Hundegebell zerreißt die Stille. Die Mutter hebt den Blick vom Spülbecken und schaut aus dem Fenster. Der Hund knurrt aus tiefster Kehle. Sein schwarzer muskulöser Körper zittert vor Aufregung.
Jetzt sieht sie ihren Sohn. Er steigt aus seinem roten Golf und läßt eine blaue Tasche auf den Boden fallen. Er schaut verstohlen zum Fenster hinüber. Dahinter kann er die Umrisse seiner Mutter ahnen. Er geht zu dem Hund und bindet ihn los. Das Tier springt an ihm hoch. Sie gehen zu Boden, der Sand stiebt auf. Der Hund knurrt, der Sohn ruft ihm liebevolle Schimpfwörter ins Ohr. Ab und zu schreit er auf und schlägt dem Rottweiler hart auf die Schnauze. Dann endlich liegt der Hund still. Der junge Mann erhebt sich langsam. Wischt sich Staub und Schmutz von der Hose. Schaut wieder zum Fenster hinüber. Zögernd kommt der Hund auf die Beine und steht mit gesenktem Kopf vor seinem Herrn. Dem darf er jetzt endlich unterwürfig die Mundwinkel lecken. Danach geht der Sohn ins Haus und in die Küche.
»Herr Jesus, wie siehst du denn aus!«
Die Mutter starrt das blaue T-Shirt an. Es ist blutbefleckt. Die Hände des Jungen sind von Schrammen übersät. Und das Gesicht hat der Hund ihm auch zerkratzt.
»Du meine Güte«, schnaubt die Mutter gereizt. »Stell die Tasche in die Ecke. Ich will später noch waschen.«
Er verschränkt die zerschundenen Arme. Sie sind so kräftig wie überhaupt der ganze Mann. Fast hundert Kilo und kein Gramm Fett. Er hat seine Muskeln eben erst benutzt, und sie sind heiß.
»Reg dich ab«, sagt er rasch. »Das mach ich schon selber.«
Sie traut ihren Ohren nicht. Er will seine Sachen selber waschen?
»Wo warst du eigentlich?« fragt sie dann. »Das Training kann doch unmöglich von sechs bis elf dauern?«
Der Sohn kehrt ihr den Rücken zu und murmelt vor sich hin.
»Hab Ulla begleitet. Zum Babysitten.«
Sie schaut auf seinen breiten Rücken. Er hat seinen blonden Haaren einen Bürstenschnitt verpaßt. Hier und da leuchten einige rote Strähnen auf. Er scheint in Flammen zu stehen. Jetzt läuft er die Kellertreppe hinunter. Sie hört, wie er die alte Waschmaschine anstellt. Sie läßt das Wasser aus dem Spülbecken laufen und blickt auf den Hof. Der Hund hat jetzt den Kopf auf die Pfoten gelegt. Der letzte Rest Licht verschwindet. Der Sohn kommt wieder nach oben und will duschen.
»Duschen, jetzt? Du kommst doch gerade vom Training.«
Er sagt nichts. Später hört sie seine Stimme aus dem Bad, sie hallt hohl von den Fliesenwänden wider, schrill vor jugendlicher Verzweiflung. Er singt. Und knallt mit der Tür des Medizinschränkchens. Vermutlich sucht er Pflaster, der dumme Junge.
Die Mutter lächelt. Diese Heftigkeit ist nur gut und richtig. Er ist schließlich ein Mann. Und später wird sie sich an diese immer wieder erinnern.
An den letzten Augenblick, in dem das Leben noch gut war.
Alles fing mit Gunder Jomann an. Gunder fuhr den weiten Weg nach Indien, um sich eine Frau zu suchen. Allerdings nannte er nicht diesen Grund, wenn er gefragt wurde. Er gestand ihn kaum sich selber ein. Er wolle einfach ein wenig von der Welt sehen, erklärte er auf die Fragen seiner Kollegen. Was für eine unglaubliche Ausschweifung! Wo er doch sonst kein Aufhebens von sich machte. Ging selten aus, tauchte nie bei den Weihnachtsfeiern auf, pusselte immer im Haus, im Garten oder am Auto herum. Eine Frau hatte er auch nie gehabt, jedenfalls war nichts darüber bekannt. Gunder interessierte sich nicht für Klatsch. Er war im Grunde ein zielstrebiger Mann. Zwar etwas langsam, erreichte er aber immer sein Ziel, ganz still und leise. Er ließ sich eben Zeit. Mit seinen einundfünfzig Jahren blätterte er jeden Abend in einem Buch, das seine jüngere Schwester Marie ihm geschenkt hatte. »Die Völker dieser Erde«. Weil er nicht viel herumkam, und höchstens zu seinem Arbeitsplatz fuhr, einer kleinen und soliden Firma, die Landmaschinen verkaufte, sorgte sie dafür, daß er zumindest Bilder von der fernen Welt sehen konnte. Gunder las und blätterte. Er war vor allem von Indien fasziniert. Von den schönen Frauen mit dem roten Punkt auf der Stirn. Ihren geschminkten Augen, ihrem verschmitzten Lächeln. Eine schaute ihn aus dem Buch her an, und sofort verlor er sich in süßen Träumen. Keiner konnte so träumen wie Gunder. Er schloß einfach die Augen und ließ sich davontragen. Die Frau sah in ihrem roten Sari so leicht aus wie eine Feder. Ihre Augen waren so tief und dunkel wie schwarzes Glas. Ihr Haar war unter einem golddurchwirkten Schal versteckt. Und Gunder wußte, daß er eine Inderin wollte. Nicht, weil er sich eine fügsame und unterwürfige Frau wünschte, sondern, weil er eine Frau suchte, die er auf Händen tragen konnte. Norwegerinnen wollten das nicht. Eigentlich hatte er sie nie verstanden, er begriff einfach nicht, was sie wollten. Denn er hatte doch alles zu bieten, fand er. Er hatte Haus und Garten und Auto und Arbeit und eine komplett eingerichtete Küche. Sein Badezimmer hatte Fußbodenheizung, sein Wohnzimmer Fernseher und Video. Er hatte Waschmaschine und Trockner, Spülmaschine und Mikrowelle, guten Willen und Geld auf der Bank. Gunder wußte natürlich, daß es auch andere, eher abstrakte Faktoren gibt, die über das Glück in der Liebe entscheiden, dumm war er schließlich nicht. Aber dieses Wissen half ihm nicht, es ging ja schließlich um Dinge, die nicht gelernt oder gekauft werden konnten. Deine Zeit kommt auch noch, hatte seine Mutter immer gesagt, als sie in ihrem großen Krankenhausbett langsam gestorben war. Seinen Vater hatte er schon längst verloren. Gunder war mit zwei Frauen aufgewachsen, mit seiner Mutter und seiner Schwester Marie. Mit siebzig Jahren war im Gehirn der Mutter eine Geschwulst entdeckt worden, und die alte Frau war oft über lange Zeit hinweg nicht sie selber gewesen. Gunder hatte dann geduldig auf die Mutter gewartet, die er kannte und liebte. Deine Zeit kommt auch noch. Du bist ein lieber Junge, Gunder. Eines schönen Tages läuft auch dir die Richtige über den Weg.
