INHALT
VORWORT
UNSER ERBGUT IST NICHT UNSER SCHICKSAL
KAPITEL 1
UNSERE GENE SIND NICHT ALLMÄCHTIG
Opfer unseres genetischen Schicksals?
Die geheimnisvolle Welt der Gene
Jubel – das gesamte menschliche Genom ist entziffert!
Genetik – Epigenetik: Worin liegt der Unterschied?
Wir sind, was unsere Umwelt aus uns macht
„On und off“ – Wer ist der Herr über den Gen-Schaltkasten?
Epigenetische Veränderungen sind vererbbar
KAPITEL 2
DIE ERNÄHRUNG IST EIN WESENTLICHER TEIL UNSERES „EPIGENETISCHEN SCHICKSALS“
Man ist, was man isst
Die Honigbiene zeigt uns, wie es geht
Zucker aktiviert Gene
Ist Obst etwa ungesund?
Was ist mit künstlichen Süßstoffen?
Fett – Segen oder Fluch?
Vitalstoffe als Programmierhilfen
Auch die Darmbakterien mischen im Genpool mit
Die „Pflanzenapotheke“: Bioaktive Pflanzeninhaltsstoffe kontrollieren die Genfunktionen
„Five a day“ – Gemüse und Obst senken Krankheitsrisiken
KAPITEL 3
PSYCHISCHE BELASTUNGEN HINTERLASSEN NARBEN IM ERBGUT
Erlebnisse beeinflussen Gene
Es geht schon mit der Mutterliebe los
Liebesentzug verursacht Kratzer in den Genen
Traumata brennen sich ins Erbgut ein
Die einen stecken Belastungen locker weg, die anderen gehen daran zugrunde
German Angst – kann solches Erbgut weitergegeben werden?
Stress, lass nach! Sind wir noch zu retten?
Dankbarkeit schreibt das Erbgut um
Gibt es ein Glücksgen?
Helfen Gespräche dabei, die Spuren zu beseitigen?
KAPITEL 4
DIE GESUNDHEIT DES MENSCHEN BEGINNT IM MUTTERLEIB
Buntes Erbgemisch – ein neues Leben entsteht
Das Kind Kommt ganz nach der Mutter – oder doch nach dem Vater?
Zwillinge – eine besondere Laune der Natur
Nicht für zwei essen
Ein niedriges Geburtsgewicht erhöht das Risiko des Kindes für Stoffwechselstörungen
Wenn Schwangere hungern, werden Gene des Babys umprogrammiert
Das Erbgut des Kindes wird epigenetisch markiert
Auch übergewichtige Mütter geben ein schlechtes Erbe weiter
Epifood für Schwangere – warum Folsäure so wichtig ist
Das Coaching des frühkindlichen Erbguts
Omega-3-Fettsäuren sind wichtige Signalgeber
Epigenetische Umprogrammierung: Schlank und gesund statt dick und krank
Bloß nicht zu viel Plastik – schon gar nicht während der Schwangerschaft
ADHS – epigenetisch bedingt durch Junkfood während der Schwangerschaft?
Stress während der Schwangerschaft – mitgefangen, mitgehangen
Ein wahrhaft einschneidendes Ereignis: Der Kaiserschnitt blockiert Gene
Künstliche Befruchtung – dem Leben „auf die Sprünge“ helfen
Rauchende Väter prägen ihre Kinder
Opas Vermächtnis
Das Pubertier stresst
KAPITEL 5
ALT WERDEN – FIT BLEIBEN: WIE SIE IHRE GENE AUF „GESUND“ SCHALTEN
Bio-Bonus: Frauen leben länger
Unser „Buch des Lebens“ bestimmt unser Alter
Mit zunehmendem Alter häufen sich Veränderungen am Erbgut
„Methusalem-Gene“ – Wunsch oder Wirklichkeit?
Hochbetagt, gesund und fit – was 100-Jährige anders machen
Leben in den „blauen Zonen“
Verzicht schenkt Lebensjahre
„Fasten“ heißt das Zauberwort
Telomere – Wächter über die Lebensdauer unserer Körperzellen
Die „epigenetische Uhr“ – Vorhersage für Alterungsprozesse und sich ausbildende Krankheiten?
KAPITEL 6
ZU DICK? STELLEN SIE IHRE GENE AUF „SCHLANK“ UM!
Übergewicht betrifft einen Großteil der Gesellschaft
Dick sein durch Vererbung – das ist nur die „halbe Wahrheit“!
Bezahlen wir Wohlgeschmack mit Übergewicht?
Plastik macht dick
Übergewichtige tragen eine schwere Last – aber nicht immer
Leberverfettung – der Lebensstil ist für ihre Entstehung verantwortlich
Finger weg von Diäten – Abnehmstress macht dick!
Abnehmen – aber natürlich
Sport programmiert Gene um
KAPITEL 7
DEMENZEN – SCHRECKGESPENSTER DES ALTWERDENS
Programmieren Sie Ihre Gehirnzellen neu
Der Persönlichkeitsverlust erfolgt in Schüben
Alzheimer – die Zuckerkrankheit des Gehirns?
