Christoph Wagner-Trenkwitz
Nochmal Schwan gehabt
Für Shifra und Jerry Rosen
You have not lived today until you have done
something for someone who can never repay you.
John Bunyan
Anekdoten und Reminiszenzen
Mit einem löblichen Nachwort
von Michael Niavarani
und
79 Abbildungen
AMALTHEA
Besuchen Sie uns im Internet unter
www.amalthea.at
© 2015 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT
Umschlagfotos: © Armin Bardel (vorne), © Gerhard Stubauer/
Theatersommer Haag (hinten)
Lektorat: Martin Bruny
Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, heimstetten
Gesetzt aus der 11,4/15 pt. New Caledonia
ISBN 978-3-99050-011-8
eISBN 978-3-902998-99-6
Wenn ich an neuen Witz hier mache,
hör’n sich ihn gern die Leute an.
Der Bloch erzählt dem Kraus die Sache,
der sagt’s dem Rosenfeld sodann.
Und wenn ich nachts im Gasthaus sitze,
da kommt zu mir der Rosenfeld,
erzählt mir meine eig’nen Witze,
so dreht sich alles auf der Welt.
Louis Taufstein
Nebenstehende literarische Perle kennen Sie vielleicht aus dem Munde von Armin Berg. Er sang diesen und andere Texte so gut, dass man ihn augenblicklich als Autor vermutete. Aber nein: Louis Taufstein – trotz seines sehr christlich anmutenden Namens fühlte er sich dieser Religion übrigens nicht zugehörig – ist der Schöpfer der Worte, Arthur Werau jener der Musik, und alle miteinander wussten die Herren natürlich genau, wie es sich mit »neuen« Witzen verhält: Sie werden, wenn sie gut sind, sofort gestohlen und weitererzählt. In unseren Herzen erlangen sie einen festen Platz, sobald eine Patina samt tiefen Gebrauchsspuren sie überzieht. Wenn ich also nach Schon geht der nächste Schwan und Schwan drüber ein weiteres Mal den weißgefiederten Anekdoten-Transporter sattle, dann tue ich dies in dem festen Bewusstsein, meiner geschätzten Leserschaft überhaupt nichts Neues berichten zu können. Nur Altbewährtes, vielleicht neu Kombiniertes und viel eigenhändig Gestohlenes wird dieser Band enthalten.
Bei Leseaufenthalten in Oberösterreich wurde mir eine Wortbedeutung mitgeteilt, die ich überhaupt nicht gekannt hatte, die aber sehr gut zu meinen gesammelten Schwänen passt: »Schwanern« heißt im lokalen Dialekt nämlich so viel wie »flunkern«, »überhöht schildern«. Liebe Oberösterreicherinnen und oberösterreicher, vielen Dank – genau das tue ich hier!
Sie erinnern sich vielleicht: Beim Schwan Numero zwo hatte ich eine Überfülle von Anekdötchen angesammelt und rang in der Vorbemerkung zum Buch um einen Titel. Diesmal war es umgekehrt. Noch vor Erscheinen von Schwan drüber rief mich die multitalentierte Sing-Komödiantin Sigrid Hauser an und meinte, es tue ihr furchtbar leid, sie könne wegen eines Auslandsengagements nicht zur Präsentation kommen. Dabei sei der Titel doch so vielversprechend: Nochmal Schwan gehabt! Ich pflichtete ihr bei, der Titel sei wirklich großartig, sei es aber nicht. Also beschlossen Sigrid und ich sofort telefonisch, ich müsse irgendwann einmal ein Buch dieses Namens schreiben. Somit hatte ich einen wunderbaren Namen für einen (letzten) Fortsetzungsband und kein Material dazu, aber die moralische Verpflichtung, solches zu sammeln. Wie war das zum Beispiel bei Leo Tolstoi? Ist ihm auch zuerst der knackige Titel Krieg und Frieden eingefallen und dann erst der Rest?
Haben Sie schon einmal mit Sigrid Hauser ein Duett gesungen? Nein? Das ist etwas Herrliches.
Da Sie, meine Verehrten, nun ein richtiges Buch in Händen halten, können Sie daraus schließen, dass ich brav gesammelt habe.
Warum?
Mein Motiv war jedenfalls nicht, die Welt zu verbessern – das wird auch dieses Buch nicht schaffen. Schon der letzte Schwan ist in seinen zaghaften Bemühungen um Sprachsäuberung gescheitert: Die Menschheit sagt immer noch »im Endeffekt«, obwohl es diesen nicht gibt; sie sagt »am Weg« und »am Gipfel«, wenn sie »auf« denselben meint. Auch wenn ich das schöne Wort Triumph so buchstabiert lese, dass es sich auf Schlumpf reimt, nämlich »Triumpf«, stört das mich allein, und ich kann das Gestörtsein nicht in die Welt streuen. Aber halt! Ich habe zumindest ein paar Leidensgenossinnen und -genossen, nämlich Guido Tartarotti und seine Anhängerschaft; ich genieße es, wenn er seine sprachliche Ganselhaut angesichts von Formulierungen wie »nicht wegzudenken« in lustige Kolumnen ergießt (und vielleicht sind ihm diese Zeilen auch ein paar Zeilen wert – ich wäre geehrt –, denn eine Ganselhaut kann man eigentlich nicht ergießen). Wenn es Tartarotti nicht gäbe, man müsste ihn herdenken.
