HEIDI HOWCROFT

Neue Geschichten
übers Leben
im Garten-Paradies
England

DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT

Inhalt

Vorwort

Frischer Tee & neue Rosen

Wandel und Wechsel

Die Baustelle und der Kamelienhof

Der Garten wird aufgefrischt

Vom Überleben und Nachtleben

Wofür das englische Wetter gut ist

Als der Schnee nach North Cadbury kam

Eine neue Herausforderung:
die Feldgärten von Ridgeway Lane

Guter Heinrich und seine Freunde

Die Qual der Wahl:
Was soll gepflanzt werden?

Die Sache mit den Radieschen

Gemüse macht Schlagzeilen

Verborgen, versteckt, vergessen:
der Garten hinter der Mauer

Afternoon Tea zwischen den Gräbern
und eine Kirche voller Blumen

Tee bei Rose

Vogelscheuche, Schreckensbilder
und die Strohkönigin

Das diamantene Jubiläum in den Cadburys
Teil 1: Pimm’s, Picknick und Fahnen

Das diamantene Jubiläum in den Cadburys
Teil 2: Nachts am Leuchtfeuer

Ein Sonntagsbesuch im großen Haus

Rosensäulen und Blumenbeete,
ein Traumgarten für eine goldene Ära

Das Erbe verpflichtet:
Der Garten von East Lambrook Manor

Die Schätze von Minterne
Teil 1: Rosen im Wald

Die Schätze von Minterne
Teil 2: Die Schönheit, Trafalgar und der Lord

Zwei Gärten in einem oder:
Wo Gärtner und Schreiner sich treffen

Wo die Kune Kune wohnen:
Ein Besuch in Heale House Garden

Petos Meisterwerk Iford Manor,
wo die Landschaft und der Garten sich vereinen

Blumen, Bohnen und Bäume:
Der Stadtgarten von SKH Prinz Charles

Ein Fräulein steht im Walde:
Yorkshire zu Gast in London

Pflanzliche Verführungen und nette Begegnungen:
Die Cornwall Spring Show

Ländliche Perspektiven

Dank

Vorwort

Die Resonanz auf mein erstes Buch Tee & Rosen war überraschend groß. Nie hätte ich vermutet, dass so viele Leser sich für das Leben und die Gärten rund um das Dorf im Südwesten von England interessieren würden, wohin das Schicksal mich nach achtzehn Jahren in München getrieben hat. Sie haben mir den Anstoß gegeben, eine Fortsetzung zu schreiben, eine Chance, über neue Ereignisse zu berichten, verborgene Orte aufzusuchen sowie von Eigenschaften, die das englische Landleben prägen, zu erzählen. Wiederholungen wurden so weit wie möglich vermieden, aber von Tee und Rosen, einem unerschöpflichen Thema, ist immer noch die Rede. Und die Radieschen? Sie gehören, wie ich gelernt habe, in jeden Garten, denn Gemüse darf man nicht vergessen.

Der Plan des Dorfs und die dazugehörige Legende, meisterhaft von Binette Schroeder illustriert, die auch das Cover und Vorsatzpapier entworfen und gezeichnet hat, sollen Ihnen eine bessere Vorstellung von den verschiedenen Orten des Geschehens in North Cadbury geben. Es ist ein Privileg für mich, das englische Landleben mit seinen Höhen und Tiefen erleben zu können, und das alles möchte ich mit Ihnen teilen.

Heidi Howcroft, North Cadbury 2013

Frischer Tee & neue Rosen

Ob die Realität wirklich so schön sein kann wie der Traum, wird oft angezweifelt. Durch Zufall bin ich in einer Ecke von England gelandet, die für die meisten nur zwischen den Seiten eines Buchs oder im Film existiert. Ich habe die englische Landidylle nicht gesucht, aber gefunden. Während ich in den ersten Jahren keine Ahnung hatte, wie ich mich in dieser fremden Umgebung verhalten sollte, so weiß ich wenigstens jetzt, wie die Regeln sind. Meine anfängliche Begeisterung hat sich nicht gelegt, ganz im Gegenteil, je länger ich hier wohne, desto mehr entdecke ich, umso mehr darf ich hinter die Kulissen schauen und desto glücklicher bin ich, das Landleben führen zu können.

Nach einem Jahrzehnt ist The Dairy House zwar renoviert und erweitert, aber die Holzbohlen knirschen immer noch. Das obere Treppenhaus mit den Eichenstufen ist nach wie vor urig, und die Heizung, die an den gusseisernen Kohleofen gekoppelt ist, springt nicht nach der Zeiteinstellung, sondern je nach Wetter an. Endlich habe ich, nach der längsten Lehrzeit aller Zeiten, den Ofen gemeistert und bringe es fertig, ihn zwei Wochen am Stück durchzuheizen. Die alten Fenster sind undicht, die Energiewerte befinden sich auf der untersten Skala und Wärmflaschen sind sommers wie winters im Einsatz. Aber so ist eben das Leben in einem denkmalgeschützten Haus aus dem 17. Jahrhundert.

Rosen schmücken die Fassade, aber digitale Signale und WLAN tun sich schwer, durch die dicken, über 350 Jahre alten Natursteinmauern zu dringen. Egal, was die Telekom-Experten behaupten, auf ihrem Bildschirm zu sehen, der Handyempfang ist selten mehr als zwei Balken stark. Eingebettet im Hang, ist jegliches Ärgernis über das Funkloch und die schlechte Anbindung an moderne Technologie vergessen, wenn man an die Vorteile des natürlichen Schutzes gegen die Wetterextreme denkt. Wind fegt über das Dach hinweg, der Frost bleibt selten hängen, die Sonne, wenn sie scheint, ist wie eingefangen, und Niederschlag sickert schnell ab. Nur der schmale Vorgarten leidet unter den orkanartigen Böen, die von Zeit zu Zeit vom Norden her die Cary Road hochjagen. Die Hochstammrosen ‘Graham Thomas’ verbiegen sich, und ‘Paul’s Scarlet Climber’ hält sich tapfer fest, aber der Feuerdorn und sein Partner, die Rambler-Rose ‘Malvern Hills’, sind dem Wind zum Opfer gefallen. Wunderschön und romantisch kletterten sie bis zum ersten Stock hoch, die hellgelben Blüten drapierten sich über die Außenlampe, eine Waldtaube hatte sich ein Nest im dichten Astwerk gebaut und war genauso erschrocken wie ich, als plötzlich alles auf dem Bürgersteig lag. Von der Halterung losgelöst, konnten die einseitigen Wurzeln dem Wind nicht mehr standhalten. Aber noch waren die Pflanzen zu retten. Schnell zurückgeschnitten, ziehen sie von Neuem los, nur ganz so hoch werden sie nicht mehr wachsen dürfen.

