Buchinfo

 

Wow! Jojo hat es erwischt: Sobald sie Benedikt auch nur sieht, flattern tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch. Dumm nur, dass der von seinem Glück noch gar nichts weiß. Doch Jojo hat ein spezielles Rezept, um ihn zu verzaubern: ein leckeres Liebesmenü! Eine Prise Charme, ein Hauch Romatik und ein großer Schuss Chaos … Was sollte denn da noch schiefgehen?

 

Eine Jojo-Geschichte

 

Freche Mädchen – freche Bücher!

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Autorenvita

 

 

© privat

 

Hortense Ullrich, redet gern, lacht gern und schreibt gern. Und zwar über alles, was das Leben an Lustigem und Komischem zu bieten hat. Sie schreibt einfach auf, was bei ihr zu Hause tagtäglich passiert. Allerdings nie die volle Wahrheit, denn die würde ihr ohnehin niemand glauben. Ihre Töchter Allyssa und Leandra sind die Vorbilder für Jojo und ihre Schwester Flippi. Jojos überbesorgte, kochunfähige Mutter hat rein zufällig große Ähnlichkeit mit der Autorin. Nur Hortense Ullrichs Mann und die beiden Hunde kommen ungeschoren davon. Noch. Acht Jahre verbrachte Hortense Ullrich mit ihrem Mann und ihren Kindern in New York, inzwischen lebt sie in Bremen.

Samstagabend, 11. Oktober ..........

»Wie heißt du eigentlich?«

»Benedikt.«

»Aber du wirst Benni genannt …«

»Nein, Benedikt. Und du?«

»Ich werde nicht Benedikt genannt.« Der Scherz kam nicht an, ich lächelte entschuldigend und sagte: »Jojo.«

»Und wie heißt du richtig?«

»Josefine. Aber so nennt mich niemand. Alle sagen Jojo.«

»Ich finde es schade, dass Namen immer abgekürzt werden.«

»Das sagst du nur, weil du nicht Josefine heißt.«

»Nein, das sage ich, weil ich Benedikt heiße und auch Benedikt genannt werden möchte. Und ich finde den Namen Josefine sehr schön.«

»Du findest das und meine Mutter«, spottete ich. »Es wäre trotzdem sehr nett von dir, wenn du mich Jojo nennen würdest. Wenn jemand Josefine zu mir sagt, klingt das so offiziell und ich hab immer das Gefühl, ich kriege gleich Ärger und bin in Schwierigkeiten.«

»Passiert das oft?«

»Was?«

»Dass du in Schwierigkeiten bist?«

»Nein. So gut wie nie.« Wow, diese Lüge ging mir ja flott über die Lippen. Ich befand mich meist in Schwierigkeiten; mein Alltag war eine Aneinanderreihung von Fettnäpfchen und Stresssituationen. Nicht meine Schuld. Das Schicksal amüsierte sich offensichtlich ganz gerne auf meine Kosten.

Ich lief neben Benedikt her, wir waren auf dem Weg zur Sushi-Bar. Wie unglaublich ist das denn? Vor fünf Minuten hatte ich ihn kennengelernt und schon lädt er mich zum Sushi-Essen ein. Wahnsinn! Und vor einer halben Stunde hatte ich mit ansehen müssen, wie mein Freund Max ein anderes Mädchen küsste. Man sollte meinen, ich sei nun am Boden zerstört und würde unendlich leiden, aber es war gar nicht so schlimm. Das lag bestimmt auch daran, dass ich sofort Rache genommen hatte und Max in voller Montur mit Schwung in den See geschubst hatte. Hach! Wie ein begossener Pudel sah er aus, als er mühsam wieder rauskletterte. Ich war sauer, klar, aber ich kam ganz gut damit zurecht. Und wenn ich je traurig darüber werden sollte, dass es mit Max aus ist, oder womöglich schwach werden würde und Gefahr lief, ihm zu verzeihen, würde ich einfach nur diese zwei Szenen in meinem Kopf abspielen: der fatale Kuss und Max, wie er in den See platscht.