Schwinge ich mich neuerlich in autorische Höhen auf, um mein unerschöpfliches Wissen zu demonstrieren? Im Gegenteil. Oft, ja immer öfter sprechen mich Hilfe suchende Menschen an und gebrauchen dabei die Eröffnungsfloskel: »Sie wissen doch so viel …« Oder gar: »Sie wissen doch alles …«
Um Gottes willen, nein! Ich habe den starken Eindruck, immer weniger zu wissen, je mehr ich erleben und erlesen muss. Nur ein Beispiel: Was hat Karl Hohenlohe mit diesem Satz in seiner Kolumne am 9. Juli 2015 gemeint?
Frau Sarata etwa, die ja ursprünglich der Operette verfallen war, erweckt heute Erinnerungen an eine Wien-Gesandte, Herr Wagner-Trenkwitz war in jungen Jahren wahrscheinlich Fürst eines Zwergenstaates und wurde vom marodierenden Volk ins Exil gezwungen, und Bundy & Bundy waren eigentlich als Zweitbesetzung für die Kessler-Zwillinge gedacht.
… keine Ahnung. Aber muss ich alles wissen? Ich verstehe zum Beispiel auch nicht, dass die Hohenlohe-Kolumnen nach 15 ruhmreichen Jahren nicht mehr im Kurier erscheinen.
Ich schrieb dies Büchlein auch nicht, um mich zu bereichern; man soll nur ja nicht glauben, dass ein solches Unterfangen viel Geld trägt. Die deutsche Verwertungsgesellschaft VG Wort ließ mich etwa wissen, dass in meiner Sache gar kein pekuniärer Segen zu erwarten sei; aber immerhin sandte mir eine Frau Doktor »i. A .« (das hat nichts mit dem Ruf des Esels zu tun, sondern bedeutet »im Auftrag« … aber von wem?) ein E-Mail, mit dem ich einige Zeilen füllen kann. Bitte lesen Sie diesen Text sehr schnell und laut durch:
Betr. Schwan drüber
Sehr geehrter Herr Wagner-Trenkwitz,
für obigen Titel kann die Bibliothekstantieme nach § 45 Abs. 1 u. 2 des Verteilungsplans nicht vergütet werden, da die dort geforderte Verbreitung in wissenschaftlichen Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben ist. Um in angemessenem Umfang entliehen werden zu können, benötigen Bücher und Buchbeiträge mindestens fünf leihverkehrsrelevante Standorte in zwei regionalen Verbundsystemen. Schenkungen werden dabei nicht berücksich tigt. Überprüft wird die geforderte Verbreitung über den Karlsruher virtuellen Katalog (KVK), über den der Bestand nahezu aller wissenschaftlichen Bibliotheken der Bundesrepublik zugänglich ist. Der KVK ist im Internet unter www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html erreichbar.
Sollten Sie durch eigene Recherchen feststellen, dass die von Ihnen gemeldete Publikation die erforderliche Verbreitung erreicht, so können Sie diese mit einem entsprechenden Vermerk erneut einreichen, sofern nicht Ausschlussfristen entgegenstehen.
Mit freundlichen Grüßen
…
VG Wort / Abt. Wissenschaft
Noch nie wurde mir in blumigerem Beamten-Bundesdeutsch vermittelt, dass es keine Kohle gibt.*
Es müssen also andere Beweggründe als Raffgier für meinen Sammeleifer ausschlaggebend gewesen sein.
Ein Grund, der nie ganz ausgeschlossen werden kann, ist die böse Eitelkeit, eine der vielen psychotherapeutisch behandelbaren Ausformungen des menschlichen Liebesbedürfnisses. Christine Mielitz, ebenso brillante wie gefürchtete Regisseurin und Intendantin, tröstete eine Regieassistentin, die sie nicht zum ersten Mal in den Heulkrampf getrieben hatte, einmal mit den lapidaren Worten: »Sie wollen ja auch nur ein bisschen geliebt werden.«
Ich gestehe – ganz ohne Schluchzattacke –, dass dieses Bedürfnis auch mich erfüllt. Und ich weigere mich, den Begriff »Eitelkeit« zu benützen, beweist mein äußeres Erscheinungsbild doch schlagend, dass ich mir diese Untugend schon lange abgewöhnt habe. Ich formuliere es blumiger: Es ist die Zuneigung meines dankbaren Publikums, die mich beseelt!
Wie freue ich mich schon wieder auf die Autogrammstunden, bei denen zwei bis drei Menschen Schlange stehen, um mir dann unmögliche Widmungen abzutrotzen. Folgender Dialog ergab sich bei einem solchen Anlass:
– Schreiben Sie: »Meiner lieben Frau«.
– Lieber Herr, das kann ich nicht.
– Wieso, es ist doch für meine Frau.
– Für Ihre, aber nicht für meine!
Der Herr insistierte noch ein wenig, ich auch, schließlich kapitulierte er und fügte sich mit der leider ebenfalls nicht erfüllbaren Bitte:
– Also gut. Schreiben Sie: »Für mich«.