Der Hausgarten hat Gestalt angenommen, aber macht nach wie vor, was er will. Die »Henne«, geformt aus Buchs – der eigentliche Grund, weswegen ich das Haus gekauft habe –, gedeiht und hat Zuwachs bekommen. In Kugelform geschnitten, schaut der Ableger, der vom jährlichen Schnitt liegen blieb und Wurzeln geschlagen hat, wie ein Ei aus. Auch der alte Rosenstrauch, Rosa arvensis, der über 2 Meter hoch ist und Jahr für Jahr dünner wird, hat für die Zukunft gesorgt und die Frage, was ich als Ersatz pflanzen könnte, selbst gelöst. An zwei Stellen rechts und links, eingenistet in die niedrige Natursteinstützmauer, wachsen ein kräftiger Nachfolger und ein jüngerer, kleiner Bruder.

Das länglich erhöhte Beet auf der anderen Seite des Buchsvogels bereitet mir seit einiger Zeit Probleme. Anfangs haben sich die Pflanzen ganz diszipliniert verhalten, dann hat sich die Rotbuchenhecke nach vorne ausgedehnt, das Beet verschmälert und die Stauden verdrängt. Das schöne Federgras (Stipa) wurde von meinem Kater zerstört, der zu gerne dort gekämpft und die Halme ausgerupft hat, zweimal nachgepflanzt, habe ich es vorläufig aufgegeben. Die Lavendelbüsche, die eine schöne Einfassung bildeten, wurden mit der Zeit holzig und unförmig und mussten nach und nach entfernt werden. Noch setzen sich ein paar tapfere Zwiebeln, Allium aflatunense und ein Nectaroscordum siculum, mit großen Dolden wie hängende Glocken, durch, aber alles andere hat den Geist aufgegeben. Von all den Bereichen im Garten hat dieser am meisten durch meine lange Abwesenheit im Sommer gelitten. Eine kleinteilige Lösung war hier falsch, da das Beet hauptsächlich aus der Ferne, nämlich vom Küchenfenster aus, gesehen wird. Ich hatte mich bereits in der Normandie bei einem Besuch in Hélène d’Andlaus Garten de la Petite Rochelle in Rémalard (wie es der Zufall will, eine Partnerstadt von Castle Cary, das nur wenige Kilometer von North Cadbury entfernt liegt) von der Schönheit apricotfarbener Blüten, vor allem Rosen, die früher nie bei mir im Garten Zutritt bekommen hätten, überzeugen lassen.

Manche werden behaupten, eine Vorliebe für süßliche Farben wie Apricot ist das erste Zeichen des Älterwerdens – und vielleicht haben sie auch recht. Trotzdem suchte ich seitdem die passende Rose, nicht zu steif oder zu formal, eine einfache Blüte, die aber lange hält. Per Zufall fand ich ‘Morning Mist’ bei Castle Gardens in Sherborne. Eigentlich hätte diese David-Austin-Rose von 1996 genauso gut ‘Evening Sunset’ heißen können, denn die Farben der Blüte waren wie das Abendrot, ein changierendes, warmes Orange, ins Apricot übergehend mit einem Hauch Pink und Bronze dabei. Remontierend mit großen, orangenen Hagebutten ist die Rose ideal. Den zarten Nelkenduft habe ich noch nicht gerochen, dafür war der letzte Sommer zu kalt, aber darauf kann ich mich noch freuen. Wahrscheinlich werde ich Katzenminze dazugesellen. Im Moment halte ich mich aber noch zurück, denn seitdem es Kitty, den schwarzen Kater, nicht mehr gibt, kommen andere Katzen zu Besuch. Würden sie ihre Lieblingsdroge entdecken, würde ich sie nicht mehr loswerden. Kitty – zum Schluss hatte er nur mehr einen Zahn – wurde ein alter Herr von weit über siebzehn Jahren. Er starb, wie er lebte, nämlich im Freien, und hat unter ‘New Dawn’ seine Ruhe gefunden. Noch ist es zu früh für ein anderes Tier; so viel Glück, einen so pflegeleichten Mäusefänger ein zweites Mal anzutreffen, gibt es selten.

Das Schicksal ist eigenartig, und die letzte Zeit hatte ich Gelegenheit genug, mir darüber Gedanken zu machen. Über einen Zeitraum von achtzehn Monaten musste ich regelmäßig in den Norden nach Manchester fahren, wo ich aufgewachsen bin, und bekam vor Augen geführt, warum ich das Westcountry so schätze. Die vierstündige Autobahnfahrt brachte mich in ein ähnliches, aber anderes England, mit anderen Werten und Prioritäten. Dort hat das viktorianische Wunder im 19. Jahrhundert, die industrielle Revolution stattgefunden, die Großbritannien den Platz auf der Weltbühne eingeräumt hat. Die Schornsteine und die Fabriken sind größtenteils stillgelegt, das urbane Umfeld ähnelt dem so vieler Metropolen, aber es herrscht immer noch ein großer Unterschied zum Süden. Herzlich, gutmütig und auch höflich – in Manchester bedankt man sich nämlich noch beim Fahrer des Busses beim Aussteigen oder auch, wenn ein Autofahrer einen in die Fahrspur lässt. Hier strahlen die Menschen als Entschädigung für die fehlende Sonne. Im Norden ist das Wetter anders, es ist dunkler als im Süden, als ob die vielen roten Ziegelbauten die Helligkeit aufsaugen und ein stumpfes Licht zurückstoßen würden. Auch die Landschaft, die Hügelketten von den Pennines und dem Peak District zum Osten, die das Rückgrat von England bilden, sind von einer rauen, wilden Schönheit bestimmt, geprägt von ausgewaschenen Grün-, Strohgelb- und Brauntönen. Saftiges Grün ist rar und lediglich im Süden in Cheshire zu finden, in stets weiter schrumpfenden landwirtschaftlichen Flächen, gequetscht zwischen den sich immer mehr ausdehnenden, vornehmen Wohnsiedlungen.

