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Meinen reizenden Nichten Amanda Sobel und Chiara Peacock in der kopernikanischen Tradition des Nepotismus verpflichteter Liebe
Übersetzung aus dem Englischen von Kurt Neff
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2012
ISBN 978-3-8270-7529-1
Deutschsprachige Ausgabe:
© 2012 Bloomsbury Verlag GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Nina Rothfos & Patrick Gabler, Hamburg
Umschlagfoto: © akg-images und © akg-images/Nimatallah
Datenkonvertierung: Greiner & Reichel, Köln
Inhalt
Karten
»An den Leser über … dieses Werk«
ERSTER TEIL – Präludium
1 Moralische, ländliche und erotische Briefe
2 Der Erste Entwurf
3 Verpachtung wüster Hufen
4 Anleitung zur Münzprägung
5 Der Brief gegen Werner
6 Die Brotpreisordnung
ZWEITER TEIL – Zusammenspiel
Und die Sonne stand still – Erster Akt
Und die Sonne stand still – Zweiter Akt
DRITTER TEIL – Nachwirkungen
7 Erster Bericht
8 De revolutionibus orbium coelestium
9 Die Baseler Ausgabe
10 Abriss der kopernikanischen Astronomie
11 Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme,
das ptolemäische und das kopernikanische
12 Ein kommentierter Zensus von Kopernikus’
De revolutionibus
Danksagung
Kopernikanische Chronologie
Zitatnachweise
Quellen und Literatur
Bildnachweis
Register
»An den Leser über … dieses Werk«
Seit die Feierlichkeiten anlässlich seines 500. Geburtstags im Jahr 1973 mich auf die bemerkenswerte Lebensgeschichte von Nikolaus Kopernikus aufmerksam gemacht haben, wollte ich seine Begegnung mit dem ungebetenen Besucher, der ihn zur Publikation seiner »absurden Idee« überredete, in einem Theaterstück ausmalen.
Um das Jahr 1510 entwarf der fast vierzig Jahre alte Kopernikus ein neues Bild des Universums, mit der Sonne, nicht der Erde im Mittelpunkt. Aus Furcht, von seinen astronomischen Fachgenossen verlacht zu werden, behielt er die Theorie dann dreißig Jahre lang für sich. Als jedoch ein unerwarteter Gast namens Rhetikus 1539 die gefährliche, mehrere hundert Kilometer weite Reise ins polnische Preußen auf sich nahm, um mehr über die neue Anordnung der Planeten zu erfahren, willigte der alternde Kopernikus ein, sein Schweigen zu brechen. Zwei Jahre blieb der junge Mann, obwohl ihm als Lutheraner der Aufenthalt in dem katholischen Bistum Ermland durch die fürstbischöfliche Landesordnung von 1526 untersagt war. Rhetikus half seinem Mentor, dessen lange vernachlässigtes Manuskript druckreif zu machen, und brachte es später eigenhändig nach Nürnberg zu dem besten Drucker wissenschaftlicher Texte in ganz Europa.
Niemand weiß, mit welchen Worten es Rhetikus gelang, Kopernikus von der Veröffentlichung seines Manuskripts zu überzeugen. Den Dialog der beiden in dem auf Seite 127 beginnenden Zweiakter habe ich erfunden, wenngleich die Figuren mitunter wörtlich wiedergeben, was ihre Vorbilder in diversen Briefen und Abhandlungen geschrieben haben. Ursprünglich hatte ich das Stück als eigenständiges Werk konzipiert, nahm dann aber dankbar den Rat meines scharfsinnigen Lektors George Gibson an und stellte es in den größeren historischen Zusammenhang, indem ich die fiktiven Szenen mit einer wohldokumentierten Darstellung umgab, die Kopernikus’ Lebensgeschichte erzählt und die Auswirkungen seines wegweisenden Buches De revolutionibus orbium coelestium (Über die Umdrehungen der Himmelssphären) bis in die Gegenwart verfolgt.
ERSTER TEIL
Präludium
Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, wie groß bist du!
Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser. Du nimmst dir die Wolken zum Wagen, du fährst einher auf den Flügeln des Sturmes.
Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet; in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken.
Psalm 104,1.3.5
Das große Verdienst des Kopernikus und der tragende Grund seines Anspruchs auf die Urheberschaft an jener Entdeckung liegen darin, dass er sich nicht damit begnügte, lediglich seine Ansichten vorzutragen, sondern dass er einen Großteil seiner Lebensarbeit darauf verwandte, auch den Beweis für deren Richtigkeit zu erbringen, und sie so in ein Licht setzte, das ihre endgültige Anerkennung unausweichlich machte.
Aus Popular Astronomy (1878) von SIMON NEWCOMB
(Gründungspräsident der American Astronomical Society)
1
Moralische, ländliche und erotische Briefe
Die Zikade, das musikalische Tier, beginnt zu singen, wenn die Morgenröte leuchtet. Aber viel schallender und ihrer Natur gemäß geschwätziger vernimmt man sie zur Mittagsstunde, gleichsam trunken von den Strahlen der Sonne. Es zirpt also die Sängerin, und indem sie den Baum zur Bühne, den Acker zum Theater macht, bietet sie den Wanderern ihre Musik dar.