Irgendwie musste ich bei dieser Begebenheit an den Farkas– Waldbrunn-Wortwechsel denken:
–Meine Frau ist auf Urlaub gefahren.
– Zur Erholung?
– Ja, zu meiner.
Dass die Liebe keine allgemeine ist, musste ich aber auch verstehen. Eine besonders impertinente Verfasserin von Schmähbriefen an meine Adresse, eine gewisse Frau Marta Zimmermann (wenn ich ihre Handschrift richtig lese) samt Gatten (ich beneide ihn nicht), verfolgt mein bescheidenes Wirken mit monströsem Hass. Alfons Haider meinte, ich solle mir darauf nichts einbilden, auf seiner Website gehen regelmäßig Aberhunderte bösartiger Postings ein.
Eine andere Dame wieder zeigte sich von meiner Schwan-Silvesterlesung im Wiener Theater Akzent desillusioniert, und ich kann es ihr nicht verdenken:
Ihre Darbietung war ja recht amüsant, aber ihr dazugehöriges Ambiente war enttäuschend (total zerknitterter Anzug). Sowie, dass Sie Ihrem so geschätzten Publikum am Ende nicht einmal ein gutes neues Jahr gewünscht haben. PS: Überall in jedem kleinsten Geschäft wird einem am 31. Dezember ein gutes neues Jahr gewünscht.
Ich bin voller Reue! Nicht, was mein textiles »Ambiente« betrifft (ich habe ja oben schon einbekannt, dass meine Eitelkeit dem Nullpunkt zustrebt). Aber gegrüßt werden soll und muss. Darf ich jedoch zugeben, dass mir die Gutes-neues-Jahr-Wünscherei persönlich ziemlich lästig ist? Insbesondere mit dem Vorsatz: »… sollt’ mer uns nicht mehr sehen!« – aber das habe ich schon in einem früheren Schwan vermerkt. Beleidigen wollte ich die freundliche Dame jedoch sicher nicht, umso mehr, als sie in der Putzendoplergasse wohnt, was ich überaus sympathisch finde.
Wer weiß, was mir dieser Band an Zustimmung und Ablehnung, an roten und schwarzen Zahlen, an Für und Wider einbringt? Es mag Sie, geneigte Leserin, verehrter Leser, jedenfalls milde stimmen, dass dies der aller-allerletzte Versuch bleiben wird, Sie mit Anekdoten und Reminiszenzen zu kitzeln; für Memoiren wird schließlich wenig übrig bleiben und noch weniger Anlass bestehen.
Wenn ich also einmal wieder die Feder drohend erhebe, dann wird es nicht um mich und mein lückenhaftes Gedächtnis gehen, sondern um Bedeutenderes.
Jetzt aber wünsche ich Ihnen mindestens so viel Freude beim Lesen, wie ich beim Schreiben gehabt habe (und dieser Wunsch ist keine bösartige Falle)!
Christoph Wagner-Trenkwitz
Stadt Haag, im August 2015
PS: Ich möchte Heinz Hromada, dem »Retter« des Buchs, hier meine Reverenz erweisen. Heinz ist nicht nur geschätzter Kontragitarrist bei den Philharmonia Schrammeln (wenngleich ich in Bezug auf sein Instrument auch einmal, live auf Sendung, die »Knöpferlgitarre« erfunden habe), sondern auch EDV-Experte der Volksoper. Mitten im Wonnemonat Juli stürzte mein sauer getipptes Word-Dokument ins Bodenlose, ein Notruf bei Meister Hromada (er urlaubte gerade im Waldviertel) war meine einzige Idee. Er hat mein Schriftstellerleben wieder mit Sinn erfüllt, ihm schulde ich großen Dank (dem Sie sich hoffentlich anschließen), dass dieser Schwan nicht ertrunken ist.
*Mit Schwan drüber habe ich sogar ein paar miese gemacht, und das kam so: Das drollige Umschlagfoto hatte ich im Vertrauen darauf verwendet, dass ich das auch darf. Der Fotograf ließ mir – lange nach erscheinen des bandes – durch eine grazer Rechtsanwaltskanzlei mitteilen, dass ich das Recht zur Fotoverwendung nicht gehabt hätte, stellte eine kühne Geldforderung … mein von mir seit Kindertagen geliebter Anwalt (in der Volksschule war er es noch nicht) Corvin Hummer erwiderte … Man einigte sich auf eine bescheidenere Zahlung … Lassen wir das Thema. Die Leute, auf die ich seither sauer bin, wissen es. Mehr muss hier nicht geschrieben werden.
Meine Türöffner in das Reich der gesungenen Worte waren meine Eltern – ja, ich muss offen gestehen: Ich weiß überhaupt nicht, wo ich wäre ohne meine Eltern. Wahrscheinlich noch in Abrahams Wurschtkessel, was nebenbei meine bevorzugte Geschichtsepoche ist. Aber dorthin wollte ich Sie ja gar nicht entführen, sondern, richtig, in die Oper.
Im Familienkreis: Meine Mutter hält mich auf dem Schoß, Großmutter, Vater, Schwester, Tante Traute und Onkel Achim sind’s zufrieden.
