Inhalt

Vorwort

Trachtenfossilien

Tut der was?

Insulaner

Die Kehrseite der Moderne

Bullauge, sei wachsam!

Musikalische Kegelbrüder

Nur eine Semmel und eine Brez’n?

Das Märchenschloss auf Teneriffa

Schoss der Hund oder gar der Gutachter?

In Zeiten des Wandels

Facebook-Abschied?

Neue Leber?

Pflichtausrückübung

Süchtiger Sammler, abhängiger Bub

Der Hund, die Katz, das Pferd

Nordmanntannen-Saga

Ungeliebte Geschenke

Das Ewige-Jugend-Spritzerl

Sprachlosigkeit

Der Eremit im Kirchwald

Weihnachten in den Caribou-Mountains

Ins Land der Bären

Die zerfließenden Uhrzeiger

Die Rolle als Esel

Die Tante aus Berlin

Drogenbeerdigung

Eigenartige Flirtabsichten

Wieder vereint

Leichte weihnachtliche Erfrierungen

Alte und neue Episoden

Feierliche Gedanken

Naturfriede

Tierisch-glückliche Verständigung

Der Autor

Vorwort

Als mich der Wolfgang Schierlitz bat, ein Vorwort für sein neues Buch zu verfassen, fühlte ich mich zunächst zwar recht geehrt, versuchte aber sofort intensiv, ihn wieder zur Vernunft zu bringen und ihm diese Idee auszureden. Er hätte doch keinen Vorteil aus meinem Vorwort, ja nicht einmal aus mehreren Vorwörtern. Derlei Argumenten war er aber nicht zugänglich und meinte nur: »Hauptsache ich kenne dich. Und das noch dazu allzu gut. Du bist doch ein Bauer und Dichter und kennst dich also aus mit Mist und Käse. Damit bringst du die idealen Voraussetzungen für eine Würdigung meines neuesten Werkes auf sehr natürliche Weise mit.« Ich war sehr baff und wusste nicht recht, was er damit meinte, bis ich kurz darauf sein Manuskript in Händen hielt. Und tatsächlich las ich gleich auf den ersten Seiten beispielsweise die Frage, ob etwa Salzwasserfische leichter als Süßwasserfische seien. Ich stellte fest, dass ich darauf keine Antwort hatte und beschäftigte mich so lange mit dem Thema, bis ich endlich merkte, dass die Frage Käse war und bei einer Beantwortung nur Mist herauskommen könnte. Dafür wurde mir allmählich klar, warum er mich auserkoren hatte. Als Bauer weiß ich natürlich den Wert von Mist und Käse sehr zu schätzen. Ich produziere beides täglich – respektive lasse es produzieren – und so bestätige ich gerne aufgrund meiner Erfahrung, dass beides duftet und nahrhaft ist. Junger Käse riecht aromatisch, älterer herzhaft. Ist der Käse abgelaufen, stinkt er mitunter erbärmlich. Beim Mist sind ebenso die Aromavariationen möglich. Ein großer Misthaufen, welcher unter Sauerstoffmangel leidet, ist kein aromatisches Highlight. Nur wenn der Mist sorgfältig abgelagert ist, wird daraus wertvoller Kompost. Und so verhält es sich also mit diesen Geschichten ganz ähnlich. Manchmal haben sie einen aromatischen Geschmack wie junger Käse – flott und leichtsinnig dahingeschrieben. Manchmal schmecken sie sehr herzhaft, gehaltvoll und schwer – will heißen, dass ein Mensch sich tiefsinnige Gedanken und ein Herzensthema gemacht hat. Nahrhaft sind sie beide: Der Käse als Lebensmittel für den Menschen, Mist als Dünger für alles Leben im Boden. Andere sind vielleicht nur »Nonsens« – ein englisches Wort für etwas, das man durchaus gelegentlich mit Mist übersetzen könnte. Geschichten also, über die man einfach schmunzeln kann, ohne sie allzu ernst nehmen zu müssen. Und es gibt auch gut abgelagerten Geschichtenkompost – wohltuend und erdig. Und am Ende wird alles immer nur Humus. Und Humus klingt ja irgendwie nach Humor: Und schon ist der natürliche Kreislauf geschlossen – das Buch ist rund. Und ich, der Landwirt, bin richtig dankbar, dass er, der Wörterwirt, mich um dieses Vorwort gebeten hat.

