Autor

Die Autorin
Yvonne Westphal wurde am 9. April 1989 als waschechter Widder in Regensburg geboren und ist in der Voreifel nahe Köln aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie Medienmanagement der Fachrichtung PR & Kommunikation und arbeitet seit 2012 als Filmproduzentin und Medienstrategin. Privat hat sie die große Liebe schon gefunden und ist seit mehr als zehn Jahren glücklich liiert.
Du und ich und dieser Sommer ist ihr erster veröffentlichter Roman und richtet sich wie all ihre Werke an Jugendliche und (junge) Erwachsene, die an die große Liebe glauben und sich verzaubern lassen wollen.

Das Buch
Eigentlich hatte Nicole überhaupt nicht vor, sich zu verlieben, aber ihr Herz hat einen eigenen Plan. Blöd nur, dass ihr Schwarm ausgerechnet der größte Aufreißer der Schule sein muss, der auch noch unverschämt gut aussieht. Milias mit seinen dunklen Haaren, braunen Augen und der sommergebräunten Haut. Nicole ist überglücklich, als Milias tatsächlich mit ihr zusammen sein will. Doch sie ahnt nicht, dass sich das Leben der beiden für immer verändern wird. In diesem Sommer werden ihre junge Liebe und ihre Freundschaften auf eine harte Probe gestellt…

Yvonne Westphal

Du und ich und dieser Sommer

Roman

Forever

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever.
Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
September 2016 (1)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelabbildung: © svetikd/iStock.com
Autorenfoto: © Thomas Schwalowski
ISBN 978-3-95818-121-2
 
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1 Seelenverwandt

Nicole

»It‘s Karma, bitch!«

Die gesamte Klasse starrte entgeistert auf meine beste Freundin Lucy, die weiter seelenruhig eine meiner Strähnen flocht.

»Lucy?«, fragte jetzt auch unser Lehrer – beziehungsweise Ersatz-Referendar, denn unsere Ethiklehrerin war heute krank und der arme Kerl hoffnungslos überfordert mit unserer chaotischen Klasse eine Woche vor den Sommerferien.

»Meine Interpretation von Schicksal«, erklärte Lucy mit einem Kopfnicken zur Tafel, auf der verschiedene Handschriften ihre Assoziationen zu »Schicksal« hinterlassen hatten. Meine Augen flogen über die Worte – Glück. Bestimmung. Gott. Engel. Unglück. Aberglaube. – und blieben erneut an »Liebe« haften. Ich mochte, wie Hannah das »L« verschnörkelte.

»Schicksal ist für mich, dass sich Seelen, die zusammengehören, in jedem Leben erneut finden, bis sie gemeinsam die Stufe des höchsten Glücks im karmischen Rad erreichen«, erklärte Lucy.

Ich drehte den Kopf, um meine beste Freundin verstört anzusehen, woraufhin ihr meine halb geflochtene Strähne beinahe aus der Hand glitt.

»Du schaffst es echt, in allem dein Karma-Zeug zu sehen, oder?«, ätzte Fabian hinter uns.

Lucy drehte sich zu ihm um und antwortete mit der Miene einer Märtyrerin: »Eines Tages, Fabian, wirst auch du begreifen, dass alles im Leben Karma ist. Oder Schicksal, wenn dir das besser gefällt, oder göttliche Fügung.«

»Oder Bullshit-Talk«, meinte Fabian und erntete einige Lacher, aber Lucy war noch nicht fertig.

»Auch, wenn es für deine unsterbliche Seele dann vermutlich zu spät sein wird. Aber hey, mehr Glück im nächsten Leben!« Sie grinste fröhlich.

»So lange du mir im nächsten Leben nicht wiederbegegnest.«

Lucy lachte. »Wohl eher nicht, denn wir sind weder seelenverwandt, noch gehören wir zur selben karmischen Familie.«

»Whatever, Lucy.«

»Fabian, respektiere bitte Lucys Meinung. Und Lucy, würdest du dich jetzt bitte wieder nach vorne drehen – und endlich Nicoles Haare loslassen?«, versuchte der arme Referendar, wieder das Ruder zu übernehmen.

Lucy drehte sich um, ließ meine Strähne jedoch nicht los, sondern flocht ungerührt weiter. Herr Lohmann schien erleichtert, als sich Emily meldete und eine Frage stellte, die ich nicht hörte, weil ich mich zu Lucy lehnte und wisperte: »Lucy, was redest du da für Zeug von Wiedergeburt und Seelenfamilien? Das ist super creepy!«

Sie legte mir die geflochtene Strähne behutsam über die Schulter. »Ach, Mausi! Das muss dir keine Angst machen. Das heißt eigentlich nur, dass irgendwo da draußen jemand auf uns wartet, der uns vollkommen macht, und jemand anders uns dabei hilft ihn zu finden.«

Ich betrachtete die verschiedenen Blondschattierungen in meiner geflochtenen Strähne und musste unwillkürlich lächeln.

»Ein Schutzengel!«, frohlockte ich. »Du bist mein Engel, Lucy.«

Sie hob belustigt die Brauen, und wir tauschten einen langen Blick, bevor wir beide in prustendes Lachen ausbrachen.

Lucy war tatsächlich eher Teufelchen als Engelchen. Selbst ihre Mutter mutmaßte in regelmäßigen Abständen, dass ihr Name nicht von »Lucia«, Licht, abstammte, sondern von »Luzifer«, dem Teufel. Trotzdem war sie meine beste Freundin, seit ich denken konnte. Sie half mir aus jeder Patsche, sie vervollständigte mich. Sie war definitiv meine Seelenverwandte.

»Nicole und Lucy!«, ärgerte sich Herr Lohmann. »Ist die Friseur-Stunde endlich beendet?«

Wir grinsten beide unser liebenswürdigstes Grinsen wie zweieiige Zwillinge. Denn äußerlich hatten wir nicht wirklich viel gemeinsam: Sie groß und sportlich, mit rotblonden Haaren und blauen Augen. Und ich klein, schmal, hellblond und grünäugig.

Herr Lohmann richtete seinen unbeeindruckten Blick auf mich: »Dann kannst du uns ja sicherlich zusammenfassen, was Schicksal ist, Nicole.«

»Na klar!«, kicherte ich, »Schicksal ist das, woran jeder persönlich glaubt. Ich glaube, dass jeder Mensch auf der Welt einen Engel hat, der auf ihn aufpasst.« Mit einem Seitenblick auf Lucy fügte ich grinsend hinzu: »Und, dass da draußen mein Traummann auf mich wartet, um meine Seele zu vervollständigen!«

Sie grinste breit zurück, während Herr Lohmann resignierend seufzte und die Klasse erneut in Lachen ausbrach.

Allerdings war meine Ironie nur zur Hälfte gespielt. Ganz tief in mir drin glaubte ich tatsächlich daran, dass es so etwas wie den Ritter auf dem weißen Pferd gab – im übertragenen Sinne natürlich. Obwohl so ein Pferd auch nicht schlecht gewesen wäre.