Aber auch im Nordwesten ist das, was ein Fremder so sehr an England schätzt, zu finden, man muss es nur suchen. Sogar in den Stadtvierteln unmittelbar am Zentrum von Manchester. So gibt es in Didsbury »Tage der offenen Gartenpforten«, mit ländlich inspirierten Gärten, manche auf kleinstem Raum, von einer hervorragenden Qualität, wo Rosen über Zäune und Bäume ranken und Blumen die Beete füllen. Auch geheime Gärten, die ihren Rücken der Großstadt zudrehen und auch mitten in einem Dorf liegen könnten, gepflegt von Gartenbesitzern, die von Kopf bis Fuß das Englische verkörpern, verbergen sich hinter den Häuserzeilen. Altes und Traditionelles wird ebenso geschätzt und gepflegt, nur wirken die Anwesen – wie beispielsweise Rufford Old Hall in Lancashire – wie Inseln, abgeschnitten von ihrem eigentlichen Umfeld, das schön längst im Zuge der Urbanisierung verbaut wurde. Das Gefühl, dass »olde England« zu einem Museum und zur Attraktion wurde, lässt einen hier nicht los. Deshalb wurde die Autobahnbrücke der M5 über den Avon bei Bristol von Norden ein Tor zu einer alten, traditionsreichen Welt, wo sich das England der Bücher befindet, für mich ein Symbol zum Aufatmen und um mich zu freuen, bald wieder im Gartenparadies zu sein.

Eine Leidenschaft für Gärten und das Grüne ist gewissermaßen eine Voraussetzung für das glückliche Landleben. Sie ist der Zugang zu einer spannenden und auch manchmal frustrierenden Welt, wo Erfolg und Niederlage am gleichen Tag erlebt werden können und bringt, meist bei einer Tasse Tee, auch die Erkenntnis mit sich, dass man noch viel zu lernen hat und dass Schönheit in vielen Formen vorkommt. Manche waren der Meinung, ich würde mich nach der ersten Euphorie für das Landleben schnell langweilen und die Lichter der Großstadt wieder aufsuchen. Aber, und hierin liegt vielleicht das Geheimnis des englischen Landlebens, so ganz lösen wir uns nicht von der Stadt – und damit ist immer London gemeint. Für Gartenliebhaber ist die Verbindung nach London wichtig, denn dort trifft man sich bei der Chelsea Flower Show oder den anderen Veranstaltungen der Royal Horticultural Society. Hier werden Ideen, Erfahrungen und das Neueste aus der Gartenwelt begutachtet. Die Konzentration an Gärtnerischem im Gartenmuseum, gegenüber des Houses of Parliament, der Gartenbibliothek der RHS, der Lindley Library am Vincent Square wie auch die Vorträge der Garden History Society in einem urbanen Umfeld, ist erstaunlich. All dies ist Grund genug, die Stöckelschuhe und schicken Kleider, sogar die Hüte, die im Schrank parat stehen, hin und wieder zu lüften. Und weil sie in der Regel von guter Qualität sind und kaum getragen wurden, dienen sie Jahr für Jahr, bis plötzlich diese alten Kleidungsstücke wieder Mode sind.

Wer es richtig macht, kombiniert den London-Besuch mit einem Afternoon Tea. Brown’s Hotel in Dover Street ist nach wie vor zu empfehlen, aber es gibt auch neue Orte wie Number Sixteen1 in Kensington, wo man im Sommer im grünen lauschigen Garten den Tee mit Rosen kombinieren kann. Versteckt, hinter einer Reihe weißer Stadthäuser, die zusammen das Hotel bilden, liegt ein geheimer Garten von kleinen grünen Gartenräumen, die ineinanderfließen. Intim, aber dennoch großstädtisch, kommt hier das Englische auf exzeptionelle Art zusammen, nur die so richtig englische Bedienung fehlt. Die kann man in Mother’s Little Vintage Tea Room2 in der kleinen Marktstadt Castle Cary erleben. Vor Kurzem eröffnet, sitzen jetzt in der Stube, wo früher die Chefin des inzwischen geschlossenen Eisenwarenhandels sich von ihrer Tagesarbeit erholt hat, die Damen beim Tee. Jahrelang klapperte die neue Besitzerin Flohmärkte ab, bis sie die Requisiten für ihr Vorhaben zusammengesammelt hatte. Es sollte so sein wie damals zu Zeiten ihrer Großeltern, ein gemütlicher Ort, der Gegenpol zu den Kaffeehausketten, wo man schnell ein Getränk im Vorbeigehen konsumiert. Bei Mother’s Tea Room scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Nicht nur die Innenausstattung, sechs kleine Tische samt handgestickten Tischdecken, Thonetstühle, gelb-bräunliche Blumentapeten, Anrichte und verblasste Fotos an den Wänden, sondern sogar die Bedienungen tragen zum besonderen Flair bei. In braungemusterten knielangen Kleidern, weißen Schürzen, weißen Mützchen auf dem Kopf, besitzen sie nicht nur die richtige Bekleidung und den richtigen Gang, sondern schreiben gewissenhaft die Bestellung auf und decken den Tisch in aller Ruhe. Erst die Porzellantasse mit Goldrand und Blumenmuster, wie es sich gehört , dann der Untersatz für die Kanne, die in sich ein Kunstwerk ist, gefolgt vom Zuckerkorb samt Zangen. Irgendwann erscheint der Tee in einer großen Kanne mit Milchkännchen dazu. Der Kuchen ist exzellent und der Afternoon Tea, nur auf Vorbestellung, kommt hochgestapelt auf der Etagere und ersetzt jedes Mittagessen. Wenn wir jetzt nach Castle Cary fahren, gibt es einen neuen Ablauf: Bank, Post, Bücherladen und Tee, ganz wie früher.

1 www.firmdalehotels.com/london/number-sixteen, Sumner Place, South Kensington, London SW7 3EG

2 Mother’s Little Vintage Tea Room, Fore Street, Castle Cary, Somerset BA7 7BG

Wandel und Wechsel

Dank der Tee-&-Rosen-Touristen, also den Leserinnen und Lesern meines ersten Buchs über meine Einführung in das englische Landleben, die ihren Weg nach North Cadbury gefunden haben und bei Ted und April im Dorfladen aufgekreuzt sind, hat sich Teds deutscher Wortschatz um einiges erweitert. Ted und Aprils Zeit in North Cadbury geht zu Ende. Ihr Haus in Spanien, unweit von Granada, ist längst fertig, und so werden sie wie viele andere Engländer im Pensionsalter ihr Glück im sonnigen Süden suchen. So müssen wir uns wohl von den inzwischen zum Mittelpunkt des Dorfs gewordenen und lieb gewonnenen Menschen trennen und an neue gewöhnen. Bis zu dem Zeitpunkt werden wir North Cadbury Village Stores3 aufsuchen, um nicht nur Zeitungen, entengroße Hühnereier und den guten »Monty«, den Montgomery Manor Farm Cheddar, zu kaufen, sondern auch um Nachrichten auszutauschen.