Legen Sie den Schalter in Ihrem Gehirn für die „Lerngene“ um
Polyphenole – ein echtes „Brainfood“
Use it or lose it – wer seine grauen Zellen nicht trainiert, muss mit Verlusten rechnen
KAPITEL 8
KREBS – BRINGEN SIE IHRE SCHUTZGENE AUF TRAB!
Krebs ist auf dem Vormarsch
Mit dem Alter kommt leider auch häufig der Krebs
Bei Krebs spielen mehrere Ursachen zusammen
Entzündungen und oxidativer Stress fördern Krebserkrankungen
Krebs ist eine epigenetisch bedingte Erkrankung
Schach dem Krebs mit der richtigen Ernährung
Krebszellen hassen Sport
Epigenetisch wirksame Krebsmedikamente – der Königsweg der Zukunft?
REZEPTE
SUPERLECKERE, EPIGENETISCH WIRKSAME GERICHTE
Frühstück
Mittagessen
Abendessen
NÜTZLICHE ADRESSEN
LITERATURHINWEISE
REGISTER
BILDNACHWEISE
IMPRESSUM
VORWORT
UNSER ERBGUT IST NICHT UNSER SCHICKSAL
Inzwischen habe ich zwei Enkelkinder – süße kleine Mädchen, die wachsen und gedeihen wie andere Kleinkinder auch. Aber ob nun ein gesundes, langes Leben vor ihnen liegt – das „steht in den Sternen“. Halt! – Nicht ganz. Natürlich müssen sie sich selbst um eine gesunde Lebensweise bemühen, mit gesunder Ernährung und sportlichen Aktivitäten. Sie sollten gewappnet sein für die Welt „da draußen“, die ihnen vermutlich einiges an Belastungen auferlegen und ein entsprechendes Stressmanagement abverlangen wird. Und natürlich sollten sie mit „guten Genen“ gesegnet sein.
Klar spielt das Erbgut für unsere Gesundheit eine wichtige Rolle. Aber trotzdem haben wir einen Großteil unseres Schicksals selbst in der Hand. Was heißt das nun? Jede unserer Körperzellen, also auch die meiner beiden Enkeltöchter, ist mit der jeweils gleichen Anzahl an Genen ausgestattet – und dennoch sind wir verschieden: Wir sehen unterschiedlich aus, haben eine unterschiedlich gute Gesundheit und auch unterschiedliche Lebenserwartungen. Der eine erleidet früh einen tödlichen Herzinfarkt, der andere wird über 90 Jahre alt. Manche Menschen sind super belastbar, andere knicken schon bei den geringsten Herausforderungen ein.
Wie lässt sich das erklären? Das Geheimnis liegt in der Regulation unserer Gene – das heißt darin, welche dieser Tausende von „Erbstückchen“ arbeiten dürfen und welchen das untersagt wird. Diese Kontrollfunktion wird mithilfe einer übergeordneten Instanz – der Epigenetik – ausgeübt. Und die Epigenetik wiederum wird davon beeinflusst, was wir essen, ob wir vorzugsweise faul auf der Couch „abhängen“ oder uns lieber regelmäßig bewegen, wie unsere psychischen Belastungen aussehen und ob unser unmittelbares Umfeld stark mit Giften belastet ist oder ob wir das Glück haben, in einer eher gesunden Umgebung leben zu dürfen. Auch die Liebe zu unseren Nächsten spielt hier eine große Rolle.
All diese Faktoren sagen unseren Genen, „wo es langgeht“, und sind wesentlich daran beteiligt, ob nun beispielsweise „schlechte“ Gene, solche mit einem immanenten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder geistige Verwirrtheit (Demenz) zum Tragen kommen oder nicht. Und besonders frappierend: Diese „Stellschrauben“ an unserem Erbgut werden von einer Generation auf die nächste, ja sogar noch auf die übernächste vererbt.
Daher bin ich nun – um wieder auf meine Enkeltöchter zurückzukommen – wirklich froh, dass ich mich bereits seit Jahrzehnten mit den Themen Ernährung und gesunde Lebensweise befasse und schon genauso lange versuche, meine Familie mit ausgewogenem Essen aus weitestgehend unbelasteten Nahrungsmitteln zu versorgen. Auch war mir wichtig, dass meine Kinder in der Geborgenheit einer gesunden, sicheren Umgebung aufwachsen konnten. Ich vermag natürlich nichts mehr am Lebensstil meiner Eltern zu ändern, der ja – kriegsbedingt – zeitweise auch gar nicht der beste sein konnte. Aber ich hoffe doch sehr, dass meine eigenen Bemühungen in Sachen Gesundheit meinen Kindern und Enkelkindern zugutekommen und ihre epigenetische Programmierung vielen wertvollen, gesundheitsfördernden Genen die „Handlungsvollmacht erteilen“ werden.
Die Epigenetik lehrt uns, dass unsere Gesundheit – selbst wenn wir mit „schlechten“ Genen auf diese Welt kamen – zum Großteil in unseren eigenen Händen liegt und in Teilen sogar auch die unserer Kinder und Enkelkinder. Möglicherweise ist eine gesunde Lebensführung also das größte Geschenk, das wir unseren Kindern und Enkeln machen können.
In diesem Sinne – seien Sie gespannt auf dieses Buch!