Und gleich darauf lerne ich Benedikt kennen, einen total süßen Jungen. Wäre super, wenn wir jetzt Max über den Weg laufen würden. Er pitschnass, ich mit einem neuen Typ an meiner Seite. Dann würde Max sehen, dass ich es nicht nötig habe, mich so von ihm behandeln zu lassen. Ich finde sofort einen Nachfolger. Ich wünschte echt, Max könnte mich jetzt sehen.

Wie perfekt, dass ich Benedikt in die Arme gelaufen bin. Eigentlich bin nicht ich ihm in die Arme gelaufen, sondern Nelson. Er ist ihm entgegengelaufen. Nelson ist der Hund der Nachbarin meiner besten Freundin Lucilla. Und meine kleine Schwester Flippi führt Nelson täglich spazieren. Flippi und ich waren auf dem Heimweg, als Nelson aufgeregt auf einen Typ zulief. Wir kamen ins Gespräch und dann wurde es kurzfristig etwas peinlich, denn Flippi sagte zu dem Typ, dass Nelson mein Hund wäre. Keine Ahnung wieso, vielleicht tat ich ihr leid und sie wollte nett sein und mich für den Typ interessanter machen, denn sie hatte das ganze Max-Desaster leider mitbekommen. Als Augenzeugin. Sie hatte Max mit einem anderen Mädchen gesehen, es mir erzählt und daraufhin haben wir die beiden beschattet und leider … nun ja, leider etwas gesehen, was ich wirklich nicht sehen wollte. Tja. Hm. Vielleicht gab es ja eine vernünftige Erklärung dafür? Vielleicht hätte ich Max zur Rede stellen sollen und ihm die Chance geben sollen, es zu erklären? Hey, was ist los mit mir? Eine vernünftige Erklärung dafür, dass mein Freund ein anderes Mädchen küsst, gibt es nicht! Schluss, Ende, aus, basta!

Ich sah Benedikt an und konzentrierte mich auf ihn. Er sah echt gut aus.

Und er hatte die erste Peinlichkeitshürde ganz gut genommen. Kein Wunder, war ja auch nicht peinlich für ihn, sondern für mich, als Flippi behauptete, dass Nelson mein Hund sei. Er hatte mich etwas verwundert angesehen und klargestellt, dass es nicht mein Hund sei, sondern der Hund seiner Tante. Wer konnte aber auch wissen, dass die beiden sich kennen? Ich meine jetzt den Hund und den Benedikt. Dass ein Neffe seine Tante kennt, ist weniger ungewöhnlich. Egal. Ich hab mich irgendwie rausgeredet und er hat es scheinbar auch nicht sonderlich übel genommen, sonst hätte er ja wohl nicht zwei Minuten später gefragt, ob ich Lust hätte, mit in die Sushi-Bar zu kommen. Und dahin waren wir jetzt unterwegs.

 

Ich sollte vielleicht etwas sagen, denn wir liefen nun schon länger schweigend nebeneinanderher. Es ist ziemlich blöd, wenn man zu lange nichts sagt, denn wenn man dann endlich irgendwas sagt, sollte es besonders witzig oder intelligent sein, sonst hat sich das Warten nicht gelohnt. Ich hatte zu lange gewartet. Jetzt würde alles blöd klingen, was ich sagen würde.

Endlich brach er das Schweigen. Er hatte etwas gesagt. Gott sei Dank.

Ich war so erleichtert darüber, dass ich gar nicht richtig hingehört hatte. Was hatte er gesagt? Sollte ich nachfragen? Oder einfach nicken? Ja sagen? Oder verblüfft den Kopf schütteln? Oder einfach nur die Schultern zucken? Ich sah ihn an und lächelte. Er sah mich an. Er sah mich fragend an. Oh, also hatte er mich etwas gefragt. Er erwartete eine Antwort. Auf eine Frage, die ich nicht gehört hatte. Hm.