Aber über seinen Weg lief rein gar nichts. Und deshalb entschied er sich für die Reise nach Indien. Er wußte, daß Indien ein armes Land war. Vielleicht gab es dort eine Frau, die sein Angebot, ihn nach Norwegen zu begleiten, in sein schönes Haus, einfach nicht ablehnen konnte. Ihre Familie könnte dann auf seine Kosten zu Besuch kommen, wenn sie das wünschten. Er wollte niemanden voneinander trennen. Und wenn sie irgendeine komplizierte Religion hatte, würde er sie ganz bestimmt nicht daran hindern, deren Rituale zu befolgen. Er würde eine Engelsgeduld an den Tag legen. Wenn er nur eine Frau bekäme!
Es gab auch andere Lösungen. Aber er traute sich nicht, sich zusammen mit fremden Männern in einen Bus nach Polen zu setzen. Und er wollte auch kein Flugzeug nach Thailand nehmen. Über das, was dort passierte, waren zu viele Gerüchte im Umlauf. Er wollte seine Frau ganz allein finden. Alles sollte dabei auf ihn ankommen. Die Vorstellung, in Katalogen mit Bildern und Beschreibungen der unterschiedlichsten Frauen zu blättern oder in einen Fernseher zu glotzen, in dem sie sich der Reihe nach anboten, war für Gunder einfach unmöglich. Dabei würde er sich niemals entscheiden können.
Das Licht der Leselampe wärmte seinen fast kahlen Schädel. Im Weltatlas fand er Indien und die größten Städte. Madras, Bombay, Neu-Delhi. Am liebsten wäre ihm eine Stadt am Meer gewesen. Viele Inder sprachen Englisch, das fand er beruhigend. Einige waren sogar Christen, wie Gunder in »Die Völker dieser Erde« las. Es wäre wirklich das allergrößte Glück, eine Christin zu finden, die dazu noch Englisch sprach. Ob sie zwanzig oder fünfzig wäre, würde keine Rolle spielen. Mit Kindern rechnete er nicht, er war nicht anspruchsvoll, aber wenn sie eines hätte, wäre das auch kein Problem. Vielleicht würde er sie ja kaufen müssen. In anderen Ländern konnten ganz andere Sitten herrschen als in Norwegen, und wenn es etwas kostete, dann würde er auch bezahlen. Seine Mutter hatte durchaus einiges hinterlassen. Aber zuerst brauchte er ein Reisebüro. Er hatte vier zur Auswahl. Das eine lag im Einkaufszentrum und bestand lediglich aus einem Tresen, auf dem Kataloge auslagen, in denen die Kundschaft im Stehen blätterte. Gunder aber wollte sitzen. Für ihn ging es schließlich um eine wichtige Entscheidung, die nicht übers Knie gebrochen werden durfte. Er mußte sich für eines der drei Reisebüros in der Stadt entscheiden. Er schlug das Telefonbuch auf. Dann fiel ihm ein, daß Marie ihm einmal einen Reisekatalog vorgelegt hatte, um ihn in Versuchung zu führen. Ja, die Marie, dachte er und suchte im Inhaltsverzeichnis unter I. Ialyssos, Ibiza, Irland. Hatten die denn keine Reisen nach Indien? Er fand Bali im indonesischen Archipel, aber da wollte er nicht hin. Für ihn hieß es, Indien oder gar nichts. Er könnte auch einfach beim Flughafen anrufen und einen Flug buchen. Er würde schon zurechtkommen, das hatte er ein Leben lang geschafft, und in einer Großstadt waren die Menschen an Reisende gewöhnt. Aber es war schon Abend und zu spät für einen solchen Anruf. Also blätterte er noch einmal in »Die Völker dieser Erde«. Lange starrte er die indische Schönheit an. Daß eine Frau so wunderbar schön sein konnte, so golden und glatt, so zauberhaft zart. Mit einer schmächtigen Hand hielt sie ihren Schal unter dem Kinn zusammen. Ihr Handgelenk zierten viele Armreifen. Ihre Iris war fast schwarz, und darin flackerte ein Blitz auf, vielleicht kam der von der Sonne. Und die Frau starrte Gunder an. Schaute in seine sehnsuchtsvollen Augen. Die waren groß und blau, und jetzt schloß er sie. Sie begleitete ihn in seinen Traum. Er schlief im Sessel ein und ließ sich mit der goldenen Schönheit davontragen. Sie wog nichts. Ihr blutroter Sari wehte sanft vor seinem Gesicht.
Er beschloß, vom Büro aus anzurufen, in der Mittagspause. Von dem leerstehenden Büroraum aus, der nur selten benutzt wurde. Der zum Lager ernannt worden war. An den Wänden waren Kartons voller Ordner und Papiere aufgestapelt. Ein buntes Plakat an der Wand zeigte einen braungebrannten Mann, der auf einem Feld auf seinem Traktor saß. Dieses Feld war so groß, daß es wie das Meer im hellen Blau des Horizonts verschwand. Ohne Bauern bleibt Norwegen stehen, stand auf dem Plakat. Gunder wählte die Nummer. »Wenn Sie ins Ausland wollen, drücken Sie die Zwei«, sagte die Tonbandstimme. Er drückte die Zwei und wartete. Eine neue Stimme meldete sich zu Wort. »Sie stehen auf Warteplatz neunzehn. Bitte warten Sie.« Diese Mitteilung wurde viele Male wiederholt. Er kritzelte auf seinem Schreibblock herum. Versuchte es mit einem indischen Drachen. Durch das Fenster sah er, daß ein Auto angefahren kam. »Sie stehen auf Warteplatz sechzehn, zehn, acht.« Er hatte das Gefühl, auf eine wichtige Entscheidung zuzustürzen. Sein Herz schlug schneller, und er strichelte energischer an seinem mißlungenen Drachen herum. Plötzlich sah er, wie Bauer Svarstad aus seinem schwarzen Ford stieg. Svarstad war ein Stammkunde und wollte immer von Gunder bedient werden, außerdem mochte er nicht warten. Es eilte also. Jetzt strömte Musik aus dem Hörer und eine Stimme verkündete, daß er gleich »zum nächsten Sachbearbeiter oder zur nächsten Sachbearbeiterin« durchgestellt werden würde. Doch in diesem Moment platzte Bjørnsson ins Zimmer, einer der jungen Kollegen.
»Svarstad«, sagte er, »fragt nach dir. Wieso sitzt du eigentlich hier«, fügte er hinzu. Mißtrauisch.
»Bin gleich fertig. Mach solang Konversation mit ihm. Ist doch schönes Wetter.« Er lauschte in den Hörer. Eine Frauenstimme meldete sich.
»Der zeigt mir doch bloß den Arsch und furzt mir in die Visage«, sagte Bjørnsson. Gunder machte eine abweisende Handbewegung. Endlich begriff Bjørnsson und verschwand. Svarstads unzufriedenes Gesicht erschien am Fenster. Sein kurzer Blick auf die Uhr bedeutete, daß er nicht endlos warten wollte, und daß es ihm überhaupt nicht paßte, daß die Angestellten dieser Firma in diesem Moment nicht nach seiner Pfeife tanzten.
»Also, es ist so«, sagte Gunder. »Ich möchte nach Bombay. In Indien. In vierzehn Tagen.«
»Wollen Sie von Gardermoen aus fliegen?« fragte die Stimme.