Für kurze Zeit gab es einen zusätzlichen Grund, dorthin zu gehen, ein Bäcker hatte sich in Teds Lagerraum eingerichtet. Er benutzte die dortigen Backöfen und fertigte frisches Brot am laufenden Band. Das Brot war hervorragend und nicht zu vergleichen mit dem watteähnlichen, weichen Kastenbrot, das aus den Fabriken kommt. Neben Weiß- und Mischbrot erschien wie ein Wunder auch Exotisches: Focaccia mit Kräutern, Oliven und Tomaten, Pizzabrot und sogar kleine Torten. Die »Badger«-Bäckerei war ein Erfolg. Leider bekam es der Bäcker, trotz Teds Rat, mit den Mengen wie auch dem Timing nicht richtig hin. Er backte, was er wollte, wann er wollte und war enttäuscht, wenn am Mittwoch (seit jeher nur halbtags geöffnet), Ware übrig blieb. Nach wenigen Monaten gab er auf. Die Beschäftigung stockte zwar nur seine Rente auf, war ein Zeitvertreib, aber wurde ihm auf Dauer zu viel. Jetzt ist Ted wieder dran und bäckt das vorgefertigte Brot und Croissants in der Früh, rechtzeitig für seine Kunden, die um 8.00 Uhr ihre Zeitungen abholen.

Wandel ist Teil vom Leben und im Mikrokosmos eines Dorfs spürt man dies noch intensiver. Als ich Tee & Rosen schrieb, schien North Cadbury abseits des Stroms vor sich hinzuplätschern, eine heile Welt, verschont von Baupolitik und Konsum, wo die Uhren einen Hauch langsamer tickten. Das mit dem langsamen Ticken der Uhren ist trotz des Frusts manch neu hinzugezogener Bewohner geblieben, denn das Dorf mag sich vergrößert, aber deshalb noch nicht angepasst haben. Mit etwas unter 30 neuen Einheiten und weiteren einzelnen Bauvorhaben auf dem Reißbrett ist der Bevölkerungszuwachs spürbar.

Manche Bewohner, die aus den Vororten der Großstädte kommen, wollen oder können nicht verstehen, dass ein Dorf aus weit mehr als schönen Cottages und Ausblicken in die Landschaft besteht. Charakter und Individualität kommen von den Bewohnern, sie tragen schließlich zum Dorfleben bei und verleihen allem das unverwechselbare Flair. Dabei sein, wenn auch nur als Statist, ist alles. Hauptsache, man hat seine Ein-Pfund-Münze für das obligatorische Los immer griffbereit. Verstecken sollte man sich nicht.

Wer die Ruhe sucht, findet sie nicht unbedingt auf dem Land. Die Natur hat ihren eigenen Lärmpegel, Grund für manche, die Flucht zu ergreifen oder zu klagen. Hähne krähen nicht nur am Morgen, die Vogelwelt scheint mit lauteren Stimmen und mehr Puste ausgerüstet zu sein als ihre Stadtkusinen; die Kirchenuhren schlagen unermüdlich die Viertelstunde und die größeren Traktoren donnern durch die Straßen. Die Landwirtschaft ist die Lebensader, und wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, für mindestens acht Monate im Jahr mit einem dreckigen Auto zu fahren, Stroh in interessanten Ecken des Gartens zu finden und Gummistiefel immer bereit zu halten, dann hat man den ersten Eignungstest überstanden.

Nach den vielen Jahren Diensteinsatz in London gehört mein Mann zu denjenigen, die feststellen mussten, dass die Dorfidylle alles andere als ideal war. Das rosenberankte Cottage mit dem offenen Feuer, das Spazierengehen entlang heckengesäumter Landstraßen tat gut für ein paar Tage, aber nicht für den Rest des Lebens. So ist er zurück zu den Wurzeln seiner Jugend gekehrt, zu den Lichtern einer mittelgroßen Stadt und verbringt nur mehr seinen Urlaub auf dem Land. Er ist nicht allein in seiner Entscheidung. Von den etwa 100 000 Menschen im Jahr, die ihr Glück auf dem Land suchen, kehren doch einige zu ihrem vertrauten Umfeld zurück; sie vermissen die Infrastruktur, das schnelle Leben, wo alles um die Ecke zu jeder Zeit erhältlich ist; vor allem geht ihnen die Anonymität der Stadt ab. Leider wird kein »Wie-wohne-ich-im-Dorf«-Handbuch mit dem Hauskauf ausgehändigt. Hinweise über die Bedeutung einer Erhaltungssatzung oder über das Wohnen in einem denkmalgeschützten Bauwerk gibt es schon. Wie der eigenartige, pikante englische Aufstrich Marmite (denke an Maggi in Streichform) gefällt einem das Landleben oder nicht.

Diejenigen, die aus einem ähnlichen Umfeld hierher ziehen, haben es einfacher. Sie kennen die ungeschriebenen Regeln, wissen, dass der Zutritt zum Dorfleben über die Vereine und das Mitmachen läuft, und sind bereit, auch kleine Aufgaben zu übernehmen. So wie bei Pat und Phil, aus Oxfordshire stammend, die nicht nur die wichtige, aber schwierige Aufgabe hatten, Regenschutz für das Jubiläumsfest zu organisieren, sondern sich auch um die Zukunft der markanten, roten Telefonzelle kümmerten. Sie steht auf der Cary Road, wurde aber seit Jahren im Zeitalter von Handys selten benutzt. Als British Telecom entschied, die Leitung stillzulegen und der Gemeinde das Angebot machte, sie könnte die Zelle »adoptieren«, kam Phil auf die Idee, daraus eine Buchtauschzentrale zu machen. Restauriert, gestrichen und mit einer wunderbaren, absolut passenden Aufschrift versehen und besucht von Jung und Alt (Literatur für Erwachsene bitte auf die obersten Regale) ist der »Book Swap« eine Bereicherung. Nur vorbeifahrende Autos wundern sich, wenn sich plötzlich die Tür öffnet und jemand heraustritt.

