„Was sucht Ihr? Sagt! Und was erwartet Ihr?“
„Ich weiß es nicht; ich will das Unbekannte!
Was mir bekannt, ist unbegrenzt. Ich will
darüber noch. Mir fehlt das letzte Wort.“
„Der mächtige Zauberer“.
„Ich fühlte … daß ich kein englisches und kein lateinisches Buch schreiben werde: und dies aus dem einen Grund … nämlich weil die Sprache, in welcher nicht nur zu schreiben, sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben wäre, weder die lateinische, noch die englische, noch die italienische und spanische ist, sondern eine Sprache, von deren Worten mir auch nicht eines bekannt ist, eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen und in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde.“
Hugo von Hofmannsthal, „Ein Brief“.
Der literarischen Gestaltung nach recht locker aneinander gefügt, sind diese Aufzeichnungen in Wahrheit das Ergebnis von lange und langsam gereiften Überzeugungen.
In ihnen wird ein größtes Problem mit scheinbarer Unbefangenheit aufgestellt, ohne daß der Schlüssel zu seiner letzten Lösung gegeben werde, weil das Problem auf Menschenalter hinaus nicht – wenn überhaupt – lösbar ist.
Aber es begreift in sich eine unaufgezählte Reihe minderer Probleme, auf die ich das Nachdenken derjenigen lenke, die es betrifft. Denn recht lange schon hatte man in der Musik ernstlichem Suchen nicht sich hingegeben.
Wohl entsteht zu jeder Zeit Geniales und Bewunderungswertes, und ich stellte mich stets in die erste Reihe, die vorüberziehenden Fahnenträger freudig zu begrüßen; aber mir will es scheinen, daß die mannigfachen Wege, die beschritten werden, zwar in schöne Weiten führen, aber nicht – nach oben.
Der Geist eines Kunstwerkes, das Maß der Empfindung, das Menschliche, das in ihm ist – sie bleiben durch wechselnde Zeiten unverändert an Wert; die Form, die diese drei aufnahm, die Mittel, die sie ausdrückten, und der Geschmack, den die Epoche ihres Entstehens über sie ausgoß, sie sind vergänglich und rasch alternd.
Geist und Empfindung bewahren ihre Art, so im Kunstwerk wie im Menschen; technische Errungenschaften, bereitwilligst erkannt und bewundert, werden überholt, oder der Geschmack wendet sich von ihnen gesättigt ab. –
Die vergänglichen Eigenschaften machen das „Moderne“ eines Werkes aus; die unveränderlichen bewahren es davor, „altmodisch“ zu werden. Im „Modernen“ wie im „Alten“ gibt es Gutes und Schlechtes, Echtes und Unechtes. Absolut Modernes existiert nicht – nur früher oder später Entstandenes; länger blühend oder schneller welkend. Immer gab es Modernes, und immer Altes. –
Die Kunstformen sind um so dauernder, je näher sie sich an das Wesen der einzelnen Kunstgattung halten, je reiner sie sich in ihren natürlichen Mitteln und Zielen bewahren.
Die Plastik verzichtet auf den Ausdruck der menschlichen Pupille und auf die Farben; die Malerei degradiert, wenn sie die darstellende Fläche verläßt und sich zur Theaterdekoration oder zum Panoramabild kompliziert; –
die Architektur hat ihre Grundform, die von unten nach oben zu schreiten muß, durch statische Notwendigkeit vorgeschrieben; Fenster und Dach geben notgedrungen die mittlere und abschließende Ausgestaltung; diese Bedingungen sind an ihr bleibend und unverletzbar; –
die Dichtung gebietet über den abstrakten Gedanken, den sie in Worte kleidet; sie reicht an die weitesten Grenzen und hat die größere Unabhängigkeit voraus:
aber alle Künste, Mittel und Formen erzielen beständig das eine, nämlich die Abbildung der Natur und die Wiedergabe der menschlichen Empfindungen.