»Ja. Am Freitag in zwei Wochen.«
Er hörte, wie ihre Finger über eine Tastatur jagten und staunte darüber, wie schnell das ging.
»Dann nehmen Sie die Maschine um zehn Uhr fünfzehn nach Frankfurt am Main«, sagte sie. »Von Frankfurt geht es dann um dreizehn Uhr zehn weiter. Sie landen um null Uhr vierzig Ortszeit.«
»Ortszeit«, wiederholte Gunder verwundert. Die ganze Zeit machte er sich in rasendem Tempo Notizen.
»Der Zeitunterschied beträgt drei Stunden und dreißig Minuten«, erklärte die Frau.
»Ach so. Ja, dann möchte ich buchen. Was kostet das?«
»Hin und zurück?«
Er zögerte kurz. Und wenn sie nun zu zweit zurückflögen? Das hoffte, davon träumte, danach sehnte er sich doch.
»Kann ich später noch umbuchen?«
»Aber natürlich.«
»Dann nehme ich hin und zurück.«
»Das kostet sechstausendneunhundert Kronen. Sie können das Ticket am Flughafen abholen, wir können es Ihnen aber auch zuschicken. Was ist Ihnen lieber?«
»Schicken«, sagte er sofort. Und nannte Namen und Adresse. Blindveien 2.
»Noch eine Kleinigkeit«, sagte die Frau plötzlich. »Die Stadt heißt nicht mehr Bombay.«
»Nicht?« fragte Gunder verwundert.
»Sie heißt Mumbai. Seit 1995.«
»Das werde ich mir merken«, sagte Gunder ernst.
»Ich wünsche Ihnen einen guten Flug.«
Er legte auf. Svarstad riß die Bürotür auf und starrte ihn wütend an. Er brauchte einen Mähdrescher und hatte offenbar vor, Gunder nach besten Kräften zu schikanieren. Vor lauter Kaufdrang war er knallrot angelaufen. Er klammerte sich so energisch an den väterlichen Hof, daß seine Fingernägel schon ganz abgenutzt waren, und niemand wagte es, zusammen mit Svarstad in neue Geräte zu investieren. Es war einfach unmöglich, mit ihm zusammenzuarbeiten.
»Herr Svarstad«, sagte Gunder und sprang auf. Seine Wangen waren vor Aufregung gerötet. »Dann ans Werk.«
In dieser ganzen Zeit war Gunder nicht er selber. Er war zerstreut und hochkonzentriert zugleich. Nachts fand er kaum Ruhe. Er dachte an die lange Reise und an alles, was ihm vielleicht bevorstand. Unter den zwölf Millionen Menschen in Bombay, nein, in Mumbai, wie er sich korrigierte, mußte es doch eine Frau für ihn geben. Sie lebte dort unten und wußte von nichts. Er beschloß, ein kleines Geschenk für sie zu kaufen. Etwas aus Norwegen, was sie noch nie gesehen hatte. Ein silbernes Schmuckstück, vielleicht, für ihren roten Sari. Oder für ihren blauen oder grünen. Auf jeden Fall ein silbernes Schmuckstück. Es sollte nicht groß und protzig sein, sondern klein und praktisch. Um den Schal zusammenzuhalten, wenn sie einen trug. Aber vielleicht zog sie ja Hosen und Pullover vor, er hatte doch keine Ahnung. Er malte sich das alles mit gewaltiger Energie aus und war dabei hellwach. Ob sie einen roten Punkt auf der Stirn trug? In Gedanken tippte er den mit dem Finger an, in Gedanken lächelte sie daraufhin verlegen. Very nice, sagte Gunder in die Dunkelheit hinein. Er würde sein Englisch ein wenig aufpolieren müssen. Thank you very much. See you later. Ein wenig konnte er immerhin.
Svarstad hatte sich fast schon entschlossen. Er wollte einen Dominator von Claas, einen 58 S. Gunder riet zu.
»Nur das Beste ist gut genug«, lächelte er, bis zum Rand erfüllt von seinem indischen Geheimnis. »Sechszylindriger Perkinsmotor mit hundert PS. Dreistufige mechanische Gangschaltung mit hydraulischem Geschwindigkeitsregler. Ährenheber von drei Meter sechzig.«
»Und der Preis?« fragte Svarstad düster, obwohl er sehr gut wußte, daß das Wunder fünfhundertsiebzigtausend Kronen kostete. Gunder überkreuzte die Arme vor der Brust. »Sie brauchen auch einen neuen Binder. Schlagen Sie doch einmal richtig zu, und nehmen Sie einen Quadrant. Sie haben doch viel zu wenig Lagerfläche.«
»Ich brauche runde Ballen«, sagte Svarstad. »Kann nicht mit Heuklötzen arbeiten.«
»Das ist reine Gewohnheitssache«, widersprach Gunder gelassen. »Wenn Sie die richtigen Geräte haben, können Sie Ihre Aushilfen reduzieren. Diese Polen kosten doch sicher auch Geld? Mit einem neuen Dominator und einem neuen Binder können Sie das alles selbermachen. Und dann erzielen Sie auch einen tadellosen Preis. Das müssen Sie doch zugeben.«
Svarstad kaute auf einem Strohhalm herum. In seiner wettergegerbten Stirn klaffte eine tiefe Furche, und der Schmerz in seinen tiefliegenden Augen machte langsam einem leuchtenden Traum Platz. Kaum ein anderer Verkäufer hätte den Versuch gewagt, einem Mann, der sich kaum einen Mähdrescher leisten konnte, eine weitere Maschine aufzuschwatzen. Gunder wagte es, und in der Regel glückte der Versuch.
»Die beste Investition«, sagte er. »Sie sind noch jung. Warum wollen Sie sich mit dem Zweitbesten zufriedengeben? Sie arbeiten sich doch kaputt. Lassen Sie den Quadrant viereckige Ballen binden, die sind leicht zu stapeln und brauchen nicht viel Platz. Bisher hat sich hier in der Gegend noch niemand an Klötze gewagt. Aber bald werden sie bei Ihnen angekrochen kommen, um zuzusehen.«
Diese Bemerkung traf voll ins Schwarze. Svarstad gefiel die Vorstellung, daß eine kleine Schar von neugierigen Nachbarn auf seinem Hof herumwanderte. Aber er mußte zuerst noch telefonieren. Gunder führte ihn in das leerstehende Büro. Er selber setzte den Vertrag auf, der Verkauf war im Grunde ja unter Dach und Fach. Etwas Besseres hätte ihm gar nicht passieren können. Ein guter Abschluß vor dieser langen Reise. Er würde sich mit gutem Gewissen ins Flugzeug setzen können.
Svarstad kam wieder zum Vorschein. »Grünes Licht von der Bank«, sagte er kurz. Er war hummerrot, und unter seinen buschigen Augenbrauen funkelte es.
»Hervorragend«, sagte Gunder.
Nach der Arbeit suchte Gunder in der Stadt sofort einen Juwelier auf. Er suchte den Glastresen ab, doch dort gab es nur Ringe. Er bat um Trachtensilber, und die Verkäuferin wollte wissen, für welche Tracht. Gunder zuckte mit den Schultern.
»Ach, für irgendeine. Ich brauch doch bloß ein Schmuckstück. Es soll ein Geschenk sein. Aber die Dame hat keine Tracht.«
»Diese Schmuckstücke werden aber nur zu Trachten getragen«, verkündete die Verkäuferin im Lehrerinnenton.