»Wieso nicht«, antwortete ich versuchsweise. Damit war ich doch nicht festgelegt. Es war fast neutral.

»Was meinst du damit?«, wunderte er sich.

Wenn er sich wunderte, war mein Wieso nicht wahrscheinlich keine gute Antwort. Es führte kein Weg daran vorbei, ich musste fragen.

»Entschuldige, was hast du gefragt?«

»Ich hatte gefragt: Was meinst du damit?«

»Nein, vorher.«

»Vor was?«

»Bevor du mich gefragt hast, was ich damit meine.«

»Also, du hast meine Frage nicht verstanden?«

»Ja.«

»Aber du hast trotzdem geantwortet.«

Ich zuckte die Schultern. »Es war einen Versuch wert.«

»Ich hatte dich gefragt, auf welche Schule du gehst.«

»Ah. Na, da passte das Wieso nicht wirklich nicht«, gab ich ihm recht.

Wir waren an der Sushi-Bar angekommen und gingen nun rein. Wir setzten uns an die lange Theke, an der ein Laufband mit kleinen Tellerchen unermüdlich im Kreis lief. Das faszinierte mich irgendwie am meisten. Man beobachtete das Laufband, entschied schon frühzeitig, welchen Teller man vom Laufband nehmen würde, behielt ihn im Auge und hoffte, dass keiner der anderen Gäste genau diesen Teller wegschnappen würde, bevor er in Reichweite wäre.

»Antwortest du irgendwann noch mal auf meine Frage?«

»Oh, hab ich das noch nicht? Unglaublich. Ich bin manchmal wirklich etwas schusselig. Weiß auch nicht, wie das kommt. Ich denke ja, das liegt bei uns in der Familie. Wir sind alle etwas chaotisch. Außer Oskar, der ist normal.«

»Dein Bruder?«

»Nein, mein Vater. Stiefvater genau genommen. Er arbeitet hier am Theater als Bühnenbildner. Und meine Mutter ist dort Kostümbildnerin. Daher kennen sie sich. Und meine kleine Schwester Flippi hast du ja eben schon kennengelernt.«

Wieso plapperte ich so viel? Ich sollte das auf der Stelle stoppen. Aber nichts zu sagen war ja auch merkwürdig. Hm. Na klar, die Lösung war einfach. Ich würde ihm Fragen stellen, dann müsste er reden und ich könnte zuhören. Was interessiert mich? Was will ich über ihn wissen?

»Wieso gehst du eigentlich alleine in die Sushi-Bar?«

Ungeschickt gefragt. Was ich tatsächlich wissen wollte, war: Hast du eine Freundin? Und meine Frage erschien mir ein akzeptabler Umweg dafür zu sein. Nur stand es jetzt etwas anklagend im Raum. Ich musste nachbessern.

»Also, ich meine, ist doch eigentlich unangenehm, so alleine rumzusitzen.«

»Ich bin doch nicht alleine. Du bist doch hier.«

»Ja, schon, aber …«

Er half mir. »Ich weiß, was du meinst. Ich hab keine Wahl, die Alternative wäre, zu Hause zu bleiben, denn ich kenne hier niemanden.«

»Wie kommt das denn?«

»Wir sind erst vor einer Woche hierhergezogen.«

»Ach!«, rief ich erfreut. Er war neu. Brandneu. Kannte niemanden. Sah gut aus, war nett. Bingo. Meine Chance.