Hans Neumayer, Dichter und Bauer.

Trachtenfossilien

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Wer’s noch nicht weiß: Die Trachtenlederhose aus Emmering basiert auf einer eigenen Erfindung. Sie soll die älteste der Welt überhaupt sein, behauptet man jedenfalls. Der Emmeringer Lehrer Josef Vogl hat mitsamt der Lederhose bereits 1883 den ersten Verein zur Erhaltung der Volkstracht gegründet. Leider wurde damals noch kein Patent darauf ausgegeben. Sogar die kirchliche Strenge richtete sich etwas gegen die sogenannten Kniehösler, weil Vogl und seine fortschrittlichen Freunde bei einem Säckler kurze Lederhosen nach eigenen Vorstellungen anfertigen ließen. Wo blieb da die Keuschheit?

Doch auch der Märchenkönig, Ludwig II., gab dem Vogl sein Wohlwollen zur Erfindung kund. Er ließ an Kreis- und Bezirksämter die Aufforderung ergehen, Vereine zur Erhaltung der Tracht zu gründen. Und immer, wenn die stille, heilige Nacht heranbricht, freut sich heutzutage jeder echte, gesunde Bub über eine fesche Lederhose als Weihnachtsgeschenk. Schneidig stolziert er dann mit der Kurzen und blauen Knien in die Christmette.

Das Datum der ersten Lederhosengeburt ist nicht mehr genau zu ermitteln. Vor allem die wärmere Bundlederhose dürfte zum weihnachtlichen Fest hin erfunden worden sein. Doch der offene Streit ist leider vorprogrammiert, denn Miesbach behauptet fast das Gleiche. Aber zur näheren Beweisführung fand da auch eine gewaltige Ausstellung statt. In Emmering. Mit uralten Hosenfossilien von früheren Trachtensauriern. Dunkle, helle, Ziege, Kuh, Hirsch, Reh, Gams, Elefant (für umfangreichere Trachtler), Gilb (für waschfeindliche Hosenträger). Da breitete sich ein origineller, schwerer, untrüglicher Duft aus. Fast tierisch. Das echte Lederhosen-Fluidum, ein Fundus für den findigen Kabarettisten.

Der fleißige, vielseitige, findige Justus griff die Sache als Stimmungskanone auf und wurde später von der Süddeutschen Zeitung erst angekündigt und dann auf fast einer halben Seite als Kabarettist gelobt für seinen unterhaltsamen, fundierten Auftritt als Trachtensatiriker in Emmering. Die Folge: Gleich drei besorgte Bürgermeister aus den umliegenden Gemeinden sind erschienen, um die subversiven Trachtenbetrachtungen zu überprüfen und notfalls scharfen Protest einzulegen. Denn die ehrwürdige, uralte Tradition darf man wirklich nicht angreifen. Jeder vernünftige bayerische Kommunalpolitiker weiß das. Das Ganze wurde aber dann doch eine Riesengaudi, nachdem der Ernst verflogen war. Noch dazu, weil in dem Heimatort von Justus ein Rotlicht-Etablissement namens Herz-Ass existiert. Da kann sich jeder denken, was dort gespielt wird. Meint doch glatt einer von den dreien, das Herz-Ass sei eine Spielkartenfabrik. Damals waren noch 0,8 Promille als Grenze zum Suff angesagt, da hat zunächst jeder aufgepasst. Noch dazu, weil fast alle mit Auto erschienen sind und auch damals schon die Polizei ab und zu nachschaute, ob irgendwo Betrunkene auf den Straßen herumgondelten.