Aus Kopernikus’ erstem veröffentlichten Werk,
Des Scholastikers Theophylaktos Simokattes
moralische, ländliche und erotische Briefe (1509)
ikolaus Kopernikus, der Mann, dem die Revolutionierung unserer Auffassung vom Kosmos zuzuschreiben ist, wurde am Freitag, dem 19. Februar 1473, nachmittags um 4.48 Uhr in der Stadt Thorn im »altpreußischen« Teil des Königreichs Polen geboren. Sein (in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrtes) Horoskop für diesen verheißungsvollen Zeitpunkt zeigt die Sonne elf Grad im Tierkreiszeichen Fische im sechsten Haus, während Jupiter und Mond mit vier beziehungsweise fünf Grad im Tierkreiszeichen Schütze im dritten Haus »in Konjunktion«, also praktisch übereinander, stehen. Was auch immer eine solche Konstellation an Hinweisen auf Charakter und Schicksal enthalten mag – dieses spezielle Geburtsblatt ist erst nachträglich, am Lebensende des Astronomen entstanden und nicht am Beginn (wobei Datum und Uhrzeit der Geburt errechnet und nicht etwa einer Geburtsurkunde entnommen wurden). Zu dem Zeitpunkt, als Kopernikus’ Horoskop erstellt wurde, wussten seine Zeitgenossen bereits, dass er der Urheber eines neuen Modells vom Universum war – dass er dem gesunden Menschenverstand und der traditionellen Lehre zum Trotz die Sonne in das Zentrum des Kosmos gestellt und dann die Erde auf einer Kreisbahn um sie herum in Bewegung gesetzt hatte.
Mit annähernd siebzig Jahren hatte Kopernikus kaum Veranlassung, sich an sein Geburtsdatum oder gar an die auf die Minute genaue Geburtszeit zu erinnern. Zudem hatte er niemals auch nur den leisesten Glauben an irgendwelche astrologischen Weissagungen bekundet. Sein damaliger Gefährte jedoch, ein erklärter Anhänger der »prognostischen Kunst«, bedrängte ihn offenbar um biografische Einzelheiten, um die Sternenkonstellation zum Zeitpunkt seiner Geburt bestimmen zu können.
Die Symbole und die Dreiecksfelder des Horoskops verorten die Sonne, den Mond und die Planeten im Tierkreis, dem Ring von Sternbildern, den sie im Jahreslauf scheinbar durchwandern. Die Zahlen beschreiben genauer ihre Stellung über oder unter dem Horizont zum fraglichen Zeitpunkt. Obschon das Diagramm geradezu nach einer Ausdeutung verlangt, ist nichts Derartiges mitüberliefert. Eine heutige Astrologin, die gebeten worden war, sich den Fall näher anzusehen, fertigte mit Hilfe einer Computersoftware eine neue Horoskopzeichnung in Kreisform an, in die sie auch Himmelskörper des Sonnensystems einbezog, die zur Zeit des Kopernikus noch unbekannt gewesen waren. So stahlen sich Uranus und Neptun in das dritte Haus zu Mond und Jupiter hinein, während sechzehn Grad im Sternzeichen Jungfrau im ersten Haus Pluto, eine dunkle Kraft, in Opposition zur Sonne in Erscheinung trat. Sichtlich beeindruckt von der Pluto-Sonne-Opposition, erklärte die Sterndeuterin, sie sei das Kennzeichen eines geborenen Revolutionärs.
Bei dem kühnen Projekt einer Neuordnung des astronomischen Weltbilds, das Kopernikus im Entwurf konzipierte und dann über Jahrzehnte in freien Stunden weiterentwickelte, ging es in seinen Augen um nichts Geringeres als den Bauplan für die »bewunderungswürdige Harmonie der Welt«. Gleichwohl wahrte er Vorsicht, indem er seine Ideen zuerst nur gegenüber einigen wenigen Fachkollegen durchsickern ließ und keinerlei Versuche unternahm, andere zu seinen Ansichten zu bekehren. Unterdessen sorgten um ihn herum immer wieder reale und blutige Umwälzungen – die protestantische Reformation, der Bauernkrieg, kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Orden und mit dem Osmanischen Reich – für unruhige Zeiten. Kopernikus zögerte die Veröffentlichung seiner Theorie so lange hinaus, dass ihn ein erstes Exemplar seines endlich im Druck erschienenen genialen Buches De revolutionibus orbium coelestium erst Stunden vor seinem letzten Atemzug erreichte. Von der Kritik oder dem Beifall, die das Buch erfuhr, bekam er nichts mehr mit. Jahrzehnte nach seinem Tod, als die ersten mit Hilfe des neu erfundenen Teleskops gemachten astronomischen Entdeckungen seine Anschauungen glaubhaft erscheinen ließen, ächtete die Römische Inquisition sein Werk. Im Jahre 1616 wurde De revolutionibus auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt und blieb dort mehr als 200 Jahre lang. Kopernikus’ Ideen hatten einen philosophischen Meinungsstreit und einen Wandel des Weltbilds zur Folge, die gelegentlich unter der Bezeichnung kopernikanische Revolution oder kopernikanische Wende zusammengefasst werden.