»Hey, wenn du willst, kannst du ja mit mir …«, nein, zu persönlich, »… und meinen Leuten rumhängen.«

Mit mir und meinen Leuten? Spinne ich denn? Das sollte wohl cool klingen. Und ich hab doch gar keine »Leute«. Aber das wusste er ja nicht. Also, ich kannte sehr wohl jede Menge Leute, aber ich war nicht der Mittelpunkt des Geschehens und außer mit meiner besten Freundin Lucilla hing ich mit niemandem rum. Aber jetzt könnte ich meine eigene Clique gründen: Benedikt, Lucilla und ihr Freund Valentin und ich. Und hoffentlich noch ein paar andere. Da Benedikt noch keine Auswahl hatte, wäre er froh und dankbar für Gesellschaft. Denn wenn die Coolen ihn erst mal wahrnehmen, dann werden sie sich ihn schnappen.

Benedikt schien sehr erfreut. »Super. Das wäre toll. Irgendwie ist es nicht so leicht, Anschluss zu finden, alle haben bereits ihre festen Cliquen und man kommt sich wie ein Außenseiter vor.«

»Keine Sorge, da bin ich Experte.«

Konnte ich denn nicht mal aufhören so große Reden zu schwingen? Verflixt. Wobei, haha, der Satz stimmte. Ich war wirklich Experte im Nicht-Dazugehören, da kannte ich mich aus. Aber das musste Benedikt ja nicht wissen. Hier hatte ich die Chance, mir ein völlig neues Image aufzubauen. Jojo, Version 2.0, verbessert und überarbeitet. Vor ihm konnte ich die Coole sein. Mit coolen Freunden. Gut, die müsste ich erst finden. Er war neu, kannte mich nicht, also hatte ich gute Chancen, dass er mich für normal hielt, vielleicht sogar für cool.

»Du kannst mit uns rumhängen«, bot ich großzügig an, während ich mir Sushi-Tellerchen vom Band nahm.

»Super«, meinte er und nahm ebenfalls Teller vom Band. »Und um jetzt noch mal auf meine Frage von vorhin zurückzukommen: Auf welche Schule gehst du?«

»Hab ich darauf etwa noch nicht geantwortet?«, wunderte ich mich.

Plötzlich stand Flippi neben mir.

Ich erschrak etwas. »Was machst du denn hier?«

»Nein, die Frage lautet: Was machst du denn hier?«, blaffte Flippi.

»Ich …«

Sie hielt mir vorwurfsvoll ihren Arm mit ihrer Uhr vor die Nase. Ich war etwas verwirrt. »Neue Uhr?«

»Nein, es geht eher um die Uhrzeit!«

Ich war nicht sehr glücklich über Flippis Auftritt, war ich doch gerade dabei, mir ein cooles Image aufzubauen, und da ist es wenig hilfreich, wenn man von seiner kleinen Schwester zusammengefaltet wird.

Lässig sagte ich: »Was? Kannst du die Uhr nicht lesen? Kommst du hierher, damit ich dir sage, wie viel Uhr es ist?«

Sie sah mich an, warf einen Blick auf Benedikt und meinte: »Ich sehe, dein Verstand und deine Kombinationsgabe sind gerade in Urlaub. Daher noch mal im Klartext für Leute mit Erinnerungslücken: Du bist mit deiner Familie verabredet. Mami und Oskar haben sich bereits auf den Weg zum Restaurant gemacht. Ich soll dich einsammeln und mit dir nachkommen. Und ich kann dir sagen – deine Mutter ist nicht gut gelaunt!«

Coolness ade. Eine aufgebrachte Mutter verwandelt jeden in ein Kleinkind. Verflixt. Und sie war sogar im Recht. Vor lauter Benedikt hatte ich vergessen, dass unsere Familie heute Abend zum Essen ins »Rive Gauche« wollte. Zur Feier des Tages wollten wir nämlich in ein richtig teures und feines Restaurant gehen. Grund der Feier war nicht, dass mit Max und mir Schluss ist – obwohl meine Mutter das sicher auch gefeiert hätte, wenn sie es wüsste. Aber sie wusste ja noch nicht einmal, dass ich überhaupt mit Max zusammen gewesen war. Sie konnte ihn nämlich nie leiden und hatte mir den Umgang mit ihm verboten. Der Grund unserer kleinen »Feier« war, dass Oskar geerbt hatte. Ein Haus in der Altstadt. Und beim Essen wollten wir gemeinsam überlegen, was wir damit machen.