Bald schon verschwimmen also die Grenzen, die exakte Aussprache wird immer schwieriger und keiner weiß mehr so genau, wie hoch sein Alkospiegel steht. »Ich habe auch eine Hirschlederne zuhause im Schrank«, erzählt der Justus nach der dritten Maß, nicht mehr ganz geradlinig. »Die hab ich bei einem türkischen Trödler gekauft. In meinem Heimatort, in der Innstraße. Ja, da bin ich patriotisch. Schließlich haben die Türken schon im Ersten Weltkrieg tapfer zu uns gehalten und mit uns verloren!«

Aber er hat vorsichtshalber zusätzlich einen Trachtenanzug beim Großhandel im Internet gekauft, um für alle Fälle gut ausgerüstet zu sein. Keinen so auffälligen mit Hirschhornspoiler, dafür mit wunderbarer Maschinenstickerei. Vom Feinsten: Hose aus ziemlich echtem Loden, grüner Hut mit angeblich original Adlerflaum und echtem Gamsbart. Joppe mit beinahe echten Hirschhornknöpfen – einfach alles. Recht preiswert dazu. Leider gibt es ansonsten kein direktes Trachteninternet für größere, weitere Trachtzutaten. Zum Beispiel für ein Trachtenauto.

Dann fällt ihm noch ein: »Halt, die originellen Haferlschuhe, die ich auch im Internet bestellt habe, hätt ich glatt vergessen! Originalität ist einfach alles bei uns. So bin ich bestens ausstaffiert für jeden Oktoberfestbesuch. Da traut man sich ja mit Normalkleidung kaum mehr hin.«

Aber zu seiner Trachtensatire kommt der Justus in lockeren Jeans nach Emmering. Und das ist auch gut so. Denn außer dem original bayerisch ausstaffierten Torsten, den mit der Diatonischen zwischendurch Spielenden, wäre er der Einzige im deftigen Trachtengewand gewesen. So aufgeschlossen ist man heute rein kleidermäßig schon. Überfahren werden möchte der Justus im dunklen Trachtenornat auch nicht. Noch dazu so kurz vor Weihnachten, wenn’s um fünf Uhr abends schon stockfinster ist und die Engelein allerorten von der nahen Stillen Nacht künden. Denn draußen vor der Türe sausen ja ununterbrochen die schnellen Flitzer vorbei, da ist der hilfreiche Schutzengel wahrscheinlich total überfordert. Noch dazu, wenn die hohe Zeit naht.

»Mehr Verkehrsunterricht, weniger Exegese«, meint der Justus jovial und vorbeugend.

Die Mama ist daheim schon rastlos am Backen und Vorbereiten für das Christfest. Sie wäre nicht besonders glücklich, wenn ihr Torsten so kurz vor den feierlichen Tagen überfahren werden würde und sie dann alleine in die Kirche zur Heiligen Christmette schreiten müsste. Ihr Vorschlag: »Da könnte man aber schon so ein original gelb- oder orange-leuchtfarbenes Leiberl drüberziehen. Wie die Leute von der Müllabfuhr. Die haben ja ihre eigene, sinnvoll leuchtende Trachtenkleidung. Dadurch leben die bestimmt auch länger.«

Freilich, auf dem Oktoberfest oder beim Preisschuhplattln kann man sich dann so nicht sehen lassen, das wäre definitiv zurzeit die falsche Verkleidung. Da muss die entsprechende Tradition leider noch etwas warten. Der Justus (das bedeutet »der Gerechte«) ist ja noch mit der echten Tracht aufgewachsen und wusste bestens Bescheid: Wenn er was ausgefressen hatte, dann gab’s immer eine saftige, gehörige Tracht Prügel.

Aber zurück zum Event nach Emmering. Jedenfalls war sein satirischer Vortrag äußerst realistisch. Und der diatonische Ziehharmonikaspieler, der Torsten, steigerte die tolle Stimmung stolz durch seine selbst komponierten klangvollen Stücke: vom Speckschwartenlandler bis zum Backsteinjodler. Erheblich. Bald breitete sich eine grandiose feierliche Stimmung aus.