GEBURTSHOROSKOP FÜR NIKOLAUS KOPERNIKUS
Zu Kopernikus’ Zeiten schöpften Astronomen und Astrologen aus ein und derselben Quelle des Wissens über die Stellungen der Himmelskörper vor dem Hintergrund des Sternhimmels. Bis zur Erfindung des Fernrohrs im 17. Jh. waren Positionsbestimmung und -vorhersage das einzige Arbeitsfeld der Planetenkunde – und die Grundlage für das Erstellen von Horoskopen.
Bei der Taufe erhielt Kopernikus den Namen seines Vaters – Mikolaj im Polnischen, Niklas in seiner deutschen Muttersprache. Später, als Gelehrter, hat er seinen Namen latinisiert, aufgewachsen ist er jedoch als Niklas Koppernigk, zweiter Sohn und jüngstes Kind einer aus dem oberschlesischen Kupferbergbaugebiet stammenden Kaufmannsfamilie. Der Name des Heimatdorfs seiner Ahnen, Koprnik, später Köppernig (heute Koperniki), könnte entweder von koper, dem slawischen Namen der Dillpflanze, abgeleitet sein oder von dem mittelniederdeutschen Wort kopper, »Kupfer«, dem Namen des Metalls, das dort abgebaut wurde – vielleicht verwies er auch auf alle beide Produkte der umliegenden Berghänge. Die etymologischen Wurzeln des Dorfnamens waren jedenfalls längst verschüttet, als Dorfbewohner späterer Generationen die Heimat verließen, um in den Städten ihr Glück zu versuchen. Im Jahr 1375 wurde ein Waffenschmied namens Niczko (= Nicolaus) Coppernik in den Stadtbüchern von Krakau aktenkundig, 1395 gefolgt von dem Steinmetz Niclos Koppirnig, und wie ein Aktenvermerk im Lemberger Stadtarchiv bezeugt, übersiedelte 1439 der Seiler Nicolas Koppernik von Krakau nach Lemberg – alle drei trugen sie sowohl den Namen der Heimat ihrer Ahnen als auch den von deren populärem Schutzpatron.
Um das Jahr 1456 übersiedelte der Kaufherr Niklas Koppernigk, der einen Großhandel mit ungarischem Kupfer betrieb, von Krakau weichselabwärts nach Thorn, wo er Barbara Watzenrode heiratete. Die Eheleute wohnten in einem hohen Backsteinhaus in der schmalen St. Annengasse (später in Kopernikusstraße umbenannt), wo sie vier Kinder großzogen. (Das Gebäude beherbergt heute ein Museum, das dem Andenken des berühmten Mannes gewidmet ist.) Von dem zweiflügeligen Frontportal mit der spitzbogigen Archivolte aus war es für die beiden Knaben Andreas und Niklas nur ein kurzer Fußweg zur Pfarrschule der Sankt-Johannes-Kirche oder hinunter zum Warenlager der Familie nahe der Weichsel, die, eine Lebensader des Handels, von Krakau her an Warschau vorbei-, dann durch Thorn und weiter nach Danzig floss, wo sie nahebei in die Ostsee mündete.
Als der kleine Niklas zehn Jahre alt war, starb Niklas senior und ließ zwei Söhne und zwei Töchter vaterlos zurück. Möglicherweise bat die verwitwete Barbara Koppernigk ihren Bruder Lukas Watzenrode um Beistand. Watzenrode gehörte dem niederen katholischen Klerus an und bekleidete in der gut 200 Kilometer entfernt im Fürstbistum Ermland gelegenen Stadt Frauenburg das Amt eines »Kanonikus«, eines Domherrn oder Domkapitulars. Möglicherweise war Barbara auch schon vor ihrem Ehegatten gestorben – ihr Todesdatum ist nicht überliefert. In jedem Fall kamen die Kinder in die Obhut ihres Onkels. Kanonikus Watzenrode handelte für seine jüngere Nichte Katharina einen Ehevertrag mit dem Krakauer Kaufherrn Bartel Gertner aus und brachte die ältere, Barbara, in dem Zisterzienserinnenkloster in Kulm unter. Für seine jungen Neffen sorgte er während ihrer Schulzeit in Thorn und später in Kulm oder Włocławek, bis sie in der Lage waren, seine Alma Mater, die Jagiellonen-Universität in Krakau, zu besuchen. Zu diesem Zeitpunkt war Onkel Lukas bereits von einer eher mediokren Position in der katholischen Hierarchie zum Fürstbischof von Ermland aufgestiegen.