Es grüßt Sie herzlich
Michaela Döll
KAPITEL 1
UNSERE GENE SIND NICHT ALLMÄCHTIG
Das hätte man noch vor wenigen Jahrzehnten kaum für möglich gehalten: Die bloße Anzahl an Genen sagt wenig über Aussehen und Gesundheit aus, entscheidend ist, welche Gene aktiv und welche Gene abgeschaltet sind. Damit befasst sich die Epigenetik – der zweite Code. Was wir essen, ob wir psychische Belastungen und/oder Stress haben oder entspannt sind, ob wir uns bewegen oder lieber faul auf der Couch liegen, ob wir Medikamente nehmen oder unser Körper mit Giften belastet ist – all das sind epigenetisch wirksame Faktoren, die in entscheidendem Maß als wichtige Stellschrauben an der Genregulation beteiligt sind. Und das Kurioseste an dieser Sache: Solche umweltbedingten Veränderungen am Erbgut können auf die nächste und übernächste Generation weitergegeben werden.
OPFER UNSERES GENETISCHEN SCHICKSALS?
Ja, es gibt sie – die Familien, in denen Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen über Generationen hinweg gehäuft auftreten und deren allgemeine Lebenserwartung niedriger liegt als vergleichsweise üblich. Wenn man zu einer solchen Familie gehört, stellt man sich schnell die Frage, ob man ebenfalls an der betreffenden Krankheit sterben wird. Weit mehr noch: Einige Familienmitglieder resignieren deshalb gleich, geben sich gar keine Mühe mehr, um das drohende Schicksal abzuwenden, sondern finden sich einfach mit ihrem erhöhten Risiko und gegebenenfalls mit einem frühen Tod ab. Dabei sind wir einer solchen negativen Entwicklung nicht zwangsweise ausgeliefert – sogar im Gegenteil: Durch eine entsprechend positive Lebensführung können wir das vermeintlich schlechte Erbe überlisten! Denn auch unsere Gene lassen sich „coachen“. Ihre erblich bedingten Fehlprogrammierungen sind reversibel (umkehrbar) – und das bietet uns gewaltige Chancen für den Erhalt unserer Gesundheit.
Hier kommt die Epigenetik (die altgriechische Vorsilbe epi bedeutet im übertragenen Sinn „darüber“, „hinzu“) zum Tragen, denn diese Wissenschaft befasst sich damit, wovon und wodurch die (zeitweilige) Aktivierung und Inaktivierung des Erbguts bestimmt werden. Es gibt „Schlösser“, die „schlechte“ Erbgutabschnitte zusperren, und „Schlüssel“, die „gute“, gesundheitsfördernde Bereiche öffnen. Diese Mechanismen hängen wiederum entscheidend von unserem Lebensstil und von unserer Umwelt ab. Dabei spielt, wie im Vorwort schon erwähnt, die Ernährung eine wichtige Rolle, aber auch die Hormone, Stress und psychische Belastungen, erlittene Traumata, die emotionale Zuwendung, die ein Mensch als (Klein-)Kind erfahren oder entbehrt hat, klimatische Faktoren, Alkohol- und Nikotinkonsum („Genussgifte“) sowie Umweltgifte. Wie das im Einzelnen funktioniert, erfahren Sie in den folgenden Kapiteln. Seien Sie gespannt und bleiben Sie neugierig auf diesen zweiten Erbcode, den wir selbst in der Hand haben.
Der „genetische Code“ bildet als starres System unser Erbgut ab. Epigenetische Veränderungen am Erbgut sind flexibel und auch reversibel – mithilfe einer gesunden Lebensführung ist es uns möglich, die „Schalter“ an unseren Genen wieder in die richtige Richtung umzulegen.
DIE GEHEIMNISVOLLE WELT DER GENE
Grüne Augen, dicke Haare, Scharfsinn, Sanftmütigkeit oder Impulsivität: All das ist im Erbgut verankert. Aber wie muss man sich das im Detail vorstellen? Wo sind die Informationen für diese Ausstattungen und Merkmale gespeichert? Und wie werden diese Erbanlagen von einer an die nächste Generation weitergegeben? Hier spielen die Chromosomen eine tragende Rolle, das sind langfädige Zellstrukturen, die in den Zellkernen sitzen und – wie eine Datenbank – sämtliche Informationen auf Abruf bereithalten.
Jede unserer Körperzellen trägt einen vollständigen Chromosomensatz von insgesamt 46 Chromosomen. 22 Chromosomen kommen von der Mutter und 22 vom Vater, sie sind immer in Form zweier Kopien vorhanden. Die restlichen beiden Chromosomen sind Geschlechtschromosomen. Bei der Frau sind dies zwei X-Chromosomen, beim Mann ist es jeweils ein X- und ein Y-Chromosom. Lediglich die Eizellen und die Spermienzellen in unserem Körper enthalten jeweils nur die Hälfte dieses Chromosomensatzes, denn bei der Befruchtung entstehen durch Verschmelzung von Ei- und Samenzelle neue Zellen, die dann mit dem mütterlichen und dem väterlichen (und somit mit dem doppelten) Chromosomensatz ausgestattet sind. Die Mutter gibt also mit ihrer Eizelle in jedem Fall ein X-Chromosom weiter, der Vater mit seinem Spermium ein X- oder ein Y-Chromosom, und danach richtet sich das Geschlecht des gezeugten Kindes.