Der Reporter von der Süddeutschen Zeitung zeigte auch sein Wohlwollen, indem er alles fleißig notierte und ebenfalls – versehentlich – gehörig über den Durst trank. »So eine echt bayerische Veranstaltung mit Tiefgang ist äußerst selten«, verkündete er schwankend, aber nachdrücklich. »Das wird eine größere Berichterstattung, wo doch die Trachtensache sonst immer mehr in den Hintergrund gerät.« Er war allmählich total davon überzeugt, dass nur in Emmering die Geburt der ersten Gebirgstrachtenlederhose stattgefunden haben könnte. »Die sind ja zu Vereinsausflügen auch ab und zu im nahen Gebirg gewesen«, meinte er schlüssig. »Außerdem, wie ich es sehe, stimmt das ganze Ambiente. Sämtliche Anzeichen weisen darauf hin, dass hier trachtenmäßig alles begann.«

Und sogar die Münchener nahmen sich damals die Emmeringer zum Vorbild. Die begeisterten Bürger gründeten spontan einen echten Gebirgstrachten-Erhaltungsverein. So wurde die einfache alpenländische Arbeiterhose problemlos zum symbolträchtigen Fetisch der heutigen Trachtenvereine. Und das ist schon eine echte Demonstration, wenn sie schneidig und selbstbewusst mit echten Vorder- und Hinterladern aufmarschieren. Sogar ein renommierter Ministerpräsident stolzierte als kompetenter Fähnleinführer mit Waffe und Maßkrug vorneweg. Da kann man nur sagen: Die seit alters her überlieferte bayerische Tradition lebt immer wieder schneidig auf! Zumindest seit der Erfindung der Arbeiterhose als Trachtenfetisch. Auf dem größten Bierfest der Welt, sowie erfunden im Jahr des Heils 1810, ist diese heutige, bodenstämmige Fashion nicht mehr wegzudenken.

Tut der was?

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Nichts ist verzweigter als der Hund und seine Rasse. Nicht nur vom Aussehen, sondern schon allein von der Höhe her kann dieses Haustier unberechenbar vielfältig auftreten. Das muss notgedrungen Probleme schaffen beim Streicheln, auch wenn die menschliche Hand stufenlos höhenverstellbar ist. Aber wer ärgert sich nicht, wenn er sich auf einen großen Bernhardiner eingestreichelt hat, und es kommt ein Zwergpinscher daher. Verblüffend ist auch immer wieder, dass man von einem deutschen Schäferhund sogar an Weihnachten problemlos im Ausland gebissen werden kann. Dann ist die Freude an den schönen Geschenken passé.

Hin und wieder liegt aber auch ein putziger kleiner Hund unter dem christlich-strahlenden Weihnachtsbaum und erfreut das Kind sehr, auch wenn er später im Tierheim landet. Eine gewisse Gesetzmäßigkeit hat sich bei unseren vierbeinigen Lieblingen jedoch inzwischen herauskristallisiert: Je höher der Hund, desto umfangreicher die Angst vor selbigem.

Franz Prallhuber, der erfahrene Apotheker und Hundehalter aus Lenggries und aus Leidenschaft, weist nachdrücklich und mit Erfahrung darauf hin, dass die Haltung von Haustieren, allen voran Hunden, Schmerzen lindern könne, weil beim Streicheln großzügig schmerzhemmende Endorphine ausgeschüttet werden. Man setzt die Tiere sogar in Seniorenheimen und Kindergärten ein und hat äußerst positive Erfahrungen damit angesammelt. Auch die Alten blühen wieder auf, und die Kinder wandern ein Stück weit näher zur Natur zurück. Bisse sind dabei äußerst selten anzutreffen.