»Aber es muß etwas aus Norwegen sein«, sagte Gunder. »Etwas echt Norwegisches.«
»Für eine ausländische Dame?« fragte die Verkäuferin.
»Ja. Ich dachte, sie könnte es zur landesüblichen Kleidung tragen.«
»Und was ist das für eine Kleidung?« fragte die Verkäuferin mit wachsender Neugier.
»Indischer Sari«, erklärte Gunder wichtig.
Hinter dem Tresen wurde es ganz still. Die Verkäuferin schien mit sich selber um eine Entscheidung zu ringen. Gunders charmante Hartnäckigkeit ließ sie nicht kalt, und sie konnte ihm natürlich nicht verbieten zu kaufen, was immer er wollte. Auch wenn es Regeln dafür gab, zum Beispiel von den Trachtenverbänden, was gestattet war. Doch ob unten in Indien irgendeine Frau mit norwegischem Trachtenschmuck an ihrem knallorangefarbenen Sari herumflatterte, würden die Trachtenverbände doch nie erfahren. Also öffnete sie die Schublade, in der das Trachtensilber aufbewahrt wurde, und fand eine mittelgroße Brosche. Dabei fragte sie sich, ob der hartnäckige Mann wohl über den Preis informiert sei.
»Und das kostet?« fragte Gunder.
»Eintausendvierhundert Kronen. Ich kann Ihnen diese aus Hardanger zeigen. Wir haben auch viel größere und viel kleinere. Aber an Saris gibt es in der Regel sehr viel Gold. Und deshalb sollten Sie etwas Schlichtes nehmen, finde ich. Wenn es überhaupt gut aussehen soll, meine ich.«
Ihre Stimme klang jetzt leicht ironisch, aber sie riß sich zusammen, als sie Gunder ansah. Er nahm die Brosche mit den klimpernden Silberplättchen vom Samtkissen und hielt sie zwischen seinen groben Händen. Hob sie ins Licht. Sein Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. Ihr Herz wurde weich. Dieser Mann, dieser vierschrötige, schwere, verlegene Mann hatte doch etwas Bezauberndes. Sicher wandelte er auf Freiersfüßen.
Gunder wollte sich keine weiteren Schmuckstücke ansehen. Dann würden ihm nur Zweifel kommen. Also kaufte er das erste, das auch das beste war, und ließ es sich einpacken. Er wollte es zu Hause öffnen und noch einmal bewundern. Im Auto trommelte er auf dem Lenkrad herum und stellte sich vor, wie braune Finger das Paket öffneten. Das Papier war schwarz und wies kleine gelbe Sprenkel auf. Das Band darum war blutrot. Die Packung lag neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er brauchte vielleicht noch Tabletten für die Reise. Für den Magen. Diese fremde Kost, dachte er. Reis und Curry. Scharf wie der Teufel. Und indische Währung. War der Paß überhaupt noch gültig? Plötzlich hatte er es eilig. Und beschloß, Marie anzurufen.
Gunder wohnte in einem Ort namens Elvestad. Elvestad hatte zweitausenddreihundertsiebenundvierzig Einwohner. Eine Holzkirche aus dem Mittelalter, restauriert 1970. Eine Tankstelle, eine Schule, ein Postamt und eine Kneipe. Die Kneipe war eine unschöne Mischung aus Baracke und Scheune auf vier Pfählen. Eine breite Holztreppe führte zur Eingangstür. Beim Hineingehen stand man sofort vor der Musikbox. Einer Wurlitzer, die noch immer funktionierte. Das Dach zeigte ein rotweißes Schild mit der Aufschrift »Einars Kro«. Abends leuchtete das Schild in grellen Neonfarben.
Einar Sunde hatte die Kneipe schon seit siebzehn Jahren. Außerdem hatte er Frau und Kind und Schulden bis über beide Ohren, woran ein protziges Schweizer Chalet außerhalb des Ortskerns schuld war. Inzwischen aber konnte er seine Schulden abtragen, weil er nun auch Bier ausschenken durfte. Aus diesem schlichten Grund war Einars Kro immer gut besucht. Er kannte die Leute aus dem Ort und führte seinen Laden mit eiserner Hand. Immer machte er die Geburtsjahre der jungen Leute ausfindig und hielt die Hand vor den Zapfhahn, wenn sie noch zu jung für Alkohol waren. Der Ort besaß auch ein Bürgerhaus, wo Hochzeiten und Konfirmationen gefeiert wurden. In der Umgebung lebten überwiegend Bauern. Dazu kamen einige Zugezogene, die mit dem schwärmerischen Traum vom friedlichen Landleben aus der ein Stück weiter gelegenen Stadt geflohen waren. Das ruhige Leben hatten sie jetzt. Das Meer war nur eine halbe Stunde entfernt, die salzige Luft jedoch drang nicht bis hierher vor, im Frühjahr roch es nach Zwiebeln und Porree oder beißend nach Dünger, im Herbst nach süßen Äpfeln. Einar kam aus der Hauptstadt, hatte aber kein Heimweh. Er betrieb die Kneipe ganz allein. Solange er sie hatte, würde es niemand wagen, im Umkreis von zwanzig Kilometern eine weitere aufzumachen. Er wollte seine Kneipe betreiben, solange er aufrecht stehen konnte. Und weil er Suff und Streitereien verhindern konnte, trauten sich alle herein. Die Hausfrauen verlangten Kaffee und Kuchen, die Kinder Würstchen und Cola, die Jugendlichen ein Bier. Er lüftete sorgfältig, machte gewissenhaft sauber, leerte die Aschenbecher und erneuerte die abgebrannten Teelichter. Seine Frau wusch die rotweißkarierten Tischdecken zu Hause in der Waschmaschine. Seiner Kneipe fehlte es zwar an Stil, dafür aber erlaubte er auch keinen richtigen Kitsch. Vasen mit Plastikblumen gab es bei ihm nicht. Erst vor kurzem hatte er sich eine größere Spülmaschine für die Gläser geleistet. Die Gesundheitsbehörde könnte seine Küche gern inspizieren, die war in Bezug auf Ausrüstung und Sauberkeit absolut zufriedenstellend.
Hier, in Einars Kro, erfuhren die Leute, was im Ort so passierte. Wer mit wem zusammen war, wer sich gerade getrennt hatte, welcher Bauer jeden Moment Haus und Hof verlieren konnte. Ein einziges Taxi stand den Dörfern zur Verfügung. Kalle Moe fuhr einen weißen Mercedes und war fast immer telefonisch zu erreichen, war immer nüchtern und immer zu Diensten. Und wenn nicht, dann besorgte er aus der Stadt Ersatz. Solange Kalle im Dorf Taxi fuhr, war kein Platz für ein zweites. Er war über sechzig. Mögliche Nachfolger standen schon in den Startlöchern.
