Sophienlust
– 374 –

Vorbei sind die einsamen Tage

Wie Gilda nach Sophienlust kam ...

Elisabeth Swoboda

Impressum:

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-745-5

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»Au, das sticht«, schimpfte Vicky Langenbach.

»Stell dich nicht so an«, rügte Angelina Dommin. Ihrer zahlreichen Sommersprossen wegen wurde sie allgemein Pünktchen gerufen, ein Spitzname, an den sie sich längst gewöhnt hatte.

»Vicky hat recht«, kam Angelika Langenbach ihrer jüngeren Schwester zu Hilfe. »Diese Tannennadeln stechen wirklich ganz ekelhaft. Warum haben wir bloß im Advent so viele Girlanden aufgehängt? Ein Kranz mit vier Kerzen drauf hätte vollauf genügt.«

»Das sagst du jetzt«, warf Fabian Schöller ein. Er war ein eher stiller Junge, doch wenn er seinen Mund aufmachte, trafen seine Feststellungen meist ins Schwarze. »Am ersten Dezember warst du noch ganz begeistert von der Weihnachtsdekoration in allen Räumen. Am liebsten hättest du sämtliche Wände mit Tannenreisig austapeziert.«

»Damals kamen wir alle so richtig in Weihnachtsstimmung«, meinte Pünktchen. »Die frischen Zweige dufteten um die Wette mit den Bratäpfeln und den Lebkuchen, die Magda in der Küche zubereitete. Aber jetzt ist das Fest vorüber und … Also ehrlich gesagt, mir macht das Wegräumen auch keinen Spaß. Es ist lästig.«

»Trotzdem muss es gemacht werden«, erklärte Irmela Groote resolut. Sie war eines der ältesten Mädchen von Sophienlust und im Allgemeinen recht vernünftig. »Ulla und Lena würden allein die Arbeit nicht schaffen«, fügte sie hinzu. »Außerdem waren wir diejenigen, die die Räume geschmückt haben. Es ist daher nur recht und billig, dass wir die Weihnachtsdekorationen jetzt wieder wegräumen.«

»Ja, ja, das stimmt schon«, seufzte ein Junge von etwa zehn, elf Jahren. »Aber ich würde jetzt viel lieber auf dem Waldsee eislaufen. Oder im Park eine Schneeballschlacht machen.«

»Diese Vergnügungen müssen wir auf morgen verschieben. Falls wir heute mit den Aufräumarbeiten überhaupt fertig werden«, bemerkte Angelika düster.

»Wenn uns Tante Isi wenigstens erlaubt hätte, die Kerzen vom Christbaum noch einmal anzuzünden«, rief Vicky. »Sie sind noch groß, sie hätten leicht noch ein, zwei Stunden gebrannt.«

»Und der Baum gleich mit. Und wenn das Feuer auf die Vorhänge übergegriffen hätte, wäre die Halle ausgebrannt und womöglich sogar ganz Sophienlust«, sagte Fabian.

»Blödsinn«, murrte Vicky, während sie Glaskugeln nach Größe und Farbe sortierte und dabei abstaubte. »So leicht brennt ein so großes Haus wie unseres nicht ab.«

»Aber wenn es doch passieren würde, dann – dann stünden wir alle auf der Straße und wüssten nicht wohin«, gab Fabian dem Mädchen zu bedenken. »Jedes Jahr liest man in der Zeitung von Wohnungsbränden, die dadurch entstehen, dass Leute die Christbaumkerzen noch ein letztes Mal anzünden.«

Fabians Worte machten Vicky nachdenklich. Dass Sophienlust abbrannte, das wollte sie ebenso wenig wie die anderen Kinder, die in diesem Heim Schutz und Zuflucht gefunden hatten. Sie selbst und ihre Schwester Angelika waren Waisen, sie hatten bei einem Lawinenunglück die Eltern verloren. Einige der übrigen Kinder von Sophienlust hatten ein ähnliches Schicksal erlitten, manchen war ein Elternteil durch Scheidung genommen worden und der andere hatte keine Zeit für sie.