Aber was genau steckt denn nun in den Chromosomen? Bestimmt haben Sie (mindestens in Fernsehkrimis) schon einmal von der geheimnisvollen DNA gehört, die – selbst wenn sie nur in Form minimaler Spuren vorhanden ist – (Straf-)Täter überführt. Die DNA ist eine Art „genetischer Fingerabdruck“ , dessen einzigartiges Profil genauso unverwechselbar und für jeden Menschen individuell charakteristisch ist. Der Aufbau der DNA (vom engl. deoxyribonucleic acid = Desoxyribonukleinsäure) wurde 1953 von den beiden Molekularbiologen James Watson und Francis Crick entdeckt: Sie beschrieben den DNA-Faden als eine Art „spiralförmig gedrehte Strickleiter“ (Doppelhelix). Ihre Forschungen waren damals revolutionär – 1962 erhielten die beiden Wissenschaftler für die Aufschlüsselung der DNA-Struktur sogar den Nobelpreis. Seither wissen wir, dass unser Erbgut in dieser Doppelhelix „verpackt“ ist. Die Längsstücke dieses Biomoleküls werden aus einer wechselnden Abfolge von Zuckerbausteinen und Phosphat gebildet. Die Sprossen der Leiter bestehen aus organischen Basen mit den Namen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Jeweils zwei dieser vier Basen bilden ein Paar. Sie passen zusammen wie Schlüssel und Schloss: Adenin und Thymin gehören zueinander sowie Cytosin und Guanin. Aus der Reihenfolge dieser Basenpaare und ihren Kombinationsmöglichkeiten im „Strickleiter-Molekül“ entsteht letztlich die Gesamtheit der Erbinformation, die auch als „genetischer Code“ bezeichnet wird.
Ausschnitt aus der DNA-Doppelhelix mit den einander entsprechenden Basenpaaren Adenin/Thymin und Cytosin/Guanin
Bestimmt ist Ihnen auch der Begriff „Gen“ geläufig. Was ist denn das nun wieder? Ein Gen ist ein Stück auf der gerade beschriebenen Strickleiter, also ein ganz bestimmter Abschnitt auf der DNA. Gene sind die kleinsten Informationseinheiten unserer Erbmasse. Insgesamt sind beim Menschen etwa 23.000 bis 24.000 Gene bekannt. So gibt es beispielsweise Gene, die den „Text“ für die Bildung eines Enzyms, eines wichtigen Immunbotenstoffs, aber auch den „Text“ für die Entstehung von Krebs enthalten können. Es gibt „gute“ und „schlechte“ Gene, also solche, die eine Schutzfunktion für unsere Gesundheit erfüllen, und jene, deren Eiweißprodukte krankheitsfördernd sind. Entscheidend für die Gesundheit ist immer, welche DNA-Abschnitte aktiv sind – was bedeutet, dass ihre Information abgelesen werden kann – und welche „stumm geschaltet“ wurden.
AUS DER DNA-ABSCHRIFT ENTSTEHEN PROTEINE
Die Reihenfolge der Basen im DNA-Erbfaden ist entscheidend für die Umsetzung der genetischen Information. Immer drei aufeinanderfolgende Basen („Basentriplett“) sind verantwortlich für die Bildung eines Eiweißbausteins, einer sogenannten Aminosäure. Die Zellen können diese „Geheimschrift“ der DNA wie einen Bauplan lesen und daraus Aminosäuren – aus denen unser Körper letztlich besteht – herstellen. Nun befindet sich die DNA allerdings, wie oben dargelegt, im Zellkern, während die „Eiweißfabriken“ (Ribosomen) außerhalb des Zellkerns, im sogenannten Zytoplasma der Zelle, liegen.
Abschrift der Basenfolge in der DNA (Transkription) und Übersetzung in das entsprechende Einweiß am Ribosom (Translation)
Wie gelangt dann die Information aus dem „Erbguttext“ zu den Ribosomen? Um an die Basenreihenfolge der DNA heranzukommen, muss der DNA-Faden – einfach ausgedrückt – zunächst glatt gezogen („entspiralisiert“) werden. Anschließend wird der DNA-Doppelstrang mithilfe von Enzymen direkt zwischen den beiden Basenhälften geöffnet – wie mit einer Art „Reißverschluss“. Dann wird eine Abschrift des geöffneten DNA-Strangs erstellt. Diese neu gebildete Kopie verlässt nun den Zellkern und wandert in die Eiweißfabriken. Dort werden jeweils drei Basen in eine Aminosäure „übersetzt“. So entstehen dann neue Zellhüllen, Struktureiweiße, Hormone, Enzyme, Abwehrstoffe, der Blutfarbstoff und vieles mehr, was in unserem Körper aus Eiweißbausteinen (Aminosäuren) aufgebaut ist. Auf diese Weise können etwa 100.000 verschiedene Proteine (Eiweiße) gebildet werden.
Gene liefern die Information für Proteine. Diese Eiweiße können positive oder auch negative Wirkungen in unserem Körper entfalten. Daher ist es für unsere Gesundheit von großer Bedeutung, welche Gene aktiv und welche DNA-Informationen „zugesperrt“ sind.