Das war jetzt echt superblöd. Ich war nicht ordentlich angezogen. Also, für ein französisches Edel-Restaurant war ich nicht gut genug angezogen. Aber jetzt blieb keine Zeit zum Umziehen mehr.

Und ich hatte mir gerade fünf kleine Sushi-Teller vom Band gefischt. Na ja, Letzteres konnte ich zumindest schnell wieder beheben.

Ich stellte flugs den ersten Teller wieder auf das Band, da erschien genauso flugs der japanische Sushi-Koch und sah mich drohend an.

»Du kannst die Teller nicht einfach wieder zurückstellen«, übersetzte mir Benedikt den Blick des Japaners. Der Koch nahm meinen zurückgestellten Teller vom Band und stellte ihn demonstrativ wieder vor mich. Da er ein Messer in der Hand hatte, sah ich ihn entschuldigend an.

Sein Blick wurde nicht milder. Egal, ich musste los.

»Sorry«, sagte ich zu Benedikt, hüpfte von meinem Barhocker und verließ fluchtartig zusammen mit Flippi die Sushi-Bar.

Sonntag, 12. Oktober ..........

Als ich gestern Abend mit Flippi durch die Stadt zum »Rive Gauche« gesaust war, hatte ich mich geärgert, dass ich nicht passend angezogen war.

Wir gehen nie richtig fein essen, höchstens mal in eine Pizzeria oder so, und mein Outfit war höchstens Pizzeria-tauglich. Ich trug Blue Jeans, ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Born to be wild« und eine Jeansjacke. Murks. Zu blöd. Und daran ist Benedikt schuld. Ich konnte nur hoffen, dass sich herausstellen würde, dass er es wert war.

Ich war total überfordert gewesen. Es war einfach zu viel passiert. Alles an einem einzigen Tag. Ich wusste gar nicht, worauf ich mich konzentrieren sollte.

Wir hatten eine Erbschaft gemacht, mit Max war Schluss und ich hatte einen total süßen Typ kennengelernt. Normalerweise braucht man Wochen für solche Ereignisse, bei mir kommt alles auf einmal.

Ich bemühte mich, mein chaotisches Liebesleben mal kurz zu vergessen und nur an die Erbschaft zu denken. Das war schließlich der Grund dafür, dass Oskar uns in ein teures Restaurant einlud und damit unser Haushaltsbudget in Schieflage brachte. Aber er sagte, besondere Anlässe müsste man auch entsprechend feiern.

Oskar hatte nämlich ein Wohnhaus und eine Tischlerei geerbt. Bevor er beim Theater als Bühnenbildner arbeitete, hatte er eine Tischlerlehre gemacht. In der Tischlerei Johann Wagenbach. Johann Wagenbach war später nach Kanada ausgewandert und hatte sein Haus und die Tischlerei verpachtet. Und das alles hat er nun Oskar vermacht.

Nachmittags hatten wir es besichtigt und waren ziemlich sprachlos, dass das alles nun uns gehören sollte.

Das Haus und die Tischlerei von Johann Wagenbach lagen mitten in der Altstadt, zwischen malerischen Fachwerkhäuschen. Das Haus war ein normales Wohnhaus, »Pension Jäger« stand über dem Eingang. Direkt daneben war die Werkstatt. Über der großen, breiten Doppeltür stand in verblichenen Lettern »Tischlerei Johann Wagenbach«.

Die Pächter, ein älteres Ehepaar, Herr und Frau Jäger, betrieben im Wohnhaus seit 20 Jahren eine Pension, mit vier Fremdenzimmern und einem Frühstücksraum. Hinter dem Haus war ein großer gepflasterter Hof. Die Tischlerei neben dem Haus ging noch etwa in der doppelten Länge weiter, die beiden Häuser waren L-förmig angelegt, so ergab sich ein ziemlich großes Grundstück. Mitten in der Altstadt, sehr idyllisch.