Die meisten Kinder verbrachten nur eine kurze Spanne ihres Lebens in dem Kinderheim, einige wenige – so wie Pünktchen, Vicky und Angelika – lebten schon seit Jahren hier. Sophienlust war zu ihrer Heimat geworden, sie fühlten sich wohl in dem großzügig angelegten alten Herrenhaus, das gleichzeitig mit jeglichem modernen Komfort ausgestattet war.

Denise von Schoenecker, die den Besitz für ihren noch minderjährigen Sohn Dominik verwaltete, ersetzte ihnen die Mutter, Regine Nielsen, die Kinder- und Krankenschwester, und Else Rennert, die Heimleiterin, unterstützten sie darin.

»Nein, dass Sophienlust abbrennt, das will ich nicht«, sagte Vicky. »Das wäre zu schrecklich.«

»Das wäre in der Tat schrecklich«, pflichtete Schwester Regine ihr bei. Die junge, hübsche Frau stand auf einer hohen Leiter und holte vorsichtig den Glasschmuck aus den vertrockneten Zweigen des Weihnachtsbaumes. Sie reichte die Gegenstände an Angelika weiter, die sie ihrerseits wieder an Vicky weitergab.

»Fabian, bitte hilf mir …«, begann Vicky, unterbrach sich mitten im Satz und lief einem gut aussehenden, etwa sechzehnjährigen Jungen entgegen, der eben durch das Hauptportal die Halle betrat.

»Hallo, Nick!«, begrüßte das Mädchen den Besitzer von Sophienlust. »Bist du allein von Gut Schoeneich herübergekommen? Wo sind Tante Isi und Henrik geblieben?«

Henrik war Nicks jüngerer Halbbruder, und Isi war die liebevolle Abkürzung für Denise.

»Sie sind zu Hause«, erwiderte Nick auf Vickys Frage. »Henrik hat Halsschmerzen. Er wollte es Mutti verheimlichen, aber seine Stimme klingt so heiser, dass ihm das nicht gelang. Wahrscheinlich hat er sich gestern erkältet, als wir den Schneemann bauten und anschließend die Schneeballschlacht tobte.«

»Der Arme«, meinte Vicky mitfühlend.

»Ich habe ihn gewarnt«, ließ Irmela sich vernehmen. »Ich habe ihm geraten, seine nasse Hose und seine nassen Socken zu wechseln, aber er wollte ja nicht auf mich hören.«

»Na, vielleicht sind ihm die Halsschmerzen eine Lehre«, sagte Nick, aber es war ihm anzumerken, dass er von seinen eigenen Worten wenig hielt. Er kannte seinen kleinen Bruder, Henrik ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Morgen würde sein Hals bestimmt wieder in Ordnung sein, jedenfalls würde er das behaupten.

»Mutti hat ihn unerbittlich ins Bett gesteckt«, erzählte Nick. »Seine gekrächzten Proteste haben ihm nichts genützt.«

»Warum bist du nicht bei ihm geblieben und hast ihn getröstet?«, fragte Angelika ein wenig vorwurfsvoll.

»Trösten? Damit hätte ich ihn bloß verärgert. Mutti hat ihm einen Stoß Mickymaushefte gebracht, die waren ihm sicher lieber als meine Anwesenheit. – Mutti musste nach Maibach aufs Jugendamt. Sie hat mich hier abgesetzt und ist dann gleich weitergefahren. Den Heimweg muss ich zu Fuß bewältigen, Ob ich das schaffe?« Er lachte, und die übrigen Anwesenden stimmten in sein Lachen mit ein.

Gut Schoeneich, der Besitz von Nicks Stiefvater Alexander von Schoen­ecker, lag in unmittelbarer Nachbarschaft von Sophienlust. Die Parks gingen ineinander über. Sie waren zwar weitläufig, trotzdem war der Fußmarsch jedem, der nicht gerade an einem Fußleiden litt, ohne Weiteres zuzumuten. Nick war kein Schwächling, er war sportlich und strotzte geradezu vor Gesundheit.

Nachdem sich die allgemeine Heiterkeit gelegt hatte, erkundigte sich Schwester Regine: »Bist du gekommen, um uns beim Abräumen des Weihnachtsbaumes und der Festdekorationen zu helfen, Nick?«

Der Junge schnitt eine Grimasse.

