Verena Zimmer

Die Geschichte der Beziehung
zwischen Mensch und Katze

AQUENSIS

Impressum

Verena Zimmer:

Felis + Ego –

Die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Katze

Copyright: Aquensis Verlag Pressebüro Baden-Baden GmbH 2014

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe jeder Art, elektronische Daten, im Internet, auszugsweiser Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsunterlagen aller Art ist verboten.

Layout: Tania Stuchl, design@stuchl.de

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

ISBN: 978 - 3 - 95457 - 129 - 1

www.aquensis-verlag.de

www.baden-baden-shop.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Prolog

Koexistenz zweier Egoisten

1. Akt: Begegnung – Annäherung

Erste gemeinsame Schritte

Katzenkunde: Ernährung

Verehrte Katzen

Katzenkunde: Erscheinungsbild

2. Akt: Durch Himmel und Hölle

Katzenkunde: Lebenszyklen

Jenseits von Salem

Vom Inbegriff des Bösen zum Glücksbringer

Katzenkunde: Sinnesleistungen

3. Akt: Hier und Heute

Die Katze und der Kochtopf

Die Katze und Justitia

Die Katze und die Statistik

Die Katze und der Tod

Die Katze in Kunst und Wissenschaft

Letzter Vorhang

Weitere Bücher

Fußnote

Über die Autorin

Prolog

Manchmal, wenn er mich durch seine großen Augen anschaut, beschleicht mich das Gefühl, als blicke er mir direkt in meine Seele. Als wisse er, was in mir vorgeht, und dabei ist sein Blick voller Rätsel, voller Wahrheit und voller Weisheit. Die Weisheit und das Wissen um das Universum und alles, was sich darin befindet. Das muss es wohl gewesen sein, was die Menschen bereits vor Tausenden von Jahren an diesen Tieren fasziniert hat. Der Blick, der versteht.

Er neigt den Kopf und schließt seine Augen, nicht gänzlich, er lächelt mich an.

Ein indisches Sprichwort lautet:

Gott schläft im Stein,

atmet in der Pflanze,

träumt im Tier

und erwacht im Menschen.

In diesen Momenten scheint es Bestand zu haben. Wir sind hier, er und ich, und alleine durch seine Präsenz wird mir bewusst, wie wenig ich doch über diese Tiere tatsächlich weiß und beginne meine Recherchen.

Erfüllt, nein beseelt von der Erkenntnis, dass mir ein gar göttliches Wesen gerade in mein Herz und meine Seele schaut, erwidere ich den Blick, schaue ihn an, versinke in seinen großen Augen – bis er sich abwendet und sich den Hintern leckt …

Koexistenz zweier Egoisten

Seit Tausenden von Jahren haben wir nun eine gemeinsame Geschichte. Es könnte fast eine Liebesgeschichte sein, die mit zarter und vorsichtiger Annäherung beginnt: Man sucht erst einmal die Nähe des anderen, erkennt dann seine Vorzüge und entschließt sich zu bleiben.

Das Vertrauen wächst. Aus Vertrauen wird Achtung, aus Achtung wird Verehrung, aus Verehrung Vergötterung.

Aber die Welt herum steht nicht still, sie entwickelt sich, sie dreht sich weiter, und unsere Beziehung wird durch Veränderungen auf eine harte Probe gestellt. Vertrauen wird zu Misstrauen, das einst Geschätzte wird immer kritischer beäugt. Verblendung. Verrat. Verachtung. Unwissenheit und Fanatismus treiben einen Keil zwischen die Liebenden. Wer seine Liebe offen zeigt, läuft Gefahr, verfolgt und sogar getötet zu werden. Bestialisch hingerichtet.

Erst als es fast schon wieder zu spät ist, wendet sich das Blatt und die Liebenden finden am Ende wieder zueinander. Erst als der eine seine große Liebe fast verloren hat, erkennt er, dass die Welt ohne den anderen leer wäre, und schickt sich an, für diese Liebe zu kämpfen.