»Nicole, Babe, das hättest du auch früher sagen können. Ich bin dein Traummann, lass mich dich heute Nacht vervollständigen!«

Lukas’ Stimme und das noch lautere Gelächter rissen mich ziemlich unsanft aus meiner Traumwelt. Ich warf ihm einen angewiderten Blick zu und strich unwillkürlich meinen Rock glatt. Typen wie der waren der Grund dafür, dass ich lieber hundert Mal Mr. Darcy oder Edward Cullen in meinem Kopf anhimmelte, als auch nur mit einem von denen zu gehen.

Ich seufzte innerlich. Denn meine Schwärmerei für fiktive Traummänner war der Grund dafür, dass ich bisher noch nicht einmal einen Jungen geküsst hatte. Und das, obwohl ich letzte Woche sechzehn geworden war und die meisten meiner Freundinnen schon ihr erstes Mal gehabt hatten.

Das Klingeln erlöste uns. Herr Lohmann seufzte erneut, während alle aufsprangen und hinausströmten.

»Hey Nicole.«

Ich kletterte neben meinem besten Freund Daniel auf die Bank und richtete meinen Rock. Er hielt mir sofort sein Trinkpäckchen hin.

»Hey Danny! Danke.«

Daniel war ein paar Monate älter als ich und eher unscheinbar. Aber er konnte gut mit Menschen umgehen, besonders mit Kaputten oder Verletzten. Er war es gewesen, der mich aus dem Loch gezogen hatte, in das mich der Tod meines Opas letztes Jahr gerissen hatte, und manchmal schaffte er es sogar, die schlimmen Schatten zu vertreiben, die seitdem meine Mama quälten. In ihren besonders depressiven Phasen fand er irgendwie immer genau die Worte, die alles wieder besser machten. Wenn es wirklich so etwas wie Schutzengel und Seelenverwandte gab, dann war Danny definitiv ein Seelenheiler. Und das, obwohl sein Dad ein richtiger Tyrann war, weswegen seine Mutter sie beide auch hatte sitzen lassen, als Danny sechs gewesen war. Er ging auf die Hauptschule nebenan und hatte außer mir eigentlich mit keinem Mädchen etwas zu tun. Genau deshalb mochte ich ihn. Wenn ich bei ihm war, fühlte ich mich nicht auf ein Sexobjekt reduziert.

»Ist Lucy mal wieder am Kiosk?«, fragte er mit schiefem Lächeln.

Während ich das Trinkpäckchen in einem endlosen Zug leer trank und dabei wie immer den Strohhalm mit den Zähnen flach drückte, inspizierte ich Daniel von der Seite. Seine dunklen, glatten Haare fielen wie gewöhnlich ungeordnet in seine blauen Augen. Sein Bein wippte schon wieder nervös. Ach ja, und er rauchte. Nein, vermutlich war er nicht mein Seelenpartner.

Jetzt drehte er den Kopf und sah mich an. »Was ist los?«

Ich stierte ihn noch eine Sekunde länger an wie eine Wahnsinnige, dann kicherte ich und gab ihm das leere Trinkpäckchen zurück.

»Ich prüfe, ob meine Seele deine Seele wiedererkennt im Rad des Karmas.«

Er warf einen bedauernden Blick auf den zerkauten Strohhalm und zog dann fragend die Brauen zusammen. »Was für’n Zeug?«

»Samsara«, belehrte Lucy ihn und setzte sich auf meine andere Seite, einen warmen Hotdog in der Hand.

Meine Augen wurden groß. »Boah, darf ich mal beißen?«

Seufzend hielt sie mir den Hotdog hin und ergänzte über mich hinweg: »Hinduismus. Davon verstehst du nix.«

»Ich hab nicht mit dir geredet, Luzifer.«

»Der Witz ist so lahm wie meine Oma, Daniel«, stöhnte Lucy und rächte sich, indem sie seinen Namen deutsch aussprach anstatt, worauf er immer bestand, englisch.

»Seid nett zueinander!«, befahl ich und gab beiden einen Klaps.

Lucy zuckte bloß mit den Schultern und biss von ihrem Hotdog ab. Danny wippte ungeduldig mit dem Fuß, holte seine Zigaretten heraus, steckte sie nach einem Seitenblick auf mich wieder weg.

»Sorry.« Sein Fuß wippte immer noch. »Alter, ich brauch’ Ferien.«

»Wem sagst du das?« Ausnahmsweise war Lucy mal seiner Meinung.

Ich hielt Dannys Fuß an und strahlte die beiden zuversichtlich an. »Kommt schon, nur noch heute, morgen und nächste Woche Montag und Dienstag, dann haben wir es geschafft!«

Er stöhnte. »Jaah. Die hätten sich die zwei Tage nächste Woche auch sparen können.«

»Deine Eltern hätten sich dich auch sparen können«, murmelte Lucy, aber Danny überging ihre Stichelei einfach. Wenn sein Vater ihm über die Jahre eines beigebracht hatte, dann wohl, solche Bemerkungen wegzustecken. Ich war vermutlich die Einzige, die wusste, wie nah ihm das in Wirklichkeit ging. Also knuffte ich Lucy in die Seite:

»Sei nicht immer so gemein!«

Sie wechselte ergeben das Thema: »Hey Mausi, wollen wir heute Nachmittag nicht ins Schwimmbad gehen?«

Ich musste nicht lange überlegen. »Oh, ja! Kommst du auch mit, Danny?«

»Äh …«, machten beide gleichzeitig, während es zur vorletzten Stunde für heute klingelte.

»Ich weiß noch nicht. Ich guck’ mal, ob mein Alter mich lässt.«

Ich seufzte. »Na gut. Schreib’ mir einfach.« Wir standen auf. »Mach’s gut, Danny!«

»Ja, bis später, Nicole. Du auch.«

Wir umarmten uns kurz, dann machten Lucy und ich uns auf den Weg zurück. Aus dem Augenwinkel sah ich noch, wie Daniel seine Zigaretten rausholte.

2 Glück im Spiel

Milias

Sommer, Sonne und jede Menge nackte Haut. Unglaublich, wie voll es heute im Freibad war, obwohl die Ferien noch nicht begonnen hatten.

Ich lag auf dem Bauch, das Kinn in die Handfläche gestützt, und ließ den Blick hinter der Sonnenbrille über Bikinis in sämtlichen Farben und Körper jeglichen Bräunungsgrades wandern, eingehüllt in eine sommerliche Duftmischung aus warmer Wiese, Sonnencreme und Parfüm. Vielleicht lag es daran, dass ich wieder Single war, aber in diesem Sommer wirkten alle Mädchen irgendwie hübscher als sonst.

»Schläft Milias eigentlich oder ist das eher ’ne Art Reptilien-Sonnenstarre?« Diese Worte kamen aus dem Mund meines besten Freundes Raphael, dem Frauenheld schlechthin, der schon den ganzen Nachmittag über extrem grenzwertig mit meiner zwei Jahre jüngeren Schwester Valeria flirtete und dessen Arm gerade nicht nur zufällig auf ihrem Knie lag.

Ich ließ meine Augen zu ihm wandern, was er hinter der Sonnenbrille nicht sehen konnte, aber meine zuckenden Mundwinkel verrieten mich.

