Am Fluss, dort, wo das letzte Hochwasser einen dicken Baumstamm angetrieben und auf den hellen Ufersand geworfen hatte, trafen sich jeden Abend zwei Freunde.
Jeden Abend taten sie so, als begegneten sie sich nur ganz zufällig.
„Ach, hallo“, sagte die Katze jedes Mal überrascht. „Du bist ja auch hier.“
„Bin gerade auf der Jagd nach einem fetten Wildschwein hier vorbeigekommen“, brummte der schwarze Mops, der sich „Tapferer Einsamer Wolf“ oder kurz „Tapf Eins“ nannte. „Du hast es nicht zufällig gesehen? Es war riesig groß und ist in Panik vor mir geflüchtet.“
„Ich habe es nicht gesehen“, sagte die Katze. „Lass es laufen. Dort vorne unter der alten Weide haben heute Nachmittag Menschen ihr Essen ausgepackt. Schlampig und verschwenderisch, wie sie sind, lassen sie immer etwas liegen.“
„Dumm sind sie“, knurrte der Mops. „Na, es geschieht ihnen ganz recht, wenn ich ihnen jetzt ihr Futter wegfresse.“ Er schlenderte sehr lässig zum Picknickplatz, schob mit der Nase angewidert zerknülltes Papier und schmutzige Folie beiseite und verschlang dann einen Rest Pizza und ein halbes Brötchen. Zuletzt warf er sich einige Kartoffelchips in den Rachen. Plötzlich zuckte er heftig zusammen. Die Augen traten ihm beinahe aus dem Kopf.
„Gift!“, röchelte er. „Sie haben mich heimtückisch vergiftet!“
Seine Schnauze, seine Kehle, alles brannte wie Feuer.
Die Katze sprang zu Tapf Eins hinüber. Der wankte keuchend in Richtung Ufer.
Die Katze beschnupperte die Essensreste.
„Es waren die Chips“, stellte sie fest. „Dass sie gefährlich sind, glaube ich nicht. Sie sind bloß ungenießbar.“
Tapf Eins stellte sich mit allen vieren ins Wasser und soff, wie er noch nie gesoffen hatte.
„Geht es dir besser?“, rief die Katze besorgt vom Ufer her. Für nichts in der Welt wäre sie zu Tapf Eins ins Wasser gestiegen.
Außer, sie hätte ihn vor dem Ertrinken retten müssen.
Tapf Eins ächzte nur und soff weiter. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich umwandte und mit unsicheren Schritten und einem Bauch, in dem es gluckste wie in einem Fass, wieder zum Ufer zurückstapfte.
„Die Menschen sind böse“, grollte er, als er sich neben der Katze niederließ. „Heimtückisch und grausam. Sie legen absichtlich Futter aus, das uns quälen soll.“
„Ich glaube eher, es ist ihnen ganz egal, was sie fressen“, meinte die Katze. „Es ist ihnen ja auch egal, wie sie riechen. Offenbar.“ Sie rümpfte die Nase.
„Böse“, grummelte Tapf Eins. „Sie sind böse.“
„Ich glaube, sie sind einfach sehr, sehr anders als wir“, sagte die Katze. „So anders, dass wir es uns überhaupt nicht vorstellen können.“
„Ich will es mir gar nicht vorstellen“, knurrte Tapf Eins. Er wälzte sich im Sand auf den Rücken. Die Katze wandte sich um und leckte ihm kurz über den Bauch. Der Mops tat so, als hätte er es nicht gemerkt. Einige Minuten lang betrachteten beide das glitzernde Flusswasser, in dem sich Bäume und Himmel verschwommen spiegelten.
„Da ich ja ein Wolf bin, werde ich die Menschen nie verstehen“, murmelte der Mops schließlich. „Und ich will sie auch nicht verstehen.“
Die Katze dachte an ihren gemeinsamen Freund P.F.O.T.E., den fast vollkommenen Hund, der die Menschen besonders gut verstand – vor allem, wenn er sein spezielles geheimes Halsband trug. Dieses Halsband hatten jene Wissenschaftler entwickelt, bei denen P.F.O.T.E. aufgewachsen war. Es übersetzte Hundesprache in Menschensprache und umgekehrt.
Die Wissenschaftler, die ihn gezüchtet hatten, gaben ihm auch seinen Namen: P.F.O.T.E. Das stand nämlich für: Perfekt Funktionierendes Objekt mit Tierischen Eigenschaften.
„Wie es P.F.O.T.E. wohl geht?“, murmelte der Mops, als habe er die Gedanken der Katze gelesen. „Wir haben ihn lange nicht gesehen.“
„Die Tage werden kürzer“, sagte die Katze. „Er darf vielleicht abends nicht mehr aus dem Haus.“
Der Mops schniefte verächtlich. „Ich werde nie verstehen, warum er sich von diesen verachtenswerten, stinkenden Menschen etwas verbieten lässt.“
„Er hat sie eben gern“, meinte die Katze. „Und sie haben ihn auch gern.“
„Pffff“, machte Tapf Eins verächtlich. „Wenn man jemanden gernhat, dann erlaubt man ihm auch abends, seine Freunde zu besuchen.“
Die Katze schwieg. Sie mochte den Mops gerne, und der Mops mochte sie gerne; deswegen trafen sie sich regelmäßig jeden Abend kurz vor Sonnenuntergang rein zufällig an dieser Stelle am Fluss.
„Wir sollten vielleicht mal nach ihm sehen.“ Die Katze gähnte. Sie legte sich hin und lehnte sich dabei gegen den warmen Mopsbauch.
Der Mops rührte sich nicht.
„Meinetwegen“, knurrte er. „Morgen zum Beispiel. Morgen könnte ich es mir zufällig einrichten.“
„Wir entscheiden morgen“, beschloss die Katze. „Abends, wenn es dunkel ist, kann man sich nicht gut entscheiden.“ Sie lauschte auf das Grummeln im Mops-Bauch und starrte in den dunklen Nachthimmel.