Einar Sunde stand sechs Tage die Woche in seiner Kneipe, an allen Werktagen bis zehn Uhr abends. Samstags hatte er bis Mitternacht geöffnet, sonntags geschlossen. Er war ein langer dünner Mann, mit langen dünnen Armen und rötlichen Haaren. Immer steckte ein Geschirrtuch in seinem Hosenbund, das beim ersten Fleck gewechselt wurde. Seine Frau Lillian, die ihn außer in der Nacht fast nie sah, lebte ihr eigenes Leben, und die beiden hatten keine Gemeinsamkeiten mehr. Sie brachten es nicht einmal mehr über sich, miteinander zu streiten. Einar hatte keine Zeit, um von einem besseren Leben zu träumen, er mußte arbeiten. Das Chalet hatte, inklusive Sauna und Fitnessraum, den er nie benutzen konnte, glatte eins Komma sechs Millionen verschlungen. In der Kneipe versammelte sich der harte Kern des Dorfes. Er bestand aus jungen Männern zwischen achtzehn und dreißig, mit oder ohne Freundinnen. Weil sie Einars Kro hatten, wo Bier ausgeschenkt wurde, kamen sie nie in die Stadt und lernten deshalb auch keine Mädchen von außerhalb kennen. Alle konnten zu Fuß in die Kneipe gehen, so klein war das Dorf. Lieber tranken sie ein paar Bier mehr, als aus der Stadt ein teures Taxi zu nehmen. Und deshalb heirateten sie Frauen aus dem Ort und blieben dort wohnen. Doch ehe es so weit kam, wurden die Kandidatinnen durchprobiert. Das sorgte für eine seltsame Gemeinschaft mit vielen ungeschriebenen Gesetzen.
Nach allerlei Debatten im Gemeinderat hatte Elvestad ein Einkaufszentrum erhalten, und jetzt staubte der Dorfladen neben der Tankstelle vor sich hin. Im Einkaufszentrum hatte eine unternehmungslustige Seele zwei Sonnenbänke installiert, eine zweite einen Blumenladen eröffnet, die dritte eine kleine Parfümerie. Im ersten Stock lagen Arzt- und Zahnarztpraxis und Annes Frisiersalon. Die jungen Leute aus dem Dorf gingen nicht dorthin. Sie ließen sich die Haare in der Stadt schneiden. Perlen und Ringe für Nabel und Nase besorgten sie sich ebenfalls dort. Anne kannte ihre Mütter und Väter und war imstande, besondere Wünsche zurückzuweisen. Die Alten immerhin kauften weiterhin treu im Dorfladen von Ole Gunwald ein. Sie wanderten mit karierten Einkaufswagen und alten grauen Rucksäcken dorthin und kauften Lungenhaschee und Blutpudding und Stinkkäse. Ole Gunwald war das nur recht. Er hatte schon längst alle Schulden abbezahlt.
Gunder ging nie in die Kneipe, aber Einar wußte, wer er war. Ein seltenes Mal schaute Gunder herein und kaufte sich ein Erdbeereis, das er, bei gutem Wetter, am Plastiktisch vor dem Eingang verzehrte. Einar kannte Gunders Haus, wußte, daß es an die vier Kilometer vom Ortskern entfernt an der Straße nach Randskog lag. Und es gab im ganzen Umkreis keinen Bauern, der seine Geräte nicht von Gunder gekauft hätte. Jetzt kam er gerade zur Tür herein und hatte die Hand schon in die Innentasche geschoben.
»Wollte nur fragen«, sagte er verlegen und für seine Verhältnisse sogar ein wenig hektisch, »wie lange man wohl braucht, um von hier aus mit dem Auto zum Flughafen zu fahren.«
»Nach Gardermoen?« fragte Einar. »Da mußt du mit anderthalb Stunden rechnen. Bei einem Auslandsflug mußt du eine Stunde vorher da sein. Also zweieinhalb. Und ich an deiner Stelle würde sicherheitshalber noch eine halbe Stunde dazugeben.«
Er wienerte gerade einen dreieckigen Aschenbecher.
»Morgenflug?« fragt er neugierig.
Gunder fischte ein Cornetto aus der Gefriertruhe.
»Zehn fünfzehn.«
»Dann mußt du früh hoch.«
Er drehte sich um und vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Sunde war nicht freundlich, er lächelte nicht, sondern spielte konsequent die beleidigte Leberwurst und wich Gunders Blick aus. »Ich an deiner Stelle würde um sieben losfahren.«
Gunder nickte und bezahlte. Er wollte lieber Einar fragen als der Dame von der Fluggesellschaft seine Unwissenheit einzugestehen. Einar kannte Gunder und würde ihn niemals in Verlegenheit stürzen. Doch schon am selben Abend würde der Ort von seiner Reise erfahren.
»Soll’s weit gehen?« fragte Einar so ganz nebenbei und machte sich an den nächsten Aschenbecher.
»Ungeheuer weit«, antwortete Gunder vage. Er riß das Papier vom Eis und ging. Aß, während er die letzten Kilometer zu seinem Haus fuhr. Jetzt hatte der Kneipier wirklich Grund zum Nachdenken. Und Gunder war das nur recht so.
Marie war außer sich. Sie wollte sich sofort ins Auto setzen und herkommen. Ihr Mann Karsten war auf Dienstreise, und sie langweilte sich und wollte alles wissen. Gunder zögerte, denn Marie hatte einen scharfen Blick, und die Vorstellung, von ihr entlarvt zu werden, sagte ihm gar nicht zu. Aber sie ließ sich nicht beirren. Eine Stunde später stand sie in der Tür. Gunder räumte gerade auf. Wenn er nicht allein aus Indien zurückkehrte, mußte im Haus alles in schönster Ordnung sein. Marie kochte Kaffee und wärmte Waffeln auf. Sauerrahm und Marmelade hatte sie in einer Plastikdose mitgebracht. Gunder war gerührt. Sie standen einander sehr nah, aber sie ließen sich nichts anmerken. Er wußte nicht, ob sie mit Karsten glücklich war, sie erwähnte ihn nie, er schien gar nicht zu existieren. Kinder hatten sie nie gehabt. Aber sie sah gut aus. Dunkel und hübsch, wie früher die Mutter. Klein und rundlich, aber munter und lebhaft. Gunder meinte, sie hätte jeden haben können, aber sie begnügte sich mit Karsten. Sie sah auf dem Tisch das Buch »Die Völker dieser Erde« und nahm es auf den Schoß. Es öffnete sich automatisch bei dem Bild der indischen Schönheit. Und Marie sah ihren Bruder an und lachte.
»Ja, jetzt begreife ich, was dich nach Indien zieht, Gunder. Aber dieses Buch ist alt. Die Frau ist jetzt sicher um die vierzig und runzlig und häßlich. Weißt du, daß Inderinnen wie fünfzehn aussehen, bis sie dreißig sind? Und dann sind sie plötzlich alt. Das kommt von der Sonne, verstehst du? Vielleicht solltest du dir eine suchen, die diesen Prozeß schon hinter sich hat. Dann weißt du, was du bekommst.«
Sie lachte so herzlich, daß auch Gunder kichern mußte. Er hatte keine Angst vor Runzeln. Vermutlich im Gegensatz zu Marie. Sie hatte keine einzige, und dabei war sie schon achtundvierzig. Er strich Sauerrahm auf eine Waffel.
»Mich interessieren vor allem Küche und Kultur«, sagte er. »Und Kunst. Musik. Das alles.«
»Ja, das kann ich mir denken«, lachte Marie. »Wenn ich in Zukunft zum Essen komme, dann wirst du mir sicher einen Eintopf servieren, der mir bis in die Zehen hinunterbrennt. Und an deinen Wänden werden lauter Drachen hängen.«
»Das kann ich nicht ausschließen«, sagte er lächelnd. Dann schwiegen sie lange, aßen Waffeln und tranken Kaffee.