»Nein, Milias schläft nicht«, antwortete ich also amüsiert, »er observiert jede deiner Bewegungen. Und wenn ich du wäre, würde ich jetzt folden.«

Raphael und unsere beiden zweitbesten Freunde René und Chris spielten gerade Poker mit Valeria und deren Freundin Julia. Und meine Schwester zog sie alle ab.

Während Raphael seinen Arm wieder auf sein eigenes Knie legte, grinste René: »Wie Milias von sich selbst in der dritten Person spricht! Pluralis Majestix.«

»Majestatis«, korrigierte Chris, »wobei das, wenn überhaupt, ein Singularis Majestatis wäre. Eigentlich ist das eher Erzen.« Typisch Chris, the Brain: die verlässlichste Wissensquelle gleich nach Wikipedia.

»Wie auch immer«, nahm ich den Faden wieder auf. »Milias« – ich legte besondere Betonung auf diesen »erzenden Singularis Majestatis« – »empfiehlt dir, nicht mitzugehen.«

Mit einem Glucksen zog Raphael an seiner Zigarette und schob zehn 1-Cent-Stücke in die Mitte, während er mich herausfordernd fixierte, gerade so als wäre ich derjenige, der den Einsatz erhöht hatte. Valeria ging mit. Chris stieg aus und öffnete sich eine Bierflasche.

Ich ließ den Blick wieder wandern, blieb abermals auf den bekannten Rundungen des Körpers vor dem Kiosk hängen und überlegte gerade, ob ich Vanessa auf ihrem Rückweg hierher das Eis stehlen oder sie lieber weiter ignorieren sollte, als Raphael empört aufschrie.

»Und? Hatte sie zwei Neunen?«, fragte ich halb gelangweilt, halb schadenfroh, und wandte den Blick von meiner Ex-Freundin ab.

»Was, woher …? Ach, ihr seid doch beide Mafiosis!«

»Mafiosi«, verbesserte ich automatisch und zog die Sonnenbrille nach unten, um die Karten zu betrachten. Tatsächlich, Valeria hatte einen Drilling und er bloß zwei Paare. »Das war doch klar, Raph.«

»Ja, sicher! Wenn du so gut pokern könntest wie deine Schwester, würdest du ja mitspielen«, höhnte er.

Ich hob belustigt die Augenbrauen, einen Moment lang schienen wir die Sache mit unseren Blicken allein klären zu wollen.

»Boah, Leute!«, stöhnte Valeria. »Seid ihr fertig?«

Ein Grinsen stahl sich auf Raphaels kantiges Gesicht, ohne dass er den Blick von mir löste. »Ja, sind wir. Milias macht mit.«

Ich verdrehte die Augen, zog meinen Geldbeutel aus der Hosentasche und schob mich näher an die Karten heran. Während René neu austeilte, griff ich nach Raphaels Zigarettenpackung und zündete mir eine an. Kurz warf ich einen Blick auf meine Karten – Karo 8 und Herz Bube – und ging wie die drei vor mir mit.

René deckte Herz König, Pik 7 und Kreuz 9 auf. Chance auf eine Straße. Ich kontrollierte kurz die Reaktionen der anderen und mein Blick blieb auf Valeria hängen, die Raphaels Gesicht eine Spur zu aufmerksam studierte.

»Valeria«, warnte ich bloß.

Ihre schokoladenbraunen Augen wanderten leicht gereizt zu mir, dann zu einem Punkt hinter mir und rollten gen Himmel. Sie widmete sich demonstrativ wieder ihrem Einsatz und erhöhte.

Ich sammelte gerade fünf Cent zusammen, um mitzugehen, als etwas Eiskaltes meinen Rücken hinablief. Unter dem Gelächter der anderen wirbelte ich herum.

»Vany!«

Sie wrang gut gelaunt ihre langen Haare über mir aus, deren helles Blond nass eine Spur dunkler war. Ich sprang auf, um ihre Hände daran zu hindern. »Geht’s noch?«

Wir lachten beide. Hinter uns stöhnte Raphael theatralisch.

»Ja, wir wissen alle, dass du Milias nicht aus dem Kopf kriegst, aber wir sind hier gerade beschäftigt, also kannst du vielleicht Leine ziehen und wen anders ansexen?«

»Oder sterben gehen?«, fügte Valeria hinzu.

»Wer hat dich eigentlich gefragt?«, fauchte Vanessa.

»Vany«, zügelte ich sie und entschied mich kurzerhand für meinen ersten Impuls: Ihr das Eis abzunehmen.

»Hey!«

Ich grinste. Unsere Blicke trafen sich kurz, ihre rehbraunen Augen waren eine Nuance heller als meine, dann überließ sie mir das Eis und forderte im Austausch wortlos meine Zigarette.

Eiskalte Himbeersüße flutete meinen Mund. Für einen Sekundenbruchteil überlegte ich, Vanessa an mich zu ziehen und daran teilhaben zu lassen.

»Milias, gehst du mit oder was?«, unterbrach Raphael mein Kopfkino. »Und hör’ auf, meine Zigaretten zu verticken!«

»Reg’ dich ab.« Ich sah auf die Karten. Pik König. Wenn hier jemand einen der beiden übrigen Könige auf der Hand hatte, war das ein Drilling. Aber wenn sich im River eine der vier Zehnen verbarg, hatte ich eine Straße, das dritthöchste Blatt beim Poker.

»Heute noch?!«, fragte meine kleine Schwester.

»Echt mal, heute noch?«, wiederholte Vany und machte Anstalten, mir ihr Eis wieder zu entreißen. Ich hielt es grinsend von ihr weg, so dass ihre ausgestreckten Arme wirkungslos meine Mitte umfingen. Ihre Haut war warm und duftete nach Kokosöl.

»Weißt du eigentlich, warum das mit euch zwei nicht mehr klappt, Nessie?« Ich spürte förmlich, wie sie beim Klang des verhassten Spitznamens zusammenzuckte. »Weil Männer, und ganz besonders Milias, von Natur aus Jäger sind. Wenn du dich dauernd als leichte Beute präsentierst, verliert er das Interesse an dir.«

Wir sahen Raphael beide verständnislos an. Dann verzog Vany die Lippen zu einem hämischen Lächeln. »Dann bist du ganz offenbar Sammler, Raphael. Du nimmst alles, was zu dumm ist, den Schuss zu hören.«

Ich gluckste. Selbst Valeria musste sich ein Grinsen verkneifen.

Raphaels blaue Augen lagen belustigt auf Vanessa, während er einen tiefen Zug aus seiner Zigarette nahm. »Das war ein Eigentor, meine Liebe.«

Mein Grinsen erstarb. Okay. Das war einer der Augenblicke, in denen ich auf Rewind und Overwrite drücken wollte. Aber solche Knöpfe gab es im wirklichen Leben nicht, also erstickte ich alle aufkommenden Bilder und Erinnerungen im Keim und gab Vanessa ihr tropfendes Eis zurück.

Sie schüttelte schnaubend den Kopf und setzte ihren Weg zu ihrem Handtuch neben ihrer besten Freundin Annika fort.

Ich warf meinen Stapel Kupfergeld in die Mitte. All-in.