Der Wechsel der Generationen, wobei alte Gesichter durch neue ersetzt und Rollen neu verteilt werden, geht weiter. Jean, meine Nachbarin, besuchen wir nun auf dem Friedhof, wo ihr Grab mit ihren apricotfarbenen Lieblingsblumen geschmückt ist. Was ohne die deftige Beigabe von Gift jetzt entlang der Gartengrenze wachsen darf, ist erstaunlich, nur der schmückende, gelb blühende Goldregenbaum hat es nicht überstanden. Schwankend und wehend im Wind, wurde der Zierbaum vom Vater unserer neuen Nachbarin abgesägt. Veränderungen sind auch dort im Garten angesagt, denn die neue, junge Nachbarin möchte den Rasen wieder einführen, den Jean damals durch Platten, Kies und Polsterpflanzen ersetzen ließ. Mary, die zu den Ersten gehörte, die uns damals Ende der 1990er Jahre im Dorf willkommen hieß, kam nicht dazu, ihre vielen Pläne zu verwirklichen. Reisen wollte sie, neue Pflanzen in ihren Minigarten setzen und endlich bei den Ausflügen mitfahren. Stattdessen wurde sie plötzlich schwer krank und wurde, wie Jean, zum Beispiel dafür, wie man mit dem Ende umgeht. Auf dem Land wird dieses Thema sachlich und direkt behandelt, etwas, das auch ich erst lernen musste. Während Jeans Lieblingsbeschäftigung die Detailplanung ihrer eigenen Beerdigung war, von der Reihenfolge der Hymnen bis hin zum »Wer was vorlesen sollte«, was einige ihrer Freundinnen doch zu makaber fanden, wollte Mary den Ärzten nur beweisen, dass sie Unrecht hatten. Aus »nur noch sechs Wochen« wurden über vier Monate.

Im Unterschied zu manchen Dörfern des Südwestens und vielleicht dank der angesehenen Grundschule im Dorf leidet North Cadbury nicht unter einem Schwund von jungen Leuten und Familien. Sie sind die Zukunft, und so nimmt man es gelassen hin, wenn die Cary Road von unten bis oben bei Schulbeginn und -ende mit parkenden Autos verstopft ist, der Bus nicht mehr durchkommt und sämtliche Ausfahrten blockiert sind – es ist schließlich nur für kurze Zeit. Die jungen Gestalten im Dorf – die Familien mit Kindern, Mütter, die ihren Beruf beiseite stellten, um ihren Nachwuchs zu erziehen oder Teilzeit von zu Hause aus arbeiten – leisten einen wichtigen Beitrag zum Dorfleben. Stets knapp bei Kasse, organisiert die Krabbelgruppe »Coffee Mornings« und Weihnachtsmärkte, zu denen andere Dorfbewohner eingeladen werden. So kommt man in Kontakt, und die Mütter (und Väter) arbeiten sich mit zunehmendem Alter der Kinder für das Freizeit- und Unterhaltungsangebot des Dorfs hoch, vom Tennisclub zur Theatergruppe, bis man irgendwann bei der Frauengruppe oder im Gartenverein landet.

Manches vereint alle Altersgruppen und Sozialschichten. Das umstrittene Bauprojekt »Little Orchard« hat die Gemüter erregt und die Sensibilität für das Dorfbild geweckt. Im ersten Anlauf wurde das Projekt auf hoher Planungsebene abgelehnt, aber in neu konfigurierter Form, mit nur einer statt vier Einheiten, doch genehmigt. Zwischen den zwei Verfahren wurden zum Erstaunen aller die Mehrzahl der Bäume und Sträucher auf dem Grundstück, die optisch zum Grüngürtel entlang der Cary Road und zum Straßenbild des Dorfs gehörten, abgesägt. Vor allem die Kinder, die aus ihren Schlafzimmern auf das grüne, aber leer geräumte Grundstück blickten, verstanden diese Aktion nicht. Die Tatsache, dass jeder auf seinem Grundstück machen kann, was er will, wenn keine Gesetze verletzt werden, war ihre erste Begegnung mit den Planungsgesetzen und der Demokratie. Ganz so hoffnungslos ging die Geschichte nicht aus, denn als wir uns alle an den Anblick der blanken, aber wunderschön gepflegten Rasenfläche gewöhnt hatten, wurde wieder eine Reihe von Gehölzen gepflanzt und der Status quo wiederhergestellt.

Die über drei Jahre dauernde Prozedur hat an der Substanz gezehrt. Nicht nur das Grün, auch die Stimmung hat gelitten. Es war von Verrat die Rede, von einem Desinteresse seitens des Gemeinderats und davon, dass Positionen mitten im »Kampf« gewechselt wurden. Als die Ankündigung für das nächste Bauprojekt auf der Cary Road in die Briefkästen flatterte, waren zwar die Gemüter in Aufruhr, aber es stellte sich auch eine gewisse Ermüdung und Hilflosigkeit ein. Was nützt es, wenn wir etwas sagen oder schreiben, es wird sowieso ignoriert, war immer wieder zu hören. Die schöne Dorfidylle schien zerbrochen zu sein. Das Gefühl, dass das moderne Leben, getrieben von Profitgier, die Wertschätzung und Harmonie des Dorfs bedrohte, war für viele der Anlass, Zuflucht in den eigenen vier Wänden zu suchen. Das Baugesuch, das auf den ersten Blick harmlos, sogar belanglos aussah, war für die Betroffenen ein weiterer Eingriff in die Substanz und das Aussehen von North Cadbury. Was der Planungsinspektor im unteren Teil der Straße für erhaltungswürdig ansah, nämlich das Straßenbild, sollte am oberen Ende vernichtet werden. Vorgesehen war, die bestehende, über 2 Meter hohe Liguster-Hecke größtenteils zu roden, um den dahinterliegenden Garten in einen Parkplatz samt Wendeplatz zu verwandeln. Ein hoher, blickdichter Bretterzaun sollte die Grenze zur Straße bilden. Der Garten des Cottages, der vom Großgrundbesitzer vermietet wurde, war nur einen Bruchteil seines ursprünglichen Ausmaßes. Denn vor mehreren Jahren, als unter der Überschrift »Erschwingliche Häuser« fünf Einheiten auf dem Cottage-Garten errichtet werden sollten, wurde dies, auch wenn widerwillig, akzeptiert. Und jetzt sollte das letzte Stück Grün verschwinden. Nach drei Änderungen wurde ein Kompromiss erreicht, wobei nur eine Lücke in die Hecke geschlagen wurde und ein handtuchgroßer Garten wenigstens im vorderen Teil erhalten blieb.