Oskar hatte noch vor Ort spontan entschieden, dass er das Haus auch weiterhin an die Jägers vermieten würde, nur die Tischlerei wollte er aus dem Pachtvertrag rausnehmen, da sie von den Jägers eh nicht genutzt wurde.

Oskar war mit glänzenden Augen durch die Tischlerei gelaufen, hob Werkzeuge hoch und war begeistert wie ein kleines Kind. Flippi war ebenso begeistert wie Oskar. Meine Mutter murmelte nur: »Mein Gott, ist das riesig hier.«

Flippi nickte. »Da passen locker zwanzig Elche rein.«

Flippi hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, Elche zu züchten. Ihre Begründung war sehr fragwürdig: »Hier gibt’s keine Elche. Die Leute werden ein Vermögen für Elche bezahlen.«

Ich hatte es Oskar und meiner Mutter überlassen, Flippis Vorschlag abzuschmettern.

Vor meinem geistigen Auge spielten sich ganz andere Szenarien ab. Ich sah eine Pizzeria. Oder eine Eisdiele. Oder eine Sushi-Bar. Jedenfalls etwas, wo coole Leute in meinem Alter rumhängen würden, die mich dann toll finden, weil der Laden unserer Familie gehört. Das würde doch mein Image enorm verbessern.

Oskar hatte unsere Ideen erst einmal unkommentiert hingenommen und vorgeschlagen, dass wir in Ruhe bei einem festlichen Abendessen gemeinsam überlegen, was mit der Tischlerei geschehen soll.

 

In Ruhe konnte ich schon mal knicken, Flippi und ich rannten.

Als wir etwas abgehetzt im Restaurant ankamen, saßen Oskar und meine Mutter bereits am Tisch.

Flippi bekam ein freundliches »Danke, mein Schatz« dafür, dass sie mich eingesammelt hatte. Mir warf meine Mutter einen strafenden Blick zu und zischte als Begrüßung: »Knöpf die Jacke zu.«

Das »Born to be wild« störte sie wohl.

»Das T-Shirt ist von einer Tierschutz-Organisation«, verteidigte ich mich, während ich gehorsam die Jacke zuknöpfte.

»›Born to be wild‹ ist ein Song von Steppenwolf aus dem Film ›Easy Rider‹. Da geht es um Drogen und um Gewalt.«

»Kennt doch keine Socke.«

»Nun setz dich endlich, damit man weniger von deiner Kleidung sieht.«

Na, der Abend stand ja unter keinem guten Stern.

»Wo warst du? Wieso kommst du jetzt erst? Und was ist das für ein Aufzug?«

»Tut mir echt leid, es war totales Chaos. Erst hab ich …«

Upps. Fast hätte ich von Max erzählt. Dann wäre der Abend auf der Stelle zu Ende gewesen. Schon blöd, wenn man einen heimlichen Freund hat. Da kann man sich noch nicht mal trösten lassen, wenn die Beziehung in die Brüche geht.

Ich atmete tief durch.

»Ich kann echt nichts dafür. Ich hatte Benedikt getroffen und … irgendwie … Er hatte ein Problem und ich musste ihm helfen.«

Flippi sah mich mit hochgezogener Augenbraue an, aber sie verzichtete freundlicherweise darauf, einen Kommentar abzugeben.

Meine Mutter schien noch nicht überzeugt, also musste ich Benedikts Problem etwas ausführlicher beschreiben.

»Es ist so … Er hat … Also, er ist neu in der Stadt, kennt niemanden und ich musste …«

Aber das schien sie nicht besonders zu interessieren, sie fiel mir ins Wort, wofür ich eigentlich dankbar war, denn ich hatte ja keine wirklich gute Erklärung parat.