Der Fachmann meint dazu: »Beißt der Hund unwillkürlich oder aus Angst, so muss er umgehend gestreichelt werden. Das lindert augenblicklich den Schmerz, und der Hund kann sich beruhigen.«

Er weiß auch, dass immer noch manches, was den Hund betrifft, weitgehend im Dunkel liegt. Der überlieferten Sage nach hat damals ein eifriger prähistorischer Finanzbeamter, der grundlos von einem Hund gebissen wurde, die Hundesteuer zur Wiedergutmachung eingeführt. Prallhuber ist ein einfühlsamer und genauer Beobachter. Er hat in unserer Zeit einen Mann verdeckt, aber eingehend überprüft, der selbst jedmöglichen Halt verloren hatte, allerdings treuer Hundehalter war. Auch seine treffende Bemerkung zur politischen Seite der Hundehaltung ist überliefert: »Vor allem in Bayern galt lange Zeit die Steigerung: Hund, Hundling, Politiker. Letzterer war dann ein sogenannter verreckter Hund, der gelegentlich – je nach Bedarf – einen Meineid geschworen hatte, um ihn beim sagenhaften Männerverein im kirchlichen Tuntenhausen wieder zu beichten. Dort war die Männerkongregation unter sich und hat die politischen Entscheidungen sinnvoll vorbereitet.« Prallhuber weiß auch: »Im Gegensatz zum Politiker trägt der Hund jedoch eher menschliche Züge. Als Sozialempfänger lebt er überwiegend im Tierheim, während der gehobene Hund im Hundesalon verkehrt.«

Eine aussterbende Rasse ist der sogenannte »Hund als Förderwagen« im Kohlebergbau, während der Pitbull eine gefährliche englische Unzucht darstellt und hin und wieder um sich beißt. Aufgrund seiner mächtigen Beißwerkzeuge ist das kein Problem für ihn, das kann er spielerisch. Diese beiden unterschiedlichen Rassen sind aber nur vom Namen her in die große Sippschaft der Hunde einzuordnen.

Franz Prallhuber ist auch freiwilliger Hundestatistiker. Nach seinen peinlich genauen Recherchen weiß man inzwischen: Im Hundsrück hat man durchschnittlich nicht mehr Hunde gezählt als im oberbayerischen Hundham, während es hingegen sehr wohl in Rottweil mehr Rottweiler als Dackel gibt. Franz Prallhuber hat auch als erfolgreicher Züchter viele Erfahrungen angesammelt. Er kennt die Kreuzung als wichtigen Züchtungsvorgang: »Kreuzt man den Hund noch öfter, entsteht eine Promenadenmischung. Sieht man nicht sofort, wo bei einem so gekreuzten dickpelzigen Tier vorn oder hinten ist, handelt es sich um eine langhaarige, ausgeprägte solche Züchtung. Diese erfriert zwar bei Kältegraden um die festliche Weihnachtszeit nicht, muss aber auch die Sommerhitze schadlos überstehen. Der Mensch ist da eine Ausnahme«, meint er auf den vorwitzigen Einwand eines Schülers, dass wir vom Affen abstammen. »Wir reden nicht von deiner Familie.«

Die moralischen Bedenken des erfahrenen Hundehalters kommen aber nicht von ungefähr, als einfühlsamer Fachmann ist er up to date. Er schaut auch ständig und gründlich hinter die Kulissen. Erst neulich, also kürzlich, musste er beobachten, wie ein sogenannter gerissener Hund einem Blinden einen blinden Hund als Blindenhund verkaufte. Auch die psychologische Seite ist dem erfahrenen Mann immer geläufig: »Springt der Hund an einem Menschen hinauf, darf geraten werden, ob man geliebt oder bedroht wird. Der Besitzer sollte jedoch immer wissen, ob dieser Hund einem etwas tut oder nicht. Wenn schon der halbe Arm fehlt, kann es zu spät sein. Tut er jedoch wirklich niemandem was zuleide, spielt er bloß, zerreißt er nur die Hose, ist man um eine Tierliebe reicher geworden. Und wenn sich das Hunderl vorher im Dreck gewälzt hat, sollte man sich nicht gleich reinigen. Das beleidigt den Hundebesitzer nachdrücklich und macht ihn bockig.« Abschließend weiß der erfahrene, tiertiefenpsychologisch versierte Mann und langjährige Hundehalter: »Ein Mensch, der einen Hund beißt, kennt sich mit vorbeugenden Maßnahmen aus, bevor es zu spät sein kann.«

