich nur tun?“

In diesem traurigen Zustand ging er ins Haus und beherrschte sich, solange es ihm möglich war, damit Frau und Kinder seine Not nicht bemerkten. Aber dann hielt er es nicht mehr aus. Seine Unruhe zwang ihn, sein Herz vor ihnen auszuschütten.

„Ach, liebe Frau und meine lieben Kinder, es ist aus mit mir. Die Last, die ich tragen muss, ist zu schwer. Aber das ist nicht alles: Man hat mir berichtet, dass Feuer vom Himmel unsere Stadt verzehren wird und dass wir alle – ich, du, meine gute Frau, und ihr, meine Kinder – bei dieser schrecklichen Katastrophe elend umkommen werden, wenn wir nicht einen Weg zu unserer Rettung finden, den ich nur noch nirgends sehe.“

Da machte seine Familie sich große Sorgen; nicht etwa, weil sie glaubte, was er sagte, sondern sie meinte, er sei verrückt geworden. Doch da gerade die Nacht hereinbrach, hofften sie, der Schlaf würde ihm helfen, wieder zu sich zu kommen, und so sorgten sie dafür, dass er sich bald zur Ruhe legte.

Doch die Nacht war für ihn so unruhig wie der Tag. Statt zu schlafen, weinte und seufzte er unentwegt, und als ihn seine Familie am nächsten Morgen fragte, wie es ihm gehe, antwortete er: „Nur schlimmer und schlimmer!“ und fing aufs Neue an, ihnen zuzureden. Aber sie weigerten sich, ihn anzuhören. Ja, um ihn von seiner Verstimmung zu kurieren, verspotteten sie ihn, dann wieder fielen sie zornig über ihn her, und schließlich beachteten sie ihn gar nicht mehr. Da zog er sich in sein Zimmer zurück, um für sie zu beten und sein eigenes Elend zu beklagen, ging danach hinaus aufs Feld und verbrachte lesend und betend einige Tage.

So sah ich ihn in meinem Traum in seinem Buch lesen und hörte ihn aus tief bekümmertem Herzen rufen: „Was soll ich nur tun, dass ich gerettet werde?“

Er blickte umher, als wollte er fliehen, blieb jedoch stehen, ungewiss, welchen Weg er einschlagen sollte. Da sah ich einen Mann auf ihn zukommen. Der fragte ihn: „Warum weinst du?“

„Ach, Herr, ich lese in diesem Buch, dass ich verurteilt bin, zu sterben und dann vor Gericht zu erscheinen, und bin doch weder zu dem einen willig noch zu dem anderen bereit.“

Darauf antwortete der Evangelist – so hieß der Mann: „Warum bist du nicht bereit zu sterben, da dieses Leben doch so hart und voller Übel ist?“

„Weil ich fürchte, die auf meinem Rücken liegende Last wird mich tiefer sinken lassen als in das Grab und mich in die Höllengrube hinabstürzen; und wie ich mich fürchten würde, in ein Gefängnis zu gehen, so fürchte ich mich auch vor dem Gericht und vor dem Vollzug der Strafe. Diese Gedanken sind’s, die mich verzweifeln lassen.“

„Wenn das so ist“, sagte der Evangelist, „warum bleibst du dann hier?“

„Ach, ich weiß nicht, wohin ich gehen soll.“

Daraufhin gab ihm der Evangelist einen Briefbogen, auf dem stand: „Entfliehe dem zukünftigen Zorn.“

Der Mann las dies, sah den Evangelist besorgt an und fragte: „Wohin soll ich denn fliehen?“

Der Evangelist deutete mit dem Finger weit, weit hinaus über das Feld.

„Siehst du jene enge Pforte?“

„Nein“, erwiderte der Mann.

„Siehst du auch nicht das Licht?“

„Doch, ich glaube, ich sehe es.“

„Behalte jenes Licht im Auge und geh gerade darauf zu. So wirst du bald die kleine Pforte sehen; und wenn du dort anklopfst, wird man dir sagen, was du zu tun hast.“

Die Flucht

Nun sah ich in meinem Traum, wie der Mann anfing zu laufen. Als aber seine Frau und Kinder das sahen, liefen sie ihm nach und riefen, er solle umkehren. Doch der Mann hielt sich die Ohren zu und lief weiter.

„Leben, Leben, ewiges Leben!“, rief er und sah nicht einmal mehr zurück.

Auch die Nachbarn kamen heraus. Als sie ihn laufen sahen, lachten ihn die einen aus, andere drohten ihm und wieder andere schrien ihm nach, er solle doch zurückkommen. Zwei von ihnen waren entschlossen, ihn mit Gewalt zurückzuholen: Der eine hieß Eigensinnig und der andere Gefügig. Der Mann war zwar schon eine gute Strecke gelaufen, aber die beiden holten ihn trotzdem bald ein.

„Warum lauft ihr mir nach, Nachbarn?“, sprach der Mann sie an.

„Um dich zu überreden, mit uns umzukehren!“

„Das kann ich auf keinen Fall! Ich weiß, dass ihr in der Stadt Verderben wohnt, die auch mein Geburtsort ist; doch wenn ihr früher oder später hier sterbt, werdet ihr tiefer hinabsinken als in das Grab und an einen Ort kommen, wo Feuer und Schwefel brennen. Überlegt nicht lange, gute Nachbarn, kommt mit!“

Eigensinnig hatte Bedenken: „Was, wir sollen unseren Freunden und allem Guten den Rücken kehren?“

„Ja!“, erwiderte Christian – so hieß der Mann –, „denn alles, was ihr verlassen werdet, ist es nicht wert, mit dem Geringsten von dem verglichen zu werden, was mich erwartet. Und wenn ihr mit mir geht, werdet ihr es auch bekommen. Da, wo ich hingehe, ist mehr als genug davon. Kommt mit, und seht, ob ich nicht recht habe.“

„Welche Dinge suchst du, dass du die ganze Welt dafür verlässt?“, fragte Eigensinnig.