»Du darfst da unten deine Brieftasche nicht in der Gesäßtasche tragen«, sagte sie dann endlich. »Kauf dir so einen Gürtel mit Tasche. Nein, das ist nicht nötig, du kannst meinen leihen. Der ist ganz neutral, sieht überhaupt nicht nach Frau aus.«
»Ich kann doch nicht mit einer Tasche durch die Gegend laufen«, widersprach Gunder.
»Doch, das mußt du. In diesen großen Städten wimmelt es nur so von Taschendieben. Stell dir doch bloß so ein armes Landei vor, ganz allein in einer Stadt mit zwölf Millionen Einwohnern!«
»Ich bin kein Landei«, sagte Gunder beleidigt.
»Natürlich bist du eins«, sagte Marie. »Du bist ein Landei, das ist doch klar. Aber das ist noch nicht alles: Wenn du in der Stadt unterwegs bist, darfst du nicht langsam herumschlendern.«
»Warum das denn nicht?« fragte er erstaunt.
»Du mußt marschieren, wie zu einem wichtigen Termin, und beschäftigt aussehen. Du bist Geschäftsmann auf wichtiger Dienstreise, und vor allem: Du kennst dich in Bombay aus wie in deiner eigenen Westentasche.«
»In Mumbai«, korrigierte er. »Wie in meiner Westentasche?«
»Du schaust den Leuten in die Augen, wenn sie dir auf der Straße entgegenkommen. Du gehst mit energischen Schritten geradeaus. Und knöpf deine Jacke so zu, daß die Tasche nicht zu sehen ist.«
»Da unten kann ich keine Jacke tragen«, sagte er. »Um diese Jahreszeit haben die da vierzig Grad.«
»Das mußt du aber«, sagte Marie. »Du mußt dich vor der Sonne schützen.« Sie leckte sich einen Klacks Sauerrahm aus dem Mundwinkel. »Sonst mußt du dir einen Kittel zulegen.«
»Einen Kittel?« Gunder kicherte.
»Wo wirst du wohnen?« fragte seine Schwester jetzt.
»Im Hotel natürlich.«
»Ja, aber in welchem?«
»Einem guten.«
»Aber wie heißt es?«
»Keine Ahnung«, sagte Gunder. »Das erfahre ich, wenn ich dort bin.«
Sie riß die Augen auf. »Hast du kein Zimmer reserviert?«
»Ich kann schließlich reden«, sagte er, inzwischen leicht verärgert. Er schaute rasch zu ihr hinüber, auf ihre weiße Stirn und die dünnen Augenbrauen, die sie mit einem Stift schwarz nachzog.
»Laß hören«, sagte sie und schlürfte Kaffee. »Laß hören, was du sagst. Du kommst aus diesem riesigen, unübersichtlichen, überhitzten, überfüllten, chaotischen Flughafen und hältst Ausschau nach einer Rikscha oder noch Schlimmerem. Da kommt ein Typ zu dir, packt dich am Hemd, brabbelt etwas ganz und gar Unverständliches, macht sich über deinen Koffer her und rennt damit zu irgendeinem Vehikel. – Und du bist so erschöpft und verschwitzt und verwirrt, daß du dich kaum noch an deinen Namen erinnern kannst, und deine Uhr geht wegen des Zeitunterschiedes falsch. Du bist müde und sehnst dich nach einer kalten Dusche. Aber was sagst du dann, Gunder. Zu dem kleinen dunklen Mann.«
Vor Entsetzen ließ er seinen Löffel fallen. Wollte sie sich über ihn lustig machen?
Dann riß er sich zusammen und schaute seiner Schwester ins Gesicht.
»Would you please take me to a decent hotel?«
Marie nickte. »Ja, ja. Aber was machst du davor?«
»Keine Ahnung«, sagte Gunder.
»Du fragst, was es kostet. Du darfst dich nicht in ein Taxi setzen, ohne vorher den Preis ausgehandelt zu haben. Frag auf dem Flughafen. Vielleicht hat die Lufthansa da einen Schalter, die sind sicher auf deiner Seite.«
Er schüttelte den Kopf und beschloß, daß sie nur neidisch auf ihn war. Sie war noch nie in Indien gewesen. Sondern nur auf Lanzarote und Kreta und so. Wo alle Gäste aus Norwegen oder Schweden stammten und die Kellner ihr »hej, svenska flicka« hinterherriefen, was sie schrecklich fand. Nein, Indien war etwas anderes.
»Und was ist mit Impfungen?« fragte sie. »Mußt du dich gegen Malaria impfen lassen?«
»Keine Ahnung«, sagte er.
»Du mußt dich ganz schnell erkundigen. Du kommst mir nicht mit Malaria oder Tuberkulose oder Hepathitis nach Hause, das sag ich dir. Und kein Leitungswasser trinken. Und keinen Saft. Und kein Obst essen. Paß auf, daß das Fleisch gut durchgebraten ist. Und verzichte auf Eis, obwohl du so gern Eis ißt, was ist ja auch in Ordnung ist, aber nicht in Indien.«
»Darf ich einen Schnaps trinken?« fragte er spitz.
»Soviel du willst. Aber nicht zuviel. Denn dann ist die Hölle los.«
»Ich betrinke mich nie«, sagte Gunder. »Ich war vor fünfzehn Jahren zuletzt betrunken.«
»Das weiß ich. Und du rufst doch an? Ich muß wissen, daß du heil angekommen bist. Ich kann die Post für dich hereinholen. Und Blumen gießen. Der Rasen muß in den vierzehn Tagen sicher zweimal gemäht werden. Den Safe bringst du zu uns, ja? Dann führt er hier niemanden in Versuchung. Willst du den Wagen am Flughafen abstellen? Das kostet doch sicher ein Vermögen.«
»Weiß nicht«, sagte er.
»Das weißt du nicht? Aber du mußt einen Dauerparkplatz vorher bestellen«, erklärte sie aufgeregt. »Du mußt morgen anrufen. Du kannst doch nicht einfach nach Gardermoen fahren und den Wagen irgendwo stehenlassen.«
»Nicht?« fragte er. Offenbar plante sie die Reise ganz genau. Er fühlte sich ganz benommen und ging deshalb zum Schrank, um eine Flasche Kognak herauszunehmen. Jawohl, das tat er.
Marie wischte sich den Mund ab und lächelte. »Aber das wird doch sicher spannend, Gunder? Denk doch bloß, was du nachher alles zu erzählen haben wirst. Hast du einen Film im Apparat? Hast du eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen? Hast du eine Liste über alles gemacht, was du nicht vergessen darfst?«
»Nein«, sagte er und nippte an seinem Kognak. »Kannst du das für mich erledigen, Marie?«
Worauf sie dahinschmolz und sich ganz schnell Papier und Bleistift holte. Während Gunder den Kognak im Mund anwärmte, setzte Marie die Liste auf. Er sah ihr heimlich dabei zu. Sie nuckelte am Stift und tippte damit gegen ihre Vorderzähne, wie um ihre Gedanken auf Trab zu bringen. Ihre Schultern waren so rund und beruhigend. Gut, daß er Marie hatte. Zwischen ihnen gab es keine Probleme.
