BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
E-Book-Produktion:
César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-3630-6
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River Lady
1
Als die Dakota Sun an der Pier festmacht und die Passagiere an Land gehen, da sieht er die schöne Lady zum ersten Mal.
Oh, er wird sich sofort darüber klar, dass sie eine Abenteuerin ist, eine Glücksjägerin, die sich inmitten einer rauen Männerwelt zu behaupten gelernt hat.
Aber sie gehört nicht zu jener Sorte der Tingeltangel-Queens und Edelflittchen. Dies glaubt er instinktmäßig sofort zu erkennen. Sie ist eher eine Art Tigerkatze auf zwei Beinen.
Ihr grünäugiger Blick trifft ihn im Vorübergehen.
Er lächelt ihr zu, und dieses Lächeln ist als eine Art Huldigung an ihre rassige Schönheit gedacht.
Sie lächelt zurück – zwar nur ganz wenig, doch für ihn noch erkennbar. Und ihr Kopf neigt sich leicht, so als würde sie danken. Denn er ist ja kein durchschnittlich wirkender Bursche. Inmitten von hundert Männern würde er auffallen.
Dann blickt er ihr nach. Ein Gepäckträger folgt ihr mit reichlich Gepäck.
Ihr Gang ist leicht und geschmeidig. Sie ist eine jener Frauen, die auch auf unebenem Boden so leicht schreiten können wie auf Parkett.
Wer mag sie sein? Dies fragt sich Jed Quade. Wohin will sie wohl jetzt? Sie kam den Big Muddy herunter. Kam sie aus dem Goldland? Hat sie dort Beute gemacht? Oder unterwegs? Oder hat sie einen reichen Mann? Wenn sie einen Mann hat, dann wird dieser gewiss beachtlich sein, erfolgreich, groß, mächtig. Ja, nur einem besonderen Mann könnte sie gehören – wenn sie überhaupt jemals einem Mann ganz und gar gehören würde.
Aaah, ich sollte sie mir aus dem Kopfe schlagen. Das führt zu nichts. Ich will ins Goldland. Und sie kommt wahrscheinlich von dort. Also werden wir uns niemals wieder begegnen.
Nach diesen Gedanken geht er weiter, um aus der kleinen Pension, in der er hier in Saint Louis wohnte, sein weniges Gepäck zu holen.
Sein Schiff hinauf nach Montana legt in einer knappen Stunde ab.
Auch er bewegt sich leicht. Er ist ein großer indianerhafter Mann mit rauchgrauen Augen und schwarzen Haaren. In seinem Gesicht gibt es ein paar Narben – und nicht nur in seinem Gesicht. Auch in seiner Seele sind solche Narben. Doch sie sind unsichtbar. Zum Glück.
Als er sich eine halbe Stunde später der Landebrücke der River Lady nähert, des Dampfbootes also, mit dem er hinauf nach Norden möchte, da sieht er sie wieder.
Sie hat in der Stadt offenbar nur Einkäufe gemacht. Denn sie trägt einige Päckchen und Tüten. Und sie bewegt sich vor ihm zielstrebig zum gleichen Ziel wie er.
Bei der Landebrücke holt er sie ein.
Er trägt zwei Reisetaschen, aber er klemmt nun eine unter den Arm, sodass er beide auf einer Seite trägt und einen Arm frei hat. Er sagt: »Lady, darf ich Ihnen tragen helfen?«
Sie blickt zur Seite, und er kann ihr ansehen, dass sie ihn wiedererkennt. Nach einer kurzen Sekunde des kritischen Prüfens reicht sie ihm das größte Päckchen. Dann gehen sie gemeinsam an Bord.
An der Gangway steht der Gehilfe des Zahlmeisters und prüft die Tickets, also die Passagescheine.
Er greift vor der schönen Frau an den Mützenschirm und sagt: »Willkommen an Bord, Lady. Wie schön, dass die River Lady wieder an Bord der River Lady ist. Ich werde dem Eigner sofort Meldung machen. Und natürlich bekommen Sie die beste Kabine. Sie kennen sich ja aus, Lady. Jetzt weiß ich auch, wem das Gepäck gehört, das der Junge von der Missouri Sun für eine Mrs. Bancrowt an Bord brachte. Aber wer kennt die berühmte River Lady schon als Mrs. Bancrowt?«
Nach diesen Worten sieht der Mann scharfäugig auf Jed Quade.