Insbesondere das gesungene Italienisch faszinierte mich von frühester Kindheit an. Ich lallte die Silben nach, die der Tenor Beniamino Gigli auf einer in unserem Haushalt vorrätigen Vinyl-Scheibe hinterlassen hatte. Und ich war fasziniert vom Klang der romanischen Sprache überhaupt: Immer, wenn ich etwas nicht verstehen sollte, sagten es meine Eltern in dieser fremden Zunge, sie belegten nämlich gemeinsam einen Italienischkurs am Wiener »Istituto Dante Alighieri«. Meine ältere – aber eben damals auch noch junge – Schwester Daniela war überzeugt, die wöchentlichen Besuche der Eltern gälten der »Tante Alighieri«, und war bitter enttäuscht, als sie herausfand, dass es sich bei dieser Dame um einen längst verstorbenen Herrn handelte.
Anfänge und Blind Date
Singen und Oper waren in unserem Haushalt also etwas »Normales«. Dass sie einmal zum Zentrum meines Berufslebens werden sollten, wusste ich freilich noch nicht.
Den bescheidenen Anfang machte ein Nebenjob in der Wiener Künstleragentur Raab. Dr. Rudolf Raab, ein Freund meiner Eltern aus Kammerchor-Zeiten in den 1950er-Jahren, war ein väterlicher, stets fairer Chef und Künstlerbegleiter, der abseits seines dichten Tagesplans auch hervorragend blödeln konnte. Der bullige Mann mit der freundlichen Stupsnase konnte unbändig lachen, wenn durch das Telex (wo sind die Zeiten, als diese lautstarke Kommunikationsmaschine noch im Gebrauch war) bizarre Anfragen wie die folgende zu einer leicht falsch buchstabierten Borodin-Oper ratterten: »Bitte um Zusammenstellung von Besetzung FÜRTS IGOR.«
Ein italienisches Opernhaus wieder fragte anstelle des Baritons Wolfgang Brendel irrtümlich einen namhaften Pianisten für eine Hauptrolle an: »Bitte prüfen Sie Verfügbarkeit von Alfred Brendel für Rigoletto.«
Einmal begleitete ich Dr. Raab nach Hamburg, wir sahen eine Figaro-Vorstellung unter Eliahu Inbal. Rudi missfiel die Leistung des Dirigenten, er diagnostizierte trocken: »Dieser Inbal ist ein Outball.«
Ebenfalls in den 1980er-Jahren verdingte ich mich als Wien-Korrespondent eines Berliner Opernmagazins. Die Kernredaktion schien ausschließlich aus Homosexuellen zu bestehen, was mir egal sein konnte – bis zu dem Moment in der Vorweihnachtszeit, als sich der Chefredakteur mit mir ein Blind Date in der Staatsoper ausmachte. Auf Wienbesuch, wollte er sich eine Wagner-Aufführung ansehen und bei der Gelegenheit gleich seinen Wiener Nachwuchskorrespondenten kennenlernen. Ich trug in jener Zeit noch Mascherl – was ein paar Jahre später durch einen gewissen Parteiobmann übernommen und so in den Rang einer politischen Kundgebung erhoben wurde; hierauf hörte ich auf, Mascherl zu tragen, und er, als er dann Bundeskanzler wurde, übrigens auch. Da stand ich also im Foyer der Staatsoper und erwartete den Herrn aus Berlin … bis ein freundlicher, gepflegter Mittvierziger auf mich zustürmte, der sich als mein Chefredakteur zu erkennen gab. Und exakt die gleiche Fliege trug wie ich. Mir ist ja so schnell nichts peinlich, aber einen langen Lohengrin hindurch im Partnerlook-Selbstbinder das Parkett der Wiener Staatsoper zu bevölkern, das hat schon eine Grenze überschritten. Im Anschluss an die Vorstellung wünschte mir der Herr Chefredakteur noch einen »schönen Weihnachtsmann« und wir verließen – getrennter Wege – das Opernhaus am Ring.
Als Nebenkorrespondent (der Hauptverantwortliche war Peter Dusek) besuchte ich mehrmals pro Woche Wiener Repertoire-Vorstellungen, verriss ein paar Künstler, die mir das heute noch vorhalten, und hatte hin und wieder auch Gelegenheit zu Interviews, unter anderen mit dem aufstrebenden Generalmusikdirektor der Oper Nürnberg, einem gewissen Christian Thielemann. Dieser debütierte 1987 an der Staatsoper als Dirigent von Così fan tutte und machte sich gleich zur Begrüßung bei einem Wiener Original unbeliebt. Als er Walter Berry, den Darsteller des Don Alfonso, korrigierte, meinte der Kammersänger: »Das hab ich bis jetzt aber immer so gesungen.« Der nicht einmal 30-jährige Thielemann antwortete kühl: »Dann haben Sie es bis jetzt immer falsch gesungen.«
Jahre später kehrte Thielemann dann als gefeierter Wagner-Interpret an die Staatsoper zurück. Wer etwa Tristan und Isolde unter seiner Leitung erlebt hat, ist Zeuge einer außerordentlichen Aufführung geworden.
