Ins Deutsche übertragen von
Friedrich Torberg und Ephraim Kishon
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© für die Originalausgabe und das eBook:
2013 LangenMüller in der
F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.
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Schutzumschlag: atelier-sanna.com, München
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Satz und eBook-Produktion:
Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
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ISBN 978-3-7844-8173-9
Inhalt
Kleine Kulturgeschichte des Essens
Schaschlik, sum-sum, wus-wus
Wem die Teller schlagen
Gäste willkommen
Garçon, une entrecôte!
Salzstangenorgie wider Willen
Fünf Sterne für eine Henkersmahlzeit
Durch den Kakao gezogen
Der Kohlrabi schlägt zurück
Feine Hausmannskost
Die Leberwurst-Affäre
Feuerschlucker lieben Suppen
Ein Denkmal für den Spinat
Vergangener Appetit
Petersilie ist lustig
Zigeunerschnitzel auf »Fremde-Gattin-Art«
Das Hamsterfest oder Brot nach Großmutters Art
Der kulinarische Rufmord
Das heißersehnte Lächeln des Kellners
Ristorante Santa Helena
Sperrstunde
Eiserner Vorrat
Die süßen Früchte der Massage
Tutto von Spaghetti
Service inbegriffen
Mitbringsel für Vierbeiner
Die Brezelfrage
Wider den tierischen Diätwahn
Kleine Kulturgeschichte des Essens
Aus anthropologischer Sicht ist das Essen eine der ältesten Angewohnheiten des Menschen. Ja, es lässt sich sogar nachweisen, dass es in gewissen Kreisen bereits zu Urzeiten eingeführt wurde.
Schon in den Heiligen Schriften ist auffallend häufig vom Essen die Rede, angefangen mit der berüchtigten Apfelaffäre bis hin zum Letzten Abendmahl. Moses selbst räumt diversen koscheren Reinheitsvorschriften ein ganzes Kapitel ein, das die Aufnahme allzu leckerer Speisen rigoros einschränkt. In der griechischen Mythologie finden sich eindeutige Hinweise darauf, dass Essen nach und nach zum existenziellen Bedürfnis des Menschen wurde, ungeachtet des Risikos, dass es bei fortgesetzter Anwendung zu Abhängigkeit führen kann. Tatsache ist jedenfalls, dass die griechischen Götter dem frechen Tantalos zur Strafe einen Fresskorb mit den auserlesensten Delikatessen vor die Nase hängten. Allerdings unerreichbar für ihn. Die alten Römer hingegen bekannten sich als Erste öffentlich dazu, dass dem Essen nicht nur nährende Bedeutung zukommt, sondern dass es im Rahmen wohlorganisierter Orgien durchaus echtes Vergnügen bereiten kann. Die römischen Adeligen, von ihren Mätressen wollüstig umlagert, vertilgten leidenschaftlich gern wahre Unmengen von Leckerbissen, danach empfahlen sie sich mit einem diskreten »Pardon« aufs Klo, steckten dort eine Feder in den Hals und räumten ihren Magen für weitere Gänge des Festmahls. Dieser Vorgang kann übrigens dank unserer modernen Lebensmittelindustrie heutzutage ohne Federlesens bewerkstelligt werden.
Die Einstellung zum Essen und den damit verbundenen Folgen hat sich also im Laufe der Generationen von Grund auf gewandelt. Während der beleibte Konsul Lukullus sich dank seiner üppigen Menüs noch einen Ehrenplatz in den Annalen sichern konnte, haben unsere »Weightwatchers« die mörderische Erfindung des Kalorienzählens eingeführt und damit die digitale Waage zu einem integralen Bestandteil unserer täglichen Ess- und Trinkgewohnheiten erhoben.
Unserer bedauernswerten Generation bleibt also nur der neidische Blick auf die Bilder unserer Ahnen. Ihnen war es noch vergönnt, das goldene Zeitalter zu erleben, in dem eine wohlgewölbte Wampe als Symbol für das Wohlbefinden eines Mannes galt und die Schönheitsköniginnen ihre vollen Linien mit atemberaubenden Korsetts im Zaum hielten. Meine liebe Frau Mama ließ in meiner Jugend keine Gelegenheit aus, mich darauf hinzuweisen, dass nur wohlgerundete Pummelchen Überlebenschancen hätten, während die Magerlinge wie ich, früher oder später, zwangsläufig der Schwindsucht oder der Altersschwäche erliegen müssten.
Heute trifft bekanntlich das Gegenteil zu. Seitdem das Cholesterin es geschafft hat, den Weg ins Bewusstsein und in die Werbekampagne der Nahrungsmittelhersteller zu finden, ist das zu »Kohlenhydraten« avancierte Fett »pfui Teufel« und das Essen kein Vergnügen mehr. In der Bibel heißt es: »Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden.« Heute besaufen sich die Kinder mit Wein, und die Väter sind deswegen sauer.
Nichts ist mehr, wie es war. Verkehrte Welt.
Eine allgemeine Verwirrung hat um sich gegriffen, welche die natürliche Neigung zum Essen derzeit zugrunde richtet. Sie zeigt sich nicht nur im neuen Taillendurchschnitt, der laut Statistik seit der Jahrhundertwende um 38 % zugenommen hat, sondern auch im Verhalten des fressenden Menschen gegenüber den diversen Nahrungsmitteln.