Die Neubebauung mit insgesamt dreizehn Einheiten im Pseudo-Cottage-Stil, die sich neben und hinter dem alten Cottage und auch auf die angrenzende Apfelwiese ausdehnt, war viel dichter, höher und massiver, als die Dorfbewohner es je vermutet hätten, und besticht durch ihre Nüchternheit und Kleinteiligkeit. Sie schließt an drei weitere Einfamilienhäuser an, innen geräumig, aber mit beschränkter Grünfläche, die an Stelle von landwirtschaftlichen Bauten erstanden sind. Zusammen bilden sie die neue Siedlungskante vom Dorf. Von der A303 von Westen kommend, ist die volle Wirkung erkennbar. Während früher North Cadbury versteckt war, zeigt sich das Dorf nunmehr von seiner neuen Seite. Die letzte Bauphase des Vorhabens ist, ähnlich der ersten, eine Umwandlung früherer landwirtschaftlicher Bauten. Mit Ausnahme der Plastikfenster ist die erste Bauphase vorbildlich. Auf der Innenseite der Neubebauung wurden die alten Kuhställe zur Cary Road in kleine Wohnungen umgebaut, mit einem grünen Innenhof samt Springbrunnen und Buchshecken. Es wurde hier die richtige liebliche Note getroffen, die im Einklang zu den denkmalpflegerischen Belangen der Erhaltungsatzung steht. Diese Einheiten wurden, wie die restliche Bebauung, sehr fortschrittlich für England, unter nachhaltigen Gesichtspunkten errichtet. Die Heizung wird von einer Biomasse-Brennanlage, eigens für dieses Projekt von Archie Montgomery erbaut, geliefert. Betrieben mit Brennholz, gesammelt auf den Ländereien, und Chinaschilf (Miscanthus sinensis), angepflanzt in Feldzwickeln, ist sie nachhaltig und im Einklang mit der ländlichen Umgebung.

Wandel ist nicht leicht und bringt oft das Gefühl mit sich, dass gerade das, was man so schätzt, zerstört wird. Es ist eine teuflische, schwierige Gratwanderung. Zu viele Neubauten und zu schneller Zuwachs kippen die Balance, und der ursprüngliche Grund, weshalb man in ein Dorf gezogen ist‚ ist kaum mehr erkennbar. Aber ohne frisches Blut gibt es keine Zukunftsperspektiven.

3 North Cadbury Village Stores, 6 Woolston Road, North Cadbury BA22 7DW, www.montgomerycheese.co.uk

Die Baustelle und der Kamelienhof

Weihnachten ist eine wunderbare Zeit, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Statt sich vor das Fernsehgerät zu setzen, um die Weihnachtsgans zu verdauen, die Pralinen zu kosten oder über Urlaubspläne zu diskutieren und sich vielleicht sogar in die Haare zu kriegen, gibt es die Möglichkeit, aktiv zu werden. Ob die Familie mit meinen Vorstellungen von einem aktiven Weihnachten einverstanden sein würde, war aber eine andere Sache.

Ich hatte nämlich einen Bauantrag gestellt und die Genehmigung erhalten, den seitlichen Schuppen, der direkt an der Außenmauer des Treppenhauses lag, abzubauen und ein scheunenähnliches Studio mit separatem WC und kleinem Flur zur Küche zu errichten. Der Anstoß für den Anbau kam nicht nur vom Wunsch nach einem zusätzlichen Raum und einer besseren Anbindung an den Garten, sondern wurde auch von praktischen Gesichtspunkten gesteuert. Seit das benachbarte Peacock Cottage von den Vorbesitzern renoviert, erweitert und verschönert wurde, war es sehr schwierig und aufwendig, Pflegemaßnahmen an unserer fast 10 Meter hohen Treppenhauswand durchzuführen. Ein weiteres Problem war das Regenabflussrohr unseres nördlichen Dachabschnitts. Unmengen von Wasser versickerten beim Nachbarn einfach im Boden, denn von einem Gully war nichts zu sehen. Die beratende Dame bei der Denkmalbehörde hatte völliges Verständnis für die Maßnahme und sah den Anbau auch als Möglichkeit, das Patchwork von Baustilen und Anbauten, die von Peacock Cottage ausgingen, zu kaschieren. Ihrer Meinung nach würde die Rückseite unseres »Dairy House« mit der prägnanten Dachlandschaft harmonischer wirken und die historische Bausubstanz würde stärker in den Vordergrund treten. Noch dazu war das Planungsamt glücklich, dass dadurch eine Zäsur zwischen Alt und Neu entstehen würde, und begrüßte es, dass sich der markante Rhythmus der Fenster im Treppenhaus auf der Stirnseite des Anbaus fortsetzte.

Zu der Zeit, als The Dairy House im 17. Jahrhundert erbaut wurde, waren Fundamente, wie wir sie kennen, unüblich. Daher wollte ich den maschinellen Einsatz beim Abbruch und anschließendem Auskoffern der neuen Fundamente minimieren. Noch dazu errichteten die Vorbesitzer des Peacock Cottage einen Wintergarten, kaum 80 Zentimeter von der Grenze entfernt, der die Fläche um und über dem Hausbrunnen füllte. Die Kombination von Glas, einem papierdünnen Dach und Abbrucharbeiten sind bekanntermaßen das Rezept für ein Desaster. Die Angst, herumfliegende Teile würden gegen oder in den Wintergarten fallen, war einfach zu groß. Also musste eine andere Lösung gefunden werden. So kam die Anwesenheit meines jüngeren Bruders, meines Manns und der Töchter über Weihnachten wie gerufen. Wir konnten uns alle bewegen, an die frische Luft gehen, sehen, was wir schon geleistet hatten, und bedenkenlos das Weichnachts- und Neujahrsfestmahl genießen, ohne Angst haben zu müssen, zuzunehmen. Am ersten Weihnachtsfeiertag wurde nicht gearbeitet, und weil alles ohne Maschinen ablief, sollte es theoretisch für den Nachbarn auch ruhig sein. Die wenigen Stunden mit Tageslicht würde die Arbeitszeit einschränken, und so blieb immer noch genügend Zeit fürs Fernsehen.