„Ich suche ein unvergängliches, unbeflecktes und ewiges Erbe, das für die im Himmel aufbewahrt wird, die von ganzem Herzen danach suchen. Da, lest es selbst in meinem Buch, wenn ihr wollt.“

„Weg mit deinem Buch!“, schrie Eigensinnig. „Willst du nun mit uns umkehren oder nicht?“

„Auf keinen Fall! Ich habe meine Hand an den Pflug gelegt …“

„Dann komm, Nachbar Gefügig, lass uns umkehren und ohne ihn nach Hause gehen. Es gibt verrückte Köpfe, die, wenn sie einmal eine fixe Idee haben, sich für schlauer halten als sieben vernünftige Menschen.“

„Nur nicht gleich so ungeduldig!“, mahnte Gefügig. „Wenn wahr ist, was der gute Christian da sagt, dann sind die Dinge, nach denen er sucht, besser als die, die wir haben. Ich wäre doch interessiert, mit ihm zu gehen.“

„Wie? Noch ein Verrückter? Hör auf mich und komm mit zurück! Wer weiß, wohin dich dieser Hirnkranke führt. Kehr um! Sei klug und kehr um!“

„Nicht doch!“, wehrte Christian ab. „Komm du vielmehr mit deinem Nachbarn mit! Die Dinge, von denen ich euch erzähle, sind auf jeden Fall zu bekommen und noch viel Herrlicheres dazu! Glaubt ihr mir nicht, so lest in diesem Buch nach: Die Wahrheit, die darin steht, ist mit dem Blute dessen besiegelt, der das Buch gemacht hat.“

„Nachbar Eigensinnig“, sagte Gefügig daraufhin, „ich gehe mit diesem guten Mann und teile sein Schicksal. Aber“, wandte er sich an Christian, „weißt du denn auch den Weg?“

„Ein Mann namens Evangelist wies mir den Weg zu einer kleinen Pforte. Dort wird man uns lehren, wie der Weg weitergeht.“

So gingen beide miteinander. Und Eigensinnig kehrte zurück zu seiner Familie. Er wollte nicht der Begleiter solcher Schwärmer werden.

Ich sah dann in meinem Traum Christian und Gefügig über die Ebene gehen und hörte sie miteinander reden. Christian begann:

„Nun, lieber Nachbar, ich bin froh, dass du dich entschlossen hast, mit mir zu gehen. Wüsste nur Eigensinnig mehr von den Kräften und Gefahren der unsichtbaren Welt, er würde uns nicht so leichtfertig den Rücken zukehren.“

„Hör, Nachbar Christian, da außer uns beiden jetzt niemand hier ist: Sag mir nun, welche Dinge es denn eigentlich sind, denen wir entgegengehen, und wie wir sie erreichen werden“, wollte Gefügig wissen.

„Ich kann nicht so gut davon reden. Ich will aus meinem Buch vorlesen.“

„Meinst du denn, dass die Worte des Buches wirklich wahr sind?“

„Aber natürlich, denn es sind die Worte von dem, der nicht lügen kann.“

„Nun, das ist gut“, sagte Gefügig. „Was sind es denn für Dinge?“

„Ein ewiges Königreich und ein ewiges Leben – beides soll uns für ewig gegeben werden.“

„Das ist herrlich. Und was weiter?“

„Ehrenkronen sind für uns bestimmt und Kleider, in denen wir leuchten wie die Sonne am Himmel.“

„Wie schön! Und was noch mehr?“

„Da wird kein Leid mehr sein und kein Geschrei, auch keine Schmerzen, denn der Herr jenes Ortes wird alle Tränen von unseren Augen abwischen.“

„Und welche Kameraden werden wir dort haben?“

„Cherubim und Seraphim, Geschöpfe, die deine Augen blenden würden, wenn du sie anschauen würdest. Tausende und Abertausende sind vor uns an diesen Ort gekommen, und keiner von ihnen tut dem anderen Leid an, denn alle sind erfüllt von Liebe und Heiligkeit. Sie leben vor dem Angesicht des Herrn und stehen in seiner Gegenwart und erfreuen sich seines ewigen Wohlgefallens. Dort werden wir auch die Ältesten mit ihren goldenen Kronen sehen. Wir werden die heiligen Jungfrauen mit ihren goldenen Harfen sehen und jene Männer, die aus Liebe zum Herrn jenes Ortes von der Welt zerhackt, in Flammen verbrannt, von wilden Tieren zerrissen und in die Tiefe des Meeres geworfen wurden; und nun sind sie alle glücklich und gekleidet mit Unsterblichkeit wie mit einem Gewand.“

„Das hört sich tatsächlich sehr schön an. Aber kann man sich an diesen Dingen wirklich so erfreuen? Wie bekommen wir denn Anteil daran?“, fragte Gefügig.

„Der Herr, der Herrscher jenes Landes, hat das in diesem Buch aufschreiben lassen. Und das Wesentliche ist, dass er uns das alles umsonst schenken wird, wenn wir nur von Herzen danach verlangen.“

„Gut, lieber Christian, das alles höre ich gerne. Komm, lass uns schneller gehen.“

Aber Christian konnte nicht. „Die Last auf meinem Rücken drückt, ich kann nicht so schnell.“

Nun schwiegen sie beide und ich sah sie in meinem Traum auf einen Sumpf zugehen. Der lag mitten auf dem Weg, und da sie nicht darauf geachtet hatten, fielen sie beide hinein. Der Name des Sumpfes war Hoffnungslosigkeit. Sie waren schon eine Weile darin herumgewatet, als Christian anfing, wegen der Last auf seinem Rücken im Schlamm zu versinken.