»Gehört der Gentleman zu Ihnen, Lady?«
»Nein«, erwidert sie. »Er trägt nur mein Paket.«
Noch einmal wird Jed Quade scharf taxiert. Dann darf er von der Gangway an Bord und bekommt die Kabinennummer dabei gesagt.
Er folgt jener River Lady vom Hauptdeck die Treppe hinauf zum Kabinendeck, und er bewundert die zierlichen Füße und schlanken Fesseln der Frau, als sie ihre Röcke beim Hinaufgehen ein wenig rafft.
Mrs. Bancrowt heißt sie, denkt er dabei. Wie mag wohl ihr Vorname sein? Und sie ist bekannt hier an Bord. Man nennt sie River Lady. Und so heißt auch dieses Dampfboot. Vorhin erst kam sie aus dem Norden zurück. Und jetzt fährt sie schon wieder hinauf den langen Weg. Lebt sie denn nur auf dem Strom? Oh, was ist das für eine Frau?
Sie geht zielbewusst bis zur ersten Luxuskabine, öffnet sie und wendet sich in der Tür, um ihm das Paket abzunehmen. Ihr Blick ist wieder fest und forschend. Sie versteht es gewiss, Männer einzuschätzen.
»Offenbar haben wir den gleichen Weg, Mister«, sagt sie, und ihre Stimme hat ein dunkles, doch sehr melodisches Timbre. Man hört ihr auch die Südstaatlerin an. »Oder fahren Sie nur bis Kansas, Mister? Sind Sie ein Rindermann? Sie haben Lassonarben auf Ihren Handrücken.«
Sie hat eine scharfe Beobachtungsgabe, denkt er. Als sie mir das Paket gab, sah sie meine Handrücken.
Er lächelte. »Mein Name ist Quade, Jedson Quade«, sagt er. »Und ich will ins Goldland, Lady. Ja, ich war früher mal ein Bursche, der das Lasso schwang. Lady, ich freue mich über unsere Bekanntschaft. Sollten Sie hier an Bord männliche Unterstützung oder gar Hilfe brauchen, dann denken Sie an mich.«
Sie lächelt und nickt. »Ja, so reden alle Texaner, wenn sie eine hübsche Frau kennen lernen«, sagt sie.
Er schüttelt den Kopf. »Sie sind nicht hübsch«, widerspricht er. »Sie sind schön, Lady … Nein, auch das stimmt nicht so recht. Denn Schönheit kann oft leer sein. Sie sind die reizvollste Frau, die mir jemals begegnet ist. Und ich freue mich auf diese Fahrt.«
Er greift an die Hutkrempe und verbeugt sich leicht.
Ihre etwas schräg gestellten, grünen Katzenaugen sind nun halb geschlossen. Unter den langen, fast schwarzen Wimpern ist im Moment keinerlei Ausdruck in diesen Augen zu erkennen. Doch ihr voller, vitaler und eigenwillig wirkender Mund lächelt. Ihre Zahnreihen blitzen, und er kann sich vorstellen, dass sie bei Gefahr verwegen und kühn sein kann.
»Ich bin Georgia Bancrowt«, sagt sie. »Und ich denke, wir werden uns in den nächsten Tagen näher kennenlernen.«
Nach diesen Worten wendet sie sich ab und überlässt es Jed Quade, hinter ihr die Kabinentür zu schließen.
Einen Moment verharrt er und denkt: Heiliger Rauch, was wird das für eine Fahrt werden? Ich habe die schönste Frau kennengelernt, die ich jemals sah. Und wir fahren beide den Big Muddy hinauf nach Montana. River Lady nennt man sie. Das ist auch der Name des Schiffes. Aaah, bald werde ich mehr erfahren.
Er wendet sich der Reling zu. Von hier oben hat er einen guten Ausblick über die Stadt und die Uferstraße. Es kommen jetzt noch weitere Passagiere an Bord. Eine Kutsche nach der anderen fährt vor, lädt Menschen und Gepäck aus.
Die River Lady ist ein so genannter »Saloondampfer«, ein Luxusschiff mit eleganten Saloons. Es gibt auf diesem Schiff einen großen Vergnügungssaal mit einer Bühne, und es gibt Spielräume, einen Speisesaal und jeden erdenklichen Luxus. Dieses Schiff ist ein schwimmender Amüsierpalast mit Spiegeln, Plüsch, Kristallleuchtern, Messing, Marmor, Edelholz, Teppichen und Damast.