Ein Philharmoniker äußerte sich besonders anerkennend über des Maestros zügige Tempi bei »Isoldes Liebestod«: »So schnell hamma die Isolde no’ nie hamdraht!«*
Holenderiana
Zur Arbeit in das berühmteste Opernhaus der Welt (ich behaupte mal, dass die Wiener Staatsoper das ist) hat mich 1992 Ioan Holender eingeladen, und das werde ich ihm nicht vergessen. Dennoch kann ich ihn mit meinem Humor nicht verschonen.
Holender, bereits zu Amtszeiten legendärer und auch in den Stand des Ehrenmitglieds erhobener Langzeitdirektor der Staatsoper, ist ja ein reicher Born von Anekdoten. Die meisten habe ich schon vergangenen Schwänen anvertraut, zur Freude der Leserschaft, nicht immer zu jener des Herrn Holender.
Auch in fernen Weltengegenden wird der ehemalige Staatsoperndirektor geschätzt und geehrt. Aber mit ihm Schifahren gehen darf nicht jeder!
Außerdem habe ich einen hochalpinen Holender-Doppelgänger für Sie aufgespürt.
Doch immer wieder kommen mir Holenderiana ins Gedächtnis, die ich noch nicht notiert habe. Wie etwa jener Satz, den er im Mozart-Jahr äußerte, um festzustellen, dass nicht alles glänzt, wo der goldene Name »Mozart« draufsteht: »Die Gans von Kairo wird auch nicht besser, wenn die Netrebko die Gans singt.« Regelmäßig gelangen ihm Sätze wie der folgende, die das Visavis schlicht sprachlos machten: »Was Sie sagen, ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil davon stimmt.«
Eine bemerkenswerte Holender-Anekdote hat eigentlich seine langjährige Sekretärin, die unerschütterliche Frau A., zum Zentrum. Unerschütterlich musste man sein, wenn man im Vorzimmer des cholerischen, in seinen Willensäußerungen unerbittlich raschen, aber nicht immer klar artikulierenden Ioan Holender überleben wollte. »Frau A.! Kaffee!« war noch eindeutig; aber der nachdrückliche Auftrag, »den Dings, no, wie heißt er«, anzurufen, war es keineswegs. Auf eine zarte Nachfrage tönte es dann, schon ungeduldiger, etwa: »No, den anderen Bachler!«, und Frau A. konnte es sich aussuchen, Klaus Bachlers Nachfolger in der Volksoper, oder den im Burgtheater, oder aber irgendeinen Klaus Bachler ähnlich sehenden Herrn (vielleicht Roland Geyer?) in das Büro des Staatsopern-Direktors zu verbinden.
Frau A., eine pragmatisierte Beamtin, ertrug den niemals leichten Alltag mit an Gottergebenheit grenzender stoischer Ruhe.
Als es sich abzeichnete, dass Holenders Direktorenvertrag nicht über das Jahr 2010 hinaus verlängert werden würde, ging der Chef zum Angriff über (das tat er eigentlich unentwegt) und sandte eine in seiner charakteristischen kleinen Handschrift verfasste Botschaft an die Redaktionen, dass er selbst nicht für eine Verlängerung zur Verfügung stünde.
Der Journalist Karl Löbl rief als Erster in der Staatsopern-Direktion an – Löbl war überhaupt meistens der Schnellste, einer der Gründe für die gegenseitige Achtung, die er und Holender einander entgegenbrachten – und landete in Frau A.s Telefon.
»Grüß Gott, Frau A.! Das muss ja ein schwarzer Tag für Sie sein«, meinte Löbl.
Sie replizierte mit ihrer üblichen Gelassenheit: »Aber wirkli’ net, Herr Löbl.«
Comeback mit Minimalgage
Ioan Holender hat stets den Jungen Chancen gegeben; so wurde mir die Möglichkeit zuteil, Staatsopern-Matineen zu moderieren, was ich durch über ein Jahrzehnt (von einer Benefizmatinee 1997 bis zur Götterdämmerung-Einführung 2008) gerne getan habe, anfangs alternierend mit Marcel Prawy, dann vorübergehend abgelöst von Karl Löbl, mittlerweile endgültig (aber man weiß ja nie …) ersetzt durch die Hausdramaturgen Andreas und Oliver Láng.
Im Herbst 2014 gab es ein »Comeback« für mich: Das Musikgymnasium Wien feierte 50. Geburtstag in der Staatsoper, Christian Thielemann dirigierte das Meistersinger-Vorspiel und das Finale der IX. Beethoven (meine Frau Cornelia war die Sopran-Solistin).
Ioan Holender war im Publikum anwesend, denn seine Tochter Alina*, Schülerin des MGW, spielte Cello im Orchester. Natürlich traten alle Mitwirkenden kostenlos auf, und ich hatte für meine Eröffnungsmoderation den Satz vorbereitet, dass ich heute »dieselbe Gage wie Thielemann« verdiente.
Vor Beginn sprach ich mit dem Staatsopern-Direktor Dominique Meyer und wies ihn auf mein Gratis-Comeback hin, worauf er in der Hosentasche nach einer Euro-Münze fischte und sie mir feierlich überreichte: »Jetzt hast du eine Gage.«
Also musste ich meinen Eröffnungssatz ändern.