Rückblickend wurde mir erst jetzt klar, wie alles wirklich ablief. Wie hatte ich alles vergessen können? Vielleicht war es wie bei der Geburt eines Kindes: Man freut sich, wenn das Baby da ist und verdrängt die Zeit davor. Da ich zu Beginn unserer Zeit im Dairy House an der ersten Räumaktion im Garten wegen dringender Reparaturarbeiten im Innenraum nicht teilnehmen konnte, war ich jetzt besonders enthusiastisch. Seit meiner Zeit in Manchester habe ich eine Vorliebe für Abbrucharbeiten, schließlich bin ich auf Baustellen groß geworden. Sie waren die Spielplätze meiner Kindheit, und ich habe stets mit Faszination zugesehen, wie ein Bauwerk entsteht oder abgebrochen wird. Da meine Mädchen lange vor Weihnachten Ferien vom Internat hatten, konnten wir früh mit der Vorbereitungsarbeit beginnen. Meine älteste Tochter war für die Verpflegung zuständig, mein Bruder, der in München wohnt und in englisches Landleben eintauchen wollte, war Wachtmeister und selbst ernannter Sicherheitsoffizier, und die jüngste Tochter und ich bildeten die tatkräftige Abbautruppe und begannen mit den Arbeiten.

Der Schuppen oder die Werkstatt, wie es etwas feiner im Verkaufsprospekt beschrieben war, wurde als Halbfachwerkbau aus diversen Materialen erstellt und hatte eine charmante und rustikale Erscheinung. Die großen Holztüren wurden ausgehängt, eine Hälfte diente als provisorische Tür zur Holzhütte, die andere wurde kleingesägt und als Brennholz beiseite gelegt. Dann stiegen wir, Mutter und Tochter, zum Entsetzen meines Bruders auf das Dach und montierten die Dachziegel ab. Alt und von historischem Wert (sie stammten ursprünglich vom alten Cricketpavillon in South Cadbury) sollten die von Hand gefertigten Ziegel, die noch den Stempel der Ziegelei von Bridgewater trugen, gegen Doppel-Römische Ziegel , die wir für den Neubau brauchten, ausgetauscht werden. Mein Bruder schichtete alles sorgfältig auf und sortierte die guten sowie die beschädigten Ziegel aus. Dadurch wurde er von seinem regelmäßigen »Sei doch vorsichtig«-Schrei abgehalten. Die Dachlatten kamen als nächstes dran, gefolgt vom Dachstuhl, der mit riesigen Schrauben verbunden war. Unter einem blauen Himmel zu arbeiten, tat gut. Ein Balken nach dem anderen wurde abgebaut. Mein Bruder erwies sich als Meister im Sägen und die jüngste Tochter hätte zum Zirkus gehen können, so sicher balancierte sie zwischen und auf den Balken. Mit einem Ausmaß von 5 auf 3 Meter ging die Arbeit schnell voran, und endlich konnten meine vorzeitigen Weihnachtsgeschenke von meinem Vater, ein Brecheisen und ein Stemmhammer, zum Einsatz kommen. Während das Mauerwerk ohne Probleme dank einer genialen Rampe, konstruiert von meinem Bruder (einen Architekten in der Familie zu haben ist immer gut), im Container verschwand, war der Kohlenbunker eine andere Sache. Die mit Naturstein verkleideten dicken Mauern waren aus Beton und hätten einen Bombenangriff überstanden. Hier war richtig destruktive Kraft vonnöten. In einem enormen Kraftakt schaffte es die jüngste Tochter, das Monster zu beseitigen. Es ist erstaunlich, wozu Teenager fähig sind.

Während sich der Container füllte, wurde mir klar, dass mein Plan, über Weihnachten zu arbeiten, an einem wichtigen Punkt scheitern würde. Ich hatte nämlich übersehen, dass England zwischen Heiligabend und Neujahr sozusagen schließt und Container weder abgeholt noch ausgetauscht werden. Der Bauschutt wurde abgefahren, aber es blieb die Frage, wohin mit der großen Menge Erde? Der Grund sollte ausgekoffert werden; über eine Fläche von fast 70 Quadratmeter mussten wir mindestens 80 Zentimeter unter dem Niveau des Küchenbodens abtragen. Zusammen mit dem neuen Bauwerk sollte der vordere Teil des Gartens auch umgestaltet werden: die Sitzmauer sollte um 4 Meter in den Garten geschoben werden. Ein Sitzplatz von ausreichender Größe für einen Tisch und neue Stufen zum seitlichen Garten sollten errichtet werden. Mit etwa 350 Quadratmetern war der Garten nicht so groß, dass zusätzlicher Boden verschenkt werden konnte. Drei Fuhren waren zwar einem Mitglied des Gartenklubs versprochen, der seinen Garten anlegte und den erstklassigen Boden gut gebrauchen konnte, aber wohin mit dem Rest?

Der Retter in der Not kam in Form des »Holzmanns«, der immer unangemeldet, gerade wenn es ihm passte, kurz vor Weihnachten mit einer Ladung Brennholz an der Haustür klopfte. Diesmal hatte er einen Anhänger voll Eschenholz dabei. Fasziniert schaute er unsere Baustelle an, während er das Holz ablud, und erkundigte sich, was als Nächstes dran wäre. Als ich ihm vom Problem mit der Abfuhr des Erdreichs erzählte, erklärte er sich bereit, seinen Anhänger zur Verfügung zu stellen. Wir könnten in Ruhe alles aufladen und ein Anruf genüge, er würde kommen, auch während der Feiertage. Und so ging es los. Mein Bruder in seiner Rolle als Sicherheitskontrolleur betrachtete die kleinen Räder des Anhängers besorgt und berechnete, wie viele vollbeladene Schubkarren, vom Gewicht her, darauf passen würden. Mein Mann war jetzt mit von der Partie (schließlich hatte er dienstfrei), und mit zwei Schubkarren im Einsatz ging alles wie am Fließband. Die Dreiergruppe von Tochter, Bruder und Mann arbeitete fantastisch, eine besser eingespielte und dreckigere Truppe gab es nirgends. Es war enorm, was sie leisteten, solange sie regelmäßig Becher mit Tee bekamen. Stark und schwarz, angereichert mit Milch, war dies der Brennstoff, der die Baustelle vorantrieb. Ich war viel zu langsam und nur gut zum Entladen der Schubkarren im Anhänger, eine Aktion, die Schwung und Genauigkeit verlangte, denn zu schnell rutschte man von der Planke ab. War man zu langsam, ging nichts vorwärts. Acht Anhängerladungen später war auch diese Arbeit getan. Das Haus stand noch, keine Fensterscheibe war zerbrochen, und wir hatten nichts Archäologisches gefunden, keine Knochen, keinen Müll; nur ein Netzwerk von Rohren wurde freigelegt. Im Dorf sprach sich herum, dass wir ein Freibecken bauen würden. Denn nur so konnte man sich die Unmengen von Material, das abtransportiert wurde, erklären. Unsere Lehmgrube wurde auch besichtigt und der Fleiß der Dairy-House-Bautruppe bewundert.