»Was soll’s. No risk, no fun.«

Ich setzte mich wieder und fing Raphaels dümmliches Grinsen auf. Schüttelte den Kopf. Schnaubte belustigt. Egal wie sehr ich mich bemühte, ich konnte ihm einfach nichts übelnehmen. Immer noch kopfschüttelnd lehnte ich mich vor und griff nach seiner Schachtel Zigaretten. Sie war leer.

»Ich wusste ja nicht, dass ich mit dir und Vanessa teilen muss«, kommentierte er nicht ohne vorwurfsvollen Unterton. »Rauch’ halt deine eigenen.«

Mit der Zunge schnalzend tastete ich hinter mir nach meinem Rucksack, während René seine Karten abwarf und passte.

Raphael studierte sorgfältig die Karten in der Mitte und dann mein Gesicht. »Als ob du ’ne Straße hättest!«

Ich setzte ein Pokerface auf. »Als ob du ’nen König hättest.«

Valeria grinste kurz. Also hatte sie den König. Sie gingen beide mit mir All-in.

Ich entfernte gerade die Folie von meiner Packung Zigaretten, als Raphaels Augen wie paralysiert auf einem Gesicht in der Menge hängen blieben. Ich folgte seinem Blick, erhaschte zwei Mädchen, wurde wie von selbst von hellblonden, offenen Haaren angezogen. Das dazugehörige Mädchen war ziemlich klein, trug einen gerüschten Rock und ein pinkes Top über dem Bikini, so dass ich bloß ihre schlanken Beine unverhüllt betrachten konnte.

»Alter, hast du die gesehen?«

»Wen?«, fragte ich abwesend und lehnte mich zur Seite, um zu sehen, wo die beiden ihre Wolldecke ausbreiteten.

»Die kleine Blonde da! Die definitiv zu viel anhat.«

Valeria rollte mit den Augen. »So’n bisschen hat Nessie ja schon Recht.« Trotzdem warf sie selbst einen unmerklichen Blick über die Schulter.

Glucksend löste ich meine Augen von den blonden Haaren der Kleinen und zündete mir eine Zigarette an.

»Die wär’ doch was für dich!«, fuhr Raphael nach einem tadelnden Seitenblick auf Valeria fort. Als ich fragend die Augenbrauen hob, erläuterte er: »Blond, schlank, süß.«

Ich runzelte die Stirn noch mehr. Als ob das eine allgemeingültige Beschreibung der perfekten Frau für mich wäre. »Kennst du die? Nein, warte«, verbesserte ich nach kurzer Überlegung, »Eigentlich hab’ ich im Moment keine Lust auf Beziehungen.«

Raphael grinste. »Nö, noch nicht. Aber das kann man ja ändern.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nee, lass mal. Ich hab’ mich gerade erst wieder an die Vorzüge des Single-Lebens gewöhnt.«

»Gerade erst«, wiederholte Chris ironisch und stellte die leere Bierflasche ins Gras. »Wie lange seid ihr auseinander, ein halbes Jahr?«

»Nein«, sagte ich im Affekt. Rechnete nach. Februar …

»Fünf Monate, fast«, sagte Raphael.

Ich sah ihn an und zog an meiner Zigarette. Er musste es ja wissen. War es wirklich schon fast ein halbes Jahr?

Chris nickte bestätigt. »Sag’ ich doch. Was hast du denn dann die letzten Monate gemacht?«

»Das willst du nicht wissen«, gluckste Raphael, während ich grinsend schwieg und auf Chris’ nachhakenden Blick hin vielsagend die Arme ausbreitete.

»Mehr Rechte, weniger Pflichten!«

René lehnte sich lachend vor, um mit mir einzuschlagen.

»Deckst du jetzt vielleicht mal die letzte Karte auf oder müssen wir das selber machen?«, fuhr Valeria ihn an.

Raphael tätschelte ihr das Knie. »Ruhig, Brauner! Die letzte Karte heißt übrigens River.«

Valeria machte ein abschätziges Geräusch. Meine Augen fixierten seine Hand auf ihrem Bein, bis Valeria vor Freude im Sitzen hüpfte und ihre Karten dazu warf. Natürlich hatte sie einen König, mit den beiden offen Liegenden drei.

»Ey, wie sie immer ’nen Drilling hat«, schnaubte Raphael, was sie zum Anlass nahm, siegessicher die Cent-Stücke einzusammeln. Er hielt sie auf, indem er seine Hand von ihrem Bein auf ihren Arm legte.

»Immer schön langsam, Schätzchen.« Damit präsentierte er eine Herz 6 und eine Pik 8. »Das ist eine Straße und die verspeist deine königlichen Drillinge königlich zum Frühstück.«

Valeria starrte ihn entgeistert an, er grinste breit und drehte ihre Hand so, dass die Cent-Stücke in seine Handfläche fielen.

»Das heißt wohl, ich hab’ gewonnen!«

»Vielleicht gegen Valeria«, mischte ich mich ein und zeigte meine Karo 8 und den Herz Buben.

René high-fivte mich erneut, Raphael starrte verständnislos auf die Karten. Bis ihm auffiel, dass meine Straße höher war als seine.

»Tja, sorry«, meinte ich bedeutungsschwer, »meine ist einfach länger als deine!«

Während die Runde in Gelächter ausbrach, wechselte Raphaels Gesichtsausdruck von perplex über verstört zu resigniert.

»Ey … Spiel’ niemals mit Mafiosis.«

»Mafiosi«, korrigierte ich erneut, »Kein ›s‹ im italienischen Plural.«

»Alter, was interessiert mich der italienische Plural?«, fuhr er auf.

Ich lachte und zählte die Cent-Stücke. »Dann benutz’ ihn halt nicht!« 1,43 Euro. Ich stand auf. »Ich geh mir’n Eis kaufen.«

»Du kannst mir gleich Zigaretten mitbringen, du schuldest mir eine!«, rief Raphael mir nach. »Soll ich die Kleine klarmachen?«

Ich zeigte ihm halbherzig den Mittelfinger und schüttelte entschieden den Kopf, während ich unwillkürlich nach blonden Haaren und Rüschenrock Ausschau hielt. Ich fand sie nicht, die Wolldecke war leer. Schulterzuckend ging ich weiter in Richtung Kiosk.

»Oh, was ist das hier?«, hörte ich erneut Raphaels Stimme hinter mir, »Milias’ Zigaretten!«

Augenblicklich fuhr ich herum. »Junge!«

Grinsend stand er da mit meiner Schachtel in der Hand, steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und suchte mein Feuerzeug, das sich allerdings in der Jeans befand, die ich noch trug.

Schon nahm er die Zigarette wieder aus dem Mund und sah die Jungs an. »Hat einer von euch Feuer?«

René bot ihm sein Feuerzeug an. »Dafür krieg’ ich auch eine!«

»Hallo?!« Ich verschob mein Eis auf später und lief zurück. »Raph, bei drei liegen die Zigaretten wieder da oder du gehst baden!«

Er stieß einen belustigten Laut aus. Als er mich allerdings näherkommen sah, warf er das Feuerzeug unverrichteter Dinge wieder René zu und sprintete davon.