Im glücklichen präkalorischen Zeitalter wurde der gute Blumenkohl normalerweise schlicht als »Blumenkohl« bezeichnet, und damit hatte es sich. Heute steht auf der Konservendose: »Kanadischer Edelblumenkohl. Enthält Strontium, Kalzium, Magnesium, Lithium, Aluminium und Proteine ohne künstlichen Zusatz von Nitroglyzerin.« Der glückliche Besitzer der Konserve kann also aufatmen, dass sein Edelblumenkohl aus Kanada wenigstens kein Eiweiß enthält. »Proteine« und »Eiweiß« sind zwar genau dasselbe, aber das muss schließlich nicht jeder wissen. Hauptsache, der Edelblumenkohl ist »light« und weder künstliche Farbstoffe noch echte Stofffarben beeinträchtigen seinen hohen Qualitätsanspruch.
Unbetroffen sind jedoch die siegreichen »Bio-Produkte aus dynamischem Anbau«. Meistens handelt es sich dabei um besonders erlesene Gemüsesorten, aus entferntesten Gegenden importiert, in denen sich die Umweltverschmutzung glücklicherweise völlig der Kontrolle unserer Gesundheitsbehörden entzieht.
Wie man sieht, wurde das Essen, dereinst beinahe heiliger Akt und ungetrübtes kulinarisches Vergnügen, im Laufe der menschlichen Evolution einerseits zum quälenden Problem, andererseits zum Bombengeschäft, das von einer Sintflut verführerischer Reklame begleitet wird. Für einen erfolgreichen Werbekreuzzug heuert der progressive Lebensmittelhersteller von heute ein gertenschlankes Mannequin an, das er gegen gutes Geld so lange mästet, bis es die fassähnlichen Ausmaße seiner Tante annimmt. Unter dem Foto der Tante steht dann in der Werbung »Vorher!«, unter dem des Mannequins »Nachher!«.
Hier möchte ich aber einwerfen, wie erstaunlich ich es finde, dass jeder Vielfraß immer und immer wieder auf seine Unzulänglichkeit aufmerksam gemacht wird, die Mageren hingegen selten und die Glatzköpfe niemals. Ein Dicker aber muss sich mindestens ein Dutzend Mal am Tag anhören: »Hör mal, du solltest wirklich nicht so viel essen.«
Was für ein geschmackloser Übergriff in die Privatsphäre.
Wir wollen aber nicht ungerecht sein. Wohl oder übel muss man zugestehen, dass im Lebensmittelbereich auch einige überwältigende Fortschritte zu verzeichnen sind. Nehmen wir zum Beispiel die Farben. Moderne Nahrungsmittel werden heute in den märchenhaftesten Technicolor-Farben produziert, ganz zu schweigen von ihrer stimulierenden Glitzerverpackung. Will jedoch ein Hersteller auf Nummer todsicher gehen, vermerkt er auf der Verpackung obendrein: »Nach Großmutters Art«.
Immerhin war das Essen früher auch eine durchaus legale Alternative zum außerehelichen Sex, auf dem ja bekanntlich bis heute ein göttliches Veto lastet. Im Zuge der weltweiten Befreiungswelle der letzten Jahrzehnte aber wurde der illegale Geschlechtsverkehr zur Pflicht, das Essen hingegen zum Tabu.
Alles hat eben seine Vor- und Nachteile.
Essen setzt auch persönliche Motive voraus. Essen als solches ist ja nicht nur eine existentielle Handlung, sondern oftmals auch ein soziales oder familiäres Ereignis, untermalt von Kerzenlicht, alkoholischen Getränken und romantischer Hintergrundmusik, Chefköchen und Kellnern. Ganz zu schweigen von den Schneidern und Näherinnen, welche die einzige Alternative zur Abmagerungskur bieten.
In dieser Hinsicht bin ich auch nicht besser als irgendein anderer. Zum Glück war ich in meiner Kindheit so dürr wie Bio-Magerquark, und diesem segensreichen Umstand verdanke ich es, dass ich auch heute nicht übermäßig dick bin. Wenn jedoch die täglichen Vergewaltigungsszenen und saftigen Sexualmorde über den Bildschirm flimmern, stopfe ich unkontrolliert Salzstangen in mich hinein, und es packt mich die fieberhafte Gier, in den hintersten Schubladen nach Schokoladenresten zu suchen. Dafür schäme ich mich aber nicht im Geringsten, denn was der Körper braucht, das braucht er. Und überhaupt, ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass »Du sollst nicht naschen« eines der Zehn Gebote ist. Was nun meinen zwickenden Hosenbund betrifft, den brauchen mir die oben erwähnten Schneider nicht weiter zu machen. Ich habe da mein ganz persönliches System entwickelt: Den Reißverschluss meiner Hose ziehe ich fast ganz hoch, den Knopf oder den Haken unter dem Gürtel aber lasse ich geöffnet. Dabei atme ich, so seicht es geht, und betrachte mich niemals im Profil in einem Spiegel, sondern immer nur »en face«.
Dieses Buch soll dazu beitragen, Essen und Trinken von den neuen Fesseln zu befreien und ihnen den Glanz der Jugend wiederzugeben.