Die Jagiellonen-Bibliothek der Universität Krakau bewahrt eine alte handschriftliche Matrikel auf, in der in Kanzleischrift vermerkt ist, dass der achtzehnjährige Nikolaus Kopernikus die Studiengebühr für das Wintersemester 1491/92 in voller Höhe gezahlt hat. Er studierte Logik, Poetik, Rhetorik, Naturphilosophie und mathematische Astronomie. In den Lehrveranstaltungen, die er besuchte, wurden das Kupfer, mit dem sein Vater gehandelt hatte, und andere Naturstoffe nicht als Elemente im Sinne unseres heutigen Periodensystems behandelt. Vielmehr betrachtete man sie als je verschiedene Kombinationen der klassischen vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer. Der Himmelsraum hingegen bestand zur Gänze aus einem fünften Grundstoff, dem Äther, der sich von den vier anderen dadurch unterschied, dass er unwandelbar und ewig war. Gewöhnliche, irdische Dinge bewegten sich mehr oder weniger geradlinig fort, indem sie entweder nach dem ihrer Natur angemessenen Ort in der Weltordnung strebten oder von außen angestoßen wurden. Himmelskörper indessen hafteten an sich ewig drehenden Schalen von vollkommener Kugelform (»Sphären«).
Vom Beginn seines Universitätsstudiums an fesselten die Planetenbewegungen Kopernikus’ Interesse. Noch als Student erwarb er zwei Druckwerke mit astronomischen Tafeln zur Berechnung der Planetenstellungen und ließ sie unter Beibindung von sechzehn leeren Seiten zu einem Band vereinen; die hinzugefügten Seiten füllte er mit der Abschrift von Teilen eines dritten Tafelwerks und mit eigenen Notizen. (Der Band wurde zusammen mit anderen Überresten seiner persönlichen Bibliothek im Dreißigjährigen Krieg als Beutegut nach Schweden verschleppt und befindet sich heute in der Universitätsbibliothek zu Uppsala.) Mehr als einmal hat Kopernikus die Faszination, welche die Astronomie auf ihn ausübte, mit ihrem ästhetischen Reiz erklärt und rhetorisch gefragt: »Was ist schöner als der Himmel, welcher ja alles Schöne enthält?« Außerdem sprach er von der »unglaublichen Beseligung des Geistes«, die er bei der Betrachtung von Dingen erfahre, welche er »in der besten Ordnung gegründet, von der göttlichen Vorsehung gelenkt« sehe.
»Unter den vielen verschiedenen Studien der Wissenschaften und Künste, durch welche sich der Menschengeist entwickelt«, schrieb er, »halte ich diejenigen vorzüglich für werth, ergriffen und mit dem höchsten Eifer betrieben zu werden, welche sich mit den schönsten und wissenswürdigsten Gegenständen beschäftigen. Diese sind nun diejenigen, welche von den himmlischen Kreisbewegungen der Welt, dem Laufe der Gestirne … handeln.«
DAS ARISTOTELISCHE UNIVERSUM
In der Schule hatte Kopernikus gelernt, dass die Welt um ihn herum aus vier Elementen bestand: Erde, Wasser, Luft und Feuer. In weiter Ferne von diesen gewöhnlichen Stoffen bestanden der Mond und die anderen Himmelskörper aus einem fünften, unwandelbaren und unzerstörbaren Grundstoff. Die Körper am in sich vollkommenen Himmel befanden sich in gleichförmiger Kreisbewegung.
Das einem seit langem verschollenen Selbstbildnis nachempfundene Porträtgemälde von Kopernikus, das heute im altstädtischen Rathaus der Stadt Torun (Thorn) hängt, zeigt einen gut aussehenden, jugendlich wirkenden Mann. Der Dargestellte trägt ein rotes Studentenwams, in die dunklen Augen und das schwarze Haar sind Glanzlichter gemalt. (Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass der Lichtfleck in den beiden braunen Iriden ein hohes gotisches Fenster widerspiegelt.) Die Nase ist lang, der Schatten über den vollen Lippen bezeugt Männlichkeit, und über den gesamten Innenwinkel des linken Auges zieht sich eine schwache Narbe bis in die Braue hinauf. Auf dieses Merkmal beriefen sich die polnischen Archäologen, die 2005 bei Grabungen in der Kathedrale von Frombork (Frauenburg), in der Kopernikus einst beigesetzt worden war, seinen Schädel gefunden hatten. Zwei Kerben am Rand der rechten – nicht der linken – Augenhöhle schienen ihre Identifizierung zu bestätigen, denn jeder, der sich selbst porträtiert, nimmt sich ja spiegelbildlich wahr.
Im September 1496 reiste Kopernikus, wiederum auf Geheiß seines Onkels, nach Italien, wo er an der Universität Bologna das Kirchenrechtsstudium aufnahm. Er hatte erst ein Jahr Studium hinter sich, als er schon selbst ein Kirchenmann wurde. Der Tod eines der sechzehn Mitglieder des ermländischen Domkapitels schuf eine Vakanz, und Bischof Watzenrode nutzte seinen Einfluss, um das Amt seinem abwesenden Neffen zu verschaffen. Als vierzehnter Domherr des Frauenburger Kapitels war Kopernikus de facto Mitglied im reichen und mächtigen Leitungsgremium des Fürstbistums Ermland und bezog nun ein eigenes Einkommen unabhängig von dem, was er an Unterhalt vonseiten seines Onkels genoss.