»Dies ist ein historischer Tag für mich. Ich bekomme heute, dank Herrn Direktor Meyer, mehr als Christian Thielemann; wenn es auch die niedrigste Gage ist, die je an der Staatsoper bezahlt wurde«, sagte ich und hielt triumphierend meinen Euro in die Höhe.
Nach der bejubelten Veranstaltung trieb Thielemann die Scharen mit dem Ruf »Hopp, hopp! Verbeugen ist Dienst« auf die Bühne.
Meyer erschien hinter der Bühne und sagte zu mir: »Holender wird böse sein. Er war immer so stolz darauf, dass er die niedrigsten Gagen zahlt …«
Während ich diese Zeilen schreibe, bereitet sich Opern-Wien auf die Huldigungen zum 80er Ioan Holenders vor. Eine sehr bewegende fand bereits Mitte Mai 2015 in der Rumänischen Botschaft statt. Ich war natürlich nicht eingeladen, aber meine Schwester Daniela, die von Holender sehr geschätzte ehemalige »Frau Präsidentin« der Konzertvereinigung, berichtete mir, dass Holenders Sohn Liviu nicht nur mit seiner Schwester Alina musiziert, sondern auch in einem einstens vom Vater getragenen Escamillo-Kostüm die Auftrittsarie des Toréador gesungen hatte – der Senior war verständlicherweise zu Tränen gerührt.
Ich schließe mich den guten Wünschen gerne an und bin dem »Herrn Direktor«, der sich mittlerweile als Konsulent und TV-Talkmaster hervortut, immer dankbar – nicht nur für die lustigen Geschichten, die sich mit ihm verbinden, sondern auch für die »Erfindung« meiner »Karriere«.
Titelverwirrungen
Nichts liegt mir ferner, als Kollegen zu verspotten, denen Fehler in Druckschriften unterlaufen. Aus jahrzehntelanger leidvoller Erfahrung weiß ich, wie leicht das passieren kann. Man spricht dann neckisch vom »Druckfehlerteufel«, der wieder »zugeschlagen« hat, oder meint entspannt: »Wer einen Fehler findet, kann ihn behalten.« Aber so leicht nimmt man’s als Verantwortlicher nicht, wenn etwa, wie im Spielplan der Kölner Oper, folgender bizarrer (Unter-)Titel zu lesen ist: »Die spanische Fliege. Komische Oper von Henrik Ibsen«.
Auf einem Transparent landete gar die avantgardistische Operette Die Feldermaus, andernorts wurde auch schon Die Flederermaus angekündigt.
In der Aussendung einer Künstleragentur stieß ich auf Herzog Blaubarts Burg in anfechtbarer englischer Fassung: Duke Bluebird’s Castle – es müsste natürlich Bluebeard heißen. Den entsprechenden Vogel gibt es auch, den »Rotkehlhüttensänger« oder »Elfenblauvogel«, nur hat Béla Bartók nie eine Oper über dieses Tier geschrieben.
Freund Oswald Panagl berichtete mir von einem ärgerlichen Druckfehler in einer seiner Publikationen über Richard Wagner. Was ein Zitat aus Mimes Ansprache an Siegfried werden sollte: »Als zullendes Kind zog ich dich auf …« wurde, um jegliche Stabreimqualität betrogen, zu: »Als lullendes Kind …«
Um die Schreibweise von Rossinis Vornamen ein für alle Mal festzulegen – nämlich »Gioachino«, nicht »Gioacchino« –, sandte ich im März 2011 ein Mail an den gesamten Volksopern-Verteiler, wobei mir allerdings ein kleines Missgeschick unterlief:
Dies ist die ab sofort (auch in der Jahresvorschau) gepflogene Schreibweise: Gioachino mit einem »n«!
Bitte um Beachtung,
beste Grüße
Mag. Christoph Wagner-Trenkwitz
Die aufmerksame Kollegin Kerstin André-Bättig antwortete prompt:
Und mit einem »c« :-))
… worauf ich nur mehr ein verschämtes »Stimmt« erwidern konnte.
Das Publikum hingegen darf sich immer irren, wenn es nur brav nach Karten verlangt. So erbat ein Kunde an der Volksopern-Kasse einmal Tickets für den Wixer von Oz, ein anderer für das berühmte Musical My Fat Lady.
Und ein US-Kollege, dem ich Zutritt zu den Aufführungen von Die lustigen Weiber von Windsor und Die spinnen, die Römer! verschafft hatte, bedankte sich anderntags in typisch angelsächsischer Kurzform: »Thank you so much for arranging my tickets for Die Lustigen and Die Spinner. Enjoyed both very much!«
Verlassen wir für einen Moment die Welt des Musiktheaters. Betreten wir das Hotel Imperial, das, in Sichtweite der Wiener Staatsoper gelegen, seit jeher musische Gäste (unter ihnen Richard Wagner) beherbergt hat. Als das Luxushotel zur Vermarktung der neuen »Imperial-Torte« schritt, passierte ein hinreißend schöner Fehler. Man bewarb die nobel verpackte »Imperial-Tote in der Holzkiste«.