Aber eine kürzliche Meldung kurz vor Weihnachten aus der Tageszeitung brachte selbst den erfahrenen Apotheker, Hundekenner und Tierpsychologen Franz Prallhuber etwas aus der langjährig aufgebauten Fassung: »Die Einbrecher stahlen nicht nur das übliche wertvolle Diebesgut wie Geld und Wertgegenstände, sondern auch den völlig überraschten Wachhund.« Wollten sie etwa schon Weihnachtspräsente sammeln?

Insulaner

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Im Grunde genommen sind wir doch alle Insulaner. Wo hört die Insel auf, und wo fängt ein Kontinent an? Früher einmal war alles nur eine einzige große Insel mit schwülem Klima. Der Winter mit weihnachtlichem Schneezauber, Eiszapfen und Weihnachten ist erst viel später eingetroffen. Durch die enorme Fliehkraft der Erde haben sich dann große und kleine Ländereien herausgebildet. Das beweist uns auch der Fachmann für solche Angelegenheiten aus dem vorigen Jahrhundert, der Meteorologe Alfred Wegener mit seiner fundierten Kontinentaldrift-Aussage. Fälschlicherweise unterteilt man aber immer noch blauäugig in Inseln und Festländer. Als ob eine Insel nicht auch ein Festland wäre. Freilich, in der Schule lernt man diese Dinge ausdrücklich. Aber nur wer’s glaubt, übernimmt das kritiklos.

Die größte Insel ist für den Geografen, Mathematiker und Sachverständigen Professor Hagen Horngebirg immer noch Asia, solange es nicht auch auseinander driftet. Die Bruchzonen sind ja schon überall deutlich zu sehen. Dieses übergroße Eiland liegt heimlich auf der Lauer, um sich auch mir nichts dir nichts zu verinseln. Doch der kompetente Fachmann weiß: »Das werde ich höchstwahrscheinlich nicht mehr persönlich erleben.« Bei der kleinsten Insel hört aber jede überlieferte Sicherheit auf. Auch der Professor Hagen Horngebirg ist sich da eher unsicher. Beim Inselwirt auf der Fraueninsel im Chiemsee hat er oft darüber auf einem Fachmeeting mit qualifizierten Fachkräften diskutiert. Das Ergebnis: ergebnislos. Weil selbst die Krautinsel anderswo noch eine Menge kleinerer Inselkolleginnen aufweist. In einem anderen Punkt war man sich aber einig: Diese Krautinsel ist eine reine Süßwasserinsel im Bayerischen Meer. Ebbe und Flut sind hier wenig bedeutsam. Das sollte mit Flutlicht und nicht mit Ebbelicht kontrolliert werden.

Ein ziemlich betagter, ehemaliger Mitarbeiter der früheren Saline in Bad Reichenhall erschütterte aber schon mit seiner Aussage im vorigen Jahrhundert den jetzigen, privilegierten Stammtisch und seine Fachkräfte, auch Professor Hagen Horngebirg, nachhaltig. »Angenommen«, sagte er, »ein früherer Sabotant hätte die Salzsoleleitung von Reichenhall nach Rosenheim heimlich in den Chiemsee umgeleitet. Wer kann mit Gewissheit ausschließen, ob sich dann nicht heute ausgewachsene Haifische oder Stachelrochen im Bayerischen Meer umhertummeln würden? Oder sogar Tintenfische.« Diese heraufbeschworene, bohrende Angst ist heute glücklicherweise ins Harmlose gewichen, weil es die Soleleitung schon lange nicht mehr gibt und die Sabotanten heutzutage andere, lohnendere, aufsehenerregendere Anschläge verfolgen.