Ich bin mir nicht gänzlich sicher, ob dies nun eine komische Tragödie oder eine tragische Komödie ist.

Der Vorhang hebt sich, die Bühne belebt sich …

1. Akt

Begegnung – Annäherung

[…] 1 Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. 3 Und Gott sprach: Es werde Licht! […]

24 Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so. 25 Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. 26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmels und über das Vieh und über alles Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht! 27 Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. 28 Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht! […]

(Genesis 1)

Wem, wie mir, sowohl die biblischen Schöpfungsgeschichte (Genesis) als auch die Evolutionslehre nach Darwin nicht fremd ist, der erkennt sowohl die Parallelen als auch die grundlegenden Unterschiede beider Theorien. Oder die Unterschiede zwischen Biologie und Religion, jedwelcher Religion. Ich will an dieser Stelle niemanden verstimmen, keine religiöse Grundsatzdiskussion aufwerfen oder Öl ins Feuer dieser Diskussionen gießen. Ich fische – wie die meisten Theoretiker – in der Ursuppe. Ferner versuche ich, anhand der mir vorliegenden Informationen, ein Konstrukt logisch-konsequenter, zeitlich in einwandfreie Reihenfolge gebrachter Fakten als Ganzes zu sehen.

Wie die Genesis zu deuten und zu interpretieren ist, das überlasse ich Gelehrten, die weit qualifizierter sind als ich. Ich habe eine gar kindlichnaive Herangehensweise: Ich lese einen Text und versuche ganz einfach, die darin enthaltenen Informationen zu filtern und richtig zu verstehen. Dann lese ich einen weiteren Text (oder höre eine weitere Geschichte) und vergleiche die Informationen mit denjenigen vom ersten. Passen sie zusammen? Oder passen sie nicht zusammen? Finde ich Übereinstimmungen, dann erwähne ich sie; fallen mir Unterschiede auf, erwähne ich sie gleichermaßen. Recherchiert habe ich in Büchern und im Internet, habe Erzählungen und Sagen gelesen, mir Augenzeugenberichte angehört und eigene Erfahrungen gesammelt.

Gefunden habe ich Fakten, die weitestgehend auf anatomischen, wissenschaftlichen, anthropologischen, biologischen Erkenntnissen und Forschungen beruhen. Hieraus entstand die Geschichte unseres Zusammenlebens, ergänzt mit der Katzenkunde. Hierzu kommen meine Einschätzung und meine Kommentierung (nennen wir es meinen Senf), die ich mir an manchen Stellen nicht verkneifen konnte und – ehrlich gesagt – auch nicht verkneifen wollte.

Ganz nüchtern betrachtet, entspricht die Reihenfolge, in der gemäß Genesis das Leben auf der Erde Einzug hielt, der, die auch von Evolutionstheoretikern als die wahrscheinlichste erachtet wird: Erst entstand die Erde, auf ihr bildete sich das Wasser, anschließend die Pflanzen, die Meerestiere, die Landtiere und schließlich der Mensch.

Ob Big-Bang-Theorie oder Genesis, die Erde entstand, sie drehte sich, das Leben begann. An dieser Stelle mache ich einen Cut, denn die Entstehungsgeschichte der Menschwerdung habe ich mir nicht zur Aufgabe gemacht. Das haben andere bereits vielfach getan. Es geht hier um die Geschichte der Beziehung zwischen Homo sapiens und Felidae, zwischen Mensch und Katze. Die Geschichte beginnt, als unsere Fußspuren und die Pfotenabdrücke im Sand der Zeit einen gemeinsamen Weg einschlagen – und das geschah vor etwas mehr als 9.500 Jahren:

Erste gemeinsame Schritte

Wir befinden uns in dem Dorf Shillourokambos auf Zypern, dem südlichen Teil der Insel, sechs Kilometer östlich von Limassol. Die Küste ist nicht weit, die Luft ist warm und salzig. Ein Mann um die dreißig wird zu Grabe getragen. Sein Leichnam wird in groben Stoff eingenäht und der Erde übergeben, mit dem Blick gen Westen. Als Grabbeigabe erhält er Schätze wie polierte Steine, Werkzeuge, Schmuck und Muscheln in verschiedenen Farben und Größen. Doch er reist nicht alleine ins Jenseits. Etwa einen halben Meter entfernt von ihm wird noch jemand bestattet: eine Nubische Falbkatze (Felis silvestris libyca). Diese Wildkatzenart war um den gesamten Mittelmeerraum verbreitet. Die Tatsache, dass ein junger Kater, nicht ganz ein Jahr alt, als Wegbegleiter in den Tod auserkoren worden war, lässt vermuten, dass er auch zu Lebzeiten Wegbegleiter war, zumal sich an seinem Körper keinerlei Hinweise finden lassen, dass er geschlachtet oder verbrannt worden wäre. Er war wie sein Herr unversehrt für die letzte Reise. Haben sie zusammen gelebt? Wie sind sie sich begegnet? Wäre es denkbar, dass sie gar Freunde waren?

Rekonstruktionszeichnung des Grabes gemäß dem Film: „Shillourokambos, les origines de Chypre“ (CNRS Images/​Passé Simple).

Das jungsteinzeitliche Grab wurde 2004 von dem französischen Archäologen Jean-Denis Vigne vom National Museum für Naturgeschichte in Paris und seinen Kollegen gefunden. Die Expedition leitete Jean Guilaine vom Collège de France in Paris. Ein Bericht in der Fachzeitschrift „Science“ (Bd. 304, S. 259) und in weiteren Wissenschaftsmagazinen folgte; BBC berichtete über „The oldest petcat“.

Diese Entdeckung gibt Forschern nun berechtigten Grund zu der Annahme, dass es nicht – wie bislang vermutet – die alten Ägypter waren, die Katzen erstmals domestizierten1, sondern dass die Annäherung und das Zusammenleben, und damit auch verbunden die „Zähmung“ (Vigne nannte es in seinem Bericht „taming“), einige Tausend Jahre vorher in Europa ihren Anfang nahm. Selbstverständlich handelt es sich, obwohl der Fund und damit auch seine Datierung wissenschaftlich und forensisch einwandfrei nachweisbar (Radiokarbonmessungen) und belegbar sind, auch hier nur um eine Spekulation.

Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, warum der Kater (die Größe des Skeletts legt nahe, dass es sich um einen Kater gehandelt haben muss) in Reichweite des verstorbenen Mannes bestattet wurde. Ebenfallsist unklar, ob die beiden zu Lebzeiten überhaupt etwas miteinander verbunden hatte, oder ob es sich – wie die Forscher die Hinweise deuten – um eine zahme (das ist nicht dasselbe wie „gezähmte“) Wildkatze handelte.

Archäologische Zeichnung des Grabes auf Shillourokambos von Jean-Denis Vigne, anhand dessen die Rekonstruktionszeichnung von Passé Simple entstehen konnte.

Wie auch immer man diesen Fund zu interpretieren versucht: Es bleibt eine Tatsache, dass Mensch und Katze schon weitaus früher in einem engeren Verhältnis des Zusammenlebens interagierten als bisher angenommen.

Bedauerlicherweise tappen wir, was den Verlauf der Interaktion von Menschen und Katzen während der kommenden sechstausend Jahre betrifft, weitestgehend im Dunkeln. Erst wieder Artefakte aus dem Fruchtbaren Halbmond, die etwa auf das Jahr 3.000 v. Chr. datiert werden, bieten Hinweise: Zeichnungen und primitive Malereien zeigen, dass die Katze bereits zu diesem Zeitpunkt eine bedeutende Rolle im Leben der Menschen gehabt zu haben scheint.