DIE INFORMATIONEN MÜSSEN KANALISIERT UND VERPACKT WERDEN
Nun haben wir den „Inhalt“ der Chromosomen kennengelernt: die DNA. Allerdings liegt diese nicht einfach als wirres Knäuel in den Chromosomen herum, sondern ist fein säuberlich „aufgewickelt“. Ohne diese ausgeklügelte Technik würde es kaum gelingen, den etwa zwei Meter langen DNA-Faden ordentlich in dem nur etwa ein Tausendstel Millimeter großen Zellkern unterzubringen. Die „Wickelspulen“ bestehen aus Eiweißkörpern, den sogenannten Histonen. Wie die Perlen einer Perlenkette sind diese Histone auf der sie umwickelnden DNA aneinandergereiht. Durch die Aufwicklung der DNA um die Histone wird das Erbmaterial zusätzlich verdichtet.
Die Histon-DNA-Komplexe können noch stärker verdrillt sein, wodurch die Perlen auf der DNA-Kette dichter zusammenrücken. In einem solchen Fall ist die Erbinformation nicht zugänglich: Die Gene auf den entsprechenden DNA-Abschnitten können nicht abgelesen und in Proteine übersetzt werden. Diese dichte Verpackung des Erbmaterials bezeichnet man als „Heterochromatin“.
Erst durch eine „Auflockerung“ der fest zusammengepackten Strukturen wird es möglich, die in der DNA enthaltenen Erbinformationen zu entziffern. Die Perlen sind dann wieder weiter voneinander entfernt, der Inhalt der Histon-DNA-Komplexe ist damit zugänglich und die „Geheimschrift“ der DNA kann in sämtliche lebensnotwendigen Eiweiße übersetzt werden. Die betreffenden Genabschnitte sind dann aktiv. Die lockere Anordnung der Histon-DNA-Spulen bezeichnet man als „Euchromatin“.
Die DNA wird auf die Histone aufgewickelt.
Bestimmt ist Ihnen nun klar, weshalb die Art der Verpackung des Erbguts für das Ablesen der Erbinformation so wichtig ist. Stellen Sie sich das einfach vor wie bei einem Geschenk, das in Papier eingewickelt und fest mit einer Schnur oder einem Band verschnürt ist. In so einem Fall macht es viel mehr Mühe, an den Inhalt heranzukommen, als wenn das Päckchen nur mit einer einfachen, losen Schleife zugebunden ist, die sich ganz leicht aufziehen lässt. Auf die Bedeutung der Verpackung werden wir bei den epigenetischen Schaltern noch eingehender zu sprechen kommen.
JUBEL – DAS GESAMTE MENSCHLICHE GENOM IST ENTZIFFERT!
Das grandiose Ereignis fand im Jahr 2000 statt und wurde vom damaligen Präsidenten der USA, Bill Clinton, mit der Bedeutung der Mondlandung verglichen: Über 1.000 Wissenschaftler aus etwa 40 Ländern waren an der Aufschlüsselung des gesamten menschlichen Genoms, darunter versteht man die Gesamtheit aller menschlichen Gene, beteiligt. Nun endlich war es möglich, die Geheimschrift der DNA vollständig zu entziffern. Unser Genom besteht demzufolge aus der unvorstellbaren Menge von 3,3 Milliarden (3.300.000.000) DNA-Basen. Die Wissenschaft hoffte, mithilfe dieser Forschungsresultate, die einen Durchbruch in der Molekularbiologie bedeuteten, neue Erkenntnisse über Krankheiten gewinnen zu können. Die Forscher wollten daraus bessere Vermeidungs- und neue Therapiestrategien ableiten. Endlich, so dachte man, habe man beispielsweise auch eine „Waffe“ gegen Krebserkrankungen, Nervenkrankheiten wie Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson oder auch gegen Depressionen in der Hand. Darüber hinaus versprach man sich von der Entschlüsselung der Gesamtheit der menschlichen Gene Erkenntnisse, um nun unter anderem auch die Flut der künftigen Diabetiker aufhalten zu können. Leider hat sich nichts davon bewahrheitet – aber warum nur? In jeder unserer Körperzellen steckt die unglaubliche Menge von etwa 23.000 bis 24.000 Genen, doch – wie bereits erwähnt – sind nicht alle aktiv, sondern viele „stumm geschaltet“. Und das ist auch richtig so. Wie könnte man denn sonst erklären, auf welche Weise und aus welchen Gründen aus einem Klumpen gleicher Zellen, der durch die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht, ein neues menschliches Wesen mit allen möglichen unterschiedlich spezialisierten Zellen hervorgeht? Da werden beispielsweise Haut-, Leber- und Nierenzellen geformt, es bildet sich unter anderem Herz-, Lungen- und Darmgewebe. Bei uns Menschen sind insgesamt etwa 200 verschiedene Zelltypen bekannt. Wenn aber alle Zellen dieselben Gene besitzen, dann ist diese Spezialisierung nur dadurch erklärbar, dass die Informationen der Gene unterschiedlich abgerufen und umgesetzt werden. Man spricht hier auch von „Genexpression“.
Ernüchternd: Das Wissen, wie viele Gene der Mensch besitzt, nutzt wenig. Entscheidend ist, welche Erbinformation abgerufen wird und welche nicht.