Auf diesem Schiff fahren kaum irgendwelche Deckspassagiere wie auf Frachtern zum Beispiel. Die River Lady können sich nur wohlhabende Leute leisten.
Und die gibt es offenbar reichlich.
***
Georgia Bancrowt ist keine halbe Stunde allein. Sie hat sich in ihrer Kabine noch gar nicht richtig eingerichtet und ihre Koffer und Reisetaschen ausgepackt, als es klopft und Duke Taggert eintritt.
Er lehnt sich von innen mit dem breiten Rücken gegen die Kabinentür.
Duke Taggert ist ein massiger, löwenhafter Mann, ein gewiss immer noch eisenharter Bursche, der nur zu viel Gewicht hat, weil sein Körper nicht mehr so gefordert wird wie früher, als er noch alles selbst erledigen musste und keine Handlanger für sich arbeiten ließ.
»Hey, Georgia«, sagt er. »Bist du an Bord gekommen, um es noch einmal zu versuchen? Oder möchtest du hier an Bord nur andere Burschen rasieren?«
Sie blickt Taggert fest an.
Dann spricht sie langsam Wort für Wort: »Du hast mir Revanche versprochen. Ich habe dein Wort. Und wenn du deine Selbstachtung nicht verlieren willst, dann wirst du mir diese Revanche geben müssen. Ich habe vor, auf dieser Fahrt mein Schiff zurückzugewinnen.«
Er nickt langsam.
»Das alles kannst du einfacher haben«, murmelt er und hält ihr die offenen Hände hin. »Komm zu mir«, verlangt er. »Ergib dich mir. Lass uns ein Paar sein. Dann schenke ich dir dieses Schiff zur Hälfte. Dann brauchst du nicht noch mal darum zu spielen. Besiege deinen Stolz. Ergib dich mir. Bin ich nicht ein beachtlicher Bursche? Habe ich dir nicht bewiesen, dass es gegen mich kein Gegenankämpfen gibt – es sei denn, man will verlieren? Georgia, was hast du gegen mich? Was passt dir nicht an mir? Ich will dich immer noch. Und sicherlich nahm ich dir dieses Schiff am Spieltisch nur deshalb ab, um …«
»… mich klein zu machen«, unterbricht sie ihn. »Ich sollte aufgeben und mich dir mit Haut und Haaren ergeben. Ich sollte eine Niederlage erleben und mich dir unterwerfen. Doch das schaffst du nicht, Mister! Ich will Revanche.«
Er nickt langsam.
»Vielleicht bist du deshalb für mich so einmalig auf dieser Erde«, murmelt er. »Ich könnte fast alle schönen Frauen haben, die mir begegnen. Besonders jene, die hier auf dem Schiff reisen. Auch die verheirateten. Ja, ich könnte sie alle bekommen, so wie ich es wollte. Doch sie sind nicht wie du. Keine ist so stolz und selbstständig wie du. Na gut, spielen wir also noch einmal um dieses Schiff, das dir dein Mann vererbte. Hast du ihn wenigstens geliebt? Oder kannst du gar nicht lieben? Hast du auch genügend Spielkapital mitgebracht? Was ist, wenn ich es dir einfach wegnehme und dich hier wie eine Gefangene halte, bis du eingebrochen bist oder gezähmt?«
Sie betrachtet ihn aus wieder schmalen Augen.
»Sicher«, sagt sie, »du bist der Boss hier auf diesem Schiff. Du könntest mich unterwegs sogar über Bord werfen lassen. Deine Leute würden jeden deiner Befehle ausführen – jeden! Doch auf was könntest du dann noch stolz sein? Was wärest du dann für ein Wicht? Ich setze darauf, dass dir dein Stolz so wichtig ist, wie mir der meine. Und was meinen Mann betrifft, so sage ich dir, dass ich ihn geliebt habe. Jetzt geh! Wir treffen uns am Spieltisch. Und Spielkapital habe ich auch genug. Ich kam mit der Dakota Sun den Strom herunter. Das Schiff war voller Goldgräber und reicher Minenbesitzer. Ich hatte gute Einnahmen am Spieltisch. Es wird reichen für das Spiel mit dir.«
Er starrt sie an.