Das Auskoffern war nicht die einzige Arbeit. Das Gartenniveau hinter dem alten Schuppen war nicht nur höher, sondern auch bepflanzt. Hier begann die Prachtrabatte oder Mixed Border, die von einem dick gewachsenen, sehr schönen purpurblättrigen Holunderbaum bestimmt wurde. Die Buchsbaumeinfassung wurde bereits im Herbst an einen Standort am Ende des Gartens als zweite Reihe zur Buchenhecke verpflanzt und auch die Stauden neu verteilt. Ich hatte es geschafft, die Äste des Holunders abzusägen und sogar einige Zweige als Ableger zur Seite zu schaffen. Aber der Stamm und die Wurzeln waren noch fest im Boden verankert. Um alles noch interessanter zu machen, stand der Holunder an der Grenze, direkt am wackligen Zaun. Dieser sollte nach Möglichkeit stehen bleiben, wenigstens bis das Mauerwerk errichtet war, da Lady, die Hündin des Nachbarn, nicht ohne Aufsicht spazieren gehen sollte. Irgendwie, unter lautem Stöhnen und sonstigen bunten Sprüchen (das Thema »ruhiges Arbeiten« hatte ich ganz falsch eingeschätzt), wurde das Wurzelwerk befreit und lag wie ein Krake auf dem Rasen. Der Stamm wurde aufbewahrt und diente jahrelang als Kratzbaum für meinen Kater. Alle waren müde und erleichtert, nach den Feiertagen wieder zur gewohnten Arbeit zurückkehren und den Rest einer Baufirma überlassen zu können.

Mit einer Baustelle vor der Tür war ich in meinem Element. Bevor die Fundamente gesetzt werden konnten, mussten die Netzwerke von Rohren, vor allem die gerade Strecke, die von unserem Gartenwasserhahn in Richtung Nachbar verlief, beseitigt werden. Das Wasser war abgedreht, der Klempner fing an, die Rohre zu zersägen – und wurde von einer Wasserfontäne vollgespritzt. Der Haupthahn wurde überprüft, auch der auf dem Gehweg, erneut alles abgedreht, aber das Wasser floss und füllte die Grube. Nach langem Rätseln kam uns schließlich der Gedanke, dass dies vielleicht ein Überbleibsel aus der Zeit war, als Peacock Cottage und das Dairy House ein Anwesen waren. Schließlich floss auch das Abwasser unter dem Nachbarhaus, die Stromleitung für beide Einheiten kam als Bündel beim Dairy House an, und wir teilten auch einen Teil des Hauses. Über unserer Haustür und dem Flur lagen Teile des Schlafzimmers und das Bad der Nachbarn. Mit diesem »fliegenden Besitz« war es durchaus möglich, dass weitere sonderbare Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden waren. Die Nachbarn waren in der Arbeit, aber zum Glück wurde der Haupthahn vom Peacock Cottage am Bürgersteig gefunden und abgedreht. Auf diese Weise stellten wir fest, dass wir und unsere Vorgänger das Gartenwasser jahrelang geschenkt bekamen.

Mit einer Mauer zum Nachbarn und einer Breite von 2 Metern war der Innenhof ausreichend groß, um ein Gerüst aufzustellen, der Abwasserschacht war auch zugänglich (alle weiteren bis zum Bürgersteig waren verdeckt unter dem Boden des Verbindungsbaus des Nachbarn), und das Regenabflussrohr konnte richtigerweise auf unserer Seite in einem Gully enden. Ein unerwarteter Bonus war, dass ich jetzt die Treppenhausfenster von außen putzen konnte, und noch wichtiger: es gab nun einen Ort, an dem ich meine Kamelien unterbringen konnte. Außer den beeindruckenden ‘St Ewe’ (eine Williams-Züchtung von Caerhays Castle in Cornwall) tun sich die Kamelien bei mir in Süd-Somerset schwer, weder der Boden noch die Luftfeuchtigkeit stimmen. Aber in dem halbschattigen Innenhof finden sie gute Bedingungen vor. Mit knapp 6 Quadratmetern ist der Kamelien-Hof eine Bereicherung. ‘Debbie’, ‘Donation’, ‘St Ewe’ und eine namenlose japanische Kamelie sind wirklich eine Wucht. Auch eine kleine Teepflanze von Tregrehan ist dort untergebracht. Sie alle gedeihen prächtig in ihren Keramiktöpfen und werden täglich der Reihe nach mit den Resten meines Grünen Tees gegossen. Windgeschützt und zum großen Teil frostfrei ist der Hof wie ein dachloser Wintergarten, wo die Kamelien von Januar bis Ende März in unterschiedlichen Pinkfarben und Blütenformen – von einfach bis gefüllt – blühen. So werde ich stets an Cornwall mit seinen wunderschönen Gärten erinnert und habe ein Stück davon direkt bei mir zu Hause.

Souvenirs stehen nicht nur im Hof; die Inspiration für die Fensterläden des Anbaus kommt aus Italien, die Metallscharniere wurden von dort abgeschaut und von einem Schmied in Dorset gefertigt. Die kleinen Halterungen mit den schmückenden Köpfen stammen vom Haushaltsgeschäft Federici in Gargnano am Gardasee. Alles andere wurde aus der Umgebung besorgt, die Eichenholzverkleidung vom Sägewerk aus Stourhead Estate, die Natursteinböden im Flur bestehen aus Great-Tew-Eisenstein aus Oxfordshire, und die Natursteine zum Nachbarn stammen aus dem Steinbruch von Hadspen. Das Resultat ist modern-rustikal. Sind die Fensterläden verschlossen, wirkt das Bauwerk wie eine kleine Scheune mit lang gezogenem Dach. Es war mein Wunsch, ein Dach zu gestalten, das die Fassade schützt und auch einen Überstand anbietet, wo man sich bei schlechtem Wetter aufhalten kann. Die Veranda hat sich ausgezahlt. So kann ich aus dem Studio kurz hinaustreten und Luft schnappen oder mittags einen Kaffee in der windgeschützten, sonnigen Nische genießen.