„Wo sind wir nur hingeraten, Nachbar Christian?!“, rief Gefügig.

„Ich weiß es auch nicht“, erwiderte Christian.

Gefügig war empört. Zornig schrie er seinen Begleiter an: „Ist dies etwa die Glückseligkeit, von der du gesprochen hast? Wenn es schon am Anfang so schlimm ist – was haben wir dann am Ende unserer Reise zu erwarten? Ich muss jetzt sehen, wie ich mit dem Leben davonkomme. Geh du meinetwegen allein in dein herrliches Land!“ Mit diesen Worten setzte er alles daran, aus dem Morast herauszukommen. Es gelang ihm auch. Er machte sich eilig davon und wurde von Christian nie mehr gesehen.

Christian, nun sich selbst überlassen, taumelte im Sumpf der Hoffnungslosigkeit hin und her. Er versuchte sich zu der Seite des Sumpfes hin durchzuarbeiten, die näher am Licht und der engen Pforte lag. Es gelang ihm auch, die Richtung zu halten, aber wegen der Last auf seinem Rücken schaffte er es nicht, allein herauszukommen. Da sah ich in meinem Traum, wie ein Mann namens Helfer zu ihm kam und ihn fragte, was er da mache.

„Oh Herr“, sagte Christian, „ein Mann namens Evangelist hat mir diesen Weg gewiesen, ich sollte auf jene Pforte dort zugehen, um dem zukünftigen Zorn zu entfliehen, und auf dem Weg bin ich nun in diesen Sumpf geraten.“

„Aber warum hast du nicht auf die Fußstapfen achtgegeben?“, fragte Helfer.

„Ich fürchtete mich so sehr, dass ich den erstbesten Weg nahm, und so kam ich in diesen Sumpf.“

„Nun, gib mir deine Hand.“ Christian streckte seine Hand aus, Helfer nahm sie und zog ihn aus dem Schmutz und Schlamm, stellte ihn auf festen Grund und ließ ihn seinen Weg weitergehen.

Ich trat nun zu dem, der ihn herausgezogen hatte, und fragte ihn: „Herr, weshalb wird wohl dieser Sumpf, der mitten auf dem Weg zwischen der Stadt Verderben und jener Pforte liegt, nicht ausgetrocknet, damit die armen Reisenden mit größerer Sicherheit an ihr Ziel kommen?“

„Das geht nicht“, antwortete er, „denn dies ist der Sumpf, in dem der Abschaum und der Abfall abfließen, die sich immer dann bemerkbar machen, wenn es zur Erkenntnis der Sünde kommt. Deshalb heißt der Sumpf auch Hoffnungslosigkeit. Denn sobald der Sünder seinen verlorenen Zustand erkennt, regen sich in seiner Seele Furcht, Zweifel und bange Sorge. Diese alle lagern sich hier ab und daher kommt es zu diesem Sumpf. Es ist nicht des Königs Wille“, fuhr Helfer fort, „dass dieser Ort so bleibt, wie er ist. Unter Anleitung königlicher Beamter mühen sich schon seit Jahrhunderten die Arbeiter, dieses Stück Land trockenzulegen. Millionen Wagenladungen heilsamer Belehrungen hat der Boden schon verschlungen, die zu allen Jahreszeiten von allen Gegenden des Reiches herbeigeschafft worden sind. Und die Sachverständigen behaupten, es gäbe nichts Besseres, um den Morast in guten Boden umzuwandeln. Aber es hat alles nichts genutzt. Der Gesetzgeber hat zwar dafür Sorge getragen, dass gute und sichere Fußstapfen mitten durch den Sumpf gelegt wurden, aber zu Zeiten, wenn hier der Abfall gärt, was bei eintretender Witterungsveränderung passiert, übersieht man leicht diese Spuren; und selbst wenn sie wahrgenommen werden, so treten die Leute doch leicht daneben wegen des Schwindels, der sie hier erfasst, und so werden sie dann vom Schlamm beschmutzt. Aber sobald man die kleine Pforte hinter sich gelassen hat, ist der Boden gut.“

Ich sah in meinem Traum, dass Gefügig zu Hause angekommen war. Bald besuchten ihn seine Nachbarn. Einige nannten ihn wegen seiner Umkehr einen vernünftigen Mann; andere einen dummen, weil er sich mit Christian in Gefahr begeben hatte. Die Dritten lachten ihn aus, er sei feige. „Wirklich“, sagten sie, „wir wären nicht so feige gewesen und hätten die Sache schon wegen kleiner Schwierigkeiten aufgegeben.“

Gefügig war ganz kleinlaut geworden. Aber schließlich ließen sie von ihm ab und schütteten ihren Spott über den armen, fernen Christian. Über Gefügig ist hier nichts Weiteres zu berichten.

Ein gefährlicher Irrweg

Christian wanderte nun wieder allein weiter. Da sah er, wie jemand quer über das Feld auf ihn zukam. Der Herr, der seinen Weg kreuzte, kam aus der Stadt der Hinterlistigkeit, einer sehr großen Stadt, ganz nahe dem Ort, aus dem Christian gekommen war. Herr Weltlich hatte schon von Christian gehört, denn Christians Auswandern aus der Stadt Verderben hatte manches Aufsehen erregt und war in vielen Orten Stadtgespräch geworden.