Und er erinnert sich, wie er ihr damals das Schiff abgewann, um sie kleinzubekommen. Das ist jetzt fast zwei Jahre her.
Und sie scheint seitdem noch schöner geworden zu sein, reifer und auch erfahrener als Frau. Jetzt, da er sie in Reichweite hat, möchte er sie greifen. Er hat sie noch nicht vergessen können.
Und jetzt ist sein Wunsch, sie zu besitzen, wieder so stark und mächtig wie damals.
Aber vielleicht kann er sie diesmal am Spieltisch endgültig zerbrechen.
Wortlos verlässt er die Kabine.
Ja, es wird ein Zweikampf werden zwischen ihr und ihm.
Wenn sie an Bord gekommen ist, um ihm das Schiff wieder abzugewinnen, dann wird sie sich auch eine Chance dazu ausgerechnet haben.
***
Indes macht Jed Quade die erste Runde durch das Schiff. Es hat noch nicht abgelegt, doch das Dampfhorn tutete zum letzten Male. Unten im Bauch des Schiffes summen die Dampfkessel der beiden Maschinen. Und bald wird man die Leinen loswerfen, beginnt das mächtige Schaufelrad am Heck sich zu drehen.
Die River Lady wird sich in den Strom schieben und bald mit einer Geschwindigkeit von etwa sechs Meilen die Stunde gegen die Strömung ankämpfen.
Als Jed Quade nach etwa einer halben Stunde dann den Speisesaal betritt und einen kleinen Imbiss einnimmt, da weiß er Bescheid.
Das Schiff ist voller Passagiere, denen es auf ein paar hundert Dollar mehr oder weniger nicht ankommt. Und die Besatzung besteht aus harten Burschen, denen man gewiss mit viel Mühe einigermaßen gute Umgangsformen beigebracht hat.
Dieses Schiff ist eine schwimmende Amüsier- und Tingeltangelhalle der Luxusklasse. Den Passagieren wird hier etwas geboten. Doch sie müssen dafür zahlen. Und einen großen Gewinn wird hier sicherlich kaum jemand aus dem Spielsaloon forttragen können.
Er denkt immer wieder an die schöne Georgia Bancrowt.
Und er glaubt jetzt schon, dass er sie sicherlich als Glücksspielerin zu sehen bekommen wird. Vielleicht schon in der kommenden Nacht.
Oder wird sie erst mal ausschlafen?
Denn sie kam ja wohl mit reicher »Beute« aus dem Norden zurück. Das kostete Nerven. Ja, wahrscheinlich wird sie sich erst einmal ausschlafen.
Das Schiff legt nun ab.
Alle Passagiere begeben sich an Deck und an die der Landseite zugewandten Reling. Es ist später Nachmittag. An Land winken ein paar Leute.
Die River Lady schiebt sich in den Strom.
Und dann beginnt sich das mächtige Schaufelrad schneller zu drehen.
2
In der ersten Nacht wartet er vergeblich auf die schöne Georgia. Er vertreibt sich die Zeit im Vergnügungssaal, wo es auf der Bühne fortwährend Darbietungen gibt und eine gute Kapelle spielt, zwar nur vier Mann stark, doch aus Musikern bestehend, von denen jeder auch ein Solist sein könnte.
Er sitzt mit einem Bankier-Ehepaar am Tisch und einem Makler, der nach Kansas City will, um das Transportproblem der Büffelhäute zu lösen. Hunderttausende stinkender Büffelhäute sollen nach New Orleans gebracht werden, wo die großen Seeschiffe warten. Die Schwester dieses Maklers tanzt einige Male mit ihm und macht dabei das Angebot, sie doch nach Mitternacht in ihrer Kabine zu besuchen, wenn er sich in den Nächten so einsam und allein fühlen sollte wie sie.
Oh, er wundert sich nicht über dieses Angebot, denn er weiß längst, dass diese Welt durch den Krieg sehr viel unmoralischer wurde und gewisse Kreise jetzt für sich Dinge in Anspruch nehmen, die sie den so genannten einfachen Leuten niemals zubilligen würden.
Er bedankt sich für das Angebot.