»Alter …«, stöhnte ich. Echt jetzt?

René sah erwartungsvoll zu mir hoch, Chris trank aus seiner zweiten Bierflasche. Ich schüttelte den Kopf, dann rannte ich Raphael hinterher.

3 Anziehungskraft

Nicole

Gedankenverloren sah ich Lucy dabei zu, wie sie gefühlte zweihundert Bahnen schwamm. Ich selbst lehnte am Beckenrand und ließ mich in der nassklaren Schwerelosigkeit treiben. Meine ausgestreckten Zehen streiften gerade so die Bodenfliesen.

»Mach mit, Nicole! Das hält den Geist wach.«

»Das macht aber meinen Körper müde«, seufzte ich und schwamm zwei Meter zur Seite, weil sich in der Nähe einige Kinder um einen Schwimmreifen balgten.

Entschlossen schwamm Lucy zu mir – ich hielt mich vorsorglich am Beckenrand fest – und zog mich übermütig am Arm. Vergnügt quietschend hielt ich mich auch mit der anderen Hand fest, bis sie Anstalten machte, sich auf meine Schultern zu stemmen, um mich unterzutauchen. Ich quiekte wieder und schwamm von ihr weg.

»Nein, meine Haare!«, rettete ich mich lachend und tastete nach dem aufgetürmten Dutt auf meinem Kopf. Wenn sie einmal nass waren, dauerte es ewig, bis sie wieder trockneten, außerdem bekam ich dann diese Wirbel im Ansatz und Frizz in den Längen, was ich wie die Pest hasste.

»Ja, tatsächlich! Sind alle noch da«, grinste Lucy. Ich patschte Wasser in ihre Richtung. Sie stemmte sich lachend aus dem Becken und setzte sich auf den Rand. »Ich hab’ Hunger, du auch?«

Ich sah zu ihr hoch und tänzelte weiter mit den Zehen gerade so über den Beckenboden. »Nee, nicht so richtig. Aber ich hab meine Speckröllchen ja auch besser behütet als du«, gab ich zurück und zwickte in die Haut neben meinem Bauchnabel.

Lucy wrang lachend ihre Haare aus. »Du spinnst. Das Einzige, wo du entfernt sowas wie Speckröllchen hast … Nein, das sag’ ich jetzt nicht.« Sie warf einen eindeutigen Blick auf meine Brüste unter der Wasseroberfläche. Ich verschränkte rasch die Arme vor der Brust, verlor dadurch die Balance und paddelte hektisch, um das Kinn über Wasser halten zu können. Lucy kicherte.

»Quatsch, Lucy! Du hast genauso viel wie ich und …«

»Ich bin auch zehn Zentimeter größer als du«, fiel sie mir ins Wort.

»… und außerdem«, fuhr ich unbeirrt fort – wir führten diese Diskussion ungefähr jedes Mal, wenn wir uns gegenseitig Oberteile ausliehen –, »hast du in dem Bikini voll die Monstermöpsis!«

Ihre Miene hellte sich auf. Sie hob fragend die Augenbrauen, und ich nickte eifrig, stolz darauf, dass meine beste Freundin so hübsch aussah in dem dunkelrot Bohème-gemusterten Häkel-Bikini.

Grinsend stand Lucy auf – und wurde fast von einem Typen wieder ins Wasser geworfen, der sich gerade nach seinem Verfolger umgedreht hatte und die letzten Schritte rückwärts ging.

»Hallo?!« Lucy stemmte sich gegen ihn.

Überrascht fuhr er herum. »Sorry!« Er warf ihr einen kurzen Blick zu, wandte sich wieder ab. Hielt inne. Drehte sich wieder um, musterte sie von oben bis unten. »Hallo-o-oh!«, fügte er dann übertrieben beeindruckt hinzu.

Lucy hob eine Augenbraue und bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht, aber seine Reaktion rang ihr doch ein Lächeln ab. Wer konnte es ihr verdenken? Der Kerl sah echt heiß aus! Nicht ganz mein Typ, dieser blonde Beach-Boy Look, aber ich ertappte mich dabei, wie ich seinen durchtrainierten Oberkörper verstohlen inspizierte.

»Hi!«, sagte Lucy cool.

Ich war verwirrt. »Kennt ihr euch?«

Sein Blick wanderte zu mir. Wie krass blau waren denn bitte seine Augen? Er grinste gewinnend und offenbarte Grübchen in seinem kantigen Gesicht. Ich lächelte vorsichtig zurück.

»Noch nicht, aber das lässt sich nachholen! Ich bin Raphael.« Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. »Und, äh, ich muss weg. Hast du Feuer?«, fragte er Lucy noch.

Die breitete verständnislos die Arme aus, triefend nass nur im Bikini am Beckenrand stehend. »Seh’ ich so aus?!«

Sein Blick glitt noch einmal über ihren Körper, dann schien sein Hirn wieder die Kontrolle zu übernehmen und er sah ein, dass sie Recht hatte.

In diesem Augenblick kam ein zweiter Typ dazu. Ich blinzelte unwillkürlich. Er war noch braungebrannter als der Blonde, fast schon südländisch, hatte dunkles, ein bisschen zerzaustes Haar und tiefbraune Augen, die vor Frohsinn fast sprühten, als er seinen Freund jetzt fixierte.

»Raphael«, sagte er bloß. Ruhig, beinahe belustigt. Seine Mundwinkel hoben sich leicht und jagten ein heißes Kribbeln durch meinen Körper. Er blickte demonstrativ an seinem Freund vorbei auf das Schwimmbecken, ohne mich wahrzunehmen, und grinste. »Na, merkst du was?«

Ich merkte jedenfalls, wie dämlich ich ihn anstarrte und blinzelte ein paar Mal, ruderte leicht mit den Armen. Er war einen halben Kopf kleiner als sein Freund und nicht ganz so krass durchtrainiert, aber die Definition seiner Bauchmuskeln und Arme gefiel mir viel besser. Warum um alles in der Welt trug er eine Jeans?

Der Beach Boy, Raphael, warf einen kurzen Blick auf das Becken hinter sich und grinste dann. »Ja, was willst du machen? Mich ins Wasser werfen?«

Der andere schüttelte belustigt den Kopf. »Gib sie einfach her.«

»Ja, warte. Hast du Feuer?«

Jetzt brach der andere in Lachen aus. »Hast du sie noch alle?« Er hatte ein schönes Lachen.

»Wie war das jetzt mit Hotdogs?«, buhlte Lucy wieder um meine Aufmerksamkeit. Ich drehte das Gesicht leicht in ihre Richtung, ohne die Augen von dem anderen Jungen zu nehmen, der jetzt in die Tasche des Beach Boys griff, woraufhin ein kleines Handgemenge entstand.

»Okay …«, beschloss Lucy, »ich muss hier weg.«

»Warte!«, rief ich schnell, löste endlich meinen Blick von seiner braungebrannten Haut und versuchte verzweifelt, mich am Beckenrand hochzuziehen. Was bei Lucy so einfach ausgesehen hatte, stellte sich bei mir als Ding der Unmöglichkeit heraus.