»Benedikt? Ist das der boyfriend du jour?«, fragte sie nur spöttisch.

Der boyfriend des Tages? Was soll das? So oft wechsle ich nun nicht die Freunde. Oder doch?

Sie fuhr fort: »Du bringst immer Unruhe in unser Leben mit deinen Jungsgeschichten«, schimpfte sie so leise wie möglich.

Ah, gut, dass wir in einem vornehmen Restaurant waren, da musste sie sich zurückhalten. In einer Pizzeria hätte sie mir die Ohren lang gezogen. Ich war etwas erleichtert.

»Diesmal nicht, ich schwöre es«, beteuerte ich. »Benedikt ist total nett. Ehrlich.«

Oskar legte meiner Mutter beruhigend die Hand auf den Arm und meinte: »Jetzt sind wir doch alle hier und sollten es genießen. Es ist doch ein besonderer Anlass. Wir haben ein viel schöneres Thema zu besprechen.«

Meine Mutter atmete tief ein, hielt die Luft an, dann atmete sie wieder aus, nickte und lächelte Oskar an. »Natürlich. Du hast recht. Themawechsel.«

Flippi kam gleich zur Sache: »Also, sind wir jetzt reich?«

Oskar lachte. »Nein. Selbst wenn wir das Haus und die Tischlerei verkaufen würden, wären wir nicht reich. Reich ist man, wenn man nicht mehr arbeiten muss. Wir hätten zwar mehr Geld, aber es würde unseren Lebensstil nicht sehr drastisch verändern. Aber wir wollen es ja nicht verkaufen. Und deshalb müssen wir genau überlegen, was wir damit machen, denn es wird uns etwas Geld kosten.«

»Bitte? Seit wann kostet erben denn Geld?«, empörte sich Flippi.

»Wir müssen Erbschaftssteuer zahlen und beide Gebäude müssen unterhalten werden.«

»Kaufen wir ihnen doch einen Fernseher zur Unterhaltung und ein paar Bücher, dann sind sie beschäftigt.«

Oskar nahm Flippis Albernheit mit Humor. »Ich meine damit, dass sie Kosten verursachen. Man zahlt jährlich Grundsteuern und Gebäudeversicherung für das Haus. Und wenn Reparaturen anfallen, womöglich ein Dach neu gedeckt werden muss oder so, zahlt das natürlich der Eigentümer des Hauses. Also ab jetzt wir.« Bevor Flippi ihn wieder unterbrechen konnte, fuhr er schnell fort: »Aber die laufenden Kosten werden eigentlich durch die Miete, die Familie Jäger für das Haus zahlt, gedeckt. Allerdings müssen wir die Miete versteuern. Also einen Teil des Geldes bekommt das Finanzamt.«

Zwischen Flippis Augenbrauen erschien eine ärgerliche Falte.

»Und aus welchem Grund freuen wir uns über die Erbschaft?«

Oskar lachte herzlich, meine Mutter sah Flippi böse an.

Sehr schön, jetzt war sie auf Flippi ärgerlich, das würde mich hoffentlich etwas entlasten.

»Hör zu, Flippi«, sagte Oskar schließlich, als er aufgehört hatte zu lachen, »nun vergiss mal die ganzen Formalitäten, die Steuern und das Finanzamt. Wir überlegen uns heute einfach nur, was wir mit der Tischlerei machen wollen. Wofür wir sie nutzen wollen.«

»Na also, nachdem ich das eben gehört habe, würde ich vorschlagen, für etwas, das uns Geld bringt. Viel Geld.« Flippi war noch nicht versöhnt mit der Finanzpolitik.

»Ja, das wäre gut, denn was immer wir daraus machen werden, wird uns ja erst einmal Geld kosten.«

Flippi drehte sich zu mir. »Wusstest du, wie kompliziert das mit Geld und Steuern ist?«