Und wenig später wandert er in den Spielsaloon hinüber und gewinnt in dieser ersten Nacht, einhundertsiebenundzwanzig Dollar beim Roulette und Faro.
In der zweiten Nacht dann sieht er die schöne Georgia.
Es ist schon spät, etwa zwei Stunden vor Mitternacht.
Und sie sitzt an einem für bevorzugte Passagiere bestimmten Pokertisch und spielt mit fünf Gentlemen, die vielleicht gar keine Gentlemen sind, sondern sich nur das Aussehen und Gehabe solcher Leute geben.
Oha, da sitzen sie in eleganten Anzügen und gefältelten Rüschenhemden, lassen Brillanten an den Fingern und den Seidenkrawatten blinken.
Aber es sind hartgesottene Spieler, in deren Pokergesichtern nichts zu erkennen ist, gar nichts.
Die River Lady wirkt in dieser Runde wie eine wunderschöne Fee zwischen eisenharten Nussknackern.
Und dennoch scheint sie sich in dieser Runde prächtig zu behaupten.
Denn die Chips vor ihr nehmen nicht ab, sondern stapeln sich zu hohen Türmchen. Jed Quade beobachtet die Pokerrunde die ganze Nacht bis zum frühen Morgen.
Und dann weiß er: Georgia Bancrowt ist eine erfahrene, hartgesottene Glücksspielerin, sozusagen ein weiblicher Kartenhai, der sich in jeder Pokerrunde behaupten kann. Und einer der Spieler fällt ihm besonders auf. Es ist ein löwenhaft wirkender Mann, dem das Spiel offenbar Spaß bereitet.
Denn er ist der einzige Spieler, der dann und wann zwischen seinem gelben Bart blinkend grinst und dessen gelbe Augen dann funkeln wie helle Flammen.
Als er einen der Stewards fragt, wer der Mann ist, bekommt er zur Antwort: »Das ist der Schiffseigner Duke Taggert, Sir.«
Jed Quade nimmt sich in diesem Moment vor, dass er bald zu dieser Pokerrunde gehören wird. Und irgendwie spürt er schon jetzt instinktiv, dass Georgia Bancrowt und dieser Duke Taggert ein ganz persönliches Duell austragen. Er wittert es irgendwie, wenn er Taggert blinkend grinsen sieht und wenn er hinter Georgias schönem Gesicht eine unversöhnliche Härte zu erkennen glaubt. Nein, »erkennen« ist zu viel gesagt. Es ist mehr ein instinktives Spüren.
Er gewinnt in dieser Nacht genau zweihundertzweiundzwanzig Dollar am Würfeltisch, und dies ist eine so genannte »Schnapszahl«. In Gedanken grinst er darüber. Seine Reise hat er also schon in den beiden ersten Nächten mehr als verdient. Er darf nur nicht verlieren.
Das aber wird auf diesem Dampfboot ziemlich schwer sein.
Denn hier wird hart gespielt. Hier gibt es keine Gnade. Die Leute, die auf diesem Schiff fahren, um sich die Nächte mit Glücksspiel zu vertreiben, die sind allesamt erfahrene und hartgesottene Spieler.
Er wird also auf sich achten müssen wie in einem Dschungel voller Raubtiere und giftiger Vipern. Doch das hat er gelernt. Bisher konnte er sich noch bei jedem Spiel behaupten, bei jedem – wenn es sein musste auch mit dem Colt. Er trägt seine Waffe in einem Schulterholster. Es ist ein kurzläufiges Ding, das man wegen des kurzen Laufs sehr schnell freibekommt.
Einen vierundvierziger Walker-Colt hat er mitsamt Holster in seinem Gepäck.
Wieder denkt er darüber nach, wie es sein wird, wenn er zu dem Kreis der Spieler gehören sollte, der mit Georgia Bancrowt am Tisch sitzt.
Wird sein Spielkapital ausreichen, um sich in dieser Pokerrunde behaupten zu können?
Das ist die Frage.
Er tritt hinaus aufs Deck. Er befindet sich auf der Steuerbordseite und blickt zum Ostufer des Stromes. Die Nacht ist recht hell. Mond und Sterne leuchten. Und das Schiff kämpft sich stetig gegen die Strömung stromauf. Aus den beiden Schornsteinen fliegen Funken. Das mächtige Schaufelrad am Heck erzeugt ein fortwährendes, rhythmisch wummerndes Geräusch. Und das ganze Schiff vibriert und zittert wie ein riesiger Körper. Der Nachtwind ist kühl, aber er tut gut, macht den Kopf klar. Er saugt einige Male tief die Luft in seine Lungen und bewegt sich einige Schritte nach vorn.