„Wohin des Wegs mit solcher Last, guter Freund?“, sprach Weltlich unseren Wanderer an.

„Ja, beladen bin ich armes Geschöpf“, antwortete Christian. „Ich gehe auf jene kleine Pforte zu, die da vorne liegt. Dort werde ich, wie man mir gesagt hat, auf den Weg gebracht, auf dem ich meine Last loswerde.“

„Hast du nicht Frau und Kinder?“

„Ja, aber diese Last drückt mich so nieder, dass ich nichts anderes mehr fühlen und denken kann. Ich habe Frau und Kinder, doch ich fühle mich so, als hätte ich keine.“

„Willst du auf mich hören, wenn ich dir einen Rat gebe?“, fragte Weltlich.

„Oh ja, wenn er gut ist! Guten Rat kann ich gebrauchen.“

„Ich rate dir, löse dich schnellstens von deiner Last. Denn vorher wird deine Seele nicht zur Ruhe kommen, noch wirst du dich der Segnungen erfreuen, die dir Gott zuteilwerden ließ.“

„Das ist es ja eben“, klagte Christian, „wonach ich mich sehne: diese schwere Last loszuwerden. Aber ich selbst kann mich nicht von ihr befreien, und es gibt auch keinen Menschen in unserem Land, der sie mir von den Schultern nehmen könnte. Darum muss ich diesen Weg gehen, wie ich dir sagte.“

Doch Weltlich ließ nicht locker: „Wer hat dich denn auf diesen Weg gebracht und dir gesagt, dass du ihn gehen musst, um deine Last loszuwerden?“

„Ein Mann, der mir groß und ehrwürdig erschien und dessen Name, wie ich mich erinnere, Evangelist war.“

„Hör doch auf, dich nach ihm und seinem Rat zu richten. Es gibt keinen gefährlicheren und schwierigeren Weg in der Welt als den, auf den er dich gebracht hat. Das wirst du merken, wenn du seinem Rat weiter folgst. Du hast ja auch, wie ich sehe, schon Erfahrungen damit gemacht: Der Schlamm aus dem Sumpf der Hoffnungslosigkeit hängt noch an deinen Kleidern. Dieser Sumpf ist aber erst der Anfang der Leiden, von denen alle betroffen werden, die diesen Weg gehen. Hör auf mich, ich bin älter als du. Auf dich warten Anstrengung, Schmerzen, Hunger, Gefahr, Schwäche, Schwert, Löwen, Drachen, Finsternis – kurz: der Tod, wenn du den Weg weitergehst. Dafür gibt es viele Zeugen. Und warum solltest du dich auf den Rat eines Fremden hin in solche Gefahren begeben?“

„Oh Herr“, seufzte Christian, „die Last auf meinem Rücken ist schlimmer als alles, was du erwähnt hast. Ich meine, ich dürfe nicht danach fragen, was mir auf meinem Weg begegnen wird. Wenn ich nur von meiner Last befreit würde.“

„Wie bist du denn zu dieser Last gekommen?“, wollte Weltlich wissen.

„Durch das Lesen dieses Buches hier.“

„Hab ich mir’s doch gedacht! Dir ist es wie all den andern ergangen, die sich mit so hohen Dingen abgeben und dann in solch einen verzweifelten Zustand geraten. In solcher Verwirrung folgen dann die Leute jedem Dummen und lassen sich auf Gefahren ein, um wer weiß was zu bekommen.“

„Ich weiß, was ich bekommen möchte: dass mir meine Last abgenommen wird.“

„Aber warum suchst du Erleichterung auf diesem Weg, der mit so vielen Gefahren verbunden ist – besonders auch, wo ich dir helfen könnte, das Gleiche zu bekommen, ohne dich den Gefahren auszusetzen, denen du hier in die Arme läufst? Die Hilfe ist ganz nah zu haben. Statt der Gefahren erwarten dich Sicherheit, Freundschaft und Frieden.“

„Ach bitte, sag mir doch dieses Geheimnis!“, bat Christian.

„Nun ja“, begann Weltlich, „dort in jenem Dorf mit Namen Sittenhaftigkeit wohnt ein Herr, ein einsichtsvoller Mann mit gutem Ruf, der die Kunst versteht, den Leuten Lasten wie die deine von den Schultern zu nehmen. Ich kann dir versichern, dass dieser Herr Gesetzlich schon viel Gutes gestiftet hat. Außerdem hat er die Gabe, auch jene zu heilen, die durch ihre Last ein wenig verrückt geworden sind. Zu ihm musst du gehen und dir wird sofort geholfen. Sein Haus ist kaum einen Katzensprung von hier entfernt. Und sollte er selbst nicht daheim sein, so sprich mit seinem Sohn, einem zuvorkommenden jungen Mann namens Höflich, der ebenso geschickt ist wie der alte Herr. Dort wird man dich von deiner Last befreien, und wenn du dann nicht in deinen früheren Wohnort zurückkehren magst, kannst du Frau und Kinder in diese Stadt zu dir kommen lassen. Es stehen gerade jetzt einige Häuser leer, von denen du eines billig haben kannst. Auch die Lebensmittel sind gut und preiswert. Außerdem wirst du dort ehrliche Nachbarn haben, die dir dein Leben glücklich und angenehm machen werden.“

Christian war zunächst ein wenig unsicher, aber dann kam er doch zu dem Entschluss, dem Rat dieses Herrn zu folgen. Er dachte, wenn es wahr sei, was er sagte, könne er nichts Besseres tun.