In Bologna wohnte er bei dem Astronomieprofessor Domenico Maria Novara, dem er bei seinen nächtlichen Beobachtungen zur Seite stand. Gemeinsam beobachteten sie am 9. März 1497, wie der Mond vor dem hellen Stern Aldebaran (dem »Auge« des Sternbilds Stier) vorbeizog, und in seinen Notizen hielt Kopernikus fest, wie sie »am Ende der 5ten Stunde der Nacht den Stern dicht an dem dunkeln Theile des Mondkörpers zwischen den Hörnern des Mondes eben verschwinden« sahen.
Nach Beendigung seines rechtswissenschaftlichen Studiums in Bologna besuchte Kopernikus im Frühjahr 1500 die Stadt Rom, um dort die Feiern zum Heiligen Jahr mitzuerleben. Er und die anderen Pilger sorgten dafür, dass sich die Bevölkerung der Heiligen Stadt vorübergehend verdreifachte. Am Ostersonntag empfing eine Menge von 200000 Menschen auf dem Petersplatz kniend den Segen des Papstes Alexander VI. Am 6. November beobachtete Kopernikus, immer noch in Rom, eine partielle Mondfinsternis, die er später in De revolutionibus erwähnte. Auch hielt er während seines Romaufenthalts Mathematikvorlesungen vor Studenten wie Fachgelehrten. Gleichwohl war die Entscheidung über seine Zukunft im Schoß der Kirche bereits getroffen. Am 27. Juli 1501 nahm er zusammen mit seinem älteren Bruder Andreas, der dank Onkel Lukas inzwischen ebenfalls ein Kanonikat erlangt hatte, in Frauenburg an einer Sitzung des Domkapitels teil. Die beiden jungen Männer baten um die Erlaubnis, ihre Ausbildung in Italien fortsetzen zu dürfen, und das Kapitel erteilte seinen Segen. Die Brüder brachen unverzüglich nach Padua auf, wo Kopernikus das Studium der Medizin aufnahm, um dem ermländischen Bischof und den Herren vom Kapitel »dermaleinst als Arzt nützlich werden« zu können.
In seinem Roman Doktor Kopernikus malt John Banville seine Vorstellung davon aus, wie die Brüder sich für die Reise wappneten, nämlich »mit zwei kräftigen Wanderstöcken, guten schweren Jacken, die mit Schafsfell gegen die alpine Kälte gefüttert waren, einer Zunderbüchse, einem Kompass, vier Pfund Schiffszwieback und einem Fass mit gepökeltem Schweinefleisch«. Diese und andere facettenreiche Schilderungen in dem Roman – eine zeigt uns »Nikolas«, wie er sich seinen Vorrat an Goldmünzen sicherheitshalber in den Saum seines Mantels einnäht – helfen die Lücken in der nachweisbaren Lebensgeschichte zu überbrücken. Letztere haben Historiker aus Kopernikus’ wenigen veröffentlichten Werken und aus verstreuten Archivalien zusammengesetzt. Von der gesamten Korrespondenz seines Lebens sind nur siebzehn Briefe erhalten, die seine Unterschrift tragen. (Drei davon betreffen die Frau, die als Haushälterin und Köchin und wahrscheinlich auch Konkubine unter seinem Dach lebte.)
DER TIERKREIS
Das geozentrische Weltbild, das bis zur kopernikanischen Wende vorherrschte, ist in diesem Frontispiz eines von Kopernikus’ liebsten Büchern, Regiomontanus’ Abriss von Ptolemäus’ Almagest, dargestellt. Astronomen maßen die Bewegungen der »Wandersterne« – der Planeten, der Sonne und des Mondes – durch den Tierkreis (oder Zodiak) genannten Ring von »fixen« Sternbildern. Die Sonne braucht etwa einen Monat, um ein einzelnes Zeichen zu durchwandern, ein Jahr für den ganzen Reigen vom Widder bis zu den Fischen. Da zwischen den realen Sternbildern beachtliche Größenunterschiede bestehen, legten die Astronomen die einzelnen Tierkreiszeichen willkürlich auf je ein Zwölftel des Kreisumfangs bzw. 30 Grad fest.
»Die Gasthäuser waren grauenhaft, wimmelten von Läusen, Gaunern und blatternarbigen Huren«, fährt Banville in seiner Erzählung von der Reise der Brüder fort. »Als sie unter niedrigem, schwefelgelbem Himmel ein weites Tal durchquerten, stürmte eines regnerischen Abends ein Trupp grölender Reiter auf sie zu. Sie sahen wie hässliche, abgemagerte und arg ramponierte Raufbolde aus, Deserteure aus einem fernen Krieg … Schweigend sahen die Brüder zu, wie ihr Esel davongetrieben wurde. Niklas’ verdächtig schwerer Mantel wurde auseinandergerissen, und der Münzschatz rollte heraus.« Just so könnte sich alles zugetragen haben.