Hier die offizielle tschechische Schreibweise der österreichischen Kulturstadt sowie ein inoffizielles Werk aus Mozarts Feder.
Schreibfehler und Stilblüten sind nicht dasselbe; zur Unterscheidung hier eine vollkommen rechtschreibfehlerfreie, aber allzu blumige Formulierung meiner Volksopern-Vorgängerin Birgit Meyer: »Ernst Kreneks Musik atmet den Puls der Zeit.«
Dies ist umso beachtlicher, als Frau Dr. Meyer auf ein abgeschlossenes Medizinstudium verweisen kann; in musikalischen Fragen mag sie also danebengreifen, über die Funktionsverteilung im Körper (zum Beispiel, dass man einen Puls nicht atmen kann) sollte sie allerdings Bescheid wissen.
Ein Geschäftsführer in einem Bundestheater muss viele Rechnungen unterschreiben, und das gehört nicht zu seinen lustigsten Aufgaben.
Als der Volksopern-Kaufmann Mag. Christoph Ladstätter einmal dennoch angesichts einer eingereichten Rechnung in lauten Jubel ausbrach, lag das an folgenden Umständen: Streicherbögen brauchen regelmäßig eine neue Behaarung; ein sehr geschätzter Cellist des Volksopern-Orchesters heißt Michael Williams, und er hat eine weithin sichtbare Glatze; als die von der Geigenbaumeisterin ausgestellte Rechnung den Wortlaut »Behaarung für Michael Williams« aufwies, lachte der Magister – verständlich, oder?
Als ich Angelika Kirchschlager das Kleid vom Leibe riss
Die große Angelika Kirchschlager kannte ich bereits, als sie noch fern von groß war. Sie war meine Studien-, Staatsopern- und Kindergartenkollegin (ihr Sohn Felix besuchte mit meiner Erstgeborenen den Italienischen Kindergarten, den »Asilo Italiano«, in Wien), sie war und ist eine gute Freundin, aber eines hatten wir nie: ein Verhältnis. Mögen die Herren Leser jetzt auch mitleidig den Kopf schütteln, aber es kam nie dazu. Umso verwirrender mag der Titel dieses Absatzes wirken, also klären wir die Verwirrung rasch auf.
Das lauschige Fleckchen Laxenburg lud 2013 zum Sommerkonzert, Angelika war der Vokalstar, ich der Moderator. Wir erfreuten das Publikum nach Kräften, vor der zweiten Zugabe wurde Angelika merkbar nervös: Sie müsse schnellstens nach Wien zurück, ein Auto warte bereits. Als alle Zugaben abgeliefert waren, beorderte sie mich in ihre Garderobe, damit ich ihr Kleid öffnete; der Zippverschluss verhakte sich, alles klemmte.
Darauf kommandierte die Kirchschlager, ohne jeden Anflug von Belcanto in der Stimme: »Reiß den Dreck auf!«
Ich gehorchte, das Abendkleid war in Fetzen, aber beseitigt.
Apropos mangelhafte Bekleidung: In meiner Kellertheater-Zeit bescherte mir ein irrtümlich nicht geschlossenes Hosentor einmal einen unverhofften Erfolg.
Reifere Künstler achten vor dem Auftritt darauf, dass alles vorschriftsmäßig zugezippt ist. Götz Zemann, bejahrter Grazer Publikumsliebling, kann diesen letzten Sicherheitsblick wegen übergroßer Leibesfülle nicht selbst vornehmen. Vor einer Vorstellung des Weißen Rössl an der Grazer Oper hörte ich ihn seine Garderobiere fragen: »Alles in Ordnung, Puppi? Hosentürl zu?«
Die Dame namens Puppi sah nach und erteilte Zemann die Erlaubnis, auf die Bühne zu gehen.
Nochmals zurück nach Laxenburg: 2015 moderierte ich dort abermals ein Sommerkonzert, und Ildikó Raimondi hat mich bis zum Schluss nicht gebeten, ihr das Kleid vom Leib zu reißen.
Auch Dalma Viczina, die schöne Finalistin im Wettbewerb für Musikalisches Unterhaltungstheater, dem sogenannten M.U.T., blieb mir diese Aufforderung schuldig. Als ich sie nach ihrer Darbietung fragte, was denn der rare Vorname bedeute, sagte die Ungarin: »›Dalma‹ heißt ›Das heutige Lied‹. Meine Mutter muss gut aufgelegt gewesen sein, als sie mich so nannte!« Ich gab zurück: »Na Gott sei Dank war sie nicht noch besser aufgelegt und hat dich mit zweitem Namen Tina genannt!«
In demselben, von Josef Ernst Köpplinger an seinem Münchner Gärtnerplatztheater abgehaltenen Wettbewerb wurden auch die legendären Kessler-Zwillinge in der Jury erwartet. Leider konnten Alice und Ellen Kessler nicht kommen, denn sie hatten – ob man es mir glaubt oder nicht – eine Doppelvorstellung!
Allerlei Diebesgut
Keinen gemeinsamen Nenner weiß ich für die folgenden Begebenheiten, außer, dass ich sie erbeutet habe und nun ruchlos weitergebe – der Tatbestand der Hehlerei ist erfüllt, aber hoffentlich zu Ihrer Freude.