DER GEMEINE WASSERFLOH HAT MEHR GENE ALS WIR
Sie sind uns ähnlich, sehen aber völlig anders aus und unterscheiden sich auch in vieler Hinsicht von uns Menschen: die Schimpansen, die zu den Menschenaffen (Primaten) gehören. Ihr Genom enthält etwa dieselbe Anzahl an Genen wie unseres und stimmt zu etwa 98 Prozent mit unserem Genom überein. Nicht viel weniger Gene als wir (etwa 20.000 pro Zelle) haben die Fadenwürmer – das sind etwa einen bis drei Millimeter große Schlauchwürmer, die überall auf der Welt in den Böden verbreitet sind, sich schlängelnd fortbewegen und einen simplen Aufbau und Stoffwechsel besitzen. Ihr „Gehirn“ besteht aus einem einfachen Nervenring, und ihre Sinnesorgane sind lediglich gering ausgeprägt. Und dann ist da noch der Wasserfloh, der mit etwa 31.000 Genen punkten kann. Das nur wenige Millimeter große wirbellose Krebstier lebt bevorzugt in Süßwässern und bewegt sich mithilfe einer aus seinem Kopf hervorragenden Ruderantenne fort. Im Rücken des Tieres ist das sehr einfach gebaute Herz untergebracht, als wichtigstes Sinnesorgan dient ihm ein Komplexauge, das es mit Muskelkraft bewegt. Ich könnte hier noch weitere Bespiele anführen, die uns klarmachen, dass die bloße Genanzahl nur geringen Einfluss auf Aussehen, Stoffwechsel und Verhalten eines Lebewesens hat. Wie komplex und wie hoch entwickelt ein Organismus ist, hängt also nicht von der Menge seiner Gene ab, vielmehr ist die Auswahl der aktiven und der inaktiven Gene entscheidend, das heißt, welche Gene „angeschaltet“ und welche „verplombt“ sind. Auf Basis dieser Erkenntnis muss die vollständige Entschlüsselung des Humangenoms in ihrer Großartigkeit relativiert werden. Sollte der Vergleich mit der revolutionären Mondlandung also doch nicht passen?
GENETIK – EPIGENETIK: WORIN LIEGT DER UNTERSCHIED?
Die Genetik befasst sich mit dem Aufbau des Erbguts und mit dem genetischen Code, der, wie bereits ausgeführt, durch die Reihenfolge der DNA-Basen festgelegt ist. Dieser erste Code umfasst somit quasi die gesammelten Informationen der DNA. Dabei handelt es sich um ein starres System, das nicht formbar ist, sondern sich allenfalls durch den fehlerhaften Einbau einer Base (Mutation) negativ verändern lässt. Natürlich kann eine solche Mutation entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit eines Menschen nehmen und darf hier deshalb auch nicht „kleingeredet“ werden. Doch weit häufiger kommt es durch Umweltfaktoren zu Manipulationen am Erbgut, die nichts mit der Veränderung der Basenfolge zu tun haben.
Diese Veränderungen fallen in das Gebiet der Epigenetik. Sie ist eine Art „übergeordnete Zusatzgenetik“ und wird auch als „zweiter Code“ bezeichnet. Die Epigenetik beeinflusst die Genregulation, das heißt, sie bestimmt mit, welche Gene warum oder wie und für welchen Zeitraum „angeschaltet“ und welche „stillgelegt“ werden. Die noch recht junge Forschungsdiziplin befasst sich mit Veränderungen des Genoms, wobei die in den Genen enthaltenen Informationen (Basenabfolge) stets unangetastet bleibt. Epigenetisch bedingte Veränderungen am Erbgut kommen schätzungsweise 1.000-mal häufiger vor als Mutationen.
Hierarchie: Die Epigenetik ist dem eigentlichen Erbgut übergeordnet. Sie nimmt Einfluss darauf, welche der von Mutter und Vater vererbten Gene aktiv („angeschaltet“) sind und welche nicht.
WIR SIND, WAS UNSERE UMWELT AUS UNS MACHT
Es ist bekannt, dass die epigenetische Ausstattung unseres Erbguts viel anfälliger ist für Umwelteinflüsse und Lebensstilfaktoren als die genetisch bedingten Strukturen. Sie bildet somit quasi ein Bindeglied zwischen der eigentlichen Genetik und der Umwelt. Dabei ist die Wechselwirkung zwischen den DNA-Histon-Komplexen und äußeren Faktoren, wie etwa Ernährung, Energiezufuhr, Gifte, Stress, Klima und psychische Belastungen, von besonderer Bedeutung, denn sie sind die „Taktgeber“ für die Manipulationen am Erbmaterial.
In diesem Zusammenhang muss auch auf die deutliche Zunahme der Belastung unserer Umwelt mit elektromagnetischer Strahlung hingewiesen werden. Diese umgibt uns in vielfacher Weise (Handy, WLAN etc.) Tag und Nacht.