Als Medizinstudent an der Universität Padua erlernte Kopernikus Heilpraktiken wie etwa den Aderlass mittels Blutegeln, die auf einen Ausgleich zwischen den vier Körpersäften Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle abzielten. Alle Erscheinungsformen von Krankheit oder Gesundheit rührten von einem Übermaß oder Mangel an einem oder mehreren dieser Säfte her. Selbst das Ergrauen der Haare hatte seine Ursache in »verdorbenen Säften« und konnte mit den richtigen Arzneien hinausgezögert werden. Kopernikus wohnte ferner anatomischen Sektionen bei, studierte chirurgische Verfahren und nahm Unterricht in der Anwendung der Astrologie bei der Diagnose und der Behandlung. Unter den medizinischen Lehrbüchern, die sich noch bis zu seinem Tod in seiner Bibliothek befanden und die er in seinem Testament erwähnte, war auch das Breviarium practicae medicinae von Arnaldus de Villanova, einem Arzt und Alchimisten des 13. Jahrhunderts, in der Ausgabe von 1485.
»Um einen so tiefen Schlaf zu bewirken, dass der Patient geschnitten werden kann und nichts spürt, so wie wenn er tot wäre«, empfahl Arnaldus, »nimm Opium, Alraunwurzelrinde und Bilsenkrautwurzel zu gleichen Teilen, zerstoße alles zusammen und mische es mit Wasser. Willst du jemanden nähen oder schneiden, tauche einen Lappen darein und bedecke mit diesem seine Stirn und die Nasenlöcher. Bald wird er so tief schlafen, dass du mit ihm verfahren kannst, wie du willst. Um ihn aufzuwecken, tauche den Lappen in starken Essig.«
Nach zwei von drei vorgeschriebenen Jahren brach Kopernikus das Medizinstudium ab. Nachdem er zuvor an keiner der besuchten Universitäten eine Graduierung in Angriff genommen hatte, begab er sich nun im Mai 1503 nach Ferrara, unterzog sich an der dortigen Universität dem Examen im kanonischen Recht und erhielt den Doktorgrad zugesprochen. Nach Ansicht mancher Kopernikus-Forscher wollte er auf diese Weise dem Rummel der obligatorischen Studienabschlussfeier auf dem Innenhof der Universität Padua entgehen, ganz zu schweigen von den an die Prüfer zu zahlenden Gebühren und den Kosten des Festmahls, dessen Ausrichtung dort von einem frisch Graduierten erwartet wurde. Von Ferrara kehrte er für immer nach Ermland zurück.
Die ermländische Kathedralkirche stand damals wie heute auf einem Hügel, von dem der Blick hinaus auf das Frische Haff geht. Der mächtige Backsteinbau mit seinen spitz behelmten gotischen Ecktürmen erhebt sich auf einem steinernen Fundament, das im 14. Jahrhundert gelegt wurde. Um die Kirche drängen sich einige kleinere Bauten, ein Kampanile und ein gedeckter Brunnen, die ihrerseits von einer Wehrmauer samt Zinnen und Schießscharten umgeben sind. Den Wassergraben und den Wachtturm gibt es nicht mehr, aber an den Zugangstoren befinden sich noch die dicken hölzernen Flügel und die mittelalterlichen Fallgatter, die selbst heute noch mit tödlicher Wucht nach unten rattern können.
»Castrum dominae nostrae«, »Burg unserer lieben Frau« (gemeint ist die Jungfrau Maria), heißt die gesamte Anlage in den ältesten Quellen; davon ist der Name der umliegenden Siedlung abgeleitet: Frauenburg (heute Frombork) war eine von mehreren Städten im Fürstbistum Ermland. Knapp achtzig Kilometer entfernt lag Heilsberg (heute Lidzbark Warmiński) mit seinem imposanten Schloss, der Residenz des Bischofs, wohin Doktor Kopernikus sich nun zuerst wandte, um in den Dienst seines Onkels zu treten. Bedenkt man, dass es Tage dauerte, mit den seinerzeit verfügbaren Beförderungsmitteln eine Strecke von etwa achtzig Kilometern zurückzulegen, so erscheint die Entfernung zwischen Bischofssitz und Kathedrale äußerst misslich. Indes war Bischof Watzenrodes Anwesenheit in der Kathedrale nur gelegentlich vonnöten. So traf er dort beispielsweise am 11. Januar 1510 an der Spitze einer Prozession ein, bei der er eine geweihte Reliquie, angeblich das Haupt des heiligen Georg, den ganzen Weg von Heilsberg zum Frauenburger Dom getragen hatte.
