Inhalt

25 Familienmitglieder, die überall verstreut auf der Welt leben, stellen sich den Klimafragen. Sie pflanzen Wälder, promoten E-Mobilität, unterstützen Solar-Fabriken, bauen grüne Fassaden, essen gezüchtetes Fleisch, überall auf der Welt von China bis Kenia. Welche Berufe brauchen wir, damit das CO₂ aus der Luft kommt? Mit Selbstbewusstsein, Pragmatik und rasantem Informations-Input nimmt uns Maike Braun, Biologin und Unternehmensberaterin, mit in eine emissionsfreie, digital-ökologische Zukunft.

Gewinnerin beim OPEN CALL für Klimaprosa von mischen und mikrotext im Jahr des offenen Verlags.

Maike Braun

In 80 Jahren eine neue Welt

Erzählung

ein mikrotext

Erstellt mit Booktype

Cover: Inga Israel

Coverfoto: Rodion Kutsaev / Unsplash

Covertypo: PTL Attention, Viktor Nübel

www.mikrotext.de 

978-3-948631-03-1

© mikrotext 2020, Berlin

Maike Braun

In 80 Jahren eine neue Welt

Zukunftsbericht einer klimafreundlichen Beispielfamilie   

In 80 Jahren eine neue Welt

Unsere Beispielfamilie besteht aus fünf Personen, als diese Geschichte, Anfang des 21. Jahrhunderts, ihren Anfang nimmt. Zusammen sind sie 185 Jahre alt und wohnen in 1.000 Kubikmeter umbautem Raum, Energieeffizienz FFF, da Baujahr 1970. Seit Monaten lebt eine Marderfamilie unter dem Dach, welche die letzten Reste der Wärmedämmung abkratzt, um sie für den Nestbau zu verwenden.

Diese Familie ist mehr oder weniger glücklich. Noch. Es geht ihnen besser als vielen anderen, aber sie sind sich dessen selten bewusst.

CO₂-Gehalt in der Atmosphäre um 1100 unserer Zeitrechnung: ca. 290 ppm.

CO₂-Gehalt in der Atmosphäre um 2000 unserer Zeitrechnung: fast 320 ppm und steigend, laut Lüthi et al., 2008, Nature: 453:397-382.

Die Kinder sind noch nicht alt genug, um an den Eltern zu verzweifeln, und die Eltern wiederum noch nicht so alt, dass sie die Welt nicht länger verstehen. Doch die Einschläge kommen schnell. Eine Auswahl: Finanzkrise, Charlie Hebdo, Schweinegrippe, Vogelgrippe, Waldbrände in Australien, die NSU-Morde, Anschläge und Überfälle auf Flüchtlingsunterkünfte, Moscheen und Synagogen, Populisten an der Macht, extreme Dürre.

Alle stehen vor der Wahl: Sich der Angst hingeben. Oder alles mit einem Schulterzucken abtun, einfach weitermachen, wie sonst auch, darauf warten, dass alles „wie früher“ weitergeht. Oder, das wäre auch möglich, gemeinsame Sache zu machen. Weltweit. Virologen sind die neuen Popstars. Wissenschaft zählt wieder etwas. Die Menschen besinnen sich auf das gemeinsame Ziel und vielen fällt wieder ein: Klima, war da nicht noch was mit dem Klima? Müssten wir hier nicht genauso über das Abflachen der Kurve reden? Könnten wir das endlich auch gemeinsam angehen?

Eisbohrungen haben gezeigt, dass sich die Zickzackkurven der Temperaturerhöhung und die des CO₂-Anstiegs übereinanderlegen lassen und sich praktisch nicht unterscheiden. Nicht nur für die letzten hundert Jahre sind sie gleich oder die letzten 1.000, sondern für die letzten 800.000 Jahre gehen Klimaerwärmung und CO₂-Gehalt in der Atmosphäre Hand in Hand1.

Eine Korrelation ist kein Beweis für eine Kausalkette.

Meteo Schweiz vermeldet für 2019/2020 den wärmsten Winter aller Zeiten seit Beginn der Aufzeichnungen 1864.

Die Jahresringe von Bäumen zeigen, ob es ein trockenes oder ein feuchtes Jahr war. Die Altersabstufung der Kinder in unserer Beispielfamilie zeigt, wie sich das Thema Klima mehr und mehr in den Vordergrund des Bewusstseins schiebt.

Joshua – vor der Jahrtausendwende geboren – ist kein Verschwender und mit einem grünen Daumen gesegnet. Ihm gelingt die Aufzucht von Orchideen genauso wie die von Marihuana und seltenen Kakteen. Aber er ist keiner, der sich groß Gedanken über das Klima macht. Er geht davon aus, dass die Ingenieure schon eine Lösung finden werden. Außerdem gibt es Wichtigeres. Genügend Geld verdienen zum Beispiel, um Krisenzeiten zu überstehen.

Das sagen sich auch Milliarden anderer Menschen, vor allem in den ärmeren Ländern.

War die Welt, was das tägliche Einkommen betrifft, 1970 noch klar zweigeteilt, gibt es jetzt zwar immer noch eine enorme Spreizung der Einkommen, aber nur einen Buckel. Der hat sich deutlich nach rechts verschoben. Lag 1970 das Einkommen für die arme Hälfte der Menschheit im Mittel bei zwei, drei Dollar pro Tag, hat es 2010 immerhin die 10 Dollarmarke geknackt, inflationsbereinigt (Winterbach & Mingels, Spiegel Online, 17.6.2017).

Immer noch nicht viel? Korrekt.

Die ärmeren Gesellschaften wollen nachholen, besser leben, gut leben. Hamsterrad statt Mäßigung. Nachvollziehbar.

Zur Jahrtausendwende pustete Deutschland laut Umweltbundesamt cirka 950 Megatonnen CO₂ pro Jahr in die Atmosphäre, ganz Europa ungefähr fünfmal so viel. Dieser Wert fällt seither geringfügig, aber stetig.

Dafür ist China mit 30% aller Treibhausgase auf der Überholspur und auch die USA und Australien verfeuern weiterhin kräftig fossile Brennstoffe. Das Hamsterrad läuft wie geschmiert.