»Also, ehrlich gesagt, ich hatte total vergessen, dass wir diese Arbeit heute in Angriff nehmen wollten«, gestand er. »Ich wollte euch eigentlich dazu überreden, mit mir an den Waldsee zu gehen. Er ist fest zugefroren. So fest, dass man herrlich eislaufen kann. Das ist nicht jedes Jahr der Fall. Dieses Jahr befürchtet nicht einmal Mutti, dass jemand von uns einbrechen könnte.«

»Ja, gehen wir zum See«, rief Vicky.

»Die restlichen Girlanden nehmen wir eben morgen ab. Und der Christbaum kann auch noch bis morgen stehen bleiben. Nicht wahr, Schwester Regine?«

»Er kann, aber er wird nicht«, entgegnete die junge Frau. »Es hat wenig Sinn, lästige Tätigkeiten aufzuschieben. Morgen werdet ihr genauso wenig Lust zum Wegräumen haben wie heute.«

»Und der halbleere Baum und die vielen Kartons, die in der Halle herumstehen, sehen schrecklich unordentlich aus«, meinte Fabian. »Ich bin dafür, dass wir weitermachen. Je schneller wir es hinter uns haben, desto besser.«

Plötzlich stürzte eine kleine Gruppe von jüngeren Kindern in die Halle. Sie hatten sich seit dem Mittagesssen im Wintergarten aufgehalten und dort mit ihren Puppen und Plüschtieren gespielt. Heidi Holsten, die Anführerin, verkündete: »Es schneit. Draußen schneit es! Ganz dichte Flocken. Und viele!«

»Hm, das ist doch keine Sensation«, sagte Pünktchen. »In diesem Winter hat es schon häufig geschneit. Bereits Mitte November waren die Rasenflächen im Park weiß bedeckt.«

Heidi kümmerte sich nicht um Pünktchens Einwand. Sie sang – nicht ganz richtig, dafür umso lauter – ihr derzeitiges Lieblingslied: »Leise rieselt der Schnee …«

Angelika hielt sich die Ohren zu.

»Ich bitte dich, Heidi, sei still«, stöhnte sie.

»Warum? Das ist ein schönes Lied. Ich habe es von Onkel Wolfgang gelernt. Er hat gesagt, dass ich eine hübsche Stimme habe.«

Wolfgang Rennert war der Musik- und Zeichenlehrer der Kinder von Sophienlust. Er hatte im Advent eine Anzahl von Weihnachtsliedern mit ihnen eingeübt. Alle waren mit Feuereifer bei der Sache gewesen. Doch jetzt waren Advent und Feiertage vorüber, die Geschenke waren längst in Gebrauch, die Weihnachtsbäckerei war aufgegessen. Niemand mehr, außer Heidi, war in der Stimmung, Weihnachtslieder zu singen oder zu hören. Und schon gar nicht heute, wo die abgenommenen Girlanden in wirren Knäueln auf dem Boden lagen, neben kleinen Häufchen von halb abgebrannten Kerzen, den verdrückten Bändern und Schleifen der Adventskränze und offenen Kartons, aus denen Seidenpapier und Holzwolle herausquoll.

»Ich kann auch noch andere schöne Lieder«, erklärte Heidi. »O Tannenbaum, o Tannenbaum.«

»Nein, hör auf«, gebot Pünktchen energisch.

»Soll ich vielleicht ein Gedicht aufsagen?«, erkundigte sich das kleine Mädchen bereitwillig. »Ich kann ein ganz langes. – Von drauß, vom Walde komm ich her …«

»Nein!« Angelikas Aufschrei kam einem Kreischen gefährlich nahe. »Kapierst du es denn nicht, Heidi? Weihnachten ist vorbei. In – in zehn Monaten ungefähr kannst du wieder Weihnachtslieder singen und deine Gedichte aufsagen.«

»In zehn Monaten? Ist das nicht eine schrecklich lange Zeit?«, fragte das kleine Mädchen.

