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Orig.: © 1910 Georg Müller Verlag / Wedekind, F.
© 2018 Niklas Discher (Hrsg.)
Herstellung und Verlag:
BoD- Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783744866972
Neu bearbeitet und übertragen von Niklas Discher auf der Grundlage der Originalausgabe Mit allen Hunden gehetzt von Frank Wedekind, erschienen 1910 im Georg Müller Verlag München.
Die Orthographie wurde vorsichtig den heutigen Gepflogenheiten angepasst. Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Einige wenige, dem Gesamtverständis des Textes dienende Begriffe, wurden behutsam modernisiert, wobei in keiner Weise die stilistischen Eigenheiten des Textes verändert wurden.
Meinrad Luckner.
Rüdiger Freiherr von Wetterstein.
Leonore, seine Frau.
Effie, deren Tochter aus erster Ehe.
Van Zeeter, Hoteldirektor.
Duvoisin, Polizeikommissär.
Ein Kellner.
Zwei Gendarmen.
Teuer und geschmackvoll eingerichtetes Zimmer im Hotel Beaurivage, in Ouchy am Genfersee. Im Hintergrund eine offene Balkontüre mit dem Ausblick auf das Wasser. Es ist Abend, die Lampen brennen.
Luckner (umhergehend): Ihr Gatte, Rüdiger, Freiherr von Wetterstein, hat mir im Lauf des verflossenen Jahres Diamanten im Werte von zwei Millionen veruntreut. Gottverfluchtes Orchestrion! (Er bricht in dröhnendes Lachen aus.) Seit zwölf Monden freue ich mich wie ein Gorilla auf unseren heutigen Indianertanz!
Leonore (sitzend): Vielleicht haben Sie sich doch getäuscht. Wieso, das weiß ich noch nicht. Der Himmel wird mir das heute sicherlich noch enthüllen.
Luckner: Himmel, Teufel, Donnerkeil! (lacht.) Strengen Sie doch nachträglich Ihr zartes Gehirn nicht noch an! Alles befindet sich in schönster Ordnung. Heiliges Kanonenfutter, hätte der Pavian die Diamanten noch wenigstens irgendwo in die Erde vergraben! Allen Winkelkrämern beider Hemisphären jagt er die Steine wie faule Bananen in den Rachen.
Leonore: Sie reizen mich wirklich. Aber grade in entgegengesetzter Art, als wie Sie sich das einbilden. Hoffen Sie nur ja nicht, Rüdiger und mich schon als Ihre Schlachtopfer betrachten zu können.
Luckner: Allmächtiger Panamakanal! (lacht.) Sagen Sie mir nur um Gottes willen, wie entreiße ich Sie Ihrer schauerlichen Gemütskrankheit! Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir! Mich kostet das Vergnügen zwei glatte Millionen. Gewaltiger Brahmaputra! (lacht.) Hat Ihnen Wetterstein nie unser unbezahlbares Lateinschülerlied vorgeträllert?
Ach, die Maid, zu Tod erschrocken,
Konnte nicht mehr aufrecht hocken,
Hielt sich fest an ihrem Stuhl,
Dass sie nicht hinunterful . . .
Dazu sitzen Sie mir Modell! Springen Sie endlich auf Ihre entzückenden Beine und geben Sie mir einen saftigen Zweimillionenkuss!
Leonore: Gott im Himmel sei Dank! Das Untier ist wenigstens schon vollständig betrunken!
Luckner: Ich und betrunken?! (lacht.) Herrgott, sind Sie ein Lamm! Betrunken? So unbekannt bin ich Ihnen? Nein, mein himmlisches Opfertier, als Alkoholiker bin ich ganz und gar nicht zu erledigen. Und wenn mein Vater tausendmal die großartigste Aktienbrauerei in der ganzen Rheinpfalz ins Leben gerufen hat! Aber seit frühester Jugend habe ich mit unseren stärksten Brauknechten volle Bierfässer um die Wette gehoben. Alles Muskelfleisch am ganzen Leib wird dadurch zu kugelfesten Panzerplatten. – Das Täubchen scheint meiner Behauptung keinen Glauben beizumessen! Wollen Sie sich überzeugen? Nicht? Gottseliges Henkerbeil! Sie kennen jeden Knochen in Ihrem Götterleib, sobald Sie Ihren süßen Rüdiger aus meinen Tigerkrallen befreit haben.
Leonore: Rüdiger hatte keinen Begriff von dem, was um ihn her vorging. Rüdiger glaubte, in seinem ehemaligen Schulkameraden einen Freund wiedergefunden zu haben. Rüdiger ahnt heute noch nicht im Geringsten, mit welchem Weltungeheuer er es in Ihnen zu tun hat.
Luckner: Eiwei, eiwei! Gleich, als wir das erstmals zusammen in den Minen waren, ich und Sie und er, da roch ich dem Burschen schon an, welch ein sauberer Geist in ihm haust. Damals in Afrika, Sie erinnern sich noch, da hätte ich dem Burschen schon Ihre gesamten Aktien durch ein Augenzwinkern abdrangsalieren können. Sie beide wären splitternackend miteinander in den Kaktuspflanzen sitzen geblieben! Aber Sie standen an seiner Seite, Sie staunten an ihm empor wie eine Schildkröte an einer Telegraphenstange. Da sagte ich mir: Solche Prachtexemplare von Weibern fängt man nur durch die Männer, die von ihnen geliebt werden. Und er? Allgewaltiges Kanonenrohr! Über Ihr Haar hinweg glotzte er mich an wie ein vollgefressener Kapitalist, der einen Zeitungsjungen wegschickt. Himmel! Himmel! Himmel! Da sagte ich mir: Nein, Rüdiger von Wetterstein, so klanglos scheiden wir beide nicht voneinander. Diese Frau, sagte ich mir, die wird alle hundert Jahre nur einmal geboren. Wer die Frau nicht nimmt, wo er sie findet, und sei es um zwei Millionen, der war, hol mich der Henker, nicht wert, dass er das Licht der Welt als der Sohn des größten Aktienbrauereibesitzers der Rheinpfalz erblickte.
Leonore: Wollen Sie denn nicht vielleicht einen Augenblick vernünftig mit sich sprechen lassen?
Luckner (lachend): Nur zu, mein süßer Leckerbissen! Nur zu! Breiten Sie zwanglos Ihre geistigen Reize vor mir aus! Ein schmackhaftes Vorgericht! Ich bin nämlich ein Mensch, wissen Sie . . . ich bin tatsächlich ein eigentümlicher Mensch! Ohne Scherz! Ein außergewöhnlicher Mensch, sage ich Ihnen! Sie würden es nie für möglich halten! Ein halbes Glas Weißwein täglich, und ich Hünenkerl sitze nach vierzehn Tagen im Irrenhaus. Eiwei, eiwei! Aber sonst?! Oh, ihr getünchten Kanadier! Seit frühester Kindheit stehe ich mir selbst wie einem hellen Naturwunder gegenüber. Fassen Sie unter anderem bitte nur einmal meinen Kopf an. Posemuckel und Sumatra! Haben Sie in Ihrem Leben auf irgendeinem Menschenleib schon solch eine Rübe wachsen sehen?
Leonore: Wenn Rüdiger, wie es sein gutes Recht ist, Mitbesitzer unserer Minen in Jagersfontein bleibt, dann kann er Ihnen im Lauf der nächsten fünf Jahre sämtliche Steine bis auf den winzigsten Diamanten zurückerstatten.
Luckner (bricht in dröhnendes Lachen ausLeonore ängstlich starrend