Egal, was passierte, Marie würde er doch immer haben.
So sah Gunder aus, als er im Flugzeug saß. Mit geradem Rücken, wie ein Schuljunge. Gekleidet in ein kurzärmliges Hemd von Dressman, einen dunkelblauen Blazer und eine khakifarbene Hose. Er war in seinem Leben noch nicht oft geflogen, und alles, was er sah, beeindruckte ihn. Im Gepäckfach lag eine schwarze Tasche, und in dieser Tasche steckte in einem Seitenfach die Schachtel mit dem Silberschmuck. In seiner Brieftasche hatte er indische Rupien, deutsche Mark und englische Pfund. Jetzt schloß er die Augen. Er mochte das Gefühl im Bauch nicht, das sich beim Start einstellte.
My name is Gunder, sagte er zu sich. How do you do?
Sein Sitznachbar schaute ihn an.
»Die Seele bleibt immer auf Gardermoen zurück. Ist das nicht seltsam?«
Gunder verstand nicht.
»Wenn man so schnell reist wie wir, dann bleibt die Seele hängen. Irgendwo im Flughafen. Meine liegt wahrscheinlich in der Bar, unten im Glas. Ich habe einen Whisky getrunken.«
Gunder versuchte, sich einen Morgenwhisky vorzustellen. Das gelang ihm nicht. Er selber hatte an einem langen Tresen im Stehen eine Tasse Kaffee getrunken und sich dabei die vorüberhastenden Menschen angesehen. Seine Seele steckte unter seinem Blazer, da war er sich ganz sicher.
»Sie sollten statt Whisky Kaffee trinken«, sagte er gelassen.
Der Mann blickte Gunder an und lachte. »Was verkaufen Sie?« fragte er dann.
»Ist das so deutlich?«
»Ja.«
»Ich verkaufe Landmaschinen.«
»Und fliegen zur Messe nach Frankfurt?«
»Nein, nein. Diesmal bin ich Tourist.«
»Aber wer macht in Frankfurt Urlaub?« fragte der Mann.
»Ich fliege noch weiter«, sagte Gunder glücklich. »Nach Mumbai.«
»Und wo liegt das?«
»In Indien. Hieß früher Bombay, wenn Ihnen das etwas sagt«, Gunder lächelte wichtig. »Seit 1995 heißt die Stadt Mumbai.«
Der Mann hielt eine vorübereilende Stewardeß an und bat um einen Whisky mit Eis. Gunder bestellte Orangensaft und ließ sich mit geschlossenen Augen in den Sitz zurücksinken. Er wollte nicht reden. Er hatte so viele Gedanken im Kopf. Was sollte er über Norwegen erzählen? Über Elvestad? Über die Norweger? Über ihre Art? Und über das Essen, was ließ sich darüber sagen? Frikadellen. Fischpudding und Ziegenkäse. Schlittschuhlaufen. Very cold. Bis zu vierzig Grad minus. Norwegian Oil. Sein Saft wurde gebracht, und er trank langsam. Drückte danach den Plastikbecher in das kleine Netz am Vordersitz. Draußen trieben Zuckerwattewolken vorbei. Vielleicht würde er auf dieser Reise nach Indien ja gar keine Frau finden. Wenn ihm das zu Hause nicht gelang, warum sollte er in einem fremden Land mehr Glück haben? Aber etwas war passiert. Er war zu etwas Neuem unterwegs. Noch niemand aus Elvestad war in Indien gewesen, seines Wissens nicht. Gunder Jomann. Ein weitgereister Mann. Er hatte vergessen, die Batterie in seiner Kamera zu überprüfen, fiel ihm jetzt ein. Aber sicher konnte er am Flughafen eine kaufen. Er reiste ja schließlich nicht auf einen fremden Planeten. Wie Inderinnen wohl heißen mochten? Wenn er eine mit einem ganz unmöglichen Namen kennenlernte, dann könnte er sich vielleicht einen Kosenamen als Abkürzung ausdenken. Indira, fiel ihm ein. Gandhi. Schwer war das wirklich nicht. Fast wie Elvira. In den meisten Dingen sind wir Menschen doch alle gleich, damit tröstete er sich. Dann schlief er endlich ein. Sofort sah er sie vor sich. Die schwarzen Augen funkelten.
Marie fuhr jeden Tag zu Gunders Haus. Sie überzeugte sich davon, daß Türen und Fenster geschlossen waren. Nahm die Post herein und legte sie auf den Küchentisch. Steckte den Finger in alle Blumentöpfe. Blieb immer einige Minuten stehen und ängstigte sich. Er war so gutgläubig, wie ein großes Kind, und jetzt irrte er dort unten zwischen zwölf Millionen Menschen in der Hitze umher. Sie sprachen eine Sprache, die er nicht verstand. Aber er war ja ein solider Charakter. Nie impulsiv, nicht am Trinken interessiert. Sie musterte die Wände, ein Bild der Mutter, ein Bild von sich selber mit fünf Jahren, mit runden Wangen und molligen Knien. Ein Bild von Gunder in der Uniform der Heimwehr. Eins der Eltern, die vor dem Haus standen. Ansonsten hing dort noch eine schlechte Darstellung einer Winterlandschaft, die er sich auf einer Auktion im Bürgerhaus zugelegt hatte. Sie betrachtete die Möbel. Schlicht und solide. Einen alten Wandbehang, den die Mutter gehäkelt hatte. Nirgendwo ein Staubkorn. Saubere Fenster. Wenn er jemals eine Frau findet, dachte sie, dann wird er sie wie eine Königin behandeln. Obwohl die Chancen inzwischen sanken. Er war noch immer ein gutaussehender Mann, fand sie, aber er war doch von der Zeit gezeichnet. Bauch, Wangen. Die Geheimratsecken wurden zusehends größer. Seine Hände waren grob und riesig, wie die des Vaters es gewesen waren. Er wäre ein wunderbarer Vater geworden. Plötzlich war sie traurig. Vielleicht würde er allein alt werden müssen? Was wollte er in Indien? Sich eine Frau suchen? Sie war schon auf diesen Gedanken gekommen. Was würden dann die Leute sagen? Sie selber würde gar nichts sagen, außer freundlichen Dingen. Aber die anderen. Die, die ihn nicht so sehr liebten wie sie. Ob er wußte, was er da machte? Vermutlich. Seine Stimme am Telefon, von Indien her, knisternd und knackend. Und fröhlich. Jetzt bin ich hier, Marie. Mein Hemd war schon schweißnaß, als ich noch gar nicht richtig ausgestiegen war. Und ein Hotel habe ich gefunden. Gegessen habe ich auch schon. In einem netten Restaurant um die Ecke vom Hotel. Überall wird Englisch gesprochen. Die Serviererin hatte kein Problem. Ich habe »chicken« gesagt, und sie hat mir ein Hähnchen gebracht, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen. Du weißt nicht, wie Hähnchen schmeckt, so lange du nicht in Indien gewesen bist, hatte er eifrig gesagt. Und billig ist es auch. Als ich am nächsten Tag wieder dort war, hat sie gefragt, ob ich mehr Chicken wollte. Und jetzt gehe ich jeden Tag hin. Es gibt jedesmal neue Soßen, gelbe und rote und grüne. Kein Grund, mir noch etwas anderes zu suchen, wo ich dieses Lokal gefunden habe. Es heißt Tandels Tandoori. Und sie haben eine so nette Bedienung.