»Na ja, schon«, erwiderte Vicky. »Bis dahin werde ich alle die schönen Lieder und Gedichte vergessen haben«, sagte Heidi bedrückt. Etwas lebhafter setzte sie hinzu: »Ihr seid komisch. Ihr habt mich doch alle gelobt, weil ich mir das lange Gedicht so schnell gemerkt habe. Ihr habt gesagt, dass ich gescheit bin. Und jetzt darf ich es nicht mehr aufsagen. Warum nicht?«

»Weil – weil es heute nicht mehr passt«, erwiderte Pünktchen. »Angelika hat recht. Weihnachten ist vorbei. Es war ein wunderschönes Fest, wir haben es alle mit Begeisterung gefeiert. Aber die Zeit bleibt nun einmal nicht stehen. Es ist nicht jeden Tag Weihnachten. Das wäre ja auch langweilig.«

»Warum? Mir gefällt Weihnachten«, behauptete Heidi. »Da bringt das Christkind schöne Geschenke. Der Weihnachtsmann hilft dem Christkind und bringt auch Geschenke. Mir wäre es recht, wenn jeden Tag Weihnachten wäre.«

»Das glaubst du bloß«, warf Nick ein. »Wann würdest du denn mit den vielen Geschenken spielen? Dazu bliebe dir keine Zeit.«

»Und stell dir vor, es wäre ständig Winter«, ergänzte Pünktchen. »Da könnten wir nie im See baden, wir könnten keine Blumen pflücken …«

»Im Wintergarten könnten wir Blumen pflücken«, fiel ein kleiner Junge Pünktchen ins Wort. »Dort wachsen viele.«

»Ja, aber die darf man nicht pflücken«, belehrte Vicky den Kleinen. »Die brauchen lange, bis sie wachsen und blühen. Und sie müssen gut gepflegt werden. Das ist bei den Sommerblumen, die auf der Wiese und im Wald blühen, nicht notwendig.«

»Wann gehen wir in den Wald und pflücken Glockenblumen?«, erkundigte sich Heidi.

»Bis dahin dauert es noch«, erklärte Irmela. »Du musst Geduld haben, Heidi. Möchtest du Vicky beim Säubern der Glaskugeln helfen? Du musst aber vorsichtig sein, du darfst keine davon fallen lassen. Sie sind zerbrechlich. »

»Warum darf ich sie nicht zerbrechen? Wenn wieder Weihnachten ist, bringt das Christkind neue«, meinte Heidi zuversichtlich.

Die größeren Kinder wechselten vielsagende Blicke und schmunzelten, schwiegen jedoch.

»Nein, Heidi, so verhält sich die Sache nicht«, ergriff Schwester Regine das Wort. »Das Christkind – hm – nun ja – das Christkind freut sich, wenn die Kinder mit den Geschenken und dem Weihnachtsschmuck sorgsam umgehen und nicht alles zerbrechen und kaputt machen. Deshalb heben wir den Glasschmuck auf, damit ihn das Christkind vor dem nächsten Weihnachtsfest wieder abholen und noch einmal verwenden kann.«

»Ach, so ist das.« Heidi gab sich mit der Erklärung der Kinderschwester zufrieden, sie hatte keinen Verdacht geschöpft. Eifrig nahm sie eines der herumliegenden Staubtücher zur Hand und machte sich an die Arbeit.

»Au, jetzt habe ich mich gestochen«, entfuhr es Angelika. »Diese Nadeln sind scharf und spitz, und man kommt so schlecht an die Sachen, die innen hängen, heran. Die Äste sind so dürr und steif, sie biegen sich nicht mehr. Nächstes Mal müssen wir beim Ausschmücken darauf achten, dass wir nichts zu nahe an den Stamm hängen.«

»Pst«, stieß Pünktchen hervor und legte ihren Zeigefinger auf die Lippen.

Schwester Regine räusperte sich warnend.

Angelika zuckte zusammen und warf einen schnellen Blick zu Heidi hinüber. Diese hatte jedoch ihre unüberlegte Äußerung nicht vernommen, sie hauchte gerade eine besonders schöne, silbrig glänzende Kugel an und polierte sie mit dem Staubtuch.