„Welchen Weg muss ich zum Haus dieses Mannes gehen?“, fragte er.

„Siehst du jenen Hügel dort?“

„Ja, recht gut.“

„Du musst auf den Hügel zugehen. Das erste Haus, zu dem du kommst, gehört ihm.“

So ging Christian von seinem Weg ab, um im Hause des Herrn Gesetzlich Hilfe zu suchen. Aber als er ganz nahe an den Hügel herangekommen war, erschien ihm dieser so hoch – auch hing eine Bergwand so drohend über seinem Weg –, dass er sich nicht weitertraute, weil er fürchtete, sie könne auf ihn herabstürzen. So stand er still und wusste nicht, was er tun sollte. Dabei schien ihm seine Last immer schwerer zu werden. Er sah feurige Blitze aus dem Hügel fahren, die ihm Angst einjagten. Er fürchtete sich und zitterte, und Reue stieg in ihm auf, weil er Herrn Weltlichs Rat befolgt hatte. Da sah er Evangelist auf sich zukommen und schämte sich sehr.

Evangelist sah ihn zornig an.

„Was tust du hier, Christian?“, fragte er.

Christian blieb stumm. Er wusste nicht, wie er antworten sollte.

„Bist du nicht der Mann, den ich jammernd vor den Mauern der Stadt Verderben fand?“

„Ja, guter Herr, ich bin der Mann.“

„Habe ich dir nicht den Weg zur engen Pforte gewiesen?“

„Ja, guter Herr.“

„Wie kommt es dann, dass du so bald abgewichen bist?“

„Als ich aus dem Sumpf der Hoffnungslosigkeit herausgekommen war, traf ich mit einem Herrn zusammen, der mir sagte, ich würde in der Stadt dort vor mir einen Mann finden, der mir die Bürde abnähme.“

„Wer war das?“, fragte Evangelist.

„Er sah wie ein vornehmer Herr aus, redete viel mit mir und überredete mich schließlich, seinem Rat zu folgen. So kam ich hierher. Als ich aber diese Wand erblickte und sie so über den Weg hängen sah, hatte ich Angst, sie würde auf mich herabstürzen.“

„Was sagte der Mann zu dir?“, fragte Evangelist weiter.

„Er fragte mich, wohin ich ginge, und ich sagte es ihm.“

„Was sagte er dann?“

„Er fragte mich, ob ich Familie hätte. Ich bejahte es, sagte aber auch, dass ich so schwer an meiner Last trage, dass ich an Frau und Kindern nicht mehr so viel Freude haben könnte.“

„Und was sagte er darauf?“

„Er empfahl mir, mich so schnell wie möglich von meiner Last zu befreien. Ich sagte zu ihm, dass ich ja gerade deshalb unterwegs sei und dass mir an jener kleinen Pforte weitere Anweisung für den Weg versprochen sei, der zur Erlösung führe. Da sagte er, er kenne einen besseren, kürzeren und weniger schwierigen Weg. Sein Weg würde mich zum Hause eines Herrn führen, der in der Lage sei, solch eine Bürde wegzunehmen. Ich glaubte ihm das und ging seinen Weg. Aber als ich hierherkam und sah, wie die Dinge wirklich sind, bekam ich Angst, und nun weiß ich nicht, was ich tun soll.“

„Bleib einen Augenblick stehen!“, befahl Evangelist, „damit ich dir Gottes Wort sagen kann.“

Zitternd blieb Christian stehen und Evangelist sprach das Wort: „Seht zu, dass ihr nicht den abweist, der redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die den abwiesen, der auf Erden redete, wie viel weniger werden wir entrinnen, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet.“ Und dies noch: „Mein Gerechter wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm.“ Dies übertrug er sofort auf Christian: „Du bist der Mann, der in dieses Elend hineinläuft. Du hast schon angefangen, den Rat des Allerhöchsten zu verwerfen und deinen Fuß vom Weg des Friedens zurückzuziehen, und hast dich der Gefahr deines eigenen Untergangs ausgesetzt.“

Christian fiel wie vernichtet zu seinen Füßen nieder und rief: „Oh nein, nun ist mein Leben vorbei.“

Aber als Evangelist das sah, ergriff er ihn bei seiner rechten Hand und sprach: „Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben. Sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“

Das tröstete Christian sehr. Zitternd richtete er sich auf, als Evangelist fortfuhr:

„Achte nun mit größerem Ernst auf das, was ich dir jetzt sage: Du sollst wissen, wer es war, der dich verführt hat, und zu wem er dich geschickt hat: Der dir begegnete, heißt Weltlich, denn sein Mund verkündet nur die Lehren dieser Welt. Er hält sich auch nur deshalb in dem Dorf der Sittenhaftigkeit an die Kirche, weil er deren Morallehren am meisten liebt, denn damit sichert er sich vor dem Kreuz. Er ist fleischlich gesinnt. Deshalb versucht er, die Menschen von meinen Wegen, die die richtigen sind, wegzuführen. Der Rat dieses Mannes enthält drei Ziele, die du verwerfen musst: Er will dich vom richtigen Weg abbringen, will dir das Kreuz verhasst machen und dich dem Tod ausliefern. Wenn du seinem Rat folgst, dann heißt das den Rat Gottes verwerfen und den Rat eines Weltlichen annehmen. Der Herr sagt aber: ,Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht‘ – das ist die Pforte, zu der ich dich sende –, ,denn eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und es sind wenige, die ihn finden.‘ Von dieser engen Pforte und dem Weg, der dahin führt, hat dich dieser gottlose Mann weggelockt und dich fast dem Verderben ausgeliefert. Lass es dir leid sein, dass ihm das gelungen ist und dass du auf ihn gehört hast. Du musst diesen Mann auch deshalb verabscheuen, weil er versucht hat, dir das Kreuz verhasst zu machen, das dir doch größerer Reichtum ist als alle Schätze Ägyptens. Der König der Herrlichkeit hat dir gesagt: ,Wer sein Leben liebt, der wird es verlieren‘, und: ,Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein!‘ Darum sage ich dir: Kehre dich ab von jedem, der dir einzureden versucht, das sei dein Tod, obwohl es nach dem Zeugnis der Wahrheit selbst dein Leben ist. Drittens musst du den Mann hassen, weil er deinen Fuß auf einen Weg lenkte, der zum Tod führt. Und schließlich musst du dir klarmachen, zu wem er dich geschickt hat und wie unfähig jener ist, dir deine Last abzunehmen. Jener Mann, der Gesetzlich heißt, ist Sohn einer Magd, einer Sklavin, und auf geheimnisvolle Weise des Berges Sinai, von dem du gefürchtet hast, er könne dir auf den Kopf fallen. Wie kannst du erwarten, durch sie, die in Gefangenschaft geboren sind, befreit zu werden? Dieser Gesetzlich kann dir deine Last nicht nehmen. Noch nie ist ein Mensch durch ihn befreit worden. Durch die Werke des Gesetzes kann keiner seine Last loswerden. Dieser Herr Weltlich ist also ein Lügner und Herr Gesetzlich ein Betrüger und sein Sohn Höflich trotz seiner ehrlichen Augen ein Heuchler. Glaube mir, hinter aller Angeberei dieser dummen Leute steckt nichts als der Plan, dich um dein Heil zu bringen, indem sie dich von dem Weg, auf den ich dich geführt habe, weglocken.“

Nach diesen Worten rief Evangelist den Himmel als Zeugen an, dass er die Wahrheit gesagt habe. Da kam eine Stimme aus dem Berg, an welchem der arme Christian stand, und Feuer, sodass er erschrak und sich die Haare auf seinem Kopf sträubten. Die Stimme sprach: „Die aus den Werken des Gesetzes leben, die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben: ,Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, dass er danach tue.‘“

Als Christian das hörte, erwartete er nichts anderes mehr als den Tod. Er begann zu klagen und zu jammern, indem er selbst die Zeit verfluchte, in der er mit Herrn Weltlich gesprochen hatte, und nannte sich tausend Mal einen Dummkopf, weil er auf dessen Rat geachtet hatte, weil die Worte Weltlichs eine solche Macht über ihn gehabt hatten, dass er vom rechten Weg abgekommen war.

„Herr“, sprach er zu Evangelist, „was meinst du – gibt es noch Hoffnung für mich? Kann ich noch umkehren und hinaufgehen zur engen Pforte? Oder werde ich verloren sein und von dort mit Schande abgewiesen werden? Es tut mir sehr leid, dass ich auf den Rat dieses Mannes gehört habe. Kann mir diese Sünde noch vergeben werden?“

„Deine Sünde ist zwar groß“, entgegnete Evangelist, „denn du hast den guten Weg verlassen und hast den verbotenen betreten; dennoch wird dir der Mann an der engen Pforte auftun und dich einlassen, denn er liebt die Menschen. Nur hüte dich davor, noch einmal den Weg zu verlassen, damit du nicht umkommst, denn sein Zorn wird bald entbrennen.“

Nachdem Evangelist Christian geküsst und ihm eine glückliche Reise gewünscht hatte, kehrte dieser um. Er hatte es eilig fortzukommen. Er vermied es, unterwegs mit anderen zu reden, und wenn ihn einer fragte, antwortete er ihm nicht. Er ging wie einer, der sich auf verbotenem Grund und Boden befand, und hatte nur noch eines im Sinn: auf den rechten Weg zu kommen, den er auf Herrn Weltlichs Rat hin verlassen hatte.

Durch die enge Pforte

So gelangte Christian an die Pforte. Auf deren Türsturz las er die Worte: „Klopft an, so wird euch aufgetan.“

Er klopfte mehrmals an, bis endlich ein ehrwürdiger Mann namens Gutwillig kam und fragte, wer er sei, woher er komme und was er wolle.

„Hier ist ein armer, beladener Sünder“, gab Christian zur Auskunft. „Ich komme aus der Stadt Verderben und bin unterwegs zu dem Berg Zion, damit ich vor dem künftigen Zorn errettet werde. Ich habe erfahren, dass der Weg dahin durch diese Pforte geht, und bitte dich, Herr, mich einzulassen.“

„Von Herzen gern“, sprach Gutwillig und öffnete ihm die Tür. Christian hatte den Fuß kaum auf die Schwelle gesetzt, als ihn der andere schnell hineinzog.

„Warum tust du das?“, fragte Christian.

Gutwillig erklärte es ihm: „Nicht weit von dieser Pforte liegt das Schloss von Luzifer, von wo aus er und alle, die zu ihm gehören, mit Pfeilen auf die zielen, die zu dieser Pforte heraufkommen, um sie, noch bevor sie eintreten können, zu töten.“

Christian zitterte am ganzen Körper. Aber er freute sich.

Nun fragte ihn der Pförtner, wer ihn hergeschickt habe.