Gleichermaßen Fürst wie geistlicher Würdenträger, regierte der Bischof von Ermland eine Provinz mit einer Fläche von über 4000 Quadratkilometern (größtenteils sein persönlicher Besitz) und Zehntausenden Bewohnern. Er war unmittelbar seinem Oberlehnsherrn, dem König von Polen, verantwortlich. Während seines Episkopats diente Watzenrode sogar drei aufeinanderfolgenden polnischen Königen als vertrauter Berater; mit ihnen teilte er den Traum von einem ruhmreichen Polen und den Hass auf die weißbemantelten Ritter des Deutschen Ordens, von deren Territorium Ermland umschlossen war. Der von Kreuzfahrern Ende des 12. Jahrhunderts im Heiligen Land gegründete Orden übersiedelte nach dem Fall von Akkon nach Altpreußen, wo er sich durch zunehmende Zügellosigkeit auszeichnete und zu einer Gefahr wurde. Oft genug geschah es, dass die Deutschritter von ihrer Burg in Königsberg auf donnernden Hufen zu einem Raubzug durch ermländische Siedlungen loszogen – und dabei sogar Frauenburg und seine befestigte Kathedrale angriffen.
Bischof Watzenrode hatte zwar während seiner Zeit in Thorn einen illegitimen Sohn gezeugt, betrachtete jedoch seinen talentierten jüngeren Neffen als den rechtmäßigen Erben seines Amtes. Nachdem er mit einer kirchlichen Pfründe für Kopernikus’ Unterhalt gesorgt hatte, erhob er ihn jetzt in den Status des bischöflichen Leibarztes und persönlichen Sekretärs, eine Position, die mit unbegrenzten Chancen auf weiteren Aufstieg verbunden war. Auf den schien der junge Mann allerdings nicht im Entferntesten erpicht zu sein. Dass Kopernikus’ Gedanken längst nicht bloß um Fragen und Belange der Macht kreisten, lässt sich aus den Notizen erschließen, die er in den Jahren im Dienst des Bischofs verfasste. Darin hielt er die Stellungen von Mars, Jupiter und Saturn während ihrer großen Konjunktion im Sternzeichen Krebs im Jahr 1504 fest und beschrieb die Mondfinsternis vom 2. Juni 1509.
Über hundert Jahre nach dem Tod des Astronomen schrieb der französische Universalgelehrte Pierre Gassendi 1654 dessen erste uns erhalten gebliebene Biografie; darin heißt es, Kopernikus habe arme Patienten medizinisch behandelt, ohne dafür Geld zu nehmen. Man ist natürlich geneigt, hier Herzensgüte zu vermuten, aber wahrscheinlich verhält es sich so, dass die ermländischen Bauern ihn schlechterdings nicht bezahlen konnten und er seinerseits nicht auf ihre Pfennige angewiesen war. Neben dem Einkommen aus dem Kanonikat bezog er ein zweites aus einer Sinekure an der Kollegiat-Kirche zum heiligen Kreuz in Breslau, die er 35 Jahre lang genoss. Außerdem zahlte ihm das Frauenburger Domkapitel einen jährlichen Zuschlag für die medizinische Betreuung des Bischofs. Urkunden bezeugen, dass Bischof Watzenrode im Jahr 1507 erkrankte und sein Neffe ihn erfolgreich kurierte.
Seine Dankbarkeit gegenüber dem Onkel bekundete Kopernikus öffentlich, indem er ihm sein erstes gedrucktes Werk widmete und Watzenrode dabei mit den Worten »ehrwürdigster Herr und Vater unseres Vaterlandes« pries. Der so dargebotene Text war nicht die große kopernikanische Theorie, sondern die Übersetzung einer Sammlung fiktiver Briefe aus der Feder eines Moralisten des 7. Jahrhunderts aus dem Griechischen ins Lateinische. Die 85 »moralischen, ländlichen und erotischen Briefe« des Theophylaktos Simokattes hatte Kopernikus in der Bibliothek des Domkapitels in einem Sammelband mit dem Titel Epistolae diversorum philosophorum, oratorum, rhetorum (Briefe verschiedener Philosophen, Redner, Lehrer der Beredsamkeit) gefunden. Die Schreiben lasen sich mehr wie Fabeln oder Belehrungen denn wie Mitteilungen, aber sie gefielen ihm, weil, so schrieb er, Theophylaktos »Leichtes mit Schwerem, Lockeres mit Ernstem vermischt [hat], so dass jeder Leser, gleichsam wie in einem Garten aus der Mannigfaltigkeit der Blumen, aussuchen kann, was ihm besser gefällt«.