Für einen mir persönlich bekannten Oboisten der Wiener Philharmoniker wurde eines Salzburger Festspielsommers der Musiker-Albtraum schlechthin wahr: Er hatte den Termin der öffentlichen Generalprobe zu Bergs Lulu falsch notiert. Publikum und Orchester waren schon versammelt, als den Unvorbereiteten der Anruf traf, wo er denn bleibe. Trotz einer halsbrecherischen Radlfahrt schaffte es der geplagte Musiker nur mit beträchtlicher Verspätung ins Festspielhaus. Die Verschiebung des Beginns um eine Stunde wurde vom Intendanten Jürgen Flimm persönlich mit einem »technischen Gebrechen« begründet. Die Panne wurde Stadtgespräch, der Schuldige allerdings blieb ungeoutet.
Wenige Tage nach dem Vorfall benützte die Oboistengattin ein Salzburger Taxi. Der Chauffeur gab sich kundig: »Wissen S’, warum die Lulu-Generalprob’ verschoben worden is’? Der Dirigent hat verschlafen!«
Franz Patay, mittlerweile Rektor der Konservatorium Wien Privatuniversität (was uns nicht berechtigt, ihn als »Privatrektor« anzusprechen), ist Sohn eines Philharmonikers. Der Vater nahm den kleinen Franz mehrmals zum Dienst in die Staatsoper mit. Der Knabe sah die unterirdischen Garderoben und den versenkten Orchestergraben und meinte, »Oper« sei eine Art U-Boot. Erst als er einmal in der Mittelloge für eine Ballettaufführung Platz nehmen durfte, weitete sich sein Begriff von dieser Kunstform zum Guten.
Jahre später schnupperte der Student Patay auch Bühnenluft als Staatsopern-Statist. Vorstellung für Vorstellung marschierte er zum Beispiel im Schlussbild von Carmen als stolzer Spanier in der hinteren Reihe ein. Als er den Kollegen aus der ersten Reihe fragte, ob man nicht einmal Platz tauschen könnte, winkte dieser kategorisch ab:
– Das geht nicht.
– Warum nicht?
– Ich bin Premierenbesetzung.
Bisweilen passiert es, dass man Anekdoten witzig, aber falsch erzählt. So geschah es mir in Schwan drüber, wo sich folgende Zeilen finden:
Der ehemalige ORF-Archivchef und Opernfreunde-Präsident Peter Dusek empfing Luciano Pavarotti in Salzburg zu einem Künstlergespräch. Er öffnete dem Tenorissimo die Wagentüre, und während sich der beleibte Italiener mühsam aus dem Auto kämpfte, verwies der ebenfalls nicht magere Dusek auf die Außentemperaturen: »Hot, what?«
In Wahrheit spielte sich diese Geschichte, wie mir mitgeteilt wurde, anders ab. Luciano Pavarotti hatte in Salzburg einen Liederabend bei Rekord-Außentemperaturen absolviert.
Im Anschluss daran fragte er Peter Dusek: »How was it?«
Und dieser replizierte: »Hot was!«
Auch nicht schlecht.
Aufmerksamer Korrektor in dieser Sache war mein Freund Franz-Leo Popp, dessen Lob ich im ersten Schwan gesungen habe.
Zum runden Geburtstag des fanatischen und international bewunderten Autogrammsammlers Erich Wirl holte Leo selbst zur Laudatio aus. Wirls Hobby, von Künstlern stets drei bis vier Porträts signieren zu lassen – und das durch Jahrzehnte –, hatte ihn zum Herrscher über eines der größten privaten Fotoarchive der Welt werden lassen. Leo weckte in seiner Rede Mitleid mit den Sängerinnen und Sängern: Ein Tenor mit Doppelnamen, dessen Wirl vor der Vorstellung in der Arena di Verona habhaft wurde, hätte angeblich seine Auftrittsarie versäumt, weil er zu so vielen Unterschriften genötigt worden war.
Und auch die junge Maria Meneghini-Callas bereute der Legende nach ihren Doppelnamen, nachdem sie von Erich Wirl in die Pflicht genommen worden war: »Hast g’hört? Die Callas hat sich scheiden lassen. Wegen dem Wirl!«
Villazóniana
Man kann ja selbst am wenigsten beurteilen, wem man ähnlich sieht. Mir wurde jahrelang eine Ähnlichkeit mit Rolando Villazón und mit Rowan Atkinson (dem Darsteller des Mr. Bean) unterstellt, was mich immer ehrte und freute.
In der New Yorker Buchhandlung Barnes & Noble zeigte sich ein Verkäufer vor Jahren richtig enttäuscht, als ich ihm meine Kreditkarte mit dem nichtssagenden Namen vorlegte; er wäre überzeugt gewesen, in der Kassen-Schlange hätte sich der britische Komiker langsam auf ihn zubewegt.
Den Vogel schoss Dieter Chmelar nach der Präsentation von Schwan drüber ab. Er titelte: »Wagner-Trenkwitz: Wo blieben seine Drillinge?« Unter Villazóns Konterfei schrieb er: »Kam nicht.« Unter jenes von Mr. Bean: »Sagte ab.« Und unter das meine: »Erschien allein.«