JAMES
ELLROY
PERFIDIA
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Stephen Tree
Ullstein
Das Buch
»Besessenheit steht mir gut. Die Liebe zur Sprache definiert mich. Ich bin ein in Los Angeles geborener Amerikaner. Die Geschichte hat mich einmal mehr an meinen Schreibtisch gerufen. Mein Roman heißt Perfidia. Der Titel bedeutet auf Spanisch »Verrat« und verweist auf ein klagendes Lied der späten Dreißigerjahre. Der Roman ist in jeder Hinsicht groß angelegt. Männer und Frauen mit großen Seelen geraten in Los Angeles im Monat von Pearl Harbor aneinander. Sie haben große Überzeugungen, große Träume und ein tief gestörtes Pflichtbewusstsein.
Sie arbeiten mit- und gegeneinander, um ein großes Verbrechen aufzuklären, und streben groß und ruchlos nach Liebe. Perfidia ist die Quintessenz dessen, was ich über die Kunst und das Handwerk des Erzählens, was ich über Geschichte, über Männer und Frauen weiß, und über die immer wieder drängende Frage, warum Menschen tun, was sie tun. Ich bin in die Vergangenheit hinabgestiegen und mit einem Geschenk für Sie zurückgekehrt. Das ich mit meinen allerbesten Wünschen anzunehmen bitte.«
James Ellroy
Der Autor
James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit zehn Jahren, als seine Mutter Opfer eines Sexualverbrechens wurde, lernte Ellroy bereits die dunklen Seiten seiner Heimatstadt Los Angeles kennen. Er geriet nach dem Tod seines Vaters als junger Mann aus der Bahn und fing sich erst durch das Schreiben wieder. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch, für Aufsehen sorgten auch seine Recherchen im Mordfall seiner Mutter und das Buch, das er darüber schrieb: Die Rothaarige. Etliche von Ellroys Büchern wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.
Perfidia ist der erste Roman des zweiten L.A.-Quartetts, Ellroys fiktiver Geschichte der Stadt Los Angeles während des Zweiten Weltkriegs.
JAMES
ELLROY
PERFIDIA
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Stephen Tree
Ullstein
Die Originalausgabe erschien 2014
unter dem Titel PERFIDIA
bei Alfred A. Knopf, New York
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ISBN 978-3-8437-1069-5
© 2014 by James Ellroy
© der deutschsprachigen Ausgabe
2015 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Rudolf Linn, Köln
basierend auf dem Originalumschlag von Chip Kidd
Umschlagmotiv: © Whitehead Images/Alamy / MIXA/Alamy
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E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Für
Lisa Stafford
»Einen Gewalttätigen beneide nicht,
und wähle keinen seiner Wege.«
Die Sprüche Salomonis 3:31
Fünfte Kolonne: Substantiv, gängiger umgangssprachlicher Begriff im Amerika von 1941. Im jüngst vergangenen Spanischen Bürgerkrieg geprägt. Während vier Soldaten-Kolonnen in die Schlacht geschickt wurden, blieb die Fünfte Kolonne vor Ort und organisierte Industriesabotage, Propaganda und weitere unauffällige subversive Tätigkeiten. Die Kämpfer der Fünften Kolonne bemühten sich, unerkannt zu bleiben; ihr ambivalenter und/oder anonymer Status machte sie ebenso gefährlich, wenn nicht noch gefährlicher als die vier herkömmlichen Kampfkolonnen.
Reminiscenza.
Vor 85 Jahren habe ich mich in einem Schneesturm in der Prärie verlaufen. Dessen Kälte hält mich bis heute in ihrem Bann. Die Magie verlor sich mit den Jahren, neuerdings macht mir das Sterben Angst. Die Wolken pflegen nicht mehr zu bersten, wann und wie ich will. Umso mehr ist mir am Erinnern gelegen.
Damals war ich wie im Fieber. Und im Fieber bin ich noch. Solange ich die Geschichte weiterspinnen kann, halte ich mir den Tod vom Leibe. Ich enteile ins Damals, um mir weitere Augenblicke im Heute zu erkaufen.
Dreiundzwanzig Tage.
Ritualmordbeschuldigung.
Ein Polizist, der an die Tür einer jungen Frau klopft. Im Winde wehende Mörderfahnen.
Dreiundzwanzig Tage.
Ein alles hinwegfegender Sturm.
Reminiscenza.
GERALD L. K. SMITH / K-L-A-N RADIO,
LOS ANGELES / SCHWARZ-SENDER/TIJUANA,
MEXIKO / FREITAG, 5. DEZEMBER 1941
Der jüdische Kontrollapparat hat uns in diesen Krieg gehetzt – der unser Krieg geworden ist, ob uns das nun passt oder nicht. Dass keine Nachrichten gute Nachrichten sind, hat nur vor der herrlichen Erfindung des Radios gegolten, das alle Nachrichten verbreiten kann – gute wie schlechte –, und zwar Raketen-Raumschiff-rasend-schnell. Heute Abend sind die Nachrichten geradezu grässlich schlecht, weil Nazis wie Juden ihre jeweiligen Säue losgelassen haben – weswegen der unverdiente und ungewollte Krieg mit voller Wucht bedrohlich auf uns zukommt.