Lucy kicherte liebevoll über meinen gescheiterten Versuch. »Bleib einfach da, ich komm schon klar. Wer weiß, vielleicht triffst du ja deinen Traummann, während ich weg bin!«

Ich sah ihr schockiert zu, wie sie sich tatsächlich umdrehte und in Richtung Kiosk davon lief. Die konnte mich doch nicht einfach hier lassen! Beleidigt schwamm ich in einem Bogen um die zwei rangelnden Jungs herum zur nächsten Leiter.

Klar, dachte ich. Weil Traummänner auch einfach so vom Himmel fallen.

In diesem Augenblick wurde ich von einer Riesenwelle überschwemmt, als etwas Großes und Schweres neben mir ins Becken klatschte. Ich schrie vor Schreck auf und schluckte einen Schwall Wasser, während mich der Sog nach unten zog. Verzweifelt kämpfte ich mich wieder an die Oberfläche und brach in Husten aus. Schnappte nach Luft, musste wieder husten. Tränen traten mir in die Augen.

»Oh nein«, hörte ich eine Stimme neben mir, warme Hände hielten mich an den Schultern fest. »Alles okay?«

Ich japste atemlos. »Sag’ mal, hast du sie noch alle?« Wütend wischte ich mir das Wasser aus dem Gesicht – und erstarrte. Das war der zweite Junge. Und seine Augen waren aus der Nähe noch dunkler, fast schokoladenbraun, sein Blick noch wärmer, obwohl er die dunklen Brauen besorgt gehoben hatte.

Ich konnte nicht atmen. Erneutes Husten schüttelte mich und ließ ihn seine Hände von meinen Schultern nehmen. Das warme Kribbeln blieb noch einen Moment länger.

»Entschuldigung«, bat er. »Das war keine Absicht.«

Ich räusperte mich, um meinen Hals freizukriegen, und wich seinem Blick aus. »Schon okay.«

Sein erleichtertes Lächeln ließ meinen Bauch Purzelbäume schlagen. Nicole, reiß dich doch mal zusammen!

Als er sich abwandte, um zum Beckenrand zurück zu schwimmen, atmete ich beinahe erleichtert auf. Trotzdem konnte ich nicht anders, als ihm dabei zuzusehen, wie er sich – trotz vollgesogener Jeans – mit einem einzigen Satz aus dem Wasser stemmte und auf die Füße kam. Die Jeans klebte nass und schwer an ihm.

»Komm, ich helf’ dir raus«, bot er an, ging wieder in die Hocke und streckte mir die Hand hin.

Ich war kurz versucht, sie zu ergreifen, besann mich dann jedoch eines Besseren. Der sollte ja nicht denken, dass ich zu blöd war, mich selbst aus dem Wasser zu ziehen.

***

Milias

Sie schwamm an meiner ausgestreckten Hand vorbei auf den Beckenrand zu. Dort reichte ihr das Wasser ganz knapp bis unters Kinn, also war sie wohl gerade so 1,60 Meter groß. Entschlossen legte sie beide Hände flach auf die Randfliesen, drückte sich ab und stemmte sich hoch. Beeindruckende Oberweite. Aber zu wenig Schwung für ihr Vorhaben.

Das merkte sie gerade auch, schüttelte den Kopf, nahm noch einmal den Auftrieb aus dem Wasser mit. Strampelte energisch mit den Beinen. Und scheiterte erneut kläglich. Wie ein gestrandeter Delphin lag sie halb auf dem Beckenrand.

Ich musste unwillkürlich lächeln. Wie süß war das denn?

»Lach nicht!«, befahl sie mit spielerisch zusammengekniffenen Augen. Ich hatte selten so ein klares Grün gesehen.

Mein Lächeln wurde nur noch breiter, ich schüttelte entschuldigend den Kopf. »Tut mir leid, du bist einfach so …« Ich verkniff mir gerade noch, »niedlich« zu sagen. Stattdessen hielt ich ihr erneut die Hand hin. »Das Angebot steht noch.« Sie blickte wie ein schmollendes Kind auf meine Hand.

Alles an ihr war niedlich. Wie sie die Stupsnase kräuselte, wie sie skeptisch die gerundeten Brauen zusammenzog, wie ihr Gesicht zu leuchten schien, wenn sie lächelte. Und ihre Augen waren der Wahnsinn.

Ich blinzelte, als sie meine Hand ergriff, schloss meine Finger um ihre und zog sie aus dem Wasser. Sie war ziemlich leicht. Klar, mit 1,60 Metern Körpergröße. Trotz Körbchengröße C.

»Badehosen sind total out, was?«

Ich lachte. »War kein beabsichtigtes Bad.« Da fiel mir etwas ein. Alarmiert zog ich mein Feuerzeug aus der Hosentasche und löste den Zündmechanismus aus. Nichts tat sich. Na toll.

»Wieso trägst du denn ein Feuerzeug mit dir rum?«, kicherte sie.

Ich hielt inne, konnte beim Anblick ihrer lachenden grünen Augen einen Moment lang keinen klaren Gedanken fassen.

»Äh … Warum nicht?«, war das Erste, was mir einfiel. Ich lächelte entschuldigend, und auf ihrem herzförmigen Gesicht erschien ebenfalls ein Lächeln. Sie war unglaublich hübsch. »Wie heißt du?«, fragte ich.

Sie sah mich aus großen Augen an, blinzelte dann einmal und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als: »Kommst du, Mausi?«

Unser beider Augen wanderten zu dem rotblonden Mädchen im Häkelbikini, das plötzlich neben uns stand. Als die Kleine nicht gleich reagierte, wedelte ihre Freundin mit dem Hotdog in ihrer Hand wie mit einem Hunde-Leckerli.

»Na los! Du darfst auch mal beißen.«

Ein verstohlenes Grinsen huschte über das Gesicht der Kleinen, dann glitt ihr Blick wieder zu mir. Sie sah mich unentschlossen an.

»Äh … wollen wir …?«

»Moment mal, ich dachte, du wolltest nicht, dass deine Haare nass werden?«, unterbrach uns die Rotblonde schon wieder. Ganz schön aufdringlich.

»Ja …«, machte die Kleine jetzt und wich meinem Blick aus, während sie nach ihrer zerstörten Frisur tastete. »Das war sowas wie ein Unfall.«

Die Rotblonde kicherte. »Ah ja. Kommst du jetzt?«

»Ja!« Die Kleine ergriff die ausgestreckte Hand ihrer Freundin und ließ sich mitziehen. Dann drehte sich noch einmal zu mir um und rief: »Sorry! Mach’s gut!«

Mach’s gut?!

Ich starrte ihr entgeistert nach, wie sie mich einfach stehen ließ.

»Wollen wir?«, hatte sie gesagt. Wollen wir was? Uns später nochmal treffen, unsere Handynummern austauschen, heute Nacht Sex haben?

Im Laufen zog sie das Haargummi aus ihren Haaren, die ihr daraufhin in nassen Wellen bis zur Taille hinabfielen. Meine Augen blieben kurz auf ihrem Po in dem pinken Bikinihöschen hängen, dann machte ich mich frustriert auf den Weg zurück zu den Jungs.