Die Serviererin, dachte Marie und lächelte resigniert. Die war wohl die erste Frau, die ihm begegnet war, und außerdem war sie freundlich. Das reichte Gunder sicher aus. Jetzt würde er wohl vierzehn Tage lang in diesem Tandels Tandoori sitzen, ohne etwas anderes zu sehen. Sie sagte, zu Hause sei alles in Ordnung. Aber ob er wisse, daß sein einer Hibiskus Läuse hatte? Für einen Moment klang Gunders Stimme ein wenig bedrückt. Dann faßte er sich wieder. »Ich habe im Keller ein Läusemittel. Der Hibiskus wird schon durchhalten, bis ich wieder zu Hause bin. Sonst soll er eben sterben. So einfach ist das.«
Marie seufzte. Es sah ihrem Bruder gar nicht ähnlich, dermaßen gleichgültig über seine Pflanzen zu reden. Wenn sie eingingen, erschien ihm das sonst als persönliche Beleidigung.
Das Buch, das sie ihm damals geschenkt hatte, stand deutlich sichtbar im Regal. Sie entdeckte es, weil es zwischen den anderen Rücken hervorragte. Sie zog es heraus, und wieder öffnete es sich automatisch auf derselben Seite. Eine Zeitlang betrachtete sie die Inderin. Stellte sich vor, wie der Blick ihres Bruders auf diesem schönen Gesicht geruht hatte. Wie würden Inderinnen wohl Gunder sehen? Er hatte schon etwas Beeindruckendes. Er war groß und ungeheuer breitschultrig. Und er hatte schöne Zähne, das war ihm wichtig. Seine Kleidung war sauber, aber altmodisch. Und er hatte dieses vertrauenerweckende Wesen, und seine Langsamkeit fiel vielleicht nicht auf, solange sie zu verstehen versuchten, was er sagte. Vielleicht würden sie ihn gerade deshalb so sehen, wie er war. Langsam, aber dennoch fleißig. Ängstlich, aber dennoch zielstrebig. Er hatte schöne Augen. Groß und blau. Die Schönheit auf dem Bild hatte ebenfalls schöne Augen, sie waren fast schwarz. Der Blick in Gunders große blaue Augen wirkte auf eine Inderin sicher exotisch und erregend. Und er hatte diesen großen, schweren Körper. Die Menschen in Indien waren zierlich und klein, wie sie glaubte. Obwohl, viel wußte sie ja nicht darüber. Sie wollte das Buch gerade zuklappen, als ein Zettel herausfiel. Eine Juwelierrechnung. Verblüfft starrte sie den Zettel an. Eine Silberbrosche. Zu tausendvierhundert Kronen. Was hatte das zu bedeuten? Für sie war der Schmuck nicht, sie besaß keine Tracht. Hier passierte offenbar mehr, als sie geahnt hatte. Sie legte den Zettel wieder ins Buch und verließ das Haus. Drehte sich ein letztes Mal um und schaute zu den Fenstern hoch. Dann fuhr sie los in Richtung Innenstadt. Marie war, das behaupteten ihr Mann Karsten und Gunder, eine miserable Fahrerin. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sie auf die Straße vor dem Wagen. Sie schaute nie in den Spiegel, sondern umklammerte das Lenkrad und orientierte sich an der weißen Linie auf ihrer linken Seite. Sie behielt immer dasselbe Tempo bei, knapp unter siebzig, egal, wo sie auch war. Den fünften Gang hatte sie noch nie benutzt. Auf diese Weise kam sie überall hin, ansonsten war sie diejenige der Geschwister, die alle Probleme lösen mußte. Mit ihrem Bruder kannte sie sich aus. Jetzt war sie sich sicher. Er war nach Indien gefahren, um sich eine Frau zu suchen. Und bei seiner Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit würde es sie nicht wundern, wenn er vierzehn Tage später mit einer dunklen Frau am Arm wieder auftauchte. Mit einer Frau, die eine Trachtenbrosche trug. Großer Gott, dachte sie und jagte über einen Zebrastreifen, so daß eine Frau mit Kinderwagen erschrocken zurückfuhr. Was werden die Leute sagen?
Sie hielt bei Einars Kro, um Zigaretten zu kaufen. Einar wienerte seine Musikbox, Sprühte sie zuerst mit Politur ein und wischte sie dann mit einem Handtuch nach.
Es waren noch immer Schulferien. An einem Tisch saßen zwei Mädchen. Marie kannte sie, sie hießen Linda und Karen. Linda war dünn und hatte ein scharfes, fast manisches Lachen. Sie hatte eine weiße Löwenmähne, ein schmales Gesicht und spitze weiße Zähne. Wenn Marie Linda ansah, dachte sie immer ganz spontan, daß dieses Mädchen dem Untergang geweiht sei. Sie wußte nicht, warum sie das glaubte. Aber etwas an Lindas Wesen, an ihren fast unnormal funkelnden Augen, an ihren heftigen Bewegungen und dem scharfen Lachen erweckte in Marie den Eindruck, daß diese Frau zuviel wollte. Sie war so sichtbar, wie eine Lampe mit einer viel zu starken Birne. Eines Tages würde sie einfach verglühen. Die andere dagegen, die dunkle, ruhigere Karen, war zurückhaltender. Sprach mit gedämpfter Stimme, zeigte ihren Körper nicht vor. Einar griff zu einer Packung Players, und Marie bezahlte. Sie mochte Einar nicht. Er war immer korrekt, aber er schien ein düsteres Geheimnis zu hüten. Sein Gesicht war nicht breit und offen wie Gunders, sondern schmal und verkniffen. Es strahlte Unwillen aus. Auch Gunder mochte ihn nicht. Nicht, daß er das jemals laut gesagt hätte, er sprach nie schlecht über andere. Wenn er nichts Nettes sagen konnte, dann schwieg er lieber. Wie damals, als sie ihn nach dem neuen Kollegen gefragt hatte, dem jungen Bjørnsson. Gunder hatte von seiner Lektüre hochgeschaut und gesagt: »Das geht schon so.« Dann hatte er sich wieder in die Zeitung vertieft. Und Marie hatte gewußt, daß er Bjørnsson nicht leiden konnte.
Über den dorfeigenen Taxifahrer dagegen konnte er lange reden. Kalle Moe hat sich per Postversand Wagenschmiere gekauft, konnte er sagen. Sechshundert Kronen für zwei kleine Büchsen. Der Mann ist unglaublich. Ich glaube, sein Wagen hat schon eine halbe Million auf dem Buckel. Aber das ist ihm nicht anzusehen. Vermutlich singt er ihn abends in den Schlaf, hatte Gunder lachend gesagt. Und Marie hatte gewußt, daß er Kalle mochte. Und Ole Gunwald aus dem Dorfladen. Er quält sich mit seiner Migräne. Gunwald hat es nicht leicht. Während sie sich das alles überlegte, hörte sie Linda lachen und sah, wie Einars Blick zu den beiden Mädchen hinüberhuschte. Da hatte er ja immerhin etwas zu betrachten, während er sich an seiner Musikbox zu schaffen machte.