Dito: Adolf Hitler hat im Sommer seinen Pakt mit dem Roten Rotzboss Joseph Stalin gebrochen und ist ins weit-wüste Rot-Russland eingefallen. Hammer-und-Sichel-Armeen sind dabei, des Führers stramme Stiefelträger vor Moskau zu verbratwursten – aber die neckischen Nazis haben England bereits in Schutt und Asche gebombt und halb Europa unter ihre nordisch-nationalistische Fuchtel gezwungen. Hitler hat noch immer genug Kampfkraft, um den amerikanischen Bodentruppen ordentlich einzuheizen – was unsere große Nation in nicht allzu ferner Zukunft zu spüren bekommen wird. Und jetzt fragt ihr euch, was ihr da sollt, meine guten Freunde? Diesen Krieg wollen wir bestimmt nicht – aber mitgefangen, mitgehangen.
Dito: Der hinlänglich bekannte Il Duce Benito Mussolini bleibt mit seinem Nordafrika-Feldzug stecken – aber aus und vorbei ist es mit ihm noch lange nicht. Die Italiener sind bessere Liebhaber als Kämpfer – besser für große Oper als für den Krieg geeignet. Alles richtig – nur dass diese Belcanto-blaffenden Bambini dennoch eine Bedrohung im südeuropäischen Kriegstheater darstellen. Jawohl, auch im Osten brauen sich Sturmwolken zusammen. Und Sturmwolken werden demnächst bedauerlicherweise über uns im Westen platzen – in Gestalt unserer kampfbereitesten vermeintlichen Feinde: der Japsen.
Und jetzt fragt ihr euch wieder, was ihr da sollt, meine Freunde? Als überzeugte America-Firster habt ihr mit mir gefordert, Amerika aus fremden Händeln rauszuhalten. Aber Hirohitos heidnische Hornissen schwärmen übers Weltmeer – was mir ganz und gar nicht schmecken will.
Dito: Das State Department hat gerade ein Bulletin veröffentlicht. Japsen-Konvois dampfen Richtung Siam, und die Invasion wird jeden Augenblick erwartet.
Dito: Zivilisten fliehen aus Manila, der Hauptstadt der Philippinen.
Dito: Präsident Franklin »Der-lügt-nur« Rosenfeld hat dem Japsen-Kaiser eine persönliche Botschaft geschickt. Die Botschaft ist Bitte und Warnung zugleich: Lasst den weiteren Vormarsch bleiben, oder ihr kriegt es mit Amerika zu tun.
Uncle Sam verliert allmählich die Geduld. Die Hawaiianischen Inseln gehören uns und sind das pazifische Eingangstor zum amerikanischen Festland. Die prächtigen Tropeninseln, die sich bis zu uns erstrecken, stehen nun im Visier von Japsen-Kanonenbooten. Der unverdiente, grundlose und ungewollte Krieg kommt bedrohlich auf uns zu – ob uns das nun passt oder nicht.
Dito: Präsident Rosenfeld will wissen, wieso sich Hirohitos Höllenhunde in Französisch-Indochina massieren.
Dito: Radio Bangkok hat Warnungen vor einem heimlichen Japsen-Überfall auf Thailand gesendet. Die Japsen-Botschafter palavern gerade mit Außenminister Cordell Hull. Sie zischen mit gespaltener Zunge – wollen nur den Frieden, während uns ihr Außenminister Shigenori Togo zusammenscheißt, weil Amerika den japanischen »Idealen« so verständnislos gegenübersteht und ständig gegen die angeblichen Japsen-Pogrome in Ostasien und im Pazifikraum protestiert.
Jawohl, meine Freunde – da beißt die Juden-Maus keinen Faden ab. Dieser kommunistisch ausgeheckte Krieg kommt bedrohlich auf uns zu – ob uns das nun passt oder nicht.
Kein vernünftiger Amerikaner wird sich in einen ausländischen Judenkrieg einmischen wollen. Kein vernünftiger Amerikaner wird deswegen amerikanische Jungs in Not und Tod schicken wollen. Aber kein vernünftiger Amerikaner wird bestreiten, dass wir vorbeugend eingreifen müssen, und zwar auf fremder Erde, damit dieser Krieg uns verschont. Wo ich recht habe, habe ich recht, meine Freunde – auch wenn mir der Rückzieher heiße Schamröte ins Gesicht treibt.
Den Krieg haben nicht wir angefangen. Und auch nicht Adolf Hitler oder der halbseidene Hirohito. Diesen Roten Borschtsch haben uns die jüdischen Weltverschwörungs-Apparatschiks eingebrockt, die auf der ganzen Welt Freund gegen Freund hetzen. Und ihr fragt euch, was ihr da sollt, meine guten Freunde?
Jawohl, der Krieg, den wir todsicher nicht gewollt haben, kommt bedrohlich auf uns zu. Und Amerika hat sich noch nie vor einem Kampf gedrückt.
DIE JAPSEN
(6. Dezember – 11. Dezember 1941)