Professor Hagen Horngebirg ist aber fasziniert von dieser Idee und meint: »Gesetzt den Fall einer damaligen Umleitung der Solezufuhr, so wäre der Archipel im Chiemsee – bestehend aus Herren-, Frauen- und Krautinsel – heute von Salzwasser umspült. Und beim Inselwirt bekäme man auf der Speisekarte unter der Bezeichnung ›Inselgeheimnis‹ frisch gefischte Meeresfrüchte wie Calamares oder Cozze statt Brachsen und Renken. Mit dem latent stattfindenden allmählichen Klimawechsel in eine mildere Zukunft würde das sogar passen.« Der Professor weiß aber auch: »Man sollte die Inselproblematik jedoch nicht nur auf seine engste Heimat beschränken. So aufgeschlossen und offen sind wir schon an unserem Stammtisch. Da gibt es keine Vorurteile oder gar Hass auf fremde Inseln. Im Laufe der Überlegungen stellt sich stattdessen die grundsätzliche Frage, ob Salzwasserinseln leichter sind als Süßwasserinseln. Weil doch im Salzwasser bekanntlich das spezifische Gewicht nachlässt.«

Doch das dürfte heutzutage eher untergeordnet sein. Weichen wir umgehend in eine andere, ebenfalls sehr eigenartige Region aus. Eine der interessantesten Süßwasserinseln ist für mich die sogenannte Insel Manitoulin Island. Sie liegt in einem größeren breiten Nebenarm des Huronsees in der kanadischen Provinz Ontario. Dort hat Manitou, der Chef aller frommen Indianergottheiten, seinen Hauptwohnsitz aufgeschlagen. Noch heute strahlt dieses Eiland seinen durch und durch sakralen Charakter aus, den man selbst als Nichtindianer gern wahrnimmt. Wobei der Unterschied zwischen einem Indianer und einem Insulaner noch weitgehend im Dunkel liegt – und das im Gegensatz zum Insulin, das heutzutage sowohl von Insulanern als auch von Indianern im Falle der Zuckerkrankheit als probates Heilmittel angewendet wird.

Aber zurück zum Inselreich im Chiemsee. Als jüngere Leseratte hatte ich damals ein besonders spannendes Buch mit einer Insel immer wieder verschlungen, fast wie der Mohammedaner seinen Koran. Man wird es jetzt vielleicht schon ahnen: Es war Die Schatzinsel. Im Gegensatz zur Krautinsel haben hier frühere Piraten ihre reiche Beute sehr gut versteckt und nie wieder abgeholt. Allerdings ist diese Insel topografisch wesentlich verzweigter und stärker, ja sogar tropischer bepflanzt als unsere Inselwelt und auch höhenmäßig äußerst unterschiedlich eingeteilt. Da kann man lange suchen.

Weit weniger romantisch ist beispielsweise die mächtige Insel Grönland, aber dafür bedeutend schwächer temperiert. Dort bleibt es fast immer Winter, und die Weihnachtsfreude ist im tristen Ambiente mit den wunderbaren Geschenken zur Auflockerung äußerst willkommen. Wenn der Nikolaus mit raren Zuwendungen bepackt durch Grönland zieht, schlagen alle betroffenen Herzen der einheimischen Eskimos bedeutend höher. So freuen sie sich das ganze Jahr über auf die hohe Zeit, auch wenn es kaum mehr hell wird, aber die wunderbar illuminierte Christmette vor der Tür steht.

Doch zurück zur Schatzproblematik. Wenn hier überhaupt ein Schatz, bestehend aus Wertgegenständen und tollen Weihnachtspräsenten, verborgen sein sollte, so ist der Eispanzer das allergrößte Hindernis. Das zweite ist aber eigentlich noch größer: Wo soll man denn bei dieser großen Insel den Eispickel ansetzen? Deshalb wird hier ein potenzieller Schatz so gut wie nie an die Oberfläche kommen. Einfacher wäre es da schon gewesen, wenn reiche Seeräuber ihre Wertgegenstände auf der Insel Sizilien am Ätna versteckt hätten. Beim nächsten Ausbruch könnte man gemütlich warten, bis der Schatz mit der Lava angeflogen kommt.