***

Nicole

»Ich hasse dich«, quengelte ich, als wir wieder auf unserer Decke lagen. Lucy sah mich verständnislos an, während sie versuchte, die Röstzwiebeln auf ihrem Hotdog zu domptieren. »Der war voll süß und jetzt werd’ ich ihn nie wieder sehen!«

Lucy blieb unbeeindruckt. »Gutaussehender Latino mit nasser Jeans. Wird hier wohl nicht so schwer zu finden sein.«

Ich wurde rot bei dem Gedanken daran, dass er wirklich ziemlich gut aussah, hob aber gleich darauf verwirrt die Augenbrauen. »Er ist Latino?«

Lucy zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, schätze ich einfach mal. Wie heißt er denn?«

»Das weiß ich ja nicht!«, fuhr ich sie mit einem Blick an, der ihr hoffentlich ein schlechtes Gewissen machte. »Du hast uns ja so charmant unterbrochen! Wieso hast du das gemacht?« Ich begann, mich reinzusteigern. »Da treffe ich einmal einen richtig süßen Typen und er ist auch noch echt nett und …«

»Erstens«, unterbrach mich Lucy, »ist nicht jeder gutaussehende Typ automatisch nett.« Ich setzte zum Protest an, aber sie sprach einfach weiter: »Und zweitens: Wenn du willst, dass dich ein Typ interessant findet, musst du geheimnisvoll sein. Je schwerer du es ihm machst, desto mehr wird er dir nachlaufen.«

Ich zog widerwillig die Brauen zusammen, während sie sich die Hände an der Serviette abwischte und mich gewichtig ansah.

»Das macht doch überhaupt keinen Sinn! Woher weiß er denn dann, dass ich ihn süß finde?«

Lucy rollte mit den Augen. »Das sind Typen, Nicole. Die glauben automatisch, dass du auf sie stehst.« Sie gab mir einen zuversichtlichen Klaps auf den Oberschenkel, der mich zusammen zucken ließ. »Vertrau mir, Mausi!«

Ich seufzte tief. Da wanderte Lucys Blick zur Seite.

»Da ist er übrigens.« Sie grinste.

***

Milias

Raphael und die Jungs brachen in Lachen aus, als sie mich sahen.

»Hast du den Beckenrand nicht mehr gefunden oder was war los?«

»Ja«, ergänzte Chris in seinem trockenen Klugscheißerhumor, »oder hast du Newtons Gravitationsgesetz live und in Aktion mit vollgesogener Baumwolle erlebt?«

Ich warf beiden einen vernichtenden Blick zu und schälte mich aus der triefend nassen Jeans. »Nein«, antwortete ich dann selbstgefällig, »ich hab’ die kleine Blonde getroffen. Die, die zu viel anhat«, ergänzte ich, als Raphael nicht gleich schaltete. Obwohl sie diesmal sehr viel weniger angehabt hatte.

Sein Gesicht hellte sich auf. »Und? Wie heißt sie? Hat sie’n Freund? Ist sie noch Jungfrau?«

»Boah, Raphael!«, stieß Valeria aus.

»Ja, sorry!«, rechtfertigte er sich. »Und?«

Ich schüttelte achselzuckend den Kopf. »Keine Ahnung.«

»Wie keine Ahnung? Du hattest«, er blickte auf seine Armbanduhr, »zehn Minuten mit ihr allein und weißt nicht mal, wie sie heißt? Ich bin enttäuscht.«

Ich zog eine Grimasse und breitete meine Jeans auf dem Rasen aus, fuhr mit der Hand in die Hosentaschen. »Du schuldest mir übrigens ein Feuerzeug«, teilte ich ihm mit, bevor ich das Kleingeld vom Pokerspiel wiederfand und mich daran erinnerte, dass ich ein Eis hatte kaufen wollen.

»Ich hol mir’n Eis. Noch wer was?«

Raphael drückte seine Zigarette aus und stand auf. »Ich komm’ mit. Ey, ich wette, ich hätte längst ihre Nummer!«

Ich schnaubte. Er sah mich herausfordernd an, während wir uns in die Schlange einreihten.

»Hi Raphael!«, sagte da eine weibliche Stimme hinter uns.

Wir drehten uns um. Da stand die lästige Freundin im Häkelbikini. Ich hielt unwillkürlich Ausschau nach der kleinen Blonden in Pink, aber sie war nicht dabei. Klar.

Raphael musterte sie kurz, schien sie einordnen zu müssen und grinste dann. »Hi namenloses Mädchen!«

»Ihr zwei kennt euch?«, fragte ich.

Raphael warf mir einen Blick zu, der so viel sagen wollte wie »Sieh zu und lerne«. Dann wandte er sich mit einem unwiderstehlichen Grinsen wieder an das Mädchen: »Wie sieht’s aus, gibt’s auch ’nen Namen zu diesem Körper?«

Sie stieß einen belustigten Laut aus. »Geben tut’s den schon, aber nicht für jeden.«

Ich sah triumphierend zu Raphael, der sich von dieser ersten Pleite allerdings nicht im Geringsten einschüchtern ließ. »Wie stehen denn die Chancen, ihn für ein Eis zu erfahren?«

Sie schien das witzig zu finden und ließ sich darauf ein.

»Klar! Ich nehm’ ein Kiwi-Eis am Stiel.«

»Kiwi?!«, echote er, zuckte aber mit den Schultern und bestellte ihr eins, als wir dran waren. Ich packte gerade mein Kirsch-Eis aus.

»Lucy«, bekannte sie, während die Verkäuferin das Wechselgeld abzählte.

Raphael grinste und nahm das Eis von der Theke. »Lucy! Schön, dich kennenzulernen. Ich nehme an, das Eis brauchst du dann ja nicht mehr.«

Noch während sie ihn entgeistert anstarrte, warf er mir die grüne Packung zu. Ich fing das Eis verwirrt auf, begriff dann und wich Lucys Hand gerade noch aus, um wegzulaufen.

»Krass, bist du ein Arsch!«, rief Lucy Raphael fassungslos lachend zu, während sie mir nachlief. Sie war ganz schön schnell. Eilig schlug ich einen Pfad durch die verschiedenen Grüppchen ausgebreiteter Handtücher und Decken ein, zwischen den verstreuten Rucksäcken, Taschen und Körpern hindurch, in der Hoffnung sie abzuhängen. Fehlanzeige.

»Milias!«, rief Raphael, um mir zu zeigen, dass er frei stand.

Kurz bevor Lucy mich erreichte, warf ich ihm das Eis zu. Augenblicklich schlug sie einen Haken, um sich statt meiner auf ihn zu stürzen. Er stieß einen überraschten Laut aus, als sie ihn erreichte und mit ihm um das Eis kämpfte.

Ich ging rückwärts weiter, um die zwei zu beobachten, während ich mich beeilen musste, mein eigenes Eis vor dem Schmelzen zu bewahren.

»Yo, Raph, vielleicht solltest du …« Weiter kam ich nicht, denn in dem Augenblick stolperte ich über eine Tasche, verlor das Gleichgewicht und konnte mich gerade noch umdrehen, um den Sturz wenigstens frontal mit den Armen abzufangen.