„Evangelist befahl mir, hierherzukommen und anzuklopfen. Und du, Herr, würdest mir sagen, was ich weiter tun muss.“

„Vor dir hat sich eine Tür geöffnet und niemand kann sie zuschließen“, sagte Gutwillig. „Aber wie kommt’s, dass du allein bist?“

„Der Grund ist, dass keiner meiner Nachbarn die Gefahr erkannte.“

„Wusste jemand von deiner Reise?“

„Ja, zuerst merkten es meine Frau und meine Kinder. Sie riefen mir nach, ich solle wieder umkehren. Auch einige meiner Nachbarn wollten mich zur Umkehr bewegen. Aber ich steckte mir die Finger in die Ohren und setzte meinen Weg fort.“

„Aber ist dir keiner gefolgt, der dich schließlich doch noch zur Umkehr bewegen wollte?“

„Doch, Eigensinnig und Gefügig versuchten das. Aber als sie merkten, dass sie mich nicht überreden konnten, kehrte zuerst Eigensinnig spottend um; Gefügig begleitete mich noch ein Stück vom Weg.“

„Weshalb aber blieb er nicht bei dir?“, wollte Gutwillig wissen.

„Wir fielen in den Sumpf der Hoffnungslosigkeit“, berichtete Christian weiter. „Darüber verlor mein Nachbar den Mut. Als er schließlich auf der seinem Hause nächstliegenden Seite des Sumpfes wieder herausgekommen war, sagte er, er wolle sein Leben retten und ich möge von ihm aus alleiniger Besitzer all dessen sein, wohin dieser Weg führe.“

„Ach, der arme Mann“, sagte Gutwillig. „Er achtet die himmlische Gerechtigkeit so gering, dass er sie nicht für wert hält, sich diesen wenigen Beschwerden zu unterziehen.“

„Nun habe ich über Gefügig die Wahrheit gesagt“, fuhr Christian fort. „Wenn ich sie auch von mir erzähle, so wird es sich zeigen, dass zwischen ihm und mir kein Unterschied ist. Es ist wahr, er kehrte in sein Haus zurück. Aber ich selbst begab mich auf den Weg des Todes, auf den mich die Überredungskünste des Herrn Weltlich gelockt hatten.“

„Ach, machte der sich an dich heran und wollte dich bewegen, bei dem Herrn Gesetzlich Erleichterung zu suchen? Beide sind Betrüger. Und du nahmst seinen Rat an?“

„Ja, leider! Ich machte mich auf den Weg zu ihm. Doch dann kam ich an den Berg in der Nähe seines Hauses. Der war so steil, dass ich fürchtete, er würde über mich fallen, und ich wagte nicht weiterzugehen.“

„Der Berg hat manchem den Tod gebracht und wird noch viele töten. Wie gut, dass du entkommen bist.“

„Ja, das stimmt, denn ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn mir nicht Evangelist aufs Neue begegnet wäre. Ich wusste in meiner Verwirrung nicht aus noch ein. Aber Gottes Gnade führte ihn wieder zu mir. Sonst würde ich nicht hierhergekommen sein. Nun bin ich da als einer, der eher den Tod unter jenem Berge verdient hätte, als hier zu stehen und mit meinem Herrn zu reden. Welch eine Gnade ist es für mich, dass ich dennoch hereindurfte.“

„Wir klagen keinen an, was er auch getan haben mag, bevor er hierherkam“, sagte Gutwillig. „Wer hierherkommt, wird nicht hinausgestoßen. Geh also, lieber Christian, eine kurze Strecke mit mir, ich will dir den Weg zeigen, den du weitergehen sollst. Schau hin – siehst du jenen schmalen Pfad? Den musst du gehen. Die Erzväter und die Propheten, Christus und seine Apostel sind ihn gegangen. Er führt immer geradeaus. Dies ist der Weg, den geh!“

„Gibt es auch keine Kurven, keine unübersichtlichen Strecken, keine Weggabelungen, durch die ein Fremder vom Weg abkommen könnte?“

„Oh doch, es gibt noch viele Wege, aber die sind krumm und breit. Du kannst den richtigen vom falschen Weg unterscheiden, denn nur der richtige verläuft geradeaus und er ist schmal.“

Ich beobachtete, wie Christian ihn noch fragte, ob er ihm nicht die Last von den Schultern nehmen könne, denn er schleppe sie noch immer mit sich herum und könne sie ohne Hilfe nicht loswerden. Doch Gutwillig antwortete ihm:

„Gedulde dich, bis du zum Ort der Befreiung kommst. Dort wird sie dir von den Schultern fallen.“

So bereitete sich Christian auf das Weiterwandern vor. Doch vorher gab ihm Gutwillig noch eine wichtige Anweisung: Er werde nach einer bestimmten Zeit zum Hause des Auslegers gelangen. Dort solle er anklopfen. Der Ausleger würde ihm dann herrliche Dinge zeigen.

So verabschiedete sich Christian von seinem Freund, und dieser befahl ihn Gott an.

Im Haus des Auslegers

Als Christian am Hause des Auslegers angekommen war, musste er mehrmals anklopfen, bis endlich jemand ans Tor kam und fragte, wer da sei.