Diese Information als solche ist grundsätzlich nicht ganz neu. Bereits im Jahr 1942 entwickelte der englische Biologe Conrad Waddington sein Bild von der „epigenetischen Landschaft“. Es zeigt eine Kugel auf einem Berg, die durch verschiedene Täler des Landschaftsreliefs nach unten kullern kann, und symbolisiert den Menschen mit seiner genetischen Grundausstattung, der – je nach seinem Lebensstil und seinen Erfahrungen – auf den verschiedenen Bahnen nach unten gelenkt werden kann. Im Unterschied zur Genetik haben wir es bei der Epigenetik mit einem formbaren, flexiblen und vor allem reversiblen (umkehrbaren) System zu tun. Hier ist nichts „in Stein gemeißelt“. Wir können Einfluss nehmen auf die epigenetischen Veränderungen unseres Erbguts – im Guten wie im Schlechten. Unser Erbgut lässt sich programmieren und sogar umprogrammieren. Wir können den epigenetischen Code durch eine Umstellung unserer Ernährung und durch andere Veränderungen unseres Lebensstils „überschreiben“ – auf diese Weise lassen sich Krankheitsrisiken minimieren. Und genau das macht diesen zweiten Code so bedeutsam und so interessant.
Die epigenetische Landschaft nach Waddington
„ON UND OFF“ – WER IST DER HERR ÜBER DEN GEN-SCHALTKASTEN?
Im Durchschnitt sind nur etwa 10 Prozent unserer Gene in unseren Zellen aktiv. Wie wird nun das „Anschalten“ oder das „Stilllegen“ von Genen in den Zellen reguliert? Wer sorgt dafür oder wie wird darüber entschieden, dass nun dieses oder jenes Protein gebildet werden soll oder welche Geninformation nicht zum Einsatz kommt? Woher „wissen“ Zellen, was sie tun oder lassen sollen? Hier kommen die epigenetischen „Schalter“ ins Spiel, die man mit Vorfahrt- und Stoppschildern im Straßenverkehr vergleichen kann. Weiter vorne habe ich ausgeführt, wie wichtig die Zugänglichkeit der einzelnen Genabschnitte auf der DNA für die Herstellung lebensnotwendiger Proteine ist (siehe ab hier). Nur in diesem Fall ist das betreffende Gen „arbeitsfähig“.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, einen solchen Genabschnitt in die „Arbeitslosigkeit zu entlassen“. Werden beispielsweise bestimmte chemische Gruppen (etwa Methylgruppen) an den DNA-Faden angehängt, wird es mit der Ablesbarkeit der betreffenden „Textstelle“ schwierig. Enzyme, welche die Basenfolgen „abschreiben“ (transkribieren) sollen, können kaum mehr zu diesem DNA-Text vordringen. Folglich können die entsprechenden Proteine nicht hergestellt (synthetisiert) werden. Am häufigsten werden diese Methyl-Anhängsel an der Base Cytosin „eingeklinkt“, und zwar vor allem dann, wenn der Nachbar die Base Guanin ist. Das heißt, hier werden ganz bestimmte Stellen auf der DNA für das „Festkleben“ der chemischen Gruppen ausgewählt, und für deren Befestigung sind wiederum Enzyme zuständig: die DNA-Methyltransferasen. Im Ergebnis wirkt das Anbringen der Methylgruppen wie ein Stoppschild im Straßenverkehr oder wie ein Riegel, der den entsprechenden Genabschnitten „vorgeschoben“ wird. Auch die Histone sind verschiedenen Angriffen ausgesetzt, die zum „On und Off“ der Gene beitragen können. Um diese „Eiweißspulen“ ist, wie weiter oben bereits beschrieben, der DNA-Faden fest herumgewickelt – zwecks ordentlicher Unterbringung in den Zellen. Wenn sich nun bestimmte chemische Gruppen an die Histone anlagern, kann das dazu führen, dass sich die Verbindung der „Spulen“ mit der DNA lockert und die Verpackung des Erbguts somit leicht zu öffnen ist oder der Erbfaden noch fester um die Spule herumgezurrt wird. Was genau geschieht, hängt ganz von der Art des jeweiligen Anhängsels und der dadurch bedingten Veränderung der elektrischen Ladung der Histone ab: Durch das Festkleben von Acetylgruppen (Enzyme: Histon-Acetyltransferasen) beispielsweise wird der DNA-Faden von der Spule gelockert, dadurch werden die entsprechenden Genabschnitte besser zugänglich. Es können aber auch Phosphat- oder Methylgruppen sein, die an die Histone angehängt werden. In diesem Fall ergeben sich andere Konsequenzen: Die betroffenen Gene sind verriegelt, und folglich kann das dazugehörige Eiweiß nicht gebildet (synthetisiert) werden.
Dazu ein praktisches Beispiel für Sie: Das Anhängen von Methylgruppen an die Histone kann dazu führen, dass ein Gen abgeschaltet wird, das „normalerweise“ für die Unterdrückung von Krebswachstum sorgt. Folglich wird durch die Verplombung des Schutzgens Krebserkrankungen Vorschub geleistet. Der dritte epigenetische Schalter, womit sich die Forscher beschäftigen, ist der für die „Junk-DNA“. Lange Zeit hielt die Wissenschaft diejenigen Genabschnitte, die keine Bauanleitung (Codierung) für Proteine enthielten, für überflüssigen Müll. Inzwischen weiß man aber, dass auch diese Stücke an der Genregulation beteiligt sind und beispielsweise die Übersetzung (Translation) eines bereits abgelesenen DNA-Abschnitts in ein Protein unterbinden können. Alle genannten epigenetischen Regler lassen sich über Faktoren wie unsere Ernährung, Umweltgifte, Stress, Gefühle und psychische Belastungen, Sport und einige andere Elemente, auf die ich noch zu sprechen komme, betätigen. Somit sind zum Großteil wir selbst „Frau oder Herr über den Gen-Schaltkasten“ und müssen uns nicht unbedingt mit unseren schlechten Erbanlagen abfinden.