Als Jed Quade sich eine Zigarre anstecken will, tritt er in den schützenden Winkel eines Niederganges – also einer Treppe, die vom Sturmdeck aufs Kabinendeck niederführt.
In diesem Moment wird die Tür neben ihm aufgestoßen. Es ist eine noble Mahagonitür mit viel Messingzier, und sie trifft ihn fast.
Drei Männer stürzen heraus, und er wird sich darüber klar, dass es keine Betrunkenen sind, sondern dass offensichtlich ein Kampf stattfindet. Einer der drei Männer wehrt sich verzweifelt gegen die beiden anderen. Doch die bekommen nun schnell die Oberhand. Und wie sie den dritten Mann kleinmachen, das verrät Routine, wie man sie nur als Preiskämpfer, Rauswerfer oder Schläger erlangt.
Jed Quade verhält sich bewegungslos in dem dunklen Winkel unter dem Niedergang und im Schutz der offenen Tür. Nein, er mischt sich nicht ein. Denn eines hat er begriffen: Die beiden Schläger gehören zur Besatzung. Und wenn er sich mit ihnen anlegt, dann bekäme er jede Menge Verdruss.
Überdies geht jetzt alles sehr schnell.
Die beiden massigen und schwergewichtigen Burschen leeren dem nun kampfunfähigen Manne die Taschen. Dann packen sie ihn und heben ihn hoch. Aber sie tragen ihn nicht fort – nein, sie werfen ihn mit einem Schwung über Bord, der Jed Quade verrät, dass sie es nicht zum ersten Mal tun.
Dann wenden sie sich zur offenen Tür, verschwinden darin, und der hintere Mann zieht die Tür hinter sich zu.
Jed Quade tritt an die Reling und beugt sich weit über Bord.
Doch er kann natürlich nichts sehen im Fluss – nur die weißen Schaumkronen, die das von den Radschaufeln aufgewirbelte Wasser hinter dem Schiff tanzen lässt.
Was er soeben sah, macht ihm klar, dass er sich auf einem Schiff hartgesottener Burschen befindet. Der Mann, den sie über Bord warfen, war vielleicht ein Falschspieler. In diesem Fall gibt es hier keine Gnade. Oder es handelte sich um einen Kabinendieb. Vielleicht aber war der Bursche auch jemandem auf der Fährte, um eine Rache zu vollziehen.
Aaah, es gibt noch andere Möglichkeiten.
Nur eines ist sicher: Jed Quade tut gut daran, sich nicht einzumischen. Denn er wäre verdammt allein hier an Bord der Hartgesottenen. Gegen ihre Übermacht hätte er keine Chance. Und er ist kein edler Ritter, der die Welt verbessern möchte.
Er wandert weiter auf dem Kabinendeck, umrundet es halb und blickt nun auf Backbordseite zum Westufer hinüber. Ein paar kleine Lichter blinzeln von dort über den Strom. Er denkt: Wenn der Mann schwimmen kann, wird er das Ufer erreichen und die paar Meilen zu jenem Ort dort drüben zu Fuß gehen können.
Er bewegt sich weiter, raucht die Zigarre zu Ende und wirft den Stummel über Bord. Er hat nun das Kabinendeck umrundet und verharrt vor dem Eingang zu jener Luxuskabine, in die er vor zwei Tagen Georgia Bancrowt einziehen sah.
Ob sie schon in der Kabine ist? Dies fragt er sich. Durch die Ritzen der Fensterläden schimmert Licht. Weit im Osten aber verblassen die Sterne. Die strahlende Nacht verwandelt sich in farbloses Grau.
Er beschließt, in seine kleine Einzelkabine zu gehen und zu schlafen.
Aber als er sich zum Gehen wenden will, da öffnet sich die Tür der Luxuskabine. Georgia tritt heraus. Sie hat sich einen warmen Mantel übergehängt, dessen Kragen sie unter dem Kinn zusammenhält.
Sie erkennt Jed Quade fast sofort, denn sie verhält nur kurz und tritt dann zu ihm an die Reling.