„Hier ist ein Pilger“, sagte Christian, „der den Herrn dieses Hauses sprechen möchte. Er kommt von einem guten Freund des Hausherrn.“

Der Herr wurde gerufen und fragte nach dem Wunsch des Fremden. Christian gab bereitwillig Auskunft: „Ich komme aus der Stadt Verderben und bin unterwegs zum Berg Zion. Der Mann an der engen Pforte zu Beginn dieses Wegs sagte mir, du würdest mir herrliche Dinge zeigen, die für meine Reise wichtig wären.“

„Komm herein“, bat Ausleger, „ich will dir zeigen, was dir von Nutzen sein wird.“ Er ließ durch seinen Diener Licht anzünden und forderte Christian auf, ihm zu folgen. Sie kamen an eine Tür, die der Diener öffnen musste. An der Wand jenes Zimmers hing das Bild eines ehrwürdigen Mannes. Der hielt das Beste aller Bücher in der Hand. Auf seinen Lippen stand das Gesetz der Wahrheit geschrieben, seine Augen waren zum Himmel gerichtet. Die Welt lag hinter ihm. Über seinem Kopf schwebte eine Krone aus Gold.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Christian. Ausleger erklärte es ihm: „Der Mann ist einer von Tausenden. Er kann Kinder zeugen, mit Schmerzen gebären und sie pflegen, wenn sie geboren sind. Daran, dass er seine Augen zum Himmel richtet, das Beste der Bücher in der Hand hält und das Gesetz der Wahrheit auf seinen Lippen steht, erkennst du, dass er dunkle Dinge erkennt und sie den Sündern zeigt. Dass die Welt hinter ihm ist und die Krone über seinem Haupt steht, soll zeigen, dass er aus Liebe zum Dienst für seinen Herrn die Güter dieser Welt gering schätzt. Aber er weiß, dass er Teilhaber der göttlichen Herrlichkeit ist.

Ich habe dir nun zuerst dieses Bild gezeigt. Der Herr des Ortes, an den du gehst, hat dir den Mann, den das Bild darstellt, überall dort zum Führer bestimmt, wo dich Schwierigkeiten erwarten. Halte dich also an das, was ich dir gezeigt habe, und vergiss es nicht! Und denke besonders daran, wenn dir unterwegs Menschen begegnen, die vorgeben, dich auf den richtigen Weg zu leiten, der aber mit Sicherheit nur zum Tod führt.“

Nun fasste Ausleger seinen Gast bei der Hand und führte ihn in einen geräumigen Saal. Der war voller Staub, als hätte man dort nie gekehrt. Nach einer Weile befahl Ausleger einem Diener zu kehren. Da flog all der Staub auf, dass Christian beinahe daran erstickt wäre. Zu einer dabeistehenden Magd sagte Ausleger:

„Bring Wasser her und bespritze das Zimmer.“ Dann wurde wieder gekehrt und gewischt, sodass der Saal vor Sauberkeit glänzte.

Wieder fragte Christian: „Was bedeutet das?“

„Dieser Saal“, antwortete Ausleger, „gleicht dem Herzen eines Menschen, das durch die Gnade des Evangeliums noch nicht geheiligt ist. Der Staub ist die Erbsünde, das innere Verderben, das den ganzen Menschen verunreinigt. Der Diener, der zuerst anfing zu kehren, ist das Gesetz. Die Magd, die das Wasser brachte und spritzte, ist das Evangelium. Wenn einer kehrt und nur den Staub aufwirbelt, kann er nicht reinigen. Ja, du wärst beinahe daran erstickt. Statt das Herz von der Sünde zu reinigen, wurde die Sünde durch das Gesetz erst lebendig und kräftig. Die Kraft der Sünde macht sich bemerkbar. Sie wurde mächtig, weil das Gesetz die Sünde aufdeckt und verbietet, aber nicht die Kraft gibt, sie zu überwinden. Dass die Magd den Raum mit Wasser bespritzte und ihn dann gut säubern konnte, ist ein Bild vom Evangelium mit seiner Einwirkung auf unsere Herzen. Es besiegt die Sünde durch den Glauben und reinigt die Seele, die nun bereit ist, den König der Ehren zu empfangen.“

Ich sah, wie Ausleger ihn bei der Hand fasste und ihn in ein kleines Zimmer führte, in dem zwei Kinder saßen. Das ältere hieß Verlangen, das andere Geduld. Verlangen schien sehr unzufrieden zu sein, aber Geduld war ganz still.

„Warum ist Verlangen so unzufrieden?“, fragte Christian.

„Der Hauslehrer wünscht nicht, dass man die Kinder mit den besten Sachen überschüttet. Sie sollen mit einigen bis Anfang nächsten Jahres warten. Verlangen will alles sofort haben, Geduld dagegen wartet willig.“

Da kam jemand zu Verlangen und schüttete einen Sack voll Kostbarkeiten vor ihm aus. Sofort beschäftigte er sich damit: erfreute sich darüber, wühlte hastig darin herum und sah mit einem höhnischen Lächeln hinüber zu Geduld, der ganz offensichtlich jetzt gerade leer ausging. Doch ich sah, dass Verlangen schon nach kurzer Zeit mit der Zerstörung all der Kostbarkeiten begann, sodass nichts mehr übrig blieb als Trümmer und Fetzen.

„Hilf mir, das zu verstehen“, bat Christian.

„Die beiden Kinder sind Abbilder“, erklärte Ausleger. „Verlangen ist ein Bild von den Kindern dieser Welt, Geduld von den Kindern der zukünftigen. Wie Verlangen alles sofort haben will, also schon in dieser Welt, so sind auch die Kinder dieser Welt: Sie müssen alles Gute jetzt schon besitzen und können auf ihren Anteil nicht warten. Das Sprichwort ,Ein Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach‘ gilt bei ihnen mehr als alle göttlichen Zeugnisse von den Gütern der zukünftigen Welt. Du hast gesehen, wie schnell er alles verschwendet hatte und dass ihm nichts blieb als Fetzen und Trümmer. So wird es auch den Kindern dieser Welt am Ende ergehen.“

Christian hatte verstanden. „Geduld hat also die höchste Weisheit: Er wartet auf die besseren Güter, er wird seine Schätze in ihrer ganzen Herrlichkeit besitzen, wenn dem anderen nur noch Fetzen geblieben sind …“