Ein anderes, noch ein bisschen jüngeres Mädchen war jedoch aufmerksam geworden. Es sah fragend zu Angelika, die auf einem Stuhl stand, empor und sagte unsicher: »Das verstehe ich nicht. Schmückt ihr das nächste Mal den Christbaum? Ich – ich habe geglaubt, das macht das Christkind? Oder die Englein, wenn das, Christkind zu wenig Zeit für alle Weihnachtsbäume hat. Meine Mutti hat mir das so erzählt. Unseren Baum hat immer das Christkind geziert.«

»Ja, selbstverständlich schmücken das Christkind und die Englein die Weihnachtsbäume«, versicherte Angelika schnell.

»Aber du hast doch gerade gesagt, dass …«

»Ich habe mich versprochen«, fiel Angelika dem Kind ins Wort. »Ich wollte sagen, dass wir das nächste Mal beim Abräumen vorsichtiger sein müssen.«

Das kleine Mädchen schüttelte argwöhnisch den Kopf. Angelikas Richtigstellung ihrer vorherigen Aussage hatte nicht sehr überzeugend geklungen.

»Angelika redet oft Unsinn«, schaltete Nick sich ein. »Das wisst ihr doch alle.«

»Ja, so ist es«, bestätigte Pünktchen Nicks Feststellung. »Du brauchst nicht auf sie zu hören, Schätzchen.«

Das kleine Mädchen nickte. Angelika bedachte Nick und Pünktchen mit einem vorwurfsvollen Blick, aber sie sagte nichts. Nick sah sie mit einem leichten Grinsen an. Pünktchen jedoch schlug den Kleinen vor: »Wollt ihr nicht wieder in den Wintergarten gehen und dort weiterspielen?«

»Nein«, entgegnete Heidi, ohne zu zögern. »Ich helfe euch lieber, damit das Christkind sich freut, weil ich so fleißig bin.«

»Tja, nun ist guter Rat teuer«, murmelte Nick. Die anderen schwiegen, offensichtlich hatten sie Angst, sie könnten sich ebenso verplappern wie Angelika.

»Warum seid ihr alle so still?«, fragte Heidi nach einigen Minuten. »Warum redet ihr nichts?«

»Was sollen wir denn reden?«, lautete Pünktchens etwas mühsame Gegenfrage.

»Irgendetwas.« Die Fünfjährige hielt im Polieren der Kugeln inne und betrachtete eingehend den großen, jetzt schon merklich kahl gewordenen Tannenbaum. »Schade«, meinte sie bedauernd. »Jetzt sieht er gar nicht mehr schön aus. Was machen wir damit? Holt den das Christkind wieder ab?«

»Nein. Der alte Justus wird ihn zersägen und verbrennen«, erwiderte Schwester Regine und stieg vorsichtig von der Leiter.

»Der arme Baum«, rief Heidi bekümmert aus.

»Ach, mach dir nichts draus«, sagte Angelika. »Man kann halt nicht alles aufheben. Bei Blumen ist es so ähnlich. Sobald sie verwelkt sind, werfen wir sie in den Abfalleimer. Die Tannenzweige werden im Kamin wenigstens gut riechen.«

Ein paar von den kleineren Kindern hatten sich unterdessen damit vergnügt, die dürren Reisiggirlanden zu zerpflücken und die Reste überall in der Halle zu verteilen.

»Also, das geht nun wirklich nicht«, tadelte die Kinderschwester. »Schaut euch nur mal das Bärenfell an. Voller Nadeln.«

In der Tat war der Vorleger, der vor dem offenen Kamin lag, mit graugrünen Tannennadeln förmlich gespickt. Sogar im weit geöffneten Rachen des ausgestopften Kopfes lag ein kleines Häufchen davon.

»Bär frisst Nadeln«, erklärte ein kleiner Junge. »Schmecken ihm.«

»Nein, sie schmecken ihm nicht«, seufzte die junge Frau. »Nein! Lass das!«

Der Kleine hatte sich angeschickt, dem ausgestopften Kopf noch eine Handvoll Tannennadeln zwischen die Zähne zu werfen. Durch dieses Beispiel angefeuert, kratzte ein anderer Junge Nadeln, Lametta und verbogene S-Häkchen zusammen und schleuderte alles mit einer raschen Bewegung durch die Luft.