Ein heller Schrei an meinem Ohr, ein warmer Körper unter mir. Und ein pinkes Bikini-Oberteil mit Schleife im Ausschnitt direkt vor meinen Augen. Ich hob den Blick und erkannte sie im selben Moment wie sie mich.

»Wie oft willst du eigentlich noch auf mich drauffallen?«, jammerte sie hilflos, aber lachend.

Ich starrte in ihre grünen Augen. »Keine Ahnung«, gestand ich. »Muss wohl die Anziehungskraft sein.«

4 Spieltrieb

Nicole

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Das war er! Und er lag auf mir.

Na ja, nicht ganz, um ehrlich zu sein. Unsere Körper berührten sich nicht, denn er hatte den Sturz mit den Armen abgefangen. Aber er war mir trotzdem so nah … wie noch kein Junge zuvor.

Zumindest, bis er sich jetzt wieder aufrichtete. Ich wollte gerade dasselbe tun, als ich etwas ekelhaft Glitschiges auf meinem Bauch spürte.

»Nein!«, entfuhr es ihm im selben Augenblick. »Mein Eis!«

Wir starrten beide fassungslos auf die kirschrote Masse, die sich zusehends verflüssigte und in meinen Bauchnabel lief.

»Iiiih«, winselte ich, »mach’ es weg!«

Er setzte sich gerade anders hin – er trug jetzt eine gelb gemusterte Badehose – , als sich jemand neben uns fallen ließ. Es war Lucy, die mit angewidertem Gesichtsausdruck und äußerster Vorsicht die Verpackung von ihrem breiigen Eis aufzog.

»Das. Ist. Ekelhaft«, kommentierte sie.

»Hallo?«, fragte ich verstört, »Was soll ich denn sagen?« Ich zeigte auf die rote Suppe, die mittlerweile auf mein Handtuch tropfte. »Gib mir mal bitte die Taschentücher aus meiner Tasche.«

Lucy warf einen Blick auf meinen Bauch, dann auf den Jungen und zuckte bloß mit den Schultern, während sie ihr eigenes grünes Matsch-Eis aus der Verpackung schlürfte.

»Ablecken«, meinte sie bloß.

Ich starrte sie entsetzt an, tausend Bilder schossen mir durch den Kopf, während ich hoffentlich nicht so rot wurde, wie sich mein Kopf gerade anfühlte.

In diesem Augenblick spürte ich seine Lippen auf meinem Bauch. Mir fielen schier die Augen aus dem Kopf, als er Lucys Vorschlag in die Tat umsetzte. Mein Herz schlug Purzelbäume.

»Äh …«, begann ich, brachte aber außer Gestammel nichts heraus.

Reiß dich doch mal zusammen, Nicole!, zischte eine Stimme in meinem Kopf.

Aber er leckt meinen Bauch ab, rechtfertigte sich eine andere schockiert.

Und seine Zunge erreichte gerade meinen Bauchnabel. Okay, weiter atmen. Kein Grund, den Verstand zu verlieren. Das Kribbeln in meinem Bauch machte mich fast wahnsinnig.

An einem würgenden Geräusch erkannte ich, dass Lucy sich an ihrem Eis verschluckt hatte. »Okay …«, meinte sie ebenso perplex wie ich, »hätte nicht gedacht, dass du das wirklich machst.«

Endlich hob er den Kopf und verzog das Gesicht. »Sorry, aber Eis mit Sonnencreme schmeckt echt abartig.«

Ich war so durch den Wind, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Das Ergebnis klang wie ein Schluckauf. Klar, ich hatte mich ja eingecremt.

»Wo sind die Taschentücher?«, fragte er jetzt und sah sich nach meiner Tasche um. »Die hier?« Ich nickte, er reichte sie mir und ich suchte mit fahrigen Bewegungen in ihren Tiefen nach dem Päckchen. Als ich es gefunden hatte, griff er nach meiner Wasserflasche – »Darf ich?« – und schüttete etwas Wasser auf ein Taschentuch, drückte es aus und wischte dann zuerst seine Finger und dann die klebrigen Reste von meinem Bauch ab. Ich blinzelte noch einmal, bevor ich ein zweites Taschentuch herauszog und es ihm gleichtat.

»Alter!«, schallte es jetzt zu uns herüber. »Das nennst du Beistand leisten im Kampf um das Eis?« Sein blonder Freund kam dazu. Er wirkte seltsam amüsiert. Lucy warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Ey, ich musste hier meinen ganz eigenen Eis-Kampf bestreiten«, antwortete der süße Typ und legte das feuchte Taschentuch weg. »Falls du es wissen willst: Kirscheis und Sonnencreme schmecken nicht zusammen.«

Der Blonde verzog das Gesicht. »Manchmal bist du echt ekelhaft, Milias.«

Ich hörte auf meinen Bauch zu bearbeiten und hob den Kopf. »Milias heißt du?« So einen Namen hatte ich noch nie gehört. Aber ich fand ihn toll, er klang stark und erhaben, aber trotzdem irgendwie weich. Er drehte mir den Kopf wieder zu und lächelte.

»Ich hab doch gesagt, Latino«, meinte Lucy.

Jetzt lachte er. »Fast.«

»Türke?«, fragte sie dann.

»Lucy!«, fuhr ich sie an, während sein Freund sich lachend zu uns setzte und ihr ein frisch verpacktes Kiwi-Eis hinhielt.

»Als Entschädigung«, meinte er augenzwinkernd. Ihr Gesicht hellte sich auf.

»Nein«, lachte Milias jetzt, »meine Mutter ist Italienerin.«

Meine Augen wurden groß. Er war Italiener!

»Milias klingt aber nicht sehr italienisch«, bemerkte Lucy, während sie das neue, intakte Eis in ihrer Hand bewunderte. »Kommt das von Emil oder von Milo?«

Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, macht das einen Unterschied?«

»Na ja«, antwortete sie, »Im einen Fall heißt es ›der Ehrgeizige‹ und im anderen Fall ›der Liebenswürdige‹, von daher …«

Milias grinste. »Dann wohl beides.«

Wir mussten lachen. Sein Freund sah Lucy interessiert an. »Stehst du auf so Namensdeutung?«

Lucys Augen weiteten sich leidenschaftlich. »Total! Es hat immer einen Grund, dass wir so heißen, wie wir heißen.«

Milias nickte gewichtig. »Ja! Ehrgeizig und liebenswürdig. Da hat sie total Recht. Was heißt Raphael? ›Der Selbstverliebte?‹« Er lachte. Ich mochte sein Lachen.

Lucy grinste kurz, aber als sie den Mund öffnen wollte, war Raphael schneller: »Raphael heißt ›der Helfende‹.«

Milias zog ungläubig die Brauen hoch, aber Lucy nickte.

»Ja, guck doch mal!«, rief Raphael eifrig, »ich hab dir heute zum Beispiel geholfen, diese zwei hübschen Damen hier kennenzulernen.«

Ich strich mir die Haare hinters Ohr, während Lucy kicherte: »Schleimer.«

»Okay, und wie heißt du?«, fragte Milias mich erneut.