Funktionelle Gruppen an der DNA und/oder den Histonen verändern die Ablesbarkeit von Genen.
Der Mensch ist weit mehr als nur die Summe seiner Gene. Alles, was wir essen, was wir tun und was uns widerfährt, kann die Aktivität unserer Gene beeinflussen. Die gute Nachricht: Diese Veränderungen sind reversibel.
Wenn wir beispielsweise durch schlechte/falsche Ernährung, Rauchen oder viel negativen Stress die Riegel unserer Gene zu unserem Nachteil betätigen oder betätigt haben, kann eine Aufbesserung des täglichen Speiseplans durch hochwertige Lebensmittel, Nikotinverzicht wie auch Entspannung und Entschleunigung unser Erbmaterial zum Positiven verändern. Was für eine großartige Chance bietet uns die Natur da doch mit dem epigenetischen Code!
EPIGENETISCHE VERÄNDERUNGEN SIND VERERBBAR
Wie hatte man ihn ausgelacht – Herrn Jean-Baptiste de Lamarck, den französischen Biologen des 18. Jahrhunderts, der bereits damals behauptete, Umweltfaktoren hätten Einfluss auf die Veränderungen der Arten und dass diese von einer auf die nächste Generation vererbt werden könnten. So hat – nach Ansicht von Lamarck – beispielsweise die Giraffe deshalb einen so langen Hals, weil sie sich nach den Blättern der Bäume hinaufrecken muss, die sie verspeisen möchte. Er ist also ein Ergebnis der Anpassung der Giraffe an ihre Lebensbedingungen, hat sich natürlich auch bei ihren Nachkommen ausgeprägt und ist bis heute ein Hauptmerkmal des Giraffenkörpers geblieben. Viele Jahrzehnte galt Lamarcks Theorie von der Vererbung erworbener Eigenschaften als absurd. Inzwischen ist man vorsichtiger geworden: Neue Erkenntnisse aus der Forschung liefern Hinweise darauf, dass der französische Biologe mehr recht als unrecht hatte und mit seiner Annahme der modernen Molekularbiologie letztlich weit voraus war. So wurden etwa an der amerikanischen Washington State University interessante tierexperimentelle Studien durchgeführt, anhand derer die gesundheitsschädliche Wirkung bestimmter Insektenvernichtungsmittel, die in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen, auf die Fruchtbarkeit nachgeweisen werden sollten. Dazu behandelte man trächtige Ratten mit diesen Chemikalien. Ergebnis: Die männlichen Nachkommen der Tiere hatten abnormale Hoden, die zu wenig Spermien produzierten. Auch die Jungtiere der nächsten Generation, die mit nicht verwandten Tieren gezeugt wurden, wiesen die bereits an den Rattenvätern beobachteten Hodenveränderungen auf. Ebenso besaßen die Enkel, Urenkel und sogar noch die Ururenkel diese abnormalen Hoden, wobei die Forscher immer darauf geachtet hatten, dass die miteinander gepaarten Tiere nicht verwandt waren. Diese Ergebnisse waren mit den allgemeinen Regeln der genetischen Vererbung nicht zu erklären. Die einmalige (!) Behandlung mit dem in der Landwirtschaft üblichen Pestizid führte zu epigenetischen Veränderungen in den Keimzellen, die tatsächlich über mehrere Generationen hinweg auftraten. Die molekularbiologische Untersuchung der Ratten erbrachte ein verändertes DNA-Methylierungsmuster, das an die Nachkommen weitergegeben wurde. Was für ein schockierendes Ergebnis! Und zugleich ein Hinweis darauf, dass umweltbedingte Veränderungen der Gene tatsächlich vererbbar sind. Beim Menschen gibt es ebenfalls Hinweise darauf, dass epigenetische Veränderungen zum Bestandteil des Erbmaterials werden können. So werden aus einmal epigenetisch justierten Leberzellen ausschließlich Leberzellen und aus Hautzellen ausschließlich Hautzellen gebildet. Aber auch Umwelteinflüsse, wie etwa die Art der Energiezufuhr (Ernährung) oder auch das Rauchen, können generationenübergreifende Markierungen am Erbgut anbringen. Wir werden im Zusammenhang mit den Erfahrungen der ungeborenen Kinder im Mutterleib in Kapitel 4 noch einmal darauf zurückkommen.
Unser Erbgut ist wie ein Code, der auf einer Festplatte gespeichert ist.
Nach allem, was wir bislang wissen, müssen wir davon ausgehen, dass die Markierungen an unserem Erbgut wie in einem „Gedächtnis“ gespeichert werden, das heißt in unseren Zellen verbleiben und an folgende Generationen weitervererbt werden können.
KAPITEL 2
DIE ERNÄHRUNG IST EIN WESENTLICHER TEIL UNSERES „EPIGENETISCHEN SCHICKSALS“