Architektur, Plastik, Dichtung und Malerei sind alte und reife Künste; ihre Begriffe sind gefestigt und ihre Ziele sicher geworden; sie haben durch Jahrtausende den Weg gefunden und beschreiben, wie ein Planet, regelmäßig ihren Kreis.[1]
Ihnen gegenüber ist die Tonkunst das Kind, das zwar gehen gelernt hat, aber noch geführt werden muß. Es ist eine jungfräuliche Kunst, die noch nichts erlebt und gelitten hat.
Sie ist sich selbst noch nicht bewußt dessen, was sie kleidet, der Vorzüge, die sie besitzt, und der Fähigkeiten, die in ihr schlummern: wiederum ist sie ein Wunderkind, das schon viel Schönes geben kann, schon viele erfreuen konnte und dessen Gaben allgemein für völlig ausgereift gehalten werden.
Die Musik als Kunst, die sogenannte abendländische Musik, ist kaum vierhundert Jahre alt, sie lebt im Zustande der Entwicklung; vielleicht im allerersten Stadium einer noch unabsehbaren Entwicklung, und wir sprechen von Klassikern und geheiligten Traditionen![2] Spricht doch bereits ein Cherubini, in seinem Lehrbuch des Kontrapunktes, von „den Alten“.
Wir haben Regeln formuliert, Prinzipien aufgestellt, Gesetze vorgeschrieben – – – wir wenden die Gesetze der Erwachsenen auf ein Kind an, das die Verantwortung noch nicht kennt!
So jung es ist, dieses Kind, eine strahlende Eigenschaft ist an ihm schon erkennbar, die es vor allen seinen älteren Gefährten auszeichnet. Und diese wundersame Eigenschaft wollen die Gesetzgeber nicht sehen, weil ihre Gesetze sonst über den Haufen geworfen würden. Das Kind – es schwebt! Es berührt nicht die Erde mit seinen Füßen. Es ist nicht der Schwere unterworfen. Es ist fast unkörperlich. Seine Materie ist durchsichtig. Es ist tönende Luft. Es ist fast die Natur selbst. Es ist frei.
Freiheit ist aber etwas, das die Menschen nie völlig begriffen noch gänzlich empfunden haben. Sie können sie nicht erkennen noch anerkennen.
Sie verleugnen die Bestimmung dieses Kindes und fesseln es. Das schwebende Wesen muß geziemend gehen, muß, wie jeder andere, den Regeln des Anstandes sich fügen; kaum, daß es hüpfen darf – indessen es seine Lust wäre, der Linie des Regenbogens zu folgen und mit den Wolken Sonnenstrahlen zu brechen.
Frei ist die Tonkunst geboren und frei zu werden ihre Bestimmung. Sie wird der vollständigste aller Naturwiderscheine werden durch die Ungebundenheit ihrer Unmaterialität. Selbst das dichterische Wort steht ihr an Unkörperlichkeit nach; sie kann sich zusammenballen und kann auseinanderfließen, die regloseste Ruhe und das lebhafteste Stürmen sein; sie hat die höchsten Höhen, die Menschen wahrnehmbar sind – welche andere Kunst hat das? –, und ihre Empfindung trifft die menschliche Brust mit jener Intensität, die vom „Begriffe“ unabhängig ist.
Sie gibt ein Temperament wieder, ohne es zu beschreiben, mit der Beweglichkeit der Seele, mit der Lebendigkeit der aufeinanderfolgenden Momente; dort, wo der Maler oder der Bildhauer nur eine Seite oder einen Augenblick, eine „Situation“ darstellen kann und der Dichter ein Temperament und dessen Regungen mühsam durch angereihte Worte mitteilt.
Darum sind Darstellung und Beschreibung nicht das Wesen der Tonkunst; somit sprechen wir die Ablehnung der Programmusik aus und gelangen zu der Frage nach den Zielen der Tonkunst.