In einem der Briefe ging es speziell um die Pflicht eines Onkels gegenüber seinem Neffen: »Bei den Stuten gibt es einen Brauch und, wie mir scheint, einen sehr vernünftigen. Ich lobe nämlich bei ihnen das große Wohlwollen. Aber was ist denn nun ihr Brauch? Wenn sie ein Fohlen sehen, das ohne Ernährerin ist, und sehen, dass die Mutter weit weg ist, kümmert sich irgendeine um das Fohlen. Sie vergessen nämlich nicht ihre Natur und pflegen es einträchtig ohne irgendeinen Widerwillen, indem sie es gleichsam als einen Neffen oder Bruder ansehen …
Nun werde ich also die Erzählung auf Dich anwenden. Du verachtest Deinen brüderlichen Neffen, der von Tür zu Tür geht, gekleidet in ein äußerst schäbiges Gewand. Dein Sinn ist wirklich unvernünftiger als die Tiere. Fremde Hunde ernährst Du. So nämlich sollte ich die Schmeichler, die Dich umgeben, besser nennen. Sie scheinen nämlich die Treuesten zu sein, solange sie sich von Deinen Gütern ernähren, o Unglücklicher. Sie beschimpfen aber durchaus auch Dich, auch wenn sie den Rausch von neulich ausspeien. Die Gattung der Schmeichler besitzt nämlich ein gutes Erinnerungsvermögen für Übles und ist in Bezug auf Wohltaten äußerst vergesslich. Nimm Dich also endlich Deines Neffen an … Wenn aber nicht, wirst Du die Reue als unüberwindlichen Feind haben, der sein Schwert mit den Tränen der Natur schärft.«
Zum Glück für Kopernikus hatte Onkel Lukas derartige Ermahnungen nicht nötig gehabt, um eine freigebige Hand auszustrecken.
Besorgt darum, wie der Bischof die erotischen Stücke in der Briefsammlung aufnehmen werde, beteuerte Kopernikus, dass er diese ihm zuliebe bearbeitet habe. »So, wie die Bitterkeit von Medizin durch süße Mittel gemildert zu werden pflegt, damit sie denjenigen, die sie einnehmen, angenehmer wird«, schrieb er in seiner Widmung, sind »auch die erotischen [Briefe] ziemlich züchtig gehalten.« Gleichwohl ist in ihnen von Wollust die Rede, von fleischlichem Begehren, besinnungsloser Leidenschaft, Prostitution, Untreue, Abtreibung und Kindstötung.
Ein Freund von Kopernikus namens Laurentius Corvinus (eigentlich Lorenz Rabe, polonisiert Wawrzyniec Korwin) brachte das Manuskript des Büchleins 1508 nach Krakau, wo es im darauffolgenden Jahr gedruckt wurde; weder in Ermland noch gar in Thorn gab es zur damaligen Zeit eine Druckerei. Corvinus verfasste überdies ein einführendes Gedicht zu dem Werk. Die Verse liefern unter anderem ein knappes Charakterbild des Bischofs, der nicht nur »durch seine Gottesfurcht« glänze, sondern auch »wegen seiner großen Würde« verehrt werde – was die Vermutung nahelegt, dass Watzenrode seine Freigebigkeit ohne viel persönliche Wärme geübt hat. Was den »Gelehrten« angeht, »der dieses Werk aus dem Griechischen in lateinische Worte überträgt«, so kennt Corvinus ihn als jemanden, der mit höheren Studien beschäftigt ist, »der den schnellen Lauf des Mondes und die wechselnden Läufe des ›Bruders‹ (d. h. der Sonne) sowie die Sterne mit den Planeten behandelt, das bewundernswerte Werk des Allmächtigen, und die verborgenen Ursachen der Dinge mit Hilfe von erstaunlichen Prinzipien zu erforschen weiß«.
Kopernikus arbeitete bereits an einer Neukonzeption der himmlischen Sphären. Ja, die Tatsache, dass er sich das Griechische beibrachte – und das Gelernte an den Briefen des Theophylaktos Simokattes erprobte –, scheint nur eine Vorbedingung für das Studium der griechischen Astronomen und für den Gebrauch des antiken griechischen/ägyptischen Kalenders zur korrekten Datierung von deren Beobachtungen seit dem Altertum gewesen zu sein.
Um die Jahresmitte 1510 gab Kopernikus dem Fürstbischof von Ermland zu verstehen, dass ihm nicht der Sinn danach stand, der zukünftige Fürstbischof zu werden, denn er zog aus der bischöflichen Residenz aus. Nachdem er in Frauenburg ein Domizil nahe dem Dom bezogen hatte, begleitete er seinen Onkel nicht länger auf dessen Reisen in diplomatischer Mission – auch nicht im Februar 1512 nach Krakau anlässlich der Hochzeit König Sigismunds und der anschließenden Krönung der neuen Königin, der siebzehnjährigen ungarischen Adligen Barbara Zápolya. Bischof Watzenrode bedauerte zweifellos, dass sein Neffe zu den Festlichkeiten nicht mitgekommen war, erst recht, als er auf der Rückreise von einem starken Fieber befallen wurde. In Thorn unterbrach er die Reise in der Hoffnung, sich zu erholen und anschließend nach Heilsberg weiterfahren zu können, doch stattdessen verschlimmerte sich sein Zustand. Drei Tage später, am 29. März, starb er im Alter von 64 Jahren.
Der letzte Brief in der Sammlung des Theophylaktos kam auf den Tod und seine Lehren für die Lebenden zu sprechen. »Wandle unter Grabmälern«, wird dort dem von Trauer Bedrückten geraten, »und du wirst ein Heilmittel für Dein Leiden haben. Und beherzige, dass das größte Glück der Menschen schließlich die Leichtigkeit von Staub annimmt.«